Bundesgerichtshof Urteil, 31. Juli 2018 - X ZR 108/16

bei uns veröffentlicht am31.07.2018
vorgehend
Bundespatentgericht, 7 Ni 13/15, 09.11.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 108/16 Verkündet am:
31. Juli 2018
Zöller
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
ECLI:DE:BGH:2018:310718UXZR108.16.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 31. Juli 2018 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 7. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 9. November 2016 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik
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Deutschland erteilten europäischen Patents 1 215 401 (Streitpatents), das eine Vorrichtung zum Verbinden von Bauteilen betrifft. Das Streitpatent ist unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung vom 14. Dezember 2000 am 10. November 2001 angemeldet worden.
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Der Patentanspruch 1, auf den sich die nachfolgenden Patentansprüche 2 bis 5 rückbeziehen, lautet in der Verfahrenssprache: "Vorrichtung zum Verbinden von Bauteilen (10, 12), mit einem zur Anordnung an dem einen Bauteil (10) ausgebildeten Basisteil (16), das eine Gewindebuchse (24) aus Metall aufweist, die im Presssitz in einer Fassung (26) aus Kunststoff gehalten ist, einem Abstandshalter (18), der mit dem Basisteil (16) in Gewindeeingriff steht und dazu ausgebildet ist, sich mit einem Ende an dem anderen Bauteil (12) abzustützen, und einer reibschlüssig durch den Abstandshalter (18) gesteckten Verbin- dungsschraube (20), dadurch gekennzeichnet, dass die Bewegung des Abstandshalters (18) relativ zum Basisteil (16) in einer Richtung durch eine am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildete Schulter (34) begrenzt wird, die axial an einem erst nach dem Zusammenbau von Abstandshalter (18) und Basisteil (16) wirksam werdenden Anschlag (38; 54) des Basisteils anstößt, wenn der Abstandshalter seinen maximalen Ausfahrweg erreicht hat, und dass der Anschlag (38; 54) an der Fassung (26) ausgebildet ist, so dass er den Zusammenbau gestattet." Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents ge3 he über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Schutzrecht verteidigt.
Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die
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Berufung der Klägerin, mit der sie weiterhin die Nichtigerklärung des Streitpatents aus den bereits erstinstanzlich geltend gemachten Gründen anstrebt. Demgegenüber beantragt die Beklagte, die Berufung zurückzuweisen, und verteidigt das Urteil des Patentgerichts.

Entscheidungsgründe:


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Die Berufung der Klägerin ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
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I. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Verbinden von Bauteilen.
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1. Nach der Beschreibung des Streitpatents dienen derartige Vorrichtungen dazu, zwei Bauteile in einem bestimmten Abstand zu verbinden, ohne dass die Bauteile beim Anziehen der Verbindungsschraube verformt werden.
Dafür werde die Verbindungsschraube zunächst durch das Bauteil gesteckt, das sich an dem Abstandshalter abstützen solle, und in ein Innengewinde des anderen, mit dem Basisteil verbundenen Bauteils eingeschraubt. Bei der Einschraubbewegung werde der Abstandshalter reibschlüssig mitgenommen. Da das Gewinde zwischen dem Abstandshalter und dem Basisteil ein Linksgewinde sei, werde der Abstandshalter weiter aus dem Basisteil herausgeschraubt und komme dem durch den Kopf der Verbindungsschraube gehaltenen Bauteil entgegen, bis sich dieses Bauteil gegen die Stirnfläche des Abstandshalters lege (Abs. 2).
Wenn jedoch der Abstand zwischen den zu verbindenden Bauteilen grö8 ßer sei als der maximale Verstellweg des Abstandshalters, könne es vorkommen , dass beim Einschrauben der Verbindungsschraube der Abstandshalter ganz aus dem Basisteil herausgeschraubt werde. Den Gewindeeingriff zwischen Abstandshalter und Basisteil wieder herzustellen, sei schwierig, da der Abstandshalter in dieser Position nicht oder nur schwer zugängig sei (Abs. 3).
Im Anlieferungszustand der Verbindungsvorrichtung sei der Abstandshal9 ter normalerweise ganz in das Basisteil eingeschraubt. Es sei bekannt, dass der Abstandshalter in dieser Stellung an einem Anschlag anliege und außerdem durch eine federnde Zunge gehalten werde. Der Widerstand der Zunge müsse sich jedoch überwinden lassen, wenn die Verbindungsschraube eingeschraubt werde. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass sich der Abstandshalter vor dem Einsatz der Verbindungsvorrichtung ganz von dem Basisteil löse und Teile der Verbindungsvorrichtung auseinander fielen oder verloren gingen (Abs. 4).
2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent - entsprechend den
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Angaben in der Streitpatentschrift (Abs. 6) - die Aufgabe zugrunde, eine Verbindungsvorrichtung zu schaffen, bei der Abstandshalter und das Basisteil unverlierbar zusammengehalten werden.
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3. Das soll durch folgende Vorrichtung erreicht werden: 1. Vorrichtung zum Verbinden von Bauteilen (10, 12) mit 2. einem Basisteil (16), 2.1 das zur Anordnung an dem einen Bauteil (10) ausgebildet ist, 2.2 das eine Gewindebuchse (24) aus Metall aufweist, 2.2.1 die im Presssitz in einer Fassung (26) aus Kunststoff gehalten ist, 3. einem Abstandshalter (18), 3.1 der mit dem Basisteil (16) in Gewindeeingriff steht und 3.2 dazu ausgebildet ist, sich mit einem Ende an dem anderen Bauteil (12) abzustützen, und 4. einer Verbindungsschraube (20), 4.1 die reibschlüssig durch den Abstandshalter (18) gesteckt ist. 5. Die Bewegung des Abstandshalters (18) wird relativ zum Basisteil (16) in einer Richtung durch eine Schulter (34) begrenzt, die 5.1 am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildet ist und 5.2 axial an einem Anschlag (38, 54) des Basisteils anstößt, wenn der Abstandshalter seinen maximalen Ausfahrweg erreicht hat. 6. Der Anschlag (38, 54) 6.1 wird erst nach dem Zusammenbau von Abstandshalter (18) und Basisteil (16) wirksam und 6.2 ist an der Fassung (26) ausgebildet, so dass er den Zusammenbau gestattet.
4. Die nachfolgend wiedergegebenen Zeichnungen (Figuren 1 und 2)
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stammen aus der Streitpatentschrift und zeigen zwei erfindungsgemäße Ausführungsbeispiele : 5.a) Das Patentgericht hat als Durchschnittsfachmann einen Diplom13 Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Verbindungselementen- und beschlägen angesehen. Aus Sicht eines solchen Fachmanns seien die Merkmale 3 und 3.1
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(Merkmal 3 im Urteil des Patentgerichts) dahin zu verstehen, dass das Gewinde des Abstandshalters unmittelbar in das komplementäre Gewinde der Gewindebuchse eingreife. Der nach Merkmalsgruppe 4 (Merkmal 4) vorgesehene Reibschluss zwischen Schraube und Abstandshalter sei für das Herausdrehen des Abstandshalters bzw. die Übertragung des hierfür erforderlichen Drehmoments zwingend erforderlich. Bei der in Merkmal 5 (Merkmal 5.1) genannten Schulter handele es sich um einen durch einen radialen Rücksprung an der Außenwandung des Abstandshalters gebildeten, zum Anschlag des Basisteils komplementären Absatz. Da sich die Schulter "am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters" befinde, stehe sie in unmittelbarer räumlicher Beziehung zum Gewindeabschnitt. Eine Positionierung etwa auf Höhe des Gewindeabschnitts, aber an anderer Stelle des Abstandshalters sei insoweit nicht hinreichend. Durch die Formulierung in Merkmal 5.2, dass es sich um einen "Anschlag des Basisteils" handele, werde zum Ausdruck gebracht, dass der Anschlag Bestandteil des mehrteiligen Basisteils sei, wie etwa auch die Gewindebuchse nach Merkmal 2.2 (Merkmal 2.1). Der Anschlag nach den Merkmalen 6 und 6.2 (Merkmal 5.4) müsse einteilig mit der Fassung hergestellt und schon vor dem Zusammenbau an dieser vorhanden sein.
b) Die Auslegung des Patentgerichts aus Sicht des von diesem zutref15 fend bestimmten Fachmanns hält den Beanstandungen der Berufung stand. (1) Der Berufung ist darin beizutreten, dass der in Merkmal 3.1 vorgese16 hene Gewindeeingriff zwischen Abstandhalter und Basisteil die Funktion hat, es dem Abstandshalter beim Einschrauben der Gewindeschraube aus dem Basisteil zu ermöglichen, sich (gegenläufig) in Richtung des "anderen Bauteils" zu schrauben, so dass er dieses "mit einem Ende" abstützen kann (vgl. auch Streitpatentschrift, Abs. 2, 8, 17). Die Merkmalsgruppe 3 beschränkt sich aber nicht darauf, diese Funktion
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zu benennen, sondern legt auch die räumlich-körperlichen Mittel fest, mit denen selbige ausgeübt werden soll, nämlich dadurch, dass der Abstandshalter mit dem Basisteil in einem Gewindeeingriff steht. In Patentanspruch 1 sind die Teile des Abstandshalters und des Basisteils benannt, die in Gewindeeingriff stehen. Auf Seiten des Abstandshalters ist dies die in Merkmal 2.2 vorgesehene Gewindebuchse aus Metall, die im Presssitz in einer Fassung aus Kunststoff gehalten ist, und auf Seiten des Basisteils ist dies der in Merkmal 5.1 aufgeführte Gewindeabschnitt, an dessen Ende eine Schulter gebildet ist, die an einem Anschlag des Basisteils anstößt, wenn der Abstandshalter seinen maximalen Ausfahrweg erreicht hat. Diese anspruchsgemäß vorgesehenen räumlichkörperlichen Vorgaben, die im Übrigen auch bei den beiden erfindungsgemäßen Ausführungsbeispielen verwirklicht sind (vgl. Rn. 16, 23; Figuren 1 und 2), schließen einen "mittelbaren" Gewindeeingriff durch nicht näher bezeichnete weitere Bauteile zwischen dem Abstandshalter und dem Basisteil aus. (2) Die nach Merkmalsgruppe 4 reibschlüssig durch den Abstandshalter
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gesteckte Verbindungsschraube hat die Aufgabe, ein aus der Drehbewegung der Verbindungsschraube beim Einschrauben resultierendes Drehmoment auf den Abstandshalter zu übertragen, so dass sich dieser (gegenläufig) aus dem Basisteil herausschraubt (vgl. Rn. 2, 17). Es mag sein, dass es - wie die Berufung einwendet - für die Erfüllung
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dieser Aufgabe letztlich nur darauf ankommt, dass das durch die Verbindungsschraube ausgeübte Drehmoment die gewünschte Ausfahrbewegung des Abstandshalters in Richtung des abzustützenden "anderen Bauteils" bewirkt. Auch insoweit beschränkt sich die Lehre aus Patentanspruch 1 jedoch nicht auf eine Beschreibung dieser Funktion, sondern bestimmt, dass ein Reibschluss zwischen dem Abstandshalter und der durch diesen gesteckten Verbindungsschraube bestehen soll, um beim Einschrauben ein Drehmoment von der Schraube auf den Abstandshalter zu übertragen. Das schließt nicht aus, dass der Reibschluss zwischen der Mittelbohrung des Abstandshalters und dem Gewinde der Verbindungsschraube über ein zwischen diesen angeordnetes Bauteil wie den in den Ausführungsbeispielen des Streitpatents gezeigten Federring (32) hergestellt wird (vgl. Abs. 16, Figuren 1 und 2). (3) Die nach der Merkmalsgruppe 5 am Ende des Gewindeabschnitts
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des Abstandshalters gebildete Schulter hat in Zusammenwirken mit dem Anschlag des Basisteils den Zweck, die Bewegung des Abstandshalters relativ zum Basisteil zu begrenzen, wenn der Abstandshalter seinen maximalen Ausfahrweg erreicht hat. Damit kann sich der Abstandshalter in Richtung des "anderen Bauteils" nicht vollständig aus dem Basisteil herausschrauben. Der Abstandshalter und das Basisteil werden insoweit zusammengehalten, so dass der Abstandshalter unverlierbar gesichert ist (vgl. Abs. 3 und 8). Entgegen der Ansicht der Berufung definiert die in der Merkmalsgruppe 5
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gewählte Formulierung "einer am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildeten Schulter" nicht allgemein eine Lage der Schulter in der Umgebung des Endes des Gewindeabschnitts. Vielmehr wird damit eine Anordnung der Schulter als Bestandteil des Abstandshalters in axialer und radialer Ausrichtung im Anschluss an dessen Gewindeabschnitt festgelegt, so wie dies im Übrigen auch in beiden erfindungsgemäßen Ausführungsbeispielen des Streitpatents gezeigt ist. Dem steht nicht entgegen, dass eine solche räumliche Anordnung der
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Schulter sprachlich auch auf andere Weise, etwa durch die Wendung "durch das Ende" statt - wie in Merkmal 5.1.1 - "am Ende" hätte ausgedrückt werden können. Denn Grundlage für die Auslegung eines Patentanspruchs ist allein dessen tatsächlicher Wortlaut und sind nicht Alternativformulierungen, die nicht in den Patentanspruch aufgenommen worden sind.
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(4) Nach Merkmal 6.1 soll der Anschlag erst nach dem Zusammenbau von Abstandshalter und Basisteil wirksam werden.
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Merkmal 6.2 ergänzt dies um zwei weitere Vorgaben. Der Anschlag soll an der Fassung ausgebildet sein, so dass er den Zusammenbau gestattet.
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Daraus folgt zum einen, dass der Anschlag bereits vor dem Zusammenbau von Abstandshalter und Basisteil an der Fassung vorhanden sein muss. Obwohl der Anschlag nach dem Zusammenbau von Abstandshalter und
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Basisteil in Zusammenwirken mit der am Abstandshalter ausgebildeten Schulter die Aufgabe hat, beide Bauteile verliersicher zusammenzuhalten, soll es zum anderen möglich sein, den Abstandshalter und das Basisteil vorab zusammenzubauen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass es gerade die Art der Ausbildung des Anschlags an der Fassung ist, die den Zusammenbau ermöglicht. Vielmehr ist es hinreichend, wenn der Anschlag an der Fassung so ausgebildet ist, dass er dem Zusammenbau von Abstandshalter und Basisteil nicht entgegensteht. Denn allein das letztgenannte Verständnis erlaubt es, dass beide in der Beschreibung der Streitpatentschrift als erfindungsgemäß bezeichnete Ausführungsbeispiele zur Ausfüllung der in Merkmal 6.2 verwendeten Begriffe herangezogen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2015 - X ZR 103/13, GRUR 2015, 972 Rn. 23 - Kreuzgestänge).
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Zwar würde das in Figur 1 gezeigte erfindungsgemäße Ausführungsbeispiel auch unter die genannte engere Definition der zweiten Vorgabe des Merkmals 6.2 fallen. Denn bei diesem ist der Anschlag so ausgebildet, dass er den Zusammenbau dadurch ermöglicht, dass er als eine an der Fassung ausgebildete , radial nach innen ragende federnde Zunge verwirklicht ist, die beim Einschrauben des Abstandshalters (18) zunächst nach innen gebogen wird, so dass sie diesem zunächst ausweicht, und beim weiteren Einschrauben des Abstandshalters entlang des Außengewindes gleitet, bis sie schließlich über die Schulter (34) hinweggleitet und wieder in ihre ursprüngliche Position zurückfedern kann, in der sie als Anschlag für die Schulter (34) wirksam ist (vgl. Abs. 21). Das in Figur 2 gezeigte zweite erfindungsgemäße Ausführungsbeispiel
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lässt sich jedoch allein unter das weite Verständnis der zweiten Vorgabe des Merkmals 6.2 subsumieren, bei dem der Anschlag durch einen starren Vorsprung (54) verwirklicht ist, der dem Zusammenbau von Abstandshalter und Basisteil nur deshalb nicht entgegensteht, weil der Abstandshalter (18) von rechts in Figur 2 in die Gewindebuchse eingeschraubt werden kann, nachdem zuvor die Gewindebuchse (24) des Basisteils (16) mit dem Abstandshalter verschraubt und danach die Gewindebuchse (24) in die Fassung (26) des Basisteils (16) gepresst worden ist (Abs. 25). Dies erfolgt im Übrigen unabhängig davon, ob der Abstandshalter (18)
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- wie in den Figuren 2 und 3 gezeigt - auch noch über einen Flansch (40) mit einer Ausnehmung (56) verfügt, durch die der Anschlag (54) hindurchtreten kann (Abs. 25), da lediglich optional vorgesehen ist, dass der Abstandshalter einen solchen Flansch (40) aufweist (vgl. Unteransprüche 4 und 5). Damit steht allein das Verständnis von Merkmal 6.2, dass der Anschlag
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an der Fassung so ausgebildet sein muss, dass er dem Zusammenbau von Abstandshalter und Basisteil nicht entgegensteht, in Einklang mit der Beschreibung und den Zeichnungen des Streitpatents, so dass dieses Verständnis maßgeblich ist, da weder dem Patentanspruch noch der Beschreibung oder den Zeichnungen dieser Auslegung entgegenstehende Anhaltspunkte zu entnehmen sind. II. Die Annahme des Patentgerichts, der Gegenstand des erteilten Pa31 tentanspruchs 1 gehe nicht über den Offenbarungsgehalt der Ursprungsanmeldung hinaus, hält den Angriffen der Berufung stand. 1. Das Patentgericht hat zur Begründung ausgeführt, der Patentinhaber
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habe die Teilmerkmale "eine Gewindebuchse aus Metall und eine Fassung aus Kunststoff" bzw. "eine Gewindebuchse aus Metall, die im Presssitz in einer Fassung aus Kunststoff gehalten ist" aus den Patentansprüchen 3 und 4 der Ursprungsanmeldung in Patentanspruch 1 des Streitpatents aufnehmen dürfen, ohne zugleich den Anschlag des Basisteils auf starre und federnde Ausgestaltungen zu beschränken, obwohl diese Merkmale ebenfalls in Patentanspruch 3 ("federnde Zunge", die "an der Fassung ausgebildet ist") und Patentanspruch 4 ("Anschlag", der "starr an der Fassung ausgebildet ist") der Ursprungsanmeldung enthalten gewesen seien. Es sei zulässig, von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels nur einzelne in den Patentanspruch aufzunehmen, wenn der Fachmann die beanspruchte Gesamtkombination den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung habe entnehmen können. Das sei im Streitfall gegeben, weil der Fachmann keinen Grund für die Annahme gehabt habe, dass die Ausgestaltung des Basisteils mit einer im Presssitz in einer Kunststofffassung gehaltenen Gewindebuchse des Basisteils technisch nur dann einen Sinn ergebe, wenn der Anschlag an der Fassung als Federelement oder als starrer Vorsprung ausgebildet sei. Vielmehr sei ein "erst nach Zusammenbau von Abstandshalter und Basisteil wirksam werdender Anschlag" ganz allgemein in Patentanspruch 1 der Ursprungsanmeldung offenbart.
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2. Die dagegen von der Berufung vorgetragenen Beanstandungen greifen nicht durch.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Ursprungsanmeldung Verallgemeinerungen der Ausführungsbeispiele zulässig, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung als zur Erfindung gehörend entnehmbar ist. Das gilt auch dann, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 23 = GRUR 2014, 542 Rn. 24 - Kommunikationskanal; Urteil vom 17. Februar 2015 - X ZR 161/12, GRUR 2015, 573 Rn. 29 - Wundbehandlungsvorrichtung; Urteil vom 7. November 2017 - X ZR 63/15, GRUR 2018, 175 Rn. 30 - Digitales Buch).
b) Danach ist es nicht zu beanstanden, dass das Patentgericht eine un35 zulässige Erweiterung des Gegenstands von Patentanspruch 1 über den Offenbarungsgehalt der Ursprungsanmeldung hinaus verneint hat. In den beiden Ausführungsbeispielen der Ursprungsanmeldung weist das
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Basisteil eine Gewindebuchse aus Metall auf, die im Presssitz in einer Fassung aus Kunststoff gehalten ist (Anmeldung, S. 3, Z. 23 ff.; S. 5, Z. 28 ff., Figuren 1 und 2; vgl. auch Patentansprüche 3 und 4). In dem ersten Ausführungsbeispiel wird der Anschlag durch eine an der Fassung (26) ausgebildete federnde Zunge (38) gebildet (Anmeldung, S. 4, Z. 6 ff.). In dem zweiten Ausführungsbeispiel wird der Anschlag durch einen an der Fassung (26) ausgebildeten starren Vorsprung (54) gebildet. Im Hinblick darauf, dass der Anschlag in den Ausführungsbeispielen der
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Ursprungsanmeldung sowohl in der Ausgestaltung als federnde Zunge (38), als auch in der Ausgestaltung als starrer Vorsprung (54) an der Fassung (26) des Basisteils ausgebildet ist, offenbart es sich dem Fachmann, dass der Anschlag allgemein an der Fassung vorgesehen sein kann, zumal die Beschreibung ganz allgemein einen "Anschlag des Basisteils" vorsieht (S. 2, Z. 11). Der Beschreibung und Patentanspruch 1 der Ursprungsoffenbarung ent38 nimmt er zudem, dass die Erfindung darauf ausgerichtet ist, die durch die Begrenzung der Bewegung des Abstandshalters relativ zum Basisteil in eine Richtung durch eine am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildete Schulter, die mit dem Anschlag des Basisteils zusammenwirkt, verwirklichte Verliersperre erst nach dem Zusammenbau von Abstandshalter und Basisteil wirksam werden zu lassen (vgl. Anmeldung, S. 2, Z. 7 ff.; Patentanspruch 1). Liest er vor diesem Hintergrund die beiden Ausführungsbeispiele, erschließt es sich ihm ohne weiteres, dass es dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich ist, wenn der Anschlag einem Zusammenbau von Basisteil und Abstandshalter vor seinem Wirksamwerden als Verliersperre nicht entgegensteht und dies nicht nur dann gilt, wenn der Anschlag als federnde Zunge (38) oder als starrer Vorsprung (54) ausgebildet ist. III. Auch die Entscheidung des Patentgerichts, der Gegenstand des
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Streitpatents sei patentfähig, hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.
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1. Das Patentgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen folgendes ausgeführt:
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Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei neu.
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Die europäische Patentanmeldung 955 479 (D2) zeige in den - nachfolgend wiedergegebenen - Figuren 6 und 7 eine Ausgestaltung, bei der durch mehrere Schultern (70) auf Höhe des unteren Endes des Gewindeabschnitts des Abstandshalters (22) auf der gegenüberliegenden Seite des Gewindeabschnitts die maximale Ausfahrbewegung in Verbindung mit hierzu komplementären Anschlägen (72) am Basisteil (68) axial begrenzt werde. Der in der D2 offenbarte Abstandshalter unterscheide sich von dem erfindungsgemäßen Abstandshalter dadurch, dass er nicht mit dem Basisteil in Gewindeeingriff stehe, sondern in ein zusätzliches Stellelement, den Gewindering (38), eingreife. Erst dieser stehe dann mit dem Basisteil (68) bzw. deren Gewindebuchse (20) über einen weiteren Gewindeeingriff in Verbindung. Bei der D2 bilde die Verbindungsschraube nicht mit dem Basisteil, sondern mit dem Klemmteil des Gewinderings (38) eine Reibschlussverbindung. Zudem sei bei der D2 die metallische Gewindebuchse (20) in die Kunststofffassung (68) eingespritzt und nicht eingepresst.
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Zudem beruhe der Gegenstand von Patentanspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die deutsche Offenlegungsschrift 42 24 575 (D1) offenbare zwar die
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Merkmalsgruppen 1 bis 4 mit Ausnahme einer aus Metall gefertigten Gewindebuchse , wobei es sich insoweit nur um eine im Ermessen des Fachmanns stehende Materialauswahl handele. Zudem könne der Fachmann veranlasst gewesen sein, bei der Vorrichtung nach der D1 eine Ausfahrbegrenzung vorzusehen , zumal ihm der Gedanke einer Verliersicherung unter anderem aus der D2 bekannt gewesen sei. Einer Übertragung der aus der D2 bekannten Verliersi- cherung mit an der Innenseite der Fassung (68) nach innen gerichteten Anschlägen (72), die mit an der Außenseite des Abstandshalters (22) angebrachten Gegenanschlägen (70) zusammenwirken, komme jedoch nicht in Betracht, da das Außengewinde des Abstandshalters (5) der D1 und ein entsprechend der Verliersicherung der D2 vorgesehener, nach innen ragender Anschlag der Fassung miteinander kollidieren könnten und sich nicht ohne zusätzliche Maßnahmen kombinieren ließen. Der Fachmann erhalte aus der D2 zwar eine Anregung , eine Verliersicherung mittels Anschlägen vorzusehen, jedoch keinen Hinweis, der ihm eine erfindungsgemäße Ausgestaltung nahegelegt habe.
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Auch der weiterhin von der Klägerin vorgelegte Stand der Technik habe den Fachmann nicht zu der Lösung des Streitpatents führen können.
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2. Die Begründung des Patentgerichts hält den Angriffen der Berufung stand.
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a) Die erfindungsgemäße Lehre ist neu.
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Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist der D2 nicht zu entnehmen.
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(1) Es fehlt an einer Offenbarung des Merkmals 3.1 (Merkmal 3).
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Bei der in den Figuren 6 und 7 der D2 gezeigten Vorrichtung übernimmt der "Stützkörper 22" die Funktion eines Abstandshalters im erfindungsgemäßen Sinne, da er sich beim Einschrauben der Gewindeschraube (Verbindungsschraube 14) - gegenläufig zu dieser - in Richtung des "anderen Bauteils" (Bauteil 12) bewegt, bis dieses zwischen dem Stützkörper (22) und der Unterlegscheibe (16) eingespannt ist und dadurch abgestützt wird (D2, Sp. 3, Z. 19 ff.; das gilt auch für das in den Figuren 6 und 7 gezeigte Ausführungsbeispiel). Das Basisteil wird durch die Gewindebuchse aus Metall (Stützkörper 20)
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und das Gehäuse aus Kunststoff (68) gebildet, in das die Gewindebuchse eingespritzt ist (D2, Sp. 5, Z. 20 ff.). Der Stützkörper (20) ist zur Anordnung an dem "einen Bauteil" (Bauteil 10) ausgebildet (vgl. D2, Sp. 3, Z. 11 ff.; Figuren 1 und 2). Zwischen dem Abstandshalter (Stützkörper 22) und dem Basisteil (Stütz52 körper 20 und Gehäuse 68) ist der Gewindering (38) als ein weiteres Stellelement angeordnet. Bei der in der D2 offenbarten Vorrichtung stehen also nicht der Abstandshalter und das Basisteil in Gewindeeingriff, sondern greifen einerseits die Gewinde des Abstandshalters und des Gewinderings (38) und andererseits die Gewinde des Gewinderings und des Basisteils ineinander, so dass es an einer Offenbarung des Merkmals 3.1 fehlt. (2) Zudem ist die Verbindungsschraube (14) bei der D2 nicht - wie in
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Merkmal 4.1 - reibschlüssig durch den Abstandshalter (Stützkörper 22), sondern durch den Gewindering (38) gesteckt. (3) Bei der Vorrichtung nach den Figuren 6 und 7 der D2 sind schließlich
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die Schultern (vorspringende Zähne 70) des Abstandshalters (22), die an die Anschläge (Lippen 72) des Basisteils (68, 20) stoßen, wenn der Abstandshalter seinen maximalen Ausfahrweg erreicht hat, entgegen Merkmal 5.1.1 nicht am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildet. Wie ausgeführt, definiert die in der Merkmalsgruppe 5 gewählte Formulierung "einer am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildeten Schulter" nicht allgemein eine Lage der Schulter in der Umgebung des Endes des Gewindeabschnitts , sondern legt eine Anordnung der Schulter als Bestandteil des Abstandshalters in axialer und radialer Ausrichtung nach dem Gewindeabschnitt fest. Demgegenüber befinden sich die Schultern (70) bei der in den Figuren 6 und 7 der D2 gezeigten Vorrichtung auf der dem Gewindeabschnitt gegenüberliegenden Seite des Abstandshalters (22). (4) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 offenbarte sich dem Fach55 mann auch dann nicht aus der D2, wenn zugunsten der Klägerin angenommen wird, dass der Gewindering (38) als Teil des Basisteils (Stützkörper 20 und Gehäuse 68) oder des Abstandshalters (Stützkörper 22) angesehen werden kann, so wie dies in der Berufungsbegründung auf den Seiten 12 und 13 durch Kolorierung der Figur 7 der D2 veranschaulicht worden ist. Wird der Gewindering (38) - entsprechend der ersten Alternative - dem
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aus dem Stützkörper (20) und Gehäuse (68) gebildeten Basisteil zugeordnet, fehlt es - entsprechend den obigen Ausführungen - weiterhin an einer Offenbarung der Merkmale 4.1 sowie 5.1.1, weil die Verbindungsschraube dann reibschlüssig durch das Basisteil und nicht den Abstandshalter gesteckt ist und die Schulter (vorspringende Zähne 70) nicht auf der Seite und damit am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildet ist, sondern auf der gegenüberliegenden Seite des Abstandshalters. Wird der Gewindering (38) hingegen - entsprechend der zweiten Alterna57 tive - dem Stützkörper (22) als Abstandshalter zugeordnet, fehlt es an einer Offenbarung des Merkmals 5.1.1, da die als erfindungsgemäße Schulter in Betracht kommenden vorspringenden Zähne (70) weder in axialer noch in radialer Ausrichtung am Ende des Gewindeabschnitts des Abstandshalters gebildet sind.
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b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war auch nicht nahegelegt. Insoweit kann zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen des
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Patentgerichts verwiesen werden. Diesen Ausführungen ist die Klägerin allein noch mit dem Argument ent60 gegengetreten, dass, wenn Merkmal 2.2.1 dahin auszulegen sei, dass die Gewindebuchse in die Fassung eingepresst worden sein müsse, es für den Fachmann jedenfalls naheliegend gewesen sei, den in der D2 offenbarten Stützkörper (20) in das Kunststoffgehäuse (68) einzupressen, statt diesen, wie in der D2 offenbart, in das Kunststoffgehäuse (68) einzuspritzen.
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Selbst wenn der Klägerin in dieser Argumentation gefolgt würde, fehlte es an einer Anregung für die - wie erläutert - in der D2 nicht offenbarten Merk- male 3.1, 4.1 und 5.1.1, so dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 dem Fachmann durch die D2 auch unter Berücksichtigung des weiter vorgetragenen Standes der Technik nicht nahegelegt worden ist.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Grabinski
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 09.11.2016 - 7 Ni 13/15 (EP) -

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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 107/12 Verkündet am: 11. Februar 2014 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X Z R 1 03/ 1 3 Verkündet am: 2. Juni 2015 Hartmann Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein

Bundesgerichtshof Urteil, 07. Nov. 2017 - X ZR 63/15

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 63/15 Verkündet am: 7. November 2017 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2015 - X ZR 161/12

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Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 3. Juli 2012 aufgehoben.

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dass keines der in der Patentschrift geschilderten Ausführungsbeispiele vom Gegenstand des Patents erfasst würden, nur dann in Betracht, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten , die zumindest zur Einbeziehung eines Teils der Ausführungsbeispiele führen, zwingend ausscheiden oder wenn sich aus dem Patentanspruch hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass tatsächlich etwas beansprucht wird, das so weitgehend von der Beschreibung abweicht (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 - X ZR 35/11, GRUR 2015, 159 Rn. 26 - Zugriffsrechte). Werden in der Beschreibung mehrere Ausführungsbeispiele als erfindungsgemäß vorgestellt, sind die im Patentanspruch verwendeten Begriffe im Zweifel so zu verstehen, dass sämtliche Ausführungsbeispiele zu ihrer Ausfüllung herangezogen werden können.
b) Patentanspruch 1 stellt einen zusammenklappbaren Schiebewagen unter
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dabei in einer Weise angewendet werden, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet. Insoweit ist zugrunde zu legen, dass das Interesse des Anmelders regelmäßig erkennbar darauf gerichtet ist, möglichst breiten Schutz zu erlangen , also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken. Soweit in der Anmeldung bereits Ansprüche formuliert sind, haben diese vorläufigen Charakter. Erst im Verlauf des sich anschließenden Prüfungsverfahrens ist herauszuarbeiten, was unter Berücksichtigung des Standes der Technik schutzfähig ist und für welche Ansprüche der Anmelder Schutz begehrt. Erst mit der Erteilung des Patents mit bestimmten Ansprüchen erfolgt eine endgültige Festlegung des Schutzgegenstands. aa) Dieser Gesichtspunkt liegt der Rechtsprechung des Senats zugrunde, wo24 nach bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen werden. Danach ist ein "breit" formulierter Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 52 - Polymerschaum). Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen worden, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (ständige Rechtsprechung seit BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer; aus jüngerer Zeit BGHZ 194, 107 Rn. 52 - Polymerschaum; BGH, GRUR 2012, 1133 Rn. 31 f. - UV-unempfindliche Druckplatte). bb) Nach vergleichbaren Maßgaben ist die Prüfung vorzunehmen, ob der Ge25 genstand der Erfindung im Prioritätsdokument identisch offenbart ist. Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich die dort anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 3. Juli 2012 aufgehoben.

Das europäische Patent 1 088 569 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über folgende Fassung der Patentansprüche hinausgeht:

"1. Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger, die umfasst: ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum, eine Pumpe (6), eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe (6), einem Verbinder zum Verbinden des Polsters mit der Saugleitung, eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder, wobei der Verbinder einen Ausguss (602) zum Verbinden des von der Pumpe (6) ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Verbinder eine scheibenartige Schale (601) umfasst, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, und wobei die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst.

2. Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei das poröse Polster (102) einen Polyvinylalkoholschaum umfasst.

3. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, wobei die chirurgische Abdeckung (701) ein Loch (702) für den Ausguss (602) aufweist, durch das dieser sich hindurch erstreckt.

4. Vorrichtung nach Anspruch 3, wobei die chirurgische Abdeckung (701) eine Kunststofffolie (701) umfasst, die mit einem druckempfindlichen Klebstoff zum Befestigen des porösen Polsters (102) und des Verbinders an der Wunde beschichtet ist."

Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

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Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 088 569 (Streitpatents), das aus einer am 8. Januar 2001 eingereichten Teilanmeldung hervorgegangen ist. Diese geht zurück auf eine als WO 97/18007 veröffentlichte internationale Patentanmeldung vom 14. November 1996 (Stammanmeldung), die beim Europäischen Patentamt als europäische Anmeldung 865 304 geführt wird. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Wundbehandlungseinrichtung und umfasst fünf Patentansprüche. Patentanspruch 1, auf den die weiteren Ansprüche unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

"Apparatus for applying negative pressure to a superficial wound in a mammal which comprises a porous pad (102) of open, intercommunicating cellular flexible foam, a pump (6), a suction tube (101) for connecting the porous pad to the pump (6), a connector for connecting the pad to the suction tube, a surgical drape (701) for forming an air-tight seal over the wound site, over the pad and over the connector, said connector having a spout (602) for connecting the end of the suction tube (101) remote from the pump (6) to the wound site, characterized in that the connector comprises a disc-like cup (601) having its lower face in contact with said porous pad."

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Die Klägerin zu 1 hat das Streitpatent in vollem Umfang, die Klägerin zu 2 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 angegriffen. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei nicht patentfähig und beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit zuletzt sechs Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

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Gegen das Urteil des Patentgerichts wendet sich die Berufung der Beklagten, die in erster Linie weiterhin die Abweisung der Klagen begehrt und hilfsweise das Streitpatent in beschränkten Anspruchsfassungen verteidigt. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

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I. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Vorrichtung zur Wundbehandlung.

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1. Nach der Schilderung der Streitpatentschrift waren im Stand der Technik, etwa aus der internationalen Anmeldung WO 96/05873, Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden bekannt, bei denen der Wundheilungsprozess durch Anlegen von Unterdruck gefördert werde. Eine solche Vorrichtung umfasse ein poröses, für Flüssigkeiten durchlässiges Polster, das in die Wunde eingeführt werden könne, einen Verband, mit dem die Wunde abgedeckt und luftdicht abgedichtet werde, eine Abflussleitung, die das Polster mit einer Saugpumpe verbinde, so dass Unterdruck an die Wunde angelegt und Flüssigkeiten aus dieser abgesaugt werden könne, und schließlich einen Behälter, in dem die abgesaugte Flüssigkeit gesammelt werde.

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Wie eine solche, im Stand der Technik bekannte Vorrichtung aussieht, zeigt beispielsweise die Figur 10 der erwähnten internationalen Anmeldung,

Abbildung

bei der Bezugszeichen 210 die Wunde, Bezugszeichen 36 ein poröses, flüssigkeitsdurchlässiges Schaumstoffpolster (foam pad), Bezugszeichen 37 den Schlauch und Bezugszeichen 43 die luftdichte Wundabdeckung bezeichnet.

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Das technische Problem, welches das Streitpatent lösen soll, besteht darin, eine Vorrichtung bereitzustellen, die eine solche Wundbehandlung mit Unterdruck bequemer macht und ihre Anwendung insbesondere auch bei mobilen, also nicht bettlägerigen Patienten erlaubt.

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2. Zur Lösung dieses Problems schlägt die Streitpatentschrift eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (Gliederungspunkte des Patentgerichts in eckigen Klammern):

Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger [1], umfassend

1. ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum (a porous pad of open, intercommunicating cellular flexible foam); [1.1]

2. eine Pumpe (6); [1.2]

3. eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe; [1.3]

4. einen Verbinder zur Verbindung des Polsters mit der Saugleitung [1.4], der

a) einen Ausguss (spout) (602) zum Verbinden des von der Pumpe ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, [1.6]

b) eine scheibenartige Schale (a disc-like cup) (601) umfasst, deren untere Fläche (lower face) mit dem porösen Polster in Kontakt steht; [1.7a und 1.7b]

5. eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder. [1.5]

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3. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung:

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a) Der Verbinder weist nach Merkmal 4a einen Ausguss (spout) auf, der dazu dient, das von der Pumpe entfernte Ende der Saugleitung mit der Wundstelle zu verbinden, während im Stand der Technik, wie etwa aus der oben wiedergegebenen Figur 10 ersichtlich, das Ende des Schlauchs in das Weichschaumstoffpolster eingeführt wurde. Nach der Beschreibung kann entweder der Ausguss das Ende des Schlauchs aufnehmen oder aber das Schlauchende in den Ausguss eingesetzt und zusätzlich in den Schaum gedrückt werden (Sp. 5, Z. 37 bis 39 und Z. 45 bis 47). Die Anordnung und Größe des Ausgusses überlässt das Streitpatent dem Fachmann, bei dem es sich hier, wie das Patentgericht unbeanstandet angenommen hat, um einen Diplom-Ingenieur der Medizintechnik handelt, der mit der Entwicklung von Unterdruck-Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden vertraut ist und für die medizinischen Aspekte der Wundheilung einen entsprechend kundigen Arzt konsultiert.

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b) Der Verbinder umfasst nach Merkmal 4b eine scheibenartige Schale (disc-like cup). Es handelt sich demnach um eine Vorrichtung, die einerseits die Form einer Schale aufweist, also nicht völlig eben ist, sondern an ihrem Rand aus dieser Ebene heraus gebogen ist, andererseits aber scheibenartig, also flach ausgestaltet ist. Unter einer scheibenartigen Schale versteht das Streitpatent mithin eine Schale, deren Höhe deutlich geringer ist als ihr Durchmesser. Ein solches Verständnis des Merkmals wird auch dadurch nahegelegt, dass die Wundheilungsvorrichtung am Körper getragen können werden soll (vgl. Figuren 3A und 3B), weshalb es vorteilhaft ist, sie möglichst flach zu halten. Hierfür spricht weiter, dass die Figuren 6B und 6C Schalen zeigen, die praktisch flach sind und nur einen minimal aufgebogenen Rand aufweisen.

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Für diese Auslegung spricht ergänzend, dass das Streitpatent in den Absätzen 6 und 7 die internationale Anmeldung WO 94/20041 (VP4 = D1) als nächstliegenden Stand der Technik bezeichnet, deren Inhalt der Oberbegriff von Patentanspruch 1 wiedergebe. Der Umstand, dass Patentanspruch 1 das Merkmal 4b als einziges kennzeichnendes Merkmal ausweist, legt den Schluss nahe, dass die in D1 in den dortigen Figuren 2 bis 5 mit den Bezugszeichen 29a, 29b, 29c und 29d gekennzeichneten Vorrichtungen nicht als scheibenartig anzusehen sein sollen. Die Auffassung der Klägerin zu 1, Absätze 6 und 7 des Streitpatents seien bei der Auslegung nicht zu berücksichtigen, weil sie in der Stammanmeldung nicht enthalten waren, trifft nicht zu. Bei der Ermittlung der mit einem Patentanspruch gegebenen Lehre sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind. Dabei darf der Patentanspruch weder nach Maßgabe dessen ausgelegt werden, was sich nach Prüfung des Standes der Technik als patentfähig erweist, noch nach Maßgabe des Sinngehalts der Ursprungsunterlagen. Grundlage der Auslegung ist vielmehr allein die Patentschrift (BGH, Urteil vom 17. Februar 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 27 f. - Polymerschaum).

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Merkmal 4b besagt weiter, dass die Unterseite der scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt steht, was dahin zu verstehen ist, dass die konkave Seite der Schale mit dem Polster in einem flächigen Kontakt steht. Nach der Beschreibung des Streitpatents wird die Schale auf die poröse Abdeckung der Wunde gedrückt und durch eine chirurgische Abdeckung gesichert (Sp. 5 Z. 43 bis 45). Berücksichtigt man einerseits, dass die Schale scheibenartig, also flach ausgebildet ist, und andererseits, dass das poröse Polster aus Weichschaumstoff besteht, also nachgiebig ist, ergibt sich hieraus für den Fachmann, dass die Schale zwar nicht notwendigerweise vollflächig, aber auch nicht nur punktuell oder mit ihrem Rand, also entlang einer Linie auf dem Polster aufsitzt, sondern im Wesentlichen flächig auf diesem aufliegt. Aus fachlicher Sicht besagt dies, dass der Innenraum der Schale jedenfalls im Wesentlichen mit dem aus Weichschaum bestehenden Polster ausgefüllt ist, so dass keine größeren Freiräume bestehen bleiben. Dieses Verständnis des Merkmals ergibt sich für den Fachmann auch daraus, dass eine solche Gestaltung zu dem gewünschten, für eine tragbare Vorrichtung vorteilhaften flachen Aufbau beiträgt.

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Angaben über die Größe der Schale, insbesondere dazu, ob sie so dimensioniert sein muss, dass sie das gesamte Weichschaumstoffpolster abdeckt, sind Patentanspruch 1 nicht zu entnehmen.

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c) Nach Merkmal 5 umfasst die Vorrichtung eine chirurgische Abdeckung zur Herstellung einer luftdichten Abdichtung über Wundstelle, Polster und Verbinder. Daraus ergibt sich, dass nicht nur das Polster, sondern auch der Verbinder unter der chirurgischen Abdeckung liegen muss.

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II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

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Das Streitpatent sei vollen Umfangs für nichtig zu erklären, weil sein Gegenstand in sämtlichen verteidigten Fassungen über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Das Merkmal M1.7b, wonach die untere Fläche der vom Verbinder umfassten scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, sei der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen. In der Stammanmeldung sei nicht offenbart, dass der Verbinder der beanspruchten Vorrichtung eine scheibenartige Schale umfasse, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt stehe. Den Figuren 6A bis 6D der Stammanmeldung sei solches nicht zu entnehmen. Auch aus der Gesamtoffenbarung der Stammanmeldung ergebe sich nicht, dass die Schale so ausgestaltet sein müsse, dass ihre untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, ebenso bleibe offen, mit welchem Anteil bzw. in welchem Umfang die Unterseite der Schale mit dem Polster in Kontakt stehe.

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Die Einfügung des Merkmals M1.7b könne nicht als bloße Einschränkung des Gegenstands des Anspruchs 1 verstanden werden, sondern führe zu einer anderen Lehre (Aliud). Während der Fachmann den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen die Lehre entnehme, dass die scheibenförmige Schale so ausgebildet sei, dass sie mit dem Rand, jedenfalls aber nicht mit der unteren Fläche auf das poröse Polster aufgesetzt werde, setze das eingefügte Merkmal genau dies voraus. Da sämtliche Hilfsanträge dieses Merkmal aufwiesen, seien sie unzulässig. Ob der weitere Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit vorliege, könne damit dahinstehen.

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III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug nicht in vollem Umfang stand.

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1. Im Ergebnis zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 über den Inhalt der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

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a) Nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜbkG ist ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der danach maßgebliche Inhalt der Anmeldung ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Er ist nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt. Entscheidend ist vielmehr, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann (BGHZ 194, 107 Rn. 45 - Polymerschaum).

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b) Eine unzulässige Erweiterung ist hier darin zu sehen, dass die erfindungsgemäße Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde nur durch ein poröses Polster, eine Pumpe, eine Saugleitung, einen Verbinder mit scheibenartiger Schale und Ausguss zur Verbindung des Polsters mit der Saugleitung sowie eine chirurgische Abdeckung gekennzeichnet ist. In dieser allgemeinen Form ist die Vorrichtung in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen - das ist hier die Stammanmeldung - nicht als erfindungsgemäß offenbart.

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aa) Die Beschreibung der Stammanmeldung geht wie diejenige des Streitpatents von der internationalen Patentanmeldung WO 96/05873 aus. Die dort beschriebene Vorrichtung sei wirksam zur Behandlung einer Vielzahl von Wunden unterschiedlicher Art und Größe. Jedoch könne die Behandlung eine längere Zeit in Anspruch nehmen, was nicht bei einem bettlägerigen, wohl aber bei einem nicht an das Bett gebundenen Patienten ein Problem darstelle. Als Aufgabe der Erfindung wird es bezeichnet, eine Vorrichtung bereitzustellen, die in der Anwendung komfortabler ist, insbesondere bei in gewissem Umfang mobilen Patienten, und weitere aus der Beschreibung ersichtliche Vorteile aufweist. Hierzu wird zunächst eine tragbare Vorrichtung zur Stimulierung der Wundheilung vorgeschlagen, die ein Gehäuse mit einer Saugpumpe und einem Behälter zur Aufnahme abgesaugter Wundflüssigkeit enthält und Mittel zur Verbindung mit Verbandmaterial in der Wundregion sowie einen Tragegurt oder Gürtel zum Abstützen des Gehäuses umfasst, wobei die zweckmäßige Ausgestaltung des Gehäuses, der Saugpumpe und ihres Antriebs sowie des Behälters näher beschrieben wird.

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Sodann wird erörtert, dass es bei einer tragbaren Vorrichtung schwieriger sei als bei der im Stand der Technik beschriebenen statischen, den an der zu behandelnden Wundstelle herrschenden Druck zu bestimmen, da er teilweise von der hydrostatischen Höhe zwischen Pumpe und Wunde abhänge und diese sich in Abhängigkeit von den Bewegungen des Patienten verändere. Dieses Problem soll durch eine zusätzliche Leitung gelöst werden, die die Wundstelle mit vorzugsweise in dem Gehäuse untergebrachten Druckerfassungsmitteln verbindet. Diese könnten wiederum mit einem Mikroprozessor verbunden sein, der für die Einhaltung eines vorbestimmten Druckbereichs sorge. Eine solche Einrichtung lasse sich auch bei einer nicht-tragbaren Vorrichtung verwenden. Sie erlaube es auch, über die veränderten Druckverhältnisse einen vollständig mit Wundflüssigkeit gefüllten Behälter zu detektieren.

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Diesen allgemeinen Ausführungen folgt die Beschreibung der in den Zeichnungen dargestellten Ausführungsformen. Dabei wird unter Bezugnahme auf Figur 1 u.a. ein als Saugleitung dienender Schlauch 101 und ein zweiter Schlauch 106 beschrieben, der die Wundstelle zur Messung oder Überwachung des Drucks mit einem Druckentlastungsventil 8 und einem Messfühler 108 verbindet. Die Schläuche 101 und 106 könnten in einem mehrlumigen Schlauch (multi-lumen tube) kombiniert werden. Dies wird als bevorzugt und in den Figuren 5A bis 5F und in modifizierter Form in 6E dargestellt bezeichnet. Sodann kommt die Beschreibung auf die Figuren 6A bis 6D zu sprechen, die verschiedene Ansichten eines Verbinders zum Anschließen des mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zeigten. Nur an dieser Stelle wird der Verbinder dahin beschrieben, dass er eine scheibenförmige Schale umfasst, die einen Ausguss aufweist, der so bemessen ist, dass er das Ende des mehrlumigen Schlauchs aufnehmen kann (S. 8).

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In Übereinstimmung mit diesen Ausführungen der Beschreibung ist Anspruch 1 der Anmeldung auf eine tragbare Vorrichtung mit Gehäuse, Saugpumpe, Behälter und Tragegurt gerichtet, der nebengeordnete Anspruch 3 auf eine Behandlungsvorrichtung u.a. mit Druckerfassungsmitteln und der ebenfalls nebengeordnete Anspruch 5 auf eine Behandlungsvorrichtung u.a. mit einer Saugleitung und einer zusätzlichen Leitung, die ein poröses Polster mit eine Überwachung des Drucks an der Wundstelle ermöglichenden Druckerfassungsmitteln verbindet.

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Die in der Stammanmeldung offenbarten Ausführungsformen der Erfindung werden damit zum einen durch die eine Tragbarkeit erlaubenden Mittel (Anspruch 1), zum anderen durch Mittel gekennzeichnet, die eine Druckerfassung ermöglichen (Ansprüche 3 und 5). Nur im Kontext der Druckerfassung und der hierzu neben der Saugleitung erforderlichen zweiten Leitung findet der Verbinder Erwähnung. Die Saugleitung und die Druckerfassungsleitung können in einer unterteilten Schlauchleitung (multi-partitioned tube) zusammengefasst werden (Stammanmeldung S. 5 unten), und der Ausguss des Verbinders kann diesen mehrlumigen Schlauch aufnehmen.

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bb) Dem ist nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass als zum Patentschutz angemeldete Erfindung auch eine Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde beschrieben wird, die weder Mittel aufweist, die ihre Tragbarkeit sicherstellen, noch Mittel, die es ermöglichen, den Druck an der Wundstelle zu erfassen, sondern lediglich aus einem porösen Polster, einer chirurgischen Abdeckung, einer Pumpe, einer Saugleitung und einem Polster und Saugleitung verbindenden Verbinder bestehen, der einen die Saugleitung aufnehmenden Ausguss und eine scheibenartige Schale umfasst.

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Allerdings ist eine Fassung des Patentanspruchs, die gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine Verallgemeinerung enthält, nicht unter allen Umständen ausgeschlossen. In Bezug auf die Frage, ob die Priorität einer Voranmeldung zu Recht in Anspruch genommen wird, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dies unter der Voraussetzung zulässig ist, dass sich die in der Voranmeldung anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 25 - Kommunikationskanal). Die gleichen Maßgaben gelten für die Frage danach, ob der erteilte Patentanspruch gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine unzulässige Erweiterung aufweist.

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Nach dieser Maßgabe beruht Patentanspruch 1 auf einer unzulässigen Erweiterung. Der Fachmann vermag den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht ohne weiteres die allgemeine technische Lehre zu entnehmen, Polster und zur Pumpe führende Saugleitung einer Unterdruckvorrichtung durch eine Einrichtung zu verbinden, die einen Ausguss zur Aufnahme der Saugleitung und eine scheibenartige Schale zur Aufnahme des Polsters umfasst.

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Der Verbinder ist in der Stammanmeldung vielmehr nur als Element einer Vorrichtung offenbart, in der er den konkret beschriebenen Zweck erfüllt, die Anbindung eines mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zu gewährleisten. Er steht mithin in untrennbarem Zusammenhang mit einer Wundbehandlungsvorrichtung, die auch ein Druckerfassungsmittel aufweist, wobei die hierfür erforderliche weitere Leitung mit der ohnehin erforderlichen Saugleitung vorzugsweise in einem mehrlumigen Schlauch zusammengefasst ist, der von dem Ausguss des Verbinders aufgenommen wird. Weder Beschreibung noch Ansprüche der Stammanmeldung bieten einen Anhalt für die Annahme, der Fachmann entnehme ihr, dass ihm mit der Ausgestaltung des Verbinders als mit einem Ausguss oder einer Tülle versehener flacher Schale eine Ausführungsform der Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks vorgestellt wird, für die unabhängig von den Ausführungsformen, die sich mit der tragbaren Ausgestaltung oder den Mitteln zur Druckerfassung beschäftigen, Patentschutz angestrebt wird und die mithin - für sich betrachtet - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart wird.

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Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Stammanmeldung kurz vor der oben genannten Passage der Beschreibung des Ausführungsbeispiels auch eine Leitung erwähnt, die nur eine Bohrung aufweist (single bore tube, S. 7 unten). Der betreffenden Passage ist lediglich zu entnehmen, dass die ansonsten vorgesehene geteilte Leitung (partitioned tube) nicht bis zur Wundstelle reichen muss, sondern an ihrem Ende ein kurzes Stück einer einlumigen Leitung aufweisen kann. Dem entspricht es, dass - etwas später (S. 8 Mitte) - ausgeführt wird, dass, sofern dies gewünscht wird, das Ende der Leitung auch durch den Ausguss führen und bis in den Weichschaum reichen kann. Dies ändert nichts daran, dass an den genannten Stellen im Grundsatz weiterhin ein mehrlumiger Schlauch gemeint ist, und vermag den sich aus dem Gesamtinhalt der Beschreibung ergebenden Zusammenhang der Offenbarung der Ausgestaltung des Verbinders mit einer Vorrichtung zum Ausüben und Überwachen eines Unterdrucks nicht in Frage zu stellen.

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c) Danach hat das Patentgericht im Ergebnis zutreffend angenommen, dass Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung auf einer unzulässigen Erweiterung beruht und daher keinen Bestand haben kann. Eine andere Beurteilung ist auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass das Streitpatent aus einer Teilanmeldung hervorgegangen ist. Die Anforderungen an die Ursprungsoffenbarung sind in einem solchen Fall nicht geringer.

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2. Dagegen hält das angefochtene Urteil der Nachprüfung nicht stand, soweit das Patentgericht angenommen hat, der ehemalige Hilfsantrag 6 neu, den die Beklagte nunmehr als Hilfsantrag I stellt, beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung.

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Nach Hilfsantrag I wird Patentanspruch 1 um ein weiteres Merkmal ergänzt, wonach die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst (Merkmal 6).

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Die beschränkte Verteidigung der Beklagten mit diesem Hilfsantrag ist - entgegen der Auffassung des Patentgerichts - zulässig.

37

a) Das zusätzliche Merkmal 6 gewährleistet, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht aus den dargelegten Gründen über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht. Die Verallgemeinerung, die nach den Ausführungen oben (unter III 1) eine unzulässige Erweiterung begründete, ist dadurch rückgängig gemacht worden, dass der Aufnehmer 108 als Druckerfassungsmittel und die durch die Kanäle 607 einer Multilumenleitung ausgebildete zweite Leitung zur Verbindung zwischen Polster und Pumpe in den Patentanspruch aufgenommen worden sind und die Ausgestaltung des Verbinders in diesen Kontext gestellt worden ist, weil die vom Ausguss aufgenommene Saugleitung die innere Bohrung 606 der Multilumenleitung bildet.

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b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruht zwar insoweit auf einer unzulässigen Erweiterung, als in Merkmal 4b über die scheibenartige Schale ausgesagt ist, dass sie mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht. Dies führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit der beschränkten Verteidigung des Streitpatents nach Hilfsantrag I.

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aa) Nach Merkmal 4b steht die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt. Wie oben ausgeführt, versteht der Fachmann dieses Merkmal dahin, dass die konkave Seite der Schale mit dem Polster in einem flächigen Kontakt steht.

40

Ein solcher flächiger Kontakt zwischen der konkaven Seite der Schale und dem Polster ist in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. Die Stammanmeldung zeigt in den Figuren 6B und 6C sehr flache Schalen. Ferner kann ihr, insbesondere durch den Verweis auf die internationale Anmeldung WO 96/05873, aus der die oben wiedergegebene Figur 10 stammt, entnommen werden, wie ein Polster, mit dem die Wunde abgedeckt wird, gestaltet sein kann. Aus der Stammanmeldung ist jedoch nicht ersichtlich, wie die scheibenartige Schale auf das Polster aufgesetzt wird. Es wird dort lediglich erläutert, die Schale werde auf die poröse Wundabdeckung gedrückt und durch eine chirurgische Abdeckung gesichert (the cup (601) is pressed onto the porous dressing and secured by a surgical drape, Stammanmeldung S. 8). Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um ein Polster aus Weichschaumstoff handelt, ergibt sich aus diesen Angaben für den Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig, dass die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in flächigem Kontakt steht. Denn ob bei Befolgen dieser Anweisung ein flächiger Kontakt entsteht, hängt aus fachlicher Sicht von mehreren Umständen ab, insbesondere von der Höhe der Schale, vom Verhältnis der Größen von Schale einerseits und Polster andererseits, von der Festigkeit oder Nachgiebigkeit des Polsters und vom Maß des Drucks, mit dem die Schale auf das Polster gepresst wird. Zu allen diesen Umständen enthält die Stammanmeldung keine näheren Angaben.

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bb) Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Verteidigung der Beklagten mit Hilfsantrag I unzulässig ist.

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(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu deutschen Patenten und Gebrauchsmustern müssen solche Schutzrechte, wenn ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, nicht für nichtig erklärt oder gelöscht werden, sofern die Änderung in der Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals besteht, die zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. Dagegen ist die Nichtigerklärung oder Löschung nicht zu vermeiden, wenn die Änderung dazu führt, dass der Gegenstand der Anmeldung gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu einem Aliud abgewandelt wird (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140 - Zeittelegramm; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 - Winkelmesseinrichtung; Urteil vom 21. Juni 2011 - X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 - Integrationselement; Beschluss vom 6. August 2013 - X ZB 2/12, GRUR 2013, 1135 - Tintenstrahl-drucker). Die Frage, ob diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente Anwendung findet, hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 19 - Winkelmesseinrichtung). Sie ist - entgegen der Auffassung des Bundespatentgerichts (Urteil vom 8. April 2014, Mitt. 2014, 436 - Fettabsaugevorrichtung) - zu bejahen.

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(2) Der angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt die Überlegung zugrunde, dass die unzulässige Änderung des Gegenstands des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen dessen Widerruf oder Nichtigerklärung nicht erfordert, wenn den berechtigten Interessen Dritter, insbesondere der Wettbewerber des Patentinhabers, und der Öffentlichkeit durch weniger schwerwiegende Maßnahmen Rechnung getragen werden kann.

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Danach ist der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents nicht geboten, wenn der Gegenstand des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen in unzulässiger Weise verallgemeinert worden ist. In diesem Fall kann die unzulässige Erweiterung dadurch behoben werden, dass die unzulässige Verallgemeinerung aus dem Patentanspruch gestrichen wird (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 14 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 19 - Integrationselement; ebenso EPA, Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar 1994 - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 11 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Pro-ducts).

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Der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents ist andererseits unumgänglich, wenn die Hinzufügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals dazu führt, dass der Patentanspruch des erteilten Patents eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung, wenn das Patent also etwas schützt, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt (BGH, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 21 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 27 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 - Tintenstrahldrucker). Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen geänderten Anspruchs gefährdete die Rechtssicherheit für Dritte, die darauf vertrauen dürfen, dass aus der Patentanmeldung kein Patent hervorgeht, das einen weiteren oder anderen Gegenstand hat als denjenigen, der in der Anmeldung offenbart worden ist. Die Aufrechterhaltung eines mit dem Einspruch oder der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents mit der Maßgabe, dass das in Rede stehende Merkmal im Patentanspruch verbleibt, der Patentinhaber daraus aber keine Rechte herleiten kann, scheidet in einem solchen Fall aus, weil sie dazu führen würde, dass das Patent in der Fassung nach dem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren einen anderen Gegenstand hätte als ursprungsoffenbart (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 23 - Winkelmesseinrichtung).

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Der Widerruf oder die Nichtigerklärung eines Patents ist dagegen nicht erforderlich, wenn die Einfügung eines Merkmals, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. In einem solchen Fall wird den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit dadurch Rechnung getragen, dass das einschränkende Merkmal im Patentanspruch verbleibt und zugleich dafür gesorgt wird, dass im Übrigen aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden können, insbesondere das nicht offenbarte Merkmal bei der Prüfung der Patentfähigkeit insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf (BGH, GRUR 2001, 140, 142 f. - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 16 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 24 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 - Tintenstrahldrucker).

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(3) Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht nicht in Widerspruch zu den Regelungen des Europäischen Patentübereinkommens.

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Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts führt die Aufnahme eines einschränkenden, in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals in den Patentanspruch regelmäßig zum Widerruf des Patents nach Art. 123 Abs. 2, 100 Buchstabe c EPÜ. Falle ein solches Merkmal unter Art. 123 Abs. 2 EPÜ, könne es weder im Patent beibehalten noch ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ aus den Ansprüchen gestrichen werden. Das Patent könne nur dann - ausnahmsweise - aufrechterhalten werden, wenn die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage dafür biete, dass die einschränkenden Merkmale ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ durch andere ersetzt werden könnten (Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar  1994 - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 12 f. - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products).

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Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof wenden bei der Entscheidung über die Nichtigerklärung eines europäischen Patents, das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist, nicht Art. 123 Abs. 2 und 3 EPÜ an, sondern entscheiden auf der Grundlage von Art. II § 6 IntPatÜbkG. Mit der Schaffung dieser Norm hat der nationale Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Gründe für die Nichtigerklärung eines europäischen Patents für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe von Art. 138 EPÜ aufzuführen. Nach Art. 138 EPÜ kann ein europäisches Patent - vorbehaltlich des Art. 139 EPÜ - nur aus den dort abschließend aufgeführten Gründen für nichtig erklärt werden. Die Norm steht damit zwar einer Entscheidung des nationalen Gerichts entgegen, durch die ein europäisches Patent auch dann für nichtig erklärt wird, wenn keiner der in Art. 138 EPÜ aufgeführten Gründe vorliegt. Sie eröffnet aber die Möglichkeit, dass das nationale Gericht auch bei Vorliegen eines solchen Grundes von der Nichtigerklärung des Patents absieht, ohne sich damit in Widerspruch zu Art. 123 EPÜ zu setzen, wie er von der Großen Beschwerdekammer verstanden wird.

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(4) Ein solches Absehen von der Nichtigerklärung ist auch bei einem europäischen Patent angezeigt, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht oder nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt.

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Die Große Beschwerdekammer hat eingeräumt, dass die von ihr vertretene Auffassung zu harten Folgen für den Patentinhaber führt (EPA, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products), weil er Gefahr läuft, nach einer Änderung seiner Anmeldung selbst dann in einer "unentrinnbaren Falle" zu sitzen und alles zu verlieren, wenn die Änderung den Schutzbereich des Patents einschränkt. Die oben wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ermöglicht es demgegenüber, auf eine vollständige Nichtigerklärung des Patents zu verzichten, ohne dass Abstriche an der Wahrung der berechtigten Interessen Dritter und der Öffentlichkeit gemacht werden müssen. Sie trägt damit zugleich dem verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums (Art. 14 GG) Rechnung, der auch das Recht am Patent umfasst und den Patentinhaber vor hoheitlichen Eingriffen schützt, soweit diese nicht erforderlich sind. Das rechtfertigt es, diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente anzuwenden.

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(5) Soweit Patentanspruch 1 das Merkmal enthält, dass die untere Fläche der scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt steht, liegt darin eine bloße Konkretisierung einer Anweisung zum technischen Handeln, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist.

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(a) Ob es sich bei der Einfügung eines in den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbarten Merkmals um eine bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstands handelt oder um ein Aliud, bestimmt sich danach, ob damit lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert wird, die in diesen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, oder ob damit ein technischer Aspekt angesprochen wird, der daraus weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch auch nur in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 22 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 29 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 26 f. - Tintenstrahldrucker).

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(b) Danach ist Merkmal 4b - entgegen der Auffassung des Patentgerichts - nicht als Aliud einzuordnen. Soweit dieses Merkmal vorsieht, dass die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, wird damit kein neuer technischer Aspekt eingeführt. Vielmehr handelt es sich um eine bloße Beschränkung im vorstehend ausgeführten Sinn, durch die dem Fachmann vermittelt wird, die scheibenartige Schale so flach auszugestalten, dass ein im Wesentlichen flächiger Kontakt zwischen ihrer unteren Fläche und dem porösen Polster hergestellt wird, wenn die Scheibe auf das Polster gedrückt und mittels der chirurgischen Abdeckung gesichert wird.

55

(6) Der Zulässigkeit der beschränkten Verteidigung steht auch nicht entgegen, dass es nicht zulässig ist, den Patentanspruch durch ein nicht-ursprungsoffenbartes Merkmal zu beschränken. Denn Merkmal 4b ist bereits im erteilten Patentanspruch 1 enthalten. Dass es Bestandteil des im Übrigen unbedenklichen Hilfsantrags I ist, kann daher dessen Zulässigkeit nicht in Frage stellen.

56

3. Die Beurteilung des Patentgerichts, wonach Patentanspruch 1 nicht zulässigerweise in der Fassung des Hilfsantrags I (früherer Hilfsantrag 6 neu) verteidigt werden kann, hält mithin der Prüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

57

Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht (§ 119 Abs. 2, 3 PatG). Eine eigene Entscheidung des Senats in der Sache ist nicht angezeigt (§ 119 Abs. 5 Satz 1 PatG). Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 1 in der Fassung dieses Hilfsantrags bislang nicht geprüft. Bei dieser nunmehr erforderlichen Prüfung wird das Patentgericht das nicht-ursprungsoffenbarte Merkmal außer Betracht zu lassen haben.

Meier-Beck                           Hoffmann                       Deichfuß

                   Kober-Dehm                        Feddersen

30
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelten für die Beurteilung der identischen Offenbarung die Prinzipien der Neuheitsprüfung. Danach ist erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann. Bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts sind auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zulässig. Dies gilt insbesondere dann, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen , aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 = GRUR 2014, 542 Rn. 21 ff. - Kommunikationskanal; Beschluss vom 8. November 2016 - X ZB 1/16, GRUR 2017, 54 Rn. 44 - Ventileinrichtung).

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)