Bundesgerichtshof Urteil, 19. Apr. 2016 - VI ZR 506/14

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:190416UVIZR506.14.0
bei uns veröffentlicht am19.04.2016
vorgehend
Landgericht Oldenburg (Oldenburg), 8 O 16/09, 10.12.2010
Oberlandesgericht Oldenburg, 5 U 16/11, 29.10.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 506/14 Verkündet am:
19. April 2016
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Kläger ist nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage
aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens
schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten
ist. Einzelne bei Klageerhebung bereits entstandene Schadenspositionen stellen
lediglich einen Schadensteil in diesem Sinne dar.
BGH, Urteil vom 19. April 2016 - VI ZR 506/14 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
ECLI:DE:BGH:2016:190416UVIZR506.14.0

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner und Stöhr und die Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Teil-Grund- und TeilEndurteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 29. Oktober 2014 hinsichtlich des Feststellungsausspruchs im dritten Absatz des Tenors aufgehoben und das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 10. Dezember 2010 weiter abgeändert. Der Feststellungsausspruch wird wie folgt neu gefasst: Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die rechtswidrige Kaiserschnittentbindung am 21. Oktober 2002 entstanden ist oder entstehen wird, soweit nicht Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden. Eine Entscheidung über die Kosten des Revisionsrechtszuges bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen einer bei seiner nicht ausreichend aufgeklärten Mutter in der 34. Schwangerschaftswoche rechtswidrig vorgenommenen sectio, die bei ihm zu einer Schwerstbehinderung geführt hat, auf Schmerzensgeld und Feststellung in Anspruch.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat durch Teil-Grund- und Teil-Endurteil entschieden, dass der auf Zahlung von Schmerzensgeld gerichtete Klageantrag dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Insoweit hat es die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldes an das Landgericht zurückverwiesen. Es hat ferner festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht bezifferbaren oder in der Fortentwicklung befindlichen sowie zukünftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm durch die rechtswidrige Kaiserschnittentbindung entstanden sind oder entstehen werden , soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden. Im Übrigen hat es wegen des weitergehenden Feststellungsantrags die Klage abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren , soweit das Berufungsgericht ihm nicht bereits entsprochen hat, weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit hier erheblich - im Wesentlichen ausgeführt, es sei klarzustellen, dass nur solche materiellen Schäden umfasst seien, die zur Zeit der Klageerhebung nicht bezifferbar gewesen seien oder sich noch in der Fortentwicklung befunden hätten. Dass im Fall des Klägers zukünftige oder in der Fortentwicklung befindliche Schäden möglich seien, liege angesichts der erlittenen Hirnschädigung auf der Hand. Mit Blick auf Schäden, die bereits bei Klageerhebung bezifferbar gewesen seien und sich nicht in der Fortentwicklung befunden hätten, fehle es dagegen an dem notwendigen Feststellungsinteresse. Insoweit sei der Feststellungsantrag des Klägers wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig.

II.

5
Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Das Berufungsgericht hat ein rechtliches Interesse (§ 256 Abs. 1 ZPO) des Klägers an der weitergehenden Feststellung hinsichtlich des bei Klageerhebung bereits bezifferbaren Schadensteils zu Unrecht verneint.
6
1. Es ist anerkannt, dass der Kläger grundsätzlich nicht gehalten ist, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Zwar fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann. Es besteht jedoch keine allgemeine Subsidiarität der Fest- stellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dann, wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, der Kläger in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren kann (st. Rspr., BGH, Urteile vom 4. Dezember 1986 - III ZR 205/85, NVwZ 1987, 733 mwN; vom 21. Februar 1991 - III ZR 204/89, VersR 1991, 788 f. mwN; Senat, Urteil vom 8. Juli 2003 - VI ZR 304/02, NJW 2003, 2827 unter II 1 mwN).
7
2. So liegt es, wie die Revision zu Recht rügt und das Berufungsgericht verkannt hat, hier. Es hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 280, 278, § 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1, § 249 BGB wegen der am 21. Oktober 2002 rechtswidrig durchgeführten Kaiserschnittentbindung bejaht, nach Klageerhebung eingetretene Schäden und Zukunftsschäden für möglich gehalten und insoweit der Feststellungsklage stattgegeben. Dann aber durfte es hinsichtlich des etwaig vor Klageerhebung entstandenen (Teil-)Schadens die Feststellungsklage nicht mangels Feststellungsinteresses des Klägers abweisen.
8
Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung steht dem nicht entgegen , dass einzelne Schadenspositionen bei Klageerhebung bereits bezifferbar und die diesen zugrunde liegenden Sachverhalte bereits abgeschlossen gewesen sein mögen. Ein Feststellungsantrag erfasst den gesamten dem Kläger entstandenen Schaden, auch solche Positionen, die - aus welchem Grund auch immer - nicht mit der Leistungsklage geltend gemacht und auch nicht zur Begründung des Feststellungsantrags konkretisiert wurden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 26. Oktober 2010 - VI ZB 74/08, NJW 2011, 615 Rn. 8; vom 16. April 2013 - VI ZB 50/12, NJW-RR 2013, 1077 Rn. 9). Einzelne bei Klageerhebung bereits entstandene Schadenspositionen stellen daher lediglich einen Schadensteil im obigen Sinne dar.
9
3. Da weitere Feststellungen nach alledem nicht erforderlich sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO. Galke Wellner Stöhr Oehler Roloff
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 10.12.2010 - 8 O 16/09 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 29.10.2014 - 5 U 16/11 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 19. Apr. 2016 - VI ZR 506/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 19. Apr. 2016 - VI ZR 506/14

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 563 Zurückverweisung; eigene Sachentscheidung


(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung


(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Zivilprozessordnung - ZPO | § 256 Feststellungsklage


(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverh
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(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverh

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 249 Art und Umfang des Schadensersatzes


(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. (2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadenser

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte


Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwen

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 831 Haftung für den Verrichtungsgehilfen


(1) Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl

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(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 304/02 Verkündet am:
8. Juli 2003
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
Zu den Voraussetzungen eines Diagnosefehlers (im Anschluß an Senatsurteile vom
30. Mai 1958 – VI ZR 139/57 – VersR 1958, 545, vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 –
VersR 1981, 1033, 1034 und vom 14. Juni 1994 – VI ZR 236/93 – AHRS 1815/102).
BGH, Urteil vom 8. Juli 2003 - VI ZR 304/02 - OLG Koblenz
LG Koblenz
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Juli 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr.
Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten zu 1 wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. Juli 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil der Beklagten zu 1 ergangen ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger begehrte von der Beklagten zu 1 (künftig: die Beklagte) Schmerzensgeld und die Feststellung ihrer Ersatzpflicht für sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden, die ihm anläßlich der ärztlichen Behandlung vom 26. November 1995 im Krankenhaus der Beklagten entstanden sind und entstehen werden. Der Kläger wurde nach einem Sturz am 26. November 1995 in der Unfallchirurgie des Krankenhauses stationär versorgt. Der frühere Beklagte zu 3 erkannte einen Bruch des achten Brustwirbelkörpers nicht und nahm fälschlich eine Prellung an. Nach der Entlassung des Klägers am 28. November 1995
nahmen die Beschwerden nicht ab. Er begab sich deshalb erneut in ärztliche Behandlung. Dort wurde der Bruch des Brustwirbels erkannt und der Kläger daraufhin in einem anderen Krankenhaus stationär vom 1. bis 7. Dezember 1995 behandelt. Das Landgericht hat die Zahlungsklage wegen Verjährung abgewiesen; die Feststellungsklage sei unzulässig. Das Oberlandesgericht hat dieses Urteil auf die Berufung des Klägers teilweise abgeändert und der Feststellungsklage gegen die Beklagte hinsichtlich der Ersatzpflicht für materielle Schäden stattgegeben. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet , die Ansprüche aus Behandlungsvertrag seien - anders als deliktische Ansprüche des Klägers - nicht verjährt. Für sie gelte nach § 195 BGB a.F. eine Verjährungsfrist von dreißig Jahren. Die Beklagte habe den zwischen ihr und dem Kläger bestehenden Behandlungsvertrag schuldhaft verletzt. Sie müsse sich das Verhalten des früheren Beklagten zu 3, eines angestellten Oberarztes, nach § 278 BGB zurechnen lassen. Dieser habe fälschlich eine Prellung statt eines Wirbelkörperbruches diagnostiziert.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. Allerdings hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei das Interesse des Klägers an einer alsbaldigen Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten (§ 256 Abs. 1 ZPO) trotz der Möglichkeit einer Leistungsklage bejaht. Ein Kläger ist nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuspalten , wenn ein Teil des Schadens schon entstanden ist und mit der Entstehung eines weiteren Schadens jedenfalls nach seinem Vortrag noch zu rechnen ist (vgl. Senatsurteil vom 28. September 1999 - VI ZR 195/98 - VersR 1999, 1555, 1556; BGH, Urteile vom 4. Dezember 1986 - III ZR 205/85 - BGHR-ZPO § 256 Abs. 1 Feststellungsinteresse 2 und vom 7. Juni 1988 - IX ZR 278/87 - BGHR-ZPO § 256 Abs. 1 Feststellungsinteresse 10). 2. Das Berufungsgericht geht auch im Ansatzpunkt zutreffend davon aus, daß dem Kläger aus dem mit der Beklagten als Trägerin des Krankenhauses abgeschlossenen Behandlungsvertrag vertragliche Ansprüche zustehen können , wenn die Beklagte oder deren Ärzte als ihre Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) die geschuldete ärztliche Behandlung in einer dem fachärztlichen Standard zuwiderlaufenden Weise, also fehlerhaft, erbracht haben. Es hat zutreffend erkannt, daß die Ansprüche auf Ersatz materiellen Schadens hieraus erst in 30 Jahren verjährten (§ 195 BGB a.F.; Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB i.V.m. §§ 195, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). 3. Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, daß ein Behandlungsfehler nicht immer schon dann anzunehmen ist, wenn ein Arzt zu einer objektiv unrichtigen Diagnose gelangt (unten a)). Es hat infolgedessen verfahrensfehlerhaft den unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten außer acht gelassen
(unten b)), daß der Bruch des achten Brustwirbelkörpers nicht erkennbar gewesen sei. Dadurch hat es gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, wie die Revision mit Erfolg beanstandet.
a) Grundsätzlich ist zwar das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und der für sie kennzeichnenden Symptome als Behandlungsfehler zu werten (vgl. Senatsurteile vom 30. Mai 1958 - VI ZR 139/57 - VersR 1958, 545, 546, vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 - VersR 1981, 1033, 1034 und vom 14. Juni 1994 - VI ZR 236/93 - AHRS 1815/102). Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkommen , sind jedoch oft nicht die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes. Die Symptome einer Erkrankung sind nämlich nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vielfachen technischen Hilfsmittel, die zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen einzusetzen sind (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 - aaO). Auch kann jeder Patient wegen der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Anzeichen ein und derselben Krankheit in anderer Ausprägung aufweisen. Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden (vgl. Senatsurteile vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 - aaO; vom 14. Juni 1994 - VI ZR 236/93 – aaO). Dieser Gesichtspunkt greift allerdings nicht, wenn Symptome vorliegen, die für eine bestimmte Erkrankung kennzeichnend sind, vom Arzt aber nicht ausreichend berücksichtigt werden (vgl. Senatsurteil vom 30. Mai 1958 - VI ZR 137/57 - aaO; OLG Saarbrücken MedR 1999, 181, 182; Bischoff, Festschrift für Geiß, 2000, S. 345 ff.). Darum geht es hier nicht.
Die Frage nach einem ärztlichen Fehlverhalten kann sich jedoch auch stellen, wenn der behandelnde Arzt ohne vorwerfbare Fehlinterpretation von Befunden eine objektiv unrichtige Diagnose stellt und diese darauf beruht, daß der Arzt eine notwendige Befunderhebung entweder vor der Diagnosestellung oder zur erforderlichen Überprüfung der Diagnose unterlassen hat. Ein solcher Fehler in der Befunderhebung kann zur Folge haben, daß der behandelnde Arzt oder der Klinikträger für eine daraus folgende objektiv falsche Diagnose und für eine der tatsächlich vorhandenen Krankheit nicht gerecht werdende Behandlung und deren Folgen einzustehen hat (vgl. zum Beispiel Senatsurteile BGHZ 138, 1, 5 ff. und vom 3. November 1998 – VI ZR 253/97 – VersR 1999, 231, 232 – jeweils m.w.N.).
b) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht einen Diagnosefehler des Beklagten zu 3 nicht schon deshalb bejahen, weil seine Diagnose einer Prellung – wie zwischen den Parteien unstreitig ist – objektiv unrichtig war. Feststellungen dazu, daß der tatsächlich vorliegende Bruch des Wirbelkörpers nach den erhobenen Befunden (etwa den Röntgenaufnahmen) für die behandelnden Ärzte erkennbar war, fehlen ebenso wie Feststellungen dazu, daß die Befunderhebung in der Klinik der Beklagten unzulänglich war. Die Revision weist mit Recht darauf hin, daß die Beklagte den unter Sachverständigenbeweis gestellten Vortrag des Klägers über einen Behandlungsfehler bestritten und ihrerseits unter Beweis gestellt hatte, die Diagnose einer Prellung sei eine in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der damals erhobenen Befunde gewesen; auch die Röntgenaufnahmen hätten keinen Hinweis auf eine frische knöcherne Verletzung der Wirbelsäule ergeben. Dieser Vortrag war nach den oben zu a) dargelegten Grundsätzen erheblich. Die Beklagte hatte damit ausreichend bestritten, daß die unstreitig objektiv unrichtige Diagnose behandlungsfehlerhaft war.
Diesem Vortrag hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen. Insbesondere hat das Berufungsgericht trotz des entscheidungserheblichen Vortrags der Beklagten keinen sachverständigen Rat dazu eingeholt, warum die Diagnose nicht nur objektiv falsch, sondern behandlungsfehlerhaft gewesen sein soll. 4. Die Revision beanstandet ferner mit Erfolg, daß das Berufungsgericht erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten außer acht gelassen hat, mit dem diese eine Kausalität des objektiven Diagnoseirrtums bestritten und auf den sie in der Berufungserwiderung in zulässiger Weise Bezug genommen hat. Grundsätzlich muß der Patient die Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers und dessen Ursächlichkeit für den geklagten Gesundheitsschaden darlegen und beweisen. Dies gilt sowohl für den Vorwurf eines Diagnosefehlers als auch für den eines Fehlers in der Befunderhebung. Gelingt dem Patienten zwar der Beweis eines Behandlungsfehlers in der Form eines Diagnosefehlers oder eines Fehlers in der Befunderhebung, nicht aber der Nachweis der Ursächlichkeit dieses Fehlers für den geltend gemachten Gesundheitsschaden, kommen ihm Beweiserleichterungen nur dann zu Hilfe, wenn der objektive Fehler der Behandlungsseite entweder als grob zu werten ist (fundamentaler Diagnosefehler - vgl. Senatsurteile BGHZ 132, 47 ff. und vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 – aaO), ein grober Fehler in der Befunderhebung vorliegt (vgl. Senatsurteile BGHZ 138, 1, 5 ff. und vom 6. Juli 1999 - VI ZR 290/98 - VersR 1999, 1282, 1284) oder wenn die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr wegen eines (lediglich einfachen) Fehlers bei der Befunderhebung oder der Befundsicherung gegeben sind (vgl. dazu Senatsurteile BGHZ 132, 47, 52 ff.; vom 3. November 1998 - VI ZR 253/97 - VersR 1999, 231, 232 und vom 6. Juli 1999 - VI ZR 290/98 – aaO 1283).
Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen dazu, daß sich die Verzögerung der richtigen Diagnosestellung und die dadurch verzögerte Behandlung nachteilig auf die Gesundheit des Klägers ausgewirkt haben oder daß die Voraussetzungen für eine Umkehr der Beweislast zugunsten des Klägers vorgelegen haben. Das war jedoch nicht selbstverständlich und hätte näherer Ausführungen bedurft, die im übrigen dem Berufungsgericht ohne sachverständige Beratung nur bei Darlegung eigener Sachkunde möglich gewesen wären.

III.

Nach allem war das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es zum Nachteil der Beklagten ergangen ist, und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 2, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird. Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwendung.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.

(2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher für den Geschäftsherrn die Besorgung eines der im Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Geschäfte durch Vertrag übernimmt.

(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.

8
Mit Recht rügt die Rechtsbeschwerde aber, dass das Berufungsgericht sich aus Rechtsgründen gehindert sieht, die vom Kläger im Berufungsverfahren vorgetragenen Schäden bei der Bewertung des Feststellungsantrags zu berücksichtigen. Rechtsfehlerhaft führt das Berufungsgericht aus, Schadenspositionen , die in erster Instanz nicht "im Raum gestanden" hätten bzw. nicht "in Ansatz gebracht" worden seien, mit denen der Kläger nicht einmal gerechnet habe, könnten bei der Wertfestsetzung nicht berücksichtigt werden. Das ist unrichtig. Ein Feststellungsantrag erfasst den gesamten dem Kläger entstandenen Schaden, auch solche Positionen, die aus welchem Grund auch immer, nicht mit der Leistungsklage geltend gemacht und auch nicht zur Begründung des Feststellungsantrags konkretisiert werden. Trägt der Kläger nach Abschluss der ersten Instanz im Berufungsverfahren vor, dass Schäden in weiterem Umfang entstanden seien, als sie in erster Instanz vorgetragen wurden, darf dieser Vortrag bei der Wertfestsetzung durch das Berufungsgericht nach § 3 ZPO nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil ein entsprechend konkreter Vortrag zum Schadensumfang in erster Instanz fehlte. Der Wert der Beschwer ist nach dem Umfang des gesamten Schadens zu bemessen, wie er sich dem Berufungsgericht aufgrund des Klägervortrags darstellt.
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Ein Feststellungsantrag erfasst den gesamten dem Kläger entstandenen Schaden, auch solche Positionen, die - aus welchem Grund auch immer - nicht mit der Leistungsklage geltend gemacht und auch nicht zur Begründung des Feststellungsantrags konkretisiert werden. Selbst wenn der Kläger nach Ab- schluss der ersten Instanz erst im Berufungsverfahren vorträgt, dass Schäden in weiterem Umfang entstanden seien bzw. entstehen könnten, als sie in erster Instanz vorgetragen wurden, darf dieser Vortrag bei der Wertfestsetzung durch das Berufungsgericht nach § 3 ZPO nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil ein entsprechender Vortrag in erster Instanz oder bis zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung nicht erfolgte. Der Wert der Beschwer ist vielmehr nach dem Umfang des gesamten Schadens zu bemessen, wie er sich dem Berufungsgericht aufgrund des Klägervortrags darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Oktober 2010 - VI ZB 74/08, VersR 2011, 646 Rn. 8). Anderes folgt auch nicht aus § 4 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO, wonach für die Wertberechnung der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels entscheidend ist. Hierdurch wird nur der für die Wertverhältnisse maßgebliche Zeitpunkt geregelt. Neue Tatsachen zur Wertbestimmung können indes in der Berufungsinstanz vorgetragen werden (vgl. MüKoZPO /Wöstmann, 4. Aufl., § 4 Rn. 9; MüKoZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., § 511 Rn. 55 f.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 4 Rn. 9). Bei der Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht daher ergänzenden Vortrag der Parteien zu diesem Wert in Erwägung zu ziehen. Hat das Erstgericht die auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall gerichtete Klage - wie hier auch - hinsichtlich eines Feststellungsantrags abgewiesen, kann der Wert des Beschwerdegegenstandes auch durch ausreichend konkret dargelegte Schadenspositionen bestimmt sein, die erstinstanzlich nicht in Ansatz gebracht wurden oder im Raum standen, sofern im Fall einer Verurteilung die Haftung der Beklagten auch für diese Positionen festgestellt würde (Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2010 - VI ZB 74/08, aaO).

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.