Bundessozialgericht Beschluss, 06. Okt. 2016 - B 5 R 45/16 B

bei uns veröffentlicht am06.10.2016

Tenor

Der Klägerin wird hinsichtlich der Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. September 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird dieses Urteil aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

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I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung gewähren muss.

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Im Verwaltungsverfahren zog die Beklagte ein Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. Z. bei und lehnte den Rentenantrag der Klägerin ab, weil sie nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme nicht erwerbsgemindert sei (Bescheid vom 14.5.2013 und Widerspruchsbescheid vom 18.9.2013). Das SG Freiburg hat die Klage nach Beiziehung von Befundberichten abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 5.6.2014).

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Im Berufungsverfahren hat die Klägerseite am 4.8.2015 einer "Entscheidung nur nach Aktenlage" zugestimmt und sich mit Schriftsatz vom 7.8.2015 für die Ausführungen im Richterbrief vom 5.8.2015 bedankt, wonach das Gericht ihre Erklärung "als Zustimmung zu einer Entscheidung des Rechtstreits im schriftlichen Verfahren, also ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung" werte. Am 13.8.2015 ist beim LSG die angeforderte Akte des SG Freiburg aus dem Schwerbehindertenverfahren S 16 SB 4076/13 eingegangen. Das LSG hat eine Kopie des dort eingeholten Gerichtsgutachtens des niedergelassenen Neurologen und Psychiaters Dr. B. aus K. vom 26.5.2015 zur Gerichtsakte genommen und gleichzeitig dessen "schriftliche Vernehmung als sachverständiger Zeuge über die … im Laufe der Behandlung d. Kläg. getroffenen Feststellungen" angeordnet. Nachdem Dr. B. darauf hingewiesen hatte, dass er die Klägerin nicht behandelt, sondern nur begutachtet habe, die Beklagte einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung telefonisch zugestimmt und eine beratungsärztliche Stellungnahme des Sozialmediziners Dr. S. vom 21.8.2015 vorgelegt hatte, hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Freiburg durch Urteil vom 22.9.2015 ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

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Der Senat hat der Klägerin mit Beschluss vom 4.1.2016, der ihr am 13.1.2016 zugestellt worden ist, für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt W. aus O. antragsgemäß beigeordnet. Am 11.2.2016 ist per Telefax (Kopfzeile: "11. Feb. 2016 13:43 RAe-R.-O. Nr. 1583") auf einem Briefbogen der Rechtsanwälte R., E. & Partner, denen der beigeordnete Rechtsanwalt W. angehört, Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt worden. Die Beschwerdeschrift schließt folgendermaßen ab:

        
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In der Beschwerdebegründungsschrift vom 11.4.2016 rügt die Klägerin ua, das LSG habe ihr "Recht … auf eine mündliche Verhandlung verletzt", weil es über die Berufung ermessensfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung entschieden habe, wobei erschwerend hinzukomme, dass bereits in erster Instanz ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden worden sei. Außerdem habe das Berufungsgericht ihr "Recht auf rechtliches Gehör im Sinne des § 62 SGG" verletzt, indem es "nach Beiziehung des Gutachtens des Dr. B. unter Einholung der Stellungnahme der Beklagten vom 21.08.15 nicht erneuten richterlichen Hinweis an die Klägerin erteilt und dieser Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben" habe. Die Beschwerdebegründungsschrift schließt wie folgt ab:

        
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Die Klägerin beantragt,
die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. September 2015 zuzulassen.

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Die Beklagte, die keinen Antrag gestellt hat, weist darauf hin, dass die Unterschriften auf der Berufungsschrift und auf der Vollmacht vom 20.11.2015 nicht derselben Person zuzuordnen seien, so dass unklar sei, "ob die Berufung ordnungsgemäß erhoben wurde".

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Der Senat hat Rechtsanwalt W. unter dem 28.6.2016 aufgefordert mitzuteilen, wer die Beschwerdeeinlegungsschrift vom 11.2.2016 und wer die Beschwerdebegründungsschrift vom 11.4.2016 unterschrieben hat sowie um Übersendung entsprechender Vollmachten gebeten. "Fürsorglich" hat Rechtsanwalt W. daraufhin mit Schriftsatz vom 15.7.2016 "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand … wegen Versäumung der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und in die Frist für deren Begründung" beantragt, nochmals Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und sie begründet. Zum Wiedereinsetzungsgesuch hat er angegeben, die Beschwerde und deren Begründung habe der kanzleiangehörige Rechtsanwalt J. G. unterzeichnet, dessen Schriftzug die Gerichte noch nie beanstandet hätten. Er versichere, dass es sich um die übliche Unterschrift von Rechtsanwalt G. handele. Beigefügt sind eine Vollmacht der Klägerin an die Rechtsanwälte R., E. & P."wegen Nichtzulassungsbeschwerde gg. Urteil v. 22.09.15" vom 19.1.2016, eine Untervollmacht von Rechtsanwalt W. an Frau Rechtsanwältin K. und Herrn Rechtsanwalt G. vom 21.1.2016 sowie eine eidesstattliche Versicherung von Rechtsanwalt G. vom 15.7.2016, wonach er die Unterschriften unter der Beschwerdeschrift vom 11.2.2016 sowie unter der Beschwerdebegründungsschrift vom 11.4.2016 geleistet und sich den Inhalt dieser Schriftsätze zu eigen gemacht habe. Die eidesstattliche Versicherung ist wie folgt unterzeichnet:

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II. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22.9.2015 ist zulässig (1.) und begründet (2.).

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1. Sie ist - nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - fristgerecht eingelegt und begründet und auch im Übrigen zulässig.

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Gemäß § 160a Abs 1 S 3 und Abs 2 SGG ist die Beschwerde schriftlich einzulegen und zu begründen; in der Begründung muss der geltend gemachte Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Um das Schriftformerfordernis zu erfüllen, müssen sowohl Beschwerdeeinlegungs- als auch -begründungsschrift von einem beim BSG nach § 73 Abs 4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eigenhändig unterschrieben sein. Weder die Beschwerdeschrift vom 11.2.2016 noch die Beschwerdebegründungsschrift vom 11.4.2016 schließen jedoch mit einer Unterschrift ab (nachfolgend a). Die von dem beigeordneten Rechtsanwalt W. ordnungsgemäß unterzeichnete Beschwerdeeinlegungs- und -begründungsschrift vom 15.7.2016 ist dagegen erst nach Ablauf der einmonatigen Beschwerdefrist und der verlängerten Beschwerdebegründungsfrist eingereicht worden (nachfolgend b). In beide versäumten Fristen ist der Klägerin jedoch gemäß § 67 Abs 1 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren(nachfolgend c). Schließlich ist die Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 und 2 SGG) iVm dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 gg, § 62 SGG) hinreichend bezeichnet (nachfolgend d).

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a) Mit dem Begriff der Unterschrift verbindet der Sprachgebrauch ein Gebilde aus Buchstaben einer üblichen Schrift, dh einen Schriftzug, der sich - ohne lesbar sein zu müssen- als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt (BSG Urteil vom 30.6.1970 - 7/2 RU 35/68 - SozR Nr 12 zu § 151 SGG - Juris RdNr 16; BAG Urteil vom 25.2.2015 - 5 AZR 849/13 - BAGE 151, 66 RdNr 19 mwN). Erforderlich, aber auch genügend ist das Vorliegen eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzuges, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist (BGH Beschlüsse vom 27.9.2005 - VIII ZB 105/04 - NJW 2005, 3775 und vom 16.7.2013 - VIII ZB 62/12 - NJW-RR 2013, 1395, 1396). Die Mängel dürfen jedoch nicht so weit gehen, dass der "Schriftzug" nicht mehr als solcher angesprochen werden kann, weil seine Entstehung aus der ursprünglichen Schrift in Buchstaben nicht einmal andeutungsweise zu erkennen ist. Es muss ein Mindestmaß an Ähnlichkeit mit dieser Schrift in dem Sinn erhalten geblieben sein, dass ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, diesen Namen aus dem Schriftbild noch herauslesen kann, der Unterzeichnende also erkennbar bleibt (BSG SozR Nr 12 zu § 151 SGG - Juris RdNr 16 und Urteil vom 4.6.1975 - 11 RA 189/74 - SozR 1500 § 151 Nr 3). Allein aus den hakenförmigen Linienführungen unterhalb der Beschwerdeschrift vom 11.2.2016 und der Beschwerdebegründungsschrift vom 11.4.2016, die keine individuell-charakteristische Merkmale aufweisen, keine Buchstaben erkennen lassen und damit die (fälschende) Nachahmung geradezu erleichtern, können neutrale Dritte den Namen von Rechtsanwalt "G." selbst dann nicht herauslesen, wenn sie den Namen kennen. Dass der beigeordnete Rechtsanwalt W. oder sonstige Kanzleiangehörige aus der Linienführung sofort auf den Unterzeichner schließen (können), genügt insofern nicht. Dass die hakenförmige Linienführung weder seinen Namen wiedergibt noch die Absicht erkennen lässt, eine volle Unterschrift zu leisten, räumt Rechtsanwalt G. mit seiner Unterschrift auf der eidesstattlichen Versicherung vom 15.7.2016 unausgesprochen selbst ein. Denn die dortige Signatur enthält die deutlich lesbaren Buchstaben "G.", ein stilisiertes "" sowie im Schlussschwung ein angedeutetes "" und erfüllt damit - anders als die Linienführungen unterhalb der Beschwerdeeinlegungs- und -begründungsschrift - die og Anforderungen an eine Unterschrift. Ob es sich bei der hakenförmigen Linienführung, die Rechtsanwalt G. unter der eidesstattlichen Versicherung rechts neben der Unterschrift noch einmal wiederholt, überhaupt schon um eine Paraphe handelt, kann offenbleiben, weil die bloße Paraphierung bestimmender Schriftsätze die volle Unterschriftsleistung keinesfalls ersetzt (BSG SozR 1500 § 151 Nr 3; BSG SozR Nr 12 zu § 151 SGG; BAG Urteil vom 27.3.1996 - 5 AZR 576/94 - NJW 1996, 3164 f; BFH Urteil vom 16.3.1999 - X R 41/96 - BFHE 188, 528; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 142). Denn die Paraphierung deutet auf ein flüchtiges Abzeichnen, nicht aber auf die Übernahme der vollen Verantwortung für den Inhalt eines bestimmenden Schriftsatzes hin (BAG NJW 1996, 3164 f). Eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft von Rechtsanwalt G. und dessen Willen, die Schriftsätze vom 11.2. und 11.4.2016 in den Rechtsverkehr zu bringen, bietet schließlich auch nicht die Verwendung des Briefbogens seiner Kanzlei und deren Faxkennung in der Kopfzeile (vgl dazu BAGE 151, 66 RdNr 23).

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b) Die Beschwerde und ihre Begründung vom 15.7.2016 sind indes verfristet. Wie sich aus dem Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 6.1.2016 an den beigeordneten Rechtsanwalt ergibt, war die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der Monatsfrist des § 67 Abs 2 SGG nachzuholen und die Beschwerdebegründung innerhalb der Zwei-Monats-Frist entsprechend § 160a Abs 2 S 1 SGG - mit einmaliger Verlängerungsmöglichkeit um höchstens einen Monat(§ 160a Abs 2 S 2 SGG entsprechend) - jeweils nach Zustellung des Senatsbeschlusses vom 4.1.2016 einzureichen. Da der Senatsbeschluss der Klägerin am 13.1.2016 wirksam zugestellt worden ist, begannen beide Fristen am 14.1.2016 (§ 64 Abs 1 SGG) und liefen am Montag, den 15.2.2016 (§ 64 Abs 2 S 1 und Abs 3 SGG) bzw - nach antragsgemäßer Verlängerung - am 11.4.2016 ab, so dass die Beschwerde und ihre Begründung am 15.7.2016 verspätetet beim BSG eingingen.

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c) Auf ihren Antrag ist der Klägerin jedoch gemäß § 67 Abs 1 SGG Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Beschwerde zu gewähren. Denn sie war ohne Verschulden verhindert, diese gesetzlichen Verfahrensfristen einzuhalten, und sie hat den Wiedereinsetzungsantrag nach Hinweis des Senats vom 28.6.2016 binnen eines Monats am 15.7.2016 gestellt sowie die versäumten Rechtshandlungen (Beschwerdeeinlegung und -begründung) nachgeholt (§ 67 Abs 1, Abs 2 S 1 und 3 SGG). Schuldlos handelt, wer diejenige Sorgfalt beachtet, die einem gewissenhaften Prozessführenden, der seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnimmt, nach den Gesamtumständen des konkreten Falles zuzumuten ist (Senatsbeschluss vom 24.10.2007 - B 5a R 340/07 B - SozR 4-1500 § 67 Nr 7 RdNr 14 und BSG Beschluss vom 11.12.2008 - B 6 KA 34/08 B - Juris RdNr 7). Weder der Klägerin selbst noch ihren Prozessbevollmächtigten, deren Verschulden sie sich gemäß § 73 Abs 6 S 6 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO zurechnen lassen müsste(Senatsurteil vom 30.1.2002 - B 5 RJ 10/01 R - SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 60 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 67 RdNr 3e), ist wegen der Versäumung der Beschwerdeeinlegungs- und -begründungsfrist ein Schuldvorwurf zu machen. Zwar hat sich ein Rechtsanwalt über den Stand der Rechtsprechung zu unterrichten (BGH Beschlüsse vom 11.4.2013 - VII ZB 43/12 - NJW 2013, 1966 f; vom 28.9.1998 - II ZB 19/98 - NJW 1999, 60 und vom 20.12.1978 - IV ZB 115/78 - NJW 1979, 877). Rechtsanwalt G. mussten daher auch die höchstrichterlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze bekannt sein. Auf der anderen Seite haben die Verfahrensbeteiligten und ihre Bevollmächtigten ein (Grund-)Recht auf faire Verfahrensgestaltung, das sich verfassungsrechtlich aus Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 gg und aus Art 19 Abs 4 gg (BVerfG Beschlüsse vom 8.10.1974 - 2 BvR 747/73 - BVerfGE 38, 105, 111; vom 26.5.1981 - 2 BvR 215/81 - BVerfGE 57, 250, 275; vom 26.4.1988 - 1 BvR 669/87 ua - NJW 1988, 2787; vom 14.10.2003 - 1 BvR 901/03 - NVwZ 2004, 334 sowie Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 3.1.2001 - 1 BvR 2147/00 - NJW 2001, 1343 und Kammerbeschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 15.4.2004 - 1 BvR 622/98 - NJW 2004, 2149, 2150; Senatsbeschlüsse vom 9.10.2012 - B 5 R 196/12 B - SozR 4-1500 § 67 Nr 10 RdNr 8 und B 5 R 168/12 B - SozR 4-1500 § 73a Nr 9 RdNr 7) sowie einfachrechtlich aus Art 6 Abs 1 S 1 EMRK (BSG Beschluss vom 17.12.2010 - B 2 U 278/10 B - Juris RdNr 4) herleitet. Danach darf sich das Gericht nicht widersprüchlich verhalten (BVerfG Beschluss vom 14.5.1985 - 1 BvR 370/84 - BVerfGE 69, 381, 387), darf aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (BVerfG Beschlüsse vom 22.5.1979 - 1 BvR 1077/77 - BVerfGE 51, 188, 192; vom 9.2.1982 - 1 BvR 1379/80 - BVerfGE 60, 1, 6 und vom 14.4.1987 - 1 BvR 162/84 - BVerfGE 75, 183, 190) und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (BVerfGE 38, 105, 111 ff; BVerfG Beschlüsse vom 10.6.1975 - 2 BvR 1074/74 - BVerfGE 40, 95, 98 f und vom 19.10.1977 - 2 BvR 462/77 - BVerfGE 46, 202, 210). Deshalb dürfen aus Formvorschriften ohne Vorwarnung keine nachteiligen Folgen für den Bürger abgeleitet werden, falls derselbe Spruchkörper die von ihm bereits (stillschweigend) gebilligte Form einer Unterschrift nicht mehr hinnehmen möchte (BVerfG Beschluss vom 26.4.1988 - 1 BvR 669/87, 1 BvR 686/87, 1 BvR 687/87 - BVerfGE 78, 123, 126; BSG Urteil vom 5.12.2001 - B 7 AL 2/01 R - Juris RdNr 20). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass Rechtsanwalt G. die Anträge auf Akteneinsicht vom 19.1.2016 (vgl Bl 29 BSG-Akte; die Abschrift dieses Schriftsatzes ist in der Unterschriftszeile mit dem Stempelaufdruck "gez. G." versehen) und auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist vom 10.3.2016 ebenso unterzeichnet hat wie die hier in Rede stehenden Beschwerdeeinlegungs- und -begründungsschriften und ihm daraufhin Akteneinsicht und Fristverlängerung gewährt worden ist, ohne dass die Unterschrift beanstandet worden wäre. Schon deshalb durfte Rechtsanwalt G. darauf vertrauen, dass seine Linienführung den in der Rechtsprechung anerkannten Anforderungen entsprach (zum verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz vgl BVerfG Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 24.11.1997 - 1 BvR 1023/96 - NJW 1988, 1853). Folglich kommt die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig unter dem Gesichtspunkt der fairen Verfahrensgestaltung nicht in Betracht (vgl BVerfGE 78. 123, 126 f; BGH Beschlüsse vom 21.6.1990 - I ZB 6/90 - NJW-RR 1991, 511 und vom 28.9.1998, aaO).

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d) Im Übrigen genügt die Beschwerdebegründung den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 S 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der ausdrücklich gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 und 2 SGG) iVm dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 gg, § 62 SGG) ergibt. Die Klägerin behauptet, das LSG habe ihre Berufung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen, obwohl es nach Zugang ihrer diesbezüglichen Einverständniserklärung vom 1.8.2015 am 13.8.2015 noch das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. aus dem Schwerbehindertenverfahren S 16 SB 4976/13 beigezogen und die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme vom 21.8.2015 vorgelegt habe. In dieser Situation sei es ermessensfehlerhaft gewesen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Vertiefte Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), waren wegen der besonderen Wertigkeit der mündlichen Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens ausnahmsweise entbehrlich. Stattdessen genügt es, wenn dem Beschwerdevortrag - wie hier - noch hinreichend deutlich zu entnehmen ist, dass eine andere Entscheidung nicht auszuschließen ist, wenn der Betroffene Gelegenheit gehabt hätte, in der mündlichen Verhandlung vorzutragen (BSG Urteil vom 22.9.1977 - 10 RV 79/76 - BSGE 44, 292 = SozR 1500 § 124 Nr 2 sowie Beschlüsse vom 17.2.2010 - B 1 KR 112/09 B - und vom 21.6.2011 - B 1 KR 144/10 B - Juris RdNr 5; vgl auch Keller, aaO, § 62 RdNr 11c).

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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Das angegriffene Urteil des Berufungsgerichts ist verfahrensfehlerhaft ergangen, weil im Zeitpunkt der Entscheidung keine wirksame Einverständniserklärung vorlag und deshalb nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden werden durfte. Infolgedessen braucht auf die Sachaufklärungsrüge (§ 103, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 403 ZPO), auf die geltend gemachte Verletzung gegen das "Gebot des fairen und effektiven Rechtsschutzes" (Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 gg; Art 19 Abs 4 gg; Art 6 Abs 1 S 1 EMRK) und die angeblich unter Verstoß gegen das Prinzip der Rechtschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 gg) unterbliebene Bescheidung eines Prozesskostenhilfegesuchs nicht weiter eingegangen zu werden.

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Das Gericht entscheidet nach § 124 Abs 1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz der Mündlichkeit enthält § 124 Abs 2 SGG. Danach kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Als Prozesshandlung muss die Einverständniserklärung klar, eindeutig und vorbehaltlos sein (Senatsbeschluss vom 3.6.2009 - B 5 R 306/07 B - Juris RdNr 10; BSGE 44, 292, 294 = SozR 1500 § 124 Nr 2 S 4). Die Zustimmung der Klägerin zu einer "Entscheidung nur nach Aktenlage" war jedoch mehrdeutig, weil sie - wortgetreu - auch als Antrag gemäß § 126 SGG aufgefasst werden konnte, nach Aktenlage zu entscheiden. Diese Mehrdeutigkeit war dem LSG auch bewusst, wie der Richterbrief vom 5.8.2015 belegt, wonach das Gericht die Erklärung der Klägerin "als Zustimmung zu einer Entscheidung des Rechtsstreits im schriftlichen Verfahren, also ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung" werte. Indem sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 7.8.2015 für den Richterbrief vom 5.8.2015 bedankte, beseitigte sie weder die Mehrdeutigkeit ihrer ursprünglichen Erklärung noch stimmte sie einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung iS von § 124 Abs 2 SGG klar und vor allem eindeutig zu. Folglich lag von vornherein keine Einverständniserklärung vor.

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Aber selbst wenn man mit dem LSG und den Beteiligten vom Vorliegen einer Einverständniserklärung ausginge (vgl dazu auch Keller, aaO, § 124 RdNr 3c: "Die Erklärung ist eindeutig, wenn zB 'Einverständnis mit einer Entscheidung nach Lage der Akten' erklärt wird"), wäre sie im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung am 22.9.2015 jedenfalls nicht mehr wirksam gewesen. Eine Einverständniserklärung iS des § 124 Abs 2 SGG verliert ihre Wirksamkeit, wenn sich nach ihrer Abgabe die bisherige Tatsachen- oder Rechtsgrundlage und damit die Prozesssituation wesentlich ändert(BSG Beschlüsse vom 7.4.2011 - B 9 SB 45/10 B - Juris RdNr 14 und vom 17.12.2015 - B 2 U 132/15 B - Juris RdNr 8). Das ist zB der Fall, wenn Zeugen vernommen (BSGE 44, 292 = SozR 1500 § 124 Nr 2), Beteiligte angehört (BSG Urteil vom 15.12.1994 - 4 RA 34/94 - Juris RdNr 18), Auskünfte eingeholt (BSG Beschluss vom 31.5.1978 - 12 BK 20/77 - SozR 1500 § 124 Nr 3) oder Akten beigezogen werden (BVerwG Urteil vom 24.10.1968 - III C 83.67 - NJW 1969, 252). Dasselbe wird für den Fall angenommen, dass ein Schriftsatz des Rechtsmittelgegners mit erheblichem neuen Vorbringen oder neuen Beweismitteln oder Anträgen eingereicht wird (vgl dazu und zum Ganzen: BSG Urteil vom 6.10.1999 - B 1 KR 17/99 R - SozR 3-1500 § 124 Nr 4 S 8). Da die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 124 Abs 1 SGG der prozessrechtliche Regelfall ist und die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung die Ausnahme darstellt, muss das Gericht im Entscheidungszeitpunkt von Amts wegen das Bestehen eines wirksamen Einverständnisses nach § 124 Abs 2 SGG prüfen(BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 SB 45/10 B - Juris RdNr 14 und vom 11.4.2013 - B 2 U 359/12 B - Juris RdNr 10). Die Beteiligten sind daher bei Eintritt einer wesentlichen Änderung der Prozesslage nicht gehalten, das Gericht darauf hinzuweisen, dass ihre Einverständniserklärung unwirksam geworden ist, oder gar ihre Einverständniserklärung dem Gericht gegenüber ausdrücklich zu widerrufen (BSG Beschluss vom 7.4.2011, aaO).

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Vergleicht man die jeweiligen Verhältnisse in den Zeitpunkten der Einverständniserklärung am 1.8.2015 und der Berufungsentscheidung am 22.9.2015, so hat sich die Tatsachengrundlage bereits dadurch wesentlich geändert, dass das LSG die Gerichtsakte aus dem Schwerbehindertenverfahren S 16 SB 4076/13 angefordert und das dortige Gerichtsgutachten des niedergelassenen Neurologen und Psychiaters Dr. B. beigezogen hatte. Schon dies hätte eine neue Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG erfordert. Dasselbe gilt für die Vorlage der beratungsärztlichen Stellungnahme des Sozialmediziners Dr. S. vom 21.8.2015, die rechtlich als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen der Beklagten zu werten ist (BSG Urteil vom 6.4.1989 - 2 RU 55/88 - USK 8999). Derartiges Beteiligtenvorbringen hat das Gericht bei seiner freien Überzeugungsbildung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) zu berücksichtigen (BSG Urteile vom 30.10.1963 - 2 RU 62/58 - SozR Nr 68 zu § 128 SGG; vom 8.12.1988 - 2/9b RU 66/87 - HV-Info 1989, 410 ff und vom 6.4.1989 - 2 RU 55/88 - USK 8999) und kann sogar alleinige Entscheidungsgrundlage sein (BSG Urteile vom 8.12.1988 sowie vom und 6.4.1989, aaO). Es führt deshalb ebenfalls zwingend zur Änderung der bisherigen Tatsachengrundlage. In dieser Situation braucht auf den aktenkundigen Umstand, dass die Stellungnahme des Dr. S. der Klägerin erst am 23.9.2015, dh einen Tag nach der Entscheidung des LSG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung übersandt worden ist, nicht weiter eingegangen zu werden.

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Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, für die keine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG vorliegt, verletzt regelmäßig zugleich den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG(BSG Beschlüsse vom 12.4.2005 - B 2 U 135/04 B - SozR 4-1500 § 124 Nr 1 RdNr 12 und vom 11.4.2013 - B 2 U 359/12 B - Juris RdNr 12). Gerade die in Art 6 Abs 1 EMRK grundsätzlich vorgeschriebene mündliche Verhandlung bietet eine besondere Gewähr zur Wahrung des rechtlichen Gehörs. Es ist indes nicht auszuschließen, dass das LSG zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn sie in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit gehabt hätte, zum Gutachten des Dr. B. und zur beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. S. Anträge und Ergänzungsfragen erstmals zu stellen bzw zu wiederholen oder sonstige Einwendungen zu erheben.

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Soweit die Beklagte unter Hinweis auf die unterschiedlichen Unterschriften auf der Berufungsschrift und auf der Vollmacht vom 20.11.2015 die formgerechte Berufungseinlegung (§ 151 Abs 1 SGG) in Frage stellt, sind entsprechende Zweifel unberechtigt. Denn bereits im Prozesskostenhilfeverfahren ist auf Nachfrage des Senats klargestellt worden, dass die Berufungsschrift von der Schwester der Klägerin, Frau A. Ö., befugterweise (§ 73 Abs 2 S 2 Nr 2 SGG) unterschrieben worden ist und die Klägerin sie dazu bevollmächtigt hatte.

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Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen(§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

23

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Beschluss, 06. Okt. 2016 - B 5 R 45/16 B

Urteilsbesprechungen zu Bundessozialgericht Beschluss, 06. Okt. 2016 - B 5 R 45/16 B

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu
Bundessozialgericht Beschluss, 06. Okt. 2016 - B 5 R 45/16 B zitiert 19 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160a


(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 103


Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 124


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. (3) Entscheidungen des Gerichts, d

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 62


Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 73


(1) Die Beteiligten können vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen. (2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 67


(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. (2) Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stelle

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 118


(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprech

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 64


(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung. (2) Eine nach Tagen bestimmte Frist endet mit dem Ablauf

Zivilprozessordnung - ZPO | § 403 Beweisantritt


Der Beweis wird durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte angetreten.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 126


Das Gericht kann, sofern in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, nach Lage der Akten entscheiden, wenn in einem Termin keiner der Beteiligten erscheint oder beim Ausbleiben von Beteiligten die erschienenen Beteiligten es beantrage

Referenzen - Urteile

Bundessozialgericht Beschluss, 06. Okt. 2016 - B 5 R 45/16 B zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

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Tenor Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. August 2010 wird als unzulässig verworfen.

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Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Die Beteiligten können vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Rentenberater im Umfang ihrer Befugnisse nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes,
4.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch,
5.
selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
6.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
7.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
8.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
9.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter. § 157 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen. Satz 3 gilt nicht für Beschäftigte eines Sozialleistungsträgers oder eines Spitzenverbandes der Sozialversicherung.

(4) Vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer den in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen nur die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Organisationen zugelassen. Diese müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des Satzes 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; Satz 3 bleibt unberührt.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie kann unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Im Übrigen gelten die §§ 81, 83 bis 86 der Zivilprozessordnung entsprechend.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Der Beschluß, der die Wiedereinsetzung bewilligt, ist unanfechtbar.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 7. August 2013 - 4 Sa 37/12 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 23. November 2011 - 5 Ca 626/11 - als unzulässig verworfen wird.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des equal pay.

2

Der 1970 geborene Kläger war bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, vom 7. August 2008 bis zum 31. Juli 2009 beschäftigt und wurde während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses den Stadtwerken B (im Folgenden Entleiherin) als Busfahrer überlassen. Er erhielt einen Stundenlohn von 9,07 Euro brutto, ab März 2009 von 9,25 Euro brutto. Zusätzlich gewährte die Beklagte Zuschläge und Sonderzahlungen. Die Entleiherin zahlte angestellten Busfahrern im Überlassungszeitraum einen Grundstundenlohn von 11,60 Euro brutto.

3

Dem Arbeitsverhältnis lag ein Arbeitsvertrag vom 6. August 2008 zugrunde, in dem es ua. heißt:

        

„1.     

Vertragsgrundlagen

        

…       

        
        

b)    

Der Mitarbeiter ist eingestellt als: Busfahrer

                 

Seine voraussichtlichen Tätigkeiten belaufen sich auf allg. Tätigkeiten eines Busfahrers

                 

Somit wird er in Entgeltgruppe E4 eingestuft.

                 

Der Lohn beträgt je Stunde brutto für den Einsatz als Busfahrer   Tariflohn 9,07 €

                 

zuzüglich Zuschläge, Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen gemäß dem einschlägigen Manteltarifvertrag zwischen CGZP und AMP.

        

c)    

Der Lohn wird nach Abzug der gesetzlichen Beiträge monatlich, bis spätestens zum 20. des Folgemonats auf ein vom Mitarbeiter anzugebendes Konto überwiesen.

        

…       

        
        

7.    

Tarifvertrag / Gesetzliche Vorschriften

        

a)    

Soweit in diesem Vertrag nichts anderes geregelt ist, gelten die gesetzlichen Vorschriften bzw. die einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung.

        

b)    

Diesem Arbeitsvertrag liegen die tariflichen Bestimmungen des MTV zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA - CGZP - und der Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V. - AMP - in der jeweils gültigen Fassung zugrunde.

        

c)    

Sollte der vorgenannte Tarifvertrag oder Teile aus diesem als ungültig erklärt werden und nicht von den Tarifvertragsparteien gemäß § 25 des MTV neu verhandelt werden, gelten die einschlägigen Tarifbestimmungen der Tarifvereinbarung DGB/BZA.

        

d)    

Auf Verlangen des Arbeitnehmers werden ihm die jeweils gewünschten Tarifverträge ausgehändigt.

        

…“    

        
4

Nach erfolgloser Geltendmachung mit Schreiben vom 29. September 2009 und 12. Januar 2011 hat die DGB Rechtsschutz GmbH für den Kläger beim Arbeitsgericht zwei gleichlautende mit Originalunterschriften eines Rechtssekretärs versehene auf den 3. Juni 2011 datierte Klageschriften eingereicht. Die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts hat dies in einem Vermerk festgehalten und der Beklagten eine der Klageschriften zugestellt. In der Postzustellungsurkunde, die als Datum der Zustellung den 10. Juni 2011 ausweist, ist neben dem Aktenzeichen in der Rubrik „Ggf. weitere Kennz.“ vermerkt:

        

„Kls. 03.06.2011

        

Ldg. z.T. am 06.07.2011“

5

Der Kläger hat unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG für den Zeitraum der Überlassung an die Entleiherin die Differenz zwischen der von der Beklagten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt verlangt, das die Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben soll.

6

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.334,03 Euro brutto nebst Zinsen in gestaffelter Höhe zu zahlen.

7

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beklagte hat hiergegen mit einem am 16. Januar 2012 beim Landesarbeitsgericht per Telefax und am 18. Januar 2012 als Briefpost eingereichten Schriftsatz vom 16. Januar 2012 Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift schließt wie folgt ab:

Abbildung
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9

Die Berufungsbegründungsschrift vom 9. März 2012 ist am selben Tag per Telefax und am 13. März 2012 als Briefpost beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Sie schließt wie folgt ab:

Abbildung
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10

Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift sind auf Briefbögen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten gefertigt und mit einem Aktenzeichen der Kanzlei versehen, das ua. den Namen „I“ enthält.

11

Im Verhandlungstermin vor dem Landesarbeitsgericht am 11. Juli 2012 haben die Parteien die Anträge gestellt und zur Sache verhandelt. Erstmals im weiteren Termin am 5. Dezember 2012 hat der Kläger beanstandet, die Unterschrift unter der Berufungsschrift lasse eine Identifizierung des Unterzeichners nicht zu. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat dies als verspätet gerügt. Er habe die Berufungsschrift unterzeichnet. Die Unterschrift entspreche - handschriftlich ausgeführt - dem ersten Buchstaben seines Vornamens im kyrillischen Alphabet. In gleicher Weise seien auch seine Ausweispapiere unterzeichnet. Im Anschluss an den Termin hat er mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2012 für die Beklagte vorgetragen, die Unterschrift gebe die ersten beiden Buchstaben seines Vor- und Nachnamens „Zh“ und „Iv“ in kyrillischer Schrift wieder. Mit Schriftsatz vom 25. Juli 2013 hat die Beklagte geltend gemacht, die Klageschrift sei ihr nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Sie habe keine beglaubigte Abschrift erhalten.

12

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts ist rechtskräftig. Die Beklagte hat dagegen nicht innerhalb der gesetzlichen Frist formgerecht Berufung eingelegt, § 66 Abs. 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 519 Abs. 1 ZPO. Ihre Revision ist deshalb - unter Verwerfung ihrer Berufung als unzulässig - zurückzuweisen.

14

I. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessfortsetzungsvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung. Sie ist deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (st. Rspr., vgl. zB BAG 23. März 2004 - 3 AZR 35/03 - zu I 1 der Gründe; 17. Januar 2007 - 7 AZR 20/06 - Rn. 10 mwN, BAGE 121, 18; 27. Juli 2010 - 1 AZR 186/09 - Rn. 17). Ist die Berufung unzulässig, hat das Revisionsgericht eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben und die Berufung als unzulässig zu verwerfen (vgl. BAG 29. November 2001 - 4 AZR 729/00 - zu I 1 der Gründe; 18. Mai 2011 - 4 AZR 552/09 - Rn. 12).

15

II. Die Berufung der Beklagten ist unzulässig. Die Berufungsschrift trägt keine Unterschrift iSv. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO. Damit fehlt es an einem von Amts wegen zu prüfenden zwingenden und unverzichtbaren Formerfordernis der Berufungsschrift als bestimmender Schriftsatz. Der Mangel konnte - entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts - nicht nach § 295 Abs. 1 ZPO durch rügelose Einlassung geheilt werden, § 295 Abs. 2 ZPO.

16

1. Die Berufung wird nach § 519 Abs. 1 ZPO durch eine beim Berufungsgericht einzureichende Berufungsschrift eingelegt. Für sie gelten die allgemeinen Vorschriften über vorbereitende Schriftsätze, § 519 Abs. 4 ZPO. Diese wurden vorliegend nicht eingehalten.

17

a) Die Berufungsschrift muss als bestimmender Schriftsatz von einem beim Landesarbeitsgericht nach § 11 Abs. 4 Satz 1, 2 und 4 ArbGG vertretungsberechtigten Prozessbevollmächtigten zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und eigenhändig unterschrieben sein, § 130 Nr. 6 ZPO(vgl. BAG 5. August 2009 - 10 AZR 692/08 - Rn. 17). Bei der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax tritt an die Stelle der grundsätzlich zwingenden Unterschrift auf der Urkunde die Wiedergabe dieser Unterschrift in der bei Gericht erstellten Kopie (vgl. BAG 5. August 2009 - 10 AZR 692/08 - Rn. 21). Die Prüfung der für das Vorliegen einer Unterschrift erforderlichen Merkmale kann vom Revisionsgericht selbständig und ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts vorgenommen werden (vgl. zur Prüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren: BGH 9. Februar 2010 - VIII ZB 67/09 - Rn. 11; 16. Juli 2013 - VIII ZB 62/12 - Rn. 14).

18

b) Die Berufungsschrift der Beklagten schließt nicht mit einer Unterschrift ab.

19

aa) Eine Unterschrift setzt einen individuellen Schriftzug voraus, der sich - ohne lesbar sein zu müssen - als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt (st. Rspr., vgl. BAG 30. August 2000 - 5 AZB 17/00 - zu II 1 der Gründe; 25. April 2007 - 10 AZR 246/06 - Rn. 25). Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter, von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichneter Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein (vgl. BGH 16. Juli 2013 - VIII ZB 62/12 - Rn. 11).

20

bb) Die den Berufungsschriftsatz vom 16. Januar 2012 abschließende Linienführung lässt die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung nicht erkennen. Sie weist zudem (selbst wenn man die darunter gesetzte maschinenschriftliche Namensangabe und die Nennung des Nachnamens im Aktenzeichen berücksichtigt) keine Merkmale auf, die auch nur in Teilen oder einzelnen Buchstaben einer Unterschrift gleichen.

21

c) Es kann auch nicht aufgrund sonstiger Umstände von einer ordnungsgemäßen Berufungseinlegung ausgegangen werden.

22

aa) Die eigenhändige Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (vgl. BAG 5. August 2009 - 10 AZR 692/08 - Rn. 17). Das Fehlen einer Unterschrift kann ausnahmsweise unschädlich sein, wenn - ohne Beweisaufnahme - aufgrund anderer Umstände zweifelsfrei feststeht, dass der Prozessbevollmächtigte die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen hat. So kann der Mangel der Unterschrift in dem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz durch die gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes behoben werden, auf der der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist oder der in Rede stehende Schriftsatz fest mit einem von dem Rechtsanwalt unterzeichneten Begleitschreiben verbunden war (vgl. BGH 9. Dezember 2010 - IX ZB 60/10 - Rn. 5).

23

bb) Solche besonderen Begleitumstände sind hier nicht gegeben. Eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft des Prozessbevollmächtigten der Beklagten und dessen Willen, die Berufungsschrift in den Rechtsverkehr zu bringen, bieten weder die Verwendung des Briefbogens seiner Kanzlei noch die maschinenschriftliche Wiedergabe seines Namens im Aktenzeichen und am Ende der Berufungsschrift. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren in gleicher oder ähnlicher Weise unterschrieben hätte. Die Schriftzüge, die früher von ihm eingereichte Schriftsätze abschließen, variieren stark. Sie weisen zudem - ebenso wie der unter der Berufungsschrift - keine Merkmale auf, welche die Identität dessen, von dem sie stammen, hinreichend kennzeichneten.

24

2. Die mangelhafte Form der Berufungsschrift konnte nicht durch rügelose Einlassung des Klägers geheilt werden.

25

a) Die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift kann nicht nach § 295 Abs. 1 ZPO geheilt werden, wenn eine Partei auf ihre Befolgung nicht wirksam verzichten kann, § 295 Abs. 2 ZPO.

26

b) Die Unterzeichnung der Berufungsschrift bzw. bei deren Übermittlung per Telefax die Wiedergabe der Unterschrift in der bei Gericht erstellten Kopie ist für die wirksame Einlegung der Berufung zwingend und unverzichtbar.

27

aa) Für die Berufungsschrift als bestimmenden Schriftsatz ist bei den von der Beklagten gewählten Übermittlungsformen die Unterschrift bzw. deren Wiedergabe in der bei Gericht erstellten Kopie zwingendes Wirksamkeitserfordernis der Prozesshandlung (BGH 11. April 2013 - VII ZB 43/12 - Rn. 8 und 16. Juli 2013 - VIII ZB 62/12 - Rn. 11). Die Formulierung „sollen enthalten …“ im Eingangssatz von § 130 ZPO ist bezüglich des Unterschriftserfordernisses in Nr. 6 als „müssen“ zu interpretieren. In Kenntnis der Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl. GmS-OGB 5. April 2000 - GmS-OGB 1/98 - BGHZ 144, 160) hat der Gesetzgeber auch bei Änderungen des Gesetzes keinen Anlass gesehen, ein anderes Verständnis auszudrücken. Vielmehr hat er bei der im Jahre 2001 in Kraft getretenen Änderung des § 130 Nr. 6 ZPO in seiner Begründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Neufassung der Vorschrift das Unterschriftserfordernis für Schriftsätze beibehalte(vgl. hierzu BAG 5. August 2009 - 10 AZR 692/08 - Rn. 19 ff.).

28

bb) Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels sind unverzichtbar. Die zwingenden gesetzlichen Frist- und Formvorschriften über die Einlegung eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs, wie die hier in Frage stehende, in § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO geforderte Unterzeichnung der Berufungsschrift, dienen der Rechtssicherheit und Gleichförmigkeit des Verfahrens. Dem entsprechend können Mängel von an Notfristen gebundenen Prozesshandlungen nicht durch Verzicht oder rügelose Einlassung der anderen Partei geheilt werden. Die diesbezüglichen Verfahrensvorschriften dienen, wie zB in § 224 Abs. 1 ZPO deutlich wird, nicht nur dem Schutz der anderen Partei, sondern dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Rechtspflege(vgl. MüKoZPO/Prütting 4. Aufl. § 295 Rn. 25; Musielak/Huber ZPO 11. Aufl. § 295 Rn. 3).

29

3. Der allgemeine Prozessgrundsatz eines fairen Verfahrens steht der Zurückweisung der Revision und Verwerfung der Berufung der Beklagten als unzulässig nicht entgegen.

30

a) Die Beklagte hätte eine Verwerfung ihrer Berufung durch einen zumindest vorsorglichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vermeiden können, unterstellt man zu ihren Gunsten, ihr Prozessbevollmächtigter habe, weil seine Art der Unterzeichnung bislang von Gerichten und im Rechtsverkehr nicht beanstandet worden sei, trotz entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung darauf vertrauen können, diese werde - auch bei bestimmenden Schriftsätzen - als ordnungsgemäß bewertet (vgl. BVerfG 24. November 1997 - 1 BvR 1023/96 - zu II 2 b der Gründe; BGH 11. April 2013 - VII ZB 43/12 - Rn. 11). Aufgrund der Rüge des Klägers im Berufungstermin vom 5. Dezember 2012 musste die Beklagte damit rechnen, die Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigten werde nicht als solche anerkannt. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist nach § 233 Satz 1 ZPO hat die Beklagte gleichwohl nicht gestellt.

31

b) Auch hat es die Beklagte unterlassen, die versäumte Prozesshandlung nach Maßgabe von § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nachzuholen.

32

aa) Eine erneute, formgerechte Einlegung der Berufung war nicht entbehrlich, weil in der dem Berufungsgericht vorliegenden Berufungsbegründung vom 9. März 2012 zugleich die Prozesshandlung der Berufung enthalten gewesen wäre. Die versäumte Prozesshandlung braucht dann nicht nachgeholt zu werden, wenn sie bereits vor Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegenüber dem Gericht vorgenommen worden ist (vgl. BGH 26. September 2002 - III ZB 44/02 - zu II 1 b der Gründe). Die Berufungsbegründung war jedoch ebenfalls nicht ordnungsgemäß unterzeichnet und entsprach damit nicht den Formerfordernissen einer Berufungsschrift, § 66 Abs. 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO. Auch die sie abschließende Linienführung ist nicht als Wiedergabe eines Namens in der Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennbar.

33

bb) Gleiches gilt für den Schriftsatz der Beklagten vom 5. Dezember 2012. Ob die später für die Beklagte beim Berufungsgericht eingereichten Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten mit einer Unterschrift abschließen und in ihnen eine Berufungseinlegung enthalten war, kann dahingestellt bleiben. Die Beklagte hat am 5. Dezember 2012 Kenntnis vom Formmangel erlangt. Die weiteren Schriftsätze wurden erst nach der gemäß § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO einzuhaltenden zweiwöchigen Antragsfrist eingereicht.

34

III. Die Unzulässigkeit der Berufung der Beklagten steht der Überprüfung des Urteils des Arbeitsgerichts entgegen. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist formell und materiell rechtskräftig. Es kann nicht mehr erfolgreich angefochten werden, § 705 ZPO(vgl. Zöller/Stöber ZPO 30. Aufl. § 705 Rn. 3). Die Behauptung der Beklagten, die Klage sei nicht wirksam erhoben worden, kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Die Rechtshängigkeit der Klage ist mit der von der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts am 10. Juni 2011 bewirkten Zustellung der Klageschrift vom 3. Juni 2011 eingetreten, § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO. Ob der Vermerk der Geschäftsstelle über das Einreichen von zwei Klageschriften als Beglaubigungsvermerk zu werten ist, kann der Senat anhand der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht entscheiden. Dies kann jedoch offenbleiben. Wie vom Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, bedurfte es einer Beglaubigung des zugestellten Originals der Klageschrift durch die Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts nicht.

35

1. Mit der Beglaubigung wird erklärt, die Abschrift sei vom Ausführenden mit der in seinem Besitz befindlichen Vorlage verglichen worden und stimme mit dieser völlig überein (vgl. MüKoZPO/Häublein 4. Aufl. § 169 Rn. 4). Wird das Schriftstück im Original übermittelt, wie hier durch Postzustellungsurkunde nachgewiesen, ist eine derartige Bestätigung entbehrlich. Dem Empfänger wird mit dem Original nicht weniger als eine beglaubigte Abschrift zugestellt, sondern ein Mehr.

36

2. Die Annahme der Beklagten, die Zustellung könne ausschließlich durch Übermittlung einer beglaubigten Abschrift bewirkt werden, wird durch den Wortlaut von § 166 Abs. 1 ZPO nicht bestätigt. Der Begriff „Zustellung“ ist in § 166 Abs. 1 ZPO als „die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in diesem Titel bestimmten Form“ definiert. Dokumente, deren Zustellung vorgeschrieben oder vom Gericht angeordnet ist, sind nach § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zuzustellen, soweit nichts anderes bestimmt ist. § 166 Abs. 1 ZPO regelt nicht, in welcher Form das Dokument - Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift - bekannt zu geben ist.

37

3. § 166 Abs. 1 ZPO bestimmt auch nicht, dass das bekannt zu gebende Dokument, selbst wenn es sich um ein Original handelt, vor der Zustellung zu beglaubigen sei. Demgegenüber sahen die Vorgängerregelungen in § 170 ZPO aF und § 210 ZPO aF noch vor, die Zustellung sei durch Übergabe einer beglaubigten Abschrift zu bewirken.

38

4. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Danach wird die Beglaubigung der zuzustellenden Schriftstücke von der Geschäftsstelle vorgenommen. Die Vorschrift regelt allein die funktionelle Zuständigkeit für die Beglaubigung.

39

5. Der Wirksamkeit der Zustellung steht nicht entgegen, dass sich das Original der zugestellten Klageschrift nicht in der Gerichtsakte befindet. Dies gölte auch dann, wenn der Vermerk der Geschäftsstelle über das Einreichen von zwei Klageschriften im Original nicht als Beglaubigungsvermerk gewertet werden könnte. Bei etwaigen Abweichungen zwischen der zugestellten Klageschrift und der in der Gerichtsakte verbliebenen zweiten Klageschrift wäre - ebenso wie bei einer Abweichung der zugestellten beglaubigten Abschrift vom Original - für die Rechtshängigkeit allein die zugestellte Klageschrift maßgeblich, weil die Beklagte nur anhand dieser ihre Rechte wahrnehmen konnte (vgl. zur Ausfertigung eines Urteils BGH 9. Juni 2010 - XII ZB 132/09 - Rn. 15, BGHZ 186, 22).

40

IV. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Müller-Glöge    

        

    Biebl    

        

    Weber    

        

        

        

    Dombrowsky    

        

    Zorn    

                 

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 62/12
vom
16. Juli 2013
in dem Rechtsstreit
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juli 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen Dr. Milger und Dr. Hessel sowie die
Richter Dr. Achilles und Dr. Schneider

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 21. September 2012 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Wert des Beschwerdeverfahrens: 312.962,02 €

Gründe:

I.

1
Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen der G. F. GmbH, verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen Nichtabnahme bei der Insolvenzschuldnerin bestellter Ware. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist bis zum 20. August 2012 verlängert worden.
2
Die Berufungsbegründung ist per Telefax am 20. August 2012 und im Original nebst beglaubigter Abschrift am 23. August 2012 bei Gericht eingegan- gen. Die Berufungsbegründungsschrift trägt den Briefkopf der Rechtsanwaltskanzlei F. und W. . Sie schließt mit der maschinenschriftlichen Namensangabe "A. D. , Rechtsanwalt" ab, die handschriftlich mit einem wellenförmigen Zeichen sowie mit einer nahezu senkrecht verlaufenden leicht gekrümmten Linie überschrieben ist, neben der sich links zwei andeutungsweise erkennbare weitere nahezu senkrechte Linien befinden.
3
Mit Verfügung vom 28. August 2012 hat das Berufungsgericht die Parteien darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestünden, weil die die Berufungsbegründungsschrift abschließende, nicht als Schriftzug erkennbare gekrümmte, nahezu senkrechte Linie nicht den Anforderungen an eine Unterschrift genüge. Der Kläger ist dem entgegengetreten und hat vorsorglich unter Wiederholung der Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
4
Mit Beschluss vom 21. September 2012 hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Es hat die Ansicht vertreten, die Berufung sei mangels einer Unterschrift , welche den gesetzlichen Anforderungen an diejenige unter bestimmenden Schriftsätzen genüge, nicht formgerecht eingelegt worden. Die Autorenschaft des Rechtsanwalts D. sei bereits nicht eindeutig gesichert, vielmehr zweifelhaft. Der Vergleich mit anderen Unterschriften dieses Rechtsanwalts in den Akten des vorliegenden Rechtsstreits ergebe nämlich, dass der Klägervertreter vorhergehende und nachfolgende Schriftsätze in anderer Weise unterzeichnet habe. Insbesondere im Hinblick auf die Kürze des Zeichens ließen sich diesem auch sonst keine besonderen charakteristischen Merkmale entnehmen, welche die Wiedergabe eines Namens erkennen ließen. Dem Gebilde lasse sich auch aus diesem Grund die Absicht einer Unterschrift mit vollem Namen nicht entnehmen.
5
Der Antrag des Klägers, ihm wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, sei unbegründet. Der Rechtsanwalt müsse sich über den Stand der Rechtsprechung informieren. Es müssten ihm deshalb auch die höchstrichterlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze bekannt sein. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte somit erkennen können und müssen, dass die Unterzeichnung der Berufungsbegründungsschrift den allgemein anerkannten und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten Anforderungen an eine Unterschrift nicht genügt habe.
6
Schließlich könne sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch nicht auf den Gesichtspunkt des verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutzes berufen. Der Senat habe keine Schriftsätze des Klägervertreters ungerügt hingenommen, die einen der Berufungsbegründungsschrift entsprechenden Schriftzug aufgewiesen hätten.
7
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

8
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
9
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auch zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, denn die angefochtene Entscheidung verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechts- schutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2010 - VIII ZB 67/09, juris Rn. 7; vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775 unter II 1).
10
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Ansicht des Berufungsgerichts , die Berufung des Klägers sei nicht innerhalb der bis zum 20. August 2012 verlängerten Frist durch einen von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schriftsatz begründet worden, ist rechtsfehlerhaft.
11
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei bestimmenden Schriftsätzen die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers erforderlich , um diesen unzweifelhaft identifizieren zu können (vgl. nur Senatsbeschluss vom 9. Februar 2010 - VIII ZB 67/09, aaO Rn. 9 mwN). Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift (§ 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4 ZPO). Erforderlich, aber auch genügend ist danach das Vorliegen eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzugs, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren , sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2010 - VIII ZB 67/09, aaO Rn. 9 f.; vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775 unter II 2 a).
12
In Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, ist jedenfalls dann, wenn die Autorenschaft gesichert ist, bei den an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen ein großzügiger Maßstab anzulegen. Denn Sinn und Zweck des Unterschriftserfordernisses ist die äußere Dokumentation der eigenverantwortlichen Prüfung des Inhalts des Schriftsatzes durch den Anwalt (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709 unter III 2 a bb), die gewährleistet ist, wenn feststeht, dass die Unterschrift von dem Anwalt stammt (Senatsbeschluss vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, aaO).
13
b) An der Autorenschaft des Klägervertreters bestanden hier - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - keine Zweifel. Sie ergibt sich daraus, dass die Berufungsbegründungsschrift unter dem Briefkopf als Ansprechpartner "Rechtsanwalt A. D. " aufführt und der von dem Klägervertreter zur Unterzeichnung des Berufungsbegründungsschriftsatzes verwendete handschriftliche Schriftzug, welcher über den maschinenschriftlichen Zusatz "A. D. Rechtsanwalt" gesetzt ist, bei Anlegung des gebotenen großzügigen Maßstabs noch den Anforderungen an eine formgültige Unterschrift genügt.
14
Dies kann der Senat selbständig und ohne Bindung an die Auffassung des Berufungsgerichts beurteilen (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2010 - VIII ZB 67/09, aaO Rn. 11; vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, aaO unter II 2 b mwN). Das Schriftgebilde stellt eine zwar einfach strukturierte, gleichwohl aber als solche erkennbare Namensunterschrift dar. Sie ist offensichtlich in flüchtigerem Duktus, jedoch ersichtlich mit der gleichen mechanischen Bewegung hergestellt wie die übrigen in der Gerichtsakte enthaltenen Unterschriften, die das Berufungsgericht nicht beanstandet hat, namentlich die Unterzeichnung der Berufungsschrift und des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist.
15
3. Da der Kläger seine Berufung rechtzeitig begründet hat, hätte das Berufungsgericht sie nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Der Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Es bedarf keiner Entscheidung über den von dem Kläger wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vorsorglich gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Insoweit ist der Beschluss des Berufungsgerichts gegenstandslos. Ball Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Achilles Dr. Schneider
Vorinstanzen:
LG Amberg, Entscheidung vom 21.05.2012 - 41 HKO 1364/10 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 21.09.2012 - 12 U 1239/12 -

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Der Beschluß, der die Wiedereinsetzung bewilligt, ist unanfechtbar.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung.

(2) Eine nach Tagen bestimmte Frist endet mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endet die Frist mit dem Monat.

(3) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags.

(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Der Beschluß, der die Wiedereinsetzung bewilligt, ist unanfechtbar.

(1) Die Beteiligten können vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Rentenberater im Umfang ihrer Befugnisse nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes,
4.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch,
5.
selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
6.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
7.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
8.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
9.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter. § 157 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen. Satz 3 gilt nicht für Beschäftigte eines Sozialleistungsträgers oder eines Spitzenverbandes der Sozialversicherung.

(4) Vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer den in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen nur die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Organisationen zugelassen. Diese müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des Satzes 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; Satz 3 bleibt unberührt.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie kann unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Im Übrigen gelten die §§ 81, 83 bis 86 der Zivilprozessordnung entsprechend.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 2011 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 14.12.2011, dem Kläger zugestellt am 30.12.2011, hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bzw wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verneint.

2

Auf den Antrag des Klägers hat der erkennende Senat diesem mit Beschluss vom 11.4.2012 - B 5 R 8/12 BH - für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil vor dem BSG Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. C. bewilligt. Mit Schriftsatz vom 25.4.2012, beim BSG eingegangen am 26.4.2012, hat der Prozessbevollmächtigte gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in der vorigen Stand beantragt und gleichzeitig Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen eingelegt. Mit Beschluss vom 23.5.2012, dem Kläger zugestellt am 8.6.2012, hat der erkennende Senat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Mit der am 5.7.2012 beim BSG eingegangenen Beschwerdebegründung rügt der Kläger Verfahrensfehler iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Das LSG habe sein Recht auf ein faires Verfahren durch Ablehnung der von ihm gestellten Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verletzt und in verschiedener Hinsicht gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen. Außerdem habe das Berufungsgericht zu Unrecht über das Befangenheitsgesuch gegen die Sachverständige Dr. D. lediglich durch den Berichterstatter und nicht durch den Senat in voller Besetzung entschieden. Hierdurch sei gegen sein Recht auf den gesetzlichen Richter verstoßen worden.

3

II. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf Verfahrensfehlern (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG).

4

Das Berufungsgericht hat zunächst dadurch, dass es die mehrfache Ablehnung von Prozesskostenhilfe auf eigene überspannte Anforderungen an den Nachweis tatsächlicher Angaben gestützt hat, den Anspruch des Klägers auf ein faires Verfahren verletzt. Das LSG hat im Rahmen des ihm nach § 73a Abs 1 S 1, § 118 Abs 2 S 2 ZPO eröffneten Ermessens die verfassungsrechtliche Bedeutung des Rechtsinstituts der Prozesskostenhilfe ebenso wie Erfordernis und Inhalt einer gerade im Blick hierauf vorzunehmenden Angemessenheitsprüfung im Einzelfall verkannt. Seine insofern rechtswidrige Vorgehensweise hätte es nicht zur Grundlage von Entscheidungen nach § 118 Abs 2 S 4 ZPO machen dürfen.

5

Zwar ist die unmittelbare Überprüfung von Beschlüssen des Berufungsgerichts durch § 177 SGG grundsätzlich ausgeschlossen. Indessen kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfahrensmangel im Zusammenhang mit einer unanfechtbaren Entscheidung des LSG dann gerügt werden, wenn sich dieser Fehler - wie hier - als Folge der beanstandeten Vorentscheidung auf das angefochtene Urteil auswirkt (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 444 mwN).

6

Entscheidungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe betreffen aus der Sicht des Verfassungsrechts stets die Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG) und die aus Art 3 Abs 1, Art 19 Abs 4 und Art 20 Abs 3 GG abgeleitete Garantie des effektiven Rechtsschutzes. Aus Art 3 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art 20 Abs 3 GG allgemein niedergelegt ist und für die Rechtsschutzgewährung in Art 19 Abs 4 GG besonderen Ausdruck findet, ergibt sich das Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl BVerfGE 78, 104 <117 f>; 81, 347 <357>; stRspr). Mit dem Institut der Prozesskostenhilfe hat der Gesetzgeber auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten ermöglicht (vgl insgesamt BVerfG Beschluss vom 18.12.2001 - 1 BvR 391/01 - NZS 2002, 420 ff). Da das Prozesskostenhilfeverfahren den grundgesetzlich gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bietet, sondern ihn erst zugänglich macht, dürfen die Anforderungen, insbesondere an den Vortrag der Beteiligten, nicht überspannt werden (vgl BVerfG vom 24.7.2002 - 2 BvR 2256/99 - NJW 2003, 576). Dies gilt auch bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl BVerfG vom 8.1.1996 - 2 BvR 306/94 - StV 1996, 445), die - anders als diejenige der Erfolgsaussichten - abschließend zu erfolgen hat (BVerfG vom 14.10.2003 - 1 BvR 901/03 - NVwZ 2004, 334 ff).

7

Letztlich gebietet auch hier der Grundsatz des fairen Verfahrens aus Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und aus Art 19 Abs 4 GG (BVerfGE 122, 248, 272 und BVerfG 1. Senat <3. Kammer> Beschluss vom 14.10.2003 - 1 BvR 901/03 - NVwZ 2004, 334) sowie aus Art 6 Abs 1 S 1 EMRK (BSG Beschluss vom 17.12.2010 - B 2 U 278/10 B - Juris RdNr 4), dass die Anforderungen, welche die Gerichte an die Verfahrensbeteiligten stellen, in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung Prozesskostenhilfe (§ 65 Abs 1 Nr 1 SGB I) stehen und ihre Erfüllung dem Hilfesuchenden nicht aus einem wichtigen Grund iS von § 65 Abs 1 Nr 2 SGB I unzumutbar ist(OLG Celle Beschluss vom 9.3.2010 - 17 WF 28/10 - FamRZ 2010, 1751 f). Der Grundsatz des fairen Verfahrens verlangt darüber hinaus, dass jede Partei ihren Fall unter Bedingungen präsentieren kann, die für sie keinen substantiellen Nachteil zum Gegner bedeuten. Dementsprechend ist dieses Gebot gerade auch bei der Entscheidung über Prozesskostenhilfe in Verfahren zu beachten, in denen sich der rechtsunkundige Bürger einer Behörde gegenüber sieht (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, vor § 60 RdNr 1 f). Ferner verbietet das Recht auf ein faires Verfahren, den Menschen zum bloßen Objekt eines gerichtlichen Verfahrens herabzuwürdigen (BVerfG NJW 2010, 287; BVerfGE 107, 395, 408 f).

8

Vorliegend hat das Berufungsgericht entgegen dieser geklärten Rechtslage die Grenzen des Ermessens, das ihm auch hinsichtlich der Frage zusteht, wie weit und auf welche Weise von dem Hilfesuchenden Glaubhaftmachung verlangt wird, überschritten. Es hat den Kläger durch überspannte Anforderungen an den Nachweis anspruchsbegründender Umstände um sein Recht gebracht, das auf eine existenzsichernde Rentenleistung gerichtete Verfahren mit der Unterstützung durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten zu betreiben. Es ist nämlich davon auszugehen, dass das LSG, das nach der gebotenen vorläufigen Einschätzung Erfolgsaussichten in der Sache bejaht hat, indem es in die Beweisaufnahme eingetreten ist, dem Kläger bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise Prozesskostenhilfe bewilligt und einen Anwalt beigeordnet hätte. Unter diesen Umständen kann unerörtert bleiben, ob die Ermessensausübung des Berufungsgerichts zudem auch deshalb ermessensfehlerhaft gewesen sein könnte, weil es möglicherweise die Anforderungen an die Glaubhaftmachung als Reaktion auf die Prozessführung des Klägers gesteigert hat.

9

Tatsächlicher Ausgangspunkt weiterer Erhebungen iS von § 118 Abs 2 S 2 ZPO war im Fall des Klägers, dass dieser - belegt durch die jeweils vorgelegten Bescheide der ARGE Köln - (zumindest) seit 2007 durchgehend auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II angewiesen ist. Auch wenn sich hieraus nach der grundsätzlich maßgeblichen Sicht der entscheidenden Instanz im Einzelfall noch nicht stets eine abschließende Entscheidungsgrundlage ergeben mag und damit der Weg zu weiteren Erhebungen grundsätzlich eröffnet bleibt, ist doch das Vorliegen grundsätzlich geklärter und überschaubarer Verhältnisse Ausgangspunkt für die jeweils im pflichtgemäßen Ermessen stehende Entscheidung über Art und Inhalt der noch durchzuführenden Aufklärungsmaßnahmen (vgl insgesamt OLG Celle vom 9.3.2010 - 17 WF 28/10 - FamRZ 2010, 1751 f). Das Vorgehen des Berufungsgerichts verkennt dies zunächst insofern, als der Berichterstatter dem Kläger anfangs ohne zeitliche Bestimmung (Schreiben vom 23.11.2009), dann für Zeiträume von jeweils etwa sieben Monaten (Schreiben vom 1.12.2009 und vom 22.7.2011), jeweils formularmäßig aufgegeben hat "(vollständige) ungeschwärzte Durchschriften der Kontoauszüge" seines Girokontos vorzulegen. Zwar kommt entsprechend den Verhältnissen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2 und vom 19.2.2009 - B 4 AS 10/08 R) grundsätzlich auch im Verfahren der Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Betracht, dem Antragsteller die Vorlage von Kontoauszügen aufzugeben. Indessen bedarf es bei einem Anforderungszeitraum von mehr als drei Monaten auch hier einer auf den Einzelfall bezogenen Angemessenheitsprüfung, an der es selbst ansatzweise fehlt (vgl OLG Celle vom 9.3.2010 aaO). Da der Kläger zudem weder in den vorgelegten Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch sonst zu berücksichtigende Belastungen geltend gemacht hatte, erscheint jedenfalls nachhaltig begründungsbedürftig, warum das LSG dennoch auf eine umfassende Information über das Ausgabeverhalten des Klägers angewiesen gewesen sein könnte (vgl zu der insofern erforderlichen Prüfung BSG vom 19.9.2008 und vom 19.2.2009, jeweils aaO).

10

Der Kläger wurde darüber hinaus aufgefordert, "Finanzstatusberichte" der kontoführenden Banken zum 31.10.2009 vorzulegen. Auf welche Mehrheit in Betracht kommender Banken und welche Art von Konten dies im Fall des Klägers bezogen sein könnte, erschließt sich weder aus den Anfragen noch aus den sonst vorliegenden Akten. Der Begriff des "Finanzstatus" findet zudem im Wirtschaftsleben erkennbar in einer Vielzahl von Zusammenhängen Verwendung (vgl exemplarisch Breuer in Gablers Wirtschaftslexikon; http://wirtschaftslexikon.gabler.de Stichwort "Finanzstatus"). Selbst für den entsprechend vorgebildeten Kläger musste daher ohne nähere Erläuterungen offen bleiben, in welchem konkreten Kontext der anfragende Berichterstatter den Begriff jeweils verstanden wissen wollte und welchen Anforderungen das Vorzulegende daher entsprechen sollte. Zu beachten ist zudem, dass sich zwar die Mitwirkungsverpflichtung des § 60 Abs 1 Nr 3 SGB I, "Beweisurkunden vorzulegen" auch auf erst zu erstellende Urkunden beziehen kann(BSG vom 26.5.1983 - 10 RKg 13/82 - SozR 1200 § 66 Nr 10). Indessen sind Urkunden der vorliegenden Art grundsätzlich nur gegen Entgelt erhältlich (vgl AG Wuppertal vom 22.10.2009 - 33 C 181/08 - Juris). In derartigen Fällen hätte es in besonderer Weise einer der persönlichen Situation des Klägers Rechnung tragenden Ermessensausübung bedurft, um die entsprechende Mitwirkung für den Kläger denkbar zumutbar zu machen.

11

Dem Kläger wurde schließlich jeweils die Vorlage einer Kopie seines Reisepasses abverlangt. Hierzu hat der Kläger um Mitteilung gebeten, warum die Kopie seines Reisepasses benötigt werde. Der Berichterstatter hat daraufhin mit Schreiben vom 11.12.2009 (Bl 164 GA-LSG) ausgeführt: "In der Sache wird mitgeteilt, dass das Gericht nicht gedenkt, im Einzelnen zu erläutern, warum, wann welche Verfügungen getroffen werden. Ebenso wenig ist beabsichtigt, den Hintergrund von Ermittlungsschritten darzustellen. Es wird lediglich an die prozessuale Wahrheitspflicht erinnert." Erst dem auf die Anhörungsrüge des Antragstellers ergangenen Beschluss vom 22.11.2010 ist insofern zu entnehmen: "… Denn in der Akte gibt es an verschiedenen Stellen Hinweise auf eine Fernreisetätigkeit des Antragstellers, deren Frequenz im Reisepass des Antragstellers vermerkt sein wird. Die Vorlage einer vollständigen Kopie hätte daher ggf unter Berücksichtigung weiterer einzuholender Informationen aller Voraussicht nach Rückschlüsse auf die finanziellen Möglichkeiten des Antragstellers erlaubt. Da der Antragsteller dem Senat entsprechende Durchschriften aber vorenthält, konnte sich der Senat eben nicht davon überzeugen, dass diesem Mittel zur Finanzierung von Fernreisen derzeit nicht (mehr) zur Verfügung stehen." Unterstellt, dass es sich bei dem im Anhörungsrügebeschluss (nachträglich) benannten Sachgrund jeweils um den auch den Anforderungen an den Kläger zugrunde liegenden handelt, bleibt hinsichtlich der Ermessensausübung dennoch offen, auf welche gerade im zeitlichen Umfeld des Berufungsverfahrens durchgeführten "Fernreisen" sich die Aufforderungen des Gerichts bezogen haben könnten. Zudem begegnet - ebenfalls aus dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens - selbst bei Verstoß gegen die angenommene Mitwirkungspflicht die sich hierauf gründende Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs durchgreifenden Bedenken deshalb, weil der Berichterstatter entgegen § 106 Abs 1 SGG eine nicht von vorneherein unberechtigte Frage des Klägers herabwürdigend unbeantwortet gelassen und diesen damit zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht hatte. Die Anforderungen an den Vortrag des Antragstellers dürfen indessen gerade dann nicht überspannt werden, wenn eigene Fehler des Gerichts zu einer Verhärtung der Situation beigetragen haben (vgl BVerfG vom 14.10.2003 aaO).

12

Erst recht sind die Grenzen des dem Berufungsgericht zustehenden Ermessens überschritten, soweit dem Kläger mit den Schreiben vom 1.12.2009 und 22.7.2011 aufgegeben worden ist, ungeschwärzte Kontoauszüge ebenfalls für Ehefrau und Tochter vorzulegen. Eine einzelfallbezogene Ermessensausübung schon hinsichtlich des "Ob" weiterer Erhebungen wäre bereits deshalb geboten gewesen, weil auch Ehefrau und Tochter Teil der Bedarfsgemeinschaft sind. Hinsichtlich Zeitraum und Inhalt von Kontoauszügen bestehen darüber hinaus dieselben Bedenken wie im Fall des Klägers. Diesem oblag im Übrigen, da der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht das Familieneinkommen/-vermögen zugrunde liegt, sondern nur die Verhältnisse des jeweiligen Antragstellers zu prüfen sind, von vorneherein keine Pflicht, Angaben auch über das Einkommen von Familienangehörigen zu machen bzw entsprechend Nachweis zu führen (Geimer in Zöller, Zivilprozessordnung, 29. Aufl 2012, § 115 RdNr 7 und § 117 RdNr 14). Allenfalls konnte ihn im Rahmen von Angaben zu seinen eigenen wirtschaftlichen Verhältnissen die Pflicht treffen, jeweils glaubhaft zu machen, dass Unterhaltsleistungen von Frau und Tochter nicht tatsächlich bezogen wurden und auch kein entsprechender Anspruch bestand. Ersteres wurde im Bezug auf die selbst hilfebedürftigen "Unterhaltspflichtigen" jeweils ausdrücklich verneint. Auch ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss scheidet jeweils evident aus. Dies gilt hinsichtlich der Ehefrau, weil - wie das BSG bereits entschieden hat (BSG vom 7.2.1994 - 9/9a RVg 4/92 - SozR 3-1750 § 115 Nr 1; s auch BAG vom 5.4.2006 - 3 AZB 61/04 - BAGE 117, 344 ff) - dem Kläger nur ein in seinem Vermögen befindlicher vorhandener und realisierbarer Anspruch aus § 1360a Abs 4 BGB hätte entgegengehalten werden können. Dies ist angesichts ihrer Mittellosigkeit nicht der Fall. Hinsichtlich der Tochter scheidet ein derartiger Anspruch schon aus Rechtsgründen von vorneherein aus. Zwar umfasst der Unterhalt, den Verwandte in gerader Linie einander schulden, nach § 1610 Abs 2 BGB "den gesamten Lebensbedarf", doch ist hiervon gerade nicht der über den allgemeinen Lebensbedarf hinausgehende Anspruch auf Zahlung von Prozesskostenvorschuss mitumfasst, den das Gesetz spezialgesetzlich in § 1360a Abs 4 BGB vorsieht(BGH vom 23.3.2005 - XII ZB 13/05 - NJW 2005, 1722 ff). Allenfalls im hier gerade nicht vorliegenden Fall eines Unterhaltsanspruchs volljähriger Kinder gegen ihre Eltern kann ausnahmsweise unter besonderen Voraussetzungen und in entsprechender Anwendung von § 1360a Abs 4 BGB auch für diesen Personenkreis ein Anspruch auf Vorschuss für die Kosten eines Rechtsstreits in Betracht kommen(BGH aaO).

13

Das LSG hat darüber hinaus gegen den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG)verstoßen.

14

Ein solcher Verstoß liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu den sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Letzteres ist hier der Fall.

15

Das LSG hat die Entscheidung, dass dem Kläger kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zustehe, ua auf berufskundliche Unterlagen zum Beruf des Steuerfachangestellten aus "Berufsprofile für die arbeits- und sozialmedizinische Praxis …" gestützt. Es ist nicht feststellbar, dass diese Unterlagen, die eine Anlage zur Beweisanordnung vom 25.5.2011 sind und sich als Blatt 243-245 in den Gerichtsakten des LSG befinden, dem Kläger bekannt gegeben worden sind.

16

Blatt 238 der Gerichtsakten des LSG enthält den Vordruck einer Verfügung, die ua die Übersendung einer Abschrift der Beweisanordnung an die Beteiligten und den Sachverständigen vorsieht. Ziffer 1 Buchst a des Vordrucks lautet: "Kl./Kl.-Bev z.K. 2 x zur Weiterleitung an Kl. mit Doppel Bl.". Der Berichterstatter hat den Vordruck am 25.5.2011 unterschrieben, ohne dass er Ziffer 1 Buchst a in irgendeiner Weise bezogen auf das Verfahren individualisiert hat. Insbesondere enthält der Vordruck keine Anordnung, dem Kläger eine Abschrift von Blatt 243-245 der Gerichtsakten des LSG zu übersenden. Angesichts der fehlenden Individualisierung der Ziffer 1 Buchst a - zB Streichung der Worte "Kl.-Bev … 2 x zur Weiterleitung an Kl. …" - ist den Akten noch nicht einmal zu entnehmen, dass der Berichterstatter zumindest die Übersendung der Beweisanordnung vom 25.5.2011 (ohne Anlage) an den Kläger verfügt hat. Ebenso wenig enthält der Vermerk des nachgeordneten Dienstes "gef + ab" einen Hinweis auf eine Absendung der Beweisanordnung an den Kläger. Erst recht kann den Gerichtsakten des LSG kein Nachweis über den Zugang der Beweisanordnung (nebst den berufskundlichen Unterlagen) entnommen werden. Mit Schreiben vom 8.8.2011 hat der Kläger, der zwischenzeitlich von der Sachverständigen zur gutachtlichen Untersuchung einbestellt worden war, das LSG informiert, die Beweisanordnung vom 25.5.2011 nicht erhalten zu haben. Nach den Gerichtsakten des LSG ist die Übersendung der Beweisanordnung an den Kläger noch nicht einmal daraufhin veranlasst worden.

17

Unter anderem gestützt auf die berufskundlichen Unterlagen ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger keine Berufsunfähigkeit vorliege, weil dieser seine zuletzt sozialversicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit als Prüfer bzw Prüfungsleiter einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft weiterhin ausüben könne. Hätte der Kläger diese Unterlagen gekannt, hätte er darauf hinweisen können, dass die Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers von der fachlichen Qualifikation, vom Aufgabenbereich, der Art der Tätigkeit und der Verantwortung nicht mit der eines Steuerfachangestellten vergleichbar ist. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das LSG dann ein berufskundliches Gutachten angefordert hätte und das Verfahren für den Kläger günstig ausgegangen wäre.

18

Ob auch die übrigen vom Kläger gerügten Verfahrensmängel vorliegen, kann der Senat bei der aufgezeigten Verfahrenslage dahinstehen lassen.

19

Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung hat der Senat die Sache im Beschlusswege nach § 160a Abs 5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.

20

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. August 2010 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 des Sozialgerichtsgesetzes). Der Kläger hat zur Begründung seiner Beschwerde keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe (grundsätzliche Bedeutung, Abweichung oder Verfahrensmangel) gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt oder bezeichnet.

2

Der Kläger stützt seine Beschwerde auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

3

Hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht des LSG nach § 103 SGG mangelt es an der allein zu prüfenden Bezeichnung eines Beweisantrags, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung des LSG aufrechterhalten hat. Denn nach dem Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist das Übergehen eines Beweisantrags nur dann ein Verfahrensmangel, wenn das LSG vor seiner Entscheidung darauf hingewiesen wurde, dass der Beteiligte die Amtsermittlungspflicht des Gerichts(§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 9, 20, 31 sowie BVerfG SozR 3-1500 § 160 Nr 6; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, IX, RdNr 130). Dem Beweisantrag soll eine Warnfunktion zukommen, die er nicht erfüllt, wenn er zwar in einem früheren Verfahrensstadium zB schriftsätzlich gestellt wurde, im Entscheidungszeitpunkt selbst aber nicht mehr erkennbar weiterverfolgt wird.

4

Die Rüge, das LSG habe das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren verletzt, ist nicht hinreichend dargelegt. Der aus Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl Art 20 Abs 3 GG) sowie Art 6 Abs 1 Satz 1 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren ist nur verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Übermaßverbot (Gebot der Rücksichtnahme) gegenüber Freiheitsrechten und das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl BVerfGE 78, 123, 126; BVerfG SozR 3-1500 § 161 Nr 5; BSG SozR 3-1750 § 565 Nr 1, SozR 3-1500 § 112 Nr 2; BSG Beschluss vom 25.6.2002 - B 11 AL 21/02 B).

5

Auf einen Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens könnte der Vortrag des Klägers abzielen, nach der irrtümlichen Rücknahme seiner Berufung habe er sich mit dem damaligen Berichterstatter in Verbindung gesetzt und auf dessen Veranlassung sei das Verfahren unter einem neuen Aktenzeichen fortgesetzt worden. Außerdem habe dieser Berichterstatter um Vorlage der Berufungsbegründung gebeten und mitgeteilt, dass ein Gutachten gemäß § 106 SGG eingeholt werden solle. Dann habe der Berichterstatter gewechselt und der neue Berichterstatter habe die Auffassung vertreten, dass die Rücknahme der Berufung den Verlust des Rechtsmittels bedeute.

6

Selbst wenn das vom Kläger vorgetragene Verhalten des ersten Berichterstatters, insbesondere die Mitteilung, es solle ein Gutachten eingeholt werden, so gedeutet werden könnte, als ob dieser in der Sache habe ermitteln und entscheiden wollen, so hat diese keine Bindungswirkung für den Senat. Denn auch die Äußerung des Vorsitzenden eines Senats in der letzten mündlichen Verhandlung im Rahmen der Verhandlungsführung (§ 112 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 2 SGG), die ein Beteiligter so versteht, dass die spätere Senatsentscheidung zu seinen Gunsten ausfallen werde, ist nur eine Einzelmeinung und kann für die (nachfolgende) Entscheidung des "Gerichts", dh des gesamten Spruchkörpers, nicht bindend (BSG Beschluss vom 21.6.2000 - B 5 RJ 24/00 B - SozR 3-1500 § 112 Nr 2) sein.

7

Es ist auch nicht dargetan, weshalb die Vergabe eines neuen Aktenzeichens und die Bitte um eine Berufungsbegründung in einem Streit um die Wirksamkeit oder um Irrtümer bei einer Berufungsrücknahme ein Verfahrensfehler sein könnte, obwohl es sich um das übliche Verfahren handelt (vgl Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 156 RdNr 13; Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 157 RdNr 6).

8

Aus dem Vorbringen des Klägers folgt auch kein Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 Grundgesetz , § 62 SGG) soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f).

9

Die Voraussetzungen keiner dieser beiden Alternativen sind dem Vorbringen des Klägers zu entnehmen. Weder zeigt er auf, welches konkrete entscheidungserhebliche Vorbringen seinerseits vom LSG nicht in dessen Erwägungen miteinbezogen wurde, noch dass er durch die Entscheidung des LSG überrascht wurde, da der neue Berichterstatter seine Auffassung ihm - dem Kläger - mitgeteilt hatte.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

Der Beweis wird durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte angetreten.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Das Gericht kann, sofern in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, nach Lage der Akten entscheiden, wenn in einem Termin keiner der Beteiligten erscheint oder beim Ausbleiben von Beteiligten die erschienenen Beteiligten es beantragen.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. Juli 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Streitig ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG".

2

Mit Bescheid vom 22.6.1994 stellte das Amt für Familie und Soziales L. fest, dass bei der 1955 geborenen Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 besteht und die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" vorliegen. Einen Antrag der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 100 und der Voraussetzungen der Merkzeichen "H" und "RF" lehnte das Amt durch Bescheid vom 6.5.1998 ab. Die dagegen gerichtete Klage und die Berufung der Klägerin waren ohne Erfolg (abschließendes Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 2.7.2003 - L 1 SB 67/00 -).

3

Im August 2004 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB auf 100 sowie die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG". Diesen Antrag lehnte das Amt für Familie und Soziales L. mit Bescheid vom 31.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Sächsischen Landesamtes für Familie und Soziales vom 15.11.2005 ab, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegenüber 1994 nicht vorliege.

4

Nach Beiziehung verschiedener ärztlicher Unterlagen und Anhörung der Beteiligten hat das von der Klägerin angerufene Sozialgericht Leipzig (SG) die Klage durch Gerichtsbescheid vom 13.11.2007 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG weitere ärztliche Befundberichte sowie von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten des Sachverständigen Dr. E. vom 19.11.2008 und auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein orthopädisches Gutachten der Sachverständigen Dr. B. vom 28.8.2009 - jeweils mit einer ergänzenden Stellungnahme - eingeholt.

5

           

In der mündlichen Verhandlung am 17.2.2010 hat die Klägerin neben ihrem Sachantrag "vorsorglich" beantragt, ihre Tochter, Frau C., zu hören zu ihrer Benutzung von zwei Unterarmgehstützen außerhalb des Hauses und auch zu ihrem Laufverhalten innerhalb der Wohnung. Das LSG hat nach Beratung über die Berufung folgende Erklärung zu Protokoll gegeben:

"Das Gericht weist nach Wiedereintritt in die Verhandlung um 11:05 Uhr die Beteiligten darauf hin, dass sämtliche Gutachter bestätigt haben, dass die Klägerin sich nur unter Schmerzen erheblicher Art vom ersten Schritt außerhalb Kraftfahrzeuges fortbewegen kann. Sie nimmt seit Jahren Schmerzmedikamente ein, auch Opium. Die Chronifizierung des Schmerzes hat sich auch im Laufe der Jahre verschlechtert und es sind neue Schmerzen hinzugekommen durch das Gehverhalten der Klägerin bedingt, so im Ellenbogenbereich, im Handgelenkbereich und im Schultergelenkbereich, so dass nach der Begutachtung von Frau Dr. B. und des beschriebenen Gehverhaltens der Klägerin wohl davon auszugehen ist, dass spätestens ab Begutachtung von Frau Dr. B. von einer Fortbewegung der Klägerin unter ständigen Schmerzen außerhalb des Kraftfahrzeuges mit zwei Gehhilfen auszugehen ist."

6

           

Sodann haben sich die Beteiligten dazu bereit erklärt, nachfolgenden Vergleich zu Beendigung des Rechtsstreites zu schließen:

        

1.    

Der Beklagte erkennt an, dass bei der Klägerin ab 17.02.2010 die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" vorliegen.

        
        

2.    

Die Beteiligten erklären im Übrigen übereinstimmend das Berufungsverfahren für erledigt.

        
        

3.    

Der Beklagte übernimmt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

        
        

4.    

Der Beklagte behält sich den Widerruf des Vergleiches bis zum 17.03.2010 vor.

        
7

Ferner haben die Beteiligten für den Fall, dass der Vergleich widerrufen wird, einen Verzicht auf weitere mündliche Verhandlung erklärt.

8

Nach fristgerechtem Widerruf des Vergleichs durch den beklagten Landkreis hat das LSG die Sachverständige Dr. B. als behandelnde Ärztin der Klägerin ergänzend befragt. Diese hat sich unter dem 3.6.2010 dahin geäußert, dass die Schmerzmittelmedikation seit dem 28.8.2009 nicht geändert worden sei, die Klägerin beim Gehen Schmerzen im Bereich der Extremitäten verspüre (Hinweis auf das Gutachten zu Punkt 5) und dieser Zustand seit mindestens eineinhalb Jahren bestehe.

9

Durch Urteil vom 7.7.2010 hat das LSG ohne mündliche Verhandlung die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Nach Darstellung der rechtlichen Grundlagen sowie der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Merkzeichen "aG" hat das LSG unter Zugrundelegung der Beurteilung des Sachverständigen Dr. E. die Auffassung vertreten, dass eine Gleichstellung der Klägerin mit den in der einschlägigen Verwaltungsvorschrift aufgelisteten Personengruppen (Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartrikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind) nicht vorgenommen werden könne. Zwar habe die Sachverständige Dr. B. ähnliche Befunde wie Dr. E. erhoben. Ihrer Einschätzung der Gehfähigkeit der Klägerin sei indes nicht zu folgen.

10

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin die Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Ihr Beweisantrag auf Vernehmung der Tochter sei nicht berücksichtigt worden. Darin liege auch eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG. Nach den in der mündlichen Verhandlung am 17.2.2010 gegebenen Hinweisen habe das LSG mit seinem Urteil ebenfalls das aus dem Rechtsstaatsgebot folgende Verbot widersprüchlichen Verhaltens verletzt. Zudem stelle die Entscheidung des LSG eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Für den Verzicht der Klägerseite auf eine mündliche Verhandlung sei damit zugleich die Geschäftsgrundlage weggefallen. Eine weitere mündliche Verhandlung sei zwingend erforderlich gewesen.

11

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet.

12

Der von der Klägerin schlüssig gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des § 124 Abs 2 SGG(Urteil ohne mündliche Verhandlung) liegt vor. Er führt gemäß § 160a Abs 5 SGG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

13

Ob die behauptete Verletzung des § 62 SGG (rechtliches Gehör) vorliegt, kann offenbleiben. Zudem muss nicht entschieden werden, ob das LSG in gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG relevanter Weise gegen § 103 SGG (Sachaufklärungspflicht) verstoßen hat. Denn die Klägerin macht jedenfalls mit Recht geltend, dass angesichts des Verfahrensganges eine "weitere mündliche Verhandlung" erforderlich gewesen sei und dass für ihre "Verzichtserklärung" betreffend eine weitere mündliche Verhandlung die Geschäftsgrundlage weggefallen sei. Sie hat damit sinngemäß eine Verletzung des § 124 Abs 2 SGG gerügt, die auch vorliegt. Das LSG hätte nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, weil der von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 17.2.2010 erklärte "Verzicht auf weitere mündliche Verhandlung" im Hinblick auf den weiteren Gang des Verfahrens nicht mehr tragfähige Grundlage für eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gewesen ist.

14

Nach allgemeiner Auffassung verliert die Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG ihre Wirksamkeit, wenn sich die Prozesslage wesentlich ändert(s nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 124 RdNr 3d mwN). Das ist der Fall, wenn die Tatsachen- oder die Rechtsgrundlage eine andere wird, zB wenn Zeugen vernommen oder Auskünfte eingeholt werden (Keller, aaO, RdNr 3e mwN). Da die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 124 Abs 1 SGG der prozessrechtliche Regelfall ist und die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung die Ausnahme darstellt, muss das Gericht im Entscheidungszeitpunkt von Amts wegen das Bestehen eines wirksamen Einverständnisses nach § 124 Abs 2 SGG prüfen. Die Beteiligten sind daher bei Eintritt einer wesentlichen Änderung der Prozesslage nicht gehalten, das Gericht darauf hinzuweisen, dass ihre Einverständniserklärung unwirksam geworden ist, oder gar ihre Einverständniserklärung dem Gericht gegenüber ausdrücklich zu widerrufen (vgl § 128 Abs 2 Satz 1 ZPO, der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren trotz der dort in § 101 VwGO mit § 124 SGG wortlautgleichen Vorschrift für anwendbar gehalten wird; s Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl 2009, § 101 RdNr 8).

15

Das am 17.2.2010 sinngemäß erklärte Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) ist hier im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung am 7.7.2010 nicht mehr wirksam gewesen, weil sich die Prozesslage jedenfalls dadurch wesentlich geändert hatte, dass das LSG nach dem Widerruf des Vergleichs durch den Beklagten eine weitere Beweiserhebung durchgeführt hat. Es hat nämlich eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. B. vom 3.6.2010 eingeholt und bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt.

16

Auf dieser Verletzung des § 124 Abs 2 SGG kann das angefochtene Urteil beruhen(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), denn es ist nicht auszuschließen, dass das LSG bei prozessordnungsgerechter Sachbehandlung zu einer anderen, der Klägerin günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Insbesondere hätte die Klägerin in einer weiteren mündlichen Verhandlung ua auch die Möglichkeit gehabt, ihren Beweisantrag zu wiederholen.

17

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 7. Juli 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Streitig ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "aG".

2

Mit Bescheid vom 22.6.1994 stellte das Amt für Familie und Soziales L. fest, dass bei der 1955 geborenen Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 besteht und die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" vorliegen. Einen Antrag der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 100 und der Voraussetzungen der Merkzeichen "H" und "RF" lehnte das Amt durch Bescheid vom 6.5.1998 ab. Die dagegen gerichtete Klage und die Berufung der Klägerin waren ohne Erfolg (abschließendes Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 2.7.2003 - L 1 SB 67/00 -).

3

Im August 2004 beantragte die Klägerin die Erhöhung des GdB auf 100 sowie die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "aG". Diesen Antrag lehnte das Amt für Familie und Soziales L. mit Bescheid vom 31.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Sächsischen Landesamtes für Familie und Soziales vom 15.11.2005 ab, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegenüber 1994 nicht vorliege.

4

Nach Beiziehung verschiedener ärztlicher Unterlagen und Anhörung der Beteiligten hat das von der Klägerin angerufene Sozialgericht Leipzig (SG) die Klage durch Gerichtsbescheid vom 13.11.2007 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG weitere ärztliche Befundberichte sowie von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten des Sachverständigen Dr. E. vom 19.11.2008 und auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein orthopädisches Gutachten der Sachverständigen Dr. B. vom 28.8.2009 - jeweils mit einer ergänzenden Stellungnahme - eingeholt.

5

           

In der mündlichen Verhandlung am 17.2.2010 hat die Klägerin neben ihrem Sachantrag "vorsorglich" beantragt, ihre Tochter, Frau C., zu hören zu ihrer Benutzung von zwei Unterarmgehstützen außerhalb des Hauses und auch zu ihrem Laufverhalten innerhalb der Wohnung. Das LSG hat nach Beratung über die Berufung folgende Erklärung zu Protokoll gegeben:

"Das Gericht weist nach Wiedereintritt in die Verhandlung um 11:05 Uhr die Beteiligten darauf hin, dass sämtliche Gutachter bestätigt haben, dass die Klägerin sich nur unter Schmerzen erheblicher Art vom ersten Schritt außerhalb Kraftfahrzeuges fortbewegen kann. Sie nimmt seit Jahren Schmerzmedikamente ein, auch Opium. Die Chronifizierung des Schmerzes hat sich auch im Laufe der Jahre verschlechtert und es sind neue Schmerzen hinzugekommen durch das Gehverhalten der Klägerin bedingt, so im Ellenbogenbereich, im Handgelenkbereich und im Schultergelenkbereich, so dass nach der Begutachtung von Frau Dr. B. und des beschriebenen Gehverhaltens der Klägerin wohl davon auszugehen ist, dass spätestens ab Begutachtung von Frau Dr. B. von einer Fortbewegung der Klägerin unter ständigen Schmerzen außerhalb des Kraftfahrzeuges mit zwei Gehhilfen auszugehen ist."

6

           

Sodann haben sich die Beteiligten dazu bereit erklärt, nachfolgenden Vergleich zu Beendigung des Rechtsstreites zu schließen:

        

1.    

Der Beklagte erkennt an, dass bei der Klägerin ab 17.02.2010 die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" vorliegen.

        
        

2.    

Die Beteiligten erklären im Übrigen übereinstimmend das Berufungsverfahren für erledigt.

        
        

3.    

Der Beklagte übernimmt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

        
        

4.    

Der Beklagte behält sich den Widerruf des Vergleiches bis zum 17.03.2010 vor.

        
7

Ferner haben die Beteiligten für den Fall, dass der Vergleich widerrufen wird, einen Verzicht auf weitere mündliche Verhandlung erklärt.

8

Nach fristgerechtem Widerruf des Vergleichs durch den beklagten Landkreis hat das LSG die Sachverständige Dr. B. als behandelnde Ärztin der Klägerin ergänzend befragt. Diese hat sich unter dem 3.6.2010 dahin geäußert, dass die Schmerzmittelmedikation seit dem 28.8.2009 nicht geändert worden sei, die Klägerin beim Gehen Schmerzen im Bereich der Extremitäten verspüre (Hinweis auf das Gutachten zu Punkt 5) und dieser Zustand seit mindestens eineinhalb Jahren bestehe.

9

Durch Urteil vom 7.7.2010 hat das LSG ohne mündliche Verhandlung die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Nach Darstellung der rechtlichen Grundlagen sowie der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Merkzeichen "aG" hat das LSG unter Zugrundelegung der Beurteilung des Sachverständigen Dr. E. die Auffassung vertreten, dass eine Gleichstellung der Klägerin mit den in der einschlägigen Verwaltungsvorschrift aufgelisteten Personengruppen (Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartrikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind) nicht vorgenommen werden könne. Zwar habe die Sachverständige Dr. B. ähnliche Befunde wie Dr. E. erhoben. Ihrer Einschätzung der Gehfähigkeit der Klägerin sei indes nicht zu folgen.

10

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin die Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Ihr Beweisantrag auf Vernehmung der Tochter sei nicht berücksichtigt worden. Darin liege auch eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG. Nach den in der mündlichen Verhandlung am 17.2.2010 gegebenen Hinweisen habe das LSG mit seinem Urteil ebenfalls das aus dem Rechtsstaatsgebot folgende Verbot widersprüchlichen Verhaltens verletzt. Zudem stelle die Entscheidung des LSG eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Für den Verzicht der Klägerseite auf eine mündliche Verhandlung sei damit zugleich die Geschäftsgrundlage weggefallen. Eine weitere mündliche Verhandlung sei zwingend erforderlich gewesen.

11

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet.

12

Der von der Klägerin schlüssig gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des § 124 Abs 2 SGG(Urteil ohne mündliche Verhandlung) liegt vor. Er führt gemäß § 160a Abs 5 SGG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

13

Ob die behauptete Verletzung des § 62 SGG (rechtliches Gehör) vorliegt, kann offenbleiben. Zudem muss nicht entschieden werden, ob das LSG in gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG relevanter Weise gegen § 103 SGG (Sachaufklärungspflicht) verstoßen hat. Denn die Klägerin macht jedenfalls mit Recht geltend, dass angesichts des Verfahrensganges eine "weitere mündliche Verhandlung" erforderlich gewesen sei und dass für ihre "Verzichtserklärung" betreffend eine weitere mündliche Verhandlung die Geschäftsgrundlage weggefallen sei. Sie hat damit sinngemäß eine Verletzung des § 124 Abs 2 SGG gerügt, die auch vorliegt. Das LSG hätte nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, weil der von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 17.2.2010 erklärte "Verzicht auf weitere mündliche Verhandlung" im Hinblick auf den weiteren Gang des Verfahrens nicht mehr tragfähige Grundlage für eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gewesen ist.

14

Nach allgemeiner Auffassung verliert die Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG ihre Wirksamkeit, wenn sich die Prozesslage wesentlich ändert(s nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 124 RdNr 3d mwN). Das ist der Fall, wenn die Tatsachen- oder die Rechtsgrundlage eine andere wird, zB wenn Zeugen vernommen oder Auskünfte eingeholt werden (Keller, aaO, RdNr 3e mwN). Da die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 124 Abs 1 SGG der prozessrechtliche Regelfall ist und die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung die Ausnahme darstellt, muss das Gericht im Entscheidungszeitpunkt von Amts wegen das Bestehen eines wirksamen Einverständnisses nach § 124 Abs 2 SGG prüfen. Die Beteiligten sind daher bei Eintritt einer wesentlichen Änderung der Prozesslage nicht gehalten, das Gericht darauf hinzuweisen, dass ihre Einverständniserklärung unwirksam geworden ist, oder gar ihre Einverständniserklärung dem Gericht gegenüber ausdrücklich zu widerrufen (vgl § 128 Abs 2 Satz 1 ZPO, der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren trotz der dort in § 101 VwGO mit § 124 SGG wortlautgleichen Vorschrift für anwendbar gehalten wird; s Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl 2009, § 101 RdNr 8).

15

Das am 17.2.2010 sinngemäß erklärte Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) ist hier im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung am 7.7.2010 nicht mehr wirksam gewesen, weil sich die Prozesslage jedenfalls dadurch wesentlich geändert hatte, dass das LSG nach dem Widerruf des Vergleichs durch den Beklagten eine weitere Beweiserhebung durchgeführt hat. Es hat nämlich eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. B. vom 3.6.2010 eingeholt und bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt.

16

Auf dieser Verletzung des § 124 Abs 2 SGG kann das angefochtene Urteil beruhen(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), denn es ist nicht auszuschließen, dass das LSG bei prozessordnungsgerechter Sachbehandlung zu einer anderen, der Klägerin günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Insbesondere hätte die Klägerin in einer weiteren mündlichen Verhandlung ua auch die Möglichkeit gehabt, ihren Beweisantrag zu wiederholen.

17

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. September 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten darum, ob ein Verkehrsunfall des Klägers, den er auf dem Weg von der Wohnung seiner Freundin zur Arbeitsstätte erlitt, ein Arbeitsunfall war. Das SG Koblenz hat die Beklagte zur Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall verpflichtet (Urteil vom 22.7.2010). Die Beklagte hat hiergegen Berufung zum LSG Rheinland-Pfalz eingelegt.

2

Im Berufungsverfahren hat der Berichterstatter die Beklagte mit Schreiben vom 2.3.2011 um Prüfung gebeten, ob das Rechtsmittel im Hinblick auf die am 24.2.2011 durchgeführte Beweisaufnahme nicht zurückgenommen werden könne. Eine Abschrift dieses Schreibens haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Kenntnisnahme erhalten. Nachdem die Beklagte mitgeteilt hatte, dass und warum sie die Berufung aufrecht erhalte, haben sich die Beteiligten mit Schreiben vom 18. und 23.5.2011 mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

3

Durch Verfügung vom 4.9.2012 hat der Vorsitzende des 4. Senats des LSG Termin zur mündlichen Verhandlung auf "Donnerstag, den 27.09.2012, 11.10 Uhr" bestimmt. Die Ladung zu diesem Termin ist den Beteiligten jeweils am 10.9.2012 zugegangen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers gibt an, zu dieser mündlichen Verhandlung im LSG erschienen zu sein, von der Protokollführerin aber die Auskunft erhalten zu haben, es werde ohne mündliche Verhandlung entschieden. Das LSG hat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 27.9.2012 sodann die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Senat habe im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden können.

4

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger als Verfahrensfehler ua die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Mündlichkeitsgrundsatzes.

5

Er beantragt,

        

die Revision zuzulassen.

6

Die Beklagte hat sich nicht geäußert.

7

II. Die Beschwerde ist zulässig.

8

Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 und 2 SGG) iVm dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergibt. Die Beschwerdebegründung enthält auch hinreichende Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann.

9

Die Beschwerde ist auch begründet. Es liegt ein Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht. Denn das angegriffene Urteil des Berufungsgerichts ist verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das LSG nicht ohne mündliche Verhandlung hätte entscheiden dürfen. Infolgedessen können die vom Kläger außerdem erhobenen Rügen dahingestellt bleiben.

10

Das Gericht entscheidet nach § 124 Abs 1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz der Mündlichkeit enthält § 124 Abs 2 SGG. Danach kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Eine Einverständniserklärung im Sinne dieser Vorschrift, die das Gericht im Zeitpunkt seiner Entscheidungsfindung von Amts wegen zu prüfen hat, verliert ihre Wirksamkeit, wenn sich nach ihrer Abgabe die bisherige Tatsachen- oder Rechtsgrundlage und damit die Prozesssituation wesentlich geändert hat (BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 45/10 B - Juris RdNr 14). Das war hier im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung am 27.9.2012 der Fall.

11

Das mit Schreiben der Beteiligten vom 18. und 23.5.2011 jeweils erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung war mit der Ladung vom 4.9.2012 zur mündlichen Verhandlung am 27.9.2012 verbraucht. Dadurch ist eine wesentliche Änderung in der bisherigen Prozesslage eingetreten. Denn mit der Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung hat das Gericht deutlich gemacht, von der Möglichkeit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nicht Gebrauch machen zu wollen, sondern den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten das Recht einzuräumen, an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen und den Streitstoff umfassend zu erörtern. Das LSG hat auch zu keinem Zeitpunkt diese Ladung zur mündlichen Verhandlung wieder aufgehoben.

12

Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, für die keine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG vorliegt, verletzt regelmäßig zugleich den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG(BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 135/04 B - SozR 4-1500 § 124 Nr 1 RdNr 12). Gerade die in Art 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention grundsätzlich vorgeschriebene mündliche Verhandlung bietet eine besondere Gewähr zur Wahrung des rechtlichen Gehörs. Obwohl der Vorsitzende den von ihm anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung nicht aufgehoben hat, ist die mündliche Verhandlung nicht durchgeführt und damit dem Kläger die Möglichkeit genommen worden, sich selbst oder über seine Prozessbevollmächtigte zur Sach- und Rechtslage zu äußern.

13

Das angefochtene Urteil kann auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass es im Falle der gebotenen mündlichen Verhandlung zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre.

14

Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen(§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

15

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. September 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten darum, ob ein Verkehrsunfall des Klägers, den er auf dem Weg von der Wohnung seiner Freundin zur Arbeitsstätte erlitt, ein Arbeitsunfall war. Das SG Koblenz hat die Beklagte zur Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall verpflichtet (Urteil vom 22.7.2010). Die Beklagte hat hiergegen Berufung zum LSG Rheinland-Pfalz eingelegt.

2

Im Berufungsverfahren hat der Berichterstatter die Beklagte mit Schreiben vom 2.3.2011 um Prüfung gebeten, ob das Rechtsmittel im Hinblick auf die am 24.2.2011 durchgeführte Beweisaufnahme nicht zurückgenommen werden könne. Eine Abschrift dieses Schreibens haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Kenntnisnahme erhalten. Nachdem die Beklagte mitgeteilt hatte, dass und warum sie die Berufung aufrecht erhalte, haben sich die Beteiligten mit Schreiben vom 18. und 23.5.2011 mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

3

Durch Verfügung vom 4.9.2012 hat der Vorsitzende des 4. Senats des LSG Termin zur mündlichen Verhandlung auf "Donnerstag, den 27.09.2012, 11.10 Uhr" bestimmt. Die Ladung zu diesem Termin ist den Beteiligten jeweils am 10.9.2012 zugegangen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers gibt an, zu dieser mündlichen Verhandlung im LSG erschienen zu sein, von der Protokollführerin aber die Auskunft erhalten zu haben, es werde ohne mündliche Verhandlung entschieden. Das LSG hat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 27.9.2012 sodann die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Senat habe im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden können.

4

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger als Verfahrensfehler ua die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Mündlichkeitsgrundsatzes.

5

Er beantragt,

        

die Revision zuzulassen.

6

Die Beklagte hat sich nicht geäußert.

7

II. Die Beschwerde ist zulässig.

8

Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 und 2 SGG) iVm dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergibt. Die Beschwerdebegründung enthält auch hinreichende Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann.

9

Die Beschwerde ist auch begründet. Es liegt ein Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht. Denn das angegriffene Urteil des Berufungsgerichts ist verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das LSG nicht ohne mündliche Verhandlung hätte entscheiden dürfen. Infolgedessen können die vom Kläger außerdem erhobenen Rügen dahingestellt bleiben.

10

Das Gericht entscheidet nach § 124 Abs 1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz der Mündlichkeit enthält § 124 Abs 2 SGG. Danach kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Eine Einverständniserklärung im Sinne dieser Vorschrift, die das Gericht im Zeitpunkt seiner Entscheidungsfindung von Amts wegen zu prüfen hat, verliert ihre Wirksamkeit, wenn sich nach ihrer Abgabe die bisherige Tatsachen- oder Rechtsgrundlage und damit die Prozesssituation wesentlich geändert hat (BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 45/10 B - Juris RdNr 14). Das war hier im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung am 27.9.2012 der Fall.

11

Das mit Schreiben der Beteiligten vom 18. und 23.5.2011 jeweils erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung war mit der Ladung vom 4.9.2012 zur mündlichen Verhandlung am 27.9.2012 verbraucht. Dadurch ist eine wesentliche Änderung in der bisherigen Prozesslage eingetreten. Denn mit der Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung hat das Gericht deutlich gemacht, von der Möglichkeit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nicht Gebrauch machen zu wollen, sondern den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten das Recht einzuräumen, an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen und den Streitstoff umfassend zu erörtern. Das LSG hat auch zu keinem Zeitpunkt diese Ladung zur mündlichen Verhandlung wieder aufgehoben.

12

Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, für die keine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG vorliegt, verletzt regelmäßig zugleich den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG(BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 135/04 B - SozR 4-1500 § 124 Nr 1 RdNr 12). Gerade die in Art 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention grundsätzlich vorgeschriebene mündliche Verhandlung bietet eine besondere Gewähr zur Wahrung des rechtlichen Gehörs. Obwohl der Vorsitzende den von ihm anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung nicht aufgehoben hat, ist die mündliche Verhandlung nicht durchgeführt und damit dem Kläger die Möglichkeit genommen worden, sich selbst oder über seine Prozessbevollmächtigte zur Sach- und Rechtslage zu äußern.

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Das angefochtene Urteil kann auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass es im Falle der gebotenen mündlichen Verhandlung zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre.

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Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen(§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Die Beteiligten können vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Rentenberater im Umfang ihrer Befugnisse nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes,
4.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten nach den §§ 28h und 28p des Vierten Buches Sozialgesetzbuch,
5.
selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
6.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
7.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
8.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
9.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter. § 157 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen. Satz 3 gilt nicht für Beschäftigte eines Sozialleistungsträgers oder eines Spitzenverbandes der Sozialversicherung.

(4) Vor dem Bundessozialgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Als Bevollmächtigte sind außer den in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen nur die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Organisationen zugelassen. Diese müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des Satzes 2 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten; Satz 3 bleibt unberührt.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Bei Ehegatten oder Lebenspartnern und Verwandten in gerader Linie kann unterstellt werden, dass sie bevollmächtigt sind. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten. Im Übrigen gelten die §§ 81, 83 bis 86 der Zivilprozessordnung entsprechend.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.