Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 05. März 2012 - 2 BvR 1464/11

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2012:rk20120305.2bvr146411
bei uns veröffentlicht am05.03.2012

Tenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 - 3 Ws 33/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen.

2. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 6. Juni 2011 - 3 Ws 33/11 - gegenstandslos und erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4. ...

5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000,00 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Art und Weise der Prüfung des Zustandekommens einer Verfahrensabsprache in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung durch das Rechtsmittelgericht, wenn der Angeklagte unter Berufung auf eine solche Absprache die Unwirksamkeit eines von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts geltend macht.

2

1. Das Amtsgericht Pirna - Schöffengericht - verurteilte den Beschwerdeführer, der sich zur Zeit der Hauptverhandlung seit etwa fünf Monaten in Untersuchungshaft befand, wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit gewerbsmäßiger Hehlerei in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten.

3

a) Dem Protokoll zufolge wurde die Hauptverhandlung auf Anregung der damaligen Verteidigerin des Beschwerdeführers kurz nach ihrem Beginn für ein "Rechtsgespräch" unterbrochen. Als die Hauptverhandlung - etwa eine Stunde später - fortgesetzt wurde, verlas die Verteidigerin eine ein Geständnis enthaltende Erklärung für den Beschwerdeführer, der danach Fragen beantwortete. Im Anschluss verzichteten die Verfahrensbeteiligten auf eine Vernehmung der geladenen Zeugen und es wurde gemäß § 154 Abs. 2 StPO von der Verfolgung eines mitangeklagten Vorwurfs abgesehen. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten sowie die Aufhebung des Haftbefehls; die Verteidigung beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung und die Aufhebung des Haftbefehls. Nach der Urteilsverkündung und der Aufhebung des Haftbefehls verzichteten Staatsanwaltschaft und Beschwerdeführer auf Rechtsmittel.

4

b) Das Hauptverhandlungsprotokoll enthält weder einen Hinweis auf das Zustandekommen einer Absprache (§ 273 Abs. 1a Satz 1 StPO) noch die Angabe, dass eine Verständigung nicht erfolgt sei (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO). Auch die Entscheidungsgründe äußern sich nicht dazu, ob dem Urteil eine Absprache vorausging.

5

2. a) Der Beschwerdeführer legte Berufung ein und machte eine Unwirksamkeit seines Rechtsmittelverzichts gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO geltend. Hierfür legte er eine Erklärung seiner damaligen Verteidigerin vor, die Verständigungsgespräche vor dem Amtsgericht Pirna schilderte und das Zustandekommen einer Absprache bejahte.

6

b) Das Landgericht Dresden verwarf die Berufung mit Beschluss vom 10. März 2011 als unzulässig, nachdem es dienstliche Stellungnahmen der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und des Vorsitzenden des Schöffengerichts eingeholt hatte.

7

aa) Die damalige Verteidigerin des Beschwerdeführers hatte in ihrer Erklärung angegeben, das Rechtsgespräch habe zunächst im Richterzimmer zwischen dem Vorsitzenden des Schöffengerichts, der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und ihr stattgefunden. Die Staatsanwältin habe gleich zu Beginn klargestellt, schon wegen der Vorstrafen des Beschwerdeführers sei aus ihrer Sicht nicht mit einer Bewährungsstrafe zu rechnen. Sie selbst habe mit Blick auf die konkreten Vorwürfe eine Bewährungsstrafe noch für realistisch gehalten und den Inhalt eines möglichen Geständnisses angerissen. Der Vorsitzende habe ausgeführt, auch er könne sich eine Bewährungsstrafe nicht mehr vorstellen, dafür aber eine Aufhebung des Haftbefehls, sofern sich der Beschwerdeführer wie angekündigt einlasse. In diesem Fall werde eine Beweisaufnahme durch Zeugeneinvernahme nicht erfolgen. Der Vorsitzende habe darauf hingewiesen, dies aber noch mit den Schöffen besprechen zu müssen. Die Staatsanwältin habe zunächst mehr als drei Jahre Freiheitsstrafe gefordert und sei schließlich von zwei Jahren und zehn Monaten ausgegangen. Der Vorsitzende habe die Strafhöhe ähnlich gesehen, aber noch keinen eindeutigen Hinweis gegeben. Sie habe sich daraufhin mit dem Beschwerdeführer besprechen und die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft die Verfasserin der Anklageschrift unterrichten wollen. Nachdem sie die Angelegenheit mit dem Beschwerdeführer in dem Sinne erörtert gehabt habe, dass dieser sich zur Sache einlasse, wenn der Haftbefehl aufgehoben werde, sei sie zu dem Vorsitzenden gegangen und habe mitgeteilt, mit der besprochenen Vorgehensweise bestehe Einverständnis. Der Vorsitzende habe aber noch nicht mit den Schöffen gesprochen gehabt. Als sie in den Sitzungssaal zurückgekommen sei, habe die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft ihr mitgeteilt, man könne so verfahren, dass der Beschwerdeführer zwei Jahre und zehn Monate erhalte, der Haftbefehl aufgehoben und die Sache rechtskräftig werde. Über diese Aussage sei sie überaus erstaunt gewesen, da in den Gesprächen zuvor zu keinem Zeitpunkt eine Rechtskraft des Urteils thematisiert worden sei. Die Staatsanwältin habe jedoch geäußert, sie könne die Verteidigerin nicht verstehen, da ein entsprechendes Gespräch stattgefunden habe und sie davon ausgegangen sei, alle Beteiligten seien sich über diese Punkte einig. Als das Gericht in den Saal gekommen sei, habe sie den Vorsitzenden über die Äußerung der Staatsanwältin informiert und ihn gefragt, ob er das auch so sehe, was der Vorsitzende bestätigt habe. Hierüber habe sie mit dem Beschwerdeführer gesprochen, der sich für die Rechtskraft entschieden habe, weil der Haftbefehl aufgehoben werden sollte. Sodann sei die Hauptverhandlung fortgesetzt worden. Sie und der Beschwerdeführer hätten später auf Rechtsmittel verzichtet, weil sie befürchtet hätten, anderenfalls werde der Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt. Zunächst sei sie davon ausgegangen, im Richterzimmer sei eine Vereinbarung nicht getroffen worden. Der Vorsitzende und die Staatsanwältin hätten sie in der Hauptverhandlung jedoch eindeutig anders belehrt.

8

bb) Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft hatte in ihrer dienstlichen Erklärung ausgeführt, sie habe klargestellt, dass aus ihrer Sicht eine Bewährungsstrafe nicht in Betracht komme. Der Vorsitzende habe mit Blick auf übliche Strafen bei vergleichbaren Taten Ähnliches geäußert, ohne ein konkretes Strafmaß benannt zu haben, da auch eine Abstimmung mit den Schöffen nicht erfolgt gewesen sei. Auf die Ankündigung des Gerichts, gegebenenfalls den Haftbefehl aufzuheben, habe sie eingewandt, wegen der hohen Fluchtgefahr sei mit einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu rechnen. Für den Fall der Rechtskraft sei dies natürlich anders. Sie habe Verteidigung und Beschwerdeführer so verstanden, dass es ihnen vordergründig um die Aufhebung des Haftbefehls gegangen sei, wobei sie mehrfach ihre Position deutlich gemacht habe. Gänzlich nicht nachvollziehen könne sie die Äußerung der Verteidigerin zum Zustandekommen einer Absprache, da das Gericht die Position vertreten gehabt habe, den Haftbefehl aufheben zu wollen und sie eine sofortige Beschwerde dagegen avisiert habe. Die Verteidigerin habe schließlich auch einen anderen Antrag zum Strafmaß als sie gestellt. Sie habe auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet, weil aus ihrer Sicht keine Beweisprobleme vorgelegen hätten und sie sich sicher gewesen sei, dass das Strafmaß den Erwartungen der Staatsanwaltschaft nahekommen werde. Ein regelrechtes Gespräch über ein bestimmtes Strafmaß mit Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft, wie sie es sonst kenne, habe es ihres Erachtens nicht gegeben. Ihr sei es um die Fortsetzung der Untersuchungshaft gegangen.

9

cc) Der Vorsitzende des Schöffengerichts hatte in seiner dienstlichen Stellungnahme mitgeteilt, der genaue Werdegang der Gespräche und deren Inhalt seien ihm nach dem eingetretenen Zeitablauf nicht mehr genau erinnerlich. Er denke aber, dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft den Geschehensablauf zutreffend geschildert habe.

10

dd) Das Landgericht hielt das Zustandekommen einer Absprache für nicht erwiesen und deshalb den Rechtsmittelverzicht für wirksam. Zwar habe die Verteidigerin ausgeführt, es sei Einigkeit erzielt worden, dass der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben wird, wenn das Urteil rechtskräftig werde. Dies stelle jedoch bereits wegen des Einschlusses des Rechtsmittelverzichts keine zulässige Verständigung im Sinne von § 257c StPO dar. Zudem stehe der Antrag der Verteidigerin auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung der Annahme entgegen, es sei eine Verständigung auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten erzielt worden.

11

3. a) Der Beschwerdeführer legte gegen den Beschluss des Landgerichts sofortige Beschwerde ein.

12

b) Das Oberlandesgericht Dresden verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 19. April 2011 als unbegründet. Die Annahme der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts sei nicht zu beanstanden. Da das Verhandlungsprotokoll weder die Erklärung nach § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO noch das Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO enthalte, sei dessen Beweiskraft entfallen. Damit sei aber nicht der Vortrag des Beschwerdeführers als wahr zu unterstellen, sondern dieser habe nur die Möglichkeit, den Nachweis zu führen, dass ein bestimmter Vorgang geschehen oder nicht geschehen sei. Das Rechtsmittelgericht müsse dann im Freibeweisverfahren und in freier Beweiswürdigung den wirklichen Verfahrensablauf klären.

13

Hiernach sei das Vorliegen einer Verständigung nicht bewiesen. Die Erklärungen der damaligen Verteidigerin und der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft seien angesichts des Inhalts des Hauptverhandlungsprotokolls zum Verfahrensablauf nicht geeignet, diesen Beweis zu erbringen. Der Annahme einer Absprache über das Strafmaß stehe entscheidend entgegen, dass die Verteidigerin eine Strafe von maximal zwei Jahren mit Bewährung beantragt habe, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft aber eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Bereits aus diesem Grund liege es fern, dass sich die Verfahrensbeteiligten auf ein Strafmaß von zwei Jahren und zehn Monaten geeinigt haben sollen. Dass Verteidigung und Staatsanwaltschaft übereinstimmend beantragt hätten, den Haftbefehl aufzuheben, beweise eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO ebenfalls nicht. Dieses Prozessverhalten könne auch dem Umstand geschuldet sein, dass der Vorsitzende von Anfang an seine Absicht bekundet gehabt habe, den Haftbefehl aufzuheben. Außerdem wäre bei einem Nichteintritt der Rechtskraft trotz dieses Antrags eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft möglich gewesen. Aus den Stellungnahmen der Prozessbeteiligten ergebe sich auch keine ausreichende Grundlage für eine Verständigung über die Aufhebung des Haftbefehls und einen Rechtsmittelverzicht. Die Annahme einer Absprache bei dem Gespräch im Richterzimmer scheide schon mangels Beteiligung der Schöffen aus. Der nachfolgende Geschehensablauf lasse unter Zugrundelegung der Schilderung der Verteidigerin die Bejahung einer Verständigung ebenfalls nicht zu, da diese mit der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft keinen Konsens erzielt gehabt habe. Zudem habe letztere geäußert, sie habe es nach wie vor als problematisch erachtet, dass der Haftbefehl aufgehoben werden sollte.

14

Aus diesen Gründen habe sich der Senat nicht die Überzeugung bilden können, dass eine Verständigung erfolgt sei. Daran ändere auch die ergänzend vorgelegte eigene Stellungnahme des Beschwerdeführers nichts, der angegeben habe, seine Verteidigerin habe ihm mitgeteilt, "es sei alles klar, er werde zwei Jahre und zehn Monate kriegen, könne nach Hause gehen und müsse auf Berufung verzichten". Nach ihrer Schilderung des Verfahrensablaufs habe die Verteidigerin nicht von einem Konsens ausgehen können.

15

4. a) Mit seiner Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 beanstandete der Beschwerdeführer insbesondere, das Gericht habe die zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht ausgeschöpft und wesentliche Gesichtspunkte unerwähnt gelassen.

16

b) Das Oberlandesgericht Dresden wies die Anhörungsrüge am 6. Juni 2011 als unbegründet zurück. Es habe keine weiteren Stellungnahmen einholen oder ergänzenden Beweis erheben müssen, da hieraus keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien. Gegen eine Verständigung sprächen weiterhin die unterschiedlichen Anträge von Verteidigung und Staatsanwaltschaft zum Strafmaß. Die Nichteinvernahme von Zeugen in der Hauptverhandlung beweise eine Verständigung ebenfalls nicht.

II.

17

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Landgerichts sowie des Oberlandesgerichts Dresden. Er rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG wegen Nichtwahrung der Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung. Die Fachgerichte hätten seinem Vortrag zu der getroffenen Verfahrensabsprache in angemessener Weise nachgehen müssen, statt sich mit dienstlichen Erklärungen zu begnügen, die auf die entscheidenden Fragen nicht eingingen und erst recht nicht antworteten. Ferner habe das Oberlandesgericht gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes verstoßen und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

18

2. Der Beschwerdeführer beantragt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen.

III.

19

Der Freistaat Sachsen hat von einer Äußerung zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat auf eine Stellungnahme des Vorsitzenden des 2. Strafsenats verwiesen, in der dieser die Rechtsprechung seines Senats zum Fehlen des Protokollvermerks über das (Nicht-)Zustandekommen einer Absprache darstellt. Die anderen Strafsenate haben von einer Stellungnahme abgesehen. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für begründet, soweit sie sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 richtet. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben vorgelegen.

IV.

20

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Hiernach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

21

1. Die vorliegende Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Art und Weise der Prüfung des Zustandekommens (also des "ob") einer Verfahrensabsprache vor dem Amtsgericht Pirna durch die Rechtsmittelgerichte als Vorfrage der Entscheidung über die (Un-)Wirksamkeit des von dem Beschwerdeführer erklärten Rechtsmittelverzichts. Der etwaige Inhalt der von ihm behaupteten Verständigung vor dem Amtsgericht Pirna ist ebenso wenig Gegenstand der Verfassungsbeschwerde wie die Verfassungsmäßigkeit urteilsbezogener Verfahrensabsprachen im Strafprozess. Die vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschiedene Frage der Vereinbarkeit solcher Absprachen (vgl. dazu lediglich BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 f.) und ihrer gesetzlichen Regelung mit dem Grundgesetz ist im vorliegenden Verfahren somit nicht entscheidungserheblich und kann deshalb offen bleiben.

22

2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

23

a) Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>). Soweit sie verfassungsrechtlich nicht bereits anderweitig erfasst werden, stellt das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren zudem Mindestanforderungen für eine zuverlässige Sachverhaltsaufklärung auf (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 70, 297 <308>; 122, 248 <270>).

24

b) Diesen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 nicht gerecht. Der Beschluss weicht in einer Weise von den obergerichtlichen Anforderungen an die richterliche Sachaufklärung ab, die verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar ist. Das Oberlandesgericht hätte nicht von einer weiteren Sachaufklärung absehen und verbleibende Zweifel nicht im Ergebnis zulasten des Beschwerdeführers werten dürfen.

25

aa) Es hätte jedenfalls der augenfälligen Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nachgehen müssen, die primär das Ziel einer Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft verfolgt und für den Fall einer Aufhebung des Haftbefehls die Einlegung einer Beschwerde angekündigt haben will, aber in der Hauptverhandlung die Aufhebung des Haftbefehls beantragte. Ferner hätte das Oberlandesgericht Stellungnahmen der Schöffen und der Urkundsbeamtin einholen müssen, nachdem die damalige Verteidigerin plausibel und widerspruchsfrei erklärt hatte, die Gespräche seien im Sitzungssaal fortgesetzt worden, und die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden ohne sachlichen Gehalt geblieben war.

26

bb) Schließlich hätte das Oberlandesgericht verbleibende Zweifel nicht zulasten des Beschwerdeführers werten dürfen. Zwar ist es grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der auch im Freibeweisverfahren gebotenen Sachaufklärung nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfahrenstatsachen grundsätzlich zulasten des Angeklagten gehen. Das dort vom Angeklagten grundsätzlich zu tragende Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts findet aber dort seine Grenze, wo die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts und dadurch entstehende Zweifel des Gerichts ihre Ursache in einem Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumentationspflicht finden (vgl. BVerfGK 16, 1 <18>).

27

3. Es kann dahinstehen, ob der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2011 auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes und den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt.

V.

28

1. Soweit die Kammer die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annimmt, wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.

29

2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfGE 86, 90 <122>).

30

3. Die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

31

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Urteilsbesprechung zu Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 05. März 2012 - 2 BvR 1464/11

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(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten.

(2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Die Vorschriften für die Revision in Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses gelten entsprechend in folgenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht (Verfassungsgerichtshof, Staatsgerichtshof) eines Landes:

1.
Verfahren über die Verwirkung von Grundrechten, den Verlust des Stimmrechts, den Ausschluss von Wahlen und Abstimmungen,
2.
Verfahren über die Verfassungswidrigkeit von Parteien,
3.
Verfahren über Anklagen gegen den Bundespräsidenten, gegen ein Regierungsmitglied eines Landes oder gegen einen Abgeordneten oder Richter und
4.
Verfahren über sonstige Gegenstände, die in einem dem Strafprozess ähnlichen Verfahren behandelt werden.

(2) In sonstigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht eines Landes gelten die Vorschriften in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Vergütungsverzeichnisses entsprechend. Der Gegenstandswert ist unter Berücksichtigung der in § 14 Absatz 1 genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen; er beträgt mindestens 5 000 Euro.