Finanzgericht Hamburg Urteil, 12. Apr. 2018 - 1 K 202/16

bei uns veröffentlicht am12.04.2018

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Ehefrau des Klägers in den Streitjahren einen Wohnsitz in Deutschland hatte und aufgrund dessen eine antragsgemäße Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer durchzuführen ist.

1.

2

Der Kläger ist 1957 geboren und als ... bei der A tätig. Bis September 2011 bewohnte er eine Wohnung im X-Weg. Dann zog er zu seinem verwitweten, 1923 geborenen Vater ins Elternhaus in der Y-Straße, das dem Kläger bereits 2007 zu Eigentum übertragen wurde. Der Vater bewohnt ein Zimmer mit eigenem Bad, die Küche wird gemeinsam benutzt.

3

Am ... 2010 heirateten der Kläger und seine Ehefrau in Kenia. Seine 1983 geborene Ehefrau ist kenianische Staatsbürgerin und lebt in B, Kenia. Die Eheleute haben dort und hatten in den Streitjahren ein Hausgrundstück zu Eigentum. Im Winterhalbjahr verbringt der Kläger ca. zehn Wochen dort.

4

Die 2003 geborene Tochter ist leibliches Kind der Ehefrau. Ein Adoptionsverfahren des Klägers für die Tochter ist nicht beendet worden. Die Tochter lernte und wohnte in den Streitjahren in einer boarding school in C, Kenia. Zwei- bis dreimal jährlich ist sie bei ihrer Mutter zu Hause in B.

5

Die Ehefrau hat ihre Berufstätigkeit als Bedienung in einem Hotel nach der Heirat aufgegeben und wird vom Kläger unterhalten. Die Ehefrau verfügt über eine eigene Kreditkarte für das Konto des Klägers.

2.

6

Die Ehefrau hielt sich wie folgt in Deutschland auf:

Jahr   

Einreise

Ausreise

Aufenthaltsdauer

2010   

24.05.

04.07.

42 Tage

2011   

07.09.

29.09.

23 Tage

2012   

14.06.

04.07.

21 Tage

2013   

16.08.

07.09.

23 Tage

7

Im Sommer 2013 wurde sie von der Tochter begleitet.

8

Die Ehefrau reiste jeweils mit einem Visum für kurzfristige Aufenthalte (Schengen-Visum der Kategorie C) in Deutschland ein. Ein solches Visum erlaubt einen Aufenthalt von maximal 90 Tagen je 180 Tagen.

9

Am 08.09.2011 meldeten sich der Kläger und seine Ehefrau unter der Wohnanschrift Y-Straße an. Laut Inhalt des Einwohnermeldeamtsregisters ist die Ehefrau am 08.12.2011 wieder aus der Wohnung Y-Straße ausgezogen.

10

Am 12.09.2013 beantragte die Ehefrau in der deutschen Botschaft in Nairobi eine Aufenthaltserlaubnis (gemäß §§ 27, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet - AufenthG - als Ehegatte eines in Deutschland lebenden Deutschen), die ihr am 19.09.2014 erteilt wurde. Das Verfahren dauerte - nach dem Vortrag des Klägers - so lange, weil die Ehefrau einen Nachweis zu führen hatte, die leibliche Mutter der Tochter zu sein. Außerdem habe sie Deutschkenntnisse nachweisen müssen, weil ihr entsprechender Nachweis ("Goethe-Zertifikat A 1", Anlage D zum Schriftsatz des Klägers im Einspruchsverfahren vom 23.07.2013) aus dem Jahr 2009 zu alt gewesen sei.

11

Am 24.10.2014 meldete sich die Ehefrau erneut in der Y-Straße an.

3.

12

Für die Jahre 2010 und 2011 veranlagte der Beklagte den Kläger und seine Ehefrau antragsgemäß zusammen.

13

Nach Eingang der Steuererklärung für das Jahr 2012 forderte der Beklagte unter Hinweis darauf, dass die Ehefrau nach einer Melderegisterauskunft vom 24.05.2013 bereits am 08.12.2011 wieder nach Kenia verzogen sei, den Kläger auf, die Aufenthalte seiner Ehefrau in Hamburg zu belegen. Der Kläger legte Unterlagen für die Reise Juni / Juli 2012 vor und eine Verpflichtungserklärung vom 13.05.2013. Hierin verpflichtete er sich nach § 68 AufenthG zur Übernahme der Kosten für den Lebensunterhalt der Ehefrau und der Tochter für einen voraussichtlich am 01.08.2013 beginnenden vierwöchigen Aufenthalt. Als Zweck des Aufenthalts hatte der Kläger in der Erklärung "Besuch" angegeben. Weiterhin legte der Kläger eine Erklärung seines Vaters vor, seine Schwiegertochter habe im Juni und Juli 2012 mit seinem Sohn, dem Kläger, in der Y-Straße gewohnt.

14

In der Einkommensteuerfestsetzung für 2012 durch Bescheid vom 02.07.2013 lehnte der Beklagte die Zusammenveranlagung ab, denn die Ehefrau habe weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Ein vierwöchiger Aufenthalt rechtfertige keine Zusammenveranlagung.

15

Der Kläger legte am 10.07.2013 Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 02.07.2013 ein. Der Kläger trug vor, seine Ehefrau habe bereits bei ihrer erstmaligen Einreise einen gemeinsamen Haushalt in seiner Wohnung begründet und in der Folgezeit nicht wieder aufgegeben. Sie nutze die Wohnung regelmäßig und könne nach Belieben über diese verfügen. Die Abmeldung sei auf Druck des Einwohnermeldeamtes erfolgt, offensichtlich aus melderechtlichen Gründen wegen ihres nur befristeten Aufenthaltsstatus. Seine Ehefrau und er strebten eine weitergehende Aufenthaltserlaubnis an. Unbeschadet der Abmeldung habe die Ehefrau weiterhin die Möglichkeit gehabt, die Wohnung in der Y-Straße jederzeit zu nutzen. Dass sie sich noch nicht dauerhaft in Deutschland aufhalte, sei familiären Gründen geschuldet, "verständlicherweise wollte sie ihre Tochter nicht zurücklassen". Die Tochter sei mittlerweile von ihm adoptiert worden. Der Kläger trug weiter vor, die Eheleute wirtschafteten gemeinsam, sie hätten ein gemeinsames Giro-Konto bei der Bank D und die Ehefrau habe eine Kreditkarte für sein Konto. Der Kläger machte geltend, nach der Rechtsprechung reiche es zur Bejahung eines inländischen Wohnsitzes aus, wenn ein Ehegatte mit Mittelpunkt der Lebensinteressen im weit entfernten Ausland den inländischen Wohnsitz jährlich einmal für drei Wochen aufsuche.

16

Während des laufenden Einspruchsverfahrens 2012 legte der Kläger am 02.07.2014 Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 26.06.2014 ein, mit dem der Beklagte den Kläger entgegen seines Antrags wiederum allein veranlagte.

17

Aufgrund der Meldebestätigung zum 24.10.2014 anerkennt der Beklagte für die Zeit ab 2014 einen Wohnsitz der Ehefrau im Inland.

18

Während der Einspruchsverfahren beantragte der Kläger hilfsweise, seine Unterstützungszahlungen an die Ehefrau als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Hierfür legte er Unterhaltserklärungen der Ehefrau für das Jahr 2012 und für das Jahr 2013 vom 03.03.2016 vor. Die Ehefrau erklärt hierin u. a. auf die Frage, warum sie nicht berufstätig sei, dass sie sich als Ehefrau um die gemeinsame Tochter und das gemeinsame Haus kümmern müsse und zur Erlangung des Visums Deutschkurse besuche. In der Erklärung für 2013 heißt es weiterhin, der Ehemann möchte nicht, dass sie berufstätig sei.

19

Der Beklagte erließ am 06.06.2016 eine gemeinsame Einspruchsentscheidung für die Streitjahre. Er lehnte eine Zusammenveranlagung ab und änderte die Ausgangsbescheide, indem er Unterstützungszahlungen an die Ehefrau im Jahr 2012 i. H. v. 2.001 € und im Jahr 2013 i. H. v. 2.033 € steuermindernd als außergewöhnliche Belastungen in besonderen Fällen berücksichtigte. Weitere Änderungen sind zwischen den Beteiligten nicht streitig und für die Entscheidung dieses Rechtsstreits irrelevant.

20

Eine Zusammenveranlagung sei nicht vorzunehmen. Es fehle ein Nachweis, dass die Ehefrau schon in den Streitjahren die Absicht gehabt habe, sich längerfristig im Haus des Klägers aufzuhalten. Nach dem Vortrag des Klägers habe seine Ehefrau ihre Tochter nicht in Kenia zurücklassen wollen. Dass sie sich jeweils nur kurz in Deutschland aufgehalten habe, lasse darauf schließen, dass sie nur zu Besuchszwecken beim Kläger gewesen sei, zumal der Ehefrau des Klägers mit mehreren der genutzten Kurzaufenthaltsvisa ein längerer Aufenthalt als sechs Monate pro Jahr in Deutschland möglich gewesen wäre.

21

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 24.06.2016 am 28.06.2016 Klage erhoben.

22

Der Kläger trägt vor, seine Ehefrau habe spätestens seit dem 07.09.2011 einen Wohnsitz in Deutschland gehabt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reiche bei einem ausländischen Wohnsitz ein jährlicher Aufenthalt von drei Wochen - oder bei weiterer Entfernung sogar weniger - zur Aufrechterhaltung eines inländischen Wohnsitzes aus. Die Ehefrau habe sich in der Wohnung des Klägers eingerichtet, habe einen Schlüssel erhalten und jederzeit über die Wohnung verfügen können. Ihr stünden zusammen mit ihm, dem Kläger, zwei Zimmer und ein Bad zur Verfügung, im Dachbereich sei ein Zimmer für die Tochter eingerichtet. Dass und warum sich seine Ehefrau nicht für längere Zeit im Inland aufgehalten habe, sei für das Innehaben des Wohnsitzes unerheblich. Der Vater und die Schwester des Klägers und Bekannte von ihm könnten bestätigen, dass die Ehefrau ihren Wohnsitz bereits 2011 in der Y-Straße ... begründet habe.

23

Der Kläger trägt vor, dass die registermäßige Abmeldung seiner Ehefrau auf den 08.12.2011 erst im Frühjahr 2013 erfolgt sei. Anlass sei die Beantragung eines weiteren Schengen-Visums für den Sommer 2013 gewesen. Der Sachbearbeiter der Behörde habe gemeint, ein Schengen-Visum könne nicht gewährt werden, wenn die Ehefrau im Inland gemeldet sei.

24

Im Klageverfahren trägt der Kläger vor, das Verfahren zur Adoption der Tochter sei nicht zu Ende geführt worden, weil es Probleme mit der für das Verfahren zuständigen Behörde in Nairobi gegeben habe. Ihm sei jedoch von kenianischen und deutschen Behörden mitgeteilt worden, als Ehemann der Mutter habe er im Hinblick auf die Tochter die gleichen Rechte und Pflichten wie im Falle einer rechtswirksamen Adoption.

25

Der Kläger beantragt,
die Einkommensteuerbescheide 2012 und 2013 vom 02.07.2013 bzw. vom 26.06.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.06.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, in dem erneuten Veranlagungsverfahren den Kläger und seine Ehefrau gemeinsam zu veranlagen.

26

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

27

Aus den Umständen ergebe sich, dass die kurzfristigen Aufenthalte der Ehefrau lediglich zu Besuchszwecken erfolgten und ein Wohnsitz nicht begründet worden sei. Sie habe zusammen mit ihrer Tochter in Kenia gelebt und erstmals am 12.09.2013 ein Visum für einen längeren Aufenthalt in Deutschland beantragt und im Jahr 2014 erhalten.

28

Dem Gericht liegen außer den Schriftsätzen der Beteiligten nebst Anlagen folgende Steuerakten vor: Einkommensteuerakte (ohne Angabe einer Band-Nummer, Inhalt: Unterlagen für 2012 und 2013), Rechtsbehelfsakte "ESt 2012 ESt 2013".

29

Auf die Protokolle des Erörterungstermins am 11.01.2018 und des Verhandlungstermins am 12.04.2018 wird Bezug genommen.

30

Außerdem liegt dem Gericht das Ergebnis einer Einwohnermeldeamtsanfrage vor, nach der die Ehefrau des Klägers erstmalig ab 08.09.2011 und die Tochter zu keiner Zeit in Hamburg gemeldet war.

Entscheidungsgründe

31

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

32

Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide sind rechtmäßig, zu Recht hat der Beklagte die begehrte Zusammenveranlagung abgelehnt.

33

Die Zusammenveranlagung können Ehegatten wählen, wenn sie im Laufe des Veranlagungszeitraums beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i. S. des § 1 Abs. 1 oder 2 EStG sind und nicht dauernd getrennt leben, § 26, § 26 b Einkommensteuergesetz (EStG).

34

Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Einen Wohnsitz hat jemand gemäß § 8 Abgabenordnung (AO) dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

35

Das Haus des Klägers ist eine Wohnung im Sinne von § 8 AO, aber seine Ehefrau hatte dort in den Streitjahren keinen Wohnsitz.

36

Die Grundsätze, nach denen jemand einen Wohnsitz innehat, sind durch die Rechtsprechung im Wesentlichen geklärt (BFH-Urteil vom 13.07.2016 XI R 8/15, BFHE 254, 414, BStBl II 2016, 952, unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 20.11.2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564, und vom 25.09.2014 III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655). Die Umsetzung der Maßstäbe im konkreten Einzelfall ist Aufgabe des Tatrichters und entzieht sich einer generellen und abstrakten Bestimmung, die Aufgabe des Revisionsgerichts sein könnte (BFH-Beschluss vom 31.05.2006 I B 79/05, juris).

1.

37

Das Innehaben eines Wohnsitzes setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass die Wohnung dem Steuerpflichtigen jederzeit, wann immer er es wünscht, als Bleibe zur Verfügung steht. Außerdem muss sie in subjektiver Hinsicht von ihm zu einer entsprechenden Nutzung, d. h. für einen jederzeitigen Wohnaufenthalt bestimmt sein - darin liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Innehaben eines Wohnsitzes (BFH-Urteil vom 13.11.2013 I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046, m. w. N.). Erforderlich sind äußere, objektive Tatsachen, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten und benutzen wird (vgl. BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, m. w. N.).

38

Eine Person kann gleichzeitig mehrere Wohnsitze haben, die im Inland und/oder Ausland belegen sein können. Ein Wohnsitz muss nicht den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen bilden (BFH-Urteil vom 13.11.2013 I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046 m. w. N.) und er muss nicht regelmäßig oder über längere Zeit genutzt werden (BFH-Urteil vom 28.01.2004 I R 56/02, BFH/NV 2004, 917). Allerdings darf sich die Nutzung nicht auf bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken beschränken (BFH-Beschluss vom 30.06.2004 VIII B 132/04, BFH/NV 2004, 1639; Buciek in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 8 AO Rz. 27, m. w. N.). Dass eine Person sich jährlich für drei Wochen im Inland aufhält, reicht - anders als der Kläger meint - nicht per se aus, um einen inländischen Wohnsitz zu begründen oder aufrechtzuerhalten. Dies ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger zitierten Rechtsprechung.

39

Bei einem nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten kann grundsätzlich vermutet werden, dass er seinen Wohnsitz dort hat, wo sich seine Familie befindet (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 06.02.1985 I R 23/82, BStBl II 1985, 331). In der Regel kann davon ausgegangen werden, dass ein Ehepartner die Wohnung, in der seine Familie wohnt, auch benutzen und daher dort einen Wohnsitz haben wird (BFH-Urteil vom 17.05.1995 I R 8/94, BFHE 178, 294, BStBl II 1996, 2; vgl. auch BFH-Beschluss vom 30.11.2010 VI B 100/10, BFH/NV 2011, 574, m. w. N.).

2.

40

Bei Anwendung dieser Grundsätze kann nicht festgestellt werden, dass die Ehefrau des Klägers während der Streitjahre einen Wohnsitz in Deutschland begründet hatte. Ihr stand weder das Haus des Klägers jederzeit als Bleibe zur Verfügung (a) noch sprechen die objektiven Umstände dafür, dass sie es in subjektiver Hinsicht für einen jederzeitigen Wohnaufenthalt bestimmt hatte (b-d). Auf die melderechtliche Situation der Ehefrau kommt es dabei nicht an (vgl. BFH-Urteile vom 23.11.2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, und vom 23.11.1988 II R 139/87, BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182). Es ist daher nicht maßgeblich, dass die Ehefrau ab 08.09.2011 als im Haus des Klägers wohnend gemeldet war. Auch der Umstand, dass die Meldebehörde nach Angabe des Klägers die Eintragung offenbar erst im Frühjahr 2013 geändert hat, als Abmeldedatum (aber) der 08.12.2011 registriert ist, bleibt ohne Bedeutung für die Beantwortung der Frage, ob bzw. in welchem Zeitraum die Ehefrau im Inland tatsächlich einen Wohnsitz nach § 8 AO hatte.

41

a) Da die Ehefrau in den Streitjahren nur Visa für Kurzaufenthalte, nicht aber eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hatte, konnte sie bereits aus aufenthaltsrechtlichen Gründen nicht uneingeschränkt in dem Sinne über die Wohnung im Haus des Klägers verfügen, als sie diese jederzeit hätte nutzen können.

42

Zwar ist der aufenthaltsrechtliche Status grundsätzlich nicht maßgeblich und es können die Kriterien für einen Wohnsitz auch bei aufenthaltsrechtlich illegalem Aufenthalt erfüllt sein. Denn die Frage des Wohnsitzes ist allein danach zu entscheiden, ob die Person tatsächlich eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie sie beibehalten und nutzen will. Ob ausländerrechtliche Bestimmungen einem dauerhaften Verbleiben im Inland entgegenstehen, ist grundsätzlich unbeachtlich (vgl. Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 07.09.1990 IX K 96/88, EFG 1991, 102).

43

Im vorliegenden Fall ist jedoch entscheidend, dass die Ehefrau des Klägers in den Streitjahren - statt mit einer ihr grundsätzlich zugänglichen längerfristigen Aufenthaltserlaubnis - nur mit zeitlich beschränkten Visa für Kurzaufenthalte nach Deutschland gekommen ist. Ein solches Visum berechtigt nur zu einem Aufenthalt von maximal 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen. Die dadurch vorgegebene zeitliche Beschränkung hat die Ehefrau des Klägers eingehalten. Sie hat die erlaubte Aufenthaltsdauer jeweils nicht annähernd ausgeschöpft. Dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie sich jenseits der Erlaubnis der Kurzzeitvisa illegal im Inland hatte aufhalten wollen, sondern die Beschränkungen der Visa akzeptiert und sich ihnen unterworfen hat, bedeutet zugleich, dass sie nicht im Sinne von § 8 AO jederzeit über die Wohnung im Haus des Klägers verfügen konnte.

44

b) Auch die generelle Vermutung, ein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte habe seinen Wohnsitz dort, wo sich seine Familie befindet, streitet nicht für den Kläger. Denn die konkreten Umstände sprechen eher dafür, dass sich ein gemeinsamer Familienwohnsitz gegebenenfalls in B befand. Die Ehefrau hielt sich ganz überwiegend dort auf. Im Hinblick auf ihre Nicht-Erwerbstätigkeit in Kenia erklärte sie selbst, sie habe sich um die in Kenia lebende Tochter und um das in B mit dem Kläger errichtete Haus zu kümmern. Die Tochter hielt sich außerhalb der Unterrichtswochen, die sie in der boarding school in C, Kenia, verbrachte, ganz überwiegend ebenfalls am dortigen Wohnsitz ihrer Mutter auf und auch der Kläger war während seiner arbeitsfreien Urlaubszeiten ca. 10 Wochen im Jahr dort. Vor diesem Hintergrund kann in dem Hamburger Haus des Klägers nicht der Familienwohnsitz erkannt werden. Bei der Bestimmung des Familienwohnsitzes kommt es auf die aus dem Kläger, seiner Ehefrau und der minderjährigen Tochter bestehende Kernfamilie an, ohne dass der Aufenthalt des Vaters des Klägers von Bedeutung ist.

45

c) Ob kurzfristige Aufenthalte, die grundsätzlich keinen Wohnsitz begründen, für die Beibehaltung eines bereits bestehenden Wohnsitzes reichen können bzw. eine entsprechende Vermutung auslösen können (vgl. Heinicke in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 36. Aufl., § 1, Rdnr. 23, 24), kann dahinstehen, denn es liegt hier kein Beibehaltensfall vor. Auch für die Zeit vor den Streitjahren kann nicht festgestellt werden, dass die Ehefrau des Klägers einen inländischen Wohnsitz hatte. Die Situation in den Vorjahren war im Wesentlichen identisch. Unbeachtlich ist, dass der Beklagte für die Vorjahre dem Antrag des Klägers auf Zusammenveranlagung ungeprüft entsprochen hatte.

46

d) Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände sind die Aufenthalte der Ehefrau lediglich als Besuche bei ihrem Ehemann, dem Kläger, zu würdigen, den die Darlegungs- und Beweislast für den von ihm behaupteten Wohnsitz der Ehefrau in Hamburg trifft.

47

Diejenigen Umstände des Falls, die dafür sprechen könnten, dass es sich nicht nur um Besuche gehandelt hat, nämlich in erster Linie, dass es sich um die Ehefrau des Klägers handelt und sie sich in den Streitjahren wie auch in den Vorjahren und offenbar danach regelmäßig im Haus des Klägers aufgehalten und dort während der Abwesenheitszeiten persönliche Gegenstände belassen hatte, genügen ohne Weiteres noch nicht, um einen inländischen Wohnsitz zu begründen.

48

Ein Rechtsgrundsatz, dass eine Person neben dem Familien- oder Hauptwohnsitz einen weiteren Wohnsitz immer auch dort hat, wo ihr Ehegatte einen Wohnsitz hat, wenn sie sich dort hin und wieder aufhält, findet sich nicht. Auch in einer solchen Konstellation bedarf es objektiver Umstände, dass die Wohnung des Ehegatten der Person jederzeit als Bleibe zur Verfügung steht und dass sie sie für sich selbst zum jederzeitigen Wohnaufenthalt bestimmt hat.

49

Die Ehefrau des Klägers unterhält keine eigene Wohnung in Deutschland, sondern leitet ihre Verfügungsmöglichkeit über das Haus des Klägers von ihm ab. Insofern ist ihre Situation nicht vergleichbar mit den Fällen, in denen sich überwiegend im Ausland aufhaltende Steuerpflichtige eine eigene Wohnung im Inland haben und nutzen. Der Umstand, dass eine Person selbst eine eigene Wohnung im Inland bereithält, kann als Indiz dafür gewertet werden, dass diese Wohnung von ihr zur eigenen Nutzung bestimmt ist. Die Situation der Ehefrau des Klägers ähnelt insofern eher der von im Ausland lebenden Kindern, bei denen die bloße Wohnmöglichkeit bei Angehörigen - dort bei den Eltern, hier bei dem Ehemann - von geringerem Gewicht ist im Vergleich zu dem Halten einer eigenen Wohnung (vgl. BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294) - selbst wenn, was der Senat nicht verkennt, sich die Ehe im Hinblick auf die Frage des Innehabens einer Wohnung grundsätzlich als gewichtigerer Umstand darstellt als die Beziehung von heranwachsenden Kindern zu ihren Eltern.

50

Die weiteren objektiven Umstände sprechen vorliegend allerdings für nicht mehr als eine bloße Besuchssituation. Die Ehefrau hat ihren Lebensmittelpunkt auch nach der Heirat 2010 in ihrem Heimatstaat Kenia behalten. Die Ehefrau hielt sich ganz überwiegend dort auf. Die minderjährige Tochter lebte in Kenia. Der Kläger hat mit der Ehefrau während der Streitjahre in Kenia sogar ein Haus gebaut. Die Ehefrau war in Deutschland nur jeweils einmal im Jahr für wenige Wochen. In Anbetracht der Entfernung und dem damit verbundenen, nicht unerheblichen Reiseaufwand übersteigt die Länge des Aufenthalts von drei oder maximal vier Wochen pro Jahr noch nicht den begrifflichen Rahmen eines Besuchs. Dass der Aufenthalt der Ehefrau des Klägers ohne objektiv erkennbare Notwendigkeit auf wenige Wochen im Jahr beschränkt wurde, spricht zudem eher für den Besuchscharakter. Eine objektiv erkennbare Notwendigkeit hätte sich durch besondere Umstände, wie hier etwa einer Berufstätigkeit der Ehefrau in B, dem Erfordernis einer durchgängigen Betreuung der Tochter oder einem aufenthaltsrechtlichen Hindernis, ergeben können. Diese Umstände liegen aber gerade nicht vor. Die Ehefrau hatte ihre Berufstätigkeit aufgegeben, die Tochter lebte in der boarding school, im Zeitpunkt der Eheschließung verfügte die Ehefrau über ein aktuelles, für eine Aufenthaltserlaubnis notwendiges Sprachenzertifikat aus dem Jahr 2009. Die Ehefrau hatte vor und in den Streitjahren zunächst offenbar bewusst davon abgesehen, eine unbefristete "Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen" zu beantragen, sondern sich auf Visa für Kurzaufenthalte beschränkt. In der vom Kläger vorgelegten Verpflichtungserklärung gemäß Aufenthaltsgesetz hat der Kläger selbst den Zweck des Aufenthalts als bloßen "Besuch" angegeben. Auch wenn weder der aufenthaltsrechtliche Status noch die Erklärung des Klägers im Visumsverfahren konstitutiv für die Begründung oder Aufrechterhaltung eines (inländischen) Wohnsitzes ist, sind hier in dem entsprechenden Verhalten der Ehefrau und des Klägers objektive Umstände zu erkennen, die dagegen sprechen, dass die Ehefrau in den Streitjahren (und davor) nicht nur zu Besuchszwecken Aufenthalt im Haus des Klägers nehmen, sondern dort einen Wohnsitz im Sinne von § 8 AO begründen und beibehalten wollte. Der Kläger hat auch im hiesigen Verfahren keinerlei weiteren erheblichen Umstände vorgebracht, die dem Aufenthalt seiner Ehefrau einen Wohncharakter geben könnten, wie andere Zwecke als den Besuchszweck, entsprechende Aktivitäten, Integrationsanzeichen oder ähnliches. Dass die Ehefrau, wie vom Kläger vorgetragen, einen Schlüssel für das Haus hatte und dort Kleidungsstücke und ähnliche für ihren Aufenthalt benötigte Gegenstände belassen hatte, ist nicht maßgeblich.

51

Eine Aufenthaltserlaubnis für mehr als nur Besuchszwecke hat die Ehefrau erst nach ihrem Inlandsaufenthalt im zweiten der beiden Streitjahre 2013 beantragt und ist ihr erst im Folgejahr 2014 erteilt worden.

3.

52

Das Finanzgericht kann ohne weitere Ermittlungen entscheiden.

53

Ein Finanzgericht muss eine beantragte Beweiserhebung nicht vornehmen, wenn es die unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt (BFH-Urteil vom 24.04.2007 I R 64/06, BFH/NV 2007, 1893). Es kann als wahr unterstellt werden, dass sich die Ehefrau während ihrer Zeiten in Deutschland im Haus des Klägers aufhielt und dort auch während ihrer Abwesenheit persönliche Dinge wie Kleidung etc. aufbewahrt wurden. Mehr ergibt sich aus der schriftlichen Erklärung des Vaters des Klägers nicht. In diesem Sinne ist auch die vom Kläger unter Beweis der Zeugenaussage seines Vaters gestellte Behauptung zu verstehen. Soweit der Kläger vorträgt, neben seinem Vater könnten auch seine Schwester und Bekannte von ihm bestätigen, dass seine Ehefrau ihren Wohnsitz bei ihm gehabt habe, ist dies keine Tatsachen-, sondern eine der Zeugenvernehmung nicht zugängliche Rechtsbehauptung.

4.

54

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

55

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben. Die Entscheidung beruht darauf, dass die konkreten Tatsachen des Einzelfalls auf der Grundlage höchstrichterlich geklärter Rechtsgrundsätzen gewürdigt wurden.

Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Hamburg Urteil, 12. Apr. 2018 - 1 K 202/16

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Referenzen - Gesetze

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Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Einkommensteuergesetz - EStG | § 1 Steuerpflicht


(1) 1Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. 2Zum Inland im Sinne dieses Gesetzes gehört auch der der Bundesrepublik Deutschland zustehende Anteil 1. an d

Abgabenordnung - AO 1977 | § 8 Wohnsitz


Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 68 Haftung für Lebensunterhalt


(1) Wer sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, hat für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentlichen Mittel zu erstatten, die für den

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(2) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 bedarf der Schriftform. Sie ist nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vollstreckbar. Der Erstattungsanspruch steht der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat.

(3) Die Auslandsvertretung unterrichtet unverzüglich die Ausländerbehörde über eine Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1.

(4) Die Ausländerbehörde unterrichtet, wenn sie Kenntnis von der Aufwendung nach Absatz 1 zu erstattender öffentlicher Mittel erlangt, unverzüglich die öffentliche Stelle, der der Erstattungsanspruch zusteht, über die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 und erteilt ihr alle für die Geltendmachung und Durchsetzung des Erstattungsanspruchs erforderlichen Auskünfte. Der Empfänger darf die Daten nur zum Zweck der Erstattung der für den Ausländer aufgewendeten öffentlichen Mittel sowie der Versagung weiterer Leistungen verarbeiten.

(1)1Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.2Zum Inland im Sinne dieses Gesetzes gehört auch der der Bundesrepublik Deutschland zustehende Anteil

1.
an der ausschließlichen Wirtschaftszone, soweit dort
a)
die lebenden und nicht lebenden natürlichen Ressourcen der Gewässer über dem Meeresboden, des Meeresbodens und seines Untergrunds erforscht, ausgebeutet, erhalten oder bewirtschaftet werden,
b)
andere Tätigkeiten zur wirtschaftlichen Erforschung oder Ausbeutung der ausschließlichen Wirtschaftszone ausgeübt werden, wie beispielsweise die Energieerzeugung aus Wasser, Strömung und Wind oder
c)
künstliche Inseln errichtet oder genutzt werden und Anlagen und Bauwerke für die in den Buchstaben a und b genannten Zwecke errichtet oder genutzt werden, und
2.
am Festlandsockel, soweit dort
a)
dessen natürliche Ressourcen erforscht oder ausgebeutet werden; natürliche Ressourcen in diesem Sinne sind die mineralischen und sonstigen nicht lebenden Ressourcen des Meeresbodens und seines Untergrunds sowie die zu den sesshaften Arten gehörenden Lebewesen, die im nutzbaren Stadium entweder unbeweglich auf oder unter dem Meeresboden verbleiben oder sich nur in ständigem körperlichen Kontakt mit dem Meeresboden oder seinem Untergrund fortbewegen können; oder
b)
künstliche Inseln errichtet oder genutzt werden und Anlagen und Bauwerke für die in Buchstabe a genannten Zwecke errichtet oder genutzt werden.

(2)1Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind auch deutsche Staatsangehörige, die

1.
im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und
2.
zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen,
sowie zu ihrem Haushalt gehörende Angehörige, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder keine Einkünfte oder nur Einkünfte beziehen, die ausschließlich im Inland einkommensteuerpflichtig sind.2Dies gilt nur für natürliche Personen, die in dem Staat, in dem sie ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, lediglich in einem der beschränkten Einkommensteuerpflicht ähnlichen Umfang zu einer Steuer vom Einkommen herangezogen werden.

(3)1Auf Antrag werden auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben.2Dies gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 Prozent der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 nicht übersteigen; dieser Betrag ist zu kürzen, soweit es nach den Verhältnissen im Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen notwendig und angemessen ist.3Inländische Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nur der Höhe nach beschränkt besteuert werden dürfen, gelten hierbei als nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegend.4Unberücksichtigt bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach Satz 2 nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind.5Weitere Voraussetzung ist, dass die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird.6Der Steuerabzug nach § 50a ist ungeachtet der Sätze 1 bis 4 vorzunehmen.

(4) Natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 und des § 1a beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts München, Außensenate Augsburg, vom 26. Februar 2015  10 K 585/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter ihres im Februar 1995 geborenen Sohnes (S), für den sie Kindergeld bezog. S, der Mitglied der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" (K) ist, hatte seine Ausbildung zum Kinderpfleger im Juli 2013 abgeschlossen. Er wurde von K zum Missionar berufen.

2

K hat in Hessen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie ist gemäß der Trägererklärung vom 15. Februar 2012 verpflichtet, in ihrer Organisation Angebote für Freiwillige entsprechend den Anforderungen des Freiwilligendienstes aller Generationen nach  § 2 Abs. 1a des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) zu schaffen und als Träger eines solchen Dienstes aufzutreten.

3

S verpflichtete sich nach der von ihm, einer Vertreterin der K sowie einem Vertreter der vorgesehenen Einsatzstelle in .../USA (C) unterzeichneten, sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache verfassten "Vereinbarung zum Freiwilligendienst aller Generationen" (Vereinbarung) vom 31. August 2013 u.a., vom 4. September 2013 bis 4. September 2015 in einem Umfang von mindestens acht Wochenstunden Hilfstätigkeiten in der kirchlichen Arbeit auf Weisung der Einsatzstelle in C wahrzunehmen.

4

Seit dem 4. September 2013 befand sich S ununterbrochen in den USA zur Ableistung eines zweijährigen Missionarsdienstes.

5

Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 11. Dezember 2013 die Kindergeldfestsetzung für S nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab August 2013 auf, da sich S wegen des Freiwilligendienstes aller Generationen länger als ein Jahr in den USA aufhalte.

6

Den hiergegen gerichteten Einspruch der Klägerin wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2014 als unbegründet zurück. S verfüge während des Freiwilligendienstes in den USA nicht über einen Wohnsitz im Inland bzw. einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) oder einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Anwendung finde.

7

Die anschließende, auf die Festsetzung von Kindergeld für S für den Zeitraum von September 2013 bis September 2015 gerichtete Klage hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte Kindergeld für S für den Monat September 2013 fest und wies im Übrigen die Klage ab.

8

Es führte in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils aus, dass die Klage für die Monate März 2014 bis September 2015 unzulässig, für die Monate Oktober 2013 bis Februar 2014 unbegründet und nur für den Monat September 2013 begründet sei.

9

Hinsichtlich des beantragten Kindergelds für die Monate März 2014 bis September 2015 sei die gegen den angefochtenen Aufhebungsbescheid gerichtete Anfechtungsklage unzulässig, weil der Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Inhaltskontrolle gemacht werden könne, für den die Familienkasse den Kindergeldanspruch geregelt habe. Im Falle eines zulässigen, in der Sache aber unbegründeten Einspruchs gegen einen Aufhebungsbescheid sei der Familienkasse längstens eine Regelung bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung möglich. Im Streitfall sei die mit einfachem Brief bekannt gegebene Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2014 Anfang Februar 2014 wirksam geworden. Über den Kindergeldanspruch der Klägerin könne daher bis längstens Februar 2014 entschieden werden.

10

Für die Monate Oktober 2013 bis Februar 2014 sei die Klage unbegründet, obwohl der von S geleistete Missionarsdienst die Anforderungen i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG i.V.m. § 2 Abs. 1a SGB VII erfülle. Die Klägerin habe nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (a.F., ab 1. Januar 2016 § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG) keinen Anspruch auf Kindergeld, da S im betreffenden Zeitraum weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat gehabt habe, auf den das Abkommen über den EWR Anwendung finde, und ebenso wenig in den Haushalt eines nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen aufgenommen worden sei. S wäre, wie die Klägerin selbst eingeräumt habe, während seines zweijährigen Dienstes in C nur in die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) zurückgekehrt, falls ein Notfall dies erfordert hätte.

11

Die Klägerin habe dagegen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG Anspruch auf Kindergeld für S für den Monat September 2013, weil sich S in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen der Beendigung seiner Ausbildung im Juli 2013 und dem Beginn des Freiwilligendienstes am 4. September 2013 befunden habe und im September 2013 zumindest noch einen Tag im Inland gewesen sei.

12

Das FG-Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 993 veröffentlicht.

13

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

14

Sie bringt im Wesentlichen vor, es stehe nicht im Einklang mit den gesetzgeberischen Zielen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, wenn Kindergeld für ein Kind, das einen unter diese Regelung fallenden Dienst in einem Staat außerhalb der EU bzw. des EWR leiste, versagt werde, weil es nicht über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt i.S. von § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. verfüge.

15

Die in den Katalog des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG aufgenommenen Dienste hätten, wie das FG zur Begründung der Revisionszulassung schon ausgeführt habe, bereits in ihrem Wortlaut und in ihrer Zielsetzung die Möglichkeit der Ableistung des Dienstes weltweit angelegt. Auch der streitgegenständliche "Freiwilligendienst aller Generationen" werde durchweg im außereuropäischen Ausland geleistet, weil er des Öfteren Hilfe in Entwicklungsländern zum Inhalt habe. Da diese Dienste nach § 3 Abs. 4 (gemeint wohl § 2 Abs. 1 Nr. 2) des Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten (JFDG), § 3 Abs. 2 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes (BFDG) und § 2 Abs. 1a SGB VII für eine Zeitdauer von sechs Monaten bis zu zwei Jahren zu leisten seien und die Jugendlichen in der Regel währenddessen nicht in das Inland zurückkehrten, habe der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass die Jugendlichen ihren inländischen Wohnsitz aufzugeben hätten. Diese Intention des Gesetzgebers stehe im Gegensatz zu der gesetzlichen Anforderung zur Berücksichtigung von Kindern gemäß § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F., wonach auch die einen Freiwilligendienst leistenden Jugendlichen über einen inländischen Wohnsitz oder Aufenthalt verfügen müssten, wenn Kindergeld für sie beansprucht werde.

16

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Aufhebungsbescheid vom 11. Dezember 2013 und die Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2014 sowie die Vorentscheidung hinsichtlich der Monate Oktober 2013 bis Februar 2014 aufzuheben.

17

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

18

Sie hält die Vorentscheidung für zutreffend und bringt außerdem vor, die Anknüpfung des Kindergeldanspruchs an den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes sei als Ausprägung des Territorialitätsprinzips sachgerecht und verstoße nicht gegen das Grundgesetz (GG). Dem Gesetzgeber stehe bei der Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang er Kindergeld gewähre, ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Weder aus dem allgemeinen Gleichheitssatz noch aus anderen Verfassungsnormen ergebe sich eine Verpflichtung, im Ausland lebende Kinder generell bei der Gewährung von Kindergeld zu berücksichtigen.

19

Die Möglichkeit, einen Dienst i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG auch im außereuropäischen Ausland abzuleisten, beinhalte nicht zugleich eine gesetzgeberische Intention, das Territorialitätsprinzip für diese Fallgruppe außer Kraft zu setzen. Aus den Gesetzesmaterialien zum JFDG (BTDrucks 16/6519) sei nichts ersichtlich, was auf einen derartigen Willen des Gesetzgebers schließen lasse. Vielmehr orientiere sich die höchstzulässige Dauer des Auslandsdienstes an der Höchstfrist einer Auslandsentsendung nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern bzw. deren Folgevorschrift der Verordnung (EG) Nr. 884/2004 des Europäischen Parlaments und Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Daran zeige sich, dass der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der europäischen Grenzen und damit inzident unter Berücksichtigung des Territorialitätsprinzips habe handeln wollen.

20

Dafür spreche auch, dass --wie sich aus den Ausführungen in den Gesetzesmaterialien zum JFDG (BTDrucks 16/6519, S. 11) weiter ergebe-- nicht mit zusätzlichen Kosten gerechnet worden sei, da der entwicklungspolitische Freiwilligendienst nur Jugendliche im Alter von 18 bis 28 Jahren aufnehme und die Zielgruppe "Studierende" und "Auszubildende" auch ohne Freiwilligendienst bis zum 25. Lebensjahr kindergeldberechtigt wäre. Dies setze jedoch die einheitliche Anwendung des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. voraus.

Entscheidungsgründe

21

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

22

Das FG hat zu Recht entschieden, dass --was allein noch Gegenstand des Revisionsverfahrens ist-- die Klägerin keinen Anspruch auf Kindergeld für S für den Zeitraum von Oktober 2013 bis Februar 2014 hat.

23

1. Der Senat legt den Revisionsantrag der Klägerin wie im Tatbestand aus.

24

a) Das Revisionsvorbringen der Klägerin betrifft ausschließlich den Kindergeldanspruch für den Zeitraum von Oktober 2013 bis Februar 2014. Daraus ergibt sich eindeutig, dass sie sich insoweit durch das angefochtene Urteil beschwert fühlt (zur Auslegung von Prozesserklärungen, vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Mai 2013 XI R 32/11, BFHE 243, 419, BStBl II 2014, 411, Rz 24; vom 27. Januar 2016 X R 33/13, BFH/NV 2016, 1002, Rz 23; jeweils m.w.N.). Dafür spricht auch, dass die Klägerin, die im finanzgerichtlichen Verfahren noch die Festsetzung von Kindergeld für S für die Monate von September 2013 bis September 2015 begehrt hatte, sich im Revisionsverfahren auf die Aufhebung des hinsichtlich des Monats September 2013 durch das FG geänderten Aufhebungsbescheids und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung, mithin auf die Gewährung von Kindergeld für S für den Zeitraum von Oktober 2013 bis Februar 2014, beschränkt hat.

25

b) Ausgehend von diesem erkennbaren Rechtsschutzziel entspricht die so verstandene Prozesserklärung der Klägerin allein dem, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und --im Hinblick auf die Kostenfolge-- zudem in ihrem wohlverstandenen Interesse liegt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. Mai 2014 XI R 56/10, BFH/NV 2015, 169, Rz 26, m.w.N.). Denn die Familienkasse hat mit dem vorliegenden Aufhebungsbescheid und der anschließenden Einspruchsentscheidung keine Regelung über den Anspruch der Klägerin auf Kindergeld für S für den Zeitraum von März 2014 bis September 2015 getroffen.

26

2. Das FG hat den Kindergeldanspruch der Klägerin für den noch streitigen Zeitraum von Oktober 2013 bis Februar 2014 zu Recht verneint.

27

a) Für ein über 18 Jahre altes Kind, das --wie S in der Zeit von Oktober 2013 bis Februar 2014-- das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG Anspruch auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind einen Freiwilligendienst aller Generationen i.S. von § 2 Abs. 1a SGB VII leistet. Für Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den EWR Anwendung findet, und die auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG a.F. leben, wird nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. kein Kindergeld gewährt.

28

b) Eine kindergeldrechtliche Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG kann im Hinblick auf die Teilnahme an einem Freiwilligendienst aller Generationen nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen der in Bezug genommenen Norm des § 2 Abs. 1a SGB VII erfüllt sind (vgl. BFH-Urteil vom 24. Mai 2012 III R 68/11, BFHE 238, 394, BStBl II 2013, 864, Rz 10). Davon ist das FG ausgegangen.

29

c) S hatte jedoch --was seiner Berücksichtigung als Kind nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. entgegensteht-- im streitigen Zeitraum Oktober 2013 bis Februar 2014 weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den EWR Anwendung findet, und war ebenso wenig in den Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG a.F. aufgenommen.

30

aa) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzten wird (§ 8 der Abgabenordnung --AO--). Die Grundsätze, nach denen sich bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz in diesem Sinne im Inland hat, sind durch die Rechtsprechung im Wesentlichen geklärt (zu den Grundsätzen, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564, unter II.1.b, Rz 14 ff.; vom 25. September 2014 III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655, Rz 13 ff.; jeweils m.w.N.).

31

bb) Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 Satz 1 AO). Als gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich der AO ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen (§ 9 Satz 2 AO).

32

cc) Die Aufnahme in den Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG a.F. setzt eine kindergeldberechtigte Person, die nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, voraus. Dies ist eine Person mit deutscher Staatsangehörigkeit, die im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hat und zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis steht und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse bezieht.

33

dd) Das FG ist bei seiner Entscheidung von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen (FG-Urteil, S. 10 f.). Es hat nach Würdigung der maßgeblichen Umstände des Streitfalls für den Senat bindend i.S. von § 118 Abs. 2 FGO festgestellt (zur Bindungswirkung in diesem Sinne, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 21. Januar 2010 III R 17/07, BFH/NV 2010, 1423, Rz 19; vom 21. Oktober 2015 XI R 17/14, BFH/NV 2016, 190, Rz 23; jeweils m.w.N.), dass S in der Zeit von Oktober 2013 bis Februar 2014 weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den EWR Anwendung findet, hatte. Außerdem hat es für den Senat gleichfalls bindend i.S. von § 118 Abs. 2 FGO weiter festgestellt, dass S unstreitig keine Aufnahme in den Haushalt einer nach § 1 Abs. 2 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Person fand. Die Feststellungen des FG werden im Übrigen mit der Revision auch nicht angegriffen.

34

d) Danach ist ein Anspruch der Klägerin auf Kindergeld für S für die Monate von Oktober 2013 bis Februar 2014 nicht gegeben.

35

3. Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch.

36

a) Es trifft nicht zu, dass --wie die Klägerin im Anschluss an die Ausführungen des FG zur Zulassung der Revision im Kern geltend macht-- die bei einem Freiwilligendienst i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG von gewisser Dauer (über ein Jahr hinaus) durch § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. ausgelöste faktische Reduzierung auf einen EU- bzw. EWR-Staat der erkennbaren Intention des Gesetzgebers, Freiwilligendienste auch im außereuropäischen Ausland zu fördern, widerspricht (a.A. Anmerkung Bauhaus, EFG 2015, 993).

37

aa) Ein (eindeutiger) gesetzgeberischer Wille, Kinder, die einen mehrjährigen Freiwilligendienst i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG im außereuropäischen Ausland leisten, vom Anwendungsbereich des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. auszunehmen, ist --worauf die Familienkasse mit Bezug auf die Gesetzesmaterialien zum JFDG (BTDrucks 16/6519) exemplarisch hinweist-- nicht erkennbar.

38

bb) Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch die Kinder, die einen internationalen Freiwilligendienst i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG leisten, nur "bei Vorliegen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen im Rahmen des Familienleistungsausgleichs" --mithin unter den Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F.-- als Kinder berücksichtigen wollte (zur Einführung des Begünstigungstatbestands "Internationaler Jugendfreiwilligendienst" durch Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 7. Dezember 2011, BGBl I 2011, 2592, vgl. Bericht des Finanzausschusses vom 26. Oktober 2011, BTDrucks 17/7524, S. 11). Auch soweit nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG ein anderer Dienst im Ausland i.S. von § 14b des Zivildienstgesetzes, nunmehr i.S. von § 5 BFDG, begünstigt ist, sollte die Berücksichtigung der Kinder, die einen solchen Dienst im Ausland leisten, gleichfalls nur "im Rahmen des Familienleistungsausgleichs" erfolgen (zur Einführung des Begünstigungstatbestands "anderer Dienst im Ausland" durch Art. 1 Nr. 7 Buchst. a des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom 16. August 2001, BGBl I 2001, 2074, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 4. Juli 2001, BTDrucks 14/6582, S. 7).

39

b) Eine dahingehende Auslegung des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F., dass Kinder, die einen begünstigten Freiwilligendienst im außereuropäischen Ausland leisten, selbst dann zu berücksichtigen seien, wenn sie die auf Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Haushaltsaufnahme bezogenen Voraussetzungen nicht erfüllen, ist nicht geboten.

40

aa) Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass die Anknüpfung der Kindergeldberechtigung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. als weitere Ausprägung des Territorialitätsprinzips nicht sachwidrig ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, unter II.2., Rz 12 ff.; vom 26. Februar 2002 VIII R 85/98, BFH/NV 2002, 912, unter 2., Rz 11 ff.; jeweils m.w.N.), und bis in die jüngste Vergangenheit daran festgehalten, dass die in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. enthaltene Differenzierung nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351, Rz 18; BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 2011 III B 111/10, BFH/NV 2011, 1897, Rz 14; vom 14. August 2012 III B 58/12, BFH/NV 2012, 1977, Rz 14; vom 4. Juli 2013 III B 24/13, BFH/NV 2013, 1568, Rz 6; jeweils m.w.N.). Danach steht dem Gesetzgeber --wie die Familienkasse zutreffend vorbringt-- bei der Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang er Kindergeld für im Ausland lebende Kinder gewährt, grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Er ist --vorbehaltlich unionsrechtlicher und anderer völkerrechtlicher Regelungen-- nicht gehalten, im Ausland lebende Kinder generell bei der Gewährung von Kindergeld zu berücksichtigen. Das Existenzminimum dieser Kinder wird ggf. durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt, die keine unbeschränkte Steuerpflicht des Kindes voraussetzen (vgl. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 1351). Die Ausweitung der Begünstigungstatbestände bleibt insoweit von Bedeutung.

41

bb) Auch Kinder i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, die sich zum Zwecke einer mehrjährigen Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung im außereuropäischen Ausland aufhalten, finden gleichfalls nur unter den Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG a.F. Berücksichtigung. Kindergeld ist für diese Kinder, deren vorübergehender Aufenthalt außerhalb Deutschlands, eines EU- oder EWR-Staats mit dem der nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG zu berücksichtigenden Kinder vergleichbar ist, nur zu gewähren, wenn das betreffende Kind seinen Inlandswohnsitz i.S. von § 8 AO beibehält (zum mehrjährigen Bachelorstudium in China, vgl. BFH-Urteil vom 23. Juni 2015 III R 38/14, BFHE 250, 381, BStBl II 2016, 102). Für Kinder, die einen Freiwilligendienst i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG im außereuropäischen Ausland leisten, gilt nichts anderes.

42

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2, § 143 Abs. 1 FGO.

Tatbestand

1

I. Es ist streitig, ob dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für seine in den USA studierende Tochter (T) Kindergeld für den Zeitraum Januar 2009 bis August 2011 zusteht.

2

T absolvierte nach ihrem im Sommer 2008 abgelegten Abitur ab August 2008 ein einjähriges Au-Pair-Programm in den USA, welches einen Sprachkurs von zehn Stunden pro Woche umfasste. Während des Auslandsaufenthalts entschloss sich T zu einem Studium in New York. Seit September 2009 studiert sie dort. Der Abschluss ist für das Jahr 2014 geplant.

3

Während ihres Auslandsaufenthalts stand T ihr ehemaliges Kinderzimmer im väterlichen Wohnhaus in B zur Verfügung. Im Streitzeitraum hielt sie sich vom 18. Dezember 2009 bis zum 4. Januar 2010, vom 11. Februar 2011 bis zum 1. April 2011 und vom 1. August 2011 bis zum 4. September 2011 auf (außerhalb des Streitzeitraums: 20. Dezember 2011 bis 3. Januar 2012, 3. Februar 2012 bis 6. März 2012, 4. April 2012 bis 16. April 2012).

4

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2009 auf und führte zur Begründung an, T habe ab diesem Zeitpunkt keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland).

5

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage war erfolgreich. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, dass T ab 2009 weiterhin nach Gesamtwürdigung aller Umstände ihren Wohnsitz im Inland beibehalten habe. Der Umstand, dass T nicht die gesamte ausbildungsfreie Zeit in der inländischen Wohnung verbracht habe, sei nicht ausschlaggebend. Ursächlich hierfür sei nicht die Loslösung von der inländischen Wohnung, sondern fehlende finanzielle Mittel gewesen. Die Sichtweise der Familienkasse würde dazu führen, dass wohlhabende Eltern, die höhere Flugkosten tragen könnten, eher in den Genuss von Kindergeld kämen.

6

Mit der Revision macht die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung des § 8 der Abgabenordnung (AO) geltend. Der in § 63 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) genannte Wohnsitz der Kinder im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union richte sich nach § 8 AO. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Kind, das sich zeitweise im Ausland aufhalte, seinen inländischen Wohnsitz beibehalte oder aufgebe und möglicherweise später neu begründe, seien nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen. Dabei komme der Häufigkeit und Dauer der Inlandsaufenthalte eine erhebliche Bedeutung zu. Das FG Köln (Urteil vom 22. Juli 2007  15 K 3039/04, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2007, 1174) gehe davon aus, dass grundsätzlich die gesamte ausbildungsfreie Zeit im Inland verbracht werden müsse. Das FG München (Urteil vom 22. Dezember 2008  10 K 3104/07, juris) verlange, dass das Kind zumindest die weitaus überwiegende ausbildungsfreie Zeit im Inland verbringe. Indem das FG eine Beibehaltung des Inlandswohnsitzes des Kindes angenommen habe, obwohl es sich im Jahr 2009 lediglich an 14 Tagen und im Jahr 2010 nur an vier Tagen im Inland aufgehalten habe, habe es § 8 AO unzutreffend ausgelegt.

7

Die Familienkasse beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9

Eine fehlerhafte Auslegung des § 8 AO durch das FG liege nicht vor. Nach neuerer Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 28. April 2010 III R 52/09, BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013) sei eine starre Aufenthaltsgrenze im Inland von fünf Monaten nicht mehr erforderlich. Darüber hinaus entsprächen die von der Familienkasse geforderten Inlandsaufenthalte in den unterrichtsfreien Zeiträumen nicht der Lebenswirklichkeit.

Entscheidungsgründe

10

II. Die Revision ist begründet. Das FG-Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

11

Das FG hat einen inländischen Wohnsitz der T bejaht. Die Feststellungen des FG reichen indes nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob die Tochter des Klägers im Streitzeitraum ihren Wohnsitz im Inland (beibehalten) hatte.

12

1. Für Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, und die auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG leben, wird nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG kein Kindergeld gewährt. Das Existenzminimum dieser Kinder wird nur durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt, die keine unbeschränkte Steuerpflicht des Kindes voraussetzen (vgl. § 32 Abs. 1 und 6 EStG).

13

2. Die Grundsätze, nach denen sich bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz (§ 8 AO) im Inland hat, sind durch langjährige Rechtsprechung im Wesentlichen geklärt (z.B. Senatsurteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564; Senatsbeschluss vom 19. September 2013 III B 53/13, BFH/NV 2014, 38).

14

a) Nach § 8 AO, der auch im Rahmen der Prüfung des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG über § 1 Abs. 1 AO i.V.m. § 31 Satz 3 EStG Anwendung findet, hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Damit knüpft der Wohnsitzbegriff des § 8 AO ausschließlich an die tatsächliche Gestaltung und nicht an subjektive Vorstellungen an (BFH-Urteil vom 12. Januar 2001 VI R 64/98, BFH/NV 2001, 1231; Senatsbeschluss in BFH/NV 2014, 38, Rz 7 ff.).

15

Ein Wohnsitz nach § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumen das Innehaben der Wohnung in dem Sinn voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit --wenn auch in größeren Zeitabständen-- aufsucht (BFH-Urteil vom 23. November 2001 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, unter II.2.a). Der Wohnsitzbegriff setzt zwar weder voraus, dass die Wohnung im Inland den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet (BFH-Urteil vom 28. Januar 2004 I R 56/02, BFH/NV 2004, 917, unter II.3.a) noch einen Aufenthalt während einer Mindestzeit (BFH-Urteile vom 19. März 1997 I R 69/96, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447, unter II.3.; in BFH/NV 2001, 1231); erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht (BFH-Urteil vom 10. April 2013 I R 50/12, BFH/NV 2013, 1909, unter II.2.c aa, m.w.N.).

16

Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinn besteht nicht nur darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit zur Verfügung steht, sondern auch darin, dass diese von ihm subjektiv zu einem entsprechenden Aufenthalt mit Wohncharakter bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH-Urteile vom 26. Februar 1986 II R 200/82, BFH/NV 1987, 301, unter 1.a; in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, unter II.2.a; vom 13. November 2013 I R 38/13, BFH/NV 2014, 1046, unter II.2.b).

17

b) Bei Kindern, die zum Zwecke der Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung auswärtig untergebracht sind, reicht es für einen Inlandswohnsitz daher nicht aus, wenn die elterliche Wohnung dem Kind weiterhin zur Verfügung steht. Einen allgemeinen Grundsatz, dass die Aufnahme im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils grundsätzlich für die Dauer der Ausbildung fortbesteht, gibt es nicht (Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 8 AO, Rz 40; vgl. Senatsurteil vom 7. April 2011 III R 77/09, BFH/NV 2011, 1351, unter II.1.c).

18

aa) Es muss, um einen inländischen Wohnsitz in diesen Fällen  annehmen zu können, eine Beziehung zur elterlichen Wohnung vorhanden sein, die über die allein durch das Familienverhältnis begründete Beziehung hinausgeht und erkennen lässt, dass der Steuerpflichtige die elterliche Wohnung nach wie vor auch als seine eigene betrachtet (BFH-Urteil vom 17. März 1961 VI 185/60 U, BFHE 73, 82, BStBl III 1961, 298).

19

Die Beantwortung der Frage, ob ein Kind, das sich zeitweise außerhalb des elterlichen Haushalts im Ausland zu Ausbildungszwecken aufhält, seinen inländischen Wohnsitz bei den Eltern beibehält oder aber zunächst aufgibt und bei einer späteren Rückkehr wieder neu begründet, liegt weitgehend auf tatsächlichem Gebiet unter Berücksichtigung der objektiven Umstände des jeweiligen Falles. Generelle Regeln lassen sich nicht aufstellen. Die Umstände müssen aber nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass das Kind die Wohnung innehat, um sie als solche zu nutzen.

20

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat auf Grund zahlreicher Entscheidungen konkrete objektive Anhaltspunkte dargelegt, die Rückschlüsse auf die Beibehaltung oder die Aufgabe eines inländischen Wohnsitzes zulassen können. Neben der voraussichtlichen Dauer der auswärtigen Unterbringung, der Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, dem Zweck des Auslandsaufenthalts, den persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern einerseits und am Ausbildungsort andererseits (Senatsbeschluss vom 22. November 2011 III B 154/11, BFH/NV 2012, 375, unter II.), kommt der Dauer und Häufigkeit der Inlandsaufenthalte erhebliche Bedeutung zu (Senatsurteil in BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013, unter II.1.a; Senatsbeschlüsse vom 27. Dezember 2011 III B 14/10, BFH/NV 2012, 555, unter II.1.; vom 17. Mai 2013 III B 121/12, BFH/NV 2013, 1381, unter 1.b aa; BFH-Beschluss vom 12. Februar 2014 V B 39/13, BFH/NV 2014, 715, unter 2.). Danach reicht bei einem auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalt ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Urlaubszwecken, Besuchszwecken oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen, nicht aus, um "zwischenzeitliches Wohnen" und damit einen inländischen Wohnsitz anzunehmen (Senatsurteil in BFH/NV 2009, 564, unter II.1.b; Senatsbeschluss in BFH/NV 2014, 38, unter II.2.b).

21

bb) Kinder, die sich zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland begeben, behalten ihren Wohnsitz bei den Eltern daher nur dann bei, wenn sie diese in ausbildungsfreien Zeiten nutzen (Senatsurteil in BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013, unter II.1.a).

22

Da die ausbildungsfreien Zeiten von der Art bzw. der Gestaltung des Studiums (z.B. Trimester), von länderspezifisch unterschiedlich ausgestalteten Semesterferien und auch von Anwesenheitsobliegenheiten (Seminar-/Hausarbeiten in der unterrichtsfreien Zeit, Examens-/Prüfungsvorbereitungen) abhängen können, kann eine Mindestdauer der Inlandsaufenthalte nicht verlangt werden. Erforderlich ist jedoch im Regelfall, dass die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland verbracht werden und es sich um Inlandsaufenthalte handelt, die Rückschlüsse auf ein zwischenzeitliches Wohnen zulassen.

23

Bei der Ermittlung der Dauer der Inlandsaufenthalte bleiben solche Zeiten außer Betracht, in denen sich das Kind vor dem Beginn und nach dem Ende des Studiums im Inland aufhält (Senatsurteil in BFHE 229, 270, BStBl II 2010, 1013, unter II.1.b).

24

Regelmäßig nicht ausreichend sind bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten nur kurze, üblicherweise durch die Eltern-Kind-Beziehungen begründete Besuche. Dies ist bei lediglich kurzzeitigen Aufenthalten --zwei bis drei Wochen pro Jahr (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2012, 555, unter II.1.)-- nach der Lebenserfahrung der Fall.

25

cc) Keine ausschlaggebende Bedeutung für die Beibehaltung des Wohnsitzes haben regelmäßig die Staatsangehörigkeit des Kindes, die Feststellung der Rückkehrabsicht ins Inland (BFH-Urteil in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294, unter II.3.b), Aufenthalte der Eltern mit den Kindern außerhalb von Deutschland und melderechtliche Vorgaben.

26

Entgegen der Ansicht des FG können fehlende finanzielle Mittel für Heimreisen des Kindes nicht die fehlenden wesentlichen Inlandsaufenthalte in den ausbildungsfreien Zeiten kompensieren. Die gesetzliche Regelung (§ 8 AO) setzt neben dem Vorhandensein einer Wohnung, das "Innehaben" einer solchen voraus. Dabei sind die Voraussetzungen für das "Innehaben" einer Wohnung im steuerrechtlichen Sinn objektiviert (BFH-Urteil vom 23. November 1988 II R 139/87, BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182, unter 1.b). Entscheidend sind daher die tatsächlichen Verhältnisse ohne Rücksicht auf subjektive Momente oder Absichten. Die persönlichen oder finanziellen Beweggründe für die fehlenden Inlandsaufenthalte und damit für das fehlende "Innehaben" sind für die Frage des Wohnsitzes unerheblich (FG Köln, Urteil vom 22. Februar 2007  15 K 3039/04, EFG 2007, 1174).

27

3. Die Beurteilung, ob objektiv erkennbare Umstände auf eine Beibehaltung und Nutzung der Wohnung schließen lassen, obliegt im Wesentlichen dem FG; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist nur begrenzt überprüfbar (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).

28

a) Die vom FG im Streitfall vorgenommene Würdigung ist auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs zu beanstanden. Das FG-Urteil enthält keine tragfähige Tatsachengrundlage für die Annahme eines inländischen Wohnsitzes der T (zum Fehlen einer tragfähigen Tatsachengrundlage vgl. BFH-Urteil vom 26. Mai 2009 VII R 28/08, BFHE 225, 543; Senatsurteil vom 2. Dezember 2004 III R 49/03, BFHE 208, 531, BStBl II 2005, 483). Hierin liegt ein Rechtsfehler, den der erkennende Senat auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten hat (BFH-Urteil vom 12. Mai 2009 IX R 18/08, BFH/NV 2009, 1627, unter II.2.; Lange in HHSp, § 118 FGO, Rz 230, 100, m.w.N.).

29

aa) Das FG hat die Annahme eines inländischen Wohnsitzes der T im Wesentlichen aus den teilweise nur sehr kurzzeitigen Aufenthaltszeiten in ihrem ehemaligen Kinderzimmer, den zu Hause wohnenden jüngeren Geschwistern, der daraus abzuleitenden familiären Bindung an das elterliche Wohnhaus und aus den fehlenden finanziellen Mitteln für weitere Heimreisen abgeleitet. Diese tatsächlichen Umstände sind aber weder einzeln noch in ihrer Zusammenschau ausreichend, nachvollziehbar die Beibehaltung eines inländischen Wohnsitz der T anzunehmen.

30

bb) Das FG hat die jeweilige Dauer der ausbildungsfreien Zeiten der T nicht festgestellt. Es hat lediglich ausgeführt, es sei nicht ausschlaggebend, dass T nicht die gesamte ausbildungsfreie Zeit in der inländischen Wohnung verbracht habe. So bleibt unklar, ob T sich weit überwiegend während der ausbildungsfreien Zeiten im Inland, in den USA oder an anderen Orten aufgehalten hat. Die Feststellung des FG, dass T die inländische Wohnung im streitgegenständlichen Zeitraum mehrfach für mehrere Wochen genutzt hat, betrifft nur das Jahr 2011. Im Jahr 2009 hat T ihr Zimmer im väterlichen Haus zwei Wochen und im Jahr 2010 lediglich an vier Tagen genutzt.

31

b) Die Sache ist nicht spruchreif. Die Feststellungen des FG lassen weder eine Beurteilung darüber zu, ob T ihren Wohnsitz im väterlichen Haus im gesamten Streitzeitraum beibehalten oder zunächst beibehalten, dann aufgegeben und ggf. wieder neu begründet hat. Das FG hat die fehlenden tatsächlichen Feststellungen zum Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

32

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass T zunächst nur einen vorübergehenden einjährigen Aufenthalt in den USA als Au-Pair geplant hatte. Bei voraussichtlicher Rückkehr innerhalb eines Jahres liegt regelmäßig keine Aufgabe des Wohnsitzes vor (vgl. Buciek in Beermann/Gosch, AO, § 8 Rz 23, 43, 49 "Ausbildung"), so dass Inlandsaufenthalte für die Beibehaltung des Wohnsitzes nicht erforderlich sind. Wird die Absicht zur Rückkehr innerhalb eines Jahres aufgegeben, so kann in diesem Moment eine Aufgabe des Wohnsitzes erfolgen. Entscheidend ist insoweit, in welchem Zeitpunkt Umstände eintreten, die nunmehr Rückschlüsse auf einen längerfristigen Auslandsaufenthalt zulassen. Ab diesem Zeitpunkt kommt den Inlandsaufenthalten bei der Frage der Beibehaltung des Wohnsitzes im Elternhaus wieder erhebliche Bedeutung zu. Das FG hat hierzu --aus seiner Sicht konsequent-- keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die ebenfalls nachzuholen sind.

33

4. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung nicht verzichtet. Der Senat hält es für sachdienlich gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 90a Abs. 1 FGO durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.

34

5. Die Kostenentscheidung wird gemäß § 143 Abs. 2 FGO dem FG übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist schweizerischer Staatsbürger. Er hatte in den Streitjahren (2003 bis 2006) seinen Hauptwohnsitz (Familienwohnsitz) in der Schweiz und ist seit September 2004 verheiratet. Seit September 2002 ist er bei der Fluggesellschaft F als Copilot mit Einsatzflughafen M unbefristet angestellt. Aufgrund innerbetrieblicher Regelungen der F war der Kläger verpflichtet, in der Nähe des Flughafens M eine Unterkunft zu unterhalten, von der er seinen Flugdienst innerhalb eines Zeitraums von 60 Minuten nach einer entsprechenden Benachrichtigung antreten konnte. Um dieser Verpflichtung zu genügen, vereinbarte er mit anderen Piloten, eine Wohnung (sog. Standby-Wohnung) zur wechselseitigen Nutzung anzumieten.

2

Entsprechend dieser Vereinbarung schloss A, ebenfalls ein schweizerischer Staatsbürger mit Wohnsitz in der Schweiz, als Hauptmieter mit den Eheleuten K am 27. September 2002 einen Mietvertrag über eine in R, nahe M gelegene Wohnung, bestehend aus vier Zimmern, Flur, einer Küche, zwei Bädern, einem Keller, dazugehörigem Garten und einem Abstellplatz. Die zur Wohnung gehörenden Räume verteilten sich auf das Erdgeschoss sowie das Kellergeschoss. Im Erdgeschoss befanden sich eine Diele, ein Schlafzimmer, ein Bad sowie ein größerer Raum, der --ohne bauliche Abtrennung-- zum einen als Küche und zum anderen als Wohn- und Esszimmer genutzt werden konnte. Im Kellergeschoss waren zwei weitere Schlafzimmer, ein Bad und ein Flur.

3

Auf Antrag des Klägers wurde für die Streitjahre nur der sog. Inlandsanteil seiner Arbeitseinkünfte dem Lohnsteuerabzug für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer gemäß § 39d i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) unterworfen. Im Anschluss an eine steuerliche Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, dass der Kläger aufgrund der Nutzung der Standby-Wohnung nach § 8 der Abgabenordnung (AO) einen Wohnsitz im Inland begründet und deshalb als unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Person (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002) auch den sog. Auslandsanteil seiner Arbeitseinkünfte zu versteuern habe. Demgemäß erließ das FA für die Streitjahre Lohnsteuernachforderungsbescheide, die aufgrund vorliegend nicht mehr streitiger Einwände zuletzt mit Bescheiden vom 12. März 2009 geändert wurden.

4

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben (Hessisches FG, Urteil vom 13. November 2012  3 K 1062/09, Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 742). Der Kläger hat während des finanzgerichtlichen Verfahrens Wohnungsbelegungsübersichten sowie die von F für ihn sowie die acht anderen Nutzer der Standby-Wohnung erstellten und die Streitjahre betreffenden Dienstpläne vorgelegt. Das FG hat zur Art der Wohnungsnutzung A als Hauptmieter, den Vermieter K sowie den Wohnungsnachbarn N als Zeugen vernommen. Hieraus ergab sich nach Ansicht der Vorinstanz, dass der Kläger in den Streitjahren die Wohnung in R nicht innegehabt und damit auch keinen inländischen Wohnsitz begründet habe. Maßgeblich hierfür sei, dass der Kläger die Wohnung nur dann habe nutzen können, wenn sie nicht zuvor von drei anderen Kollegen "in Beschlag genommen" worden sei. Der Umstand, dass nach den dienstlichen Gegebenheiten nur ganz vereinzelt mehr als drei Personen gleichzeitig Bedarf für einen Aufenthalt in der Wohnung hatten, sei unbeachtlich. Abgesehen davon, dass der Kläger und A etwa zwei Mal pro Jahr auf eine andere Übernachtungsmöglichkeit hätten ausweichen müssen (Hotel; Mannschaftsraum der Flughafenbasis), habe der Kläger bei abstrakter Betrachtung nicht jederzeit über die Wohnung verfügen können. Vielmehr habe er immer damit rechnen müssen, sich anstelle der Standby-Wohnung ein anderes Übernachtungsquartier zu suchen. Bestätigung finde dies auch in der zwischen dem Kläger und den anderen Nutzern in Bezug auf die vorhandenen Wohnungsschlüssel getroffenen und auch praktizierten Abrede ("Regelung"), nach der nur drei Nutzer gleichzeitig auf die am Flughafen M im Postfach des A hinterlegten Wohnungsschlüssel hätten zugreifen können. Seien --so das FG-- die drei verfügbaren Schlüssel vergriffen gewesen, hätten die weiteren Interessenten mit einer anderen Übernachtungsmöglichkeit Vorlieb nehmen müssen. Gleiches habe für den Hauptmieter A gegolten. Auch die weiteren Umstände belegten diese Nutzungseinschränkungen. Die Wohnung sei nur mit dem Notwendigsten, z.T. auch nur kärglich ausgestattet gewesen (Beleuchtung durch "nackte" Glühlampen). Persönliche Gegenstände hätten sich in der Wohnung nicht befunden. Die Nutzungsart habe einen ständigen Wechsel der Bettwäsche erfordert. Diese Würdigung entspreche schließlich auch der Aussage des Vermieters K. Er habe die Ausgabe der vier Wohnungsschlüssel sowie die Ausstattung der Wohnung bestätigt und im Übrigen ausgeführt, dass im Mietvertrag die Zahl der Nutzer auf höchstens vier Personen festgelegt worden sei, in Absprache mit A habe aber "die Wohnung durch eine größere Zahl von Personen genutzt werden könne(n), solange nicht die Höchstzahl von vier Personen überschritten" worden sei.

5

Mit der Revision beantragt das FA sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist begründet. Das Urteil der Vorinstanz ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Senat ist zwar an die Würdigung der Vorinstanz gebunden, nach der der Kläger in den Streitjahren in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) keinen Wohnsitz (§ 8 AO) hatte. Das FG hat jedoch keine Feststellungen zum gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) des Klägers getroffen.

8

1. Zwischen den Beteiligten besteht Einvernehmen, dass der Kläger auch den sog. Auslandsanteil seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG 2002) als (Co-)Pilot zu versteuern hätte, wenn er in den Streitjahren entweder einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt hätte und deshalb nach § 1 Abs. 1 EStG 2002 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen wäre. Die Einkünfte würden dann als Teil des vom Kläger erzielten sog. Welteinkommens nach § 2 Abs. 1 EStG 2002 der Einkommensteuer unterliegen und dieser Besteuerungszugriff wäre auch nicht durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 21. Dezember 1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) --DBA Schweiz 1992-- ausgeschlossen. Vielmehr sieht Art. 15 Abs. 3 DBA Schweiz 1992 vor, dass Vergütungen für unselbständige Arbeit, die an Bord eines Luftfahrzeuges im internationalen Verkehr ausgeübt wird, in dem Vertragstaat besteuert werden können, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet; das Besteuerungsrecht wäre hiernach auch im Streitfall Deutschland zugewiesen.

9

2. Nach § 8 AO hat jemand (d.h. eine natürliche Person) einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen kann. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass ein Steuerpflichtiger gleichzeitig mehrere Wohnsitze haben kann und diese im Inland und/oder Ausland belegen sein können. Demgemäß ist es auch für das Vorliegen eines Wohnsitzes im Inland ohne Bedeutung, ob dieser den Mittelpunkt der Lebensinteressen der betreffenden Person bildet (Senatsurteil vom 28. Januar 2004 I R 56/02, BFH/NV 2004, 917, m.w.N.).

10

a) Kennzeichnend für eine Wohnung ist, dass es sich --im Sinne einer bescheidenen Bleibe-- um Räume handelt, die zum Bewohnen geeignet sind (Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 15). Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass die vom Kläger genutzte Wohnung in R diese Voraussetzung erfüllt hat. Der Senat sieht insofern von weiteren Erläuterungen ab.

11

b) Der Begriff des Wohnsitzes setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung ferner voraus, dass der Steuerpflichtige die Wohnung innehat. Danach muss die Wohnung in objektiver Hinsicht dem Steuerpflichtigen jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung stehen und zudem in subjektiver Hinsicht von ihm zu einer entsprechenden Nutzung, d.h. für einen jederzeitigen Wohnaufenthalt bestimmt sein. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (Urteile des Bundesfinanzhofs vom 26. Februar 1986 II R 200/82, BFH/NV 1987, 301; vom 22. April 1994 III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887; vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294; Senatsurteil vom 19. März 1997 I R 69/96, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447). Diese Anforderungen gelten --wie der Senat mit Urteil vom 10. April 2013 I R 50/12 (BFH/NV 2013, 1909) entschieden hat-- gleichermaßen auch für im Inland belegene sog. Standby-Wohnungen, die beispielsweise von Piloten zusammen mit anderen Berufsangehörigen für die Ausübung ihrer nichtselbständigen Tätigkeit genutzt werden.

12

aa) Hiervon ist auch das FG ausgegangen. Nach seinen Feststellungen hat der Kläger die Wohnung in R jedoch nicht innegehabt, weil nach der unter den Nutzern (Piloten) getroffenen Vereinbarung nur jeweils drei Piloten gleichzeitig in der Wohnung übernachten durften und diese Nutzungsbeschränkung durch die Vergabe der zentral deponierten Wohnungsschlüssel gesichert war. Der erkennende Senat ist an diese Würdigung gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Ihr liegt erkennbar zugrunde, dass, was auch vom FA nicht in Frage gestellt wird, aufgrund den Abreden mit dem Hauptmieter A mehr als drei --nämlich bis zu neun-- Piloten in den Streitjahren berechtigt waren, die Wohnung in R zu nutzen. Die Würdigung des FG entspricht zudem der Aussage des Vermieters K, nach der er mit A abgesprochen habe, dass gleichzeitig höchstens vier Piloten in der Wohnung übernachten durften.

13

bb) Soweit das FA hiergegen einwendet, dem Kläger habe als Untermieter ein nicht beschränktes Nutzungsrecht zugestanden, kann dies keine andere Einschätzung rechtfertigen. Abgesehen davon, dass dem vorinstanzlichen Urteil für eine solche mietvertragliche Vereinbarung keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen sind, hat die Vorinstanz --wiederum für den Senat bindend-- festgestellt, dass sich der Kläger im Verhältnis zu den anderen Piloten auf die vorgenannte Nutzungsbegrenzung verständigt hat und diese Abrede (Wohnnutzung/Übernachtung auf der Grundlage der zentral deponierten drei Schlüssel) auch --so die Vorinstanz-- tatsächlich praktiziert worden ist. Demgemäß fehlt es jedenfalls daran, dass der Kläger die Wohnung nicht dazu bestimmt hat, sie jederzeit (wann immer er es wünscht) für einen Wohnaufenthalt nutzen zu können.

14

cc) Nicht durchgreifen kann ferner der Einwand, es sei nach der Dienstplangestaltung von vornherein klar gewesen, dass nie mehr als maximal vier Personen zeitgleich anwesend sein konnten. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern die Piloten Einfluss auf die Gestaltung ihrer Dienstzeiten hatten und nach den Feststellungen der Vorinstanz auch der Kläger (etwa) zwei Mal im Jahr auf andere Übernachtungsmöglichkeiten ausweichen musste, kommt es insoweit nicht auf die tatsächliche Nutzung der Wohnung, sondern darauf an, ob der Kläger jederzeit auf die Wohnung zum Zwecke der Wohnnutzung zugreifen konnte und ob er das Objekt für eine solche (jederzeitige) Nutzung bestimmt hat. Letzteres ist jedoch --wovon der Senat bereits in seinem Urteil in BFH/NV 2013, 1909 ausgegangen ist-- ungeachtet dessen zu verneinen, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit der Kläger in den Zeiten seiner dienstlich veranlassten Anwesenheit in R mit einer Überbelegung der Wohnung rechnen musste.

15

dd) Anderes ergibt sich nicht daraus, dass es nach dem Senatsurteil in BFH/NV 2013, 1909 der Annahme eines Wohnsitzes des Wohnungsmieters nicht entgegensteht, wenn dem Vermieter die Wohnungsnutzung in wenigen und in jeder Hinsicht vernachlässigbaren Ausnahmefällen verbleibt. Mit diesem Bagatellvorbehalt ist der Streitfall nicht vergleichbar. Er ist nicht durch einen punktuellen und auch in zeitlicher Hinsicht vernachlässigbaren Nutzungsvorbehalt, sondern dadurch gekennzeichnet, dass allgemein das Zugriffsrecht des Klägers auf die Wohnung in R durch die Nutzungsrechte der anderen Mitbewohner entsprechend der Reihenfolge des Zugriffs auf die drei am Flughafen M deponierten Wohnungsschlüssel begrenzt war.

16

3. Die Sache ist allerdings nicht spruchreif. Da das FG keine Feststellungen über den dienstlichen Einsatz des Klägers und dessen Aufenthalt in Deutschland getroffen hat, kann der Senat auch nicht beurteilen, ob der Kläger in den Streitjahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte und aus diesem Grund unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war (§ 1 Abs. 1 EStG 2002 i.V.m. § 9 AO). Die hierfür erforderlichen Feststellungen wird die Vorinstanz im zweiten Rechtsgang nachzuholen und hierbei die Frage nach Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts sowohl unter dem Gesichtspunkt des zeitlich zusammenhängenden Aufenthalts von mehr als sechs Monaten (§ 9 Satz 2 AO; vgl. hierzu z.B. Senatsurteil vom 22. Juni 2011 I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001) als auch mit Rücksicht auf den Tatbestand des nicht nur vorübergehenden Verweilens im Inland (§ 9 Satz 1 AO; vgl. hierzu --einschließlich der Rechtsprechung zu den Fällen der täglichen oder regelmäßigen Rückkehr zum ausländischen Wohnort-- Buciek in Beermann/Gosch, AO § 9 Rz 16 ff.; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 9 AO Rz 7; Löffler/Stadler, Internationales Steuerrecht 2008, 832) zu überprüfen haben.

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Gründe

1

Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat in der Sache keinen Erfolg, denn sie ist unbegründet. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch ist eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Darüber hinaus liegt auch kein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor, auf dem die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) beruhen kann.

2

1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist und deren Beurteilung von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist (BFH-Beschluss vom 25. August 2006 VIII B 13/06, BFH/NV 2006, 2122). Da es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, Rechtsfragen abstrakt zu klären, muss die zu klärende Rechtsfrage dabei für die Entscheidung des Rechtsstreits rechtserheblich sein (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 30). Hat ein Finanzgericht sein Urteil kumulativ auf mehrere, jeweils tragende Gründe gestützt, so muss hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO geltend gemacht werden und auch vorliegen (BFH-Beschluss vom 10. Mai 2005 VIII B 121/04, BFH/NV 2005, 1776, m.w.N.). Dies trifft im Streitfall nicht zu.

3

Die Kläger halten nachfolgende Fragestellung für grundsätzlich bedeutsam und klärungsbedürftig:

"Kann bei einem ehemals unbeschränkt Steuerpflichtigen, der sich auf das zwischenzeitliche Fehlen eines inländischen Wohnsitzes schon vor Beginn des streitgegenständlichen Veranlagungszeitraums unter Hinweis auf Umstände, die das Fehlen eines inländischen Wohnsitzes jedenfalls denkbar erscheinen lassen beruft, das Vorhandensein eines inländischen Wohnsitzes im streitgegenständlichen Veranlagungszeitraum unterstellt werden?"

4

Die Fragestellung der Kläger zielt damit im Ergebnis darauf ab, dass eine tatsächliche Nutzung der Wohnung in der Person des Klägers bereits vor Beginn des streitgegenständlichen Veranlagungszeitraums nicht mehr vorlag und deshalb von einem Beibehalten der Wohnung in der Person des Klägers in den nachfolgenden Jahren nicht mehr ausgegangen werden kann. Dabei lassen die Kläger jedoch unberücksichtigt, dass das FG seine Entscheidung auch darauf gestützt hat, dass eine objektive jederzeitige Nutzungsmöglichkeit der Wohnung im Streitfall durch die Klägerin vermittelt wird, die den sog. Familienwohnsitz weiterhin genutzt hat. Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage ist daher für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht rechtserheblich.

5

2. Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Erforderlich ist eine Entscheidung des BFH nur dann, wenn die Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegt und wenn die Frage nach dem "ob" und ggf. "wie" der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig ist. Es gelten insoweit die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten strengen Darlegungsanforderungen. Daran fehlt es im Streitfall.

6

Soweit die Kläger die Frage aufwerfen, ob die Grundsätze der durch den Familienwohnsitz vermittelten tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit einer Wohnung auch für langjährige transkontinentale Fälle angewandt werden können, ist diese Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig. Sie ist nach Auffassung des erkennenden Senats offensichtlich so zu beantworten, wie es das FG getan hat. So ist nach Auffassung des erkennenden Senats der bisherigen Rechtsprechung des BFH nicht zu entnehmen, dass die Vermutung dafür, dass nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten ihren Wohnsitz (auch) dort haben, wo sich ihre Familie befindet, davon abhängig ist, welche Entfernung zwischen den Ehegatten besteht. Es ist insoweit auch darauf hinzuweisen, dass die vorhandene Rechtsprechung und Literatur in der Beurteilung dieser Rechtsfrage übereinstimmen (vgl. hierzu Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 31, m.w.N. aus der Rechtsprechung; Birk in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 8 AO Rz 36). Entsprechende gewichtige Einwendungen in der Literatur wurden jedenfalls von den Klägern nicht vorgetragen.

7

Nach den Feststellungen des FG ist die Vermutung, dass der Familienwohnsitz auch dann bestehen geblieben ist, als der Kläger nach Asien gezogen ist, im Urteilsfall nicht widerlegt worden. Soweit die Kläger von einer Widerlegung dieser Vermutung ausgehen, indem sie von einer "faktischen Residenzpflicht" des Klägers in Asien ausgehen, wenden sie sich im Ergebnis gegen die sachliche Richtigkeit des Urteils in Bezug auf die dort getroffene tatsächliche Würdigung. Derartige Einwände eröffnen die Revision allerdings regelmäßig nicht (BFH-Beschluss vom 12. Juli 2004 V B 236/03, BFH/NV 2004, 1660, m.w.N.). Die tatrichterliche Würdigung ist einer revisionsrechtlichen Überprüfung entzogen (§ 118 Abs. 2 FGO).

8

3. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidung sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung erkennbar zu machen. Für eine schlüssige Divergenzrüge ist überdies weiterhin auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (BFH-Beschluss vom 17. Januar 2006 VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799, unter 2.a und b der Gründe, m.w.N.).

9

Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Kläger nicht gerecht. Im Ergebnis beschränken sich die Ausführungen der Kläger auf die Behauptung, das FG habe sachlich unrichtig entschieden, indem es das Innehaben einer Wohnung allein mit der rechtlichen Verfügungsmacht als Miteigentümer begründet habe. Damit haben die Kläger jedoch keine Abweichung zu einer Divergenzentscheidung des BFH dargelegt. Das FG hat --entgegen den Ausführungen der Kläger-- nicht aus der bloßen Miteigentümerstellung an der Wohnung auf das Innehaben der Wohnung i.S. des § 8 der Abgabenordnung (AO) geschlossen. Es ist vielmehr in einer Würdigung der objektiv erkennbaren Umstände des Einzelfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die (widerlegbare) Vermutung, dass der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte seinen Wohnsitz dort hat, wo sich seine Familie befindet, von den Klägern nicht widerlegt worden ist. Diese tatrichterliche Würdigung ist einer revisionsrechtlichen Überprüfung entzogen. Einwände gegen die Anwendung materiellen Rechts führen grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision.

10

Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn das finanzgerichtliche Urteil einen Rechtsfehler von erheblichem Gewicht enthält, der geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung zu beschädigen. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Auslegung und Anwendung des revisiblen Rechts durch das FG objektiv willkürlich oder greifbar gesetzeswidrig ist (z.B. BFH-Beschluss vom 5. Juli 2005 VI B 150/04, BFH/NV 2005, 2025; vgl. auch Lange in HHSp, § 115 FGO Rz 200 ff.; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz 63 ff. und 75 ff.; jeweils m.w.N.). Dies ist im Streitfall jedoch nicht erkennbar. Das FG hat vielmehr zutreffend die Rechtsgrundsätze der von den Klägern in der Beschwerdeschrift angegebenen Entscheidungen des BFH zu § 8 AO auf den entschiedenen Streitfall übertragen.

11

4. Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind nur Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. Oktober 2006 X S 5/06 (PKH), BFH/NV 2007, 94; vom 9. Januar 2006 XI B 25/05, BFH/NV 2006, 1106; vgl. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 76 und 82; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Rz 108; jeweils m.w.N.). Das FG hat im Streitfall nicht gegen die Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.

12

a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 FGO die erforderlichen Beweise zu erheben. Dabei hat es den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zumutbaren, d.h. unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären. Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muss das FG grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will (vgl. auch BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2005 I B 249/04, BFH/NV 2006, 780). Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel unerreichbar ist oder wenn das Beweismittel unzulässig oder absolut untauglich ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsentscheidungen vom 13. November 2007 VI B 100/07, BFH/NV 2008, 219; vom 1. Februar 2007 VI B 124/06, BFH/NV 2007, 956; vom 16. November 2005 VI R 71/99, BFH/NV 2006, 753; jeweils m.w.N.).

13

Verstöße gegen das Verfahrensrecht führen allerdings nicht zur Zulassung der Revision, wenn der Beschwerdeführer das Rügerecht verloren hat (vgl. § 295 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO; zu den Anforderungen einer solchen Rüge BFH-Beschluss vom 9. Februar 2006 VIII B 52/05, BFH/NV 2006, 1155). Die Rüge, das FG habe einen Beweisantrag übergangen, gehört zu den verzichtbaren Verfahrensrügen. Das Rügerecht geht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge. Übergeht das FG einen Beweisantrag, so muss der Rügeberechtigte den Verfahrensmangel in der nächsten mündlichen Verhandlung rügen. Verhandelt er ohne Verfahrensrüge zur Sache, obwohl er den Mangel kannte oder kennen musste, so verliert er nach ständiger Rechtsprechung des BFH sein Rügerecht (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Rz 92, m.w.N.). So verhält es sich im Streitfall. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 24. Februar 2010 haben die sachkundig vertretenen Kläger fehlende Zeugenbeweise weder gerügt noch dargelegt, warum sie entschuldbar an einer entsprechenden Rüge gehindert waren. Eine schlüssige Rüge eines Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) ist daher vorliegend nicht erfolgt, da nicht dargelegt wurde, welche konkreten Ermittlungen sich dem FG hätten aufdrängen müssen und weshalb die Kläger, obwohl sie in der mündlichen Verhandlung fachkundig vertreten waren, nicht von sich aus entsprechende Beweisanträge gestellt haben.

14

b) Zu Unrecht rügen die Kläger weiterhin, das angefochtene Urteil sei eine Überraschungsentscheidung, weil es unter Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) ergangen sei. Das FG hätte auf weiterhin bestehende Zweifel an der Widerlegung der Vermutung, dass der Kläger seinen Wohnsitz dort habe, wo sich seine Familie befinde, hinweisen müssen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2005 I B 90/05, BFH/NV 2006, 601, m.w.N.). Die von den Klägern erhobene Gehörsrüge rechtfertigt danach die Zulassung der Revision nicht, da das FG mit Schriftsatz vom 20. April 2009 ausdrücklich auf die rechtliche Problematik des Familienwohnsitzes hingewiesen hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht des § 76 Abs. 2 FGO verlangen dagegen --entgegen dem Vorbringen der Kläger in der Beschwerdeschrift-- nicht, dass das Gericht die maßgebenden Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert oder sogar die einzelnen für die Entscheidung erheblichen (rechtlichen oder tatsächlichen) Gesichtspunkte im Voraus andeutet (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 601; vom 7. Februar 2007 X B 105/06, BFH/NV 2007, 962).

Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.