Bundesgerichtshof Urteil, 02. Juni 2015 - X ZR 103/13

bei uns veröffentlicht am02.06.2015
vorgehend
Landgericht Düsseldorf, 4b O 212/09, 16.02.2012
Oberlandesgericht Düsseldorf, 2 U 22/12, 08.08.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 1 03/ 1 3 Verkündet am:
2. Juni 2015
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Kreuzgestänge
EPÜ Art. 69; PatG § 14

a) Das Verletzungsgericht hat das Klagepatent selbständig auszulegen und ist
weder rechtlich noch tatsächlich an die Auslegung durch den Bundesgerichtshof
in einem das Klagepatent betreffenden Patentnichtigkeitsverfahren
gebunden.

b) Werden in der Beschreibung eines Patents mehrere Ausführungsbeispiele
als erfindungsgemäß vorgestellt, sind die im Patentanspruch verwendeten
Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche Beispiele zu ihrer Ausfüllung
herangezogen werden können. Nur wenn und soweit sich die Lehre des
Patentanspruchs mit der Beschreibung und den Zeichnungen nicht in Einklang
bringen lässt und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt, dürfen diejenigen
Bestandteile der Beschreibung, die im Patentanspruch keinen Niederschlag
gefunden haben, nicht zur Bestimmung des Gegenstands des Patents
herangezogen werden.
BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Juni 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Richter
Gröning, Dr. Grabinski, Dr. Bacher und Hoffmann

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das am 8. August 2013 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4b-Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 16. Februar 2012 wird zurückgewiesen. Die Kosten der Rechtsmittel trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Kläger ist eingetragener Inhaber des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 366 968 (nachfolgend: Klagepatent). Er nimmt die Beklagte wegen Verletzung des Klagepatents auf Unterlassung, Auskunftserteilung , Rechnungslegung und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz in Anspruch. Patentanspruch 1 des Klagepatents hat folgenden Wortlaut: "Zusammenklappbarer Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell (1), das mindestens aufweist: - zwei obere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig verlaufende, durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete Gestellholme (2a, 2b), deren untere Enden zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar an einem Verbindungsteil (3) angekoppelt sind, - an welchem Verbindungsteil (3) zwei untere, spiegelbildlich angeordnete , von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig verlaufende , durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete verschwenkbare Gestellholme (4a, 4b) angeordnet sind, an deren hinteren Enden Radlagerhalter (5) für hintere Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind, - mindestens eine vordere Radanordnung (7) mit mindestens einem Rad, die mittels mindestens eines Radlagerhalters (8) an dem Verbindungsteil (3) oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme (4a, 4b) befestigt ist, gekennzeichnet durch: - ein aufstellbares Spreizgestänge (9) in Form eines Kreuzgestänges , das in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) an den Holmen (2a, 2b; 4a, 4b) und diese verbindend vorgesehen und derart ausgebildet ist, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells die oberen und die unteren Holme (2a, 2b) in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind und beim Zusammenlegen des Spreizgestänges (9) die oberen und unteren Holme (4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken."
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Die Patentansprüche 2 bis 19 sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen.
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Die Beklagte vertreibt einen Kinderwagen unter der Modellbezeichnung "Futura" über das Internet, dessen nähere Ausgestaltung sich aus den als Anlage K 13 zu den Akten gereichten, teilweise nachfolgend wiedergegebenen Fotografien ergibt (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Die angegriffene Ausführungsform stellte sie auch auf der Messe "Kind und Jugend 2009" in Köln aus.


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Das Landgericht hat die Klageansprüche im Wesentlichen zuerkannt. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision be- gehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des
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Berufungsgerichts und zur Wiederherstellung des Urteils erster Instanz, soweit dieses der Klage stattgegeben hat. I. Das Klagepatent betrifft einen zusammenklappbaren Wagen für Kinder
6
oder Puppen mit einem Wagengestell.
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Nach der Beschreibung ist u.a. aus der französischen Patentanmeldung 2 310 910, aus der die nachfolgende Zeichnung stammt, ein Kinderwagen mit einer Rahmenkonstruktion bekannt, die ein unteres, scherenartig an einem Gelenkstück angelenktes Paar von Seitenholmen (1, 1') aufweist, die durch zusammenklappbare Querholme miteinander verbunden sind. Die Rücken- holme (14, 14') sind an festen Lagern an den Seitenholmen schwenkbeweglich gelagert und unterhalb eines zusammenlegbaren Scherengestänges (18, 18'; 19, 19'), das als Spreizgestänge zwischen den Rückenholmen vorgesehen ist, geteilt und gegeneinander verschwenkbar ausgeführt, so dass sie zusammen mit den Sitzholmen ein Kräfteparallelogramm bildeten. Für die Spreizung der Seitenholme ist zusätzlich ein zusammenlegbarer Querholm (17) zwischen den unteren Abschnitten der Rückenholme vorgesehen.
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Dem Streitpatent liegt das Problem ("die Aufgabe") zugrunde, die bekannten zusammenklappbaren Schiebewagen derart fortzuentwickeln, dass diese bei vereinfachter Konstruktion leicht aufgestellt und zusammengeklappt werden können.
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Das soll nach der Lehre aus Patentanspruch 1 durch eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen erreicht werden: 1. Zusammenklappbarer Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell, das aufweist: 1.1 zwei obere Gestellholme (2a, 2b), 1.2 zwei untere Gestellholme (4a, 4b), 1.3 ein Verbindungsteil (3), 1.4 ein Spreizgestänge (9), 1.5 eine vordere Radanordnung (7) und 1.6 hintere Räder oder Räderanordnungen (6).
2. Die oberen Gestellholme (2a, 2b) 2.1 sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildet, 2.2 sind spiegelbildlich angeordnet und 2.3 verlaufen von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig.

3. Die unteren Gestellholme (4a, 4b), 3.1 sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildet, 3.2 sind spiegelbildlich angeordnet, 3.3 verlaufen von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig, 3.4 sind verschwenkbar und 3.5 weisen hintere Enden auf, an denen Radlager (5) für hintere Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind.
4. An dem Verbindungsteil (3) sind 4.1 die unteren Enden der oberen Gestellholme (2a, 2b) zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar gekoppelt und 4.2 die unteren Gestellholme (4a, 4b) angeordnet.
5. Die vordere Radanordnung (7) 5.1 weist mindestens ein Rad auf und 5.2 ist mittels mindestens eines Radlagerhalters (8) an dem Verbindungsteil (3) oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme (4a, 4b) befestigt.
6. Das Spreizgestänge (9) ist 6.1 aufstellbar und 6.2 in Form eines Kreuzgestänges ausgebildet. 6.3 Das Kreuzgestänge ist 6.3.1 an den Holmen (2a, 2b; 4a, 4b) in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) und die Holme (2a, 2b; 4a, 4b) verbindend vorgesehen,
6.3.2 derart ausgebildet, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells (1) die oberen und die unteren Holme (2a, 2b; 4a, 4b) in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind, und 6.3.3 derart ausgebildet, dass beim Zusammenlegen des Spreizgestänges (9) die oberen und unteren Holme (2a, 2b; 4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.
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Die nachfolgend wiedergegebene Zeichnung stammt aus der Klagepatentschrift und zeigt ein erfindungsgemäßes Ausführungsbeispiel: II. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
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begründet: Das Klagepatent sei nicht verletzt, weil die angegriffene Ausführungsform we12 der ein Kreuzgestänge aufweise, das die Merkmalsgruppe 6.3 wortsinngemäß verwirkliche , noch ein Ersatzmittel, das als patentrechtlich äquivalent angesehen werden könne. Als Durchschnittsfachmann sei ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau
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anzusehen, der bei einem Hersteller von Kinderwagengestellen mit Konstruktions- aufgaben befasst sei und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung verfüge. Eine wortsinngemäße Verwirklichung scheide schon deshalb aus, weil für das
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Berufungsgericht aufgrund des im Nichtigkeitsverfahren der Parteien ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - X ZR 58/11) faktisch feststehe, dass ein Kreuzgestänge, dessen Streben wie bei der angegriffenen Ausführungsform lediglich in einer Ebene zueinander verschwenkt werden könnten, nicht als Kreuzgestänge im Sinne der Merkmalsgruppe 6.3 angesehen werden könne. Um keinen Zulassungsgrund zu schaffen, bestehe für das Berufungsgericht eine tatsächliche Bindung an die Auslegung des Bundesgerichtshofs im Nichtigkeitsverfahren. Unabhängig hiervon treffe die Auslegung des Bundesgerichthofs auch zu. Es
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möge zwar sein, dass die Übertragung der auf das Kreuzgestänge wirkenden Kraft auf die Holme unabhängig davon ermöglicht werden könne, ob das Kreuzgestänge in nur einer Ebene ("zweidimensional") oder in zwei Ebenen ("dreidimensional") bewegbar sei. Das Klagepatent habe sich aber auf letztere Lösung festgelegt. Rückschlüsse allgemeiner Art auf das erfindungsgemäße Kreuzgestänge aus den Unteransprüchen 6 und 7, wie sie das Landgericht gezogen habe, seien nicht gerechtfertigt , weil sich diese Patentansprüche letztlich nur mit den Schwenklagerhaltern und nicht mit dem Kreuzgestänge als solchem befassten. Dass es möglich wäre, bei der in diesen Ansprüchen gelehrten Konstruktion auch ein zweidimensional wirkendes Kreuzgestänge zu verwenden, bedeute nicht, dass dies auch erfindungsgemäß wäre. Entsprechendes gelte für Unteranspruch 11. Seine Besonderheit bestehe nicht darin, dass dort erstmals ein dreidimensional wirkendes Kreuzgestänge an sich gelehrt würde, sondern (unter anderem) darin, dass zusätzlich Arretierungsmittel für die Stützstrebenenden vorgesehen seien. Die Angabe in der Beschreibung (Abs. 7, Satz 3), ein erfindungsgemäßes
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Wagengestell sei ähnlich aufgebaut wie ein Schirmgestänge, es sei aber auch möglich , dass nur die oberen gegenüber den unteren Holmen verschwenkbar seien, sei nicht mit dem Patentanspruch in Einklang zu bringen. Dieser setze in Merkmal 6.3.3 voraus, dass bei Zusammenlegen des Spreizgestänges die oberen und die unteren Holme gleichzeitig aufeinander zu verschwenkten. Verlangt werde damit eine aktive Beteiligung aller Holme einschließlich der unteren, weshalb auch diese verschwenkbar sein müssten. Auch aus den Ausführungen der Beschreibung (Abs. 9), ein Spreizgestänge in
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Form eines Kreuzgestänges, z.B. in X-Form, sei besonders vorteilhaft, wenn das Gestänge aus geteilten Stützstreben bestehe, die schwenkbeweglich einerseits an Schwenkhaltern an den Holmen und andererseits an einem zentrischen Lagerhalter angelenkt seien, so dass - wie bei einem Regenschirm - die Streben durch Bewegung des Lagerhalters in Längsrichtung aufgestellt und zusammengefaltet werden könnten, lasse sich nicht der Umkehrschluss ziehen, dem Patentanspruch 1 unterfielen auch zweidimensional wirkende Kreuzgestänge. Vielmehr betreffe die besondere Eignung spezielle dreidimensional wirkende Kreuzgestänge, nämlich X-förmige. Selbst wenn "besonders vorteilhaft" ursprünglich als Herausstellungsmerkmal gegenüber nicht schirmartig konstruierten Kreuzgestängen gemeint gewesen sein sollte , habe diese Formulierung angesichts des bei der Auslegung zu beachtenden Primats des Anspruchs ihren Sinn eingebüßt. Das Klagepatent wolle sich damit von dem aus der französischen Patentanmeldung 2 310 910 bekannten, nach dem Prinzip eines Scherengestänges arbeitenden Lösung, bei dem die Holme lediglich in einer Ebene zueinander verschwenkt werden könnten, durch eine Bewegungskopplung in mehr als nur einer Ebene abgrenzen. III. Diese Auslegung des Patentanspruchs hält der revisionsrechtlichen Über18 prüfung nicht stand. 1. Das Berufungsgericht hat sich zu Unrecht an einer zutreffenden Ermittlung
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des Sinngehalts des Patentanspruchs 1 dadurch gehindert gesehen, dass es sich an die vermeintliche Erkenntnis des Senats im Nichtigkeitsverfahren gebunden gesehen hat, die Merkmalsgruppe 6.3 erfordere ein Kreuzgestänge, dessen Stützstreben in zwei Ebenen zueinander verschwenkt werden können. Eine solche Bindung besteht jedoch weder rechtlich noch tatsächlich. Die Bestimmung des Sinngehalts eines Patentanspruchs ist Rechtserkenntnis
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und vom Verletzungsgericht, wie von jedem anderen damit befassten Gericht, eigenverantwortlich vorzunehmen (BGH, Urteil vom 31. März 2009 - X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 Rn. 16 - Straßenbaumaschine; BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03, BGHZ 186, 90 Rn. 15 - Crimpwerkzeug III). Dies schließt die Möglichkeit ein, dass das Verletzungsgericht zu einem Auslegungsergebnis gelangt, das von demjenigen abweicht, das der Bundesgerichtshof in einem dasselbe Patent betreffenden Patentnichtigkeitsverfahren gewonnen hat. Eine solche Divergenz rechtfertigt zwar, wenn sie entscheidungserheblich ist, die Zulassung der Revision (BGHZ 186, 90 Rn. 11 ff. - Crimpwerkzeug III). Sie unterscheidet sich darin aber nicht von anderen Fällen einer von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs abweichenden und deshalb nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Zulassung der Revision rechtfertigenden Beurteilung einer Rechtsfrage durch ein Berufungsgericht. In diesen wie in jenen Fällen hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob es an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält oder die besseren Gründe für die Beurteilung des Berufungsgerichts streiten. Eine solche bessere Erkenntnis kann sich im Patentstreitverfahren zudem aus vom Berufungsgericht festgestellten, der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legenden Tatsachen ergeben, die im Nichtigkeitsverfahren nicht festgestellt worden sind, sich aber auf die Auslegung des Patents auswirken (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 - X ZR 76/04, BGHZ 164, 261 Rn. 19 - Seitenspiegel; Urteil vom 12. Februar 2008 - X ZR 153/05, GRUR 2008, 779 Rn. 31 - Mehrgangnabe). 2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht das Klagepatent dahin ausge21 legt, Patentanspruch 1 verlange in Merkmal 6.3.3 ein in zwei Ebenen ("dreidimensional" ) verschwenkbares Kreuzgestänge.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats sind Beschreibung und Zeichnun22 gen, die dem Fachmann die Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschauli- chen, nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen, und zwar unabhängig davon, ob diese Auslegung die Grundlage der Verletzungsprüfung, der Prüfung des Gegenstandes des Patentanspruchs auf seine Patentfähigkeit oder der Prüfung eines anderen Nichtigkeitsgrundes ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 27 - Polymerschaum I; Urteil vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13, juris Rn. 15 - Rotorelemente). Dabei ist die Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und der Patentanspruch im Zweifel so zu verstehen, dass sich keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 Rn. 24 - Okklusionsvorrichtung). Patentschriften stellen im Hinblick auf die dort verwendeten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon dar. Weichen diese vom allgemeinen Sprachgebrauch ab, ist letztlich nur der sich aus der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt maßgebend (BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909 - Spannschraube). Nur wenn und soweit sich die Lehre des Patentanspruchs mit der Beschreibung und den Zeichnungen nicht in Einklang bringen lässt und ein unauflösbarer Widerspruch verbleibt, dürfen diejenigen Bestandteile der Beschreibung, die im Patentanspruch keinen Niederschlag gefunden haben, nicht zur Bestimmung des Gegenstands des Patents herangezogen werden (BGHZ 189, 330 Rn. 23 - Okklusionsvorrichtung). Demgemäß kommt eine Auslegung des Patentanspruchs, die zur Folge hätte,
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dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würden, nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten , die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 - X ZR 35/11, GRUR 2015, 159 Rn. 26 - Zugriffsrechte). Werden in der Beschreibung mehrere Ausführungsbeispiele als erfindungsgemäß vorgestellt, sind die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche Ausführungsbeispiele zu ihrer Ausfüllung herangezogen werden können.
b) Patentanspruch 1 stellt einen zusammenklappbaren Schiebewagen unter
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Schutz, der neben vorderen und hinteren Radanordnungen im Wesentlichen aus zwei oberen und zwei unteren Gestellholmen besteht, die jeweils am unteren Ende an einem Verbindungsteil angelenkt und jeweils oberhalb in einem bestimmten Abstand von dem Verbindungsteil durch ein Spreizgestänge in Gestalt eines Kreuzgestänges verbunden sind. Dabei soll das Kreuzgestänge derart ausgebildet sein, dass die oberen und unteren Holme nach dem Aufstellen des Wagengestells in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind (Merkmal 6.3.2) und beim Zusammenlegen des Spreizgestänges gleichzeitig aufeinander zu verschwenken (Merkmal 6.3.3). Damit ist zwar für die oberen und unteren Holme festgelegt, dass diese beim
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Zusammenlegen gleichzeitig untereinander und gegenüber dem anderen Holmpaar aus einer V-Position aufeinander zu verschwenken. Dies gilt aber nicht für die Stützstreben des Kreuzgestänges, zu dessen Ausgestaltung Patentanspruch 1 alleine vorsieht, dass dieses jeweils mit den oberen und unteren Holmen verbunden ist und beim Zusammenlegen des Gestells ein gleichzeitiges Aufeinanderzuverschwenken der Holme bewirkt. Ob die Stützstreben des Kreuzgestänges dabei in einer oder in zwei Ebenen bewegbar sind, bleibt offen. Patentanspruch 1 erwähnt dies mit keinem Wort, und auch der Beschreibung lässt sich insoweit kein Anhalt für eine solche Konkretisierung entnehmen. In der Beschreibung wird zwar ein Kreuzgestänge erwähnt, bei dem die Streben - wie bei einem Regenschirm - durch Bewegen eines zentrischen Lagerhalters in Längsrichtung aufgestellt und zusammengefaltet werden (Abs. 9). Dabei handelt es sich aber lediglich um ein besonders vorteilhaftes Ausführungsbeispiel , das die Beschreibung auch ausdrücklich als solches kenntlich macht und das den weiter gefassten Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht zu beschränken vermag. Nichts anderes gilt für die in Unteranspruch 11 beschriebene Ausführungsform.
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Hinsichtlich der in Merkmal 6.3.3 enthaltenen Anweisung an den Fachmann, das Kreuzgestänge so auszubilden, dass die oberen und die unteren Holme beim Zusammenlegen des Spreizgestänges "gleichzeitig" aufeinander zu verschwenken, ist der Beschreibung zunächst zu entnehmen, dass ein erfindungsgemäßes Wagengestell ähnlich wie ein Schirmgestänge aufgebaut ist und aus vier Holmen besteht, die aus einer zusammengeklappten Position in eine aufgestellte Position schwenkbar sind (Abs. 7, Z. 29 bis 33). Anschließend wird aber auch die Möglichkeit erwähnt, nicht die unteren, sondern nur die oberen gegenüber den unteren Holmen in einer Weise verschwenkbar anzuordnen, dass diese aus einer zusammengeklappten Position , in der sie nahezu parallel zu den unteren Holmen verlaufen, in eine Schrägposition verbracht werden, in der das Wagengestell aufgestellt ist (Abs. 7, Z. 34 bis 41). Dies rechtfertigt den Schluss, dass an dem in Merkmal 6.3.3 vorgesehenen gleichzeitigen Aufeinanderzuverschwenken nicht zwingend sowohl die unteren als auch die oberen Gestellholme beteiligt sein müssen, sondern dass es ausreichend ist, wenn es zu einer gleichzeitigen Relativbewegung aller vier Holme komme. Ein solches Verständnis ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mit dem Wortlaut des Patentanspruchs nicht unvereinbar, sondern entspricht einer funktionsorientierten Auslegung. Denn für das mit der patentgemäßen Lehre verfolgte Ziel, eine leichte Handhabung des Wagengestells beim Aufstellen und Zusammenklappen zu erreichen (Abs. 6), ist es unerheblich, ob sich dabei allein die oberen auf die unteren oder auch die unteren auf die oberen Holme zu bewegen. Ein solches Verständnis des "gleichzeitigen" Aufeinanderzuverschwenkens
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der oberen und unteren Holme wird, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, zusätzlich durch die Patentansprüche 6 und 7 gestützt, die Schwenklagerhalter für Stützstreben des Spreizgestänges an den unteren oder oberen Holmen vorsehen, wobei ein Schwenklagerhalterpaar an den unteren oder oberen Holmen längsverschieblich und in der Aufstellposition des Spreizgestänges arretierbar angeordnet ist. Dies erlaubt, wie das Berufungsgericht an sich nicht verkennt, ein gleichzeitiges Aufeinanderzuverschwenken der Holme durch eine Bewegung des Kreuzgestänges in einer Ebene. Weder dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 noch der Beschreibung sind Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass eine derartige Ausgestaltung von Patentanspruch 1 nicht erfasst sein soll.
c) Ein solches Verständnis des Merkmals 6.3.3 setzt sich, ohne dass es hier28 auf entscheidend ankäme, auch nicht in Widerspruch zu tragenden Erwägungen im Urteil des Senats vom 22. Mai 2012. Soweit es darin heißt, dass ein Kreuzgestänge, dessen "Holme" (Stützstreben) - wie in der französischen Patentanmeldung 2 310 910 - lediglich in einer Ebene zueinander verschwenkt werden können, nicht als ein Kreuzgestänge im Sinne der Merkmalsgruppe 6.3 angesehen werden könne, weil es nicht derart ausgebildet sei, dass beim Zusammenlegen obere und untere Holme gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt werden können, steht dies in Einklang mit der vorstehenden Auslegung des Merkmals 6.3.3. Denn bei der in der Entgegenhaltung offenbarten Ausgestaltung sind die beiden Stützstreben (18 und 19' sowie 18' und 19) mit ihren beiden Enden allein an den oberen Holmen (14 und 14') des Gestänges angelenkt (Rn. 15 des Senatsurteils), so dass diese, wie auch das Landgericht ausgeführt hat, weder ein Aufeinanderzuverschwenken der oberen und unteren Holme bewirken können, bei dem sich beide Holmpaare bewegen, noch ein solches, bei dem sich allein das obere Holmpaar auf das untere zu bewegt. Die Bemerkung des Senats, dass das Konstruktionsprinzip des erfindungsgemäßen Wagengestelles im Wesentlichen darin liege, dass die vier Holme zum einen an demselben Verbindungsteil angelenkt seien und zum anderen untereinander durch ein als Kreuzgestänge ausgebildetes Spreizgestänge verbunden seien, so dass die oberen und die unteren Holme wie ein Regenschirm bei Aufstellen sowohl zu- als auch gegeneinander in eine V-Position gebracht und beim Zusammenlegen gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt werden, kann zwar im Hinblick auf den (dem in den Zeichnungen dargestellten Ausführungsbeispiel der Patentschrift entlehnten) Vergleich mit dem Zusammenfalten und Öffnen eines Regenschirms für sich genommen dahin verstanden werden, dass sich die oberen und die unteren Holme beim Zusammenlegen gleichzeitig bewegen (müssen). Für die Beurteilung der beiden geltend gemachten Nichtigkeitsgründe ist dies jedoch nach den Urteilsgründen ohne Bedeutung geblieben. IV. Das Urteil des Berufungsgerichts kann danach keinen Bestand haben und
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ist aufzuheben. Der Senat kann die Sache selbst entscheiden, weil zusätzliche Feststellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind und die Sache daher entscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 1. Nach den nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts und
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des Landgerichts sind die oberen und unteren Holme durch das Kreuzgestänge derart verbunden, dass sie sich beim Zusammenlegen jeweils aufeinander zu bewegen. Zudem bewirken Verbindungsschenkel, dass auch die oberen Holme jeweils auf die unteren Holme zu schwenken, so dass eine Verschiebung auf der Längsachse bewirkt wird und ein einziger Kraftakt für das Zusammenlegen des Kinderwagens ausreicht. Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, steht es einer wort31 sinngemäßen Verwirklichung des Merkmals 6.3.3 nicht entgegen, dass bei der angegriffenen Ausführungsform an dem Verschwenken der oberen auf die unteren Holme neben dem Kreuzgestänge zusätzliche Gestängeteile in Gestalt der Verbindungsschenkel beteiligt sind. Für ein solches Verständnis sprechen nicht nur der Wortlaut des Patentanspruchs 1, der eine solche Ausgestaltung nicht ausschließt, sondern auch die Unteransprüche 6 bis 9, die Beschreibung (Abs. 14) und dieZeichnungen (Figuren 1 bis 3), wonach das Aufeinanderzuverschwenken der Holme neben dem Kreuzgestänge (9) auch durch die Schwenklagerhalter (16a, 16b und 17a und 17b) bewirkt werden kann. Außerdem ist es für eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals 6.3.3
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unerheblich, ob die Verschwenkung der oberen auf die unteren Holme während der gesamten Zeit oder nur während eines Teils der Zeit erfolgt, in der sich die oberen und die unteren Holme jeweils aufeinander zu bewegen, weil, wie das Landgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, "gleichzeitig" im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre nicht notwendigerweise meint, dass beim Zusammenlegen alle Verschwenkbewegungen ununterbrochen zeitlich parallel erfolgen müssen. Entscheidend ist insoweit allein, dass die Verschwenkungen durch eine Bewegung des Kreuzgestänges bzw. eine Kraftausübung des Benutzers bewirkt werden, so wie dies auch bei der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht ist. 2. Da die angegriffene Ausführungsform auch im Übrigen, wie das Landge33 richt rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, mit Patentanspruch 1 übereinstimmt, fällt der Beklagten eine Verletzung des Klagepatents zur Last. 3. Sie rechtfertigt nach den weiteren, ebenfalls rechtsfehlerfreien Ausführun34 gen des Landgerichts und den ergänzenden Ausführungen des Berufungsgerichts hierzu im zuerkannten Umfang die Klageansprüche, so dass auf die Revision das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen ist.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Grabinski Bacher Hoffmann
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 16.02.2012 - 4b O 212/09 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 08.08.2013 - I-2 U 22/12 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 02. Juni 2015 - X ZR 103/13

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Zivilprozessordnung - ZPO | § 563 Zurückverweisung; eigene Sachentscheidung


(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Patentgesetz - PatG | § 14


Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.
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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Zivilprozessordnung - ZPO | § 563 Zurückverweisung; eigene Sachentscheidung


(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Patentgesetz - PatG | § 14


Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

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Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2005 - X ZR 76/04

bei uns veröffentlicht am 11.10.2005

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 76/04 Verkündet am: 11. Oktober 2005 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja

Bundesgerichtshof Urteil, 31. März 2009 - X ZR 95/05

bei uns veröffentlicht am 31.03.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 95/05 Verkündet am: 31. März 2009 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja S

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Mai 2011 - X ZR 16/09

bei uns veröffentlicht am 10.05.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 16/09 Verkündet am: 10. Mai 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2012 - X ZR 58/11

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 58/11 Verkündet am: 22. Mai 2012 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs

Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Aug. 2010 - X ZR 193/03

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZR 193/03 vom 30. August 2010 in dem Rechtsstreit Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. August 2010 durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter Gröning, Dr. Berger, Dr. Grabinski und Hoffmann

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Mai 2015 - X ZR 43/13

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Bundesgerichtshof Urteil, 14. Okt. 2014 - X ZR 35/11

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X Z R 3 5 / 1 1 Verkündet am: 14. Oktober 2014 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk:
5 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 02. Juni 2015 - X ZR 103/13.

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Apr. 2019 - X ZR 61/17

bei uns veröffentlicht am 18.04.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 61/17 Verkündet am: 18. April 2019 Zöller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache ECLI:DE:BGH:2019:180419UXZR61.17.0

Bundesgerichtshof Urteil, 31. Juli 2018 - X ZR 108/16

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 108/16 Verkündet am: 31. Juli 2018 Zöller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache ECLI:DE:BGH:2018:310718UXZR108.16.0

Bundesgerichtshof Urteil, 24. Apr. 2018 - X ZR 50/16

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 50/16 Verkündet am: 24. April 2018 Zöller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nei

Landgericht Mannheim Urteil, 17. Nov. 2016 - 7 O 19/16

bei uns veröffentlicht am 17.11.2016

Tenor I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin in einer gesonderten Aufstellung, hinsichtlich der Angaben zu a und b unter Vorlage von Rechnungen oder Lieferscheinen oder Quittungen, darüber Angaben zu machen, in welchem Umfang sie sei

Referenzen

Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 58/11 Verkündet am:
22. Mai 2012
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Mai 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens sowie die
Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 30. März 2011 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Beklagte ist Inhaber des europäischen Patents 1 366 968 (Streitpatents ), das am 25. April 2003 angemeldet wurde. Das Streitpatent umfasst 19 Patentansprüche. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut: "Zusammenklappbarer Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestellt (1), das mindestens aufweist: - zwei obere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig verlaufende, durch- gehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete Gestellholme (2a, 2b), deren untere Enden zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar an einem Verbindungsteil (3) angekoppelt sind, - an welchem Verbindungsteil (3) zwei untere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig verlaufende, durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete verschwenkbare Gestellholme (4a, 4b) angeordnet sind, an deren hinteren Enden Radlagerhalter (5) für hintere Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind, - mindestens eine vordere Radanordnung (7) mit mindestens einem Rad, die mittels mindestens eines Radlagerhalters (8) an dem Verbindungsteil (3) oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme (4a, 4b) befestigt ist, gekennzeichnet durch: - ein aufstellbares Spreizgestänge (9) in Form eines Kreuzgestänges , das in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) an den Holmen (2a, 2b; 4a, 4b) und diese verbindend vorgesehen und derart ausgebildet ist, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells die oberen und die unteren Holme (2a, 2b) in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind und beim Zusammenlegen des Spreizgestänges (9) die oberen und unteren Holme (4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken."
2
Die Patentansprüche 2 bis 19 sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, dass der Gegenstand des Streitpa3 tents unzulässig erweitert und gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig sei.
4
Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin und beantragt, das Urteil des Patentgerichts abzuändern und das Streitpatent für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
5

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Die Patentan6 sprüche 1 bis 19 gehen nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, und ihr Gegenstand ist patentfähig (Art. 138 Abs. 1 a und c EPÜ i.V.m. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 3 IntPatÜbkG).
7
I. Das Streitpatent betrifft einen zusammenklappbaren Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen.
8
In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, dass aus dem US-Patent 3 881 739 (K 4, auf derselben Priorität beruhend: Offenlegungsschrift 2 348 716, K 4'), aus welchem die nachfolgende Zeichnung stammt, ein Kinderwagen mit einer Rahmenkonstruktion bekannt sei, die ein unteres, scherenartig an einem Gelenkstück angelenktes Paar von Seitenholmen (1, 1') aufweise, die durch zusammenklappbare Querholme miteinander verbunden seien. Auf den Seitenholmen seien verschiebbare Gelenke für die schwenkbewegliche Befestigung von Rückenholmen (5, 5') vorgesehen, an deren Ende jeweils ein Schiebegriff angebracht sei. Zur Stabilisierung der Konstruktion in aufgestellter Lage seien zwischen den beiden Rückenholmen obere und untere Querholme (8, 8', 9, 9') vorgesehen, die jeweils an einem Ende aus zwei gleich langen, gelenkig miteinander verbundenen Stangen bestünden und an einem anderen Ende an den Rückenholmen angelenkt seien. An den Rückenholmen seien vorderseitig Sitzholme (11, 11') angelenkt, die schwenkbeweglich mit ihren vorderen Enden an Lagern der Seitenholme befestigt seien. Rückseitig der Rückenholme seien Beinstützen vorgesehen, die mit ihren anderen Enden an den Querholmen drehgelenkig befestigt seien. Durch die verschiebliche Anordnung der Gelenke an den Rückenholmen einerseits und durch die zusammenlegbaren Querholme andererseits könne das Wagengestell bei gleichzeitigem Verschieben der Gelenke für die Rückenholme auf den Seitenholmen vollständig zusammengelegt werden.
9
Zudem wird in der Klagepatentschrift auf die französische Patentanmeldung 75 14964 (K 7) verwiesen, aus der die nachfolgende Zeichnung stammt:
10
Aus der K 7 sei ein zusammenlegbares Kinderwagengestell bekannt, das einen gleichen Aufbau wie das aus der K 4 bekannte Gestell aufweise, bei dem jedoch anders als bei der K 4 die Rückenholme (14, 14') an festen Lagern an den Seitenholmen (1, 1') schwenkbeweglich gelagert seien und die Rückenholme unterhalb eines zusammenlegbaren Scherengestänges (18, 18', 19, 19'), das als Spreizgestänge zwischen den Rückenholmen vorgesehen sei, geteilt und gegeneinander verschwenkbar ausgeführt seien, so dass diese zusammen mit den Sitzholmen ein Kräfteparallelogramm bildeten. Für die Spreizung der Seitenholme sei zusätzlich ein zusammenlegbarer Querholm zwischen den unteren Abschnitten der Rückenholme vorgesehen.
11
Dem Streitpatent liegt demnach das Problem ("die Aufgabe") zugrunde, die bekannten zusammenklappbaren Schiebewagen derart fortzuentwickeln, dass diese bei vereinfachter Konstruktion leicht aufgestellt und zusammengeklappt werden können.
12
Das soll nach der Lehre aus Patentanspruch 1 durch eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen erreicht werden: 1. Zusammenklappbarer Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell, das aufweist: 1.1 zwei obere Gestellholme (2a, 2b), 1.2 zwei untere Gestellholme (4a, 4b), 1.3 ein Verbindungsteil (3), 1.4 ein Spreizgestänge (9) und 1.5 eine vordere Radanordnung (7) und 1.6 hintere Räder oder Räderanordnungen (6).
2. Die oberen Gestellholme (2a, 2b) 2.1 sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildet, 2.2 sind spiegelbildlich angeordnet, 2.3 verlaufen von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig,
3. Die unteren Gestellholme (4a, 4b), 3.1 sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildet, 3.2 sind spiegelbildlich angeordnet, 3.3 verlaufen von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig. 3.4 sind verschwenkbar und 3.5 weisen hintere Enden auf, an denen Radlager (5) für die hinteren Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind.
4. An dem Verbindungsteil (3) sind
4.1 die unteren Enden der oberen Gestellholme (2a, 2b) zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar gekoppelt und 4.2 die unteren Gestellholme (4a, 4b) angeordnet.
5. Die vordere Radanordnung (7) 5.1 weist mindestens ein Rad auf und 5.2 ist mittels mindestens eines Radlagerhalters (8) an dem Verbindungsteil (3) oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme (4a, 4b) befestigt.
6. Das Spreizgestänge (9) ist 6.1 aufstellbar und 6.2 in Form eines Kreuzgestänges ausgebildet. 6.3 Das Kreuzgestänge ist 6.3.1 an den Holmen (2a, 2b; 4a, 4b) in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) und die Holme (2a, 2b; 4a, 4b) verbindend vorgesehen, 6.3.2 derart ausgebildet, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells (1) die oberen und die unteren Holme (2a, 2b; 4a, 4b) in die charakteristische VPosition sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind, und 6.3.3 derart ausgebildet, dass beim Zusammenlegen des Spreizgestänges (9) die oberen und unteren Holme (2a, 2b; 4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.
13
Die nachfolgend wiedergegebene Zeichnung stammt aus der Streitpatentschrift und zeigt beispielhaft einen erfindungsgemäßen zusammenklappbaren Schiebewagen.


14
Aus Sicht des Fachmanns, bei dem es sich - wie vom Patentgericht, von der Berufung unbeanstandet, festgestellt - um einen Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau handelt, der bei einem Hersteller von Kinderwagengestellen mit Konstruktionsaufgaben befasst ist und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung verfügt, liegt das Konstruktionsprinzip des erfindungsgemäßen Wagengestells im Wesentlichen darin, dass die vier Gestellholme zum einen an demselben Verbindungsteil angelenkt sind und zum anderen untereinander durch ein als Kreuzgestänge ausgebildetes Spreizgestänge verbunden sind, so dass die oberen und die unteren Holme wie ein Regenschirm beim Aufstellen sowohl zu- als auch gegeneinander in eine V-Position gebracht werden und beim Zusammenlegen gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt werden.
15
Ein Kreuzgestänge, dessen Holme - wie bei dem in der K 7gezeigten Scherengestänge - lediglich in einer Ebene zueinander verschwenkt werden können, kann nicht als ein Kreuzgestänge im Sinne der Merkmalsgruppe 6.3 angesehen werden, weil dieses nicht derart ausgebildet ist, dass beim Zusammenlegen obere und untere Holme gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt werden (Merkmal 6.3.3).
16
II. 1. Das Patentgericht hat angenommen, dass Merkmal 3.4 keine unzulässige Erweiterung enthalte. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch von der Berufung nicht angegriffen.
17
2. Das Patentgericht hat weiter ausgeführt, die Aufnahme des Kreuzgestänges in den erteilten Patentanspruch 1 ohne dessen in der Beschreibung der Anmeldung angegebene konkrete Ausgestaltung erweitere nicht die Ursprungsoffenbarung. Bereits der ursprüngliche Anspruch 1 enthalte keine Festlegung auf eine bestimmte Bauform des Spreizgestänges. Davon werde auch ein Kreuzgestänge beliebiger Bauart, lediglich spezifiziert durch die Bedingung des durch Betätigung bewirkten Faltvorgangs des Wagengestells, umfasst. Die in der ursprünglichen Beschreibung konkret angegebene Ausgestaltung des Kreuzgestänges sei aus fachmännischer Sicht nicht zwingend erforderlich. Entsprechend deute der Fachmann auch die betreffenden Ausführungen in der Beschreibung als lediglich beispielhaft gemeinte Angaben.
18
Das demgegenüber von der Berufung vorgetragene Argument, wonach lediglich ein Spreizgestänge in Form eines Kreuzgestänges mit den in der Beschreibung der Anmeldung genannten Merkmalen ursprungsoffenbart sei (vgl. S. 3 der Anmeldung, Z. 5 bis 15), überzeugt nicht.
19
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist der Anmelder, der eine in einem Ausführungsbeispiel der Anmeldung gezeigte vorteilhafte Ausgestaltung zu einer Beschränkung des Gegenstands des Patentanspruchs heranziehen möchte, nicht gezwungen, sämtliche Merkmale dieses Ausführungsbeispiels zu übernehmen. Er kann sich vielmehr, wenn mehrere Merkmale des Ausführungsbeispiels gemeinsam, aber auch je für sich dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, darauf beschränken, einzelne Merkmale in den Patentanspruch aufzunehmen. Es darf sich lediglich kein Gegenstand ergeben, den der Fachmann den Ursprungsunterlagen nicht als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann (BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - X ZR 88/09, GRUR 2012, 475 Rn. 34 - Elektronenstrahltherapiesystem; Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung ).
20
Im Streitfall erschloss es sich dem Fachmann ohne weiteres, dass der Inhalt der Patentanmeldung auch Spreizgestänge umfassen soll, die allgemein in Form eines Kreuzgestänges ausgebildet sind. Zwar ist dieses Merkmal noch nicht Gegenstand des Patentanspruchs 1 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Der gleichermaßen als Teil der Ursprungsoffenbarung zu berücksichtigenden Beschreibung der Anmeldung (vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Juli 2011 - X ZR 75/08, GRUR 2011, 1109 Rn. 36 - Reifenabdichtmittel, m.w.N) konnte der Fachmann jedoch entnehmen, dass "ein Spreizgestänge in Form eines Kreuzgestänges" "besonders vorteilhaft" sei (S. 3, Z. 5 f.), mithin als erfindungsgemäß mit umfasst sein sollte. Dem steht auch nicht entgegen, dass in Bezug auf das "Kreuzgestänge" in der Beschreibung weiter ausgeführt wird, "z.B. in X-Form, wenn dieses aus geteilten Stützstreben besteht, die schwenkbeweglich an Schwenkhaltern an den Holmen einerseits und an einem Lagerhalter , der zentrisch vorgesehen ist, andererseits angelenkt sind, so dass - wie beim Regenschirm - die Streben durch Bewegen des Lagerhalters in Längsrichtung zum einen aufgestellt und zum anderen zusammengefaltet werden. In der aufgestellten Position können dabei die schwenkbar gelagerten Enden in Füh- rungsaufnahmen eingreifen und hierin seitlich gesichert sein." Denn wie sich für den Fachmann bereits aus der Einleitung "z.B." ergibt, handelt es sich insoweit lediglich um eine beispielhafte Ausgestaltung des Kreuzgestänges. Selbst wenn diese Einleitung - wie von der Berufung vorgetragen - nach sprachlichen Regeln lediglich auf die "X-Form" zu beziehen sein sollte, offenbart es sich dem Fachmann dennoch als zweifelsfrei, dass nicht ausschließlich ein Kreuzgestänge "in X-Form" mit der anschließend beschriebenen Merkmalskombination als ein Spreizgestänge im Rahmen der Lehre aus Patentanspruch 1 gemeint ist. Denn sind neben der "X-Form" auch nicht näher spezifizierte und damit beliebige andere Formen zulässig, gibt es aus fachlicher Sicht keinen Grund, Kreuzgestänge allein in der näher beschriebenen Merkmalskombination und nicht auch allgemein als möglich anzusehen.
21
III. 1. Das Patentgericht ist zudem zu dem Ergebnis gekommen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 patentfähig sei. Der darin beanspruchte Schiebewagen sei gegenüber der K 7 neu. Die oberen Gestellholme (15, 15') seien dort nicht am Verbindungsteil (2), sondern jeweils separat für sich an derselben Gestellseite zugeordneten unteren Holm (1, 1') befestigt. Zudem sei das Kreuzgestänge nicht an den oberen und unteren Gestellholmen angebracht und verbinde diese nicht. Vielmehr sei das Kreuzgestänge zwischen den an der Aufspreizung der oberen und unteren Holme beteiligten und damit dem Spreizgestänge zuzurechnenden Rückenholmen (5, 5') angeordnet. Die Auffassung der Klägerin, dies sei nichts anderes als eine von Patentanspruch 1 umfasste "mittelbare" Verbindung der Gestellholme durch das Kreuzgestänge, gehe am Wortlaut des Anspruchs vorbei. Diese Ausführungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken und sind von der Berufung auch nicht beanstandet worden.
22
2. a) Das Patentgericht hat weiter angenommen, dass der Schiebewagen nach Patentanspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dieser werde durch die Gestellkonstruktion nach der K 7 nicht nahegelegt. Darin werde ge- lehrt, die oberen Gestellholme (15, 15') jeweils für sich an dem derselben Gestellseite zugeordneten unteren Gestellholme (1, 1') anzulenken und ein Kreuzgestänge (18, 18', 19, 19') zwischen weiteren Holmen des Spreizgestänges (Rückenholme 12, 12', 14, 14') derart anzuordnen, dass die Faltbewegung des Kreuzgestänges ein Aufeinanderzubewegen der Gestellholme lediglich in Richtung der Gestellbreite bewirke. Zum Aufeinanderzubewegen der Gestellholme in Richtung der Gestellhöhe seien mit Gelenken versehene weitere Gestängeteile und Knickstellen erforderlich. Eine Anregung zur Abkehr von diesem Konstruktionsprinzip sei nicht zu erkennen. Erst recht fehle es an einer Anregung zur Anlenkung der vier Gestellholme an demselben Verbindungsteil und des Kreuzgestänges an den vier Holmen derart, dass beim Zusammenlegen des Kreuzgestänges die Holme aus ihrer nach Höhe und Seite gerichteten Spreizstellung gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.
23
Eine solche Anregung ergebe sich auch nicht aus der K 4, bei der - bei ansonsten im Wesentlichen gleichem Konstruktionsprinzip wie aus der K 7 bekannt - das Wagengestell nicht einmal ein Kreuzgestänge aufweise.
24
Bei dem aus der US-Patentschrift 3 836 164 (K 8) bekannten Kinderwagengestell seien zwar die oberen Gestellholme (1) und die unteren Gestellholme (3) durch ein aufstellbares Kreuzgestänge (16, 17, 18) miteinander verbunden und schwenkten beim Zusammenlegen des Kreuzgestänges gleichzeitig aufeinander zu. Die Gestellholme seien jedoch nicht an einem gemeinsamen Verbindungsteil angelenkt und wiesen keine von vorn nach hinten verlaufende V-Form auf.
25
b) Die Ausführungen des Patentgerichts halten der Berufung stand.
26
Eine Anregung, das Kreuzgestänge entsprechend der in der Merkmalsgruppe 6.3 beschriebenen Konstruktion auszugestalten, ist der K 7 nicht zu entnehmen. Das demgegenüber von der Berufung vorgebrachte Argument, bei dem in der K 7 offenbarten wie auch bei dem im Streitpatent beanspruchten Schiebewagen würden gleichermaßen die oberen und die unteren Holme in der Aufstellposition in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht und beim Zusammenlegen die oberen und die unteren Holme gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt, verkennt, dass dieser gemeinsame Effekt mit unterschiedlichen räumlich-körperlichen Mitteln erreicht wird und dem Fachmann in der K 7 keine Anregung vermittelt wird, statt der dort offenbarten aufwändigen die im Streitpatent beanspruchte einfache Konstruktion zu wählen.
27
Dem Patentgericht ist zudem in der Bewertung zuzustimmen, dass die K 7 dem Fachmann auch keinen Anlass gab, die vier Gestellholme an demselben Verbindungsteil in einer Weise anzulenken, dass beim Zusammenlegen des Kreuzgestänges die Holme aus ihrer nach Höhe und Seite gerichteten Spreizstellung gleichzeitig aufeinanderzuverschwenken.
28
Der K 4 konnte der Fachmann einen zusammenklappbaren Schiebewagen mit einem Wagengestell entnehmen, das zwei obere und zwei untere Gestellholme (11, 11', 1, 1'), ein Verbindungsteil (2) und eine vordere Radanordnung (3) aufweist. Die oberen und unteren Gestellholme sind entsprechend den Merkmalen 2 und 3 ausgestaltet. Sie stehen rückwärtig über eine Anordnung mehrerer gelenkig miteinander verbundener Längs- und Querholme (5, 5', 8, 8', 9, 9', 10) in Verbindung. Wie sich aus den zutreffenden Ausführungen des Patentgerichts ergibt, kommt dieser Anordnung von Längs- und Querholmen die Funktion eines Spreizgestänges zu, das es ermöglicht, das Wagengestell in zwei hintereinander folgende Bewegungen von der Aufstellposition, bei der sich die oberen und unteren Holme zu- und gegeneinander in einer V-Position befinden , in eine zusammengelegte Position zu verbringen. Dabei werden zunächst jeweils die oberen und unteren Gestellholme (11, 11', 1, 1') sowie die Rückenholme (5, 5') durch eine Schwenkbewegung in eine zueinander im Wesentlichen parallele Lage zusammen gebracht. Sodann erfolgt durch eine gleitende Bewegung die Verbringung der oberen Gestellholme (11, 11') sowie der Rückenholme (5, 5') in eine zu den unteren Gestellholmen (1, 1') im Wesentlichen parallele Lage (vgl. K 4, Sp. 4, Z. 33 ff.; K 4', S. 8, Abs. 1 und 2; Figuren 4 und 5).
29
Im Hinblick auf diesen unterschiedlichen Bewegungsablauf ist entgegen der Berufung bereits nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund der Fachmann durch die K 4 veranlasst gewesen sein soll, bei der K 7 die schwenkbar ausgestaltete Befestigung der oberen Gelenkholme (15, 15') mit ihren unteren Enden von den unteren Gelenkholmen (1, 1') an das Verbindungsteil (2) zu verlegen. Auf jeden Fall enthält die K 4 aber keine Anregung, das aus der K 7 bekannte Wagengestell mit einem Kreuzgestänge auszustatten, das den Anforderungen der Merkmalsgruppe 6.3 entspricht.
30
Eine solche Anregung folgt auch nicht aus der K 8, aus der die nachfolgenden Zeichnungen stammen und die ein Kinderwagengestell offenbart, das auf jeder Seite einen oberen und einen unteren Gestellholm (1, 3) aufweist. Die beiden Gestellholme sind jeweils über ein Verbindungsstück (2) miteinander verbunden. An jedem unteren Ende der oberen Gestellholme ist ein Vorderrad befestigt, während an jedem der unteren Enden der unteren Gestellholme ein Hinterrad angeordnet ist. Die oberen und die unteren Gestellholme sind durch ein Kreuzgestänge (16, 17, 18) miteinander verbunden.
31
Dem Patentgericht ist darin beizutreten, dass der Fachmann durch diese Entgegenhaltung nicht dazu veranlasst wird, das aus der K 7 bekannte Wagengestell im Sinne der in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten Konstruktion abzuändern. Die in der K 7 und in der K 8 gezeigten Konstruktionen weisen erhebliche Unterschiede auf. Bei dem in der K 7 gezeigten Wagengestell werden die V-förmig zueinander angeordneten oberen und unteren Gestellholme (1, 1', 15, 15') vorderseitig durch das Verbindungsteil (2) sowie rückseitig durch die beiden Rückenholme (14, 14'), die wiederum über der Kreuzgestänge (18, 18', 19, 19') und die weiteren Holme (17, 17') miteinander in Verbindung stehen, verbunden. Die gelenkige Ausgestaltung dieser Komponenten ermöglicht das Aufstellen und Zusammenlegen des Wagens. Demgegenüber beinhaltet das in der K 8 offenbarten Gestell eine wesentlich einfachere Konstruktion, bei der die parallelen oberen und unteren Gestellholme (1, 3) lediglich über ein Kreuzgestänge (16, 17, 18) miteinander verbunden sind, welches das Aufstellen und Zusammenlegen des Wagens erlaubt. Die Berufung hat nicht aufgezeigt und es ist auch sonst nicht erkennbar, welche Überlegungen den Fachmann dazu hätten bringen können, ungeachtet dieser erheblichen Unterschiede den Einbau eines die oberen und unteren Holme verbindenden Kreuzgestänges zu erwägen und überdies ein für diese Holme gemeinsames Verbindungsteil vorzusehen.
32
An dieser Beurteilung ändert sich auch dann nichts, wenn mit der Berufung das in den Figuren 12 bis 14 gezeigte und in der Beschreibung der K 8 weiter erläuterte weitere Ausführungsbeispiel mit berücksichtigt wird (vgl. K 8, Sp. 4, Z. 46 ff.). Bei diesem sind an einem oberen Verbindungsstück (18') vier Hebel (17') angelenkt, an deren Enden sich die Räder (5', 6') befinden. Zudem ist ein unteres Verbindungsstück (105) vorgesehen, an dem die Hebel (106) angelenkt sind, deren andere Enden wiederum mit den Hebeln (17') gelenkig verbunden sind. Wird das untere Verbindungsstück (105) durch den Stab (104) von dem oberen Verbindungsstück (18') weggeschoben, werden alle vier angelenkten Hebel (106) zur Mitte zusammengezogen und führen damit auch die Hebel (17') mit den Rädern (5', 6') in der Mitte zusammen. Umgekehrt bewirkt ein Heranziehen des unteren Verbindungsstücks (105) an das obere Verbindungsstück (18'), dass die Hebel (106) und folglich auch die Hebel (17') mit den Rädern (5', 6') auseinandergespreizt werden. Denn auch im Hinblick auf dieses in der K 8 offenbarte Ausführungsbeispiel ist festzustellen, dass das durch das Verbindungsstück (105) und die Hebel (106) gebildete Kreuzgestänge Teil einer Konstruktion ist, die sich in erheblicher Weise von der in der K 7 gelehrten Konstruktion unterscheidet und die Berufung nicht dargetan hat und auch sonst nicht ersichtlich ist, wodurch der Fachmann dazu hätte veranlasst werden können , die K 7 derart fortzuentwickeln, dass diese sowohl das in der Merkmalsgruppe 6.3 geforderte Kreuzgestänge als auch das in der Merkmalsgruppe 4 vorgesehene Verbindungsstück aufweist.
33
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Mühlens Gröning
Grabinski Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 30.03.2011 - 5 Ni 10/10 (EU) -
16
Dabei wird verkannt, dass ein erteilter Patentanspruch Rechtsnormcharakter hat (so wörtlich Sen.Beschl. v. 8.7.2008 - X ZB 13/06 Tz. 13, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II) und es eine Rechtsfrage ist, was sich aus einem Patentanspruch als geschützter Gegenstand ergibt (st. Rspr. seit BGHZ 142, 7 - Räumschild, vgl. z.B. BGHZ 160, 204 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung ). Damit verbietet es sich, diese Frage unbeantwortet zu lassen. Denn in der verbindlichen Beantwortung von Rechtsfragen besteht die Aufgabe des angerufenen Gerichts, von der es auch dann nicht entbunden ist, wenn die Rechtsnorm unklar oder deren Auslegung schwierig ist. Gerade im Hinblick auf die Patentauslegung hat der Senat auch schon wiederholt ausgesprochen, dass hiermit unter anderem etwaige Unklarheiten behoben werden müssen (z.B. BGHZ 150, 149 - Schneidmesser I; Sen.Urt. v. 28.10.2003 - X ZR 76/00, GRUR 2004, 413 - Geflügelkörperhalterung). Das duldet nicht, dass der Verletzungsrichter sich darauf zurückzieht, den Erfindungsgegenstand ganz oder teilweise nicht bestimmen zu können. In jedem Fall hat das Verletzungsgericht diejenige Bedeutung der Angaben des auszulegenden Patentanspruchs zu bestimmen, die nach dem sonstigen Inhalt der Patentansprüche unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen als sinnvoll erkannt werden kann. Nur das steht auch in Einklang mit der Erfahrung, dass Fachleute bestrebt sind, einem Patent einen sinnvollen Gehalt zu entnehmen (Sen.Beschl. v. 8.7.2008 - X ZB 13/06 Tz. 21, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II; Sen.Urt. v. 23.10.2007 - X ZR 275/07 Tz. 19).
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(1) Die Kläger waren offenkundig ohne ihr Verschulden gehindert, die Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu wahren. Ohne den Hinweis des Senats im Beschluss vom 29. Juni 2010 mussten sie nämlich nicht erkennen, dass die Darlegung des nachträglich entstandenen Zulassungsgrundes mittels eines fristgebundenen Gesuchs auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geltend zu machen ist. Denn weder der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch der rechtswissenschaftlichen Literatur waren insoweit entsprechende Hinweise zu entnehmen. Erstmals der Beschluss vom 29. Juni 2010 hat die sich insoweit ergebende Notwendigkeit aufgezeigt. Obgleich fehlende Rechtskenntnis im Regelfall als Wiedereinsetzungsgrund nicht genügt (vgl. MünchKomm /Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 233 Rn. 56), ist den Klägern damit trotz anwaltlicher Vertretung eine Verkennung der Rechtslage in der hier vorliegenden speziellen Fallkonstellation ausnahmsweise nicht anzulasten.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

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Wie ein Patent auszulegen ist, ist eine Rechtsfrage, weshalb die Auslegung vom Revisionsgericht auch in vollem Umfang nachprüfbar ist (st. Rspr.; s.
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Zwar bildet das fachmännische Verständnis der im Patentanspruch verwendeten Begriffe und des Gesamtzusammenhangs des Patentanspruchs die Grundlage der Auslegung, weil sich der Patentanspruch an die Fachleute eines bestimmten Gebiets der Technik richtet. Das bedeutet jedoch nur, dass sich der Tatrichter gegebenenfalls sachverständiger Hilfe bedienen muss, wenn es um die Frage geht, inwieweit objektive technische Gegebenheiten, ein etwaiges Vorverständnis der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Sachkundigen, ihre üblicherweise zu erwartenden Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen und die methodische Herangehensweise solcher Fachleute das Verständnis des Patentanspruchs und der in ihm und in der Beschreibung verwendeten Begriffe bestimmen oder jedenfalls beeinflussen können (BGHZ 164, 261, 268 – Seitenspiegel ; BGHZ 171, 120 Tz. 18 – Kettenradanordnung).

Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

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a) Das Patentgericht hat eine zusammenhängende Ermittlung der mit Patentanspruch 1 gegebenen technischen Lehre unterlassen und lediglich bei der Prüfung der Neuheit jeweils Ausführungen zum Sinngehalt einzelner Merkmale gemacht. Im Rahmen der Auslegung sind jedoch der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen (BGH, Urteil vom 3. Juni 2004 - X ZR 82/03, BGHZ 159, 221, 226 - Drehzahlermittlung; Urteil vom 13. Februar 2007 - X ZR 74/05, BGHZ 171, 120 Rn. 18 f. - Kettenradanordnung I; Beschluss vom 17. April 2007 - X ZB 9/06, BGHZ 172, 108 Rn. 13 f. - Informationsübermittlungsverfahren I; Urteil vom 31. Mai 2007 - X ZR 172/04, BGHZ 172, 298 Rn. 38 - Zerfallszeitmessgerät; Urteil vom 29. Juni 2010 - X ZR 193/03, BGHZ 186, 90 Rn. 13 - Crimpwerkzeug III). Die Bestimmung des Sinngehalts eines einzelnen Merkmals muss stets in diesem Kontext erfolgen, aus dem sich ergeben kann, dass dem Merkmal eine andere Bedeutung zukommt als einem entsprechenden Merkmal in einer zum Stand der Technik gehörenden Entgegenhaltung. Denn für das Verständnis entschei- dend ist zumindest im Zweifel die Funktion, die das einzelne technische Merkmal für sich und im Zusammenwirken mit den übrigen Merkmalen des Patentanspruchs bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat. Dabei sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind, unabhängig davon, ob diese Auslegung die Grundlage der Verletzungsprüfung oder der Prüfung des Gegenstands des Patentanspruchs auf seine Patentfähigkeit ist (BGHZ 186, 90 Rn. 13 - Crimpwerkzeug

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. Januar 2013 verkündete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

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Die Beklagte ist Inhaberin des am 20. März 2001 unter Inanspruchnahme einer britischen Priorität vom 15. April 2000 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 275 192.

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Patentanspruch 1 lautet:

"A machine for the manufacture of elements (8) from strip stock, the elements (8) in use being stacked to provide an assembly of stacked elements (8) for an electrical motor, each element (8) including body (10) and pole (12) portions which are integrally formed, the machine including a die assembly including a first die member (22) for providing by punching at least parts of the body portions (10) of each element and a second die member (32) for providing by punching, the pole portions (12) of each element (8), and characterised in that the body and pole die members (22, 32) are relatively moveable between successive punching operations when the body and pole portions (10, 12) of the elements (8) are provided, whereby incremental adjustment of the position of the second die member (32) relative to the first die member (22) is effected so that whilst each of the body portions (10) of the elements (8) is provided along a common centre line, the pole portion (12) of each of the successive elements (8) is incrementally offset relative to the pole portion (12) of each of the respective previous elements (8) with respect to the said common centre line of the body portion (10)."

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Die Klägerinnen machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei unzulässig erweitert und nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent wie erteilt und hilfsweise mit mehreren geänderten Anspruchssätzen verteidigt.

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Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

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Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die weiterhin die Abweisung der Klage erstrebt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht zur Prüfung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents. Die Annahme des Patentgerichts, mit dem Streitpatent sei ein "Aliud" gegenüber der Anmeldung unter Schutz gestellt worden, hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

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I. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Herstellen von Elementen aus bandförmigem Material, wobei die Elemente im Gebrauch aufeinander gestapelt werden, um eine Anordnung von gestapelten Elementen für eine elektrische Maschine zu bilden. Eine elektrische Maschine mit ausgeprägten Polen ist, wie das Patentgericht ausgeführt hat, unter dem Fachbegriff Schenkelpolmaschine bekannt. Für Käfig- und Drehstromwicklungen ist es üblich, zur Geräusch- und Oberwellendämpfung die Nuten zu schrägen. Die Einzelbleche werden gegeneinander versetzt, so dass Nuten und Leiter wendelförmig verlaufen, gegebenenfalls auch abschnittsweise mit unterschiedlicher Schrägungsrichtung, so dass sich eine als Winkel- oder Pfeilform bezeichnete Form ergibt. Auch nach dem Streitpatent sollen die Polabschnitte winkelförmig geschrägt werden, die Grundkörper hingegen unverändert bleiben, wie in (der nachfolgend mit Figur 1 wiedergegebenen) Figur 2 des Streitpatents gezeigt.

Abbildung

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Dazu müssen im Stand der Technik entweder beide Teile einzeln gefertigt und beispielsweise durch Schweißen verbunden werden oder es ist für jedes Blech eine gesonderte Form zu stanzen, was eine große Zahl verschiedener Stanzwerkzeuge erfordert. Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, einen Rotor mit dem gewünschten Winkelprofil einfacher herzustellen. Erfindungsgemäß wird dies durch zwei Stanzwerkzeuge erreicht, die schrittweise (inkrementell) gegeneinander bewegt werden und so eine sukzessive Verschiebung des Polabschnitts zum Grundkörper bewirken.

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Das Patentgericht hat Patentanspruch 1 wie folgt in Merkmale gegliedert:

1.1 Vorrichtung zum Herstellen von Elementen

1.2 aus bandförmigem Material,

1.3 wobei die Elemente im Gebrauch aufeinandergestapelt werden, um eine Anordnung von gestapelten Elementen für eine elektrische Maschine zu bilden,

1.4 wobei jedes Element Grundkörper und Polabschnitte aufweist, die integral ausgebildet sind,

2. wobei die Maschine eine Stanzanordnung aufweist,

2.1 die mit einem ersten Stanzelement versehen ist, zum Bereitstellen durch Ausstanzen zumindest von Teilen der Grundkörperabschnitte eines jeden Elements,

2.2 und ein zweites Stanzelement zum Bereitstellen durch Ausstanzen der Polabschnitte eines jeden Elements, und dadurch gekennzeichnet,

3.1 dass die Stanzelemente für Grundkörper und Pole relativ zueinander bewegbar sind, zwischen aufeinanderfolgenden Stanzvorgängen,

3.2 wenn die Grundkörper- und Polabschnitte der Elemente gebildet werden,

4. wobei eine schrittweise Einstellung der Position des zweiten Stanzelements relativ zu dem ersten Stanzelement so ausgeführt wird,

4.1 dass während jeder der Grundkörperabschnitte der Elemente entlang einer gemeinsamen Mittellinie gebildet wird,

4.2 der Polabschnitt eines jeden der aufeinanderfolgenden Elemente schrittweise relativ zu dem Polabschnitt eines jeden entsprechenden vorangehenden Elements in Bezug auf die genannte gemeinsame Mittellinie des Grundkörperabschnitts versetzt ist.

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II. Das Patentgericht hat in diesem Gegenstand eine unzulässige Erweiterung der Ursprungsoffenbarung gesehen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

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Der Anspruch stütze sich auf Anspruch 11 der Anmeldung, wobei

- die Merkmale 1.2 bis 1.4 neu hinzugekommen seien,

- in Merkmal 3.1 der zweite Halbsatz neu hinzugekommen sei,

- in den Merkmalen 4 und 4.2 "schrittweise" ergänzt worden sei,

- der auf Rotorelemente beschränkte Anspruch 11 auf Elemente verallgemeinert worden sei,

- die Zuordnung der Grundkörperabschnitte und der Polabschnitte zu den Stanzelementen nach Merkmalen 2.1 und 2.2 vertauscht worden sei,

- nach diesen Merkmalen zumindest Teile der Grundkörperabschnitte und die Polabschnitte (insgesamt) ausgestanzt würden, während es nach Anspruch 11 der Anmeldung umgekehrt sei,

- aus der Mittellinie des zugehörigen Grundkörperabschnitts eine gemeinsame Mittellinie des Grundkörperabschnitts geworden sei.

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Während sich die ersten drei Abweichungen von Anspruch 11 der Anmeldung aus den Ursprungsunterlagen ableiten ließen und die vierte als zulässige Verallgemeinerung angesehen werden könne, seien die weiteren Änderungen nicht mehr zulässig. Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin handele es sich nicht um einen offensichtlichen Fehler in der Formulierung des Patentanspruchs, der berichtigt werden könne. Anspruch 1 sei in sich schlüssig und lasse keine Widersprüche erkennen. Die von der Beklagten gesehenen Widersprüche zur Beschreibung und zu den Zeichnungen könnten nur im Rahmen der Auslegung berücksichtigt werden.

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Hierzu hat das Patentgericht ausgeführt, Patentanspruch 1 lasse offen, welches Stanzelement stationär und welches beweglich sei; beansprucht sei nur die Relativbewegung. In den Merkmalen 4.1 und 4.2 spreche der Anspruch von einer gemeinsamen Mittellinie als Bezugslinie für die Bewegung. In den ursprünglichen Unterlagen werde die Mittellinie auf den Grundkörperabschnitt bezogen. Werde die Mittellinie aber auf das Blechband oder die Stanzanlage bezogen, wären das erste Stanzelement und die Grundkörperabschnitte stationär und folglich die zweiten Stanzelemente und die Polabschnitte beweglich angeordnet, was ein Aliud zu der ursprünglich offenbarten und in den Figuren dargestellten Anlage darstelle. Der Argumentation der Klägerinnen folgend, die in der beanspruchten gemeinsamen Mittellinie des Grundkörperabschnitts etwas anderes sähen als in der ursprünglich offenbarten Mittellinie des zugehörigen Grundkörperabschnitts, sei als mit dem Streitpatent beansprucht eine Anlage anzusehen, bei der die Grundkörperabschnitte beim Ausstanzen auf einer nunmehr gemeinsamen Mittellinie lägen und das zugehörige Stanzwerkzeug folglich stationär sei. Dass sich die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele ausschließlich auf eine Anlage mit einem stationären Stanzwerkzeug für die Polabschnitte und einem beweglichen Stanzwerkzeug für die Grundkörperabschnitte bezögen, könne den Sinngehalt der Patentansprüche nicht in ihr Gegenteil verkehren. Eine Auslegung entgegen dem Wortlaut (im Sinne einer Auslegung entgegen dem Sinngehalt) der Patentansprüche sei nicht zulässig.

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III. Diese Beurteilung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Bei zutreffender Auslegung des Patentanspruchs 1 enthält dieser nicht die vom Patentgericht angenommenen Abweichungen vom Offenbarungsgehalt der Anmeldung, und entsprechendes gilt für den Verfahrensanspruch 7.

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1. Zu Recht rügt die Berufung, dass es das Patentgericht unterlassen hat, Patentanspruch 1 zunächst unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen auszulegen, bevor es sich der Frage zuwandte, ob der Gegenstand des Streitpatents, der als das Ergebnis der Auslegung zutage tritt, in den ursprünglichen Unterlagen als die angemeldete Erfindung oder als dieser zugehörig offenbart ist.

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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Auslegung des Patentanspruchs stets geboten und darf auch dann nicht unterbleiben, wenn der Wortlaut des Anspruchs eindeutig zu sein scheint (s. nur BGH, Urteil vom 29. April 1986 - X ZR 28/85, BGHZ 98, 12, 18 - Formstein; Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 153 - Schneidmesser I; Beschluss vom 17. April 2007 - X ZB 9/06, BGHZ 172, 108 - Informationsübermittlungsverfahren I; Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107, Rn. 27 - Polymerschaum I). Denn die Beschreibung des Patents kann Begriffe eigenständig definieren und insoweit ein "patenteigenes Lexikon" darstellen (BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909 - Spannschraube). Auch der Grundsatz, dass bei Widersprüchen zwischen Anspruch und Beschreibung der Anspruch Vorrang genießt, weil dieser und nicht die Beschreibung den geschützten Gegenstand definiert und damit auch begrenzt (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330, Rn. 23 - Okklusionsvorrichtung), schließt nicht aus, dass sich aus der Beschreibung und den Zeichnungen ein Verständnis des Patentanspruchs ergibt, das von demjenigen abweicht, das der bloße Wortlaut des Anspruchs vermittelt. Funktion der Beschreibung ist es, die geschützte Erfindung zu erläutern. Im Zweifel ist daher ein Verständnis der Beschreibung und des Anspruchs geboten, das beide Teile der Patentschrift nicht in Widerspruch zueinander bringt, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Patent zur Verfügung gestellten technischen Lehre als eines sinnvollen Ganzen versteht. Nur wenn und soweit dies nicht möglich ist, ist der Schluss gerechtfertigt, dass Teile der Beschreibung zur Auslegung nicht herangezogen werden dürfen. Eine Auslegung des Patentanspruchs, die zur Folge hätte, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würde, kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 - X ZR 35/11, GRUR 2015, 159, Rn. 26 - Zugriffsrechte).

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Der Inhalt der Ursprungsunterlagen oder der Veröffentlichung der Anmeldung bleibt bei der Auslegung außer Betracht. Weder darf der Patentanspruch - zur Vermeidung einer unzulässigen Erweiterung - nach Maßgabe des ursprünglich Offenbarten ausgelegt werden (BGHZ 194, 107, Rn. 28 - Polymerschaum I), noch darf umgekehrt sein Sinngehalt dadurch ermittelt werden, dass dem Wortlaut des Patentanspruchs abweichende Formulierungen der Anmeldung gegenübergestellt werden. Allenfalls dann, wenn zweifelhaft bleibt, ob sich Patentanspruch und Beschreibung sinnvoll zueinander in Beziehung setzen lassen, darf die "Anspruchsgeschichte" zur weiteren Klärung der Frage herangezogen werden, ob mit dem Anspruch ein Gegenstand unter Schutz gestellt worden ist, der von dem in der Beschreibung offenbarten abweicht oder hinter diesem zurückbleibt (BGHZ 189, 330, Rn. 25 - Okklusionsvorrichtung; BGHZ 194, 107, Rn. 28 - Polymerschaum I).

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2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich im Streitfall, dass die Merkmale 2.1 und 2.2 abweichend vom Wortlaut des Anspruchs dahin zu lesen sind, dass mit dem ersten Stanzelement zumindest Teile der Polabschnitte eines jeden Elements und mit dem zweiten Stanzelement die Grundkörperabschnitte eines jeden Elements durch Ausstanzen bereitgestellt werden.

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a) Mit der Erfindung soll, so heißt es im allgemeinen Teil der Beschreibung, eine Möglichkeit bereitgestellt werden, auf einfache Weise Rotorelemente mit Polabschnitten (Polköpfen) herzustellen, die um unterschiedliche Abstände zu einer Mittellinie des Grundkörperabschnitts (Polschafts) versetzt sind (Abs. 12 der Beschreibung). Bevorzugt ist dabei der vom ersten Stanzelement hergestellte Teil des Polabschnitts derjenige, der allen Rotorelementen (scil. unabhängig vom Ausmaß der Versetzung von der Mittellinie) gemeinsam ist (Abs. 13), d.h. der Polabschnitt wird vom ersten Stanzelement nur teilweise ausgestanzt, während der Rest des Materials beim nachfolgenden Ausstanzen des Grundkörperabschnitts weggenommen wird.

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Dies wird im Folgenden unter Bezugnahme auf die Zeichnungen, von denen die nachfolgend wiedergegebene Figur 4a wie die Figuren 5a und 6a Ansichten einer erfindungsgemäßen Vorrichtung darstellen (Abs. 17), näher erläutert.

Abbildung

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Danach ist auf einer Basisplatte 20 ein erstes ortsfestes Stanzelement (die member) 22 und benachbart zu diesem ein zweites bewegliches Stanzelement 32 angeordnet (Abs. 22). Das Stanzelement 22 weist zwei Stanzöffnungen 24a und 24b auf, von denen jede einer Fläche entspricht, die an einen Teil der Umfangslinie des Polabschnitts angrenzt (Abs. 23). Das bewegliche Stanzelement 32 weist Stanzöffnungen 34a und 34b auf, von denen jede einer Fläche entspricht, die an die (Längs-)Seite des Grundkörperabschnitts angrenzt, sowie eine sich dazwischen erstreckende dritte Stanzöffnung 35 (Abs. 24). Unter Ausnutzung dieser Stanzöffnungen werden mittels nicht dargestellter Stanzen die Rotorelemente ausgestanzt (Abs. 27 ff.), indem in Position B zunächst die Polabschnitte teilweise ausgestanzt werden (Abs. 28) und in Position C die Grundkörperabschnitte gestanzt werden (Abs. 29), so dass auf diese Weise mit dem Ausstanzen des Grundkörperabschnitts mittels der Stanzen (punch members) 64a und 64b und einer einteilig mit diesen ausgebildeten dritten Stanze 65 gleichzeitig das Ausstanzen der Polabschnitte vollendet wird und in Position D ein vollständiges Rotorelement bereitsteht (Abs. 30). Die Beschreibung erläutert weiter, es verstehe sich, dass die Stanzen beider Stanzelemente 22, 32 gleichzeitig betätigt würden. Im Anschluss an jeden Stanzvorgang werde ein Antriebsmittel 36 betätigt, um das Stanzelement 32 inkrementell in einer Richtung zu versetzen und damit einen Versatz des Polabschnittabschnitts von der Mittellinie des Grundkörperabschnitts zu erzeugen (Abs. 32).

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b) Mit dieser Darstellung des erfindungsgemäßen Verfahrens und einer hierfür geeigneten Vorrichtung steht Patentanspruch 1 (und ebenso der Verfahrensanspruch 7) auf den ersten Blick nicht in Einklang. Denn nach Merkmal 2.1 scheint das (feststehende) erste Stanzelement zum Ausstanzen (zumindest) von Teilen des Grundkörperabschnitts und das (bewegliche) zweite Stanzelement zum Ausstanzen der Polabschnitte bestimmt zu sein. Aus dem Gesamtinhalt der Beschreibung und den weiteren Patentansprüchen 2 bis 6 ergibt sich jedoch, dass hierbei Grundkörper- und Polabschnitte vertauscht worden sind und die Merkmalsgruppe 2 daher so zu lesen ist, dass die Maschine eine Stanzanordnung aufweist, die (2.1) mit einem ersten Stanzelement zum Ausstanzen zumindest von Teilen der Grundkörperabschnitte und (2.2) mit einem zweiten Stanzelement zum Ausstanzen der Polabschnitte eines jeden Elements versehen ist.

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(1) Darauf deutet zunächst der Umstand hin, dass ein wörtlich genommener Patentanspruch 1 nicht nur mit Teilen der Beschreibung wie einzelnen oder auch sämtlichen Ausführungsbeispielen, sondern mit der Beschreibung insgesamt in Widerspruch tritt, ohne dass hierfür ein plausibler Grund erkennbar wäre. Dies wird insbesondere an der vermeintlichen Anweisung des Merkmals 2.1 deutlich, mit dem ersten Stanzelement zumindest Teile des Grundkörperabschnitts auszustanzen. Denn in der Beschreibung ist es, wie erwähnt, gleich eingangs als bevorzugte Vorgehensweise erläutert, mit dem ersten Stanzelement Teile der Polabschnitte, nämlich den allen Polabschnitten gemeinsamen (äußeren) Umriss der Polköpfe, herzustellen. Mit dem Ausstanzen des Grundkörperabschnitts wird sodann die Oberkante des (vorauslaufenden) Polabschnitts gestanzt und gleichzeitig die Unterkante des nächsten Polabschnitts in Abhängigkeit vom Betrag des Versatzes des zweiten Stanzelements so ausgebildet, dass sich ein entsprechender Versatz des Polabschnitts gegenüber der gemeinsamen Mittellinie des Grundkörperabschnitts (Merkmal 4.2) ergibt. Auf diese Weise lassen sich mit einem Werkzeug unterschiedliche Polkopfformen herstellen. Hingegen findet die Möglichkeit, den (gleichförmigen) Grundkörper mit dem ersten Stanzwerkzeug nur teilweise auszustanzen, den Polabschnitt und den Rest des Grundkörperabschnitts aber mit weiteren Stanzwerkzeugen, keinerlei Anklang in der Beschreibung.

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(2) Es kommt hinzu, dass der Wortlaut der Merkmalsgruppe 4 zwar mit dem vom Patentgericht entwickelten Verständnis nicht unvereinbar ist, jedoch im Kontext der Beschreibung und der weiteren Patentansprüche betrachtet gleichfalls die Annahme stützt, dass das erste Stanzelement anspruchsgemäß nicht zum Ausstanzen zumindest von Teilen der Grundkörperabschnitte, sondern der Polabschnitte bestimmt ist.

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Das Patentgericht hat, im Ausgangspunkt zutreffend, erwogen, dass der Patentanspruch in den Merkmalen 3.1, 3.2 und 4 offen lässt, welches Stanzelement fest und welches beweglich angeordnet ist, da Merkmal 3.1 nur vorgibt, dass beide Stanzelemente relativ zueinander bewegt werden können. Es hat jedoch aus Merkmal 4.2 geschlossen, dass das den Grundkörperabschnitt (teilweise) ausstanzende erste Stanzelement stationär angeordnet sei, weil in diesem Merkmal Bezug auf eine gemeinsame Mittellinie aufeinanderfolgender Elemente genommen, der Fachmann hierunter nichts anderes als eine allen Elementen gemeinsame Mittellinie verstehen könne und folglich eine Vorrichtung unter Schutz gestellt werde, bei der die Grundkörperabschnitte beim Ausstanzen auf einer gemeinsamen Mittellinie lägen.

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Bei Patentanspruch 1 handelt es sich um einen Sachanspruch, dessen Merkmale dazu bestimmt sind, die geschützte Sache zu beschreiben, d.h. im Streitfall die Maschine und damit gegebenenfalls mittelbar die Ausgestaltung der Erzeugnisse, die mit ihr hergestellt werden können. Wird Merkmal 4.2 - wie stets geboten (statt aller BGHZ 194, 107, Rn. 27 - Polymerschaum I) - im Kontext der Merkmalsgruppe 4 und diese im Zusammenhang des gesamten Anspruch und vor dem erläuternden Hintergrund der Beschreibung gelesen, besagt die Merkmalsgruppe 4, dass die Relativposition des zweiten Stanzelements schrittweise (inkrementell) so geändert wird, dass der Polabschnitt jedes Elements im Verhältnis zum Polabschnitt des vorangehenden um eine entsprechende Schrittweite gegenüber der gemeinsamen Mittellinie der Grundkörperabschnitte versetzt ist. Die Relativbewegung der Stanzelemente (Vorrichtungsmerkmal 4) soll mit anderen Worten so erfolgen, dass die mit der Vorrichtung hergestellten (Rotor-)Elemente den Merkmalen 4.1 und 4.2 entsprechen. Die Grundkörperabschnitte haben mithin eine gemeinsame Mittellinie, die (nicht symmetrischen) Polabschnitte weisen hingegen einen Versatz aus der Mittellinie in die eine oder andere Richtung auf.

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Demgegenüber liefe ein Verständnis des Merkmals 4.2 als mittelbare Umschreibung der stationären Anordnung des ersten Stanzelements darauf hinaus, dass die - wie auch das Patentgericht angenommen hat - in Patentanspruch 1 an sich offen gelassene Frage, welches Stanzelement fest und welches beweglich angeordnet ist, doch im Sinne einer festen Anordnung des ersten Stanzelements beantwortet würde. Gleichzeitig verlöre damit Patentanspruch 2, der gerade erst bestimmt, dass das erste Stanzelement fest sein und das zweite inkrementell relativ zu diesem bewegt werden soll, seine Funktion, die mit Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Vorrichtung zu konkretisieren und wiederholte mit anderen Worten lediglich den sachlichen Gehalt des Patentanspruchs 1.

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(3) Schließlich stützt auch Patentanspruch 6 - und entsprechendes gilt für das Verfahren nach Patentanspruch 9 - in Verbindung mit der Beschreibung die Annahme, dass die Merkmale 2.1 und 2.2 im dargestellten Sinne einer Vertauschung von Grundkörper- und Polabschnitten zu lesen sind.

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Technisch sinnvoll ließe sich die zunächst nur teilweise Ausstanzung des Grundkörperabschnitts, die Merkmal 2.1 vorzusehen scheint, nur dahin verstehen, dass dem Ausstanzen seiner Längskanten die Ausstanzung seiner Fußlinie, gegebenenfalls zusammen mit der Oberkante des vorauslaufenden Polabschnitts, nachfolgt. Hierfür wird, wie ausgeführt, im Ausführungsbeispiel die Stanze 65 verwendet, die zusammen mit der gekrümmten inneren Oberfläche des Grundkörperabschnitts die gekrümmte äußere Oberfläche des Polabschnitts erzeugt. Dadurch bleibt, wie in Absatz 35 der Beschreibung erläutert wird, die Mittellinie des Krümmungsradius der Polabschnitte im Wesentlichen auf der Mittellinie C/L des Grundkörperabschnitts, obwohl sich der Versatz des Polabschnitts um einen Schritt von der theoretischen Position unterscheidet. Damit bleiben gleichzeitig die Mittellinie der äußeren Oberfläche der Polabschnitte der gestapelten Rotorelemente und der Luftspalt zwischen dieser äußeren Oberfläche und der inneren Oberfläche des Stators trotz der winkelartigen Anordnung konstant. Die Vorteile dieser Anordnung können ohne den Nachteil einer Veränderung der Dicke des Luftspalts in Axialrichtung der Rotoranordnung genutzt werden (Abs. 36).

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Die Stanze 65 gehört zu einem dritten Stanzelement 35, das nach Patentanspruch 4 zum Ausstanzen eines Umfangsrands zwischen dem Grundkörperabschnitt eines Elements und dem Polabschnitt eines durch den vorangegangenen Ausstanzvorgang gebildeten Elements dient. Nach Patentanspruch 6 sind die zweiten und dritten Stanzelemente integral ausgebildet. Es sind somit in Patentanspruch 6 einteilig ausgebildete Stanzen 64a, 64b, 65 unter Schutz gestellt, wie sie in der Beschreibung erläutert und in Figur 7 gezeigt sind. Sie können, wie von Patentanspruch 9 gefordert, gemeinsam schrittweise zwischen aufeinander folgenden Ausstanzvorgängen bewegt werden.

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Mit diesem einteiligen beweglichen Werkzeug lassen sich jedoch im Wesentlichen auf der Mittellinie C/L des Grundkörperabschnitts liegende Krümmungsradien der Polabschnitte nicht erzeugen. Es lassen sich nicht einmal die (gleichmäßig) gekrümmten inneren Oberflächen des Grundkörperabschnitts erzeugen, mit denen die Rotorelemente im Ausführungsbeispiel auf der Welle angeordnet sind, weil die einteilige Stanze relativ zum Grundkörperabschnitt verschoben wird.

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(4) Unter Berücksichtigung des Gesamtinhalts der Beschreibung, des Sinngehalts der Merkmalsgruppe 4, und des Wortlauts der Patentansprüche 2, 6 und 9 muss der Fachmann, der es unternimmt, ein sinnvolles und wenn möglich widerspruchsfreies Gesamtverständnis der Patentansprüche und der zu ihrer Erläuterung bestimmten Beschreibung zu entwickeln, mithin zu dem Schluss gelangen, dass mit der Formulierung des Patentanspruchs in den Merkmalen 2.1 und 2.2 - entgegen dem insoweit verunglückten Wortlaut - nichts unter Schutz gestellt worden ist, was von der in der Beschreibung offenbarten Vorrichtung abweicht, bei der mit dem ersten (feststehenden) Stanzelement (zumindest) Teile der Polabschnitte eines jeden Elements und mit dem zweiten (beweglichen) Stanzelement die Grundkörperabschnitte eines jeden Elements durch Ausstanzen bereitgestellt werden.

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c) Entgegen der von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung steht die dargestellte Auslegung des Patentanspruchs 1 - die entsprechend für Patentanspruch 7 gilt - auch nicht im Widerspruch zu einer mit der Erteilung des Streitpatents vorgenommenen Beschränkung des Schutzgegenstands gegenüber dem mit der Anmeldung beanspruchten Gegenstand. Denn es bleibt dabei, dass der Patentanspruch durch die vom Patentgericht aufgezeigten zusätzlichen Merkmale als ein gegenüber der Anmeldung engerer Gegenstand definiert worden ist.

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3. Damit enthält der Gegenstand des Streitpatents insoweit keine unzulässige Erweiterung. Dass sie auch im Übrigen nicht vorliegt, hat das Patentgericht rechtsfehlerfrei angenommen; die Berufungserwiderungen wenden sich hiergegen auch nicht.

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IV. Da das Patentgericht - nach seinem Ausgangspunkt konsequent - sich mit der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents nicht befasst hat, ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Patentgericht zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 2 und 3 PatG).

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Ein Grundgedanke des reformierten Patentnichtigkeitsverfahrens ist es, dass die Patentfähigkeit zunächst durch das auch mit technisch sachkundigen Richtern besetzte Patentgericht bewertet wird und diese Bewertung durch den Bundesgerichtshof überprüft wird. Eine Endentscheidung durch den Bundesgerichtshof (§ 119 Abs. 5 PatG) ist daher regelmäßig nicht sachgerecht, wenn die Erstbewertung des Standes der Technik durch das Patentgericht unterblieben ist. Dafür, dass im Streitfall etwas anderes gälte, ist nichts erkennbar und wird auch von den Parteien nichts geltend gemacht.

Meier-Beck                        Gröning                                Bacher

                     Deichfuß                        Kober-Dehm

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Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und ihren Gesamtinhalt im Zweifel so zu verstehen, dass sich Widersprüche nicht ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - X ZB 13/06, GRUR 2008, 887 - Momentanpol II; Urteil vom 31. März 2009 - X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 = GRUR 2009, 653 - Straßenbaumaschine), führt hier nicht zu einer Einbeziehung der insoweit übereinstimmenden angegriffenen Ausführungsformen in den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Klagepatents. Dieser Grundsatz wird nämlich durch den Vorrang des Patentanspruchs eingegrenzt. Kann, wie hier, der Wortlaut des Patentanspruchs mit einer Beschreibungsstelle nicht in Einklang gebracht werden , kann die Beschreibung nicht zur "Korrektur" des Patentanspruchs herangezogen werden; andernfalls würde gegen den Grundsatz des Vorrangs des Patentanspruchs verstoßen.
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Sie hätte - wie auch das Patentgericht nicht verkannt hat - zur Folge, dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würde. Eine Auslegung mit einem solchen Ergebnis ist zwar nicht schlechthin ausgeschlossen. Sie käme aber nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten, die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausschieden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen ließen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht. Diese Voraussetzung ist entgegen der Auffassung des Patentgerichts im Streitfall nicht gegeben. Der Patentanspruch lässt vielmehr - noch - hinreichend deutlich erkennen, dass mit den darin vorgesehenen Merkmalen beide in der Beschreibung geschilderten Ausführungsbeispiele erfasst werden sollen.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.