Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2016 - VI ZR 678/15
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner, die Richterinnen von Pentz und Dr. Oehler und den Richter Dr. Klein
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand
- 1
- Die Klägerin nimmt die Beklagte für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf Unterlassung einer Internet-Bildberichterstattung in Anspruch.
- 2
- Die Klägerin ist die Ehefrau des ehemaligen Rennfahrers Michael Schumacher. Sie ist deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Schweiz. Die Beklagte ist eine schweizerische Rundfunkanstalt. Die von der Beklagten auf ihrer Internetseite www.srf.ch zum Abruf bereitgehaltenen, von der Klägerin unter Berufung auf ihr Recht am eigenen Bild angegriffenen Bildnisse und das Video zeigen - im Rahmen der Berichterstattung der Beklagten über die Folgen des Skiunfalles von Michael Schumacher und den Umgang der Medien mit diesem Thema - die Klägerin beim Besuch ihres Ehemannes im Krankenhaus.
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- Das Landgericht Köln hat seine internationale Zuständigkeit angenommen und die Klage mit Zwischenurteil für zulässig erklärt. Die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klagabweisung wegen Unzulässigkeit weiter.
Entscheidungsgründe
I.
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- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (Lugano-Übereinkommen, im Folgenden: LugÜ II) ergebe. Es bestehe der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 iVm Art. 3 Abs. 1 LugÜ II. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteile vom 7. März 1995 - C-68/93, Slg. 1995, I-415 = NJW 1995, 1881 - Shevill; und vom 25. Oktober 2011 - C-509/09 u.a., Slg. 2011, I-10269 = GRUR 2012, 300 - eDate Advertising) habe der Geschädigte eines sog. "Streudelikts", wie es eine unerlaubte Veröffentlichung im Internet sei, die Möglichkeit einer national begrenzten Teilschadensklage. Der Geschädigte könne anstelle einer Haftungsklage auf Ersatz des Gesamtschadens am Niederlassungsort des Urhebers oder am Ort des Mittelpunkts seiner Interessen auch Klage vor den Gerichten eines jeden Mitgliedstaates erheben, in dessen Hoheitsgebiet der im Internet veröffentlichte Inhalt zugänglich gewesen oder noch zugänglich sei. Die Gerichte der Mitgliedstaaten seien dann nur zur Ent- scheidung über denjenigen Schaden befugt, der im Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaates entstanden sei ("Teilerfolgsortzuständigkeit"). Da die Klägerin ihr Unterlassungsbegehren ausdrücklich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland begrenzt habe, fänden diese Grundsätze Anwendung. Die Beklagte könne den Zugriff auf bereitgehaltene Inhalte durch den Einsatz von sog. Geoblockern in ihr zumutbarer Weise auf bestimmte nationale Bereiche beschränken.
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- Des Weiteren könne sich die Beklagte auch als schweizerische Rundfunkanstalt und unter Berücksichtigung des von ihr in Anspruch genommenen staatlichen Rundfunkauftrags nicht auf den Grundsatz der Staatenimmunität berufen. Die von der Klägerin angegriffene Bildberichterstattung betreffe kein hoheitliches Handeln (acta iure imperii). Nach zugrunde zu legendem deutschem Recht handele es sich bei Klagen von Bürgern gegen Medienanstalten, die die Zulässigkeit einer Rundfunk- oder Fernsehsendung unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsrechts, also den Widerstreit von Persönlichkeitsrecht und Rundfunk-/Informationsfreiheit zum Gegenstand haben, um privatrechtliche Auseinandersetzungen.
II.
- 6
- Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Zutreffend hat das Berufungsgericht das Bestehen deutscher Gerichtsbarkeit und die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den von der Klägerin nur betreffend das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland geltend gemachten Unterlassungsanspruch bejaht. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf das Verfahrenshindernis der Staatenimmunität berufen. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus Art. 5 Nr. 3 LugÜ II.
- 7
- 1. Die deutsche Gerichtsbarkeit ist eröffnet. Der Klage steht der von Amts wegen zu prüfende (BVerfGE 46, 342, 359) Grundsatz der Staatenimmunität nicht entgegen (§ 20 Abs. 2 GVG, Art. 25 GG).
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- a) Die Frage der Staatenimmunität bestimmt sich vorliegend nach dem Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16. Mai 1972 (im Folgenden: Übereinkommen), das seit dem 7. Oktober 1982 in der Schweiz und seit dem 16. August 1990 in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft ist (BGBl. 1990 II S. 1400 und 1402). Nach Art. 27 Abs. 1 dieses EuroparatsÜbereinkommens ist die Beklagte als vom Vertragsstaat Schweiz zu unterscheidender Rechtsträger, der die Fähigkeit hat, vor Gericht aufzutreten, für die Zwecke des Übereinkommens grundsätzlich nicht mit dem Vertragsstaat in eins zu setzen, selbst wenn sie mit öffentlichen Aufgaben betraut ist. Nach Art. 27 Abs. 2 des Übereinkommens kann die Beklagte vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaates wie eine Privatperson in Anspruch genommen werden, soweit nicht über in Ausübung der Hoheitsgewalt vorgenommene Handlungen (acta iure imperii) des Rechtsträgers zu entscheiden ist.
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- b) Die Voraussetzungen für eine solche funktionale, sachbezogene TeilImmunität (ratione materiae) der Beklagten liegen nicht vor.
- 10
- aa) Die Abgrenzung zwischen hoheitlichem und nicht-hoheitlichem Handeln richtet sich bei der von der Immunität seines Staates abgeleiteten TeilImmunität eines nichtstaatlichen Rechtsträgers gemäß Art. 27 Abs. 2, 2. Halbsatz des Übereinkommens nicht anders als bei der originären Staatenimmunität nicht nach Motiv oder Zweck der Tätigkeit. Sie kann auch nicht danach vorgenommen werden, ob die Betätigung in erkennbarem Zusammenhang mit ho- heitlichen Aufgaben des Staates steht. Dies folgt daraus, dass die Tätigkeit eines Staates, wenn auch nicht insgesamt, so doch zum weitaus größten Teil hoheitlichen Zwecken und Aufgaben dient und mit ihnen in einem erkennbaren Zusammenhang steht. Maßgebend für die Unterscheidung ist die Natur der staatlichen Handlung oder des entstandenen Rechtsverhältnisses. Es kommt darauf an, ob der ausländische Staat - oder der von diesem beauftragte Rechtsträger - in Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsgewalt und damit öffentlichrechtlich oder wie eine Privatperson und damit privatrechtlich tätig geworden ist (BVerfGE 16, 27, 61 f.; Senatsurteile vom 26. September 1978 - VI ZR 267/76, NJW 1979, 1101; vom 8. März 2016 - VI ZR 516/14, NJW 2016, 1659 Rn. 14; BAGE 144, 244 Rn. 14 f.), ob also ein für die öffentliche Gewalt kennzeichnender Akt vorliegt oder ein Rechtsverhältnis, wie es in gleicher oder ähnlicher Form auch zwischen Privaten eingegangen werden könnte (BGE 104 Ia 367, 374).
- 11
- bb) Mangels völkerrechtlicher Unterscheidungsmerkmale ist die Abgrenzung grundsätzlich nach der nationalen Rechtsordnung des Gerichtsstaates (lex fori) vorzunehmen (BVerfGE 16, 27, 62; BVerfG, NJW 2014, 1723 Rn. 21; Senatsurteil vom 8. März 2016 - VI ZR 516/14, NJW 2016, 1659 Rn. 15; BGH, Urteil vom 24. März 2016 - VII ZR 150/15, MDR 2016, 903 Rn. 19; Kren Kostkiewicz , Staatenimmunität im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren nach schweizerischem Recht, 1998, S. 319 ff.). Die Heranziehung nationaler Regelungen zur Unterscheidung hoheitlichen Handelns von nicht-hoheitlichem Handeln findet erst dort ihre Grenze, wo der unter den Staaten allgemein anerkannte Bereich hoheitlicher Tätigkeit berührt ist. Das betrifft etwa die Betätigung der auswärtigen und militärischen Gewalt, die Gesetzgebung, die Ausübung der Polizeigewalt und die Rechtspflege. Insoweit kann es ausnahmsweise geboten sein, nach nationalem Recht als privatrechtlich einzuordnende Tätigkeiten eines ausländischen Staates gleichwohl als der Staatenimmunität unterfallende acta iure imperii zu qualifizieren, wenn diese zum Kernbereich völkerrechtlich anerkannter Staatsgewalt zu rechnen sind (vgl. BVerfGE 16, 27, 63 f.; BVerfGE 46, 342, 394; BVerfG, NJW 2014, 1723 Rn. 21).
- 12
- Die allgemein für den Grundsatz der Staatenimmunität geltende Regel, hoheitliches und nicht hoheitliches Handeln nach der Rechtsordnung des Gerichtsstaates abzugrenzen, wird auch durch das Übereinkommen selbst nicht in Frage gestellt (Denkschrift zu dem Übereinkommen, BT-Drs. 11/4307, S. 30; Kronke, IPRax 1991, 141, 142, 147). Art. 27 Abs. 2 des Übereinkommens bietet keine Grundlage für eine autonome Auslegung, sondern weist die Entscheidung über die Eröffnung der Gerichtsbarkeit des Gerichtsstaates originär dem angerufenen nationalen Gericht des Gerichtsstaates zu (Art. 20 des Übereinkommens , vgl. hierzu Denkschrift, aaO, S. 35). Eine Vorlage an den Internationalen Gerichtshof durch einen der Vertragsstaaten ist bis zum rechtskräftigen Abschluss des nationalen gerichtlichen Verfahrens (Art. 34 Abs. 2 Buchst. a) des Übereinkommens) ausgeschlossen. Eine prozedurale Sicherung der Hoheitsrechte des beklagten Vertragsstaates vor einer zu weitgehenden Anwendung der lex fori durch die nationalen Gerichte des Gerichtsstaates liegt - neben der nachträglichen Anrufung des Internationalen Gerichtshofs - in der Eröffnung eines nachgeordneten Feststellungsverfahrens vor dem hierfür zuständigen nationalen Gericht des verurteilten Staates (Art. 21 des Übereinkommens) oder - nach dem von der Schweiz, nicht aber von Deutschland ratifizierten Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität - wahlweise (Art. 1 Abs. 1 Zusatzprotokoll) in der Möglichkeit, das beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingerichtete Europäische Gericht für Staatenimmunität anzurufen. Materiell sind die Vertragsstaaten durch den - der Be- urteilung nach dem Recht des Gerichtsstaates entzogenen - Kernbereich völkerrechtlich anerkannter Staatsgewalt geschützt (BVerfG, aaO).
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- cc) Nach diesen Grundsätzen steht der Klage der Grundsatz der Staatenimmunität nicht entgegen. Der völkerrechtlich anerkannte Kernbereich der hoheitlichen Tätigkeit eines Staates ist ersichtlich nicht berührt. Das Unterlassungsbegehren der Klägerin als einer durch eine Bildberichterstattung in ihrem Persönlichkeitsrecht betroffenen Bürgerin richtet sich gegen eine Handlung der Beklagten, die nach maßgeblichem deutschen Recht im Rahmen des Verhältnisses von Bürger und Rundfunkanstalt als privatrechtlich zu qualifizieren ist (vgl. Senatsurteil vom 6. April 1976 - VI ZR 246/74, BGHZ 66, 182, 185 f. mwN; so auch BVerwG, NJW 1994, 2500). Dies gilt unabhängig davon, ob die beklagte Sendeanstalt als Anstalt des öffentlichen Rechts errichtet und zu hoheitlichen Akten ermächtigt ist, sie bei ihrer Nachrichtengebung im weitesten Sinne also öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Zumindest jene der Sache nach ausgrenzbaren Beziehungen, bei denen es um die Abwägung der Interessen der Sendeanstalten an freier Programmgestaltung gegenüber dem Schutz der Individualsphäre geht, sind auf der (horizontalen) Ebene privatrechtlichen Miteinanders geordnet (Senat, aaO; vgl. BVerfGE 7, 99, 104; 12, 205, 244). Nach diesen Grundsätzen wird eine Rundfunkanstalt insoweit nicht in Ausübung der Hoheitsgewalt des sie beauftragenden Staates tätig (vgl. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Rn. 626b). Nichts anderes gilt für die Beklagte, die nach dem mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts für das Revisionsverfahren zu unterstellenden Vortrag der Revision von der Schweiz mit einem öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrag beliehen ist und die die angegriffene Berichterstattung zum Abruf durch den Nutzer auf ihrer Internetseite vorhält.
- 14
- Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass die Inanspruchnahme der Beklagten durch Privatpersonen wegen behaupteter Verletzung privater Interessen durch die Ausstrahlung einer Rundfunksendung auch nach innerstaatlichem schweizerischem Recht dem Zivilrecht und damit der nichthoheitlichen Ebene zugewiesen wird (BGE 109 II 353; 117 II 1; 119 Ib 166, 169).
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- 2. Zutreffend geht das Berufungsgericht zudem davon aus, dass eine - auch nach § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz zu prüfende - internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ II besteht.
- 16
- a) Für die Auslegung der Vorschriften des LugÜ II gelten im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie für die Auslegung des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ ) und der dieses in Gemeinschaftsrecht überführenden Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO aF) und des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (LugÜ I), da sich die Unterzeichnerstaaten zu einer möglichst einheitlichen Auslegung der Bestimmungen verpflichtet haben (vgl. Art. 1 Protokoll 2 nach Art. 75 LugÜ II; vgl. zum LugÜ I: Senatsurteil vom 5. Oktober 2010 - VI ZR 155/09, BGHZ 187, 156 Rn. 10; zum LugÜ II: Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, WM 2012, 852 Rn. 17). Dabei ist zu beachten, dass die in den Übereinkommen verwendeten Begriffe grundsätzlich autonom, d.h. ohne Rückgriff auf die lex fori oder lex causae (Recht des in Anspruch genommenen Staates) auszulegen sind. In erster Linie sind Systematik und Zielsetzung des Übereinkommens zu berücksichtigen, um die einheitliche Anwendung des Übereinkommens in allen Vertragsstaaten zu gewährleisten (Senatsurteile vom 27. Mai 2008 - VI ZR 69/07, BGHZ 176, 342 Rn. 11; vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, WM 2012, 852 Rn. 17; vom 8. Mai 2012 - VI ZR 217/08, AfP 2012, 372 Rn. 13; zum EuGVÜ: EUGH, Urteile vom 11. Juli 2002 - C-96/00, Slg. 2002, I-6367 = NJW 2002, 2697 Rn. 37; vom 20. Januar 2005 - C-27/02, Slg. 2005, I-481 = NJW 2005, 811 Rn. 33; zur EuGVVO aF: EuGH, Urteile vom 7. Dezember 2010 - C-585/08 u.a., Slg. 2010, I-12527 = NJW 2011, 505 Rn. 55; vom 25. Oktober 2011 - C-509/09 u.a., Slg. 2011, I-10269 = GRUR 2012, 300 Rn. 38 f.).
- 17
- b) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (künftig: Gerichtshof) sind die Begriffe "unerlaubte Handlung" und "Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist" in Art. 5 Nr. 3 LugÜ II / Art. 5 Nr. 3 EuGVVO aF / Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dahin auszulegen, dass in diesem Gerichtsstand alle Klagen zulässig sind, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag anknüpft (vgl. zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ: EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 - C-167/00, Slg. 2002 I- 8111 = NJW 2002, 3617 Rn. 36). Unter den Begriff der unerlaubten Handlung fallen auch Persönlichkeits- oder Ehrverletzungen (EuGH, Urteile vom 25. Oktober 2011 - C-509/09 u.a., Slg. 2011, I-10269 = GRUR 2012, 300 Rn. 42 ff. - eDate Advertising; vom 7. März 1995 - C-68/93, Slg. 1995, I-415 = NJW 1995, 1881 Rn. 23 ff. - Shevill). Erfasst werden neben Ansprüchen auf Geldersatz auch Unterlassungsansprüche. Auf den Eintritt eines Schadens kommt es nicht an. Ausweislich des Wortlauts des Art. 5 Nr. 3 LugÜ II fallen selbst vorbeugende (Unterlassungs-)Klagen in den Anwendungsbereich der Bestimmung.
- 18
- c) Die Frage, wie das Tatbestandsmerkmal "Ort, an dem das schädigende Ereignis einzutreten droht" bei (drohenden) Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Inhalte auf einer Internetseite auszulegen ist, hat der Senat für die Parallelvorschrift Art. 5 Nr. 3 EuGVVO aF dem Gerichtshof bereits zur Vor- abentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt (Senatsbeschluss vom 10. November 2009 - VI ZR 217/08, AfP 2010, 150). Der Gerichtshof hat die Vorlagefrage mit Urteil vom 25. Oktober 2011 (C-509/09 u.a., Slg. 2011, I-10269 = GRUR 2012, 300 Rn. 52 - eDate-Advertising) so beantwortet, dass "… Art. 5 Nr. 3 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass im Fall der Geltendmachung einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Inhalte, die auf einer Website veröffentlicht worden sind, die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, die Möglichkeit hat, entweder bei den Gerichten des Mitgliedstaats , in dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, eine Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben. Anstelle einer Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist."
- 19
- Diese nach der ausgeführten Regel der einheitlichen Auslegung auch auf Art. 5 Nr. 3 LugÜ II anzuwendenden Grundsätze gelten auch für Unterlassungsklagen (EuGH, aaO, Rn. 35; Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - VI ZR 217/08, AfP 2012, 372 Rn. 17; BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 - I ZR 131/12, NJW 2014, 2504 Rn. 21; Härting, Internetrecht, 5. Aufl., Rn. 2397, 2413; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Rn. 1515c ff.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl., Art. 7 EuGVVO nF Rn. 20; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., Art. 7 EuGVVO Rn. 30; Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., Art. 7 EuGVVO Rn. 93a; vgl. zuvor bereits EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 - C-167/00, Slg. 2002, I-8111 Rn. 48 f. = NJW 2002, 3617 Rn. 48 f.).
- 20
- Da die Klägerin ihren Unterlassungsanspruch ausdrücklich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt hat und ihrem Klagantrag keine weitergehende Kognitionsbefugnis der deutschen Gerichte unterlegt, ist nach der dritten Variante der oben wiedergegebenen Entscheidung des Gerichtshofs die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben.
- 21
- d) Keiner abschließenden Entscheidung bedarf im Rahmen des vorliegenden Zulässigkeitsstreits die Frage, ob die begehrte Unterlassung tatsächlich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt werden kann (zweifelnd etwa Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht , 2011, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 92 aE; Rechberger, MR 2013, 116, 118). Das Berufungsgericht hat dies unter Bezugnahme auf den Klagvortrag über die technische Möglichkeit des sog. "Geo-Blocking" angenommen. Bei diesem Verfahren kann der Zugriff auf einen im Internet zum Abruf bereitgestellten Inhalt anhand bestimmter technischer Merkmale der Geo-Lokalisation, u.a. der IP-Adresse des Endnutzers, der Datenübertragungswege und der Datenübertragungsgeschwindigkeiten , verweigert werden (vgl. OVG NordrheinWestfalen , Urteil vom 25. Februar 2014 - 13 A 351/12, juris Rn. 106; Hoeren, ZfWG 2008, 229 ff., 311 ff.; Federrath, ZUM 2015, 929).
- 22
- Ob dies tatsächlich so ist oder ob gegebenenfalls ein beim Geo-Blocking nicht zu vermeidender "Streuverlust" (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 28. April 2016 - I ZR 23/15, MDR 2016, 1100 Rn. 32 zum umgekehrten Fall des "GeoTargeting" aus lauterkeitsrechtlicher Sicht) der Beklagten die Befolgung der von der Klägerin begehrten, auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkten Teilunterlassung unmöglich machte, ohne die Beklagte unter Überschreitung der beschränkten Kognitionsbefugnis der deutschen Gerichtsbarkeit faktisch auf eine Löschung der angegriffenen Berichterstattung auf ihrer Internetseite insgesamt zu verpflichten, ist abschließend erst im Rahmen der Begründetheitsprüfung zu klären. Der dahingehende Vortrag der Revision entspricht dem materiell-rechtlichen Einwand der Unmöglichkeit der begehrten Unterlassung aus tatsächlichen Gründen (s. hierzu nur Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl., § 1004 Rn. 43). Bei der Frage der tatsächlichen Begrenzbarkeit der begehrten Unterlassungsverpflichtung auf deutsches Hoheitsgebiet handelt es sich damit um eine solche nach einer Tatsache, die gleichzeitig zuständigkeitsbegründend nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ II als auch notwendiges Tatbestandsmerkmal des geltend gemachten materiellen Unterlassungsanspruchs ist, weil die Bejahung des materiellen Anspruchs begrifflich diejenige der Zuständigkeit in sich schlösse (doppelrelevante Tatsache). Die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen bedürfen insoweit im Rahmen des Zuständigkeitsstreits keines Beweises , für die Zuständigkeitsfrage ist vielmehr die Richtigkeit des - schlüssigen - Klagvortrags zu unterstellen (BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 2015 - VII ZB 8/15, NJW 2016, 316 Rn. 25; vom 27. Oktober 2009 - VIII ZB 42/08, BGHZ 183, 49 Rn. 14 mwN).
- 23
- Das Landgericht wird jedoch im Rahmen der Sachprüfung - das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen unterstellt - auf den Einwand der Beklagten zu klären haben, ob dieser die Umsetzung einer auf deutsches Hoheitsgebiet beschränkten Unterlassungsverpflichtung tatsächlich möglich ist. Etwaigen tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer allgemeinen Unterlassungsverpflichtung wird unter Umständen mit einer Konkretisierung des Unterlassungsbegehrens Rechnung getragen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2003 - V ZR 98/03, NJW 2004, 1035, 1037).
- 24
- e) Entgegen der Auffassung der Revision hat der Senat keine Veranlassung , den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 bis 3 AEUV um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Die im Streitfall maßgebliche unionsrechtliche Frage war wie ausgeführt bereits Gegenstand der Entscheidung des Gerichtshofs vom 25. Oktober 2011 (C-509/09 u.a. - eDate Advertising ) und ist damit acte éclairé (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 13 - CILFIT).
Oehler Klein
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 10.06.2015 - 28 O 322/14 -
OLG Köln, Entscheidung vom 10.11.2015 - 15 U 121/15 -
Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2016 - VI ZR 678/15
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(1) Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich auch nicht auf Repräsentanten anderer Staaten und deren Begleitung, die sich auf amtliche Einladung der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten.
(2) Im übrigen erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit auch nicht auf andere als die in Absatz 1 und in den §§ 18 und 19 genannten Personen, soweit sie nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind.
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 234 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Ist die Wendung "Ort, an dem das schädigende Ereignis einzutreten droht" in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (nachfolgend: EuGVVO) bei (drohenden) Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Inhalte auf einer Internet-Website dahingehend auszulegen, dass der Betroffene eine Unterlassungsklage gegen den Betreiber der Website unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der Betreiber niedergelassen ist, auch bei den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben kann, in dem die Website abgerufen werden kann, oder setzt die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem der Betreiber der Website nicht niedergelassen ist, voraus , dass ein über die technisch mögliche Abrufbarkeit hinausgehender besonderer Bezug der angegriffenen Inhalte oder der Website zum Gerichtsstaat (Inlandsbezug) besteht? 3. Wenn ein solcher besonderer Inlandsbezug erforderlich ist: Nach welchen Kriterien bestimmt sich dieser Bezug? Kommt es darauf an, ob sich die angegriffene Website gemäß der Bestimmung des Betreibers zielgerichtet (auch) an die Internetnutzer im Gerichtsstaat richtet oder genügt es, dass die auf der Website abrufbaren Informationen objektiv einen Bezug zum Gerichtsstaat in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen - Interesse des Klägers an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts und Interesse des Betreibers an der Gestaltung seiner Website und an der Berichterstattung - nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Website, im Gerichtsstaat tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann? Kommt es für die Feststellung des besonderen Inlandsbezugs maßgeblich auf die Anzahl der Abrufe der beanstandeten Website vom Gerichtsstaat aus an? 4. Wenn es für die Bejahung der Zuständigkeit keines besonderen Inlandsbezugs bedarf oder wenn es für die Annahme eines solchen genügt, dass die beanstandeten Informationen objektiv einen Bezug zum Gerichtsstaat in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen im Gerichtsstaat nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Website, tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann, und die Annahme eines besonderen Inlandsbezugs nicht die Feststellung einer Mindestanzahl von Abrufen der beanstandeten Website vom Gerichtsstaat aus voraussetzt: Ist Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft , insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs , im Binnenmarkt (nachfolgend: e-commerceRichtlinie ) dahingehend auszulegen, dass diesen Bestimmungen ein kollisionsrechtlicher Charakter in dem Sinne beizumessen ist, dass sie auch für den Bereich des Zivilrechts unter Verdrängung der nationalen Kollisionsnormen die alleinige Anwendung des im Herkunftsland geltenden Rechts anordnen, oder http://www.rainbow.at/ - 6 - handelt es sich bei diesen Vorschriften um ein Korrektiv auf materiell-rechtlicher Ebene, durch das das sachlichrechtliche Ergebnis des nach den nationalen Kollisionsnormen für anwendbar erklärten Rechts inhaltlich modifiziert und auf die Anforderungen des Herkunftslandes reduziert wird? Für den Fall, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 e-commerceRichtlinie kollisionsrechtlichen Charakter hat: Ordnen die genannten Bestimmungen lediglich die alleinige Anwendung des im Herkunftsland geltenden Sachrechts oder auch die Anwendung der dort geltenden Kollisionsnormen an mit der Folge, dass ein renvoi des Rechts des Herkunftslands auf das Recht des Bestimmungslands möglich bleibt?
Gründe:
I.
- 1
- 1. Der in Deutschland wohnhafte Kläger wurde im Jahr 1993 zusammen mit seinem Bruder wegen Mordes an dem bekannten Schauspieler Walter Sedlmayr von einem deutschen Gericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Januar 2008 wurde er auf Bewährung entlassen. Die in der Republik Österreich niedergelassene Beklagte betreibt unter der Adresse www.rainbow.at ein Internetportal, das sich laut Impressum als "liberales und politisch unabhängiges Medium" an "Schwule, Bisexuelle und Transgender" richtet. In der Rubrik Info-News hielt sie bis zum 18. Juni 2007 auf den für Altmeldungen vorgesehenen Seiten eine auf den 23. August 1999 datierte Meldung zum Abruf bereit. Darin wurde unter Nennung des Namens des Klägers sowie seines Bruders mitgeteilt, die beiden hätten beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Beschwerde gegen ihre Verurteilung eingelegt. Neben einer kurzen Beschreibung der im Jahre 1990 begangenen Tat wird der von den Verurteilten beauftragte Anwalt mit den Worten zitiert, sie wollten beweisen, dass mehrere Hauptbelastungszeugen im Prozess nicht die Wahrheit gesagt hätten.
- 2
- Mit Anwaltsschreiben vom 5. Juni 2007 forderte der Kläger die Beklagte zur Unterlassung der Berichterstattung sowie zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. Die Beklagte antwortete auf dieses Schreiben nicht, entfernte aber die beanstandete Meldung am 18. Juni 2007 aus ihrem Internetauftritt.
- 3
- Mit der vorliegenden Klage verlangt der Kläger von der Beklagten, es zu unterlassen, über ihn im Zusammenhang mit der Tat unter voller Namensnennung zu berichten. Die Beklagte hat in erster Linie die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gerügt. Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
- 4
- 2. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die deutschen Gerichte seien zur Entscheidung des Rechtsstreits nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zuständig. Das schädigende Ereignis drohe in Deutschland einzutreten, da der Internetauftritt der Beklagten hier abgerufen werden könne. Im Internet frei abrufbare Äußerungen seien zur Kenntnisnahme durch jeden Internetnutzer bestimmt, jedenfalls aber für jeden Nutzer, der die Sprache, in der der Internetauftritt gehalten sei, verstehe. Deutschsprachige Meldungen, die zudem Vorgänge behandelten, die unter Beteiligung von deutschen Staatsangehörigen in Deutschland stattgefunden hätten, könnten nicht anders als auch für Internetnutzer in Deutschland bestimmt angesehen werden. Da es für die Anwendung von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ausreichend sei, dass die Rechtsverletzung drohe, komme es nicht darauf an, ob außer dem Prozessbevollmächtigten des Klägers auch andere Nutzer aus Deutschland die Meldung abgerufen hätten. Denn da diese über deutschsprachige Suchmaschinen auffindbar gewesen sei, hätte jedenfalls ihre Kenntnisnahme in Deutschland gedroht.
- 5
- Gemäß Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB sei deutsches Recht anwendbar. Der Internetauftritt der Beklagten sei bestimmungsgemäß auch in Deutschland abrufbar gewesen. Aus § 3 Abs. 2 TMG folge nichts anderes, da diese Norm so zu verstehen sei, dass auch danach prinzipiell das Recht des Staates anzuwenden sei, in dem der Internetauftritt abgerufen werden könne, und der Betreiber des Internetauftritts dadurch geschützt werde, dass er nicht hafte, wenn er nach dem Recht seines Staates, in dem er ansässig sei, von der Verantwortung frei sei. In der Verbreitung der beanstandeten Meldung liege eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers, die einen Unterlassungsanspruch aus den §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG begründe. Der Kläger habe sich zu der Zeit, zu der die Meldung noch abrufbar gewesen sei, kurz vor seiner Entlassung aus der Strafhaft unter Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung befunden. Das deswegen besonders schutzwürdige Interesse des Klägers, nicht weiter öffentlich mit der Tat konfrontiert zu werden, überwiege das Interesse an der weiteren Verbreitung der Meldung. Der Umstand, dass Meldungen im Internet häufig dauerhaft abrufbar gehalten würden und anhand ihres Datums als ältere Meldung erkennbar seien, rechtfertige keine andere Beurteilung.
- 6
- Aus dem Herkunftslandprinzip des § 3 Abs. 2 TMG folge nichts anderes, da das weitere Zugänglichhalten der Meldung unter Namensnennung auch nach österreichischem Recht unzulässig gewesen sei. Nach österreichischem Recht stehe dem Kläger ein Unterlassungsanspruch aus § 1330 Abs. 1 des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches in Verbindung mit § 7a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Österreichischen Mediengesetzes zu. Die große Bedeutung , die das österreichische Recht dem Schutz der Resozialisierung eines aus der Strafhaft entlassenen verurteilten Straftäters beimesse, komme in § 113 des Österreichischen Strafgesetzbuches zum Ausdruck.
II.
- 7
- Der Erfolg der Revision der Beklagten ist davon abhängig, ob die Vorinstanzen ihre gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO (ABl. L 12/01 S. 1 ff.) nach Maßgabe dieser Verordnung zu beurteilende internationale Zuständigkeit zur Entscheidung des Rechtsstreits zu Recht bejaht haben. Ob dies der Fall ist, hängt von der Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ab. Andere Gerichtsstände sind nicht gegeben. Die Beklagte hat ihren gemäß Artt. 2, 60 EuGVVO zuständigkeitsbegründenden Geschäftssitz in Österreich. In Deutschland besteht auch weder eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 EuGVVO noch ist eine Zuständigkeit nach Art. 23 f. EuGVVO vereinbart oder gilt als vereinbart. Mithin sind deutsche Gerichte für die erhobene Unterlassungsklage international nur dann zuständig, wenn die vom Kläger behauptete Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch die beanstandete Meldung auf der Website der Beklagten in Deutschland eingetreten ist bzw. einzutreten droht.
- 8
- 1. Gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht desjenigen Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (nachfolgend: Gerichtshof) legt den Begriff der "unerlaubten Handlung" und der "Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist" autonom und sehr weit aus. In diesem Gerichtsstand sind alle Klagen zulässig, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft (vgl. zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ: EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 - Rs. C-167/00, NJW 2002, 3617 Tz. 36 - Henkel - m.w.N.). Abzugrenzen ist die unerlaubte Handlung ebenso wie die ihr gleichgestellte Handlung von einem Vertrag, d.h. von einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung. Unter den Begriff der unerlaubten Handlung fallen daher auch Persönlichkeitsrechts- oder Ehrverletzungen (vgl. EuGH, Urteil vom 7. März 1995 - Rs. C 68/93 - NJW 1995, 1881, 1882 - Shevill; Schlussanträge des Generalanwalts M. Darmon vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-68/93, Rn. 9, 90 m.w.N.; Schlussanträge des Generalanwalts P. Léger vom 10. Januar 1995 in der Rechtssache C-68/93, Rn. 4; Pichler in Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Stand Oktober 2008, Kap. 25 Rn. 178; Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, S. 149; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen, S. 104, 111). Erfasst werden neben Ansprüchen auf Geldersatz auch Unterlassungsansprüche (EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 - Rs. C-167/00, aaO, Tz. 44 ff. - Henkel; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2005 - II ZR 329/03 - VersR 2006, 566; Gottwald in MünchKomm-ZPO, 3. Aufl., Art. 5 EuGVVO, Rn. 56; Roth, aaO, S. 146, 149; Kubis, aaO, S. 111 ff.). Auf den Eintritt eines Schadens kommt es nicht an. Ausweislich des Wortlauts des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO fallen auch vorbeugende Klagen in den Anwendungsbereich der Bestimmung (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2002 - Rs. C-167/00 - aaO, Tz. 50; BGH, Urteil vom 24. Oktober 2005 - II ZR 329/03 - aaO).
- 9
- 2. Der Gerichtshof hat noch nicht entschieden, welche Anknüpfungskriterien für die Bestimmung und Abgrenzung des Ortes, an dem das schädigende Ereignis einzutreten droht, maßgeblich sind, wenn die behauptete Schädigung durch auf einer Internet-Website eingestellte Inhalte eintritt oder einzutreten droht. Die richtige Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO in diesen Fällen ist auch nicht offenkundig (so auch Tribunal de grande instance de Paris, Vorabentscheidungsersuchen , eingereicht am 16. Juli 2009, Rs. C-278/09, ABl. C 220 vom 12. September 2009 in einem Verfahren auf Zahlung von Schadensersatz wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch Internet-Veröffentlichungen; vgl. auch Cour d´appel de Liège, Vorabentscheidungsersuchen, eingereicht am 29. Dezember 2008, Rs. C-584/08, ABl. C 55 vom 7. März 2009 in einem Verfahren auf Zahlung von Schadensersatz im Zusammenhang mit auf Internetseiten angebotenen Wetten).
- 10
- a) Unter der Geltung des Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler EWG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (nachfolgend : EuGVÜ, BGBl. 1972 II S. 774) hat der Gerichtshof zu einer Schadensersatzklage wegen ehrverletzender Äußerungen in einem Druckerzeugnis entschieden , dass der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, auch dort gelegen ist, wo die Veröffentlichung verbreitet worden ist und wo das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist (EuGH, Urteil vom 7. März 1995 - Rs. C-68/93 - aaO). Denn dort habe sich der Schadenserfolg verwirklicht (ebenda). Der Gerichtshof hatte in dieser Entscheidung keine Veranlassung, den Begriff des Verbreitens näher zu definieren.
- 11
- b) Zu der Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ im Wesentlichen gleichgelagerten, auch für die internationale Zuständigkeit maßgeblichen Bestimmung des § 32 ZPO hat der erkennende Senat entschieden, dass eine auf Äußerungen in einem Presseerzeugnis beruhende Persönlichkeitsrechtsverletzung u.a. an dem Ort begangen werde, an dem das Erzeugnis verbreitet werde (Senatsurteil vom 3. Mai 1977 - VI ZR 24/75 - NJW 1977, 1590). Von einem Verbreiten könne allerdings nur dann die Rede sein, wenn der Inhalt des Presseerzeugnisses dritten Personen bestimmungsgemäß und nicht bloß zufällig zur Kenntnis gebracht werde. Es könne nicht ausreichen, dass nur hier und da einmal durch Dritte ein oder mehrere Exemplare in ein Gebiet gelangten, das von der Betriebsorganisation des Verlegers oder Herausgebers nicht erfasst und in das das Druckerzeugnis nicht regelmäßig geliefert werde (ebenda).
- 12
- Die vom Senat zu § 32 ZPO entwickelte Beschränkung des Erfolgsortes auf bestimmungsgemäße Verbreitungsorte ist aufgrund der parallelen ratio beider Vorschriften in der deutschen Rechtsprechung auf Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ übertragen worden (vgl. OLG München NJW-RR 1994, 190).
- 13
- c) Die genannten Entscheidungen können auf Internet-Delikte allerdings nicht ohne weiteres übertragen werden. Internet-Inhalte werden regelmäßig nicht "verbreitet", sondern zum Abruf bereit gehalten (vgl. Pichler in Hoeren/ Sieber, aaO, Rn. 210; vgl. auch die Formulierung in § 7 Abs. 1 TMG: Informationen , die Diensteanbieter "zur Nutzung bereit halten"). Im Gegensatz zu Druckerzeugnissen lässt sich im Internet auch ein räumlich abgegrenztes Verbreitungsgebiet einer Website nur schwer bestimmen (vgl. Roth, aaO, S. 254 f.). Dementsprechend ist die Übertragbarkeit der vom Senat entwickelten Ein- schränkung auf Delikte im Internet ebenso umstritten wie im Falle der grundsätzlichen Bejahung eines Erfordernisses der bestimmungsgemäßen "Verbreitung" dessen Konkretisierung (vgl. zum Meinungsstand Roth, aaO, S. 232 ff.).
- 14
- aa) Ein Teil der deutschen Instanzgerichte und der deutschen Literatur hält im Hinblick auf den Charakter des World-Wide-Web eine bloße Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Inhalte im Gerichtsstaat ohne weiteres für zuständigkeitsbegründend mit der Folge, dass sich regelmäßig eine Zuständigkeit in jedem Mitgliedstaat ergibt (vgl. Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl. Rn. 831; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 67. Aufl. Art. 5 EuGVVO Rn. 23; Bachmann, IPrax 1998, 179, 184; Schack MMR 2000, 135, 138 f.; zum Kennzeichenrecht: OLG Karlsruhe, MMR 2002, 814, 815; OLG Hamburg, MMR 2002, 822, 823; OLG Hamburg, IPrax 2004, 125, 126; zum Namensrecht: OLG München, MMR 2002, 166, 167; zum Persönlichkeitsrecht: KG AfP 2006, 258, 259).
- 15
- bb) Andere nehmen einen Erfolgsort bei Internet-Delikten sowohl im Rahmen des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ/EuGVVO als auch des § 32 ZPO nur dort an, wo der Internetauftritt gemäß der zielgerichteten Bestimmung des Betreibers abrufbar ist (vgl. Pichler in Hoeren/Sieber, aaO, Rn. 207 ff. m.w.N.). So hält der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bei Wettbewerbsverletzungen nur dann für gegeben, wenn sich der beanstandete Internetauftritt bestimmungsgemäß im Inland auswirken soll bzw. sich bestimmungsgemäß auch an deutsche Internetnutzer richtet (vgl. BGHZ 167, 91, 98 f.). Diese Grundsätze haben verschiedene Instanzgerichte zur Vermeidung einer uferlosen Gerichtspflichtigkeit des Beklagten auf Urheberrechtsverletzungen (OLG Köln, GRUR-RR 2008, 71), Namensrechtsverletzungen (KG, NJW 1997, 3321), Kennzeichenverletzungen (LG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 979, 980), Eingriffe in den eingerichte- ten und ausgeübten Gewerbebetrieb (LG Krefeld, AfP 2008, 99, 100) und auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen (OLG Celle, OLGR 2003, 47; OLG Düsseldorf , AfP 2009, 159; AG Charlottenburg, MMR 2006, 254, 255) übertragen.
- 16
- cc) Das Tribunal de grande instance de Paris hält die Anzahl der Abrufe der rechtsverletzenden Inhalte vom Gerichtsstaat für ein maßgebliches Abgrenzungskriterium (vgl. Ordonnance du Juge de la Mise en Etat, rendue le 27 Avril 2009, 17. Ch. Presse-Civile, Nr. Rg. 08/15331 sowie Ordonnance du Juge de la Mise en Etat, rendue le 6 Juillet 2009, 17. Ch. Presse-Civile, Nr. Rg. 08/15331 = Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C-278/09).
- 17
- dd) Für Kennzeichenverletzungen neigt der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zu einer Begrenzung der Gerichtsstände auf diejenigen, in deren Zuständigkeitsbereich eine Interessenkollision tatsächlich eingetreten sein kann (BGH, Urteil vom 13. Oktober 2004 - I ZR 163/02 - NJW 2005, 1435, 1436; ähnlich Roth, aaO, S. 277; von Hinden, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet , S. 80 ff., 88). Ähnliche Erwägungen liegen der Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 2000 (BGHSt 46, 212) zugrunde. Danach tritt dann, wenn ein Ausländer von ihm verfasste Äußerungen , die den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, auf einem ausländischen Server in das Internet einstellt, der Internetnutzern in Deutschland zugänglich ist, ein zum Tatbestand gehörender Erfolg im Inland ein, wenn die Äußerung konkret zur Friedensstörung im Inland geeignet ist (ebenda).
- 18
- d) Der Senat neigt dazu, die internationale Zuständigkeit für Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Internet-Veröffentlichungen entsprechend der zuletzt genannten Auffassung zu bestimmen. Die Ansicht, die die bloße Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Inhalte für zuständigkeitsbegründend hält, widerspricht dem Sinn und Zweck des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die besonderen Zuständigkeitsregeln der Art. 5 und 6 EuGVVO eng auszulegen. Denn sie stellen Ausnahmen von dem Grundsatz dar, dass der Beklagte vor den Gerichten seines Wohnsitzstaats zu verklagen ist (EuGH, Urteil vom 27. September 1988 - Rs. 189/87 - Slg. 1988, 5565, Tz. 19 - Kalfelis; vom 10. Juni 2004 - Rs. C-168/02 - NJW 2004, 2441, 2442 - Kronhofer). Die besondere Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO beruht darauf, dass eine besonders enge Beziehung zwischen der Streitigkeit und anderen Gerichten als denen des Ortes des Beklagtenwohnsitzes besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser anderen Gerichte rechtfertigt (EuGH, Urteil vom 10. Juni 2004 - C-168/02 - aaO). Eine besondere Beziehung zu einem bestimmten Forum wird durch die bloße Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Inhalte allein jedoch nicht begründet. Denn die Abrufbarkeit einer Website ist infolge der technischen Rahmenbedingungen in jedem Staat gegeben. Ließe man die bloße Abrufbarkeit genügen, so käme es zu einer uferlosen Ausweitung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten, die den zuständigkeitsrechtlichen Leitprinzipien der Vermeidung beziehungsarmer Gerichtsstände , der Reduzierung konkurrierender Zuständigkeiten und der Vorhersehbarkeit und präventiven Steuerbarkeit der potentiellen Gerichtspflichtigkeit eklatant zuwiderliefe (vgl. Pichler in Hoeren/Sieber, aaO, Rn. 198).
- 19
- Um das zu vermeiden, ist nach Auffassung des Senats ein über die bloße Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Inhalte hinausgehender Inlandsbezug zu fordern. Ein derartiger Bezug kann jedenfalls bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen aber nicht voraussetzen, dass sich die beanstandete Website "gezielt" oder "bestimmungsgemäß" auch an deutsche Internetnutzer richten soll. Dieses Einschränkungskriterium, das bei marktbezogenen Delikten wie Wettbewerbsverletzungen seine Berechtigung hat, ist für die erforderliche Begrenzung der ansonsten bestehenden Vielzahl von Gerichtsständen bei Persönlichkeits- rechtsverletzungen nicht geeignet. Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung setzt keine Marktbeeinflussung voraus, sondern tritt unabhängig von den Intentionen des Verletzers mit der Kenntnisnahme des rechtsverletzenden Inhalts durch Dritte ein (vgl. Pichler in Hoeren/Sieber, aaO, Rn. 229, 251; von Hinden, aaO, S. 83).
- 20
- Der Senat misst auch der Anzahl der Abrufe der rechtsverletzenden Inhalte vom Gerichtsstaat aus jedenfalls bei Unterlassungsansprüchen keine über ein bloßes Indiz hinausgehende Bedeutung für die Bestimmung des erforderlichen Inlandsbezugs zu. Denn zum einen ist die Anzahl der erfolgten Abrufe nicht immer zuverlässig feststellbar; zum anderen ist sie dem insoweit darlegungs - und beweisbelasteten Kläger schon aus Datenschutzgründen nicht uneingeschränkt zugänglich (vgl. Roth, aaO, S. 232 ff.). Abgesehen davon ist der Unterlassungsanspruch in die Zukunft gerichtet und setzt keine bereits eingetretene Rechtsgutsverletzung voraus.
- 21
- Nach Auffassung des Senats ist es vielmehr entscheidend, ob die im Internet abrufbaren Informationen objektiv einen Bezug zum Inland in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen - Interesse des Klägers an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts bzw. Interesse der Beklagten an der Gestaltung ihres Internetauftritts und an einer Berichterstattung - nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Meldung, im Inland tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann.
- 22
- 3. Die Frage, wie Art. 5 Nr. 3 EuGVVO in der vorliegenden Fallkonstellation auszulegen ist, ist entscheidungserheblich. Von ihr hängt die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ab. Kann der Betroffene vor den Gerichten eines Mitgliedstaats, in dem der Betreiber der Website nicht niedergelassen ist, nur dann eine Unterlassungsklage wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Inhalte auf einer Internet-Website erheben, wenn sich der beanstandete Internetauftritt gemäß der Bestimmung des Betreibers zielgerichtet auch an die Internetnutzer im Gerichtsstaat richtet, wäre eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu verneinen. Denn nach den Intentionen des Betreibers der streitgegenständlichen Internetplattform ist diese allein auf Österreich ausgerichtet. Dies ergibt sich aus der gewählten Top-Level-Domain der Website "at" als so genanntem Country-Code für Österreich, insbesondere aber dem Umstand, dass ausschließlich Veranstaltungen und Adressen in Österreich mitgeteilt werden und der Betreiber auf der Website unter "Mediadaten" mitteilt, er könne die reichweitenstärkste Cross-Media-Kampagne für die "lesBiSchwule Community in Österreich" anbieten.
- 23
- Wenn es maßgeblich auf die Anzahl der Abrufe der rechtsverletzenden Inhalte von Deutschland aus ankommen sollte, wären die deutschen Gerichte ebenfalls nicht zuständig. Denn nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Vortrag der Beklagten ist die beanstandete Meldung lediglich einmal von Deutschland aus - und zwar vom Anwalt des Klägers - abgerufen worden.
- 24
- Dagegen wäre die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu bejahen, wenn zuständigkeitsbegründend bereits die bloße Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Inhalte im Gerichtsstaat oder ein objektiver Inlandsbezug in dem Sinne wäre, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen nach den Umständen des konkreten Falles, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Meldung, im Forumstaat tatsächlich eingetreten sein kann oder ein- treten kann. Nach den Umständen des Streitfalles lag eine Kenntnisnahme der beanstandeten Meldung in Deutschland erheblich näher als in den anderen Mitgliedstaaten. Die Meldung war auf deutsch abgefasst und hatte die Verurteilung des in Deutschland wohnhaften Klägers wegen Mordes an einem bekannten deutschen Schauspieler durch ein deutsches Gericht zum Gegenstand, wobei sowohl die Tat als auch das Gerichtsverfahren in Deutschland erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit erregt hatten. Durch die Kenntnisnahme von dieser Meldung in Deutschland kann die Resozialisierung des Klägers in Deutschland erschwert werden.
III.
- 25
- 1. Ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben, so hängt der Erfolg der Revision von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 und 2 e-commerce-Richtlinie ab. Die Auslegung dieser Bestimmungen ist maßgebend dafür, ob deutsches oder österreichisches Recht zur Anwendung berufen ist. Die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (nachfolgend: Rom II-Verordnung) ist im Streitfall nicht anwendbar , da gemäß deren Art. 1 Abs. 2 lit. g außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Persönlichkeitsrechte vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind.
- 26
- a) Artikel 3 Abs. 1 und 2 e-commerce-Richtlinie lauten wie folgt:
- 27
- (1) Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft , die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen.
- 28
- (2) Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken , die in den koordinierten Bereich fallen.
- 29
- Artikel 3 e-commerce-Richtlinie wurde durch Neufassung des § 4 TDG mit Wirkung ab 21. Dezember 2001 in nationales Recht umgesetzt. Mit Wirkung vom 1. März 2007 wurden die Bestimmungen des § 4 TDG und § 5 MDStV inhaltlich unverändert in § 3 TMG übernommen (vgl. BT-Drucks. 16/3078, S. 14). Der mit dem Begriff "Herkunftslandprinzip" überschriebene § 3 TMG regelt in seinem Absatz 1, dass in der Bundesrepublik Deutschland niedergelassene Diensteanbieter und ihre Telemedien den Anforderungen des deutschen Rechts auch dann unterliegen, wenn die Telemedien in einem anderen Staat innerhalb des Geltungsbereichs der e-commerce-Richtlinie geschäftsmäßig angeboten oder erbracht werden. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 TMG wird der freie Dienstleistungsverkehr von Telemedien, die in der Bundesrepublik Deutschland von Diensteanbietern geschäftsmäßig angeboten oder erbracht werden, die in einem anderen Staat innerhalb des Geltungsbereichs der e-commerce-Richtlinie niedergelassen sind, nicht eingeschränkt.
- 30
- b) Der Gesetzgeber wollte, was die Ausführungen in der Gesetzesbegründung belegen, eine richtlinienkonforme Regelung schaffen. Wegen der im parlamentarischen Verfahren aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten über die dogmatische Einordnung des in Art. 3 der e-commerce-Richtlinie angeordneten Herkunftslandprinzips hat er dessen Rechtsnatur und Reichweite bewusst offen gelassen und sich darauf beschränkt, Art. 1 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 und 2 e-commerce-Richtlinie weitestgehend wörtlich zu übernehmen. Er war der Auffassung, dass die schwierige Umsetzung des Herkunftslandprinzips am besten bewerkstelligt werden könne, indem man sich möglichst eng an dem Wortlaut der einschlägigen Richtlinienbestimmungen orientiere (BT-Drucks. 14/7345, S. 31; vgl. auch Nickels, Der Betrieb 2001, 1919, 1923; ders., CR 2002, 302, 304; Brunner in Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht , § 4 TDG Rn. 8 m.w.N.).
- 31
- c) Rechtsnatur und Reichweite des in Art. 3 Abs. 1 und 2 e-commerceRichtlinie bzw. § 3 Abs. 1 und 2 Satz 1 TMG angeordneten Herkunftslandprinzips sind in der deutschen Rechtsprechung und Literatur umstritten.
- 32
- aa) Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Frage in seinen Entscheidungen zu § 4 Abs. 2 Satz 1 TDG offen gelassen (vgl. BGHZ 167, 91, 101 f. - Arzneimittelwerbung im Internet; Urteil vom 5. Oktober 2006 - I ZR 229/03 - MMR 2007, 104, 105 - Pietra di Soln). Das Oberlandesgericht Hamburg hat § 4 Abs. 2 Satz 1 TDG - allerdings ohne dies zu begründen - als kollisionsrechtliche Norm aufgefasst und in der Sache ausschließlich niederländisches Recht angewendet (OLG Hamburg GRUR 2004, 880, 881). Das Kammergericht hat das in § 5 Abs. 2 und 5 MDStV enthaltene Herkunftslandprinzip kollisionsrechtlich qualifiziert und den ihm unterbreiteten Fall nach österreichischem Sachrecht entschieden (KG AfP 2006, 258, 259). Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Hamburg in der angefochtenen Entscheidung und im Urteil vom 24. Juli 2007 (ZUM 2008, 63) § 3 Abs. 2 TMG unter Hinweis auf die ausdrückliche Regelung in Art. 1 Abs. 4 der e-commerce-Richtlinie und die entsprechende Bestimmung in § 1 Abs. 5 TMG als rein sachrechtlich wirkende Rechtsanwendungsschranke angesehen, aufgrund derer das deutsche allgemeine Deliktsrecht lediglich in der Weise modifiziert wird, dass eine Haftung nach deutschem Recht ausgeschlossen ist, wenn nach dem Recht des Herkunftslandes keine Haftung bestände.
- 33
- bb) In der Literatur bietet sich ein uneinheitliches Bild.
- 34
- (1) Nach einer Auffassung stellt das in Art. 3 e-commerce-Richtlinie bzw. § 3 TMG verankerte Herkunftslandprinzip ein Korrektiv auf materiell-rechtlicher Ebene dar. Danach wird das sachlich-rechtliche Ergebnis des nach den Kollisionsregeln des Gerichtsstaats für anwendbar erklärten Rechts im konkreten Fall gegebenenfalls inhaltlich modifiziert und auf die weniger strengen Anforderungen des Herkunftslandrechts reduziert (vgl. Wagner, Einflüsse der Dienstleistungsfreiheit auf das nationale und internationale Arzthaftungsrecht, S. 188 ff. m.w.N.; Höder, Die kollisionsrechtliche Behandlung unteilbarer MultistateVerstöße , S. 187 ff., 200; Fezer/Koos, IPrax 2000, 349 ff.; Gounalakis/Rhode, Persönlichkeitsschutz im Internet, Rn. 28; Halfmeier, ZEuP 2001, 837, 841 ff.; ähnlich Martiny in MünchKomm-BGB, 4. Aufl., Art. 34 EGBGB Anh. III Rn. 36 f.). Nach dieser Deutung ließe das Herkunftslandprinzip die nationalen Kollisionsregeln des Forumstaates unberührt und käme - wie die Grundfreiheiten des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (nachfolgend: EGV) - erst im Rahmen eines konkreten Günstigkeitsvergleichs auf materiellrechtlicher Ebene zum Einsatz (vgl. Wagner, aaO, S. 188 m.w.N.).
- 35
- Die Vertreter dieser Auffassung berufen sich auf den klaren Wortlaut des Art. 1 Abs. 4 e-commerce-Richtlinie bzw. des § 1 Abs. 5 TMG sowie auf die in Erwägungsgrund 23 der Richtlinie erklärte Zielrichtung des Normgebers, das in den Mitgliedstaaten geltende Internationale Privatrecht nicht antasten zu wollen (vgl. Wagner, aaO, S. 189; Fezer/Koos, aaO, S. 352; Höder, aaO, S. 187 f.; Martiny in MünchKomm-BGB, aaO, Rn. 26). Art. 3 Abs. 2 e-commerceRichtlinie enthalte keine Verweisung auf das Herkunftsland, sondern nur das von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Grundfreiheiten als materiellrechtliches Korrektiv bekannte Diskriminierungsverbot (Höder, aaO, S. 192). Abgesehen davon ergebe sich angesichts der noch bestehenden Abweichun- gen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen die Gefahr, dass Diensteanbieter in die Mitgliedstaaten mit den geringsten rechtlichen Anforderungen abwanderten und es zu einem "Wettbewerb der Rechtsordnungen" komme (Wagner, aaO , S. 189 f.; Fezer/Koos, aaO, S. 354).
- 36
- (2) Nach anderer Auffassung sollte durch Art. 3 e-commerce-Richtlinie und § 3 TMG ein allgemeines kollisionsrechtliches Prinzip etabliert werden, das unter Verdrängung der nationalen kollisionsrechtlichen Regelungen zur alleinigen Anwendung des im Herkunftsland geltenden Rechts führt (vgl. Brunner in Manssen, aaO, Rn. 12; Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 84 f.; Naskret, Das Verhältnis zwischen Herkunftslandprinzip und Internationalem Privatrecht in der Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr, S. 114; Leible/Spickhoff, Die Bedeutung des IPR im Zeitalter der neuen Medien, S. 89, 117 ff. m.w.N. zum Streitstand; Fallenböck, Internet und Internationales Privatrecht, S. 188 ff., 202; Dethloff, JZ 2000, 179, 181; Mankowski, IPrax 2002, 257, 262; Lurger/Vallant, RIW 2002, 188, 196). Hierbei ist jedoch umstritten, ob es sich bei der Anknüpfung an das Herkunftsland des Anbieters um eine reine Sachnormverweisung oder eine Gesamtverweisung handelt, die einen renvoi auf das Sachrecht des Bestimmungsstaates zuließe (vgl. zum Meinungsstand die Darstellung bei Wagner, aaO, S. 186 f.).
- 37
- Die Vertreter der kollisionsrechtlichen Auffassung verweisen darauf, dass die Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip kollisionsrechtlicher Natur seien (Thünken, aaO, S. 72; Mankowski, aaO, S. 258; Fallenböck, aaO, S. 201). Dies gelte beispielsweise für die im Anhang zu Art. 3 e-commerce-Richtlinie aufgeführte Ausnahme der freien Rechtswahl (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 TMG) sowie für Art. 27 der Rom II-Verordnung in Verbindung mit deren Erwägungsgrund 35 Satz 4. Nach der zuletzt genannten Bestimmung lässt die Verordnung solche in Gemeinschaftsrechtsakten enthaltene Vorschriften unberührt, die für besondere Gegenstände Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten (vgl. Thünken, Das kollisionsrechtliche Herkunftslandprinzip, S. 72; Spickhoff in BeckOK, Stand: 1. Januar 2008, EGBGB Art. 42, Rn. 145; Palandt /Thorn, BGB, 68. Aufl., Art. 6 Rom II Rn. 3, 15 sowie Art. 27 Rom II Rn. 2; s. auch Hamburg Group for Private International Law, RabelsZ 67, 1, 45 f.). Diese eindeutig kollisionsrechtlichen Ausnahmen seien überflüssig, wenn nicht bereits das Prinzip kollisionsrechtlicher Natur wäre (vgl. Mankowski, aaO, S. 258 m.w.N.). Die Vertreter der kollisionsrechtlichen Auffassung berufen sich ferner auf Erwägungsgrund 22 Satz 4 der Richtlinie, wonach die Dienste der Informationsgesellschaft grundsätzlich dem Rechtssystem desjenigen Mitgliedstaats unterworfen werden sollen, in dem der Anbieter niedergelassen ist, sowie Erwägungsgrund 5 Satz 2, wonach die bestehende Rechtsunsicherheit hinsichtlich der auf die Dienste der Informationsgesellschaft jeweils anzuwendenden nationalen Regelungen beseitigt werden sollen (Thünken, aaO, S. 72; Naskret, aaO, S. 61). Nicht die in Art. 1 Abs. 4 e-commerce-Richtlinie bzw. § 1 Abs. 5 TMG enthaltene Absichtserklärung des Normgebers, sondern der tatsächliche Gehalt einer Norm sei für ihre rechtliche Einordnung maßgeblich. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 e-commerce-Richtlinie seien als Einheit zu sehen (vgl. Fallenböck, aaO, S. 200; Thünken, aaO, S. 78; Naskret, aaO, S. 54; Mankowski, aaO, S. 258). Aus ihrem Zusammenspiel ergebe sich, dass das Recht des Staates maßgeblich sein solle, in dem der Diensteanbieter seine Niederlassung habe (Fallenböck, aaO, S. 200). Schließlich machen sie geltend, dass Vorbild für das Herkunftslandprinzip in der e-commerce-Richtlinie das Herkunftslandprinzip in Art. 2 Fernsehrichtlinie sei; diese Bestimmung sei aber als Kollisionsnorm anerkannt (vgl. Mankowski, aaO, S. 259 m.w.N.).
- 38
- cc) Österreich, Frankreich und Luxemburg haben Artikel 3 der e-commerce-Richtlinie als kollisionsrechtliches Prinzip umgesetzt. Gemäß § 20 Abs. 1 des österreichischen e-commerce-Gesetzes richten sich im koordinierten Bereich die rechtlichen Anforderungen an einen in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter nach dem Recht dieses Staats. Der OGH sieht in dem Herkunftslandprinzip dementsprechend eine die allgemeine Bestimmung des § 48 Abs. 2 des österreichischen Gesetzes über das Internationale Privatrecht verdrängende Kollisionsnorm (vgl. OGH, Urteil vom 21. November 2006 - 4 Ob 62/06 f - MMR 2007, 360 - go-limited.de; so auch Zankl, e-commerceGesetz , § 20 Rn. 306, 314 f., 321; ders., Bürgerliches Recht, 4. Aufl., S. 180 f.).
- 39
- Der französische Gesetzgeber hat die Bestimmungen über das Herkunftslandprinzip in Art. 17 Loi pour la confiance dans l'économie numerique (LCEN) umgesetzt und dort normiert, dass jeder, der einen elektronischen Handel i.S.d. Art. 14 LCEN betreibt, im Hinblick auf diese Tätigkeit dem Recht … jenes Mitgliedstaats unterliegt, in dem er niedergelassen ist. Art. 17 LCEN lautet: L'activité définie à l'article 14 est soumise à la loi de l´Etat membre sur le territoire duquel la personne qui l'exerce est établie, sous reserve de la commune intention de cette personne et de celle à qui sont destinés les biens ou services.
- 40
- Artikel 2 Abs. 4 des luxemburgischen Loi relative au commerce électronique enthält eine vergleichbare Bestimmung. Sie lautet: La loi du lieu d' établissement du prestataire de services de la société de l'information s´applique aux prestataires et aux services qu' ils prestent, sans préjudice de la liberté des parties de choisir le droit applicable à leur contrat.
- 41
- d) Die Frage der Rechtsnatur und Reichweite des in Art. 3 e-commerceRichtlinie verankerten Herkunftslandprinzips ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht entschieden.
- 42
- 2. Die Frage, wie Art. 3 Abs. 1 und 2 e-commerce-Richtlinie und dementsprechend § 3 Abs. 1 und 2 Satz 1 TMG auszulegen sind, ist auch entscheidungserheblich. Sieht man das in diesen Bestimmungen verankerte Herkunftslandprinzip als sachlich-rechtliche Rechtsanwendungsschranke, so wäre deutsches Internationales Privatrecht anwendbar und gemäß Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB deutsches Sachrecht als Recht des Erfolgsortes berufen. Die angefochtene Entscheidung wäre dann auf die Revision der Beklagten aufzuheben und die Klage endgültig abzuweisen, da ein Unterlassungsanspruch des Klägers nach deutschem Recht zu verneinen wäre. Misst man dem Herkunftslandprinzip dagegen kollisionsrechtlichen Charakter bei, so wäre der Unterlassungsanspruch des Klägers nach österreichischem Recht zu beurteilen. Gemäß der Bestimmung des § 545 Abs. 1 ZPO in der hier maßgeblichen Fassung vom 5. Dezember 2005, die die Revisibilität ausländischen Rechts ausschließt, wären entweder die Feststellungen des Berufungsgerichts zugrunde zu legen, wonach nach österreichischem Recht ein Unterlassungsanspruch besteht, und die Revision der Beklagten zurückzuweisen oder das angefochtene Urteil wegen unzureichender Ermittlung des österreichischen Rechts aufzuheben und die Sache - mit offenem Ergebnis - an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Galke Diederichsen Pauge Stöhr von Pentz
LG Hamburg, Entscheidung vom 18.01.2008 - 324 O 548/07 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 29.07.2008 - 7 U 22/08 -
Tenor
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 6. Dezember 2011 ist insoweit wirkungslos.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 6. Dezember 2011 zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen die Untersagung der Veranstaltung von Glücksspielen im Internet.
3Die Klägerin bietet auf der Webseite www.xx.com Sportwetten an. Nach eigenen Angaben verfügt sie über eine entsprechende Lizenz der maltesischen Lotterie- und Glücksspielbehörde. Bei Aufruf der Internetseite aus Nordrhein-Westfalen erschien diese seit dem November 2010 in deutscher Sprache, wobei am rechten oberen Bildrand eine Sprachwahl zwischen Englisch und Deutsch ermöglicht wurde. Derzeit erscheint bei einem Aufruf der Webseite aus Nordrhein-Westfalen der Hinweis „aus rechtlichen Gründen ist diese Seite aus Nordrhein-Westfalen vorübergehend nicht zu erreichen“. Auf der Internetpräsenz zum Partnerprogramm der Klägerin unter www…partner.de, die mit der Webseite www.xx.com verlinkt ist, heißt es unter dem Menüpunkt „Unternehmen-Struktur“ auch heute noch: „In Deutschland bietet die ..Ltd. (zuvor ausgeschrieben mit XX Ltd.) ihr breitgefächertes Angebot an Sportwetten über ein Franchisepartner-Netzwerk bestehend aus mehr als 100 Filialen und über die Online-Wettplattform www.xx.com an“.
4Mit Ordnungsverfügung vom 23. November 2010 - zugestellt per Einschreiben mit Rückschein auf Malta - untersagte die Bezirksregierung E. der Klägerin nach erfolgter Anhörung, in Nordrhein-Westfalen, insbesondere mit den unter der Domain www.xx.com aufrufbaren Angeboten, im Internet öffentliches Glücksspiel i. S. d. § 3 GlüStV zu veranstalten (Ziffer 1). Nach Ziffer 2 der Untersagungsanordnung war die Anordnung zu Ziffer 1 innerhalb von vier Wochen nach Bekanntgabe des Bescheides zu erfüllen. Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte sie ein Zwangsgeld i. H. v. 50.000 Euro an. Für die Untersagungsverfügung wurde eine Verwaltungsgebühr i. H. v. 400 Euro erhoben. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Auf der genannten Internetseite würden öffentliche Glücksspiele in Form von Sportwetten angeboten und veranstaltet. Dieses Angebot sei unzulässig, weil 1. ein Glücksspiel ohne Erlaubnis der zuständigen Behörde in Nordrhein-Westfalen für Spieler in Nordrhein-Westfalen veranstaltet und 2. das Glücksspiel im Internet veranstaltet werde. Öffentliche Glücksspiele dürften nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden. Das Veranstalten ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) sei (im gesamten Bundesgebiet) verboten (§ 4 Abs. 1 Glücksspielstaatsvertrag). Insbesondere sei das Veranstalten öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten. Das Veranstalten von öffentlichen Glücksspielen ohne behördliche Erlaubnis stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Das zu sperrende Angebot verstoße sowohl gegen strafrechtliche Vorschriften (§ 284 StGB) als auch gegen die Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrages, wonach das Veranstalten ohne Erlaubnis verboten sei. In welcher Form und über welche Maßnahmen dem Verbot nachgekommen werde, bleibe der Klägerin überlassen. Entscheidend sei allein, dass vom Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen Spielangebote der Seite www.xx.com im Internet nicht mehr aufrufbar sein. Neben der vollständigen Entfernung der Seite aus dem Netz komme auch die Einrichtung eines Geolokalisationsprogramms oder die Festnetz- bzw. Handyortung in Betracht. Die Untersagung sei verhältnismäßig. Die Geeignetheit ergebe sich schon daraus, dass nach der Untersagung mit Einstellung der Veranstaltung von unerlaubtem Glücksspiel der Straftatbestand nicht mehr begangen und der Rechtsordnung auch in Bezug auf das Glücksspielrecht Geltung verschafft werde. Die Maßnahme sei auch erforderlich und angemessen. Denn es handele sich hierbei um ein bundesweit unzulässiges und strafrechtlich sanktioniertes Angebot „unerlaubtes Glücksspiel“, das der ordnungsrechtlichen Reaktion dringend zur Abwehr der damit einhergehenden Gefahren (Jugendschutz, Kriminalitätsvorbeugung, Spielerschutz, Einschränkung der Spiel- und damit Suchtanreize etc.) bedürfe. Die dem gegenüberstehenden wirtschaftlichen Interessen des Anbieters müssten vor dem Hintergrund dieser tragenden gewichtigen Ziele zurückstehen.
5Die Klägerin hat am 21. Dezember 2010 beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Für die Untersagung ihres nicht spezifisch auf Nordrhein-Westfalen ausgerichteten Internetauftritts sei der Beklagte nicht zuständig. Es gebe derzeit keine technischen Möglichkeiten, der Untersagungsanordnung nachzukommen. Schließlich stehe nach den Entscheidungen des EuGH vom 8. September 2010 die Unvereinbarkeit des Glücksspielstaatsvertrags mit Unionsrecht fest. Insbesondere werde die deutsche Glücksspielpolitik dem Erfordernis der Gesamtkohärenz nicht gerecht. Dies gelte namentlich in Bezug auf die Regelungen zu Pferdewetten, Automaten- und Casinospielen. Aber auch die gerade auf den Gewinn von Neukunden gerichtete Werbung der staatlichen Lotteriegesellschaften führe zur Inkohärenz und zur Unionrechtswidrigkeit der staatlichen Glücksspielpolitik.
6Einen Antrag der Klägerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 29. August 2011 (27 L 2267/10) abgelehnt.
7Die Klägerin hat beantragt,
8die Untersagungsanordnung der Bezirksregierung E. vom 23. November 2010 aufzuheben.
9Der Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Zur Begründung hat er auf den angefochtenen Bescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt: In Bezug auf seine Zuständigkeit sei zu berücksichtigen, dass nach § 3 Abs. 4 GlüStV ein Glücksspiel dort veranstaltet werde, wo dem Spieler die Möglichkeit zur Teilnahme eröffnet werde. Technische Unmöglichkeit in der Umsetzung der Anordnung liege nicht vor. Es sei geklärt, dass die Geolokalisation ein tauglicher und zielgenauer Ansatz zur Ermittlung des Standortes des Internetnutzers sei. Schließlich bestünden keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit und Unionsrechtmäßigkeit des Internetverbots sowie des Erlaubnisvorbehalts im GlüStV.
12Mit Urteil vom 6. Dezember 2011 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Soweit es der Klägerin überlassen werde, wie sie der Untersagungsanordnung nachkomme, sei dies ordnungsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit sie das auf Nordrhein-Westfalen bezogene Veranstaltungsverbot über den Weg des Ausschlusses von Internetnutzern mittels Geolokalisation wähle, werde von ihr nicht etwas tatsächlich oder rechtlich Unmögliches verlangt. Die Untersagungsverfügung sei nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Bezirksregierung E. in ihrer Begründung gegebenenfalls davon ausgegangen sei, dass die Veranstaltertätigkeit wegen der Rechtsgültigkeit des Glücksspielmonopols generell nicht erlaubt werden könne. Bei unterstellter Unionsrechtswidrigkeit der Monopolregelungen könnte eine Erlaubnis zwar nicht bereits unter Verweis auf diese abgelehnt werden. Dies ändere aber nichts daran, dass im Streitfall eine Erlaubnis aus den Gründen des generellen Verbots des § 4 Abs. 4 GlüStV nicht erteilt werden könne und demgemäß das nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV auszuübende Ermessen wegen der Strafbarkeit verbotenen Glücksspiels (§ 284 Abs. 1 StGB) regelmäßig zu Lasten des Glücksspielveranstalters auf Null reduziert sei. Das auf das Internet bezogene Veranstaltungs- und Vermittlungsverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV verstoße nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes und dessen Vorgaben im Hinblick auf die Bestimmtheit. Eine etwaige Unionsrechtswidrigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols erfasse das Internetverbot - wie auch die Verbote des § 5 Abs. 3 und 4 GlüStV - nicht. Insbesondere werde das Internetverbot dem vom EuGH entwickelten Kohärenzgebot gerecht. Auch der Erlaubnisvorbehalt in § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV, bei dessen Nichterfüllung das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele unerlaubtes Glücksspiel im Sinne der § 4 Abs. 2 Satz 2 und § 9 Abs. 1 GlüStV darstelle, sei sowohl verfassungsrechtlich unbedenklich als auch mit Unionsrecht vereinbar, da der Erlaubnisvorbehalt von diesem Monopol unabhängig bestehe.
13Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht habe die verfassungs- und europarechtlichen Aspekte rechtsfehlerhaft beurteilt. Dabei sei im Falle eines Dauerverwaltungsakts - wie hier - nunmehr auf den seit dem 1. Juli 2012 in Kraft getretenen Ersten Änderungsglücksspielstaatsvertrag abzustellen. Das darin enthaltene Verbot der Glücksspielveranstaltung im Internet sei mit Blick auf die liberalen Regelungen des am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen schleswig-holsteinischen Glücksspielgesetzes, das auf ein solches Verbot vollständig verzichte, mit dem aus dem Unionsrecht folgenden Kohärenzgebot unvereinbar. Mit dem Glücksspieländerungsstaatsvertrag bestehe eine völlig veränderte Gesetzeslage. Ein staatliches Sportwettenmonopol gebe es nicht mehr. Der Beklagte könne seine Ordnungsverfügung nicht mehr darauf stützen, dass sie eine Erlaubnis nicht innehabe. Sie - die Klägerin - habe sich um eine der 20 Konzessionen in Hessen beworben und die zweite Stufe des Vergabeverfahrens erreicht. Das Konzessionsverfahren leide an schweren Mängeln und verzögere sich wohl noch bis 2015. Auch deshalb könne der Beklagte an der Ordnungsverfügung nicht festhalten. Ein Nachschieben von Ermessenserwägungen sei nicht möglich, da die Verfügung auf ein vollständiges Internetverbot gestützt worden sei, welches in dieser Weise angesichts des nunmehr geltenden Konzessionsverfahrens heute nicht mehr bestehe. Jedenfalls erfülle der Vortrag des Beklagten nicht die Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht an ein zulässiges Nachschieben von Ermessenserwägungen stelle. Im Übrigen bestehe derzeit auch ein massives Vollzugsdefizit, weil keine andere Aufsichtsbehörde gegen Wettveranstalter im Internet und deren Werbung einschreite.
14In der Berufungsverhandlung haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für die Vergangenheit für in der Hauptsache erledigt erklärt.
15Die Klägerin beantragt nunmehr,
16das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 6. Dezember 2011 zu ändern und den Bescheid der Bezirksregierung E. vom 23. November 2010 mit Wirkung ex nunc aufzuheben.
17Der Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Sie hält an der angefochtene Untersagungsverfügung fest und führt ergänzend aus, die streitgegenständliche Verfügung sei nicht auf das damalige Monopol gestützt worden, sondern erstens auf die fehlende Erlaubnis und zweitens auf das Internetverbot. In Ergänzung der Ermessenserwägungen werde die Untersagungsverfügung nunmehr auch auf die neuen Vorschriften des GlüStV gestützt, und zwar auf den Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 GlüStV und das grundsätzliche Internetverbot nach § 4 Abs. 4 GlüStV. Es liege kein offensichtlicher Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis vor, da die Erlaubnis nach §§ 4, 4a GlüStV hohen und im Detail geregelten Voraussetzungen unterliege und zudem zahlenmäßig beschränkt sei. Der Überprüfung dieser Voraussetzungen diene das noch laufende Konzessionsverfahren in Hessen. Da schon die ursprüngliche Untersagung auf die mit unerlaubtem Glücksspiel einhergehenden Gefahren gestützt worden sei, sei hierin keine Auswechslung wesentlicher Ermessenserwägungen und damit keine rückwirkende Änderung der Verfügung zu sehen.
20Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
21E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
22Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für die Vergangenheit für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 92 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in entsprechender Anwendung) und das Urteil des Verwaltungsgerichts für wirkungslos zu erklären (§ 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO -).
23Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
24Die Anfechtungsklage ist zulässig (A.), jedoch nicht begründet (B.)
25Die angefochtene Verfügung des Beklagten vom 23. November 2010, mit der der Klägerin das Veranstalten öffentlicher Glücksspiele im Internet in Nordrhein-Westfalen untersagt worden ist, ist mit Wirkung ex nunc rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
26A. Die Anfechtungsklage ist zulässig.
27Sie ist insbesondere statthaft. Mit der Untersagungsverfügung des Beklagten vom 23. November 2010 liegt ein wirksamer und damit anfechtbarer Verwaltungsakt vor, der für die Gegenwart (und Zukunft) Regelungswirkung hat, was aus dem Charakter der Untersagung des Veranstaltens öffentlichen Glücksspiels im Internet als Dauerverwaltungsakt folgt.
28Die angefochtene Untersagungsverfügung der Bezirksregierung E. hat äußere Wirksamkeit durch ihre Zustellung an die Klägerin erlangt, vgl. §§ 43 Abs. 1, 41 Abs. 5 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW - VwVfG NRW -, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungszustellungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen - LZG NRW -. Die hier erfolgte - förmliche - Zustellung des Verwaltungsakts per Einschreiben mit Rückschein auf Malta - dem Sitz der Klägerin - ist wirksam und verstößt nicht gegen das Völkerrecht. Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 LZG NRW erfolgt eine Zustellung im Ausland durch Einschreiben mit Rückschein, soweit die Zustellung von Dokumenten unmittelbar durch die Post völkerrechtlich zulässig ist. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. Mai 2011 ist anzunehmen, dass Malta einer verwaltungsrechtlichen direkten Zustellpraxis nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 VwZG nicht widerspricht und die Zustellung eines Verwaltungsakts einer deutschen Behörde auf ihrem jeweiligen Staatsgebiet durch Einschreiben mit Rückschein duldet. Diese Einschätzung könnten die in anderen Verfahren vorgelegten Schreiben des maltesischen Botschafters in Berlin vom 7. Juli 2011 und des maltesischen Außenministeriums vom 13. Juli 2011 in Frage stellen. Allerdings hält das Auswärtige Amt in seiner weiteren Stellungnahme vom 20. Februar 2014, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, in Kenntnis dieser Schreiben daran fest, dass die Republik Malta die Zustellung eines Verwaltungsakts einer deutschen Behörde an eine Person auf ihrem Staatsgebiet durch Einschreiben mit Rückschein dulde, weil Malta das Europarechtsabkommen vom 24. November 1997 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland unterzeichnet, wenn auch noch nicht ratifiziert habe.
29Selbst wenn ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Nr. 1 LZG NRW vorliegt, ist er jedenfalls gemäß § 8 LZG NRW geheilt worden. Gemäß § 8 LZG NRW gilt ein Dokument, wenn sich die formgerechte Zustellung nicht nachweisen oder es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten nachweislich zugegangen ist. Zu der Möglichkeit einer Heilung hat der Senat im Beschluss vom 14. Juli 2011 - 13 B 696/11 - bereits ausgeführt:
30Die Heilungsregelung in § 8 LZG NRW ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch bei einer Zustellung im Ausland nach § 9 LZG NRW anwendbar. § 8 LZG NRW regelt allgemein die Heilung von Zustellungsmängeln, ohne die Heilungsmöglichkeit ausdrücklich auf die vorstehenden Zustellungsvorschriften in §§ 3 bis 7 LZG NRW zu beschränken. Vom Wortlaut der Norm wird die Zustellung im Ausland nach § 9 LZG NRW daher ohne weiteres erfasst. Dieses Verständnis wird durch § 2 Abs. 2 Satz 2 LZG NRW gestützt, nach dem es sich bei den Regelungen in den §§ 9 bis 11 LZG NRW um Sonderarten der Zustellung handelt.
31Dass das LZG NRW die Auslandszustellung in § 9 LZG NRW erst hinter der Heilungsvorschrift des § 8 LZG NRW regelt, rechtfertigt nicht den Schluss, dass eine Heilung von Zustellungsmängeln bei der Zustellung im Ausland ausgeschlossen ist. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzhofs ist anerkannt, dass Mängel der Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung nach § 15 VwZG des Bundes in der bis zum 1. Februar 2006 gültigen Fassung - heute § 10 VwZG des Bundes in der Neufassung vom 12. August 2005 (BGBl I S. 2354) - gemäß § 9 VwZG des Bundes a.F. - heute § 8 VwZG des Bundes - geheilt werden können.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 43.95 -, NVwZ 1999, 178 (180); BFH, Urteil vom 25. Oktober 1995 - I R 16/95 -, BFHE 179, 202 (206).
33Die systematische Stellung des § 15 VwZG des Bundes a.F. hinter der Heilungsvorschrift in § 9 VwZG des Bundes a.F. wird in den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzhofs nicht thematisiert. Angesichts dessen erscheint auch keine den Wortlaut des § 8 LZG NRW einschränkende Auslegung dahingehend geboten, dass dieser für die Sonderarten der Zustellung in §§ 9 bis 11 LZG NRW nicht gilt. Vielmehr ist bei summarischer Prüfung § 8 LZG NRW auf alle Zustellungsarten einschließlich der Sonderarten anwendbar.
34Vgl. ebenso Erlenkämper/Rhein, a.a.O., § 8 LZG NRW Rdnr. 1; ebenso für die Regelung in § 8 VwZG des Bundes: Sadler, a.a.O, § 8 VwZG Rdnr. 1.
35Soweit die Antragstellerin sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwendbarkeit der Heilungsregelung in § 189 ZPO - bzw. § 187 ZPO in der bis zum 31. Januar 2002 geltenden Fassung - auf Auslandszustellungen nach der ZPO bezieht, gibt diese für die Beurteilung des Anwendungsbereichs von § 8 LZG NRW nichts her. Denn die angeführten Entscheidungen betreffen entweder die (fehlende) Heilungsmöglichkeit von Zustellungsmängeln nach dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965,
36vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 1992 ‑ XII ZB 64/91 -, BGHZ 120, 305, und vom 29. April 1999 - IX ZR 263/97 -, BGHZ 141, 286,
37oder die Zustellung einer Klage an einen im Ausland ansässigen Beklagten,
38vgl. BGH, Urteile vom 24. Februar 1972 - II ZR 7/71 -, BGHZ 58, 177, und vom 24. September 1986 - VIII ZR 320/85 -, BGHZ 98, 263,
39und mithin spezifisch zivilprozessuale Fragestellungen, die im Anwendungsbereich des § 8 LZG NRW keine Rolle spielen. Im Übrigen wird auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Zivilgerichte und der Kommentierung zur ZPO ganz überwiegend angenommen, dass Mängel bei der Zustellung im internationalen Rechtsverkehr (§ 183 ZPO n.F. bzw. § 199 ZPO a.F.) vorbehaltlich vorrangigen Völkerrechts nach § 189 ZPO geheilt werden können.
40Vgl. OLG Hamm, Urteil vom 1. September 1999 - 5 UF 84/99 -, FamRZ 2000, 898; Häublein in: Münchener Kommentar ZPO, 3. Auflage, § 183 Rn. 17; Geimer in: Zöller, ZPO, 28. Auflage, § 183 Rn. 29 m. w. N.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Auflage, § 183 Rn. 10.
41Hieran hält der Senat auch in Ansehung des Berufungsvorbringens fest.
42Die Voraussetzungen des § 8 LZG NRW für die Heilung eines - hier unterstellten ‑ völkerrechtlichen Mangels der Zustellung der Untersagungsverfügung liegen vor. Für eine Heilung ist zunächst Voraussetzung, dass die Behörde den Willen hatte, eine Zustellung vorzunehmen. Ferner muss das Dokument dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen sein und der Zeitpunkt des Zugangs muss beweiskräftig feststehen.
43Vgl. Engelhardt/App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz, Verwaltungszustellungsgesetz, Kommentar, 9. Auflage 2011, § 8 Rn. 1, 2 und 4; Sadler, VwVG, VwZG, Kommentar, 8. Auflage 2011, § 8 Rn. 7 und 29.
44Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Dass die Bezirksregierung E. der Klägerin die Untersagungsverfügung zustellen wollte, ist angesichts des Umstandes, dass sie den Bescheid per Einschreiben mit Rückschein abgesandt hat, nicht zweifelhaft. Ausweislich des Vermerks auf dem Rückschein ist der Bescheid der Klägerin auch nachweislich am 7. Dezember 2010 ausgehändigt worden. Dass die Klägerin den Bescheid erhalten hat, wird von ihr im Übrigen auch nicht bestritten und durch die (fristgerechte) Klageerhebung am 21. Dezember 2010 belegt.
45Im Übrigen könnte sich die Klägerin auf einen Völkerrechtsverstoß, der in der Zustellung als Hoheitsakt auf fremdem Territorium begründet sein könnte,
46vgl. hierzu Engelhardt/App, a. a. O., § 1 VwZG Rn. 6,
47als Privatrechtssubjekt nicht berufen. Das Völkerrecht, zu dem auch die Pflicht zur Achtung der Gebietshoheit anderer Staaten gehört, beschränkt sich im Grundsatz auf das Verhältnis zwischen souveränen Staaten. Zwar sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts nach Art. 25 Abs. 2 GG Bestandteil des Bundesrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets. Jedoch kann letzteres nur angenommen werden, wenn die völkerrechtliche Vorschrift die Begründung subjektiver Rechte des Bürgers vorsieht. Dies ist bei dem Erfordernis der Zustimmung eines Staates, auf dessen Staatsgebiet Hoheitsakte vorgenommen werden sollen, nicht der Fall. Es handelt sich hierbei um eine ausschließlich staatsgerichtete, dem Schutz der Souveränität als solche dienende Norm. Daraus allein erwachsen einem Privatrechtssubjekt des betreffenden Staates aber nicht schon inhaltlich subjektive Rechte.
48Vgl. BVerfG, Urteil 22. März 1983 - 2 BvR 475/78 ‑, juris, Rn. 108; BVerfGE 63, 343.
49B. Die Anfechtungsklage ist jedoch nicht begründet.
50Die angefochtene Untersagungsverfügung des Beklagten vom 23. November 2010 ist rechtmäßig, soweit sie Wirkung ex nunc beansprucht.
51Die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung als Dauerverwaltungsakt beurteilt sich - soweit es um seine Regelungswirkung für die Gegenwart und Zukunft geht - nach der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Rechtslage. Rechtsgrundlage ist § 9 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GlüStV in der Fassung des Ersten Staatsvertrags zur Änderung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag - Erster GlüÄndSV, GlüStV n. F.) in der in Nordrhein-Westfalen seit dem 1. Dezember 2012 geltenden Fassung i. V. m. §§ 1 ff. des Gesetzes zur Ausführung des Glücksspielstaatsvertrags (Ausführungsgesetz NRW Glücksspielstaatsvertrag - AG GlüStV NRW) vom 13. November 2012.
521. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Sätze 2 und 3 Nr. 3 GlüStV n. F. liegen vor. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV n. F. kann die zuständige Behörde des jeweiligen Landes - das ist hier gemäß §§ 19 Abs. 3, 20 Abs. 2 GlüStV AG NRW n. F. die Bezirksregierung E. - die erforderlichen Anordnungen erlassen, um darauf hinzuwirken, dass unerlaubtes Glücksspiel und die Werbung hierfür unterbleiben. Sie kann insbesondere gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV n. F. die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele und die Werbung hierfür untersagen. Bei den von der Klägerin im Internet angebotenen Sportwetten handelt es sich um Glücksspiele im Sinne des § 3 Abs. 1 GlüStV n. F., da bei ihnen für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Das Veranstalten der Glücksspiele ist zudem unerlaubt, weil die Klägerin (derzeit) nicht über die nach § 4 Abs. 1 GlüStV n. F. erforderliche Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten in Nordrhein-Westfalen verfügt.
53Der Erlaubnisvorbehalt in § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV n. F. ist anwendbar. Er war schon in seiner alten Fassung verfassungs- und unionsrechtskonform und bestand unabhängig von der Anwendbarkeit des Sportwettenmonopols. Für die aktuelle Rechtslage gilt nichts anderes. Zusammen mit einem Konzessionsverfahren kann ein Erlaubnisvorbehalt zulässig sein, um die im Glücksspielsektor tätigen Wirtschaftsteilnehmer mit dem Ziel zu kontrollieren, der Ausnutzung dieser Tätigkeiten zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen, sowie den Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten.
54Vgl. EuGH, Urteile vom 12. September 2013 - Rs. C-660/11 und 8/12 (Biasci) -, juris, vom 24. Januar 2013 - Rs. C-186/11 - und - C-209/11 -, (Stanleybet u.a.), juris, vom 24. März 1994 - Rs. C-275/92 (Schindler) -, Slg. 1994, I-1039, Rn. 61, vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04 (Placanica) -, Slg. 2007, I-1891, Rn. 48, vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01(Gambelli) -, Slg. 2003, I-13031, Rn. 63, vom 8. September 2009 - Rs. C-42/07 (Liga Portuguesa) ‑, Rn. 57 ff., vom 3. Juni 2010 - Rs. C-203/08 (Betfair) -, Rn. 30 ff., vom 8. Juli 2010 - Rs. C-447 u. 448/08 (Sjöberg) -, Rn. 42 f., und vom 8. September 2010 – Rs. C-316/07 u.a. (Markus Stoß u.a.) -, Rn. 76 ff.; BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 -, juris; BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris, und vom 20. Juni 2013 - 8 C 17.12 -, juris; OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2014 - 13 A 2018/11 -; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 8. November 2013 ‑ 3 M 244/13 -, juris.
55Dass in Schleswig-Holstein in der Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 8. Februar 2013 nach dem Glücksspielgesetz Schleswig-Holstein (GlSpielG SH) vom 20. Oktober 2011 Genehmigungen für Sportwetten und Casinospiele erteilt worden sind, die trotz zwischenzeitlicher Aufhebung des GlSpielG SH für sechs Jahre weitergelten, führt nicht zur unionsrechtlichen Inkohärenz des Erlaubnisvorbehalts in § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV n. F. Auch das GlSpielG SH sah eine Genehmigungspflicht vor (vgl. § 4 Abs. 1 GlSpielG SH) und ging nicht davon aus, dass öffentliche Glücksspiele erlaubnisfrei sein sollten.
562. Das dem Beklagten durch § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV n. F. eröffnete Ermessen ist zu Lasten der Klägerin dahingehend reduziert, dass zwingend das Veranstalten des öffentlichen Glücksspiels im Internet untersagt werden muss (a). Jedenfalls lässt § 40 VwVfG NRW eine Ermessensausübung im Sinne der hier verfügten Untersagung zu (b).
57a) Eine Ermessensreduzierung auf Null ergibt sich aus § 284 Abs. 1 StGB, weil die Klägerin öffentliche Glücksspiele ohne Erlaubnis der dafür zuständigen Behörde in Nordrhein-Westfalen veranstaltet und damit den objektiven Straftatbestand verwirklicht. Dieser Umstand verengt den Ermessensspielraum des Beklagten auf die verfügte Untersagung, weil der Erlaubnisvorbehalt anwendbar ist und der Klägerin das Fehlen der Erlaubnis auch entgegengehalten werden kann.
58Vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 20. Juni 2013 ‑ 8 C 17.12 -, juris, und - 8 C 39.12 -, juris.
59Die Klägerin veranstaltet ausschließlich Sportwetten im Internet. Für dieses Angebot hat sie keine Erlaubnis gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV n. F., was ihr auch entgegengehalten werden kann. Dies folgt allerdings nicht mehr allein aus dem Umstand, dass gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV n. F. das Veranstalten öffentlicher Glücksspiele im Internet (ohnehin) verboten wäre. Vom Internetverbot kann nunmehr nach § 4 Abs. 5 GlüStV n. F. dispensiert werden. Für die Inhaber einer Konzession für Sportwetten wird das Internetverbot nach Maßgabe des § 10a Abs. 4 Satz 1 und 2 GlüStV n. F. entsprechend gelockert.
60Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12. -, juris, m. w. N.
61Die Erlangung der erforderlichen Erlaubnis ist nicht rechtlich oder faktisch unmöglich. Die Veranstalter und Vermittler von Sportwetten können nunmehr nach §§ 4 ff. GlüStV n. F. eine Erlaubnis erhalten. Gemäß § 10a GlüStV n. F. dürfen Sportwetten für einen Zeitraum von sieben Jahren ab Inkrafttreten des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags nur mit einer Konzession (§§ 4a bis 4e) veranstaltet werden. Die Klägerin nimmt auch am laufenden Konzessionsverfahren in Hessen teil.
62Die normative Ausgestaltung des Konzessionserteilungsverfahrens in den §§ 4a bis 4e GlüStV n. F. bietet eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Durchführung des Erlaubnisverfahrens und ist unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Als eine die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV beschränkende Regelung genügt der Erlaubnisvorbehalt nur dann den Anforderungen dieser Bestimmung, wenn das Erlaubnisverfahren auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruht, die der Ermessensausübung durch die nationalen Behörden zum Schutz vor willkürlichen Entscheidungen hinreichende Grenzen setzen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung und das Transparenzgebot sind zu beachten. Zudem muss jedem, der von einer auf einem solchen Eingriff beruhenden Maßnahme betroffen ist, ein wirkungsvoller Rechtsweg offenstehen.
63Vgl. EuGH, Urteile vom 3. Juni 2010 - Rs. C-203/08 (Sporting Exchange) -, juris, vom 9. September 2010 - Rs. C-64/08 (Engelmann) -, juris, vom 8. September 2010 - Rs. C-46/08 (Carmen Media) -, juris, vom 16. Februar 2012 - Rs. C-72/10 (Costa und Cifone) -, juris, und vom 24. Januar 2013 - Rs C-186/11 (Stanleybet) -, juris.
64Diesen Anforderungen wird durch die im Rahmen des GlüStV n. F. gemäß der Richtlinie 98/34/EG, geändert durch Richtlinie 98/48/EG, notifizierten §§ 4a bis 4e GlüStV n. F., insbesondere durch das in § 4b GlüStV n. F. geregelte Verfahren, Rechnung getragen.
65Vgl. Stellungnahmen der EU-Kommission vom 18. Juli 2011 - C (2011) 5319 - und vom 20. März 2012 - 2011/0188/D - zur Notifizierung des Glücksspieländerungsstaatsvertrags.
66Nach § 4b Abs. 1 Satz 1 GlüStV n. F. wird die Konzession nach Aufruf zur Bewerbung und Durchführung eines transparenten, diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens erteilt. Danach ist die Konzession unter Beachtung der Erfordernisse, die sich aus Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) und Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit) ergeben, zu erteilen.
67Vgl. Bayerischer Landtag, Drs. 16/11995, S. 24; Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Kommentar, 2. Auflage 2013, § 4b GlüStV Rn. 6.
68Die in den §§ 4a bis 4e GlüStV n. F. geregelten Anforderungen ermöglichen eine präventive Prüfung insbesondere der für die Wetttätigkeit erforderlichen persönlichen Zuverlässigkeit und der Gewährleistung des Jugend- und Spielerschutzes (vgl. § 4a Abs. 4 GlüStV n. F.). Insgesamt ist die rechtliche Ausgestaltung des Konzessionsverfahrens hinreichend bestimmt, transparent und nicht diskriminierend (vgl. § 4b GlüStV n. F.). Ob das Konzessionsverfahren beim Innenministerium des Landes Hessen nach diesen Kriterien verläuft bzw. ob eine auf dieser Grundlage erteilte bzw. abgelehnte Konzessionsentscheidung rechtmäßig ist, kann der Bewerber gerichtlich überprüfen lassen.
69Vgl. Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, Kommentar, 2. Auflage 2013, § 4b GlüStV Rn. 8.
70Die von der Klägerin vorgebrachten Einwände gegen die tatsächliche Durchführung des Verfahrens durch das hessische Innenministerium betreffen in diesem Sinne allein die Rechtmäßigkeit einer zukünftigen Konzessionsentscheidung, wenn diese nicht entsprechend der gesetzlichen (Verfahrens-)Vorgaben im GlüStV n. F. ergangen ist.
71Aus verfassungs- und unionsrechtlicher Sicht genügt es, dass eine grundrechts- und grundfreiheitskonforme Anwendung der Vorschriften mit der Folge einer Erlaubniserteilung an private Anbieter und Vermittler - wie hier - möglich ist und dass diesen gegen etwa rechtsfehlerhafte Ablehnungsentscheidungen effektiver gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung steht.
72Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris.
73Entgegen der Auffassung der Klägerin führt auch die - aus ihrer Sicht überlange - Dauer des Konzessionsverfahrens beim hessischen Innenministerium nicht dazu, dass anzunehmen wäre, die Erlangung einer Konzession sei unmöglich. Die Verfahrensdauer begründet nicht die Annahme systematischer Rechtsmängel der normativen Ausgestaltung des Konzessionsverfahrens. Sie kann sich auch daraus ergeben, dass bislang alle Bewerber die Erteilungsvoraussetzungen in § 4a GlüStV n. F. nicht erfüllen und die Möglichkeit einer Nachbesserung ihrer Bewerbung erhalten sollen. Zudem kann die Klägerin Verzögerungs- bzw. Untätigkeitsrügen gerichtlich - im Wege einer Untätigkeitsklage oder eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO - geltend machen, so dass dem Bewerber hiergegen Rechtsschutz zur Verfügung steht.
74Vgl. VG Wiesbaden, Urteil vom 19. Dezember 2013 ‑ 5 K 1244/12. WI -, juris, und Beschluss vom 20. Dezember 2013 - 5 L 970/13.Wi -, juris.
75Dass in der Zwischenzeit der staatliche Lottoblock nach § 29 Abs. 1 Satz 3 GlüStV n. F. den Wettbetrieb aufrechterhält, verpflichtet den Beklagten ebenfalls nicht, von der Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts abzusehen. § 29 Abs. 1 Satz 3 GlüStV n. F. ist eine Übergangsregelung. Es wird auch nicht etwa ein unionsrechtswidriges Monopol während der Überlegungen zur Reform der Glücksspielregulierung fortgeführt. Der Gesetzgeber hat die Regelungen vielmehr reformiert und sich für eine begrenzte Liberalisierung entschieden. Er hat das Glücksspiel nicht gänzlich freigegeben, sondern sich aus Gründen der Gefahrenabwehr für ein Konzessionsverfahren entschieden, in dessen Übergangszeit (bis zu einem Jahr nach dessen Abschluss) das staatliche Wettangebot aufrechterhalten wird. So verlangt auch das Unionsrecht selbst bei Rechtswidrigkeit des Monopols keine - und erst recht keine sofortige - Öffnung des Markts für alle Anbieter ohne jede präventive Kontrolle.
76Vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - Rs. C-186/112 u.a. Stanleybet -, juris; BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris.
77Hinzu kommt, dass - anders als bei den terrestrischen Angeboten in den Wettbüros - das Glücksspielangebot im Internet schon in der Vergangenheit wegen des Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 GlüStV a. F. aus monopolunabhängigen Gründen für alle Anbieter nicht erlaubnisfähig gewesen ist. Einen Anspruch auf vorübergehende Duldung dieser unerlaubten - hier in der Vergangenheit auch nicht erlaubnisfähigen - Tätigkeit ohne nähere Prüfung und unter Hinnahme strafrechtlicher Verstöße vermittelt das Unionsrecht auch bei Unanwendbarkeit der Monopolregelung nicht.
78Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris; anders zu den Wettbüros: OVG NRW, Beschluss vom 20. Dezember 2013 - 4 B 574/13 -; OVG Saarland, Beschluss vom 6. Dezember 2012 - 3 B 268/12 -, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 29. April 2013 - 4 E 331/12 -.
79Der Erlass einer auf das Fehlen der erforderlichen Erlaubnis gestützten Untersagungsverfügung scheidet auch nicht deshalb aus, weil die materielle Erlaubnisfähigkeit der Veranstaltungstätigkeit dem Grunde nach offensichtlich gegeben ist oder aber mit Nebenbestimmungen gesichert werden könnte, so dass die Erlaubnis sogleich erteilt werden müsste.
80Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Juni 2013 - 8 C 39.12 ‑, juris, vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris, und vom 24. November 2010 - 8 C 13.09 -, juris; OVG NRW, Urteil vom 21. Februar 2012 - 4 A 2847/08 -, juris; Sächs. OVG Beschluss vom 4. Januar 2011 - 3 B 507/09 -, juris.
81Für den Beklagten ist ein Erlaubnisanspruch der Klägerin für ihr Sportwetten-angebot im Internet nicht offensichtlich, d. h. ohne weitere Prüfung erkennbar. Es hätte zumindest einer weiteren Prüfung bedurft, ob die Klägerin die persönlichen und sachlichen Erlaubnisvoraussetzungen nach § 4a Abs. 4 GlüStV n. F. erfüllt. Eine nähere Prüfung der Erlaubnisfähigkeit kann die Bezirksregierung E. auch nicht vornehmen, weil nicht das beklagte Land, sondern gemäß § 9a Abs. 2 Nr. 3 GlüStV n. F. das Land Hessen für die Erteilung der Konzessionen und damit auch für die Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen zuständig ist. Dass die Klägerin nach ihren Angaben die zweite Stufe des Konzessionsverfahrens erreicht hat, belegt nicht die offensichtliche Erlaubnisfähigkeit ihres derzeitigen Internetangebots in Nordrhein-Westfalen. Aber auch wenn von der materiellen Erlaubnisfähigkeit auszugehen wäre, könnte ihr das Fehlen der Erlaubnis entgegengehalten werden. Es ist völlig ungewiss, ob die Klägerin eine Konzession erhält, da die Höchstzahl der Konzessionen für Sportwetten gemäß § 10a Abs. 3 GlüStV n. F. auf 20 begrenzt ist.
82b) Selbst wenn man keine Ermessensreduzierung auf Null annimmt, ist die Untersagungsverfügung derzeit rechtmäßig.
83Die Begründung der Untersagung im Bescheid vom 23. November 2010 ist allerdings ermessensfehlerhaft. Sie trägt die Verfügung nicht (mehr), weil es das von der Bezirksregierung E. angeführte (generelle) Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV a. F. für Sportwetten so nicht mehr gibt (vgl. § 4 Abs. 5 GlüStV n. F.). Diese Begründung hat die Bezirksregierung E. aber im Hinblick auf die neue Rechtslage in formell ordnungsgemäßer Weise durch Gesichtspunkte ergänzt, die das Wesen des Verwaltungsakts nicht verändern und materiell nicht zu beanstanden sind.
84Ob ein Nachschieben von Ermessenserwägungen zulässig ist, bestimmt sich nach dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht. § 114 Satz 2 VwGO regelt lediglich, unter welchen Voraussetzungen veränderte Ermessungserwägungen im Prozess zu berücksichtigen sind.
85Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 -, juris.
86aa) Das Nachschieben der Ermessenserwägungen genügt den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes des § 37 VwVfG NRW. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf durch die Änderung der Begründung des Verwaltungsakts im gerichtlichen Verfahren der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden. Wird die Änderung erst in einem laufenden Verwaltungsprozess erklärt, so muss die Behörde unmissverständlich deutlich machen, dass es sich nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst. Außerdem muss deutlich werden, welche der bisherigen Erwägungen weiterhin aufrechterhalten und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden. Andernfalls wäre dem Betroffenen keine sachgemäße Rechtsverteidigung möglich.
87Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 -, juris, und vom 13. Dezember 2011 - 1 C 14.10 -, juris.
88Das Vorbringen des Beklagten genügt diesen Anforderungen. Der Beklagte hat in seinem Schriftsatz vom 30. Januar 2014 ausdrücklich erklärt, die Untersagungsverfügung nunmehr auch ergänzend auf die neuen Vorschriften des GlüStV, auf den Erlaubnisvorbehalt aus § 4 Abs. 1 GlüStV n. F.- wobei kein offensichtlicher Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis vorliege - und auf das Internetverbot nach § 4 Abs. 4 GlüStV n. F. zu stützen. Hieraus wird hinreichend deutlich, dass es um die Ergänzung der Begründung des Verwaltungsakts selbst geht und nicht nur um ein prozessuales Verteidigungsvorbringen des Beklagten. Einer Erklärung, welche Erklärungen in der „alten“ Verfügung damit gegenstandslos werden, bedurfte es nicht, weil es hier um die Anpassung der Verfügung an die nunmehr geltende Rechtslage ging. Der Beklagte musste auch nicht näher eingrenzen, ob die Verfügung auch für zurückliegende Zeiträume auf die neuen Vorschriften gestützt wird, was die Klägerin in ihrer Rechtsverteidigung erheblich beeinträchtigen könnte. Denn unter der Geltung des GlüStV n. F. sind vorliegend keine in der Vergangenheit liegenden Zeiträume streitgegenständlich.
89bb) Mit diesen nachträglichen Erwägungen wird auch nicht das Wesen des Verwaltungsakts verändert. Neue Gründe für einen Verwaltungsakt dürfen nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird. Der Austausch wesentlicher Ermessenserwägungen kann zulässig sein, soweit die Begründung der glücksspielrechtlichen Untersagung (nur) für die Zukunft geändert wird. Als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung muss eine solche Untersagung einer Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung tragen. Sie ist deshalb auf eine Anpassung an jeweils neue Umstände angelegt und wird dadurch nicht zwangsläufig in ihrem Wesen verändert. So wie die Behörde die Untersagung mit neuer Begründung neu erlassen könnte, kann sie das Verbot auch mit geänderter Begründung für die Zukunft aufrechterhalten.
90Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 -, juris, mit Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung; Posser/Wolf, VwGO, Kommentar, 2. Auflage 2014, § 114 VwGO Rn. 40 ff.; Wolf, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 3. Auflage 2010, § 114 Rn. 205.
91Hiervon ausgehend ist eine Wesensänderung zu verneinen. Die Bezirksregierung E. hat die Begründung des Verwaltungsakts, der immer noch auf dasselbe Ziel wie in der Vergangenheit gerichtet ist, lediglich durch materiell-rechtliche Gründe ergänzt, die bereits bei seinem Erlass am 23. November 2010 angelegt waren. Die Untersagung dient nach wie vor im Hinblick auf den Verstoß gegen strafrechtliche Vorschriften der Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts in § 4 Abs. 1 GlüStV n. F. - damit der Gefahrenabwehr - und nicht etwa des unionsrechtswidrigen Sportwettenmonopols. Schon bei Erlass hatte die Bezirksregierung E. mit dem Hinweis auf § 4 Abs. 4 GlüStV a. F. auf die fehlende materielle Erlaubnisfähigkeit abgestellt. Diese Begründung hat sie dadurch ergänzt, dass auch jetzt keine offensichtliche Erlaubnisfähigkeit gegeben ist. Die Rechtsverteidigung der Klägerin wird hierdurch nicht beeinträchtigt, da die Ergänzung (nur) die glücksspielrechtliche Untersagung mit Wirkung ex nunc betrifft.
92cc) Die formelle Illegalität der Veranstaltung von öffentlichem Glücksspiel im Internet durch die Klägerin und deren fehlende offensichtliche Erlaubnisfähigkeit rechtfertigen die durch den Beklagten verfügte Untersagung. Die Bezirksregierung E. überschreitet damit nicht die Rechtsgrenzen des Ermessens (§ 40 VwVfG NRW).
93Das Verhältnismäßigkeitsgebot verpflichtet den Beklagten nicht, von einer Untersagung abzusehen und die formell illegale Tätigkeit bis zur Klärung ihrer Erlaubnisfähigkeit zu dulden. Das wäre nur anzunehmen, wenn die formell illegale Tätigkeit die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen erfüllt und dies für die Untersagungsbehörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung offensichtlich, d.h. ohne weitere Prüfung erkennbar ist. Dann ist die Untersagung nicht mehr zur Gefahrenabwehr erforderlich. Verbleibende Unklarheiten oder Zweifel an der Erfüllung der nicht monopolabhängigen Erlaubnisvoraussetzungen rechtfertigen dagegen ein Einschreiten. In diesem Fall ist die Untersagung notwendig, die Klärung im Erlaubnisverfahren zu sichern und zu verhindern, dass durch die unerlaubte Tätigkeit vollendete Tatsachen geschaffen und ungeprüfte Gefahren verwirklicht werden. Die Durchsetzbarkeit des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts ist also nicht auf Fälle beschränkt, in denen bereits feststeht, dass die materielle Erlaubnisfähigkeit endgültig und unbehebbar fehlt.
94Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris.
95Aus den bereits ausgeführten Gründen fehlt es hier an einer offensichtlichen Erlaubnisfähigkeit bzw. kann nicht mit Sicherheit angenommen werden, dass der Klägerin in Hessen eine Konzession erteilt wird.
96Auch die unionsgerichtliche Rechtsprechung schließt eine ordnungsrechtliche präventive Untersagung bis zur Klärung der - monopolunabhängigen - Erlaubnisfähigkeit bzw. bis zum Abschluss des Konzessionsverfahrens nicht aus.
97Die Untersagungsverfügung ist insbesondere geeignet, den Erlaubnisvorbehalt in § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV n. F. durchzusetzen. Dass andere Aufsichtsbehörden derzeit gegen Wettveranstalter im Internet nicht vorgehen, stellt die Geeignetheit der Untersagung des formell illegalen Wettangebots der Klägerin bis zur Klärung ihrer Erlaubnisfähigkeit im Einzelfall nicht in Frage. In diesem Zusammenhang überschreitet der Beklagte mit seinem Festhalten an der „alten“ Untersagungsverfügung auch nicht mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG sein Untersagungsermessen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet es, dass die zuständige Behörde bei Erlass von glücksspielrechtlichen Untersagungsverfügungen in gleichgelagerten Fällen ebenfalls einschreitet; sie darf jedenfalls nicht unterschiedlich, systemwidrig oder planlos vorgehen. Soweit sie anlassbezogen einschreitet und sich auf die Regelung von Einzelfällen beschränkt, muss sie hierfür sachliche Gründe angeben.
98Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Februar 1992 ‑ 7 B 106.91-, juris; Bay.VGH, Urteil vom 26. Juni 2012 - 10 BV 09.2259 -, juris.
99Ansonsten würde sie willkürlich in die Berufs- und Wettbewerbsfreiheit der betroffenen Internetunternehmen eingreifen.
100Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Mai 2013 - 6 S 88/13 -, juris.
101Der Beklagte schreitet zwar aktuell gegen andere Sportwettenveranstalter im Internet nicht ein. Gleichwohl liegt hierin kein strukturelles Vollzugsdefizit, das seinem Festhalten an der Untersagungsverfügung gegenüber der Klägerin entgegenstünde. Der Beklagte ist mit den bereits ergangenen Untersagungsverfügungen nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung gegen alle ihm derzeit bekannten Veranstalter von Sportwetten im Internet vorgegangen, während die staatlichen Anbieter keine Sportwetten im Internet veranstalten. Ferner unterscheiden sich etwaige „Neufälle“ auch von den bereits bei Gericht anhängigen „Altfällen“, zu denen auch das vorliegende Verfahren zu zählen ist: Aufgrund der derzeit unsicheren Rechtslage ist es aus Sicht der Behörde sachgerecht, diese zunächst im Rahmen der bereits anhängigen Gerichtsverfahren klären zu lassen, bevor etwaige weitere Veranstalter ermittelt und neue Untersagungsverfügungen ausgesprochen werden. Auch weil sich einige davon durch die Erteilung einer Sportwettenkonzession erledigen werden, ist es nicht sachwidrig, den Ausgang des Konzessionsverfahrens abzuwarten, bevor neue Untersagungsverfügungen ergehen.
102Die Untersagung des Beklagten ist im Übrigen geeignet, notwendig und auch angemessen, um die Klärung der Erlaubnisfähigkeit im Konzessionsverfahren zu sichern und zu verhindern, dass durch die formell illegale Tätigkeit objektive Straftatbestände und ungeprüfte Gefahren verwirklicht werden. Als milderes Mittel kommt eine Duldung unter Nebenbestimmungen nicht in Betracht, da die Glücksspielveranstaltung im Internet gerade nicht offensichtlich erlaubnisfähig ist.
103c) Durch die Untersagungsverfügung wird von der Klägerin weder rechtlich oder tatsächlich Unmögliches (vgl. § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW) noch Unzumutbares verlangt. Der Klägerin wird die Veranstaltung öffentlicher Glücksspiele im Internet untersagt. In welcher Form und über welche Maßnahme sie dem Verbot nachkommen will, bleibt ihr nach dem Wortlaut der Verfügung selbst überlassen. Neben der gänzlichen Entfernung des Angebots aus dem Netz kommt hierfür - worauf die Beklagte in ihrer Verfügung auch hingewiesen hat - das Verfahren der Geolokalisation ihrer Internetseite,
104vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Juli 2010 - 13 B 646/10 -, juris, Rn. 31, und vom 8. Dezember 2009 - 13 B 958/09 -, juris,
105oder aber eine mehrstufige Verfahrensweise mit einem (auf Nordrhein-Westfalen bezogenen) Disclaimer, dem Einsatz der Geolokalisation und ggf. einer nachgeschalteten Handyortung oder Festnetzlokalisation in Betracht.
106Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Mai 2013 - 6 S 88/13 -, juris, und Beschluss vom 5. November 2007 - 6 S 2223/07 -, juris.
107Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass es sich bei der Geolokalisation um eine taugliche und technisch umsetzbare Methode zur Ermittlung des Aufenthalts der Besucher der Internetseite der Klägerin innerhalb oder außerhalb Nordrhein-Westfalens handelt.
108Vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 2. Juli 2010 ‑ 13 B 646/10 – und vom 8. Dezember 2009 - 13 B 958/09 - , a. a. O. unter Hinweis auf TÜV Rheinland, Gutachten zum Thema Geolokalisation von IP-Hosts vom 12. August 2008 und Stellungnahme vom 22. April 2009; Hoeren, "Gutachten IP-Geolokalisation" vom 1. Oktober 2008 sowie "Geolokalisation und Glücksspielrecht" vom 24. April 2008 sowie zur Anwendung der Geolokalisationstechnologie: Bay. VGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2012 ‑ 10 CS 11.1290 ‑; vom 12. März 2010 - 10 CS 09. 1734 -, juris und vom 22. November 2008 - 10 CS 08.2399 -, ZfWG 2008, 455 = NVwZ-RR 2009, 202; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Mai 2013 – 6 S 88/13 -, juris, Rn. 35; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 16. März 2009 - 1 S 224.08 -, juris.
109Aus dem in das Verfahren einbezogenen Gutachten von Prof. Dr. Thomas Hoeren „Geolokalisation und Glücksspielrecht“ vom 24. April 2008 ergibt sich, dass es verschiedene technische Methoden gibt, Internetnutzer in einem bestimmten Bundesland zu orten. Zu diesem Zweck werden die sog. IP-Adressen (Internet-Protokoll-Adressen) ausgewertet, die Datenübertragungswege („routing“ / „tracing“) festgestellt und die Datenübertragungsgeschwindigkeiten („pings“) gemessen. Auf Geolokalisation spezialisierte Softwareunternehmen können mit Hilfe von Zusatzinformationen (Adressdatenbanken, Enttarnungsprogrammen etc.) in enorm hoher Geschwindigkeit in vielen Fällen den Standort eines Internetnutzers einem bestimmten Land zuordnen. Die von diesen Softwareunternehmen entwickelten Programme erlauben es, Internetnutzer in bestimmten Ländern mit einem auf sie zugeschnittenen Angebot zu versorgen oder sie von bestimmter Werbung auszuschließen. Diese „geo targeting“-Technologie wird etwa von der Fa. Google verwendet, um ihren Kunden in den verschiedenen europäischen Ländern jeweils auf ihr Herkunftsland zugeschnittene Werbeangebote zu unterbreiten. Daher ist mit Hilfe dieser Technologie grundsätzlich auch eine räumliche Beschränkung von Online-Wettangeboten und Online-Werbung möglich. Ob ein Nutzer vom Bundesgebiet ins Internet geht oder nicht, kann danach mit 99%iger Trefferwahrscheinlichkeit bestimmt werden.
110Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Mai 2013 - 6S 88/13 -, juris; Bay.VGH, Beschluss vom 20. November 2008 - 10 CS 08.2399 -, juris, Rn. 47.
111Auf die konkrete Treffsicherheit kommt es hier ohnehin nicht an. Der Beklagte hat nur das verlangt, was durch eine Lokalisierung „nach dem Stand der Technik“ sichergestellt wird.
112Darüber hinaus wäre ein räumlich beschränktes Veranstaltungsverbot für die Klägerin auch dann nicht unzumutbar, wenn sie dieser Anordnung nur durch eine vollständige - bundesweite - Sperrung bzw. Lokalisation aller Nutzer, die aus Deutschland auf das Online-Angebot zugreifen, nachkommen kann. Denn die Klägerin ist - unabhängig von der Reichweite der nordrhein-westfälischen Untersagungsverfügung - ohnehin kraft Gesetzes gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV n. F. verpflichtet, das Veranstalten öffentlicher Glücksspiele im Internet in ganz Deutschland zu unterlassen. Für Schleswig-Holstein gilt keine Ausnahme, weil der Klägerin nach dem GlSpielG SH keine Erlaubnis zum Veranstalten von Onlineglücksspielen erteilt worden ist. Auf die Frage der technischen Realisierbarkeit einer territorial auf Nordrhein-Westfalen beschränkten Internet-Vertriebs-Abschaltung kommt es damit nicht an.
113Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 - 8 C 5.10 ‑, juris; OVG NRW, Beschluss vom 22. Februar 2008 - 13 B 1215/07 -, juris; Bay.VGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 10 CS 11.1290 -, juris.
114Die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung und die Gebührenfestsetzung in der Untersagungsverfügung vom 23. November 2010 unterliegt keinen rechtlichen Bedenken.
115Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 154 Abs. 2 VwGO. Hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils entspricht es der Billigkeit, die Kosten ebenfalls der Klägerin aufzuerlegen. Die Untersagungsverfügung des Beklagten war in der Vergangenheit ebenfalls rechtmäßig, so dass die Klägerin auch insoweit unterlegen gewesen wäre. Insoweit wird auf das Urteil vom 25. Februar 2014 - 13 A 2018/11 - verwiesen.
116Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
117Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Über die bereits erfolgte Verurteilung hinaus wird die Beklagte zu 2 verurteilt, den auf dem Grundstück K. straße 3 in K. an der westlichen Grundstücksgrenze im Abstand von ca. 2,75 m zur nördlichen Grundstücksgrenze unmittelbar neben der Garage des Grundstücks H. straße 18 in K. stehenden Nadelbaum zu entfernen.
Die Revisionen der Beklagten werden als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz tragen die Beklagte zu 1 zu 5/8 und die Beklagte zu 2 zu 3/8; die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Beklagte zu 1 zu 6/11 und die Beklagte zu 2 zu 5/11.
Das Urteil ist im Hauptausspruch und hinsichtlich 1/6 der von der Beklagten zu 2 zu tragenden Kosten vorläufig vollstreck- bar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Hausgrundstücks in K. . Das benachbarte Grundstück stand zunächst im Eigentum der Beklagten zu 1; seit dem 25. Oktober 2000 ist die Beklagte zu 2 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Auf dem Nachbargrundstück befindet sich nahe der gemeinsamen Grundstücksgrenze eine 17,5 m hohe Rotfichte. Von der Stammmitte aus gemessen ist der Baum 0,75 m von der Außenwand einer Garage entfernt, die auf dem Grundstück der Klägerin entlang der Grenze errichtet ist.
An der grenzseitigen Garagenwand sowie an einer neben der Garagenzufahrt verlaufenden Stützmauer zu dem höher gelegenen Nachbargrundstück bildeten sich Risse. Deren Ursache sieht die Klägerin in dem Wurzelwerk der Fichte auf dem Nachbargrundstück. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt sie beide Beklagten in erster Linie auf Entfernung dieses Baumes und hilfsweise auf geeignete Maßnahmen zur Verhinderung von Schäden durch den Baum und dessen Wurzeln in Anspruch. Daneben hat sie von der Beklagten zu 1 die Zahlung von 2.000 DM sowie gegenüber beiden Beklagten die Feststellung von deren Verpflichtung zu Schadensersatz verlangt. Das Amtsgericht hat die
Beklagte zu 1 zur Beseitigung der Rotfichte und Durchtrennung der im Boden verbleibenden Wurzeln verurteilt; es hat ferner dem Zahlungsantrag und - hinsichtlich der Verzugsschäden - dem Feststellungsantrag gegenüber der Beklagten zu 1 stattgegeben. Die Beklagte zu 2 hat das Amtsgericht nur auf den Hilfsantrag zu geeigneten Maßnahmen der Schadensverhinderung verurteilt und ferner deren Ersatzpflicht für Schäden seit ihrem Eigentumserwerb festgestellt. Gegen dieses Urteil haben beide Beklagte mit dem Ziel vollständiger Klageabweisung sowie die Klägerin mit dem Ziel der Verurteilung der Beklagten zu 2 auf den Hauptantrag jeweils ohne Erfolg Berufung eingelegt. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin weiterhin eine Verurteilung der Beklagten zu 2 zur Entfernung der Fichte. Die von den Beklagten eingelegten Revisionen sind nicht begründet worden.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, die Beklagte zu 1 sei auf Grund einer Vereinbarung mit der Klägerin zur Beseitigung der Fichte und zur Zahlung von 2.000 DM verpflichtet. Da sie mit der Erfüllung ihrer Verpflichtungen in Verzug geraten sei, müsse sie außerdem den hierdurch entstandenen Schaden ersetzen. Gegenüber der Beklagten zu 2 ergebe sich ein Beseitigungsanspruch der Klägerin aus § 1004 Abs. 1 BGB. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten habe das Wurzelwerk des Baumes an der Mauer einen "Druckstempel" ausgebildet, der sich bei Einwirkung von Windenergien auf den Baum gegen die Garagenwand presse. Der Beseitigungsanspruch sei weder durch die Aus-
schlußfristen des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes gehindert noch gemäß § 195 BGB a.F. verjährt. Hinsichtlich Art und Weise der Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung habe die Beklagte zu 2 allerdings ein Wahlrecht. Ihre Verpflichtung dürfe nicht auf die Beseitigung des Baumes verengt werden, weil dies nicht die einzige insoweit in Betracht kommende Möglichkeit sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen reiche es etwa aus, den Baum auf hälftiger Höhe zu kappen und in der Folgezeit für einen Rückschnitt zu sorgen, oder auch den Baum mit statisch gesichertem und stabilem Material zu umbauen.
Dies hält den Angriffen der Revision der Klägerin nicht stand.
II.
Die Revisionen der Beklagten sind unzulässig, weil beide die erforderliche Begründung ihrer Rechtsmittel (§ 551 ZPO) versäumt haben. Hingegen ist die Revision der Klägerin zulässig und begründet.
1. Die Statthaftigkeit der Revision der Klägerin scheitert nicht an der fehlenden Zulassung des Rechtsmittels für diese Partei (§ 543 Abs. 1 ZPO). Zwar hätte das Berufungsgericht die Zulassung der Revision auf die Beklagten beschränken können, nachdem es die von ihm als zulassungsrelevant angesehene Rechtsfragen der Verjährung und des Fristablaufs nach dem Hessischen Nachbarrechtsgesetz ausschließlich zu deren Ungunsten entschieden hat (vgl. BGHZ 7, 62, 63; 130, 50, 59; MünchKomm-ZPO/Wenzel, Aktualisierungsband, § 543 Rdn. 33). Es hat jedoch in den Tenor eine solche Beschränkung nicht aufgenommen. Auch aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils, die
für die Prüfung des Umfangs einer zugelassenen Revision ebenfalls heranzuziehen sind (vgl. BGHZ 48, 134, 136; BGH, Urt. v. 8. März 1995, VIII ZR 156/94, NJW 1995, 1481, 1482; Urt. v. 12. Juli 2000, XII ZR 159/98, NJW-RR 2001, 485, 486), ergibt sich eine Beschränkung der Zulassung der Revision nicht mit der gebotenen Deutlichkeit (vgl. Senat, Urt. v. 11. Juli 2003, V ZR 430/02, Umdruck S. 7 f, insoweit in ZOV 2003, 310 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 7. Juli 1983, III ZR 119/82, NJW 1984, 615).
2. In der Sache selbst bejaht das Berufungsgericht zu Recht einen Abwehranspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 2. Dieser ergibt sich allerdings nicht aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB, sondern als Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nicht beizutreten ist zudem der Auffassung des Berufungsgerichts, mit dem Abwehranspruch könne im vorliegenden Fall nicht die Entfernung der Fichte verlangt werden.
a) Eine Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin steht im vorliegenden Fall wegen der eingetretenen Substanzverletzung außer Frage (vgl. Senat, BGHZ 142, 66, 68). Nach den rechtsfehlerfreien - und von der Klägerin als ihr günstig hingenommenen - Feststellungen des Berufungsgerichts führte das Wurzelwerk der Fichte zu Druckschäden an der Mauer der Garage auf dem Grundstück der Klägerin. Die bereits eingetretenen Schäden am Mauerwerk begründen allerdings nicht die - für den Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderliche - Gegenwärtigkeit der Einwirkung. Es handelt sich hierbei vielmehr um die Folgen aus dem störenden Eingriff in das Grundeigentum der Klägerin, deren Beseitigung ausschließlich im Wege des Schadensersatzes verlangt werden kann (vgl. Senat, Urt. v. 1. Dezember 1995, V ZR 9/94, NJW 1996, 845, 846). Demgemäß zielt der geltend gemachte Ab-
wehranspruch auch auf die Ursache der Eigentumsbeeinträchtigung, die nach den getroffenen Feststellungen in dem über die Wurzeln abgeleiteten Winddruck auf den Stamm des Baumes zu sehen ist. Insoweit geht es der Klägerin darum, künftige weitere Störungen ihres Eigentums in Gestalt zusätzlicher Schäden am Mauerwerk abzuwenden. Hierfür gibt das Gesetz den Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Hingegen erstrebt die Klägerin nicht die Beseitigung von Baumwurzeln, die von dem Grundstück der Beklagten zu 2 her eindringen (vgl. dazu Senat, BGHZ 135, 235, 238 - Tennisplatz /Pappelwurzel; Urt. v. 28. November 2003, V ZR 99/03, Umdruck S. 6, zur Veröffentlichung vorgesehen - Betonplatte/Kirschbaumwurzel). Folgerichtig hat das Berufungsgericht auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Wurzeln der Fichte über die Grenze hinweg in das Grundstück der Klägerin gewachsen sind.
Die Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB sind erfüllt. Insbesondere spricht angesichts des bereits erfolgten rechtswidrigen Eingriffs eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der erforderlichen Wiederholungsgefahr (vgl. BGH, Urt. v. 27. Mai 1986, VI ZR 169/85, NJW 1986, 2503, 2505).
b) Der Unterlassungsanspruch richtet sich gegen die Beklagte zu 2 als Störerin. Insoweit ist unerheblich, daß sie den Baum nicht selbst angepflanzt, sondern das Grundstück bereits mit dem Baumbewuchs erworben hat, der eine weitere Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin besorgen läßt. Auch Störungen , die allein auf natürlichen Vorgängen beruhen - wie hier der Druck des Wurzelwerks gegen die Garagenwand - können dem Grundstückseigentümer zurechenbar sein. So muß der Grundstückseigentümer z.B. dafür Sorge tragen,
daß Baumwurzeln nicht über die Grenzen seines Grundstücks hinauswachsen und die Nutzung des Nachbargrundstücks beeinträchtigen. Das ergibt sich aus § 910 BGB (Senat, Urt. v. 28. November 2003, V ZR 99/03, Umdruck S. 7 - Betonplatte/Kirschbaumwurzel). Dringen die Wurzeln dagegen nicht in das Nachbargrundstück ein, üben sie jedoch unter dem Einfluß von Wind als zusätzlichem Naturereignis auf Grund der Hebelwirkung des Baumes einen das Nachbargrundstück schädigenden Druck aus, so kommt es nach der neueren Rechtsprechung des Senats darauf an, ob den Eigentümer des störenden Grundstücks eine "Sicherungspflicht" trifft (Senat, Urt. v. 14. November 2003, V ZR 102/03, Umdruck S. 12, zur Veröffentlichung - auch in BGHZ - vorgesehen - Kiefernadeln; Urt. v. 28. November 2003, V ZR 99/03, Umdruck S. 7 - Betonplatte/Kirschbaumwurzel). Dies ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen, wobei u.a. entscheidend ist, ob sich die Nutzung des störenden Grundstücks im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält. Von diesem Ansatz aus ist die Störereigenschaft der Beklagten zu 2 allein schon deswegen zu bejahen, weil sie den im Streit befindlichen Baum unter Verletzung der einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen zum Grenzabstand (§ 38 Nr. 1 lit. b HNRG) unterhält (vgl. Senat, Urt. v. 14. November 2003, V ZR 102/03, Umdruck S. 13 - Kiefernadeln; zur Veröffentlichung - auch in BGHZ - vorgesehen ).
c) Aus § 907 Abs. 2 BGB folgt kein Hindernis für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Vorschrift nimmt Bäume und Sträucher von dem Anwendungsbereich des § 907 Abs. 1 BGB aus (vgl. Senat, Urt. v. 16. Februar 2001, V ZR 422/99, aaO). Betrifft sie danach lediglich den speziellen Abwehranspruch nach § 907 Abs. 1 BGB, so kann der
Regelung nichts für den hier entscheidenden allgemeinen Abwehranspruch aus § 1004 BGB entnommen werden.
d) Zu Recht hat das Berufungsgericht die Verjährung des Unterlassungsanspruchs verneint. Hierfür ist zunächst das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung maßgebend, die vor dem 1. Januar 2002 galt (vgl. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 EGBGB). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unterfielen dabei die Abwehransprüche aus § 1004 BGB der dreißigjährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB a.F. (Senat, BGHZ 60, 235, 238; BGHZ 125, 56, 63; Senat, Urt. v. 8. Juni 1979, V ZR 46/78, LM § 1004 BGB Nr. 156 jeweils für den Beseitigungsanspruch; Senat, Urt. v. 22. Juni 1990, V ZR 3/89, NJW 1990, 2555, 2556, insoweit in BGHZ 112, 1 nicht abgedruckt , für den Unterlassungsanspruch). Entscheidend für den Beginn dieser Verjährung ist entgegen der Ansicht der Beklagten zu 2 nicht etwa der Zeitpunkt der Anpflanzung, sondern gemäß § 198 BGB a.F. der Zeitpunkt der Entstehung des Unterlassungsanspruchs (Senat, Urt. v. 22. Juni 1990, V ZR 3/89, aaO). Das Berufungsgericht hat hierfür zutreffend auf den Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens von Mauerwerksschäden zu Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts abgestellt. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahr 2000 war mithin noch keine Verjährung eingetreten, so daß mit der Rechtshängigkeit die Verjährung gemäß § 209 Abs. 1 BGB a.F. unterbrochen wurde. Seit dem 1. Januar 2002 ist an die Stelle der Unterbrechung die Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F. getreten (Art. 229 § 6 Abs. 2 EGBGB). Es führt hier im übrigen zu keinem anderen Ergebnis, wenn mit der Gegenauffassung eine Verjährung des Unterlassungsanspruchs, weil dieser nur künftige Beeinträchtigungen abwenden solle, schlechthin (so etwa Staudinger /Gursky, BGB [1999], § 1004 Rdn. 218; MünchKomm-BGB/Medicus,
3. Aufl., § 1004 Rdn. 83 jeweils m.w.N.) oder mit Blick auf § 902 Abs. 1 BGB nur für Ansprüche aus dem Grundeigentum (so etwa LG Tübingen, NJW-RR 1990, 338; Picker, JuS 1974, 357, 358 f) verneint wird.
e) Zur Erfüllung ihrer mithin zu bejahenden Unterlassungsverpflichtung schuldet die Beklagte zu 2 unter den gegeben Umständen die Entfernung der Rotfichte. Mit Erfolg wendet sich die Revision der Klägerin gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte zu 2 sei lediglich verpflichtet, "geeignete Maßnahmen" vorzunehmen, um eine Beschädigung der Garagenwand durch das Wurzelwerk des Baumes zu verhindern.
aa) Ihrer Verurteilung zur Entfernung des Baumes steht nicht entgegen, daß die Beklagte zu 2 (lediglich) eine Unterlassungspflicht trifft. Läßt sich nämlich die drohende Beeinträchtigung nur durch aktives Eingreifen verhindern, so schuldet der zur Unterlassung Verpflichtete das erforderliche positive Tun (Staudinger/Gursky, aaO, § 1004 Rdn. 204). Dabei geht das Berufungsgericht im Ansatz zu Recht davon aus, daß der Störer regelmäßig zwischen verschiedenen zur Abhilfe geeigneten Maßnahmen wählen kann. Es bleibt grundsätzlich ihm überlassen, auf welchem Weg er die bevorstehende Eigentumsbeeinträchtigung abwendet (Senat, BGHZ 120, 239, 248; Urt. v. 17. Dezember 1982, V ZR 55/82, NJW 1983, 751, 752; vgl. auch Senat, BGHZ 111, 63, 72; Urt. v. 11. November 1983, V ZR 231/82, NJW 1984, 1242, 1243). Dies hat seinen Grund in der Überlegung, daß die Rechte des Störers nicht weitergehend eingeschränkt werden sollen, als dies der Schutz des Berechtigten vor Beeinträchtigungen seines Eigentums erfordert (Senat, BGHZ 67, 252, 253). Der Urteilsausspruch kann daher in der Regel nur allgemein auf Unterlassung von
Störungen bestimmter Art lauten (Senat, Urt. v. 17. Dezember 1982, V ZR 55/82, aaO).
bb) Folgerichtig steht aber einer Verurteilung zu einer konkreten Maßnahme dann nichts im Wege, wenn nur sie den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet (vgl. Senat, BGHZ 67, 252, 254; Urt. v. 11. November 1983, V ZR 231/82, aaO). Nichts anderes kann gelten, wenn weitere Maßnahmen zwar möglich sind, vernünftigerweise aber nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden können (so wohl auch MünchKomm-BGB/Medicus, aaO, § 1004 Rdn. 86). In dieser Lage fehlt es an einem schutzwürdigen Eigeninteresse des Störers, zwischen verschiedenen Abhilfemaßnahmen wählen zu können. Das Beharren auf einer solchen nur formalen Position ohne materiellen Gehalt läßt die Rechtsordnung nicht zu (vgl. Senat, BGHZ 105, 154, 158; BGHZ 100, 95, 105 jeweils zu § 242 BGB).
cc) Im vorliegenden Fall fehlt der Beklagten zu 2 nach vernünftigen Maßstäben das Interesse an anderen Abhilfemaßnahmen als dem Entfernen des Baumes. Zwar kommen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zwei weitere Möglichkeiten in Betracht, um den Druck des Wurzelwerks gegen die Garagenwand zu verhindern. Dabei legt aber das Berufungsgericht selbst dem zuerst erwogenen Kappen des Baumes auf hälftiger Höhe "verheerende Folgen" bei. Es wäre nicht nur das Erscheinungsbild des Baumes unwiederbringlich zerstört, die Beklagte zu 2 müßte vielmehr mit dem Absterben des Baumes binnen weniger Jahre rechnen. Sie müßte zudem ein erneutes Wachsen des Baumes durch wiederholten Rückschnitt verhindern. Ein nachvollziehbarer Vorteil gegenüber einer Fällung der Fichte ist hiernach nicht zu erkennen. Dies gilt erst recht für die zweite vom Berufungsgericht festgestellte Alter-
native der "Umbauung des Baumes mit einem statisch gesicherten und stabilen Material." Dabei verkennt das Berufungsgericht nicht, daß eine solche Maßnahme für die Beklagte zu 2 "wirtschaftlich und/oder ästhetisch … unsinnig" sein mag. Für ein gleichwohl vorhandenes vernünftiges Interesse der Beklagten zu 2 am Erhalt der Fichte in umbautem Zustand fehlt jeder Hinweis.
dd) Einer Verurteilung zur Beseitigung des Baumes auf Grund eines Unterlassungsanspruchs stehen die Regelungen des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes (HNRG) nicht entgegen, obwohl nach der - für den Senat insoweit bindenden (§§ 560, 545 Abs. 1 ZPO) - Entscheidung des Berufungsgerichts der Ablauf der Frist nach § 43 Abs. 1 HNRG einen Beseitigungsanspruch der Klägerin wegen des nicht eingehaltenen Grenzabstandes von 2 m (§ 38 Nr. 1 lit. b HNRG) ausschließt. Eine solche landesgesetzliche Regelung kann - wie Art. 124 EGBGB zeigt - das Grundstückseigentum zugunsten des Nachbarn weitergehenden Beschränkungen unterwerfen, nicht aber umgekehrt dem Nachbarn Rechte nehmen, die sich für ihn aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ergeben (vgl. Staudinger/Albrecht [1997], Art. 124 EGBGB Rdn. 8; MünchKomm -BGB/Säcker, 3. Aufl., Art. 124 EGBGB Rdn. 1; Palandt/Bassenge, BGB, 63. Aufl., Art. 124 EGBGB Rdn. 1). Vorliegend gewährt das Landesrecht einen Anspruch auf Entfernung des Baumes allein schon deswegen, weil der maßgebende Grenzabstand nicht eingehalten ist. Daneben besteht ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, der von zusätzlichen Voraussetzungen , insbesondere einer zu besorgenden weiteren Eigentumsbeeinträchtigung abhängig ist. Der Ausschluß des für den Nachbarn vorteilhafteren landesrechtlichen Anspruchs bleibt mithin auf seinen Anwendungsfall beschränkt und läßt einen konkurrierenden - nur unter strengeren Voraussetzungen begründeten - Anspruch aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch unberührt.
Insbesondere ändert die Verwirklichung des Ausschlußtatbestandes des § 43 Abs. 1 HNRG nichts an der Störereigenschaft der Beklagten zu 2 (vgl. Senat, Urt. v. 14. November 2003, V ZR 102/03, Umdruck S. 14 - Kiefernadeln) und steht Abwehransprüchen aus § 1004 BGB selbst dann nicht entgegen, wenn sich die nicht zu duldenden Einwirkungen aus dem weiteren Wachstum des Baumes ergeben (vgl. Senat, Urt. v. 14. November 2003, V ZR 102/03, Umdruck S. 7 - Kiefernadeln).
3. Das Berufungsurteil hat demnach keinen Bestand, soweit es die Abweisung des in erster Linie verfolgten Antrags auf Entfernung des Baumes bestätigt (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil der Sachverhalt geklärt ist und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Verurteilung der Beklagten zu 2 auf den Hauptantrag.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 100 Abs. 2 ZPO.
Soweit die Entscheidung als Versäumnisurteil ergangen ist, war sie nach § 708 Nr. 2 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Wenzel Tropf Krüger Gaier Schmidt-Räntsch