Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil, 16. Nov. 2015 - 9 Sa 832/15

ECLI:ECLI:DE:LAGD:2015:1116.9SA832.15.00
bei uns veröffentlicht am16.11.2015

Tenor

1.Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 15.06.2015, Az.: 4 Ca 137/15 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zu gelassen.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69

Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil, 16. Nov. 2015 - 9 Sa 832/15

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Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 286 Verzug des Schuldners


#BJNR001950896BJNE027902377 (1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Z
Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil, 16. Nov. 2015 - 9 Sa 832/15 zitiert 18 §§.

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(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

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(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

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Referenzen

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.

(2) Die Vorschriften des Dritten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 5. Januar 2010 - 3 Sa 253/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war bei der Beklagten, einem Unternehmen für Vertriebs- und Servicedienstleistungen, seit dem 2. November 1999 als „Leiter IT/TK Department“ beschäftigt. Er war zuständig für die Betreuung der Hard- und Software. In § 8 Abs. 9 des Arbeitsvertrags ist geregelt, dass eine „Geheimhaltungs- und Verpflichtungserklärung“ sowie „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen“ Bestandteile des Vertrags sind. In der „Geheimhaltungs- und Verpflichtungserklärung“ vom 27. Oktober 1999 sagte der Kläger Verschwiegenheit hinsichtlich aller dienstlichen Angelegenheiten zu. Nach Ziff. 6 der „Regeln für die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ vom 27. Oktober 1999 ist es den Mitarbeitern nicht erlaubt, persönliche Software von zu Hause mitzubringen und auf den Computern des Unternehmens zu nutzen. Ebensowenig dürfen Programme des Unternehmens mit nach Hause genommen und auf einem eigenen Computer benutzt werden. Auf die Notwendigkeit der Einhaltung der zur Computersicherheit geltenden Regelungen hatte der Kläger als Leiter der IT-Abteilung die Mitarbeiter unter Hinweis auf arbeitsrechtliche Konsequenzen bei einer Zuwiderhandlung mehrfach hingewiesen.

3

Im Jahr 2008 stellte die Beklagte fest, dass sich der Kläger seit Mai 2007 nicht mehr in ihrem Netzwerk angemeldet habe. Eine Anmeldung ist erforderlich, um auf dem firmeneigenen Laptop gespeicherte Daten auf dem zentralen Server des Netzwerks abzuspeichern und zu hinterlegen. Nur auf die dort in digitalisierter Form hinterlegten Arbeitsergebnisse ist ein direkter Zugriff der Beklagten möglich. Am 25. August 2008 sprach der Personalleiter der Beklagten den Kläger auf diesen Umstand an. Der Kläger bestätigte, dass er die Daten auf einer privaten Festplatte sichere und abspeichere. Daraufhin stellte die Beklagte ihn von seiner Arbeitsleistung frei.

4

Am 27. August 2008 untersuchte die Beklagte den firmeneigenen Laptop des Klägers und seine private Festplatte. Auf der Festplatte waren auch Dateien der Beklagten gespeichert. Auf dem Laptop befanden sich neben einer Vielzahl von Unternehmensdaten, Passwörtern und Zugriffsdaten für den Server der Beklagten, Angeboten an Kunden, Mitarbeiterbeurteilungen, Bewerbungsunterlagen und Kostenaufstellungen auch private Dateien, bestehend aus Videos, Bildern und MP-3-Dateien. Die gesamten Daten waren unverschlüsselt abgespeichert.

5

Die Beklagte sah darin einen massiven Verstoß des Klägers gegen seine Obhuts- und Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Nachdem sie den Betriebsrat angehört hatte, kündigte sie mit Schreiben vom 2. September 2008 das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich und fristgerecht zum 31. Dezember 2008.

6

Der Kläger hat hiergegen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, es bestehe kein Grund für die außerordentliche Kündigung. Auch seien die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten und der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Kündigung sei auch als ordentliche nicht sozial gerechtfertigt.

7

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 2. September 2008 weder fristlos noch mit Ablauf des 31. Dezember 2008 aufgelöst worden ist.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe ihr durch sein Verhalten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar gemacht. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden.

9

Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil nur über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung entschieden und der Klage insoweit stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt diese ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. September 2008 das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst hat. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Darauf, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt oder die Kündigung nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam ist, kommt es daher nicht an. Über die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 2008 war nicht zu entscheiden.

11

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

12

1. Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann sowohl in einer erheblichen Verletzung von vertraglichen Hauptleistungspflichten als auch in der von Nebenpflichten liegen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 19, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16). Als Vertragspflichtverletzung, die eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 20, aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann die erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - aaO; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220). Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - aaO).

13

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

14

a) Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN). Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 36, aaO; Schlachter NZA 2005, 433, 436). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient zugleich der Objektivierung der negativen Prognose (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109).

15

b) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 56, aaO; vgl. auch BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

16

3. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219).

17

II. Bei Anwendung dieser Grundsätze hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

18

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe die Pflichtverletzung des Klägers, unter Verstoß gegen die „Regeln für die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ private Dateien auf dem Firmenlaptop gespeichert zu haben, zunächst abmahnen müssen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt nicht so schwer, dass es ohne Weiteres eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnte.

19

a) In der Speicherung privater Dateien auf dem Firmen-Laptop liegt keine Pflichtverletzung des Klägers, bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen wäre. Zwar ist auf den Computern der Beklagten laut Ziff. 6 Abs. 1 Satz 3 der „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ die Verwendung privater Software untersagt. Das Landesarbeitsgericht hat aber zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger die privaten Dateien nach seinem unwidersprochenen Vorbringen nicht aus dem Internet heruntergeladen, sondern von eigenen Datenträgern überspielt hat. Die Beklagte hat weder behauptet, dass es sich dabei um strafrechtlich relevantes oder sonst anrüchiges Material gehandelt habe, noch lässt sich ihrem Vorbringen entnehmen, dass konkrete Beeinträchtigungen der Funktionen des Laptops oder des Netzwerks eingetreten wären. Dass der Kläger die auf dem Laptop installierte private Software während der Arbeitszeit zu privaten Zwecken genutzt habe, hat die Beklagte ebenso wenig geltend gemacht.

20

Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Stellung des Klägers als Leiter der IT-Abteilung und Vorgesetzter rechtfertige keine andere Beurteilung, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar zeigen die Hinweise des Klägers an die Mitarbeiter, dass er sich der Gefahren eines Regelverstoßes für die Sicherheit und Funktion der IT-Systeme bewusst war. Wenn er selbst die Regeln nicht eingehalten hat, stellt dies aber kein Verhalten dar, dessen auch nur erstmalige Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen war.

21

2. Eine Abmahnung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger Unternehmensdaten auf dem Laptop nur durch ein einfaches Passwort gesichert hatte. Ob der Kläger insoweit überhaupt pflichtwidrig gehandelt hat, bedarf keiner Klärung. Die Beklagte hat nicht behauptet, es habe eine ausdrückliche Anordnung gegeben, weitergehende Sicherungen vorzunehmen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung hätte zukünftig ein vertragsgerechtes Verhalten des Klägers erwarten lassen, ist unter diesen Umständen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit die Beklagte geltend gemacht hat, es sei gerade Aufgabe des Klägers gewesen, für weitergehende Sicherungsmaßnahmen zu sorgen. Damit rügt sie eine Schlechtleistung des Klägers, welche ihrerseits einer Abmahnung bedurft hätte.

22

3. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, auch die Speicherung unternehmensbezogener Dateien auf einer privaten Festplatte und ohne Sicherung gegen unbefugten Zugriff wiege im Streitfall nicht so schwer, dass sie die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könne.

23

a) Allerdings kann durch eine unerlaubte Speicherung unternehmensbezogener Daten auf einer privaten Festplatte die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt sein. Sollten personenbezogene Daten iSv. § 3 Abs. 1 BDSG betroffen gewesen sein, kommt zudem ein Verstoß gegen § 5 Satz 1 BDSG in Betracht. Die Beklagte beruft sich außerdem darauf, der Kläger habe seine Vertragspflichten dadurch verletzt, dass er die Daten nicht auch auf dem Netzwerkserver hinterlegt habe.

24

aa) Eine Verletzung von Urheberrechten ist mit dem Verhalten des Klägers nicht verbunden. Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die die Annahme rechtfertigten, bei den vom Kläger auf seine private Festplatte kopierten Dateien habe es sich um urheberrechtlich geschützte Werke gehandelt. Es kann daher dahinstehen, ob die Herstellung von Sicherungskopien bereits eine unerlaubte Vervielfältigung darstellt (vgl. dazu § 15 Abs. 1 Nr. 1, §§ 16, 69c, 69d UrhG). Zwar sind Computerprogramme nach Maßgabe der §§ 69a ff. UrhG urheberrechtlich geschützt. Daten oder in Dateien gespeicherte Datenbestände sind für sich genommen aber keine Computerprogramme in diesem Sinne, da sie keine Befehls- oder Steuerungsanweisungen an den Computer enthalten (vgl. Fromm/Nordemann/Czychowski Urheberrecht 10. Aufl. § 69a UrhG Rn. 12; Dreier/Schulze/Dreier UrhG 3. Aufl. § 69a Rn. 12; Wandtke/Bullinger/Grützmacher UrhR 3. Aufl. § 69a UrhG Rn. 17 ). Ein Computerprogramm ist eine Folge von Befehlen, die nach Aufnahme in einen maschinellen Träger fähig sind zu bewirken, dass eine Maschine mit informationsverarbeitenden Fähigkeiten eine bestimmte Funktion oder Aufgabe oder ein bestimmtes Ergebnis anzeigt, ausführt oder erzielt (vgl. BGH 9. Mai 1985 - I ZR 52/83 - zu II 2 a aa der Gründe, BGHZ 94, 276). Bloße Daten oder Datensammlungen sind regelmäßig auch keine urheberrechtlich geschützten Schriftwerke (Fromm/Nordemann/Nordemann Urheberrecht 10. Aufl. § 2 UrhG Rn. 76). Der Schutz als Schriftwerk iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG verlangt gemäß § 2 Abs. 2 UrhG, dass das Werk Ergebnis einer persönlichen geistigen Schöpfung ist. Selbst wenn eine Sammlung von Daten auf einer inhaltlichen Verarbeitung und Auswahl von Erkenntnissen beruht, findet diese möglicherweise schöpferische Tätigkeit keine gestalterische Darstellung in den Daten selbst (Nordemann aaO).

25

bb) Auch ein Verstoß gegen Ziff. 6 Abs. 2 der betrieblichen „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ liegt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht vor. Danach ist es untersagt, Programme des Unternehmens mit nach Hause zu nehmen und auf einem eigenen Computer zu nutzen. Die Regeln differenzieren ebenfalls zwischen Computerprogrammen und Dateien. Die Beklagte hat weder dargelegt, dass es sich bei den vom Kläger kopierten Dateien um Computerprogramme gehandelt, noch dass der Kläger andere „Programme des Unternehmens“ auf seinem eigenen Computer genutzt habe.

26

b) Es kann offenbleiben, ob der Kläger gegen § 241 Abs. 2 BGB, ggf. iVm. § 5 BDSG, tatsächlich verstoßen hat. Jedenfalls ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht mögliche Pflichtverletzungen des Klägers durch das Kopieren unternehmensbezogener Daten auf eine private Festplatte nicht als hinreichenden Kündigungsgrund angesehen hat. Dies gilt auch dann, wenn das tatsächliche Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 als wahr unterstellt wird.

27

aa) Der Umstand, dass der Kläger unternehmensbezogene Dateien auf seiner privaten Festplatte gespeichert hat, rechtfertigt nicht die Annahme, er habe die fraglichen Daten unterdrücken oder der Beklagten vorenthalten wollen. Diese selbst hat im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 vorgetragen, dass die Dateien überwiegend auch auf dem firmeneigenen Laptop gespeichert waren. Soweit sie geltend gemacht hat, Dateien im Zusammenhang mit zwei ausländischen Standorten seien ausschließlich auf der privaten Festplatte des Klägers gespeichert gewesen, stützt sie den Vorwurf des Unterdrückens bzw. Vorenthaltens der Daten lediglich darauf, dass der Kläger diese Arbeitsergebnisse nicht zusätzlich auf ihrem Netzwerkserver hinterlegt habe. Die Schlussfolgerung der Beklagten wird durch die behaupteten Indiztatsachen nicht getragen. Sie ist auch dann nicht berechtigt, wenn die Behauptung, der Kläger sei seit Mai 2007 nicht mehr im betrieblichen Netzwerk eingeloggt gewesen, und das weitere Vorbringen im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 mitbedacht werden. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb im Ergebnis zu Recht keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gesehen.

28

(1) Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass und welche konkreten Weisungen sie zur Hinterlegung von Arbeitsergebnissen im Firmennetz erteilt habe. Sie hat zwar vorgebracht, zur Datensicherung müssten Änderungen an Dateien auf ihrem Netzwerkserver abgespeichert werden. Nur so sei gewährleistet, dass Daten nicht verloren gingen oder in die Hände Unbefugter gelangten. Dass es entsprechende ausdrückliche Anordnungen gegeben habe, hat sie aber nicht behauptet. Soweit sie darauf verweist, der Kläger selbst habe Regeln für die Benutzung eines Firmenlaptops formuliert, handelte es sich bei diesen nach ihrem eigenen Vorbringen nur um einen nicht weiter verfolgten Regelungsentwurf.

29

(2) Soweit die Beklagte vorgebracht hat, der Kläger sei auch ohne ausdrückliche Anordnung verpflichtet gewesen, ihr einen digitalen Zugriff auf seine Arbeitsergebnisse zu ermöglichen, hat sie nicht dargelegt, inwiefern dem Kläger dies in Bezug auf die nicht hinterlegten Daten hätte bewusst sein müssen. Im Übrigen ist es nach ihrem eigenen Vorbringen durch die Unterlassungen des Klägers nicht zu Beeinträchtigungen ihrer Tätigkeit gekommen.

30

bb) Die mögliche Unzulänglichkeit der Sicherung der auf der privaten Festplatte des Klägers gespeicherten Daten rechtfertigt eine Kündigung ebensowenig. Ein damit verbundener Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, ggf. iVm. § 5 BDSG, wiegt nicht so schwer, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar hat der Kläger die Sicherheit der Daten durch das Kopieren auf seine private Festplatte möglicherweise gefährdet. Dass er aber geradezu leichtfertig mit den gespeicherten Daten umgegangen wäre, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass Dritte tatsächlich Zugriff auf sie hätten nehmen können.

31

4. War hinsichtlich der Einzelvorwürfe eine Abmahnung nicht entbehrlich, sind diese auch in ihrer Gesamtheit nicht geeignet, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

32

III. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

        

        

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. Januar 2010 - 9 Sa 1913/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten seit September 2001 als Verwaltungsfachangestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung und des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 15. Oktober 1991 (MDK-T) Anwendung. Die Beklagte rechnete der Klägerin nach § 14 MDK-T eine Vorbeschäftigungszeit seit Januar 1991 an. Die Klägerin war deshalb gem. § 34 Abs. 1 MDK-T nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

3

Bei der Beklagten besteht eine Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit. Die Mitarbeiter, die an der Gleitzeit teilnehmen, können danach in der Zeit von 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen. Nach Nr. VII der Dienstvereinbarung sind von jedem Mitarbeiter Beginn und Ende der Anwesenheitszeit minutengenau zu dokumentieren. Dies geschieht durch Eingabe in ein elektronisches Zeiterfassungssystem mit Hilfe des PCs am Arbeitsplatz. Nach § 12 Abs. 9 MDK-T beginnt und endet die Arbeitszeit „an der Arbeitsstelle“. Unter Nr. IX der Dienstvereinbarung heißt es zu „Unregelmäßigkeiten und Missbrauch“:

        

„Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die in dieser Dienstvereinbarung und den Verwaltungsanordnungen enthaltenen Grundsätze und Bestimmungen nicht einhalten, können mit Zustimmung der Personalvertretung von der GLAZ ausgeschlossen werden.

        

Jedes bewusste Unterlassen der Zeiterfassung oder jede sonstige Manipulation des Zeiterfassungsverfahrens stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die mit dieser Vereinbarung getroffenen Regelungen dar. Der Missbrauch hat grundsätzlich disziplinarische bzw. arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Folge.“

4

Mit Schreiben vom 17. Juni 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen „Arbeitszeitbetrugs“ im Zeitraum vom 26. Mai bis 2. Juni 2008, zumindest wegen eines entsprechenden Verdachts außerordentlich.

5

Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, die Arbeitszeit beginne jeweils bereits dann, wenn sie die Parkplatzeinfahrt durchfahren habe. Sie hat behauptet, es habe keine Anweisung bestanden, dass maßgeblich die Uhr im Eingangsbereich sei. Sie habe häufig viel Zeit mit der Suche nach einem Parkplatz verbracht, für 50 Mitarbeiter hätten nur 27 Parkplätze zur Verfügung gestanden.

6

Die Klägerin hat - soweit noch von Interesse - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 nicht beendet wird;

        

2.    

im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verwaltungsangestellte weiterzubeschäftigen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat in den Rechtsstreit weitere fehlerhafte Arbeitszeitabrechnungen der Klägerin für den 3. und 4. Juni 2008 eingeführt. Sie hat behauptet, die Klägerin habe an der gleitenden Arbeitszeit teilgenommen und an insgesamt sieben Arbeitstagen jeweils mindestens 13 Minuten, an einigen Tagen sogar mehr als 20 Minuten als Arbeitszeiten dokumentiert, obwohl sie noch nicht im Betrieb gewesen sei oder den Betrieb bereits verlassen hätte.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.

10

I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17. Juni 2008 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst.

11

1. Ein wichtiger Grund iSv. § 34 Abs. 1 MDK-T, § 626 Abs. 1 BGB liegt vor.

12

a) Das Arbeitsverhältnis eines nach § 34 Abs. 1 MDK-T ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Der Begriff des wichtigen Grundes iSv. § 34 Abs. 1 MDK-T ist inhaltsgleich mit dem des § 626 Abs. 1 BGB(BAG 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 16, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16). Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, NZA 2010, 1227; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist. Bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer ist dabei auf die „fiktive“ Kündigungsfrist abzustellen (BAG 18. September 2008 - 2 AZR 827/06 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 24).

13

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, das Verhalten der Klägerin rechtfertige an sich eine außerordentliche Kündigung.

14

aa) Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264). Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare (vgl. BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - aaO). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53). Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar (BAG 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - aaO). Nicht anders zu bewerten ist es, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die geleistete Arbeitszeit mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentieren, und er hierbei vorsätzlich falsche Angaben macht. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB).

15

bb) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, die Klägerin habe für den 26., 27., 28. und 29. Mai, sowie den 2., 3. und 4. Juni 2008 jeweils mindestens 13 Minuten, einmal 28 Minuten - insgesamt 135 Minuten - vorsätzlich fehlerhaft zu Lasten der Beklagten als Arbeitszeiten in der Zeiterfassung dokumentiert. Angesichts der nicht unerheblichen Abweichungen zwischen den angegebenen Arbeitszeiten und dem tatsächlichen Betreten des Dienstgebäudes könne es sich bei den Falschangaben nicht nur um fahrlässiges Handeln oder ein Versehen gehandelt haben. Die Klägerin habe im Zeitraum der Beobachtung täglich und damit systematisch fehlerhafte Angaben gemacht. Dabei sei zu ihren Gunsten berücksichtigt, dass die Uhr im Eingangsbereich im Einzelfall um einige Minuten falsch gegangen sein könnte. Ihr Vorbringen zu einer rechtlichen Information von dritter Seite über Beginn und Ende der zu dokumentierenden Anwesenheitszeit sei nicht geeignet, ihren Vorsatz in Frage zu stellen. So erklärten sich die Arbeitszeitdifferenzen von 15 bis zu 28 Minuten selbst dann nicht, wenn man mit der Klägerin das Durchfahren der Parkplatzeinfahrt zu Tagesbeginn und -ende als maßgeblich zugrunde lege.

16

cc) Gegen diese Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben. Sie sind damit für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Bewertung des Fehlverhaltens der Klägerin als vorsätzlich lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Sie liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Beweiswürdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann bezüglich der Feststellung innerer Tatsachen nur prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21, NZA 2011, 571; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 27 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17). Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Zwar war in der Dienstvereinbarung keine Definition enthalten, wann die zu dokumentierende Anwesenheitszeit beginnt bzw. endet, und auch der Begriff der „Arbeitsstelle“ in § 12 Abs. 9 MDK-T ist auslegungsfähig. Hierauf kam es nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts aber nicht an, da die Angaben der Klägerin selbst bei weitest möglichem Begriffsverständnis nicht zu erklären seien.

17

c) Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung sei im Streitfall entbehrlich gewesen, und seine weitere Interessenabwägung sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.

18

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, NZA 2010, 1227). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, NZA 2011, 571; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 29, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33 mwN, aaO).

19

bb) Eine Abmahnung war demnach im Streitfall entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht schon deswegen entbehrlich, weil das Fehlverhalten der Klägerin den Vertrauensbereich betrifft. Seine Entscheidung erweist sich im Ergebnis aber als richtig, da eine Hinnahme des Fehlverhaltens durch die Beklagte offensichtlich - auch für die Klägerin erkennbar - ausgeschlossen war.

20

Die Klägerin hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu Lasten der Beklagten an mehreren Tagen hintereinander systematisch und vorsätzlich um jeweils mindestens 13 Minuten - insgesamt 135 Minuten - falsche Arbeitszeiten angegeben und damit in beträchtlichem Umfang über die erbrachte Arbeitszeit zu täuschen versucht. Dieses auf Heimlichkeit angelegte, vorsätzliche und systematische Fehlverhalten wiegt besonders schwer. Soweit sich die Klägerin darauf berufen hat, andere Mitarbeiter hätten sie ohne Weiteres beobachten können, wenn sie noch in ihrem Pkw saß, um zu rauchen oder auf ihre Tochter zu warten, ändert dies nichts daran, dass ihre Falschangaben bei der Arbeitszeiterfassung nicht offen erfolgten. Aus den angegeben Arbeitszeiten als solchen ließ sich nicht ersehen, dass sie nicht korrekt waren. Die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage erscheint angesichts dessen auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht mehr wiederherstellbar. Eine Hinnahme des vorsätzlichen und systematischen Fehlverhaltens durch die Beklagte war - auch für die Klägerin erkennbar - aufgrund der Schwere ihrer Pflichtverletzung unabhängig von einer Wiederholungsgefahr ausgeschlossen.

21

cc) Auch im Übrigen hält die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

22

(1) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, NZA 2010, 1227; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39).

23

(2) Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung und des durch sie bewirkten Vertrauensverlusts war es der Beklagten nicht zumutbar, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf einer „fiktiven“ Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Die längste ordentliche Kündigungsfrist hätte nach § 33 MDK-T zwölf Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres betragen. Auch die langjährige unbeanstandete Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut 17 Jahren, ihr Alter sowie die von ihr angegebene Unterhaltspflicht für eine Person führen angesichts des mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruchs nicht zu einer Interessenabwägung zu ihren Gunsten. Die Klägerin hat nicht nur einmal in etwa nur geringem Umfang, sondern an sieben Arbeitstagen hintereinander systematisch und vorsätzlich ihre Arbeitszeit im Umfang von jeweils 13 bis 28 Minuten zu Lasten der Beklagten falsch angegeben. Die Störung des Vertrauensverhältnisses durch ihren Täuschungsversuch wiegt besonders schwer, und zwar unabhängig davon, ob eine Wiederholungsgefahr dadurch ausgeschlossen werden könnte, dass die Klägerin aus der Gleitzeit herausgenommen würde. Das Verschulden der Klägerin ist so erheblich, dass es der Beklagten nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist fortzusetzen. Aus Nr. IX der Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit lässt sich nicht etwa die Abrede entnehmen, ein Missbrauch könne allenfalls zu einer Herausnahme des Arbeitnehmers aus der gleitenden Arbeitszeit führen. Dort ist vielmehr für diesen Fall ausdrücklich auf die Möglichkeit arbeitsrechtlicher Schritte hingewiesen.

24

2. Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt und den Personalrat ordnungsgemäß angehört. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

25

II. Der Weiterbeschäftigungsantrag für die Dauer des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Der Rechtsstreit ist abgeschlossen.

26

III. Als unterlegene Partei hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Roeckl    

                 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 12. Februar 2009 - 17 Sa 1567/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristgemäßen Kündigung.

2

Der Kläger ist 1981 geboren, verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er war nach Abschluss seiner im September 1998 begonnenen Ausbildung seit dem 21. Juli 2001 als Straßenbauarbeiter bei der beklagten Stadt beschäftigt. Aufgrund vertraglicher Verweisung findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD-AT und TVöD-BT-V) Anwendung.

3

Vom 1. bis zum 25. Februar 2008 befand sich der Kläger wegen des Vorwurfs der Zuhälterei und des Menschenhandels in Untersuchungshaft. Nach Erhebung der Anklage wegen Zuhälterei, vorsätzlicher Körperverletzung, erpresserischen Menschenraubs, Erpressung, schweren Menschenhandels und sexueller Nötigung hörte die beklagte Stadt den Kläger am 8. April 2008 zu diesen Vorwürfen an. Er bestritt deren Berechtigung. Mit rechtskräftigem Urteil vom 21. April 2008 verurteilte das Landgericht den Kläger wegen gemeinschaftlicher Zuhälterei und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung. Diese Verurteilung basierte ua. auf der Feststellung, dass der Kläger „mit seinem Gehalt, das er bei der [Beklagten] erzielte, nicht zufrieden (war) und einen zusätzlichen Verdienst (benötigte), um seine Familie zu ernähren“, und deshalb zusammen mit einem weiteren Täter den Entschluss gefasst hatte, „im Wege der Zuhälterei Geld zu verdienen“. Dazu hatten die Täter im März 2007 eine 18 Jahre alte tschechische Staatsbürgerin mit deren Einverständnis in Chemnitz abgeholt und nach B gebracht. Die junge Frau ging sodann in Essen und Dortmund der Prostitution nach. Im Januar 2008 beschloss der Kläger, sie nach Tschechien zurückzubringen. Als sie sich weigerte, schlug er sie mit einem Gürtel gegen ihre Unterschenkel.

4

Im April 2008 waren an mehreren Tagen Presseberichte über den Prozess und die Verurteilung des Klägers erschienen, in denen auch über das Tatmotiv des Klägers berichtet worden war.

5

Mit Schreiben vom 24. April 2008 hörte die beklagte Stadt den bei ihr gebildeten Personalrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Der Personalrat erhob keine Bedenken. Mit Schreiben vom 2. Mai 2008 kündigte die beklagte Stadt das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. September 2008.

6

Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, er habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Sein außerdienstliches Fehlverhalten habe keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Als Straßenbauer habe er keine dienstlichen Kontakte zu den Bürgern der Stadt.

7

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 2. Mai 2008 nicht aufgelöst worden ist.

8

Die beklagte Stadt hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der frühere § 8 Abs. 1 Satz 1 BAT habe einen allgemeinen Grundsatz des öffentlichen Dienstes verdeutlicht, der weiterhin gelte. Begingen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes Straftaten von einem gewissen Gewicht oder Taten, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdeten, liege darin eine grobe Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten. Durch die intensive und umfangreiche Prozessberichterstattung über die Taten des Klägers und seine Motive sei ihr Ruf erheblich geschädigt worden. Der Kläger habe seine Straftaten unmittelbar mit seinem Arbeitsverhältnis verknüpft, indem er die nach seiner Meinung zu niedrigere Vergütung als Motiv öffentlich gemacht habe.

9

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG.

11

I. Sie ist durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt.

12

1. Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine Vertragspflichten erheblich verletzt hat, das Arbeitsverhältnis dadurch auch künftig konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen, eine weitere Störung zuverlässig ausschließenden Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint(Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77; 31. Mai 2007 - 2 AZR 200/06 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 57 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 71). Der Arbeitnehmer muss dazu keine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt haben. Auch die erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sozial rechtfertigen (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 12, aaO; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16).

13

2. Der Kläger hat seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten erheblich verletzt (§ 241 Abs. 2 BGB).

14

a) Nach der Neuregelung des Tarifrechts besteht für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nicht mehr die besondere Pflicht, ihr gesamtes privates Verhalten so einzurichten, dass das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers nicht beeinträchtigt wird.

15

aa) Die außer Kraft getretenen Regelungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 BAT und des § 8 Abs. 8 Satz 1 MTArb sahen für Angestellte und Arbeiter vor, dass sie sich auch außerdienstlich so zu verhalten hatten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet werden konnte. Eine außerdienstlich begangene Straftat von einigem Gewicht oder verbunden mit einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung konnte auf dieser Grundlage die Kündigung eines Mitarbeiters des öffentlichen Dienstes grundsätzlich rechtfertigen (Senat 21. Juni 2001 - 2 AZR 325/00 - zu B I 2 a der Gründe, AP BAT § 54 Nr. 5 = EzA BGB § 626 nF Nr. 189; 8. Juni 2000 - 2 AZR 638/99 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 95, 78).

16

bb) Diese Regelungen sind in die seit dem 1. Oktober 2005 geltenden Tarifwerke für den öffentlichen Dienst nicht übernommen worden. § 41 TVöD-BT-V hat den früheren Verhaltensmaßstab aufgegeben(Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77). Nach Satz 1 der Bestimmung ist nunmehr lediglich „die im Rahmen des Arbeitsvertrags geschuldete Leistung gewissenhaft und ordnungsgemäß auszuführen“. Nach Satz 2 der Regelung müssen sich Beschäftigte des Bundes und anderer Arbeitgeber, in deren Aufgabenbereich auch hoheitliche Tätigkeiten wahrgenommen werden, überdies „durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes“ bekennen. Darüber hinausgehende Anforderungen an die private Lebensführung stellt der TVöD nicht mehr, auch nicht an anderer Stelle (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 17, aaO; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand August 2010 § 41 BT-V Rn. 2; Bröhl ZTR 2006, 174, 175, 177).

17

Mit der Neuregelung haben sich die Tarifvertragsparteien von ihrer bisherigen Orientierung am Beamtenrecht entfernt und das Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst als eine „normale Leistungsaustauschbeziehung“ (Bredendiek/Fritz/Tewes ZTR 2005, 230, 237) ausgestaltet (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77). Die Tarifvertragsparteien - und damit auch die Arbeitgeber - haben für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes außer der Pflicht nach § 41 Satz 2 TVöD-BT-V ersichtlich keine weitergehenden Verhaltenspflichten mehr begründen wollen, als diese auch für Beschäftigte in der Privatwirtschaft gelten(Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - aaO).

18

b) § 241 Abs. 2 BGB gilt dagegen auch für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Die daraus folgende Pflicht, auf die Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, hat der Kläger durch sein außerdienstliches strafbares Verhalten erheblich verletzt.

19

aa) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 483/07 - Rn. 44, AP BGB § 626 Nr. 218; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16). Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, aaO). Er ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, aaO; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 483/07 - Rn. 44, aaO). Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat, wenn etwa der Arbeitnehmer die Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begeht (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO). Ein solcher Bezug kann auch dadurch entstehen, dass sich der Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer staatlichen Ermittlungen ausgesetzt sehen oder in der Öffentlichkeit mit der Straftat in Verbindung gebracht werden (Senat 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 483/07 - Rn. 58, aaO). Fehlt hingegen ein solcher Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, scheidet eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers regelmäßig aus (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 690).

20

bb) Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten verletzt hat. Ungeachtet des Charakters der von ihm begangenen Straftat besteht der erforderliche Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Der Kläger hat die Beklagte mit seiner Tat in Beziehung gebracht. Durch seine - auch in der Presse wiedergegebenen - Äußerungen im Strafverfahren hat er eine Verbindung zwischen seiner angeblich zu geringen Vergütung durch die Beklagte und seinem Tatmotiv hergestellt. Auf diese Weise hat er die Beklagte für sein strafbares Tun „mitverantwortlich“ gemacht. Er hat damit deren Integritätsinteresse erheblich verletzt. Ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, der in besonderem Maße an Recht und Gesetz gebunden ist und in dieser Hinsicht einer besonders kritischen Beobachtung durch die Öffentlichkeit unterliegt, hat ein berechtigtes und gesteigertes Interesse daran, in keinerlei - und sei es auch abwegigen - Zusammenhang mit Straftaten seiner Bediensteten in Verbindung gebracht zu werden.

21

3. Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass der Kläger angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzung nicht damit rechnen durfte, die Beklagte werde diese hinnehmen (zu diesem Maßstab Senat 23. Juni 2008 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - zu II 4 der Gründe, BAGE 99, 331, 336). Die Revision greift diese Wertung nicht an.

22

4. Die notwendige Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat alle wesentlichen, für und gegen die Unzumutbarkeit einer dauerhaften Weiterbeschäftigung des Klägers sprechenden Aspekte berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen. Rechtsfehlerfrei konnte es zu dem Ergebnis gelangen, dass aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung auch die persönlichen Lebensumstände des Klägers es nicht rechtfertigen, das Arbeitsverhältnis dauerhaft fortzusetzen. Einen Abwägungsfehler hat die Revision nicht aufgezeigt.

23

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

        

    Kreft    

    Schmitz-Scholemann    

        

    Eylert    

        

        

        

        

    Söller    

        

    A. Claes    

        

        

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 14. Mai 2008 - 4 Sa 508/07 - teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 6. August 2007 - 2 Ca 295/07 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst mit Ablauf des 30. April 2007 beendet worden ist.

3. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen und einer während der Kündigungsfrist erklärten fristlosen Kündigung.

2

Der 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Seit August 2001 war er bei dem Beklagten als Oberstufenlehrer für Kunst und Kunstgeschichte tätig.

3

Der Beklagte ist Träger einer Waldorfschule, einer genehmigten Ersatzschule im Sinne des Thüringer Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft idF der Bekanntmachung vom 30. April 2003 (GVBl. 2003, S. 150). Er beschäftigt etwa 60 Arbeitnehmer. Seine Selbstverwaltung erfolgt über Konferenzen - Klassenkonferenzen, Mentorenkonferenzen, Oberstufenkonferenzen und Schulführungskonferenzen -, wobei der jeweils „ranghöheren“ Konferenz das Recht zusteht, einen zu regelnden Sachverhalt an sich zu ziehen.

4

Im Arbeitsvertrag der Parteien heißt es auszugsweise:

        

„4. … 

        

Zur Tätigkeit eines Lehrers an einer Waldorfschule gehören auch die Teilnahme an den Aufgaben der Selbstverwaltung der Schule (Konferenzen) sowie die Elternarbeit und die Belange des Bundes der Freien Waldorfschulen. …

        

5. Es gilt eine beidseitige Kündigungsfrist von 6 Monaten zum 31. Juli.

        

Verändert sich die gesetzliche Kündigungsfrist eines Partners, so gilt dasselbe auch für den anderen Partner.

        

…       

        

Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses insbesondere dann nicht mehr möglich ist, wenn es kein Vertrauen mehr in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung gibt. Das Vertragsverhältnis ist dann entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen kündbar.

        

Bei etwaigen, die hier vereinbarte Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten verpflichten sich die Beteiligten, zunächst das interne Schlichtungsverfahren einzuleiten und rechtliche Schritte nur im Hinblick auf notwendige Fristeinhaltungen vorzunehmen.“

5

Schüler des Beklagten haben in der zwölften Klassenstufe eine sog. Jahresarbeit anzufertigen, mit der sie regelmäßig bereits in der elften Klasse beginnen. Die Arbeit wird durch eine Lehrkraft als Mentor betreut. Nach Fertigstellung sind mindestens zwei Ausfertigungen der Arbeit in der Schule abzugeben. Ein Exemplar ist als Korrekturexemplar für den Mentor bestimmt. Das weitere - gebundene - Exemplar erhält die Schule. Etwa 14 Tage später findet eine öffentliche Präsentation/Verteidigung der Arbeit vor der interessierten Schulöffentlichkeit und Elternschaft statt. Außerdem sind bei der Veranstaltung neben dem Mentor der zuständige Klassenbetreuer und ein Elternvertreter anwesend, die in das Bewertungsverfahren eingebunden sind. Anschließend folgt ein Auswertungsgespräch unter Beteiligung aller drei vorgenannten Personen in Anwesenheit des Schülers. Nach diesem Gespräch verbleibt das Schulexemplar in der Schulbibliothek zur öffentlichen Einsicht. Der Mentor hat dann die Aufgabe, die Jahresarbeit unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Auswertungsgesprächs zu bewerten. Bei bestehenden Differenzen ist die Mentorenkonferenz einzuschalten.

6

Seit dem Jahr 2004 kam es zu Auseinandersetzungen der Parteien über die Verpflichtung des Klägers, an der schulischen Selbstverwaltung teilzunehmen. In diesem Zusammenhang erteilte der Beklagte dem Kläger am 2. Juli 2004 zwei schriftliche Abmahnungen.

7

Beginnend mit dem Jahr 2006 betreute der Kläger als Mentor die Jahresarbeit des Schülers S. zum Thema: „Homepageprogrammierung auf HTML-Basis“. Im Januar 2007 gab S. zwei Exemplare seiner Arbeit in der Schule ab. Die Präsentation folgte am 27. Januar 2007. Im Auswertungsgespräch vom 30. Januar 2007 vertrat die zuständige Klassenbetreuerin - anders als der Kläger - die Auffassung, die Arbeit sei wegen inhaltlicher Mängel nicht anerkennungsfähig. Nach dem Gespräch nahm der Kläger - ohne Rücksprache - das Schulexemplar mit nach Hause, das Mentorenexemplar in Form einer Loseblattsammlung hatte er bereits.

8

Am 31. Januar 2007 wurde der Kläger zu einer für diesen Tag anberaumten Sonderkonferenz geladen. Er sagte, ua. wegen der Kurzfristigkeit der Ladung, seine Teilnahme ab; zugleich bat er, ihm „den Antrag auf die Aberkennung der Jahresarbeit“ von S. „bald schriftlich mitzuteilen“.

9

Mit Schreiben vom 31. Januar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis daraufhin ordentlich zum 31. Juli 2007. Am 1. Februar 2007 beurlaubte er den Kläger bis zu einem für den 5. Februar 2007 vereinbarten Schlichtungsgespräch. Zugleich erteilte er ihm Hausverbot. Während des Schlichtungsgesprächs forderte er den Kläger auf, der Schulführungskonferenz das (Schul-)Exemplar der Jahresarbeit zur Verfügung zu stellen. Mit Schreiben vom 7. Februar 2007 wiederholte er sein Verlangen unter Fristsetzung bis 9. Februar 2007. Darauf teilte der Kläger schriftlich mit: „Im Hinblick auf die Jahresarbeit können Sie sich an Frau G. wenden, die für das Schulexemplar zuständig ist.“. Auf erneutes, nunmehr anwaltliches Herausgabeverlangen des Beklagten gab er das Schulexemplar am 15. Februar 2007 zurück, nachdem er zuvor aus der Arbeit die Seite 17 entfernt hatte.

10

Am 19. Februar 2007 führten die Parteien ein weiteres Schlichtungsgespräch. Mit Schreiben vom 23. Februar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

11

Der Kläger hat gegen beide Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, er habe seine Vertragspflichten allenfalls unwesentlich verletzt. Das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. sei ihm anlässlich des Auswertungsgesprächs durch den Elternvertreter zur Aufbewahrung übergeben worden. Die Rückgabe der Arbeit sei für ihn deshalb „ein Problem“ gewesen, weil sich die Klassenbetreuerin im Auswertungsgespräch zur Qualität der Arbeit geäußert habe, ohne deren Inhalt genau zu kennen. Er habe verhindern wollen, dass seine Kollegin nachträglich Gelegenheit erhalte, die Arbeit zu lesen und dadurch ihr „voreingenommenes und negatives Urteil abzusichern“. Als zuständiger Mentor sei er bis zur abschließenden Bewertung berechtigt gewesen, die - inhaltlich im Übrigen bedeutungslose - Seite 17 zu entfernen. Sein Vorgehen sei, nachdem auf dieser Seite aufgeführte Zitate zu Beanstandungen durch Kollegen geführt hätten, zweckmäßig und mit dem Schüler abgestimmt gewesen. Die Kündigungen seien unverhältnismäßig. Im Übrigen fehle es an der ordnungsgemäßen Durchführung des vorgesehenen Schlichtungsverfahrens.

12

Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 weder fristlos noch ordentlich aufgelöst worden ist.

13

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, schon die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. unbefugt entwendet, rechtswidrig zurückgehalten und gefälscht. Dies wiege angesichts bestehender Differenzen über die Bewertung der Arbeit besonders schwer. Außerdem habe sich der Kläger über das erteilte Hausverbot hinweggesetzt und die gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen für Waldorfschulen missachtet. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist geendet. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Durchführung des in der Schulordnung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Die Ausübung des Kündigungsrechts sei kein „Konfliktfall“ im Sinne der dortigen Regelungen. Außerdem sei das Verfahren auch durchgeführt worden, es sei nur gescheitert.

14

Das Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung für gerechtfertigt erachtet und die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers ist teilweise begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Es hat aufgrund dieser Kündigung aber nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende am 30. April 2007 geendet. Auf die Wirksamkeit der zum 31. Juli 2007 erklärten ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 kommt es nicht an.

16

I. Die außerordentliche Kündigung vom 23. Februar 2007 ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund zur Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Ob die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kann dahinstehen.

17

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

18

2. Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Zwar liegt eine erhebliche Vertragspflichtverletzung des Klägers und damit „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Auch geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass es vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung bedurfte. Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unverhältnismäßig. Aufgrund der besonderen, vom Landesarbeitsgericht nicht hinreichend beachteten Umstände des Einzelfalls war es dem Beklagten zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.

19

a) Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - zu 2 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100). Da die ordentliche Kündigung die übliche und grundsätzlich ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - aaO; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 603; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 146).

20

b) Als Vertragspflichtverletzung, die grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann die erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (st. Rspr., bspw. Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220 mwN). Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht.

21

c) Im Streitfall kann offenbleiben, ob der Kläger seine Vertragspflichten bereits dadurch erheblich verletzt hat, dass er das Schulexemplar der Jahresarbeit nach dem Auswertungsgespräch ohne Einverständnis des Beklagten in seine Wohnung verbrachte und dem Zugriff des Beklagten entzog. Eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, jedenfalls darin, dass er das Schulexemplar entgegen wiederholter, ausdrücklicher Weisung des Beklagten nicht termingerecht, sondern erst nach anwaltlicher Aufforderung zurückgab und außerdem zuvor die Seite 17 der Jahresarbeit entfernt hatte.

22

aa) Der Beklagte war berechtigt, die sofortige Rückgabe des Schulexemplars zu verlangen. Ein Besitzrecht des Klägers bestand nicht. Die eingeräumte Herausgabefrist war ausreichend, um der Aufforderung nachzukommen. Der rechtmäßigen Weisung des Beklagten hat sich der Kläger auch nach seinem eigenen Vorbringen zumindest zeitweise vorsätzlich und nachhaltig widersetzt. Zudem hat er mit dem Schreiben vom 7. Februar 2007 gegenüber dem Beklagten bewusst den Eindruck erwecken wollen, gar nicht im Besitz des Schulexemplars zu sein. Anders lässt sich seine Erklärung, der Beklagte möge sich wegen des Schulexemplars an Frau G. wenden, nicht verstehen. Darüber hinaus war sein Verhalten, wie er selbst einräumt, darauf angelegt, die Bewertung der Arbeit durch die mitbeurteilende Klassenbetreuerin zu erschweren und vorübergehend unmöglich zu machen. Ein solches Vorgehen ist geeignet, das Vertrauen des Beklagten in die zuverlässige und pflichtgemäße Erfüllung der Arbeitsaufgaben des Klägers erheblich zu erschüttern.

23

bb) Eine weitere erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt darin, dass er eine Seite aus der Jahresarbeit entfernte und diese damit verfälschte.

24

(1) Die schriftliche Arbeit eines Schülers ist nach ihrer förmlichen Abgabe zur Bewertung grundsätzlich keiner inhaltlichen Änderung mehr zugänglich. Das zeigt auch das beim Beklagten praktizierte Beurteilungsverfahren. Grundlage der mündlichen Verteidigung der Arbeit, des Auswertungsgesprächs und der abschließenden Beurteilung durch den Mentor kann nur ein und dieselbe Leistung des Schülers sein, zumal die Präsentation der Arbeit, die auf der schriftlichen Ausarbeitung beruht, in die abschließende Bewertung einzufließen hat. Dementsprechend dient die Vorgabe, der Schule neben dem für den Mentor bestimmten Korrekturexemplar mindestens ein weiteres - gebundenes - Exemplar der Arbeit zu übergeben, erkennbar auch dazu, die Vollständigkeit der Arbeit zu gewährleisten und nachträgliche Veränderungen auszuschließen. Unterdrückt ein Lehrer in Kenntnis dieser Umstände Teile des Schulexemplars, verletzt er seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich. Ein solches Fehlverhalten betrifft den Kernbereich seiner Arbeitsaufgaben und berührt unmittelbar das Vertrauen in deren zuverlässige Ausführung.

25

(2) Sein Fehlverhalten ist dem Kläger vorwerfbar. Seine Einlassung, er sei davon ausgegangen, die Jahresarbeit in Absprache mit dem Schüler auch noch nach ihrer Abgabe inhaltlich verändern zu dürfen, hat das Landesarbeitsgericht - unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts - als Schutzbehauptung gewertet. Dies hält sich im Bewertungsspielraum der Tatsacheninstanz. Ein Verbotsirrtum des Klägers wäre jedenfalls vermeidbar gewesen. Es kommt nicht darauf an, ob die entfernte Seite für das behandelte Thema inhaltlich von Bedeutung war oder nicht. Der Schüler hatte die dort enthaltenen „Gedächtnisprotokolle zu Kommentaren der Lehrer“ zum Gegenstand der Arbeit gemacht und im Inhaltsverzeichnis ausdrücklich erwähnt. Hinzu kommt, dass die aufgeführten Zitate bereits Anstoß bei Lehrkräften erregt hatten. Für den Kläger war erkennbar, dass mit der Herausnahme der Seite auch die Nachprüfung einer Berechtigung dieser Beanstandungen wesentlich erschwert würde.

26

(3) Darauf, ob das Verhalten des Klägers strafrechtlich als Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) und/oder Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu bewerten ist, kommt es, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nicht an. Für die kündigungsrechtliche Bewertung ist nicht die strafrechtliche Beurteilung maßgeblich, sondern die Schwere der Vertragspflichtverletzung (st. Rspr., bspw. Senat 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12; 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53).

27

d) Liegt - wie hier - ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung „an sich“ vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn mildere Mittel als Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung ausscheiden (st. Rspr., bspw. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20). Mildere Mittel sind insbesondere die Abmahnung und die ordentliche Kündigung. Im Hinblick darauf ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig.

28

aa) Dies ist sie nicht deshalb, weil es vorrangig einer Abmahnung bedurft hätte.

29

(1) Zwar gilt das durch § 314 Abs. 2 BGB konkretisierte Erfordernis einer Abmahnung grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich(vgl. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20). Die Abmahnung ist aber, wie § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB zeigt, unter besonderen Umständen entbehrlich. Das ist der Fall, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, 33 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - aaO; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - zu II 4 der Gründe, BAGE 99, 331).

30

(2) Danach war eine Abmahnung entbehrlich. Der Kläger hat seine Arbeitsaufgaben im Kernbereich seiner Tätigkeit als Lehrkraft vorsätzlich und nachhaltig verletzt. Das gilt auch in Anbetracht der vorausgegangenen Auseinandersetzungen mit der Klassenbetreuerin über die Anerkennungsfähigkeit der Arbeit und der Bedenken von Kollegen gegen den Inhalt der entfernten Seite. Diese Umstände sind nicht geeignet, den mit der Pflichtverletzung verbundenen Vertrauensverlust abzuschwächen. Im Gegenteil: Gerade wegen dieser Konflikte musste der Kläger dem Beklagten möglichst zügig eine eigene Beurteilung der Arbeit und der umstrittenen Zitate ermöglichen. Stattdessen zeigt sein Bestreben, durch ein Zurückhalten der Arbeit die Klassenbetreuerin als nicht kompetent darzustellen, dass es ihm nicht um ein objektives und gerechtes Urteil über die Qualität der Arbeit ging, sondern um die Verfolgung sachfremder Motive. Dies zeigt ein Verständnis vom Inhalt seiner Arbeitsaufgaben und der eigenen Kompetenzen, das durch den Ausspruch einer Abmahnung den gesamten Umständen nach nicht zu beeinflussen ist. Eine Verhaltensänderung des Klägers stand deshalb auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten.

31

(3) Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unwirksam. Dem Beklagten war es unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls und der gebotenen Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zuzumuten, das Arbeitsverhältnis noch bis zum Ablauf der maßgebenden Kündigungsfrist fortzusetzen. Die gegenteilige Auffassung des Landesarbeitsgerichts, das sich die Erwägungen des Arbeitsgerichts zur Interessenabwägung nach § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen gemacht hat, berücksichtigt nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte.

32

(a) Zwar spricht zulasten des Klägers der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis auch aus anderen Gründen nicht beanstandungsfrei verlaufen ist. Das Arbeitsgericht hat auf Pflichtwidrigkeiten bezüglich der Teilnahme an Konferenzen hingewiesen. Dies wird, zumal der Kläger ein Fehlverhalten insoweit teilweise eingeräumt hatte, von der Revision nicht angegriffen. Auch konnte im Rahmen der Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger im Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007 keine Einsicht in die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens gezeigt hat. Dies muss als Indiz für eine Wiederholungsgefahr angesehen werden.

33

(b) Zum einen ist jedoch zu bedenken, dass die zur außerordentlichen Kündigung führende Pflichtwidrigkeit im Zusammenhang mit schriftlichen Prüfungsleistungen der Schüler stand, die in den Monaten nach Kündigungsanspruch nicht mehr anfielen. Zum anderen ist das Landesarbeitsgericht von einer unzutreffenden Frist ausgegangen, die der Beklagte bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung einzuhalten hätte. Dies ist nicht die Frist von sechs Monaten jeweils zum 31. Juli des Jahres nach Nr. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrages, sondern die gesetzliche Frist von zwei Monaten zum Monatsende nach Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Zumindest für die Dauer dieses Zeitraums war dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten.

34

(aa) Das Landesarbeitsgericht hat die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu den Kündigungsfristen nicht ausgelegt. Es hat auch nicht festgestellt, ob es sich dabei um typische oder untypische Klauseln handelt. Selbst wenn unterstellt wird, dass sie untypisch sind, kann der Senat sie eigenständig auslegen. Es geht um die Auslegung von Urkunden, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls, die der Auslegung eine bestimmte, der Beurteilung des Revisionsgerichts entzogene Richtung geben könnten, vorlägen (vgl. dazu BAG 5. Februar 2009 - 6 AZR 151/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 69 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 87; 28. Februar 1990 - 7 AZR 143/89 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 64, 220).

35

(bb) Der Arbeitsvertrag differenziert in Nr. 5 zwischen einer regulären Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 31. Juli (Nr. 5 Satz 1) und einer für den Fall mangelnden Vertrauens in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung vorgesehenen „Kündbarkeit entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen“ (Nr. 5 Satz 6). Dabei ist davon auszugehen, dass die beiden Regelungen jeweils abschließend und vollständig sind. So ist das Arbeitsverhältnis im Fall von Nr. 5 Satz 6 nicht nur zum 31. Juli kündbar. Die Festlegung dieses Termins in Nr. 5 Satz 1 beruht, ebenso wie die - lange - Dauer der dort bestimmten Kündigungsfrist von sechs Monaten erkennbar auf dem Bedürfnis nach personeller Kontinuität in der Lehrerschaft während eines laufenden Schuljahrs. Soweit es in den Fällen von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags stattdessen bei den gesetzlichen Kündigungsfristen verbleiben soll, betrifft dies Sachverhalte, die das pädagogische Selbstverständnis und die Tendenz des Beklagten als freier Schulträger berühren. Der offensichtliche Zweck der Regelung, Pflichtverletzungen in diesem Bereich mit einer möglichst kurzfristigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnen zu können, liefe weitgehend leer, wäre eine Kündigung auch dann - wenn auch mit kürzerer Frist - nur zum 31. Juli möglich.

36

(cc) Die in Rede stehende Pflichtverletzung ist aufgrund ihres Bezugs zur Erziehungsarbeit ein Anwendungsfall von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Bei einer Betriebszugehörigkeit des Klägers von etwas mehr als fünf Jahren gilt für ihn gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende.

37

3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Beklagte hat sich allerdings zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung ergänzend auf Verstöße gegen ein dem Kläger am 1. Februar 2007 erteiltes Hausverbot vom 7. Februar und 19. Februar 2007 sowie eine Missachtung der gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen an Waldorfschulen berufen. Insoweit fehlt es aber schon nach seinem eigenen Vorbringen an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Das Hausverbot war zunächst - unstreitig - bis 5. Februar 2007 ausgesprochen worden. Zwar hat der Beklagte behauptet, im Schlichtungsgespräch von diesem Tag sei vereinbart worden, dass es bis auf Weiteres bei den „Festlegungen vom 1. Februar 2007“ verbleiben solle. Es ist jedoch gut vorstellbar, dass der Kläger dies lediglich auf die ebenfalls am 1. Februar 2007 angeordnete Beurlaubung, nicht aber das Hausverbot bezogen hat, so dass eine Abmahnung schon zum Ausschluss eines nahe liegenden Irrtums des Klägers erforderlich war. Ähnliche Erwägungen gelten für die behauptete Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften im Hinblick auf die Vorbereitung der Schüler auf Abiturprüfungen. Soweit in dem Verhalten des Klägers überhaupt eine Pflichtverletzung liegt, erreicht diese nicht das für einen Kündigungsgrund iSv. § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Gewicht.

38

II. Ist das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden, kommt es darauf an, ob es - wie vom Beklagten geltend gemacht - durch ordentliche Kündigung beendet worden ist. Hierüber kann der Senat selbst entscheiden. Die Kündigung vom 23. Februar 2007 ist als ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG und damit wirksam.

39

1. Eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung kann in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist(Senat 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 33 mwN, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 1 a der Gründe, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24).

40

2. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, obliegt zwar grundsätzlich der Tatsacheninstanz (vgl. BGH 24. September 1980 - VIII ZR 299/79 - zu II 2 b der Gründe, NJW 1981, 43). Sie kann bei feststehendem Sachverhalt aber auch in der Revisionsinstanz erfolgen. Im Streitfall ist von einer derartigen Sachlage auszugehen. Auch hat sich der Beklagte ausdrücklich auf eine Umdeutung der fristlosen in eine ordentliche Kündigung berufen.

41

a) Der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 23. Februar 2007, mit dem der Beklagte das Arbeitsverhältnis „fristlos“ gekündigt hat, ließ für den Kläger den unbedingten Beendigungswillen des Beklagten erkennen. Hinzu kommt, dass der Beklagte das Arbeitsverhältnis bereits zuvor ordentlich gekündigt hatte. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es dem Beklagten darauf ankam, sich möglichst bald von ihm zu trennen.

42

b) Besondere Umstände, die den Schluss zuließen, der Beklagte habe mit der Kündigung vom 23. Februar 2007 ausschließlich die außerordentliche fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen wollen, und die deshalb einer Umdeutung entgegenstünden (Senat 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 2 c der Gründe mwN, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24), hat der Kläger nicht aufgezeigt.

43

3. Die Pflichtverletzung des Klägers im Zusammenhang mit der Jahresarbeit von S. rechtfertigt aus den angeführten Gründen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Eine Abmahnung war, wie ausgeführt, entbehrlich. Besondere Umstände des Einzelfalls, die ein anderes Ergebnis rechtfertigten, sind nicht ersichtlich.

44

4. Sonstige Unwirksamkeitsgründe liegen nicht vor. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil das interne Schlichtungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass nach der Regelung in Nr. 5 des Arbeitsvertrags das Schlichtungsverfahren zumindest bei einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung eingreifen soll. Der Arbeitsvertrag verlangt im Fall der „die Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten“ lediglich die „Einleitung“ des Verfahrens und nicht dessen Durchführung mit sämtlichen in der Schulordnung vorgesehenen Schritten. Das steht im Einklang mit der für das Schlichtungsverfahren getroffenen Regelung, wonach „jeder der angeführten Punkte zum Abbruch des Verfahrens führen kann“ und es somit an einer zwingenden Ausgestaltung des Verfahrens fehlt. Die Einleitung des Verfahrens war vor Ausspruch der - außerordentlichen - Kündigung unstreitig erfolgt. Das Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007, in das auch die Vorfälle um die Jahresarbeit einbezogen wurden, war erfolglos geblieben.

45

III. Hat das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 mit Ablauf des 30. April 2007 geendet, kommt es auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht mehr an.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Berger    

        

        

    zugleich für ehrenamtlichen Richter Dr. Bartel,
der an einer Unterzeichnung wegen des Endes
seiner Amtszeit verhindert ist    

        

        

    Jan Eulen    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 5. Januar 2010 - 3 Sa 253/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war bei der Beklagten, einem Unternehmen für Vertriebs- und Servicedienstleistungen, seit dem 2. November 1999 als „Leiter IT/TK Department“ beschäftigt. Er war zuständig für die Betreuung der Hard- und Software. In § 8 Abs. 9 des Arbeitsvertrags ist geregelt, dass eine „Geheimhaltungs- und Verpflichtungserklärung“ sowie „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen“ Bestandteile des Vertrags sind. In der „Geheimhaltungs- und Verpflichtungserklärung“ vom 27. Oktober 1999 sagte der Kläger Verschwiegenheit hinsichtlich aller dienstlichen Angelegenheiten zu. Nach Ziff. 6 der „Regeln für die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ vom 27. Oktober 1999 ist es den Mitarbeitern nicht erlaubt, persönliche Software von zu Hause mitzubringen und auf den Computern des Unternehmens zu nutzen. Ebensowenig dürfen Programme des Unternehmens mit nach Hause genommen und auf einem eigenen Computer benutzt werden. Auf die Notwendigkeit der Einhaltung der zur Computersicherheit geltenden Regelungen hatte der Kläger als Leiter der IT-Abteilung die Mitarbeiter unter Hinweis auf arbeitsrechtliche Konsequenzen bei einer Zuwiderhandlung mehrfach hingewiesen.

3

Im Jahr 2008 stellte die Beklagte fest, dass sich der Kläger seit Mai 2007 nicht mehr in ihrem Netzwerk angemeldet habe. Eine Anmeldung ist erforderlich, um auf dem firmeneigenen Laptop gespeicherte Daten auf dem zentralen Server des Netzwerks abzuspeichern und zu hinterlegen. Nur auf die dort in digitalisierter Form hinterlegten Arbeitsergebnisse ist ein direkter Zugriff der Beklagten möglich. Am 25. August 2008 sprach der Personalleiter der Beklagten den Kläger auf diesen Umstand an. Der Kläger bestätigte, dass er die Daten auf einer privaten Festplatte sichere und abspeichere. Daraufhin stellte die Beklagte ihn von seiner Arbeitsleistung frei.

4

Am 27. August 2008 untersuchte die Beklagte den firmeneigenen Laptop des Klägers und seine private Festplatte. Auf der Festplatte waren auch Dateien der Beklagten gespeichert. Auf dem Laptop befanden sich neben einer Vielzahl von Unternehmensdaten, Passwörtern und Zugriffsdaten für den Server der Beklagten, Angeboten an Kunden, Mitarbeiterbeurteilungen, Bewerbungsunterlagen und Kostenaufstellungen auch private Dateien, bestehend aus Videos, Bildern und MP-3-Dateien. Die gesamten Daten waren unverschlüsselt abgespeichert.

5

Die Beklagte sah darin einen massiven Verstoß des Klägers gegen seine Obhuts- und Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Nachdem sie den Betriebsrat angehört hatte, kündigte sie mit Schreiben vom 2. September 2008 das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich und fristgerecht zum 31. Dezember 2008.

6

Der Kläger hat hiergegen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, es bestehe kein Grund für die außerordentliche Kündigung. Auch seien die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten und der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Kündigung sei auch als ordentliche nicht sozial gerechtfertigt.

7

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 2. September 2008 weder fristlos noch mit Ablauf des 31. Dezember 2008 aufgelöst worden ist.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe ihr durch sein Verhalten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar gemacht. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden.

9

Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil nur über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung entschieden und der Klage insoweit stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt diese ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. September 2008 das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgelöst hat. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Darauf, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt oder die Kündigung nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam ist, kommt es daher nicht an. Über die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 2008 war nicht zu entscheiden.

11

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

12

1. Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann sowohl in einer erheblichen Verletzung von vertraglichen Hauptleistungspflichten als auch in der von Nebenpflichten liegen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 19, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16). Als Vertragspflichtverletzung, die eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - Rn. 20, aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann die erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - aaO; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220). Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08 - aaO).

13

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

14

a) Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN). Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 36, aaO; Schlachter NZA 2005, 433, 436). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient zugleich der Objektivierung der negativen Prognose (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109).

15

b) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 56, aaO; vgl. auch BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

16

3. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219).

17

II. Bei Anwendung dieser Grundsätze hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

18

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe die Pflichtverletzung des Klägers, unter Verstoß gegen die „Regeln für die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ private Dateien auf dem Firmenlaptop gespeichert zu haben, zunächst abmahnen müssen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Fehlverhalten des Klägers wiegt nicht so schwer, dass es ohne Weiteres eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnte.

19

a) In der Speicherung privater Dateien auf dem Firmen-Laptop liegt keine Pflichtverletzung des Klägers, bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen wäre. Zwar ist auf den Computern der Beklagten laut Ziff. 6 Abs. 1 Satz 3 der „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ die Verwendung privater Software untersagt. Das Landesarbeitsgericht hat aber zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger die privaten Dateien nach seinem unwidersprochenen Vorbringen nicht aus dem Internet heruntergeladen, sondern von eigenen Datenträgern überspielt hat. Die Beklagte hat weder behauptet, dass es sich dabei um strafrechtlich relevantes oder sonst anrüchiges Material gehandelt habe, noch lässt sich ihrem Vorbringen entnehmen, dass konkrete Beeinträchtigungen der Funktionen des Laptops oder des Netzwerks eingetreten wären. Dass der Kläger die auf dem Laptop installierte private Software während der Arbeitszeit zu privaten Zwecken genutzt habe, hat die Beklagte ebenso wenig geltend gemacht.

20

Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Stellung des Klägers als Leiter der IT-Abteilung und Vorgesetzter rechtfertige keine andere Beurteilung, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar zeigen die Hinweise des Klägers an die Mitarbeiter, dass er sich der Gefahren eines Regelverstoßes für die Sicherheit und Funktion der IT-Systeme bewusst war. Wenn er selbst die Regeln nicht eingehalten hat, stellt dies aber kein Verhalten dar, dessen auch nur erstmalige Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen war.

21

2. Eine Abmahnung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger Unternehmensdaten auf dem Laptop nur durch ein einfaches Passwort gesichert hatte. Ob der Kläger insoweit überhaupt pflichtwidrig gehandelt hat, bedarf keiner Klärung. Die Beklagte hat nicht behauptet, es habe eine ausdrückliche Anordnung gegeben, weitergehende Sicherungen vorzunehmen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung hätte zukünftig ein vertragsgerechtes Verhalten des Klägers erwarten lassen, ist unter diesen Umständen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit die Beklagte geltend gemacht hat, es sei gerade Aufgabe des Klägers gewesen, für weitergehende Sicherungsmaßnahmen zu sorgen. Damit rügt sie eine Schlechtleistung des Klägers, welche ihrerseits einer Abmahnung bedurft hätte.

22

3. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, auch die Speicherung unternehmensbezogener Dateien auf einer privaten Festplatte und ohne Sicherung gegen unbefugten Zugriff wiege im Streitfall nicht so schwer, dass sie die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könne.

23

a) Allerdings kann durch eine unerlaubte Speicherung unternehmensbezogener Daten auf einer privaten Festplatte die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt sein. Sollten personenbezogene Daten iSv. § 3 Abs. 1 BDSG betroffen gewesen sein, kommt zudem ein Verstoß gegen § 5 Satz 1 BDSG in Betracht. Die Beklagte beruft sich außerdem darauf, der Kläger habe seine Vertragspflichten dadurch verletzt, dass er die Daten nicht auch auf dem Netzwerkserver hinterlegt habe.

24

aa) Eine Verletzung von Urheberrechten ist mit dem Verhalten des Klägers nicht verbunden. Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die die Annahme rechtfertigten, bei den vom Kläger auf seine private Festplatte kopierten Dateien habe es sich um urheberrechtlich geschützte Werke gehandelt. Es kann daher dahinstehen, ob die Herstellung von Sicherungskopien bereits eine unerlaubte Vervielfältigung darstellt (vgl. dazu § 15 Abs. 1 Nr. 1, §§ 16, 69c, 69d UrhG). Zwar sind Computerprogramme nach Maßgabe der §§ 69a ff. UrhG urheberrechtlich geschützt. Daten oder in Dateien gespeicherte Datenbestände sind für sich genommen aber keine Computerprogramme in diesem Sinne, da sie keine Befehls- oder Steuerungsanweisungen an den Computer enthalten (vgl. Fromm/Nordemann/Czychowski Urheberrecht 10. Aufl. § 69a UrhG Rn. 12; Dreier/Schulze/Dreier UrhG 3. Aufl. § 69a Rn. 12; Wandtke/Bullinger/Grützmacher UrhR 3. Aufl. § 69a UrhG Rn. 17 ). Ein Computerprogramm ist eine Folge von Befehlen, die nach Aufnahme in einen maschinellen Träger fähig sind zu bewirken, dass eine Maschine mit informationsverarbeitenden Fähigkeiten eine bestimmte Funktion oder Aufgabe oder ein bestimmtes Ergebnis anzeigt, ausführt oder erzielt (vgl. BGH 9. Mai 1985 - I ZR 52/83 - zu II 2 a aa der Gründe, BGHZ 94, 276). Bloße Daten oder Datensammlungen sind regelmäßig auch keine urheberrechtlich geschützten Schriftwerke (Fromm/Nordemann/Nordemann Urheberrecht 10. Aufl. § 2 UrhG Rn. 76). Der Schutz als Schriftwerk iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG verlangt gemäß § 2 Abs. 2 UrhG, dass das Werk Ergebnis einer persönlichen geistigen Schöpfung ist. Selbst wenn eine Sammlung von Daten auf einer inhaltlichen Verarbeitung und Auswahl von Erkenntnissen beruht, findet diese möglicherweise schöpferische Tätigkeit keine gestalterische Darstellung in den Daten selbst (Nordemann aaO).

25

bb) Auch ein Verstoß gegen Ziff. 6 Abs. 2 der betrieblichen „Regeln über die Anwendung von Computerprogrammen und die Behandlung von Dateien“ liegt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht vor. Danach ist es untersagt, Programme des Unternehmens mit nach Hause zu nehmen und auf einem eigenen Computer zu nutzen. Die Regeln differenzieren ebenfalls zwischen Computerprogrammen und Dateien. Die Beklagte hat weder dargelegt, dass es sich bei den vom Kläger kopierten Dateien um Computerprogramme gehandelt, noch dass der Kläger andere „Programme des Unternehmens“ auf seinem eigenen Computer genutzt habe.

26

b) Es kann offenbleiben, ob der Kläger gegen § 241 Abs. 2 BGB, ggf. iVm. § 5 BDSG, tatsächlich verstoßen hat. Jedenfalls ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht mögliche Pflichtverletzungen des Klägers durch das Kopieren unternehmensbezogener Daten auf eine private Festplatte nicht als hinreichenden Kündigungsgrund angesehen hat. Dies gilt auch dann, wenn das tatsächliche Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 als wahr unterstellt wird.

27

aa) Der Umstand, dass der Kläger unternehmensbezogene Dateien auf seiner privaten Festplatte gespeichert hat, rechtfertigt nicht die Annahme, er habe die fraglichen Daten unterdrücken oder der Beklagten vorenthalten wollen. Diese selbst hat im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 vorgetragen, dass die Dateien überwiegend auch auf dem firmeneigenen Laptop gespeichert waren. Soweit sie geltend gemacht hat, Dateien im Zusammenhang mit zwei ausländischen Standorten seien ausschließlich auf der privaten Festplatte des Klägers gespeichert gewesen, stützt sie den Vorwurf des Unterdrückens bzw. Vorenthaltens der Daten lediglich darauf, dass der Kläger diese Arbeitsergebnisse nicht zusätzlich auf ihrem Netzwerkserver hinterlegt habe. Die Schlussfolgerung der Beklagten wird durch die behaupteten Indiztatsachen nicht getragen. Sie ist auch dann nicht berechtigt, wenn die Behauptung, der Kläger sei seit Mai 2007 nicht mehr im betrieblichen Netzwerk eingeloggt gewesen, und das weitere Vorbringen im Schriftsatz vom 14. Dezember 2009 mitbedacht werden. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb im Ergebnis zu Recht keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gesehen.

28

(1) Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass und welche konkreten Weisungen sie zur Hinterlegung von Arbeitsergebnissen im Firmennetz erteilt habe. Sie hat zwar vorgebracht, zur Datensicherung müssten Änderungen an Dateien auf ihrem Netzwerkserver abgespeichert werden. Nur so sei gewährleistet, dass Daten nicht verloren gingen oder in die Hände Unbefugter gelangten. Dass es entsprechende ausdrückliche Anordnungen gegeben habe, hat sie aber nicht behauptet. Soweit sie darauf verweist, der Kläger selbst habe Regeln für die Benutzung eines Firmenlaptops formuliert, handelte es sich bei diesen nach ihrem eigenen Vorbringen nur um einen nicht weiter verfolgten Regelungsentwurf.

29

(2) Soweit die Beklagte vorgebracht hat, der Kläger sei auch ohne ausdrückliche Anordnung verpflichtet gewesen, ihr einen digitalen Zugriff auf seine Arbeitsergebnisse zu ermöglichen, hat sie nicht dargelegt, inwiefern dem Kläger dies in Bezug auf die nicht hinterlegten Daten hätte bewusst sein müssen. Im Übrigen ist es nach ihrem eigenen Vorbringen durch die Unterlassungen des Klägers nicht zu Beeinträchtigungen ihrer Tätigkeit gekommen.

30

bb) Die mögliche Unzulänglichkeit der Sicherung der auf der privaten Festplatte des Klägers gespeicherten Daten rechtfertigt eine Kündigung ebensowenig. Ein damit verbundener Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, ggf. iVm. § 5 BDSG, wiegt nicht so schwer, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar hat der Kläger die Sicherheit der Daten durch das Kopieren auf seine private Festplatte möglicherweise gefährdet. Dass er aber geradezu leichtfertig mit den gespeicherten Daten umgegangen wäre, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass Dritte tatsächlich Zugriff auf sie hätten nehmen können.

31

4. War hinsichtlich der Einzelvorwürfe eine Abmahnung nicht entbehrlich, sind diese auch in ihrer Gesamtheit nicht geeignet, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

32

III. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

        

        

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Die Revisionen der Beklagten und der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. November 2008 - 11 Sa 820/08 - werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen.

2

Die Beklagte betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Die Klägerin war bei ihr seit dem 1. Juli 2006 als Diplomsozialarbeiterin beschäftigt. Sie betreute psychisch kranke Menschen und Suchtkranke in deren Wohnungen(ambulant betreutes Wohnen) und hatte zuletzt einen regelmäßigen Patientenstamm von elf Personen.

3

Die Klägerin reichte im September 2007 eine „Überlastungsanzeige“ ein. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 20. September 2007 fristlos, hilfsweise fristgemäß wegen „bestehender Differenzen“ und „mangelnder Fähigkeit“ der Klägerin, sich in bestehende Strukturen einzufinden. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage.

4

Am 21. September 2007 kündigten sieben von der Klägerin betreute Patienten ihren mit der Beklagten bestehenden Betreuungsvertrag fristlos. Die von den Patienten handschriftlich verfassten Kündigungsschreiben hatte die Klägerin zur Post gegeben. Am gleichen Tag erhielt die Klägerin von einem Konkurrenzunternehmen der Beklagten, der Firma „S“, per E-Mail eine Einstellungszusage, in der von einer „Übernahme“ namentlich genannter Patienten der Klägerin die Rede war. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 24. September 2007 forderte die Beklagte die Klägerin auf, den Kontakt zu ihren Patienten und deren Betreuern sofort einzustellen sowie das Abwerben von Klienten zu unterlassen. Nachdem die Beklagte die Kündigung vom 20. September 2007 mit Zustimmung der Klägerin zurückgezogen hatte, nahm diese ihre Kündigungsschutzklage zurück.

5

Am 19. Oktober 2007 wurde die Beklagte darüber informiert, dass eine von der Klägerin betreute Patientin zur Firma „S“ gewechselt sei. Die rechtliche Betreuerin dieser Patientin übermittelte der Beklagten eine von der Klägerin verfasste E-Mail vom 24. September 2007, in der diese sich dafür entschuldigt hatte, den Wechsel zur Firma „S“ ohne vorherige Rücksprache mit ihr - der Betreuerin - durchgeführt zu haben. Der E-Mail war ein Betreuungsvertrag der Firma „S“ beigefügt.

6

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. November 2007.

7

Am 31. Oktober 2007 erhielt die Beklagte Kenntnis von einer weiteren E-Mail der Klägerin, die diese an die Betreuerin gerichtet hatte. Darin teilte sie mit, dass eine Beschäftigung bei der Firma „S“ nicht zustande gekommen sei, sie einen Antrag auf Zulassung als Leistungsanbieter für ambulantes betreutes Wohnen gestellt habe und sie ihre (ehemaligen) Patienten bei der Regelung ihres Alltags weiterhin - unentgeltlich - unterstützen werde. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 2. November 2007 erneut fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. November 2007.

8

Die Klägerin hat sich mit ihrer Kündigungsschutzklage gegen beide Kündigungen gewandt und die Auffassung vertreten, ein Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses liege nicht vor. Sie habe weder eine Konkurrenztätigkeit ausgeübt oder vorbereitet noch aktiv Patienten abgeworben. Sie habe auch die Kündigungen der Betreuungsverträge durch ihre Patienten nicht forciert; diese hätten aus Unzufriedenheit und wegen des ständigen Wechsels der Bezugspersonen aus eigenem Entschluss gekündigt. Sie sei lediglich gebeten worden, die Kündigungsschreiben zur Post zu bringen. Das Angebot der Firma „S“ habe sie angenommen, um einen Verzugsschaden im Interesse der Beklagten gering zu halten. Im Übrigen sei die außerordentliche Kündigung schon wegen Versäumung der zweiwöchigen Ausschlussfrist unwirksam. Die Beklagte habe bereits bei der Teambesprechung am 21. September 2007 von den aus ihrer Sicht kündigungsrelevanten Tatsachen Kenntnis gehabt. Das Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 24. September 2007 zeige, dass dieser der Kündigungssachverhalt spätestens am 24. September 2007 bekannt gewesen sei.

9

Die Klägerin hat - soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung vom 24. Oktober 2007 noch durch die Kündigung vom 2. November 2007 beendet worden ist.

10

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe das Arbeitsverhältnis wegen schwerwiegender Vertragspflichtverletzungen fristlos beenden dürfen. Die Klägerin sei zu einem Konkurrenzunternehmen gewechselt und habe diesem Patientendaten weitergegeben sowie Betreuungsverträge ihrer ehemaligen Patienten vermittelt. Davon habe sie erst am 19. Oktober 2007 erfahren. Die fristlose Kündigung vom 2. November 2007 sei berechtigt, weil die Klägerin sich habe selbständig machen und dazu ihre Patienten habe mitnehmen wollen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentlichen Kündigungen vom 24. Oktober 2007 und 2. November 2007 nicht aufgelöst worden ist, hat aber im Übrigen die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen haben beide Parteien Revision eingelegt. Die Klägerin begehrt, ihrer Klage in vollem Umfang stattzugeben, die Beklagte, das Urteil des Arbeitsgerichts vollständig wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revisionen haben keinen Erfolg.

13

A. Die Revisionen sind zulässig. Das gilt auch für die Revision der Beklagten. Deren Revisionsbegründung ist zwar erst einen Tag nach Ablauf der bis zum 2. März 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist beim Bundesarbeitsgericht eingegangen. Ihr war aber nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in diese Frist zu gewähren.

14

Die Beklagte war ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Revisionsbegründung nach § 74 Abs. 1 ArbGG einzuhalten. Sie hat glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter einen korrekt adressierten, die Revisionsbegründung enthaltenden Brief am 26. Februar 2009 der Deutschen Post AG übergeben hat, sodass er bei normaler Postlaufzeit vor Fristablauf am 2. März 2009 beim Revisionsgericht hätte rechtzeitig eingehen müssen. Die versäumte Frist ist somit allein auf eine verzögerte Zustellung zurückzuführen. Der Beklagten sind solche Verzögerungen nicht zuzurechnen. Sie durfte darauf vertrauen, dass die von der Deutschen Post AG für den Normalfall zugesagten Postlaufzeiten eingehalten würden. In ihrem Verantwortungsbereich lag es allein, das Schriftstück ordnungsgemäß und so rechtzeitig aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG das Revisionsgericht fristgerecht erreichen konnte(vgl. BVerfG 7. Januar 2003 - 2 BvR 447/02 - zu II 1 der Gründe, NJW 2003, 1516; BAG 7. Juni 2000 - 10 AZR 419/99 - zu II der Gründe; BGH 20. Mai 2009 - IV ZB 2/08 - Rn. 8, NJW 2009, 2379).

15

B. Die Revisionen sind nicht begründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die außerordentlichen fristlosen Kündigungen vom 24. Oktober 2007 und vom 2. November 2007 rechtsunwirksam sind, das Arbeitsverhältnis der Parteien aber durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 24. Oktober 2007 mit dem 30. November 2007 beendet worden ist.

16

I. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 24. Oktober 2007 ist rechtsunwirksam. Es liegt kein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor.

17

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

18

a) Die erforderliche Prüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, vollzieht sich zweistufig. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Ist dies der Fall, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht(st. Rspr., vgl. Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 13 mwN, DB 2010, 1128).

19

b) Die Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs des wichtigen Grundes ist vorrangig Sache des Tatsachengerichts. Sie wird im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei beachtet hat(Senat 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 14, DB 2010, 1128; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16).

20

2. Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stand. Zwar hat die Klägerin ihre vertraglichen Pflichten verletzt, indem sie mit der Annahme des Vertragsangebots und Übergabe der Patientendaten an die Firma „S“ der Beklagten noch während des laufenden Kündigungsschutzprozesses Konkurrenz gemacht hat. Ein solcher Pflichtenverstoß kommt als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht(Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15, AP BGB § 626 Nr. 213 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 21; 21. November 1996 - 2 AZR 852/95 - Rn. 20, EzA BGB § 626 nF Nr. 162). Gleichwohl ist die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, eine außerordentliche Kündigung sei unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls nicht gerechtfertigt, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

21

a) Der Arbeitnehmer verletzt seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB erheblich, wenn er während des bestehenden Arbeitsverhältnisses eine Konkurrenztätigkeit ausübt.

22

aa) Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses ist einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt(st. Rspr., Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15 mwN, AP BGB § 626 Nr. 213 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 21). Die für Handlungsgehilfen geltende Regelung des § 60 Abs. 1 HGB konkretisiert einen allgemeinen Rechtsgedanken. Der Arbeitgeber soll vor Wettbewerbshandlungen seines Arbeitnehmers geschützt werden. Der Arbeitnehmer darf im Marktbereich seines Arbeitgebers Dienste und Leistungen nicht Dritten anbieten. Dem Arbeitgeber soll dieser Bereich uneingeschränkt und ohne die Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung durch den Arbeitnehmer offenstehen (Senat 21. November 1996 - 2 AZR 852/95 - Rn. 20, EzA BGB § 626 nF Nr. 162; 26. Januar 1995 - 2 AZR 355/94 - Rn. 21, EzA BGB § 626 nF Nr. 155). Dem Arbeitnehmer ist aufgrund des Wettbewerbsverbots nicht nur eine Konkurrenztätigkeit im eigenen Namen und Interesse untersagt. Ihm ist ebenso wenig gestattet, einen Wettbewerber des Arbeitgebers zu unterstützen (Senat 21. November 1996 - 2 AZR 852/95 - Rn. 20, aaO; BAG 16. Januar 1975 - 3 AZR 72/74 - AP HGB § 60 Nr. 8). Allerdings darf er, wenn ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach § 74 HGB nicht vereinbart ist, schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach seinem Ausscheiden die Gründung eines eigenen Unternehmens oder den Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen vorbereiten(vgl. Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15 mwN, aaO). Verboten ist lediglich die Aufnahme einer werbenden Tätigkeit, zB durch Vermittlung von Konkurrenzgeschäften oder aktives Abwerben von Kunden. Bloße Vorbereitungshandlungen, die in die Interessen des Arbeitgebers nicht unmittelbar eingreifen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht (Senat 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15, aaO).

23

bb) Das vertragliche Wettbewerbsverbot gilt während der gesamten rechtlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses. Deshalb darf ein Arbeitnehmer grundsätzlich auch nach Ausspruch einer von ihm gerichtlich angegriffenen außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers keine Konkurrenztätigkeit ausgeübt haben, wenn die Kündigung sich später als unwirksam herausstellt. Er ist in der Regel auch während des Kündigungsschutzprozesses an das vertragliche Wettbewerbsverbot gebunden(Senat 25. April 1991 - 2 AZR 624/90 - AP BGB § 626 Nr. 104 = EzA BGB § 626 nF Nr. 140). Dies gilt unabhängig davon, ob eine Karenzentschädigung angeboten (aA LAG Köln 4. Juli 1995 - 9 Sa 484/95 - zu II der Gründe, AP HGB § 75 Nr. 9; APS/Dörner 3. Aufl. § 1 KSchG Rn. 325) oder er vorläufig weiterbeschäftigt wird (aA MünchKommBGB/Henssler 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 124).

24

b) Ob das Wettbewerbsverbot im gekündigten Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht gleich weit reicht wie in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin jedenfalls durch die Weitergabe der persönlichen Daten von Patienten an die Firma „S“ ihre Vertragspflichten schuldhaft verletzt hat(§ 241 Abs. 2 BGB). Auf diese Weise hat sie nicht lediglich ihre Arbeitskraft verwertet, sondern die berechtigten wirtschaftlichen Interessen der Beklagten unmittelbar gefährdet. Es bestand zu befürchten, dass die Patienten dauerhaft zu dem (vermeintlich) neuen Arbeitgeber der Klägerin und somit zu einem Konkurrenzunternehmen wechseln würden. Dieses Verhalten der Klägerin ist nicht wegen § 615 Satz 2 BGB gerechtfertigt. Im Unterlassen vertragswidriger Konkurrenztätigkeit liegt kein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs. Die Klägerin war deshalb nicht etwa gehalten, das Angebot der Firma „S“ anzunehmen, insbesondere nicht, dieser Patientendaten zur Verfügung zu stellen.

25

c) Dennoch durfte das Landesarbeitsgericht annehmen, dass der Beklagten unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzumuten war.

26

aa) Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend und für alle Fälle einheitlich festlegen. Geht es um die Beurteilung rechtswidrigen schuldhaften Verhaltens des Arbeitnehmers, sind aber stets die beanstandungsfreie Dauer des Arbeitsverhältnisses, das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr und der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers zu berücksichtigen(vgl. Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 28, AP BGB § 626 Nr. 220; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11).

27

bb) Dem wird die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts gerecht. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sie keine wesentlichen Umstände außer Acht. Das Landesarbeitsgericht hat das Gewicht und die negativen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung für die Beklagte und den Grad des Verschuldens der Klägerin beachtet. Es hat nicht übersehen, dass die Klägerin versucht hat, die von ihr betreuten Patienten - gleichsam als „Startkapital“ - zur Firma „S“ mitzunehmen. Zwar hat es sich in seiner Abwägung mit diesem Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Dennoch hat es ihn tatsächlich berücksichtigt. Dies zeigen seine Ausführungen unter B I 2 der Entscheidungsgründe, wo - wenn auch in anderem Zusammenhang - die „Mitnahme von Patientendaten“ als ein gewichtiger Umstand gegen die Klägerin in Ansatz gebracht wird. Die Beklagte zeigt nicht auf, dass das Landesarbeitsgericht diesen Umstand auch angesichts der schwierigen Situation, in die sie selbst die Klägerin durch den Ausspruch der später zurückgezogenen fristlosen Kündigung gebracht hatte, unzureichend gewichtet hätte.

28

II. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 2. November 2007 ist aus den gleichen Gründen rechtsunwirksam. Soweit die Beklagte sie ergänzend darauf gestützt hat, dass die Klägerin beim Landschaftsverband einen Antrag auf Zulassung als „Leistungsanbieter im ambulant betreuten Wohnen“ gestellt und damit eine konkurrierende Selbständigkeit geplant habe, liegt kein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin noch keine unzulässige Konkurrenztätigkeit, sondern lediglich eine zulässige Vorbereitungshandlung gesehen.

29

Dem Arbeitnehmer ist es, wie dargelegt, während der rechtlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich nicht untersagt, eine spätere konkurrierende Selbständigkeit vorzubereiten, solange er nicht eine werbende Tätigkeit bereits aufnimmt(siehe B I 2 a aa der Gründe). Allein mit dem Antrag beim Landschaftsverband, sie als Leistungserbringerin zuzulassen, hat die Klägerin im Geschäftszweig der Beklagten noch nicht aktiv Wettbewerb betrieben und ihr Konkurrenz gemacht. Damit ist keine - weitere - Vertragspflichtverletzung gegeben, die die Beklagte zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde.

30

III. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. Oktober 2007 mit Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist am 30. November 2007 rechtswirksam beendet worden. Die Kündigung ist durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSd. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt.

31

1. Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer eine Vertragspflicht - in der Regel schuldhaft - erheblich verletzt hat, das Arbeitsverhältnis dadurch auch künftig konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen, weitere Störungen zuverlässig ausschließenden Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint(Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 12, EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77; 31. Mai 2007 - 2 AZR 200/06 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 57 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 71).

32

2. Auf der Basis des vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalts sind die Voraussetzungen für die soziale Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung erfüllt.

33

a) Die Klägerin hat - wie dargelegt - durch die Übermittlung der Daten der von ihr betreuten Patienten an ein Konkurrenzunternehmen ihre sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Beklagten verletzt.

34

b) Es bedurfte vor dem Ausspruch der Kündigung keiner vorherigen Abmahnung. Sie war entbehrlich, weil die Beklagte angesichts der von der Klägerin begangenen Pflichtverletzung annehmen durfte, die Klägerin werde sich in einer vergleichbaren Situation auch künftig und auch nach der vorausgegangenen Androhung einer Kündigung nicht anders verhalten. Der Klägerin war die Rechtswidrigkeit ihres Handelns ohne Weiteres erkennbar. Selbst mit einer erstmaligen Hinnahme ihres Verhaltens durch die Beklagte konnte sie nicht rechnen.

35

c) Die im Rahmen des § 1 Abs. 2 KSchG erforderliche Interessenabwägung führt nicht zur Sozialwidrigkeit der Kündigung. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Abwägung hält sich innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums.

36

Das Berufungsgericht hat alle wesentlichen Umstände in Erwägung gezogen. Zugunsten der Klägerin hat es auch die durch den Ausspruch der später zurückgezogenen ersten Kündigung verursachte finanzielle Zwangslage berücksichtigt. Seine Bewertung, der Beklagten könne gleichwohl eine dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat den Grad des Verschuldens der Klägerin und deren relativ kurze Betriebszugehörigkeit berücksichtigt und in vertretbarer Weise gegen die Belange der Beklagten abgewogen.

37

Soweit die Klägerin geltend macht, das Landesarbeitsgericht hätte berücksichtigen müssen, dass zwischen ihr und ihren ehemaligen Patienten ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden habe, zeigt sie kein Abwägungsdefizit auf. Das besondere Vertrauensverhältnis zu den Patienten hat keinen Einfluss auf die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Verpflichtungen der Parteien. Dass sie zur Abwendung einer ansonsten drohende unmittelbaren Gefahr für die Patienten überhaupt nicht anders hätte handeln können, hat die Klägerin nicht dargelegt.

38

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Eylert    

        

        

        

    Röder    

        

    Niebler    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 14. Mai 2008 - 4 Sa 508/07 - teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 6. August 2007 - 2 Ca 295/07 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst mit Ablauf des 30. April 2007 beendet worden ist.

3. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen und einer während der Kündigungsfrist erklärten fristlosen Kündigung.

2

Der 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Seit August 2001 war er bei dem Beklagten als Oberstufenlehrer für Kunst und Kunstgeschichte tätig.

3

Der Beklagte ist Träger einer Waldorfschule, einer genehmigten Ersatzschule im Sinne des Thüringer Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft idF der Bekanntmachung vom 30. April 2003 (GVBl. 2003, S. 150). Er beschäftigt etwa 60 Arbeitnehmer. Seine Selbstverwaltung erfolgt über Konferenzen - Klassenkonferenzen, Mentorenkonferenzen, Oberstufenkonferenzen und Schulführungskonferenzen -, wobei der jeweils „ranghöheren“ Konferenz das Recht zusteht, einen zu regelnden Sachverhalt an sich zu ziehen.

4

Im Arbeitsvertrag der Parteien heißt es auszugsweise:

        

„4. … 

        

Zur Tätigkeit eines Lehrers an einer Waldorfschule gehören auch die Teilnahme an den Aufgaben der Selbstverwaltung der Schule (Konferenzen) sowie die Elternarbeit und die Belange des Bundes der Freien Waldorfschulen. …

        

5. Es gilt eine beidseitige Kündigungsfrist von 6 Monaten zum 31. Juli.

        

Verändert sich die gesetzliche Kündigungsfrist eines Partners, so gilt dasselbe auch für den anderen Partner.

        

…       

        

Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses insbesondere dann nicht mehr möglich ist, wenn es kein Vertrauen mehr in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung gibt. Das Vertragsverhältnis ist dann entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen kündbar.

        

Bei etwaigen, die hier vereinbarte Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten verpflichten sich die Beteiligten, zunächst das interne Schlichtungsverfahren einzuleiten und rechtliche Schritte nur im Hinblick auf notwendige Fristeinhaltungen vorzunehmen.“

5

Schüler des Beklagten haben in der zwölften Klassenstufe eine sog. Jahresarbeit anzufertigen, mit der sie regelmäßig bereits in der elften Klasse beginnen. Die Arbeit wird durch eine Lehrkraft als Mentor betreut. Nach Fertigstellung sind mindestens zwei Ausfertigungen der Arbeit in der Schule abzugeben. Ein Exemplar ist als Korrekturexemplar für den Mentor bestimmt. Das weitere - gebundene - Exemplar erhält die Schule. Etwa 14 Tage später findet eine öffentliche Präsentation/Verteidigung der Arbeit vor der interessierten Schulöffentlichkeit und Elternschaft statt. Außerdem sind bei der Veranstaltung neben dem Mentor der zuständige Klassenbetreuer und ein Elternvertreter anwesend, die in das Bewertungsverfahren eingebunden sind. Anschließend folgt ein Auswertungsgespräch unter Beteiligung aller drei vorgenannten Personen in Anwesenheit des Schülers. Nach diesem Gespräch verbleibt das Schulexemplar in der Schulbibliothek zur öffentlichen Einsicht. Der Mentor hat dann die Aufgabe, die Jahresarbeit unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Auswertungsgesprächs zu bewerten. Bei bestehenden Differenzen ist die Mentorenkonferenz einzuschalten.

6

Seit dem Jahr 2004 kam es zu Auseinandersetzungen der Parteien über die Verpflichtung des Klägers, an der schulischen Selbstverwaltung teilzunehmen. In diesem Zusammenhang erteilte der Beklagte dem Kläger am 2. Juli 2004 zwei schriftliche Abmahnungen.

7

Beginnend mit dem Jahr 2006 betreute der Kläger als Mentor die Jahresarbeit des Schülers S. zum Thema: „Homepageprogrammierung auf HTML-Basis“. Im Januar 2007 gab S. zwei Exemplare seiner Arbeit in der Schule ab. Die Präsentation folgte am 27. Januar 2007. Im Auswertungsgespräch vom 30. Januar 2007 vertrat die zuständige Klassenbetreuerin - anders als der Kläger - die Auffassung, die Arbeit sei wegen inhaltlicher Mängel nicht anerkennungsfähig. Nach dem Gespräch nahm der Kläger - ohne Rücksprache - das Schulexemplar mit nach Hause, das Mentorenexemplar in Form einer Loseblattsammlung hatte er bereits.

8

Am 31. Januar 2007 wurde der Kläger zu einer für diesen Tag anberaumten Sonderkonferenz geladen. Er sagte, ua. wegen der Kurzfristigkeit der Ladung, seine Teilnahme ab; zugleich bat er, ihm „den Antrag auf die Aberkennung der Jahresarbeit“ von S. „bald schriftlich mitzuteilen“.

9

Mit Schreiben vom 31. Januar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis daraufhin ordentlich zum 31. Juli 2007. Am 1. Februar 2007 beurlaubte er den Kläger bis zu einem für den 5. Februar 2007 vereinbarten Schlichtungsgespräch. Zugleich erteilte er ihm Hausverbot. Während des Schlichtungsgesprächs forderte er den Kläger auf, der Schulführungskonferenz das (Schul-)Exemplar der Jahresarbeit zur Verfügung zu stellen. Mit Schreiben vom 7. Februar 2007 wiederholte er sein Verlangen unter Fristsetzung bis 9. Februar 2007. Darauf teilte der Kläger schriftlich mit: „Im Hinblick auf die Jahresarbeit können Sie sich an Frau G. wenden, die für das Schulexemplar zuständig ist.“. Auf erneutes, nunmehr anwaltliches Herausgabeverlangen des Beklagten gab er das Schulexemplar am 15. Februar 2007 zurück, nachdem er zuvor aus der Arbeit die Seite 17 entfernt hatte.

10

Am 19. Februar 2007 führten die Parteien ein weiteres Schlichtungsgespräch. Mit Schreiben vom 23. Februar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

11

Der Kläger hat gegen beide Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, er habe seine Vertragspflichten allenfalls unwesentlich verletzt. Das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. sei ihm anlässlich des Auswertungsgesprächs durch den Elternvertreter zur Aufbewahrung übergeben worden. Die Rückgabe der Arbeit sei für ihn deshalb „ein Problem“ gewesen, weil sich die Klassenbetreuerin im Auswertungsgespräch zur Qualität der Arbeit geäußert habe, ohne deren Inhalt genau zu kennen. Er habe verhindern wollen, dass seine Kollegin nachträglich Gelegenheit erhalte, die Arbeit zu lesen und dadurch ihr „voreingenommenes und negatives Urteil abzusichern“. Als zuständiger Mentor sei er bis zur abschließenden Bewertung berechtigt gewesen, die - inhaltlich im Übrigen bedeutungslose - Seite 17 zu entfernen. Sein Vorgehen sei, nachdem auf dieser Seite aufgeführte Zitate zu Beanstandungen durch Kollegen geführt hätten, zweckmäßig und mit dem Schüler abgestimmt gewesen. Die Kündigungen seien unverhältnismäßig. Im Übrigen fehle es an der ordnungsgemäßen Durchführung des vorgesehenen Schlichtungsverfahrens.

12

Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 weder fristlos noch ordentlich aufgelöst worden ist.

13

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, schon die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. unbefugt entwendet, rechtswidrig zurückgehalten und gefälscht. Dies wiege angesichts bestehender Differenzen über die Bewertung der Arbeit besonders schwer. Außerdem habe sich der Kläger über das erteilte Hausverbot hinweggesetzt und die gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen für Waldorfschulen missachtet. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist geendet. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Durchführung des in der Schulordnung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Die Ausübung des Kündigungsrechts sei kein „Konfliktfall“ im Sinne der dortigen Regelungen. Außerdem sei das Verfahren auch durchgeführt worden, es sei nur gescheitert.

14

Das Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung für gerechtfertigt erachtet und die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers ist teilweise begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Es hat aufgrund dieser Kündigung aber nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende am 30. April 2007 geendet. Auf die Wirksamkeit der zum 31. Juli 2007 erklärten ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 kommt es nicht an.

16

I. Die außerordentliche Kündigung vom 23. Februar 2007 ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund zur Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Ob die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kann dahinstehen.

17

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

18

2. Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Zwar liegt eine erhebliche Vertragspflichtverletzung des Klägers und damit „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Auch geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass es vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung bedurfte. Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unverhältnismäßig. Aufgrund der besonderen, vom Landesarbeitsgericht nicht hinreichend beachteten Umstände des Einzelfalls war es dem Beklagten zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.

19

a) Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - zu 2 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100). Da die ordentliche Kündigung die übliche und grundsätzlich ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - aaO; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 603; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 146).

20

b) Als Vertragspflichtverletzung, die grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann die erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (st. Rspr., bspw. Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220 mwN). Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht.

21

c) Im Streitfall kann offenbleiben, ob der Kläger seine Vertragspflichten bereits dadurch erheblich verletzt hat, dass er das Schulexemplar der Jahresarbeit nach dem Auswertungsgespräch ohne Einverständnis des Beklagten in seine Wohnung verbrachte und dem Zugriff des Beklagten entzog. Eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, jedenfalls darin, dass er das Schulexemplar entgegen wiederholter, ausdrücklicher Weisung des Beklagten nicht termingerecht, sondern erst nach anwaltlicher Aufforderung zurückgab und außerdem zuvor die Seite 17 der Jahresarbeit entfernt hatte.

22

aa) Der Beklagte war berechtigt, die sofortige Rückgabe des Schulexemplars zu verlangen. Ein Besitzrecht des Klägers bestand nicht. Die eingeräumte Herausgabefrist war ausreichend, um der Aufforderung nachzukommen. Der rechtmäßigen Weisung des Beklagten hat sich der Kläger auch nach seinem eigenen Vorbringen zumindest zeitweise vorsätzlich und nachhaltig widersetzt. Zudem hat er mit dem Schreiben vom 7. Februar 2007 gegenüber dem Beklagten bewusst den Eindruck erwecken wollen, gar nicht im Besitz des Schulexemplars zu sein. Anders lässt sich seine Erklärung, der Beklagte möge sich wegen des Schulexemplars an Frau G. wenden, nicht verstehen. Darüber hinaus war sein Verhalten, wie er selbst einräumt, darauf angelegt, die Bewertung der Arbeit durch die mitbeurteilende Klassenbetreuerin zu erschweren und vorübergehend unmöglich zu machen. Ein solches Vorgehen ist geeignet, das Vertrauen des Beklagten in die zuverlässige und pflichtgemäße Erfüllung der Arbeitsaufgaben des Klägers erheblich zu erschüttern.

23

bb) Eine weitere erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt darin, dass er eine Seite aus der Jahresarbeit entfernte und diese damit verfälschte.

24

(1) Die schriftliche Arbeit eines Schülers ist nach ihrer förmlichen Abgabe zur Bewertung grundsätzlich keiner inhaltlichen Änderung mehr zugänglich. Das zeigt auch das beim Beklagten praktizierte Beurteilungsverfahren. Grundlage der mündlichen Verteidigung der Arbeit, des Auswertungsgesprächs und der abschließenden Beurteilung durch den Mentor kann nur ein und dieselbe Leistung des Schülers sein, zumal die Präsentation der Arbeit, die auf der schriftlichen Ausarbeitung beruht, in die abschließende Bewertung einzufließen hat. Dementsprechend dient die Vorgabe, der Schule neben dem für den Mentor bestimmten Korrekturexemplar mindestens ein weiteres - gebundenes - Exemplar der Arbeit zu übergeben, erkennbar auch dazu, die Vollständigkeit der Arbeit zu gewährleisten und nachträgliche Veränderungen auszuschließen. Unterdrückt ein Lehrer in Kenntnis dieser Umstände Teile des Schulexemplars, verletzt er seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich. Ein solches Fehlverhalten betrifft den Kernbereich seiner Arbeitsaufgaben und berührt unmittelbar das Vertrauen in deren zuverlässige Ausführung.

25

(2) Sein Fehlverhalten ist dem Kläger vorwerfbar. Seine Einlassung, er sei davon ausgegangen, die Jahresarbeit in Absprache mit dem Schüler auch noch nach ihrer Abgabe inhaltlich verändern zu dürfen, hat das Landesarbeitsgericht - unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts - als Schutzbehauptung gewertet. Dies hält sich im Bewertungsspielraum der Tatsacheninstanz. Ein Verbotsirrtum des Klägers wäre jedenfalls vermeidbar gewesen. Es kommt nicht darauf an, ob die entfernte Seite für das behandelte Thema inhaltlich von Bedeutung war oder nicht. Der Schüler hatte die dort enthaltenen „Gedächtnisprotokolle zu Kommentaren der Lehrer“ zum Gegenstand der Arbeit gemacht und im Inhaltsverzeichnis ausdrücklich erwähnt. Hinzu kommt, dass die aufgeführten Zitate bereits Anstoß bei Lehrkräften erregt hatten. Für den Kläger war erkennbar, dass mit der Herausnahme der Seite auch die Nachprüfung einer Berechtigung dieser Beanstandungen wesentlich erschwert würde.

26

(3) Darauf, ob das Verhalten des Klägers strafrechtlich als Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) und/oder Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu bewerten ist, kommt es, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nicht an. Für die kündigungsrechtliche Bewertung ist nicht die strafrechtliche Beurteilung maßgeblich, sondern die Schwere der Vertragspflichtverletzung (st. Rspr., bspw. Senat 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12; 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53).

27

d) Liegt - wie hier - ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung „an sich“ vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn mildere Mittel als Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung ausscheiden (st. Rspr., bspw. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20). Mildere Mittel sind insbesondere die Abmahnung und die ordentliche Kündigung. Im Hinblick darauf ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig.

28

aa) Dies ist sie nicht deshalb, weil es vorrangig einer Abmahnung bedurft hätte.

29

(1) Zwar gilt das durch § 314 Abs. 2 BGB konkretisierte Erfordernis einer Abmahnung grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich(vgl. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20). Die Abmahnung ist aber, wie § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB zeigt, unter besonderen Umständen entbehrlich. Das ist der Fall, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, 33 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - aaO; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - zu II 4 der Gründe, BAGE 99, 331).

30

(2) Danach war eine Abmahnung entbehrlich. Der Kläger hat seine Arbeitsaufgaben im Kernbereich seiner Tätigkeit als Lehrkraft vorsätzlich und nachhaltig verletzt. Das gilt auch in Anbetracht der vorausgegangenen Auseinandersetzungen mit der Klassenbetreuerin über die Anerkennungsfähigkeit der Arbeit und der Bedenken von Kollegen gegen den Inhalt der entfernten Seite. Diese Umstände sind nicht geeignet, den mit der Pflichtverletzung verbundenen Vertrauensverlust abzuschwächen. Im Gegenteil: Gerade wegen dieser Konflikte musste der Kläger dem Beklagten möglichst zügig eine eigene Beurteilung der Arbeit und der umstrittenen Zitate ermöglichen. Stattdessen zeigt sein Bestreben, durch ein Zurückhalten der Arbeit die Klassenbetreuerin als nicht kompetent darzustellen, dass es ihm nicht um ein objektives und gerechtes Urteil über die Qualität der Arbeit ging, sondern um die Verfolgung sachfremder Motive. Dies zeigt ein Verständnis vom Inhalt seiner Arbeitsaufgaben und der eigenen Kompetenzen, das durch den Ausspruch einer Abmahnung den gesamten Umständen nach nicht zu beeinflussen ist. Eine Verhaltensänderung des Klägers stand deshalb auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten.

31

(3) Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unwirksam. Dem Beklagten war es unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls und der gebotenen Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zuzumuten, das Arbeitsverhältnis noch bis zum Ablauf der maßgebenden Kündigungsfrist fortzusetzen. Die gegenteilige Auffassung des Landesarbeitsgerichts, das sich die Erwägungen des Arbeitsgerichts zur Interessenabwägung nach § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen gemacht hat, berücksichtigt nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte.

32

(a) Zwar spricht zulasten des Klägers der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis auch aus anderen Gründen nicht beanstandungsfrei verlaufen ist. Das Arbeitsgericht hat auf Pflichtwidrigkeiten bezüglich der Teilnahme an Konferenzen hingewiesen. Dies wird, zumal der Kläger ein Fehlverhalten insoweit teilweise eingeräumt hatte, von der Revision nicht angegriffen. Auch konnte im Rahmen der Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger im Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007 keine Einsicht in die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens gezeigt hat. Dies muss als Indiz für eine Wiederholungsgefahr angesehen werden.

33

(b) Zum einen ist jedoch zu bedenken, dass die zur außerordentlichen Kündigung führende Pflichtwidrigkeit im Zusammenhang mit schriftlichen Prüfungsleistungen der Schüler stand, die in den Monaten nach Kündigungsanspruch nicht mehr anfielen. Zum anderen ist das Landesarbeitsgericht von einer unzutreffenden Frist ausgegangen, die der Beklagte bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung einzuhalten hätte. Dies ist nicht die Frist von sechs Monaten jeweils zum 31. Juli des Jahres nach Nr. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrages, sondern die gesetzliche Frist von zwei Monaten zum Monatsende nach Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Zumindest für die Dauer dieses Zeitraums war dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten.

34

(aa) Das Landesarbeitsgericht hat die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu den Kündigungsfristen nicht ausgelegt. Es hat auch nicht festgestellt, ob es sich dabei um typische oder untypische Klauseln handelt. Selbst wenn unterstellt wird, dass sie untypisch sind, kann der Senat sie eigenständig auslegen. Es geht um die Auslegung von Urkunden, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls, die der Auslegung eine bestimmte, der Beurteilung des Revisionsgerichts entzogene Richtung geben könnten, vorlägen (vgl. dazu BAG 5. Februar 2009 - 6 AZR 151/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 69 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 87; 28. Februar 1990 - 7 AZR 143/89 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 64, 220).

35

(bb) Der Arbeitsvertrag differenziert in Nr. 5 zwischen einer regulären Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 31. Juli (Nr. 5 Satz 1) und einer für den Fall mangelnden Vertrauens in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung vorgesehenen „Kündbarkeit entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen“ (Nr. 5 Satz 6). Dabei ist davon auszugehen, dass die beiden Regelungen jeweils abschließend und vollständig sind. So ist das Arbeitsverhältnis im Fall von Nr. 5 Satz 6 nicht nur zum 31. Juli kündbar. Die Festlegung dieses Termins in Nr. 5 Satz 1 beruht, ebenso wie die - lange - Dauer der dort bestimmten Kündigungsfrist von sechs Monaten erkennbar auf dem Bedürfnis nach personeller Kontinuität in der Lehrerschaft während eines laufenden Schuljahrs. Soweit es in den Fällen von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags stattdessen bei den gesetzlichen Kündigungsfristen verbleiben soll, betrifft dies Sachverhalte, die das pädagogische Selbstverständnis und die Tendenz des Beklagten als freier Schulträger berühren. Der offensichtliche Zweck der Regelung, Pflichtverletzungen in diesem Bereich mit einer möglichst kurzfristigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnen zu können, liefe weitgehend leer, wäre eine Kündigung auch dann - wenn auch mit kürzerer Frist - nur zum 31. Juli möglich.

36

(cc) Die in Rede stehende Pflichtverletzung ist aufgrund ihres Bezugs zur Erziehungsarbeit ein Anwendungsfall von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Bei einer Betriebszugehörigkeit des Klägers von etwas mehr als fünf Jahren gilt für ihn gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende.

37

3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Beklagte hat sich allerdings zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung ergänzend auf Verstöße gegen ein dem Kläger am 1. Februar 2007 erteiltes Hausverbot vom 7. Februar und 19. Februar 2007 sowie eine Missachtung der gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen an Waldorfschulen berufen. Insoweit fehlt es aber schon nach seinem eigenen Vorbringen an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Das Hausverbot war zunächst - unstreitig - bis 5. Februar 2007 ausgesprochen worden. Zwar hat der Beklagte behauptet, im Schlichtungsgespräch von diesem Tag sei vereinbart worden, dass es bis auf Weiteres bei den „Festlegungen vom 1. Februar 2007“ verbleiben solle. Es ist jedoch gut vorstellbar, dass der Kläger dies lediglich auf die ebenfalls am 1. Februar 2007 angeordnete Beurlaubung, nicht aber das Hausverbot bezogen hat, so dass eine Abmahnung schon zum Ausschluss eines nahe liegenden Irrtums des Klägers erforderlich war. Ähnliche Erwägungen gelten für die behauptete Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften im Hinblick auf die Vorbereitung der Schüler auf Abiturprüfungen. Soweit in dem Verhalten des Klägers überhaupt eine Pflichtverletzung liegt, erreicht diese nicht das für einen Kündigungsgrund iSv. § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Gewicht.

38

II. Ist das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden, kommt es darauf an, ob es - wie vom Beklagten geltend gemacht - durch ordentliche Kündigung beendet worden ist. Hierüber kann der Senat selbst entscheiden. Die Kündigung vom 23. Februar 2007 ist als ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG und damit wirksam.

39

1. Eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung kann in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist(Senat 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 33 mwN, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 1 a der Gründe, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24).

40

2. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, obliegt zwar grundsätzlich der Tatsacheninstanz (vgl. BGH 24. September 1980 - VIII ZR 299/79 - zu II 2 b der Gründe, NJW 1981, 43). Sie kann bei feststehendem Sachverhalt aber auch in der Revisionsinstanz erfolgen. Im Streitfall ist von einer derartigen Sachlage auszugehen. Auch hat sich der Beklagte ausdrücklich auf eine Umdeutung der fristlosen in eine ordentliche Kündigung berufen.

41

a) Der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 23. Februar 2007, mit dem der Beklagte das Arbeitsverhältnis „fristlos“ gekündigt hat, ließ für den Kläger den unbedingten Beendigungswillen des Beklagten erkennen. Hinzu kommt, dass der Beklagte das Arbeitsverhältnis bereits zuvor ordentlich gekündigt hatte. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es dem Beklagten darauf ankam, sich möglichst bald von ihm zu trennen.

42

b) Besondere Umstände, die den Schluss zuließen, der Beklagte habe mit der Kündigung vom 23. Februar 2007 ausschließlich die außerordentliche fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen wollen, und die deshalb einer Umdeutung entgegenstünden (Senat 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 2 c der Gründe mwN, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24), hat der Kläger nicht aufgezeigt.

43

3. Die Pflichtverletzung des Klägers im Zusammenhang mit der Jahresarbeit von S. rechtfertigt aus den angeführten Gründen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Eine Abmahnung war, wie ausgeführt, entbehrlich. Besondere Umstände des Einzelfalls, die ein anderes Ergebnis rechtfertigten, sind nicht ersichtlich.

44

4. Sonstige Unwirksamkeitsgründe liegen nicht vor. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil das interne Schlichtungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass nach der Regelung in Nr. 5 des Arbeitsvertrags das Schlichtungsverfahren zumindest bei einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung eingreifen soll. Der Arbeitsvertrag verlangt im Fall der „die Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten“ lediglich die „Einleitung“ des Verfahrens und nicht dessen Durchführung mit sämtlichen in der Schulordnung vorgesehenen Schritten. Das steht im Einklang mit der für das Schlichtungsverfahren getroffenen Regelung, wonach „jeder der angeführten Punkte zum Abbruch des Verfahrens führen kann“ und es somit an einer zwingenden Ausgestaltung des Verfahrens fehlt. Die Einleitung des Verfahrens war vor Ausspruch der - außerordentlichen - Kündigung unstreitig erfolgt. Das Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007, in das auch die Vorfälle um die Jahresarbeit einbezogen wurden, war erfolglos geblieben.

45

III. Hat das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 mit Ablauf des 30. April 2007 geendet, kommt es auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht mehr an.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Berger    

        

        

    zugleich für ehrenamtlichen Richter Dr. Bartel,
der an einer Unterzeichnung wegen des Endes
seiner Amtszeit verhindert ist    

        

        

    Jan Eulen    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 14. Mai 2008 - 4 Sa 508/07 - teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 6. August 2007 - 2 Ca 295/07 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst mit Ablauf des 30. April 2007 beendet worden ist.

3. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen und einer während der Kündigungsfrist erklärten fristlosen Kündigung.

2

Der 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Seit August 2001 war er bei dem Beklagten als Oberstufenlehrer für Kunst und Kunstgeschichte tätig.

3

Der Beklagte ist Träger einer Waldorfschule, einer genehmigten Ersatzschule im Sinne des Thüringer Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft idF der Bekanntmachung vom 30. April 2003 (GVBl. 2003, S. 150). Er beschäftigt etwa 60 Arbeitnehmer. Seine Selbstverwaltung erfolgt über Konferenzen - Klassenkonferenzen, Mentorenkonferenzen, Oberstufenkonferenzen und Schulführungskonferenzen -, wobei der jeweils „ranghöheren“ Konferenz das Recht zusteht, einen zu regelnden Sachverhalt an sich zu ziehen.

4

Im Arbeitsvertrag der Parteien heißt es auszugsweise:

        

„4. … 

        

Zur Tätigkeit eines Lehrers an einer Waldorfschule gehören auch die Teilnahme an den Aufgaben der Selbstverwaltung der Schule (Konferenzen) sowie die Elternarbeit und die Belange des Bundes der Freien Waldorfschulen. …

        

5. Es gilt eine beidseitige Kündigungsfrist von 6 Monaten zum 31. Juli.

        

Verändert sich die gesetzliche Kündigungsfrist eines Partners, so gilt dasselbe auch für den anderen Partner.

        

…       

        

Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses insbesondere dann nicht mehr möglich ist, wenn es kein Vertrauen mehr in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung gibt. Das Vertragsverhältnis ist dann entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen kündbar.

        

Bei etwaigen, die hier vereinbarte Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten verpflichten sich die Beteiligten, zunächst das interne Schlichtungsverfahren einzuleiten und rechtliche Schritte nur im Hinblick auf notwendige Fristeinhaltungen vorzunehmen.“

5

Schüler des Beklagten haben in der zwölften Klassenstufe eine sog. Jahresarbeit anzufertigen, mit der sie regelmäßig bereits in der elften Klasse beginnen. Die Arbeit wird durch eine Lehrkraft als Mentor betreut. Nach Fertigstellung sind mindestens zwei Ausfertigungen der Arbeit in der Schule abzugeben. Ein Exemplar ist als Korrekturexemplar für den Mentor bestimmt. Das weitere - gebundene - Exemplar erhält die Schule. Etwa 14 Tage später findet eine öffentliche Präsentation/Verteidigung der Arbeit vor der interessierten Schulöffentlichkeit und Elternschaft statt. Außerdem sind bei der Veranstaltung neben dem Mentor der zuständige Klassenbetreuer und ein Elternvertreter anwesend, die in das Bewertungsverfahren eingebunden sind. Anschließend folgt ein Auswertungsgespräch unter Beteiligung aller drei vorgenannten Personen in Anwesenheit des Schülers. Nach diesem Gespräch verbleibt das Schulexemplar in der Schulbibliothek zur öffentlichen Einsicht. Der Mentor hat dann die Aufgabe, die Jahresarbeit unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Auswertungsgesprächs zu bewerten. Bei bestehenden Differenzen ist die Mentorenkonferenz einzuschalten.

6

Seit dem Jahr 2004 kam es zu Auseinandersetzungen der Parteien über die Verpflichtung des Klägers, an der schulischen Selbstverwaltung teilzunehmen. In diesem Zusammenhang erteilte der Beklagte dem Kläger am 2. Juli 2004 zwei schriftliche Abmahnungen.

7

Beginnend mit dem Jahr 2006 betreute der Kläger als Mentor die Jahresarbeit des Schülers S. zum Thema: „Homepageprogrammierung auf HTML-Basis“. Im Januar 2007 gab S. zwei Exemplare seiner Arbeit in der Schule ab. Die Präsentation folgte am 27. Januar 2007. Im Auswertungsgespräch vom 30. Januar 2007 vertrat die zuständige Klassenbetreuerin - anders als der Kläger - die Auffassung, die Arbeit sei wegen inhaltlicher Mängel nicht anerkennungsfähig. Nach dem Gespräch nahm der Kläger - ohne Rücksprache - das Schulexemplar mit nach Hause, das Mentorenexemplar in Form einer Loseblattsammlung hatte er bereits.

8

Am 31. Januar 2007 wurde der Kläger zu einer für diesen Tag anberaumten Sonderkonferenz geladen. Er sagte, ua. wegen der Kurzfristigkeit der Ladung, seine Teilnahme ab; zugleich bat er, ihm „den Antrag auf die Aberkennung der Jahresarbeit“ von S. „bald schriftlich mitzuteilen“.

9

Mit Schreiben vom 31. Januar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis daraufhin ordentlich zum 31. Juli 2007. Am 1. Februar 2007 beurlaubte er den Kläger bis zu einem für den 5. Februar 2007 vereinbarten Schlichtungsgespräch. Zugleich erteilte er ihm Hausverbot. Während des Schlichtungsgesprächs forderte er den Kläger auf, der Schulführungskonferenz das (Schul-)Exemplar der Jahresarbeit zur Verfügung zu stellen. Mit Schreiben vom 7. Februar 2007 wiederholte er sein Verlangen unter Fristsetzung bis 9. Februar 2007. Darauf teilte der Kläger schriftlich mit: „Im Hinblick auf die Jahresarbeit können Sie sich an Frau G. wenden, die für das Schulexemplar zuständig ist.“. Auf erneutes, nunmehr anwaltliches Herausgabeverlangen des Beklagten gab er das Schulexemplar am 15. Februar 2007 zurück, nachdem er zuvor aus der Arbeit die Seite 17 entfernt hatte.

10

Am 19. Februar 2007 führten die Parteien ein weiteres Schlichtungsgespräch. Mit Schreiben vom 23. Februar 2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

11

Der Kläger hat gegen beide Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, er habe seine Vertragspflichten allenfalls unwesentlich verletzt. Das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. sei ihm anlässlich des Auswertungsgesprächs durch den Elternvertreter zur Aufbewahrung übergeben worden. Die Rückgabe der Arbeit sei für ihn deshalb „ein Problem“ gewesen, weil sich die Klassenbetreuerin im Auswertungsgespräch zur Qualität der Arbeit geäußert habe, ohne deren Inhalt genau zu kennen. Er habe verhindern wollen, dass seine Kollegin nachträglich Gelegenheit erhalte, die Arbeit zu lesen und dadurch ihr „voreingenommenes und negatives Urteil abzusichern“. Als zuständiger Mentor sei er bis zur abschließenden Bewertung berechtigt gewesen, die - inhaltlich im Übrigen bedeutungslose - Seite 17 zu entfernen. Sein Vorgehen sei, nachdem auf dieser Seite aufgeführte Zitate zu Beanstandungen durch Kollegen geführt hätten, zweckmäßig und mit dem Schüler abgestimmt gewesen. Die Kündigungen seien unverhältnismäßig. Im Übrigen fehle es an der ordnungsgemäßen Durchführung des vorgesehenen Schlichtungsverfahrens.

12

Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 weder fristlos noch ordentlich aufgelöst worden ist.

13

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, schon die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe das Schulexemplar der Jahresarbeit von S. unbefugt entwendet, rechtswidrig zurückgehalten und gefälscht. Dies wiege angesichts bestehender Differenzen über die Bewertung der Arbeit besonders schwer. Außerdem habe sich der Kläger über das erteilte Hausverbot hinweggesetzt und die gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen für Waldorfschulen missachtet. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist geendet. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Durchführung des in der Schulordnung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Die Ausübung des Kündigungsrechts sei kein „Konfliktfall“ im Sinne der dortigen Regelungen. Außerdem sei das Verfahren auch durchgeführt worden, es sei nur gescheitert.

14

Das Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung für gerechtfertigt erachtet und die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers ist teilweise begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Es hat aufgrund dieser Kündigung aber nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende am 30. April 2007 geendet. Auf die Wirksamkeit der zum 31. Juli 2007 erklärten ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 kommt es nicht an.

16

I. Die außerordentliche Kündigung vom 23. Februar 2007 ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund zur Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Ob die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kann dahinstehen.

17

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

18

2. Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand. Zwar liegt eine erhebliche Vertragspflichtverletzung des Klägers und damit „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Auch geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass es vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung bedurfte. Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unverhältnismäßig. Aufgrund der besonderen, vom Landesarbeitsgericht nicht hinreichend beachteten Umstände des Einzelfalls war es dem Beklagten zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.

19

a) Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 21, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - zu 2 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100). Da die ordentliche Kündigung die übliche und grundsätzlich ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - aaO; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 603; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 146).

20

b) Als Vertragspflichtverletzung, die grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann die erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen (st. Rspr., bspw. Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 220 mwN). Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht.

21

c) Im Streitfall kann offenbleiben, ob der Kläger seine Vertragspflichten bereits dadurch erheblich verletzt hat, dass er das Schulexemplar der Jahresarbeit nach dem Auswertungsgespräch ohne Einverständnis des Beklagten in seine Wohnung verbrachte und dem Zugriff des Beklagten entzog. Eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, jedenfalls darin, dass er das Schulexemplar entgegen wiederholter, ausdrücklicher Weisung des Beklagten nicht termingerecht, sondern erst nach anwaltlicher Aufforderung zurückgab und außerdem zuvor die Seite 17 der Jahresarbeit entfernt hatte.

22

aa) Der Beklagte war berechtigt, die sofortige Rückgabe des Schulexemplars zu verlangen. Ein Besitzrecht des Klägers bestand nicht. Die eingeräumte Herausgabefrist war ausreichend, um der Aufforderung nachzukommen. Der rechtmäßigen Weisung des Beklagten hat sich der Kläger auch nach seinem eigenen Vorbringen zumindest zeitweise vorsätzlich und nachhaltig widersetzt. Zudem hat er mit dem Schreiben vom 7. Februar 2007 gegenüber dem Beklagten bewusst den Eindruck erwecken wollen, gar nicht im Besitz des Schulexemplars zu sein. Anders lässt sich seine Erklärung, der Beklagte möge sich wegen des Schulexemplars an Frau G. wenden, nicht verstehen. Darüber hinaus war sein Verhalten, wie er selbst einräumt, darauf angelegt, die Bewertung der Arbeit durch die mitbeurteilende Klassenbetreuerin zu erschweren und vorübergehend unmöglich zu machen. Ein solches Vorgehen ist geeignet, das Vertrauen des Beklagten in die zuverlässige und pflichtgemäße Erfüllung der Arbeitsaufgaben des Klägers erheblich zu erschüttern.

23

bb) Eine weitere erhebliche Pflichtverletzung des Klägers liegt darin, dass er eine Seite aus der Jahresarbeit entfernte und diese damit verfälschte.

24

(1) Die schriftliche Arbeit eines Schülers ist nach ihrer förmlichen Abgabe zur Bewertung grundsätzlich keiner inhaltlichen Änderung mehr zugänglich. Das zeigt auch das beim Beklagten praktizierte Beurteilungsverfahren. Grundlage der mündlichen Verteidigung der Arbeit, des Auswertungsgesprächs und der abschließenden Beurteilung durch den Mentor kann nur ein und dieselbe Leistung des Schülers sein, zumal die Präsentation der Arbeit, die auf der schriftlichen Ausarbeitung beruht, in die abschließende Bewertung einzufließen hat. Dementsprechend dient die Vorgabe, der Schule neben dem für den Mentor bestimmten Korrekturexemplar mindestens ein weiteres - gebundenes - Exemplar der Arbeit zu übergeben, erkennbar auch dazu, die Vollständigkeit der Arbeit zu gewährleisten und nachträgliche Veränderungen auszuschließen. Unterdrückt ein Lehrer in Kenntnis dieser Umstände Teile des Schulexemplars, verletzt er seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich. Ein solches Fehlverhalten betrifft den Kernbereich seiner Arbeitsaufgaben und berührt unmittelbar das Vertrauen in deren zuverlässige Ausführung.

25

(2) Sein Fehlverhalten ist dem Kläger vorwerfbar. Seine Einlassung, er sei davon ausgegangen, die Jahresarbeit in Absprache mit dem Schüler auch noch nach ihrer Abgabe inhaltlich verändern zu dürfen, hat das Landesarbeitsgericht - unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts - als Schutzbehauptung gewertet. Dies hält sich im Bewertungsspielraum der Tatsacheninstanz. Ein Verbotsirrtum des Klägers wäre jedenfalls vermeidbar gewesen. Es kommt nicht darauf an, ob die entfernte Seite für das behandelte Thema inhaltlich von Bedeutung war oder nicht. Der Schüler hatte die dort enthaltenen „Gedächtnisprotokolle zu Kommentaren der Lehrer“ zum Gegenstand der Arbeit gemacht und im Inhaltsverzeichnis ausdrücklich erwähnt. Hinzu kommt, dass die aufgeführten Zitate bereits Anstoß bei Lehrkräften erregt hatten. Für den Kläger war erkennbar, dass mit der Herausnahme der Seite auch die Nachprüfung einer Berechtigung dieser Beanstandungen wesentlich erschwert würde.

26

(3) Darauf, ob das Verhalten des Klägers strafrechtlich als Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) und/oder Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu bewerten ist, kommt es, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nicht an. Für die kündigungsrechtliche Bewertung ist nicht die strafrechtliche Beurteilung maßgeblich, sondern die Schwere der Vertragspflichtverletzung (st. Rspr., bspw. Senat 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12; 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53).

27

d) Liegt - wie hier - ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung „an sich“ vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn mildere Mittel als Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung ausscheiden (st. Rspr., bspw. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20). Mildere Mittel sind insbesondere die Abmahnung und die ordentliche Kündigung. Im Hinblick darauf ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig.

28

aa) Dies ist sie nicht deshalb, weil es vorrangig einer Abmahnung bedurft hätte.

29

(1) Zwar gilt das durch § 314 Abs. 2 BGB konkretisierte Erfordernis einer Abmahnung grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich(vgl. Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20). Die Abmahnung ist aber, wie § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB zeigt, unter besonderen Umständen entbehrlich. Das ist der Fall, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass die Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, 33 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - aaO; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - zu II 4 der Gründe, BAGE 99, 331).

30

(2) Danach war eine Abmahnung entbehrlich. Der Kläger hat seine Arbeitsaufgaben im Kernbereich seiner Tätigkeit als Lehrkraft vorsätzlich und nachhaltig verletzt. Das gilt auch in Anbetracht der vorausgegangenen Auseinandersetzungen mit der Klassenbetreuerin über die Anerkennungsfähigkeit der Arbeit und der Bedenken von Kollegen gegen den Inhalt der entfernten Seite. Diese Umstände sind nicht geeignet, den mit der Pflichtverletzung verbundenen Vertrauensverlust abzuschwächen. Im Gegenteil: Gerade wegen dieser Konflikte musste der Kläger dem Beklagten möglichst zügig eine eigene Beurteilung der Arbeit und der umstrittenen Zitate ermöglichen. Stattdessen zeigt sein Bestreben, durch ein Zurückhalten der Arbeit die Klassenbetreuerin als nicht kompetent darzustellen, dass es ihm nicht um ein objektives und gerechtes Urteil über die Qualität der Arbeit ging, sondern um die Verfolgung sachfremder Motive. Dies zeigt ein Verständnis vom Inhalt seiner Arbeitsaufgaben und der eigenen Kompetenzen, das durch den Ausspruch einer Abmahnung den gesamten Umständen nach nicht zu beeinflussen ist. Eine Verhaltensänderung des Klägers stand deshalb auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten.

31

(3) Dennoch erweist sich die fristlose Kündigung als unwirksam. Dem Beklagten war es unter Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls und der gebotenen Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zuzumuten, das Arbeitsverhältnis noch bis zum Ablauf der maßgebenden Kündigungsfrist fortzusetzen. Die gegenteilige Auffassung des Landesarbeitsgerichts, das sich die Erwägungen des Arbeitsgerichts zur Interessenabwägung nach § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen gemacht hat, berücksichtigt nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte.

32

(a) Zwar spricht zulasten des Klägers der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis auch aus anderen Gründen nicht beanstandungsfrei verlaufen ist. Das Arbeitsgericht hat auf Pflichtwidrigkeiten bezüglich der Teilnahme an Konferenzen hingewiesen. Dies wird, zumal der Kläger ein Fehlverhalten insoweit teilweise eingeräumt hatte, von der Revision nicht angegriffen. Auch konnte im Rahmen der Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger im Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007 keine Einsicht in die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens gezeigt hat. Dies muss als Indiz für eine Wiederholungsgefahr angesehen werden.

33

(b) Zum einen ist jedoch zu bedenken, dass die zur außerordentlichen Kündigung führende Pflichtwidrigkeit im Zusammenhang mit schriftlichen Prüfungsleistungen der Schüler stand, die in den Monaten nach Kündigungsanspruch nicht mehr anfielen. Zum anderen ist das Landesarbeitsgericht von einer unzutreffenden Frist ausgegangen, die der Beklagte bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung einzuhalten hätte. Dies ist nicht die Frist von sechs Monaten jeweils zum 31. Juli des Jahres nach Nr. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrages, sondern die gesetzliche Frist von zwei Monaten zum Monatsende nach Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Zumindest für die Dauer dieses Zeitraums war dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten.

34

(aa) Das Landesarbeitsgericht hat die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu den Kündigungsfristen nicht ausgelegt. Es hat auch nicht festgestellt, ob es sich dabei um typische oder untypische Klauseln handelt. Selbst wenn unterstellt wird, dass sie untypisch sind, kann der Senat sie eigenständig auslegen. Es geht um die Auslegung von Urkunden, ohne dass besondere Umstände des Einzelfalls, die der Auslegung eine bestimmte, der Beurteilung des Revisionsgerichts entzogene Richtung geben könnten, vorlägen (vgl. dazu BAG 5. Februar 2009 - 6 AZR 151/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 69 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 87; 28. Februar 1990 - 7 AZR 143/89 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 64, 220).

35

(bb) Der Arbeitsvertrag differenziert in Nr. 5 zwischen einer regulären Kündigungsfrist von sechs Monaten zum 31. Juli (Nr. 5 Satz 1) und einer für den Fall mangelnden Vertrauens in die Erziehungsarbeit oder in die Mitwirkung bei der Selbstverwaltung vorgesehenen „Kündbarkeit entsprechend den gesetzlichen Kündigungsfristen“ (Nr. 5 Satz 6). Dabei ist davon auszugehen, dass die beiden Regelungen jeweils abschließend und vollständig sind. So ist das Arbeitsverhältnis im Fall von Nr. 5 Satz 6 nicht nur zum 31. Juli kündbar. Die Festlegung dieses Termins in Nr. 5 Satz 1 beruht, ebenso wie die - lange - Dauer der dort bestimmten Kündigungsfrist von sechs Monaten erkennbar auf dem Bedürfnis nach personeller Kontinuität in der Lehrerschaft während eines laufenden Schuljahrs. Soweit es in den Fällen von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags stattdessen bei den gesetzlichen Kündigungsfristen verbleiben soll, betrifft dies Sachverhalte, die das pädagogische Selbstverständnis und die Tendenz des Beklagten als freier Schulträger berühren. Der offensichtliche Zweck der Regelung, Pflichtverletzungen in diesem Bereich mit einer möglichst kurzfristigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnen zu können, liefe weitgehend leer, wäre eine Kündigung auch dann - wenn auch mit kürzerer Frist - nur zum 31. Juli möglich.

36

(cc) Die in Rede stehende Pflichtverletzung ist aufgrund ihres Bezugs zur Erziehungsarbeit ein Anwendungsfall von Nr. 5 Satz 6 des Vertrags. Bei einer Betriebszugehörigkeit des Klägers von etwas mehr als fünf Jahren gilt für ihn gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende.

37

3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Beklagte hat sich allerdings zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung ergänzend auf Verstöße gegen ein dem Kläger am 1. Februar 2007 erteiltes Hausverbot vom 7. Februar und 19. Februar 2007 sowie eine Missachtung der gesetzlichen Vorschriften für Abiturprüfungen an Waldorfschulen berufen. Insoweit fehlt es aber schon nach seinem eigenen Vorbringen an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Das Hausverbot war zunächst - unstreitig - bis 5. Februar 2007 ausgesprochen worden. Zwar hat der Beklagte behauptet, im Schlichtungsgespräch von diesem Tag sei vereinbart worden, dass es bis auf Weiteres bei den „Festlegungen vom 1. Februar 2007“ verbleiben solle. Es ist jedoch gut vorstellbar, dass der Kläger dies lediglich auf die ebenfalls am 1. Februar 2007 angeordnete Beurlaubung, nicht aber das Hausverbot bezogen hat, so dass eine Abmahnung schon zum Ausschluss eines nahe liegenden Irrtums des Klägers erforderlich war. Ähnliche Erwägungen gelten für die behauptete Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften im Hinblick auf die Vorbereitung der Schüler auf Abiturprüfungen. Soweit in dem Verhalten des Klägers überhaupt eine Pflichtverletzung liegt, erreicht diese nicht das für einen Kündigungsgrund iSv. § 626 Abs. 1 BGB erforderliche Gewicht.

38

II. Ist das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden, kommt es darauf an, ob es - wie vom Beklagten geltend gemacht - durch ordentliche Kündigung beendet worden ist. Hierüber kann der Senat selbst entscheiden. Die Kündigung vom 23. Februar 2007 ist als ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG und damit wirksam.

39

1. Eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung kann in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist(Senat 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 33 mwN, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 1 a der Gründe, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24).

40

2. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, obliegt zwar grundsätzlich der Tatsacheninstanz (vgl. BGH 24. September 1980 - VIII ZR 299/79 - zu II 2 b der Gründe, NJW 1981, 43). Sie kann bei feststehendem Sachverhalt aber auch in der Revisionsinstanz erfolgen. Im Streitfall ist von einer derartigen Sachlage auszugehen. Auch hat sich der Beklagte ausdrücklich auf eine Umdeutung der fristlosen in eine ordentliche Kündigung berufen.

41

a) Der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 23. Februar 2007, mit dem der Beklagte das Arbeitsverhältnis „fristlos“ gekündigt hat, ließ für den Kläger den unbedingten Beendigungswillen des Beklagten erkennen. Hinzu kommt, dass der Beklagte das Arbeitsverhältnis bereits zuvor ordentlich gekündigt hatte. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es dem Beklagten darauf ankam, sich möglichst bald von ihm zu trennen.

42

b) Besondere Umstände, die den Schluss zuließen, der Beklagte habe mit der Kündigung vom 23. Februar 2007 ausschließlich die außerordentliche fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen wollen, und die deshalb einer Umdeutung entgegenstünden (Senat 15. November 2001 - 2 AZR 310/00 - zu B I 2 c der Gründe mwN, AP BGB § 140 Nr. 13 = EzA BGB § 140 Nr. 24), hat der Kläger nicht aufgezeigt.

43

3. Die Pflichtverletzung des Klägers im Zusammenhang mit der Jahresarbeit von S. rechtfertigt aus den angeführten Gründen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Eine Abmahnung war, wie ausgeführt, entbehrlich. Besondere Umstände des Einzelfalls, die ein anderes Ergebnis rechtfertigten, sind nicht ersichtlich.

44

4. Sonstige Unwirksamkeitsgründe liegen nicht vor. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil das interne Schlichtungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass nach der Regelung in Nr. 5 des Arbeitsvertrags das Schlichtungsverfahren zumindest bei einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung eingreifen soll. Der Arbeitsvertrag verlangt im Fall der „die Zusammenarbeit betreffenden Streitigkeiten“ lediglich die „Einleitung“ des Verfahrens und nicht dessen Durchführung mit sämtlichen in der Schulordnung vorgesehenen Schritten. Das steht im Einklang mit der für das Schlichtungsverfahren getroffenen Regelung, wonach „jeder der angeführten Punkte zum Abbruch des Verfahrens führen kann“ und es somit an einer zwingenden Ausgestaltung des Verfahrens fehlt. Die Einleitung des Verfahrens war vor Ausspruch der - außerordentlichen - Kündigung unstreitig erfolgt. Das Schlichtungsgespräch vom 19. Februar 2007, in das auch die Vorfälle um die Jahresarbeit einbezogen wurden, war erfolglos geblieben.

45

III. Hat das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 23. Februar 2007 mit Ablauf des 30. April 2007 geendet, kommt es auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 31. Januar 2007 nicht mehr an.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Berger    

        

        

    zugleich für ehrenamtlichen Richter Dr. Bartel,
der an einer Unterzeichnung wegen des Endes
seiner Amtszeit verhindert ist    

        

        

    Jan Eulen    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 257/03 Verkündet am:
12. März 2004
W i l m s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
ZPO (2002) § 529 Abs. 1 Nr. 1
Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen
des erstinstanzlichen Gerichts begründen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern
ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen
sind.
ZPO (2002) § 529 Abs. 1
Ist eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht geboten, so beurteilt sich die
Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen
Beweisaufnahme verpflichtet ist, nach denselben Grundsätzen wie aus der Zeit vor Geltung
des Zivilprozeßreformgesetzes.
ZPO (2002) § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3
Wird in der Berufungsbegründung gerügt, das erstinstanzliche Gericht habe Parteivorbringen
übergangen, so ist eine genaue Bezeichnung unter Angabe der Fundstelle in den
Schriftsätzen der Vorinstanz nicht erforderlich.
ZPO (2002) § 529 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1
Auch bei einem Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts obliegt dem Berufungsgericht
nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle
des erstinstanzlichen Urteils ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge.
Für schriftsätzlich angekündigtes Vorbringen kommt dem Urteilstatbestand keine negative
Beweiskraft zu.
BGH, Urt. v. 12. März 2004 - V ZR 257/03 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. März 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin
Dr. Stresemann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. August 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte war von der Stadt O. beauftragt, auf einem ehemaligen Kasernengelände gelegene Grundstücke und Wohnungen zu vermarkten. Mit notariellem Vertrag vom 8. Juli 1999 verkaufte sie eine durch Ausbau des Dachgeschosses eines Hauses noch zu errichtende Wohnung zum Preis von 444.000 DM an die Klägerin.
Dem Vertragsschluß vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen einer Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin Dr. L. , und der Klägerin, die von ihrem Bekannten, dem Zeugen Rechtsanwalt W. , begleitet wur-
de. Nach den Behauptungen der Klägerin erklärte Dr. L. während der Verhandlungen, auf dem der künftigen Dachgeschoßwohnung gegenüber liegenden Grundstück der Beklagten solle ein lediglich zweigeschossiges Gebäude errichtet werden, so daß die Sicht aus der Wohnung auf den Taunus uneingeschränkt erhalten bleibe. Tatsächlich war bereits zu diesem Zeitpunkt der - zwischenzeitlich begonnene - Bau eines viergeschossigen Wohn- und Geschäftshauses durch einen Investor geplant, wovon die Klägerin erst nach Bezug der Wohnung Kenntnis erhielt. Die mehr als zweigeschossige Nachbarbebauung , so hat die Klägerin behauptet, habe zu einem um 20 % geminderten Wert der Wohnung geführt.
Sie verlangt daher Schadensersatz in Höhe von 20 % des Kaufpreises sowie entsprechend geminderter Erwerbskosten und nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung von 47.613,80 Landgericht hat die Klage nach Vernehmung des Zeugen W. und der Zeugin Dr. L. über den Inhalt der Vertragsverhandlungen abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gewandt und insbesondere gerügt, daß das Landgericht die Zeugen nicht gehört habe, die sie zur Erschütterung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. benannt habe. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht hält die Klage auf der Grundlage der in erster Instanz getroffenen Feststellungen für unbegründet. Die von der Klägerin behaupteten Falschangaben der Zeugin Dr. L. zur zweigeschossigen Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks seien nicht bewiesen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen in der Berufungsinstanz gebieten könnten, habe die Klägerin nicht aufgezeigt. Die von dem Eingangsgericht vorgenommene Beweiswürdigung unterliege zwar gewissen Zweifeln, sei im Ergebnis jedoch zutreffend. Soweit die Klägerin das Übergehen erstinstanzlicher Beweisanträge gerügt habe, betreffe dies einen nicht von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel , der gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen könne, wenn er nach Maßgabe des § 520 Abs. 3 ZPO in der Berufungsbegründung ordnungsgemäß geltend gemacht worden sei. Diesen Anforderungen entspreche die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge nicht, weil es an einer konkreten Bezeichnung der angebotenen Zeugen und der Angabe des genauen Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote fehle.
Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

II.


1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts. Für den Fall, daß - wie die Klägerin behauptet - die für die Beklagte handelnde Zeugin Dr. L. im Rahmen der Vertragsverhandlungen unzutreffende Angaben zu der geplanten Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks gemacht haben sollte, wären die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß erfüllt (vgl. Senat, Urt. v. 20. September 1996, V ZR 173/95, NJW-RR 1997, 144, 145; Urt. v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302). Die Gewährleistungsvorschriften des hier weiterhin anwendbaren früheren Rechts (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) sind nicht einschlägig und stehen mithin einer Haftung der Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht entgegen. Der Umstand, daß der gegenwärtige oder zukünftige Eigentümer eines benachbarten Grundstücks zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht den Willen hat, dieses entsprechend den baurechtlichen Möglichkeiten zu bebauen, stellt keine Eigenschaft des veräußerten Objekts, deren Fehlen als Sachmangel qualifiziert werden könnte (BGH, Urt. v. 14. Januar 1993, IX ZR 206/91, NJW 1993, 1323, 1324).
2. Hingegen rügt die Revision mit Erfolg, daß das Berufungsgericht erneute Feststellungen zu dem zwischen den Parteien streitigen Inhalt der Vertragsverhandlungen unter Verletzung des Verfahrensrechts abgelehnt hat. Auch nach neuem Recht unterliegen Berufungsurteile auf entsprechende Verfahrensrüge hinsichtlich der vollständigen Berücksichtigung des Streitstoffs und der Beweisangebote der Überprüfung durch das Revisionsgericht (MünchKomm -ZPO/Wenzel, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 546 Rdn. 15). Dies führt vorliegend zu dem Ergebnis, daß sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an
der Vollständigkeit des von dem Eingangsgericht zugrunde gelegten Sachverhalts , die nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO erneute Feststellungen des Berufungsgerichts gebieten, sowohl aus Fehlern der Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Urteil (a), als auch aus dem Übergehen erstinstanzlichen Vorbringens der Klägerin (b) ergeben.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 100; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann , NJW 2003, 169, 171).
aa) Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind (Hannich /Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 529 Rdn. 21; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rdn. 8). Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urt. v. 11. Februar 1987, IVb ZR 23/86, NJW 1987, 1557, 1558; Senat, Urt. v. 9. Juli 1999, V ZR 12/98, NJW 1999, 3481, 3482). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt unter anderem dann vor,
wenn Umständen Indizwirkungen zuerkannt werden, die sie nicht haben können , oder wenn die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH, Urt. v. 22. Januar 1991, VI ZR 97/90, NJW 1991, 1894, 1895; Urt. v. 23. Januar 1997, I ZR 29/94, NJW 1997, 2757, 2759).
(1) Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil zumindest insoweit fehlerhaft, als es um die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. geht. Dessen Bekundungen hat das Gericht erster Instanz vor allem deshalb für unglaubhaft gehalten, weil der Zeuge die angebliche Zusicherung der Zeugin Dr. L. , das gegenüberliegende Grundstück werde nur zweigeschossig bebaut, nicht überprüft und sich insbesondere bei der Stadt O. nicht nach dem Bestand und dem Inhalt eines etwaigen Bebauungsplans erkundigt habe. Diesem Umstand kommt indes die ihm vom Gericht zuerkannte Indizwirkung nicht zu. Es ist nicht ersichtlich , aus welchem Grund für den Zeugen W. , der an den Vertragsverhandlungen nicht als beauftragter Rechtsanwalt, sondern allein wegen seiner Bekanntschaft mit der Klägerin teilgenommen hatte, Anlaß bestehen konnte, Erkundigungen zu den Äußerungen der Zeugin Dr. L. einzuholen. Zudem ist das herangezogene Indiz auch auf Grund seiner Ambivalenz nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. in Frage zu stellen. Selbst für die Klägerin gab es nämlich keine Veranlassung, die von der Zeugin Dr. L. erteilten Auskünfte zu überprüfen, wenn sie auf deren Richtigkeit vertraute. Daß die Angaben der Zeugin einen für den Vertragswillen der Klägerin bedeutsamen Punkt betrafen, steht dieser Möglichkeit nicht entgegen. Das Unterbleiben von Nachforschungen läßt deshalb nicht ohne weiteres darauf schließen, daß die Zeugin Dr. L. eine zweigeschossige Nachbarbebauung nicht zugesagt hat. Vielmehr läßt dieser Umstand auch den
Schluß zu, die Klägerin habe sich ebenso wie der Zeuge W. auf eine derartige Zusage verlassen. (2) Geht das Eingangsgericht - wie hier - auf Grund einer fehlerhaften Beweiswürdigung von der Nichterweislichkeit einer entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung aus, so bestehen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 13, § 529 Rdn. 35). Hierbei genügt es, wenn nur ein tragendes Element der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in seiner Aussagekraft geschmälert wird (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 32), weil bereits dann die Unrichtigkeit oder Lückenhaftigkeit der getroffenen Feststellungen als Folge der konkreten Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden kann (Rimmelspacher , NJW 2002, 1897, 1902). So liegt der Fall auch hier. Ausweislich seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung ist das erstinstanzliche Gericht nur deshalb zu dem Ergebnis der Nichterweislichkeit unzutreffender Angaben der Zeugin Dr. L. gelangt, weil es Anlaß gesehen hat, an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen W. zumindest zu zweifeln. Können diese Bedenken ausgeräumt werden, so ist es möglich, daß der Tatrichter die Aussage des Zeugen W. als glaubhaft ansieht. Da die Beweiswürdigung dann auch zu einem anderen Ergebnis führen kann, besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses. In solcher Situation sind erneute oder auch erstmalige (Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 12) neue Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geboten (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 14/6036, S. 123; Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 36; MünchKomm -ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 529 Rdn. 24; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 11).
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich weder das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte noch die Erforderlichkeit erneuter Feststellungen mit der Erwägung verneinen, das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiswürdigung unterliege zwar "gewissen Zweifeln", sei aber aus anderen Gründen richtig. Zu dieser Schlußfolgerung konnte das Berufungsgericht nur auf Grund einer eigenständigen Würdigung der in erster Instanz erhobenen Beweise gelangen. Dies stellt jedoch, worauf die Revision zutreffend hinweist, der Sache nach eine erneute Tatsachenfeststellung dar, die aber nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte und das Gebotensein nochmaliger Feststellungen gerade voraussetzt.
cc) Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht deshalb als richtig dar (§ 561 ZPO), weil das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO gebotenen erneuten Tatsachenfeststellung zwar - fehlerhaft - verneint, eine solche aber doch vorgenommen hat. Die Tatsachenfeststellung in dem Berufungsurteil leidet nämlich ebenfalls an einem Verfahrensmangel und kann deshalb keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung, die von der Klägerin behauptete Zusicherung einer zweigeschossigen Bebauung des Nachbargrundstücks sei nicht erwiesen , darauf, daß beide Zeugen ein persönliches Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits hätten. Damit stellt das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage, was - wie die Revision zu Recht rügt - nur auf Grund deren nochmaliger Vernehmung zulässig gewesen wäre, nachdem das erstinstanzliche Gericht beide Zeugen als glaubwürdig angesehen hat. Es hat sich mit der fehlenden Glaubwürdigkeit der Zeugen W. und Dr. L. nur insoweit befaßt, als es angesichts der sich widersprechenden Aussagen erwogen hat, einer von beiden Zeugen müsse gelogen haben. Zu
einer Aufklärung hat sich das erstinstanzliche Gericht jedoch außer Stande gesehen, seine Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit daher nicht weiterverfolgt und seine weiteren Ausführungen auf die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen beschränkt. Die Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, wenn die Voraussetzungen für eine erneute Tatsachenfeststellung vorliegen, beantwortet sich nach den von der Rechtsprechung zum bisherigen Recht entwickelten Grundsätzen (Musielak/Huber, aaO, § 398 Rdn. 5; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 13). Es verbleibt mithin dabei, daß das Berufungsgericht bei pflichtgemäßer Ausübung des ihm durch §§ 525 Satz 1, 398 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen muß, wenn es dessen Glaubwürdigkeit abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BGH, Urt. v. 29. Oktober 1996, VI ZR 262/95, NJW 1997, 466; Urt. v. 10. März 1998, VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223 m.w.N.).

b) Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ergeben sich zudem daraus, daß das Eingangsgericht die unter Beweis gestellte Behauptung der Klägerin nicht berücksichtigt hat, die Zeugin Dr. L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Bebauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Träfe diese Behauptung zu, so wäre sie geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. , sie habe die Klägerin ebenso wie alle übrigen Interessenten auf die geplante viergeschossige Bebauung hingewiesen, in Frage zu stellen. Besteht mithin unter Zugrundelegung der von der Klägerin behaupteten Tatsache zumindest die Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses, so ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO eine erneute Tatsachenfeststellung geboten. Entgegen der Auf-
fassung des Berufungsgerichts ist hierfür eine den formalen Anforderungen des Revisionsrechts genügende Berufungsrüge selbst dann nicht Voraussetzung , wenn - wie hier - zugleich auch ein Verfahrensfehler des Erstrichters vorliegt. Insoweit stellt das Berufungsgericht, was die Revision mit Erfolg geltend macht, zum einen zu hohe Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit einer Verfahrensrüge gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO (aa) und verkennt zum anderen auch die Bedeutung des § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO (bb).
aa) Das Berufungsgericht überspannt die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung, soweit es die Ordnungsmäßigkeit der von der Klägerin gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erhobenen Berufungsrüge mit der Begründung verneint, es fehle an der erforderlichen namentlichen Benennung der in erster Instanz angebotenen Zeugen und an der Angabe des Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote.
(1) Wendet sich der Berufungskläger - wie hier - gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil, so greift er, gestützt auf den Berufungsgrund des § 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO, die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen mit dem Ziel einer erneuten Feststellung durch das Berufungsgericht an. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Berufung muß er deshalb gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO die Voraussetzungen darlegen, unter denen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die Bindung des Berufungsgerichts an die vom Eingangsgericht getroffenen Feststellungen entfällt (BGH, Beschl. v. 28. Mai 2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531, 2532). Dies hat die Klägerin bereits dadurch getan, daß sie die Feststellungen des Erstrichters unter Hinweis auf ein bereits in erster Instanz vorgelegtes Beschwerdeschreiben mehrerer Wohnungseigentümer angegriffen und ihre Behauptung wiederholt hat, die Zeugin Dr.
L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Be- bauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Da dieses Vorbringen die Glaubhaftigkeit der inhaltlich widersprechenden Aussage der Zeugin in Frage stellen kann und in dem mit der Berufung angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt worden ist, sind nach der Berufungsbegründung konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an den erstinstanzlich getroffenen Feststellungen mit der Folge gegeben , daß das Berufungsgericht insoweit nicht mehr gebunden ist. Auf die von der Klägerin angebotenen Zeugen wäre es erst angekommen, wenn die vom Berufungsgericht vorzunehmende Prüfung ergeben hätte, daß die Behauptung der Klägerin von der Beklagten wirksam bestritten worden war.
(2) Nichts anderes folgt aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, falls diese Regelung für Angriffe gegen Tatsachenfeststellungen auf Grund von Verfahrensfehlern - zusätzlich - anwendbar sein sollte (befürwortend Fellner, MDR 2003, 721, 722; ablehnend MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 520 Rdn. 40). Hieraus ergeben sich im Ergebnis keine weitergehenden Anforderungen an den notwendigen Inhalt der Berufungsbegründung. Die ohnehin erforderliche Darlegung der in § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO bestimmten Voraussetzungen reicht nämlich im Falle eines Verfahrensmangels auch für die nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO gebotene Darlegung einer entscheidungskausalen Rechtsverletzung aus. Insbesondere muß der Berufungskläger zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Verfahrensfehlers lediglich aufzeigen, daß das Eingangsgericht ohne den Verfahrensverstoß möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (Musielak /Ball, aaO, § 520 Rdn. 33).
(3) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lassen sich strengere formale Anforderungen an die Berufungsbegründung nicht daraus herleiten, daß ein Revisionskläger, der gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. b ZPO ein verfahrensfehlerhaftes Übergehen von Tatsachenbehauptungen oder Beweisangeboten rügen will, diese unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Vorinstanzen genau bezeichnen muß (vgl. dazu BGHZ 14, 205, 209 f; BAG, ZIP 1983, 605, 606; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 554 Rdn. 13; MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 551 Rdn. 21; Musielak/Ball, aaO, § 551 Rdn. 11). Dieses revisionsrechtliche Erfordernis ist auf das Berufungsverfahren nicht übertragbar (a.A. Musielak/Ball, aaO, § 520 Rdn. 32; Ball, WuM 2002, 296, 299; wohl auch Stackmann, NJW 2003, 169, 171 f). Es findet seine Rechtfertigung in der durch § 559 Abs. 1 ZPO allein für das Revisionsverfahren angeordneten Beschränkung des Prozeßstoffs. Danach kann aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll nicht ersichtliches Parteivorbringen nur über eine Nichtberücksichtigungsrüge zur Beurteilungsgrundlage des Revisionsgerichts werden (vgl. MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 3, 7). Diese Rüge muß so konkret sein, daß keine Zweifel an dem vom Revisionsgericht zugrunde zu legenden Tatsachenstoff verbleiben. Das Berufungsverfahren kennt hingegen keine § 559 Abs. 1 ZPO vergleichbare Bestimmung. Eine entsprechende Anwendung der revisionsrechtlichen Regelung scheitert an den unterschiedlichen Funktionen der Rechtsmittel (Gaier, NJW 2004, 110, 111; a.A. Grunsky, NJW 2002, 800, 801; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901). Anders als im Revisionsverfahren ist das angefochtene Urteil nicht nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen, vielmehr gehört es gemäß § 513 Abs. 1 ZPO zu den Aufgaben der Berufung, das Urteil der Vorinstanz auch auf konkrete Anhaltspunkte für Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Tatsachenfeststellungen zu prüfen und etwaige Fehler zu beseiti-
gen (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 64; Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 1, 7, 12 f). Fehlt es mithin an einer begrenzenden Regelung, so gelangt mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte - wie noch auszuführen sein wird, aus den Akten ersichtliche - Prozeßstoff der ersten Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz (Barth, NJW 2002, 1702, 1703; Gaier, NJW 2004, 110, 112). Damit steht auch der von dem Berufungsgericht zu berücksichtigende Tatsachenstoff fest, weshalb es einer Nichtberücksichtigungsrüge und der für sie geltenden formalen Anforderungen nicht bedarf. bb) Zudem hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, daß die ihm nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO obliegende Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils im Fall eines - wie hier - zulässigen Rechtsmittels ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge besteht.
(1) Eine Bindung des Berufungsgerichts an solche Zweifel begründende Umstände, die in der Berufungsbegründung dargelegt sind, folgt insbesondere nicht aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO. Danach müssen zwar konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO in der Berufungsbegründung bezeichnet werden. Auf solche Umstände wird die Überprüfung durch das Berufungsgericht allerdings nicht beschränkt, sondern lediglich eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels geregelt (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Notwendigkeit einer Rüge läßt sich dem Wortlaut anderer Gesetzesvorschriften ebensowenig entnehmen. Sie entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Nach den Gesetzesmaterialien hat das Berufungsgericht Zweifeln an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen selbst dann nachzugehen, wenn es sie unabhängig vom Partei-
vortrag auf Grund lediglich bei ihm gerichtskundiger Tatsachen gewonnen hat (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses , BT-Drucks. 14/4722, S. 100). Damit kann und muß das Berufungsgericht erst recht konkrete Anhaltspunkte berücksichtigen, die ihre Grundlage im erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien haben, auch wenn das Übergehen dieses Vortrags von dem Berufungskläger nicht zum Gegenstand einer Berufungsrüge gemacht worden ist (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rdn. 12). Bemerkt das Berufungsgericht etwa anläßlich der Prüfung sonstiger Berufungsrügen, daß das Eingangsgericht eine für die Beweiswürdigung bedeutsame Tatsache oder ein erhebliches Beweisangebot übergangen hat, dann bestehen auch ohne dahingehende Rüge konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichten (a.A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2003, S. 11, 16).
(2) Dem steht nicht entgegen, daß das erstinstanzliche Gericht hier Parteivorbringen übergangen hat und darin ein Verfahrensfehler in Gestalt der Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder des Verstoßes gegen § 286 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 15. März 2000, VIII ZR 31/99, NJW 2000, 2024, 2026) zu sehen ist. Zwar prüft das Berufungsgericht einen Mangel des Verfahrens - soweit er nicht von Amts wegen berücksichtigt werden muß - gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann, wenn er gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung gerügt worden ist. Hierdurch wird jedoch die durch § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geregelte tatsächliche Inhaltskontrolle des Berufungsgerichts entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 520 Rdn. 53, § 529
Rdn. 14, 38; ders., NJW 2002, 1897, 1902; ders., NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 11, 15; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 9, 23; Hinz, NZM 2001, 601, 605; Gehrlein, MDR 2003, 421, 428) nicht eingeschränkt (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 8, § 529 Rdn. 27, 43; Zöller/Gummer/Heßler, aaO, § 529 Rdn. 12; Vorwerk, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 4, 6; Gaier, NJW 2004, 110, 112). Von der Aufgabe des Berufungsgerichts, konkreten Anhaltspunkten ungeachtet einer Berufungsrüge nachzugehen, macht das Gesetz keine Ausnahme, wenn sich - was ohnehin die weitaus praktischste Fallgestaltung darstellen dürfte - konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO aus Verfahrensfehlern des Erstrichters bei der Feststellung des Sachverhalts ergeben. Dies zeigt sich an der Systematik des § 529 ZPO, der mit seinen Absätzen klar zwischen den Aufgaben des Berufungsgerichts bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht trennt (Hannich /Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 8, § 529 Rdn. 27, 43). Für die tatsächliche Inhaltskontrolle ist ausschließlich § 529 Abs. 1 ZPO maßgebend, eine Vermischung mit der in § 529 Abs. 2 ZPO geregelten Rechtsfehlerkontrolle darf mithin selbst dann nicht stattfinden, wenn die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil auf einem Verfahrensmangel beruhen.
(3) Das Berufungsgericht ist an der Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens nicht deshalb gehindert gewesen, weil dieser Vortrag weder durch eine Darstellung im Tatbestand noch durch eine § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO genügende Bezugnahme (vgl. BGH, Urt. v. 18. Februar 1954, IV ZR 126/53, LM § 295 ZPO Nr. 9) in dem erstinstanzlichen Urteil Erwähnung gefunden hat.
Die auf § 314 ZPO gestützte Annahme, daß nicht erwähnte Angriffsund Verteidigungsmittel, auch tatsächlich unterblieben sind (negative Beweiskraft des Tatbestandes), wäre nur dann gerechtfertigt, wenn das Parteivorbringen in dem Urteilstatbestand vollständig wiedergegeben werden müßte. Nur dann könnte nämlich von dem Fehlen einer Darstellung auf das Fehlen entsprechenden Vortrags geschlossen werden. Eine vollständige Wiedergabe des Parteivorbringens kann aber nicht mehr zu den Funktionen des Urteilstatbestandes zählen, nachdem sich das Gesetz in § 313 Abs. 2 ZPO mit einer "knappen" Darstellung nur des "wesentlichen Inhalts" der vorgebrachten Angriffs - und Verteidigungsmittel begnügt (MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 7; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 7, § 559 Rdn. 17; ders., in Festschrift für Geiß, 2000, S. 3, 20; Fischer, DRiZ 1994, 461, 462 f; Crückeberg, MDR 2003, 199, 200; Gaier, NJW 2004, 110, 111; Rixecker, NJW 2004, 705, 708; a.A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 11, 13). Dies hängt eng zusammen mit der Aufgabe der ursprünglichen Konzeption des Zivilprozesses als eines rein mündlichen Verfahrens, nach der mündlicher Vortrag weder durch ein Verlesen noch durch eine Bezugnahme auf Schriftsätze ersetzt werden konnte (§ 128 Abs. 3 Satz 1 CPO 1877/§ 137 Abs. 3 Satz 1 CPO 1900). Wurde hiernach ausschließlich das mündlich Vorgetragene zum Prozeßstoff, so konnte dieser nicht durch den Inhalt der Schriftsätze , sondern allein durch den - tunlichst vollständigen - Urteilstatbestand nachgewiesen werden. Insbesondere seit der gänzlichen Aufgabe des Bezugnahmeverbots durch die Neufassung des § 137 Abs. 3 Satz 1 ZPO (RGBl. I 1924, 135) stehen indessen die vorbereitenden Schriftsätze ebenfalls zum Nachweis des Parteivorbringens zur Verfügung. Da mit der Antragstellung und der mündlichen Verhandlung im Zweifel eine Bezugnahme der Parteien auf den Inhalt der zur Vorbereitung vorgelegten Schriftstücke verbunden ist (BGH,
Urt. v. 28. November 2001, IV ZR 309/00, NJW-RR 2002, 381 m.w.N.), ergibt sich der Prozeßstoff auch aus dem Inhalt der Gerichtsakten. Der Bundesgerichtshof hat bereits vor dem Hintergrund dieser Überlegung - wenn auch ohne ausdrückliche Aufgabe der Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft - auf entsprechende Revisionsrüge Vorbringen berücksichtigt, das im Tatbestand nicht erwähnt war (BGH, Urt. v. 16. Juni 1992, XI ZR 166/91, NJW 1992, 2148, 2149; Urt. v. 7. Dezember 1995, III ZR 141/93, NJW-RR 1996, 379; vgl. auch Urt. v. 28. November 2001, IV ZR 309/00, aaO). Allein mit dem Hinweis auf die negative Beweiskraft des Urteilstatbestandes kann mithin Parteivorbringen, das sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, in den Rechtsmittelverfahren nicht unberücksichtigt bleiben. Hingegen bleibt die negative Beweiskraft für solche Angriffs- und Verteidigungsmittel von Bedeutung, die in der mündlichen Verhandlung ohne vorherige Ankündigung in einem vorbereitenden Schriftsatz vorgebracht werden (Ball, in Festschrift für Geiß, 2000, S. 3, 20). Allerdings hat die Rechtsprechung bisher dem Urteilstatbestand auf Grund des § 314 ZPO auch negative Beweiskraft hinsichtlich des mündlichen Parteivorbringens beigelegt. Danach soll der Tatbestand nicht nur Beweis dafür erbringen, daß das, was in ihm als Parteivortrag wiedergegeben wird, tatsächlich vorgetragen worden ist, sondern auch beweisen, daß von den Parteien nichts behauptet worden ist, was nicht aus dem Tatbestand ersichtlich ist (Senat, Urt. v. 25. Mai 1984, V ZR 199/82, NJW 1984, 2463, insoweit in BGHZ 91, 282 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 27. Mai 1981, IVa ZR 55/80, NJW 1981, 1848; Urt. v. 3. November 1982, IVa ZR 39/81, NJW 1983, 885, 886 m.w.N.; Urt. v. 16. Mai 1990, IV ZR 64/89, NJW-RR 1990, 1269). Dieser bereits vom Reichsgericht (RGZ 4, 418, 420; RG, JW 1887, 38; 1896, 72; 1897, 52, 53) vertretenen Auffassung ist das Bundesverwaltungsgericht beigetreten (BVerwG, Beschl. v. 13. April 1989, 1 B 21/89 m.w.N.). Gleichwohl bedarf es
hier weder einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG) noch an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 2 RsprEinhG). Beide Vorlagen setzen voraus, daß die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage für die Entscheidung des konkreten Falles nach Auffassung des vorlegenden Senats erforderlich wird, das vorlegende Gericht also bei Befolgung der abweichenden Ansicht zu einem anderen Ergebnis gelangen würde (BGH, Beschl. v. 15. Februar 2000, XI ZR 10/98, NJW 2000, 1185 zu § 132 GVG; GmS-OGB, BGHZ 88, 353, 357 zu § 2 RsprEinhG). An diesem Erfordernis fehlt es; denn das angefochtene Urteil ist bereits deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit des zugrunde gelegten Sachverhalts aus den bereits erörterten Fehlern der Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil ergeben.

III.


Nach alledem war die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird zunächst die gebotenen Feststellungen zum Inhalt der geführten Vertragsverhandlungen nachholen müssen. Sollte danach von dem Vorliegen der Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs auszugehen sein, wären weitergehende Feststellungen zur Schadenshöhe erforderlich. Da die Klägerin an dem geschlossenen Vertrag festhalten will, wäre als ersatzfähiger Schaden der Betrag anzusetzen, um den die Klägerin die Dachgeschoßwohnung im Vertrauen auf
die Richtigkeit der Angaben der Zeugin Dr. L. zu teuer erworben hat (vgl. Senat, Urt. v. 6. April 2001, V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2877 m.w.N.).
Wenzel Krüger Klein Gaier RiBGH Dr. Stresemann ist infolge Urlaubsabwesenheit gehindert, zu unterschreiben. Wenzel

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17.02.2011, Az.: 3 Ca 658/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten vorliegend im Berufungsverfahren über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine fristlose Kündigung vom 03.05.2010 (Bl. 57 d.A.) oder eine zuvor am 15.03.2010 ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung (Bl. 14 d.A.).

2

Der 44-jährige, verheiratete, zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger ist seit dem 01.05.2005 auf Basis des Anstellungsvertrages vom 16.11.2004 (Bl. 7-13 d.A.) als Leiter der Patentabteilung der Beklagten in deren Hauptsitz in Ns. mit einem Bruttojahreseinkommen von 124.700,00 EUR zuzüglich Tantieme beschäftigt. Der Kläger ist studierter Physiker.

3

Dem Kläger ist zur Ausübung seiner Tätigkeit Handlungsvollmacht erteilt. Er berichtet direkt an den Vorstand Technik und Entwicklung. Ihm sind in seiner Abteilung zwei Arbeitnehmer unterstellt. Einstellungs- und Entlassungsbefugnis hat der Kläger nicht. An den letzten Betriebsratswahlen hat der Kläger nicht teilgenommen.

4

Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 16.11.2004 enthält in § 12 die Vereinbarung einer beiderseitigen Kündigungsfrist nach Ablauf der Probezeit von sechs Monaten zum Quartalsende.

5

Die Beklagte, die zu den führenden europäischen Anbietern von Haushalts- und Badezimmerprodukten mit den Marken Lh., O. Backgeräte, S. und K.W. zählt, beschäftigt an ihrem Standort Ns. mehr als 10 Arbeitnehmer ohne Hinzurechnung der Auszubildenden.

6

Im Jahre 2008 beabsichtigte das mittlerweile verkaufte Tochterunternehmen der Beklagten K.W. eine Duschabtrennvorrichtung auf den Markt zu bringen. Daher fragte deren Geschäftsführer, Herr Kr., am 31.10.2008 bei dem Kläger telefonisch an, welche Schutzrechte bezüglich eines Duschrollos der Fa. e. bestünden.

7

Mit E-Mail vom 03.11.2008 (Bl. 494 d. A.) teilte der Kläger Herrn Kr. mit, es bestünden beispielsweise bezogen auf ein Eckgetriebe und einen Fallstab Patente zugunsten eines Herrn Os..

8

Nachfolgend wandte sich Frau A. H., Designerin der K.W., mit E-Mail vom 12.01.2009 (Bl. 493 d. A.) wie folgt an den Kläger:

9

"Guten Tag Herr Dr. C.,

vor einiger Zeit hatte Herr Kr. bei Ihnen angefragt, inwieweit das Duschrollo von e. unter Gebrauchsmusterschutz steht.

Wir haben nun einige konkrete Daten, wie das K.W. Duschrollo aussehen kann.

Anbei die Spezifikation bzw. die Gegenüberstellung zu dem Duschrollo, welches bereits von e. im Handel vertrieben wird.

        

Könnten Sie bitte überprüfen, ob wir ein Duschrollo gemäß geänderter Spezifikation in den Handel bringen können.

        

Mit freundlichen Grüßen

A. H."

10

Dieser E-Mail beigefügt war eine Zeichnung des Eckduschrollos, bei dem die beiden Rollen der Duschrollos über Eck mit einem Getriebe verbunden waren.

11

Mit E-Mail vom 29.01.2009 (Bl. 493 d. A.) erwiderte der Kläger (auszugsweise) wie folgt:

12

"Hallo Frau H.,

der einzige Unterschied - außer dem Weglassen der Deckel 8 und 11 - besteht offenbar darin im Eckgetriebe andere Einsatzstücke zu verwenden, nämlich Kegelräder statt Kronräder. Aus meiner Sicht fällt der Vorschlag des Lieferanten trotzdem glatt in den Schutzbereich des erteilten Patentes DE 198 14 391 C 1 von Herrn Os.; denn auf die Art der Zahnräder kommt es bei dem Patent gar nicht an.

        

Um es ganz deutlich zu sagen: Hier besteht die Gefahr geradewegs in eine Patentverletzung zu laufen….

        

Ich spinne mal ein wenige herum: Wäre es denkbar, statt der Zahnräder eine biegsame Welle (z.B. einen Schlauch) einzubauen, der die Kräfte von der einen auf die andere Rollseite überträgt? Damit wäre man erst mal um das Patent von Herrn Os. herum, was nicht heisst, dass es nicht noch andere entgegenstehende Schutzrechte gibt."

13

Am 23.02.2009 bedankte sich Frau H. per E-Mail (Bl. 421 und 422 d. A.) unter dem Betreff "Spezifikation Duschrollo mit Antrieb biegsame Welle", beim Kläger für die Unterstützung bei der Entwicklung. Der E-Mail im Anhang beigefügt war eine Abbildung einer flexiblen Welle, welche das Erstellungsdatum 06.02.2009 trägt.

14

Diese E-Mail leitete der Kläger am gleichen Tage (Bl. 421 d. A.) an den Entwicklungsleiter der Beklagten, Herrn F., weiter, der sie unverzüglich an den Mitarbeiter G. übersandte. Herr G. verfasste unter dem Datum vom 25.02.2009 ein sogenanntes Skizzenheft (Bl. 423, 424 d. A.), das mehrere Varianten der Kraftübertragung von einer auf die andere Rolle vorsah (Bl. 424 d. A.). Unter Variante 1 war eine Bewegungsübertragung mittels Bautenzug erwähnt.

15

Mit Datum vom 17.04.2009 erstellte der Kläger eine schriftliche Erfinderanmeldung nebst Beschreibung entsprechend der Konzernrichtlinie der Beklagten, welche die Pflicht zur unverzüglichen Anmeldung von Erfindungen durch Arbeitnehmer vorsieht. Diese Anmeldung wurde am 21.04.2009 durch Frau B., eine frühere Mitarbeiterin des Klägers, an den damaligen Vorstandsvorsitzender der Beklagten, Herrn Sch., übersandt, der jedoch das Inanspruchnahmeformular ununterschrieben zurückleiten ließ. Weitere Erfinderanmeldungen die Entwicklung eines Eckduschrollos (Duschtrennvorrichtung) betreffend sind im Unternehmen der Beklagten nicht erfolgt.

16

Mit E-Mail vom 11.05.2009 übersandte Herr G. dem Kläger (Bl. 151 d. A.) einige Bilder und Zeichnungen zum Thema Übereckrollo.

17

Am 16.05.2009 meldete der Kläger die Erfindung einer Duschabtrennvorrichtung mittels flexibler Welle zum Patent beim Deutschen Patent- und Markenamt an. Er gab hierbei an, Alleinerfinder zu sein. Mit Datum vom 09.11.2009 erfolgte der Erteilungsbeschluss der Prüfstelle des Deutschen Patent- und Markenamtes unter dem Aktenzeichen DE 102009021630.8 (Bl. 145 d. A.).

18

Am 30.04.2010 (Bl. 169 bis 182 d. A.) hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat schriftlich zur Kündigung des Klägers wegen der Anmeldung der Duschabtrennvorrichtung zum Patent als Alleinerfinder an. Nachfolgend kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 03.05.2010 (Bl. 57 d. A.), dem Kläger am 05.05.2010 zugegangen, das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos, hilfsweise ordentlich. Hiergegen hat der Kläger mit bei Gericht am 10.05.2010 eingegangenem Schriftsatz Kündigungsschutzklage erhoben.

19

Am 25.03.2010 hat der Kläger gegenüber der Beklagten Ansprüche aus Arbeitnehmererfindung geltend gemacht und die Umschreibung des Patentes bezüglich der Duschabtrennvorrichtung auf seine Person gefordert.

20

Im März 2010 fand zwischen dem Kläger und dem Finanzvorstand der Beklagten, Herrn Dr. Z., nachfolgender E-Mail-Schriftverkehr statt:

21

"Von : Z., Dr. C.-O. [[email protected]]

Gesendet: Mittwoch, 3.März 2010 16:54

An: C., Dr.

Cc: Th., Gg.

Betreff: WG: aktueller Rechtsstreit Fr. / n.

        

Hallo Herr C.,

... hier nun Teil 2: “aktueller Rechtsstreit Fr. / n.“

1. wie Sie unschwer dem Betreff entnehmen können handelt es sich bei meiner Mail „nur“ um die aktuelle Sache; die “Altlast“ mit dem Lizenzvertrag USA habe ich damit natürlich NICHT an mich gezogen und ist folgerichtig unverändert bei Ihnen angesiedelt.

(Ich komme doch nicht im Entferntesten auf die Idee Ihre offenen Themen aus 2008 (!) an mich zu ziehen und selbst lösen zu wollen; dazu fehlt mir jegliches Detailverständnis der Vorgänge, der juristische Hintergrund sowie, viel wichtiger, die grundsätzliche Motivation).

        

2. da Prof. Hs. ebenfalls beim Übertrag Ihrer Akten vom „Lizenzvertrag USA“ von Ihnen offenbar keine Kenntnis von diesem Vorgang erlangt hat, liegt hier ein weiterer Grund vor, weshalb dieser Vorgang unverändert bei Ihnen verblieben ist.

        

Anyway, jetzt hat V. das Thema nachträglich in den Vertragsentwurf eingebracht und wir müssen sehen, was noch zu machen ist.

        

Schöne Grüsse

C. Z. 

22

Von : Z., Dr. C.-O.

Gesendet: Mittwoch, 3.März 2010 17:35

An: C., Dr.

Cc: Th., Gg.

Betreff: AW: K0096; Stielverbinder

        

Hallo Dr. C.,

        

Ich habe da nichts verwechselt; Sie müssen sich auf folgenden Gedankengang einlassen:

        

1. Sie sind als unser Patentanwalt für alle Themen Patente betreffend zuständig.

2. Lediglich den aktuellen Fr. / n. habe ich angesichts der zunehmend negativ erschienene Erfolgsaussichten i.V.m. mit der Streitsumme mich gezogen (siehe meine 2. Mail von heute)

23

Von : C., Dr.

Gesendet: Mittwoch, 3.März 2010 18:00

An: Z., Dr. C.-O.

Betreff: AW: K0096; Stielverbinder

        

Sehr geehrter Herr Dr. Z.,

        

durch bereits im Ansatz falsche Mengenlehren wird weder das Leben einfacher, noch werden objektiv falsche Behauptungen richtig.

        

Tatsache ist u.a., dass ich mich – aus äußerst guten Gründen – ganz explizit und schriftlich gegen die Beauftragung von Prof. Hs. ausgesprochen hatte. Das – und weiteres – passt nicht zu der Tatsache, dass Herr Prof. Hs. offenbart beauftragt ist, Lh. gegenüber Metaform zu vertreten, obwohl ich – der nach Ihren Ausführungen angeblich für „alle Themen Patente betreffend zuständig“ bin – ihn nicht beauftragt habe!

        

Mit freundlichen Grüßen

C.    

24

Von : Z., Dr. C.-O. [[email protected]]

Gesendet: Mittwoch, 3.März 2010 18:08

An: C., Dr.

Cc: Th., Gg.

Betreff: AW: K0096; Stielverbinder

        

Hallo Herr Dr. C.,

        

Da kann ich Sie beruhigen; ich habe Prof. Hs. tatsächlich nicht mit der Übernahme des Falles Metaform beauftragt; wohl aber mit der Beschaffung eines Zweitgutachtens zur patentrechtlichen Situation.

        

Dieser Ball bleibt nach wie vor in Ihrem Spielfeld.

        

Noch einen schönen Abend

C. Z. 

25

Von : C., Dr.

Gesendet: Donnerstag, 4.März 2010 17:02

An: Z., Dr. C.-O.

Betreff: WG: aktueller Rechtsstreit Fr. / n.

        

Sehr geehrter Herr Dr. Z.,

        

anlässlich der gestrigen Diskussion habe ich die Korrespondenz durchgesehen, die hinsichtlich der Forderung von Fr. (!) – also hinsichtlich genau der Angelegenheit, die Sie nach eigenem Bekunden an sich gezogen haben – geführt wurde. Aus dieser Korrespondenz gehen unmittelbar und eindeutig die Vorgänge hervor, die Sie nach Ihren gestrigen Angaben bei Ihren Verhandlungen „nicht mehr auf dem Schirm“ hatten. Dem Vorstand liegen Kopien vor. Meine Schreiben wurden in Abstimmung mit dem Vorstand verschickt. Ich weise insbesondere auf meine Schreiben vom 18.08.2008 und 13.10.2008 sowie auf die Schreiben der Gegenseite vom 15.09.2008 und 22.10.2008 hin. Ich selbst habe Sie in der Sitzung am 07.12.2008 über diese Vorgänge ausführlich informiert; am 08.12.2009 per E-Mail.

        

Außerdem hat der Rechtsanwalt, von dem Sie sich seit November in dieser Sache ausführlich beraten lassen, nachweislich am 02.12.2009 Kopien dieser Schreiben erhalten. Insoweit ist Ihre Behauptung, Herr Hs. habe „beim Übertrag (meiner) Akten“ keine Kenntnis erlangt, schlicht unwahr!

        

Ganz offensichtlich haben Sie vor der Aufnahme der Lizenzverhandlungen weder die wenigen bis dahin ausgetauschten Schreiben gelesen, noch hat Ihnen Ihr externer Berater einen Hinweis auf die „von Ihrem Schirm verschwundenen“ Vorgänge gegeben.

        

Damit ist wohl – auch ohne Mengenlehrenbetrachtungen und Lebensvereinfachungsversuche – zumindest dieser Detailausschnitt der ganzen Angelegenheit eindeutig und abschließend geklärt.

        

Bemerkenswert finde ich Ihr Eingeständnis, dass Ihnen in Bezug auf meine Themen „...jegliches Detailverständnis der Vorgänge und der juristische Hintergrund...“ fehlt. Der oben genannte Vorgang ist – neben anderen – ein sehr illustrativer Beleg für die Richtigkeit dieser Einsicht."

26

Die Beklagte nahm die Äußerungen des Klägers in der E-Mail vom 04.03.2010 zum Anlass unter dem Datum vom 12.03.2010 (Bl. 139 d. A.) den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer außerordentlichen, hilfsweise fristgerechten Kündigung anzuhören. Nachdem der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung widersprochen hatte, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 15.03.2010, dem Kläger am 16.03.2010 zugegangen, das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.09.2010. Gegen diese fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung ging der Kläger mit Kündigungsschutzklage vom 18.03.2010, beim Arbeitsgericht Koblenz am gleichen Tag per Fax eingegangen, vor.

27

Mit Teil-Urteil vom 19.08.2010 (Bl. 354 bis 372 d. A.) hat das Arbeitsgericht im hiesigen Verfahren die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 15.03.2010 festgestellt. Dieses Teil-Urteil ist rechtskräftig.

28

Das Arbeitsgericht hat am 04.11.2010 (Bl. 445 bis 458 d. A.) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin R. und H.. Auf die Vernehmung des Zeugen G. wurde allseits verzichtet.

29

Der Kläger hat erstinstanzlich verkürzt dargestellt vorgetragen,
er habe die Duschabtrennvorrichtung zu Recht als Alleinerfinder zum Patent angemeldet. Die Beklagte habe einen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten durch die Patentanmeldung als Alleinerfinder nicht bewiesen. Die Aussage des Zeugen R. sei insgesamt unergiebig. Die Zeugin H. sei nicht glaubhaft. Gegen ihre Behauptung, schon im Jahre 2008 sei dem Kläger die Erfindung mitgeteilt worden, sprächen insbesondere die E-Mails vom 12.01.2009 und 29.01.2009.

30

Die Anhörung des Betriebsrates zur Kündigung vom 03.05.2010 sei fehlerhaft. Dem Betriebsrat hätte der gesamte E-Mail-Verkehr den Vorgang betreffend vorgelegt werden müssen, insbesondere die E-Mail des Klägers vom 29.01.2009. Darüber hinaus hätte der Betriebsrat darüber informiert werden müssen, dass Herr G. im Auftrag des Klägers und auf Vermittlung von Herrn F. die Machbarkeit einer Idee des Klägers geprüft habe. Die Anhörung des Betriebsrates sei auch erforderlich, da er kein leitender Angestellter sei. Alle Patentangelegenheiten habe er mit dem Vorstand abstimmen müssen. Im Hinblick auf das Personal habe er weder Einstellungs-, noch Entlassungs-, noch Versetzungsbefugnis gehabt.

31

Die Kündigung vom 15.03.2010 sei als ordentliche Kündigung ebenfalls unberechtigt, da der Kläger Herrn Dr. Z. nicht beleidigt habe. Eine Pflichtverletzung läge daher nicht vor. Zumindest hätte es einer vorherigen Abmahnung bedurft. Auch die Anhörung des Betriebsrates zur Kündigung vom 15.03.2010 sei fehlerhaft. Insbesondere da diesem bezüglich der behaupteten Ermahnungen vom 06.11.2009 und 07.05.2009 der tatsächliche Inhalt der zum Anlass genommenen Gespräche nicht mitgeteilt worden sei.

32

Der Kläger beantragte erstinstanzlich,

33

es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 15.03.2010, zugegangen am 16.03.2010, nicht zum 30.09.2010 beendet worden ist,

34

es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 24.03.2010, zugegangen am 24.03.2001, nicht zum 30.09.2010 beendet worden ist,

35

es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 03.05.2010, zugegangen am 05.05.2010, nicht beendet worden ist,

36

es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 03.05.2010, zugegangen am 05.05.2010, nicht zum 31.12.2010 beendet worden ist.

37

Die Beklagte beantragte,

38

Klageabweisung.

39

Die Beklagte hat vorgetragen,
allenfalls sei der Kläger Miterfinder der Duschabtrennvorrichtung, deren Entwicklung Ende 2008/Anfang 2009 durch den Betriebsleiter Märkte der K.W., Herrn R. unter Mithilfe der Designerin der K.W., A. H., und Herrn G. erfolgt sei. Der Kläger habe nur die Anmeldung zum Patent koordiniert. Erfinderische Leistungen habe er keine erbracht.

40

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes des Urteils des Arbeitsgerichtes vom 04.11.2010 sowie des erstinstanzlichen Parteivorbringens gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts vom 17.02.2011 (Bl. 581 bis 597 d. A.) Bezug genommen.

41

Mit Teil-Urteil vom 17.02.2011 hat das Arbeitsgericht Koblenz festgestellt, die fristlose Kündigung vom 03.05.2010 habe das Arbeitsverhältnis nicht unverzüglich mit Zugang beendet, auch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 15.03.2010 sei nicht geeignet gewesen, das Arbeitsverhältnis zu beenden.

42

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung vom 03.05.2010 sei unwirksam, habe das Arbeitsverhältnis nicht beendet, da es der Beklagten nicht gelungen sei, nachzuweisen, dem Kläger sei bei der Patentanmeldung ein pflichtwidriges Verhalten zur Last zu legen. Es sei nicht bewiesen, der Kläger habe wider besseres Wissen seine Alleinerfindereigenschaft bei der Patentanmeldung angegeben. Erfinder im Sinne des Patentgesetzes sei derjenige, dessen schöpferischer Tätigkeit die Erfindung entspringe. Nicht notwendig sei, zur berechtigten Anmeldung die Erfindung erstmalig gemacht zu haben. Es liege in der Natur der Sache, dass mehrere vergleichbare Ideen ohne Kenntnis des anderen parallel entwickeln könnten. Erfinder im Sinne des Patentgesetzes sei nach § 6 Satz 3 PatG in diesem Falle jedoch nur der, der die Erfindung zuerst anmelde. Nach Vortrag der Beklagten komme nur Herr R. als Erfinder in Betracht. Der Nachweis, der Kläger habe sich bei Patentanmeldung wissentlich eine Idee eines Anderen (R.) zu eigen gemacht bzw. ihm sei offensichtlich erkennbar gewesen, dass weitere Personen Miterfinder dieser Vorrichtung seien, d. h. einen wesentlichen schöpferischen Beitrag geleistet hätten, sei nicht geführt.

43

Der Zeuge R. so das Arbeitsgericht, habe ausgehend vom Stichtag 29.01.2010 (der E-Mail, in der der Kläger die biegsame Welle gegenüber Frau H. erwähnte) keine definitive Aussage über den Zeitpunkt der Mitteilung der Entwicklung einer Betätigung des Eckrollos durch bewegliche Welle an den Kläger vor dem 29.01.2009 treffen können. Vielmehr habe er den Zeitraum der Mitteilung an den Kläger zwischen November 2008 und Frühjahr 2009 eingeordnet.

44

Die Aussage von Frau H., die behauptet habe, dem Kläger seien schon im November oder Dezember 2008 in einer Vielzahl von Gesprächen alle Entwicklungsvarianten der K.W., so auch die einer beweglichen Welle, mitgeteilt worden, hat das Arbeitsgericht für nicht glaubhaft erachtet. Die Zeugin habe nicht näher einordnen können, in welchem Gespräch eine Erörterung der Lösungsmöglichkeit stattgefunden haben solle. Darüber hinaus habe sie sich nicht an die E-Mail des Klägers vom 29.01.2009 erinnern können. Außerdem spräche der Wortlaut der E-Mail des Klägers vom 29.01.2009 ebenfalls dagegen, es sei schon zuvor die Idee der beweglichen Welle seitens der Entwicklungsabteilung der K.W. an den Kläger herangetragen worden. Die Beweisaufnahme habe daher weder ergeben, der Kläger habe sich eine Idee des Herrn R. zu eigen gemacht, noch in Kenntnis der Miterfindereigenschaft Dritter die Patentanmeldung vorgenommen.

45

Auch die Kündigung vom 15.03.2010 könne als ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beenden. Zwar stelle die im E-Mail-Verkehr mit dem Vorstandsmitglied Dr. Z. gewählte Wortwahl des Klägers eine grundsätzlich zur ordentlichen Kündigung berechtigende Pflichtverletzung dar, die Kündigung verstoße jedoch letztendlich gegen das ultima ratio Prinzip. Es hätte der Beklagte oblegen, zuvor eine Abmahnung auszusprechen.

46

Das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17.02.2011 ist der Beklagten am 11.03.2011 (Bl. 616 d. A.) zugestellt worden.

47

Mit bei Gericht am 07.04.2011 per Fax eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte Berufung eingelegt (Bl. 666 d. A.) und diese mit am 11.05.2011 per Fax eingegangenem Schriftsatz (Bl. 680 d. A.) begründet.

48

Die Beklagte trägt vor:

49

Unzutreffend sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, der Beklagten sei der Nachweis eines Pflichtverstoßes im Rahmen der Patentanmeldung durch den Kläger nicht gelungen.

50

Nach Anfrage des Herrn Kr. an den Kläger Ende Oktober 2008 und der E-Mail des Klägers mit Hinweis auf die Schutzrechte des Herrn Os. Anfang November 2008 seien die Techniker der K.W. (darunter Herr R. und Frau H.) durch Herrn Kr. mit der Suche nach Entwicklungslösungen, die nicht die Schutzrechte des Herrn Os. verletzen würden, beauftragt worden. Im November 2008 seien daher nach Recherche bei der K.W. unterschiedliche Möglichkeiten, wie Zahnrad, Kardanwelle aber auch flexible Welle (Dremel) erörtert worden. Ende November, Anfang Dezember 2008 habe Frau H. den Kontakt mit dem Kläger zur patentrechtlichen Abklärung der entwickelnden Lösung in mehreren Telefonaten hergestellt. Im Rahmen dieser Telefonate sei der Kläger über alle drei Lösungsmöglichkeiten, so auch ausdrücklich über den Einsatz einer biegsamen Welle unterrichtet worden.

51

Die Angaben der Zeugin H. seien auch nicht unglaubwürdig. Die Zeugin H. habe im Rahmen ihrer Zeugenaussage die Historie der biegsamen Welle lückenlos und widerspruchsfrei auch im Vergleich zur Aussage des Zeugen R. und den eingereichten Unterlagen dargestellt. Gravierende Erinnerungslücken habe es nicht gegeben. Frau H. habe auch ausreichende Angaben zum Inhalt der mit dem Kläger geführten Telefongespräche im Kalenderjahr 2008 gemacht. Daher sei deren zeitliche Einordnung und mithin auch die Tatsache der Vermittlung der Idee der biegsamen Welle an den Kläger im Jahr 2008 ohne weiteres glaubwürdig möglich. Da Herr R. die Erfindung schon im Jahre 2008 gemacht habe, sei objektiv nicht nachvollziehbar, wieso Herr R. und Frau H. den Kläger, den sie ja ausschließlich zur Abklärung der patentrechtlichen Fragen bereits im November 2008 kontaktiert hätten, nicht auch unmittelbar über alle drei Lösungsmöglichkeiten informieren sollten. Frau H., in Übereinstimmung mit Herrn R., habe mehrfach betont, dem Kläger seien telefonisch alle drei Entwicklungsalternativen vorgestellt worden, jeweils immer und ausschließlich, im Hinblick auf die Verletzung möglicher bestehender Schutzrechte. Dies sei nachvollziehbar auch der einzige Gesprächsinhalt der Telefongespräche mit dem Kläger gewesen. Es sei daher nicht erkennbar, welche sonstigen sogenannten Erinnerungspunkte das Arbeitsgericht fordere. Frau H. sei nach sonstigen Erinnerungspunkten vom Arbeitsgericht auch nicht befragt worden. Nicht zutreffend sei die Annahme, die Glaubwürdigkeit der Zeugin H. werde dadurch erschüttert, dass sie sich nicht habe an die E-Mail vom 29.01.2009 erinnern können. Frau H. habe im Rahmen ihrer Zeugenvernahme bekundet, die Lösungsalternative Zahnrad sei aufgrund bestehender Schutzrechte verworfen worden. Genau dies ergäbe sich jedoch aus der E-Mail des Klägers vom 29.01.2009. Frau H. habe sich sehr wohl an die E-Mail des Klägers erinnern können. Das Gericht habe es auch verabsäumt, der Zeugin die E-Mail vom 29.01.2009 vorzuhalten. Der Nachsatz des Klägers in der E-Mail vom 29.01.2009 sei für Frau H. irrelevant gewesen, weil dieser keine neue Idee beinhaltet habe, vielmehr seien alle Entwicklungsalternativen schon in den gemeinsamen Telefongesprächen im Jahre 2008 durchgesprochen worden.

52

Im Rahmen Betriebsratsanhörung habe die Beklagte mit schriftlicher Anhörung vom 30.04.2010 aus ihrer subjektiven Sicht den gesamten Kündigungssachverhalt hinsichtlich der Patentanmeldung, Verwendung der Erfindung biegsamer Welle, dargestellt. Diese schriftlichen Ausführungen seien auch noch einmal nachfolgend mündlich erläutert worden.

53

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts müsse dem Kläger auch wegen seiner E-Mail vom 04.03.2010 keine Abmahnung ausgesprochen werden. Der ultima ratio Grundsatz sei mit der Kündigung vom 15.03.2010 nicht verletzt.

54

Auch das Arbeitsgericht sei von unangemessener Wortwahl und grundsätzlicher Eignung zur Kündigung ausgegangen. Es habe jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger nicht rein einzelfallbezogen Herrn Dr. Z. Inkompetenz vorgeworfen, sondern ein generelles und pauschal vernichtetes Urteil über die Kompetenz des Dr. Z. gefällt habe. Dies habe er überlegt getan und damit eine schwerwiegende Ehrverletzung verwirklicht. Der Kläger habe nicht damit rechnen können, ein derartig schwerer Verstoß gegen seine Verhaltenspflichten werde geduldet. Umstände, die annehmen ließen, der Kläger habe annehmen dürfen, sein Verhalten werde von Arbeitgeber als nicht bestandsgefährdend aufgefasst, lägen nicht vor. Da die Beklagte dem Kläger mit den zuvor ausgesprochenen Ermahnungen sein Fehlverhalten auch mehrfach vor Augen geführt habe, sei eine Abmahnung nicht mehr erforderlich.

55

Auch zu dieser Kündigung sei der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden. Insbesondere sei im der gesamte relevante E-Mailverkehr übergeben und die Gründe und die Umstände der Ermahnungen mitgeteilt worden.

56

Letztlich komme es auf die Frage der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung nicht an, der Kläger sei leitender Angestellter.

57

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

58

das Teilurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17. Februar 2011 (Aktenzeichen 3 Ca 658/10) wird aufgehoben und die Klage abge-wiesen.

59

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

60

die Berufung zurückzuweisen.

61

Der Kläger trägt vor:

62

Falsch sei die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe bei Anmeldung des Patents einen Vertragsverstoß begangen. Der Kläger habe die Idee der biegsamen Welle erstmals am 29.01.2009 in seiner E-Mail an Frau H. mitgeteilt. Die von der Beklagten aufgestellte Behauptung Herr R. und Frau H. hätten dem Kläger im November 2008 bzw. Dezember 2008 die alternative Lösung einer biegsamen Welle vorgetragen, sei falsch. Telefonate dieses Inhaltes habe es nicht gegeben. Dies belege letztendlich auch die E-Mail von Frau H. vom 12.01.2009, auf die der Kläger am 29.01.2009 geantwortet habe. In der E-Mail vom 12.01.2009 nehme Frau H. Bezug auf eine Anfrage von Herrn Kr. vom 31.10.2008. Telefongespräche im Monat November und Dezember 2008 würden in dieser E-Mail nicht erwähnt. Außerdem sei Gegenstand der E-Mail vom 12.01.2009 von Frau H. die Frage der Umgehung der Schutzrechte des Herrn Os. durch eine Zahnradlösung. Gegen die Behauptung der Beklagten spräche auch das Skizzenheft der Beklagten vom 25.02.2009, das eine Vielzahl von Alternativen aufführe. Daher sei die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichtes zutreffend. Der Vorwurf der Beklagten, das Arbeitsgericht habe der Zeugin H. die E-Mail vom 29.01.2009 nicht vorgelegt, sei nicht nachvollziehbar. Einerseits habe die Beklagte die E-Mail vom 29.01.2009 erst nach dem Termin der Beweisaufnahme zur Akte gereicht, darüber hinaus habe die Zeugin die Existenz einer derartigen E-Mail schon im Beweistermin bestritten.

63

Die Glaubwürdigkeit der Zeugin H. sei auch in Zweifel zu ziehen, da sie sich weder an konkrete Daten etwaiger behaupteter Telefonate erinnern könne noch an das Antwortschreiben des Klägers vom 29.01.2009 auf Ihre E-Mail vom 12.01.2009.

64

Die Aussage des Zeugen R. sei erkennbar wenig ergiebig. Dieser habe den Zeitpunkt der behaupteten Kenntnisvermittlung in die Zeit zwischen November 2008 und Frühjahr 2009 gelegt.

65

Letztlich sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger die von ihm behauptete Erfindung der Duschtrennvorrichtung mit beweglicher Welle schon am 31.10.2008 gemacht habe. An diesem Tag habe er im Rahmen eines privaten Treffens mit den Herren Dr. Fz. und Gz. im Einschlag eines Buches mit dem Namen "Big Business und Big Bang", das er Herrn Dr. Fz. überlassen habe, am Beispiel dieser Entwicklung die Grundzüge des gewerblichen Schutzrechtes erläutert.

66

Da der Kläger kein leitender Angestellter sei, folge die Unwirksamkeit beider Kündigungen aufgrund unzureichender Anhörung des Betriebsrates. Die Beklagte habe den Betriebsrat nicht ausreichend informiert. Der Anhörung zur Kündigung vom 03.05.2010 sei nicht der gesamte E-Mail-Verkehr den Vorgang betreffend, insbesondere nicht die E-Mail des Klägers vom 29.01.2009 beigefügt gewesen. Auch die Anhörung zur Kündigung vom 15.03.2010 habe nicht den gesamten E-Mail-Verkehr enthalten, insbesondere sei der tatsächliche Inhalt der Gespräche die Anlass der Ermahnungen vom 06.11.2009 und 07.05.2009 waren nicht mitgeteilt worden.

67

Die Beklagte erwidert,

68

der neue Tatsachenvortrag des Klägers zur Erfindung der Duschtrennvorrichtung mit biegsamer Welle nach nunmehr insgesamt 1 ½ jähriger Verfahrensdauer eröffne Widersprüche, die diesen unglaubwürdig machten. So sei nicht nachvollziehbar, wieso der Kläger, bei Vorlage der Idee zur biegsamen Welle in ausgereifter Form am 31.10.2008, diese nicht am 03.11.2008 (drei Tage später) Herrn Kr. mitgeteilt habe. In der E-Mail vom 03.11.2008 gehe der Kläger konkret auf bestehende Schutzrechte von Herrn Os. ein und behaupte, weitere Schutzrechte bezüglich besonderer Details (z.B. Eckgetriebe) noch nicht im Einzelnen geprüft zu haben. Wieso der Kläger erst Ende Januar 2009 Frau H. auf diese Idee hingewiesen habe, sei dann ebenfalls nicht nachvollziehbar. Da der Kläger stets darauf hingewiesen habe, Arbeitnehmererfindungen seien unverzüglich zu melden gelte gleiches für den Abgabetermin der Arbeitnehmererfindung am 17.04.2009.

69

Die Beklagte rege an neben dem vom Kläger benannten Dr. Fz. auch den weiteren vom Kläger benannten Gast des Abends Herrn Gz. zu vernehmen.

70

Der Kläger erwidert abschließend wie folgt:

71

Die Tatsache der Erfindung am 31.10.2008 stehe nicht im Widerspruch zur E-Mail vom 03.11.2008, denn der Kläger habe am Beispiel der biegsamen Welle nur die mögliche Umgehung eines Patentes erläutert. Ob eine biegsame Welle patentgeschützt sei, habe der Kläger vorab nicht geprüft. Auf Anfrage des Herrn Kr. habe der Kläger daher nur auf die Patente des Herrn Os. hingewiesen. Als später die K.W. das Projekt weiterverfolgte, habe er dann im Januar auf die Möglichkeit einer biegsamen Welle hingewiesen, nachdem die alternativen Vorschläge der K.W. nach Prüfung weiterhin mit Patenten kollidiert seien.

72

Für den weiteren Sachvortrag der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2011 verwiesen.

Entscheidungsgründe

73

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 513, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden.

74

Die Beklagte hat nach Zustellung des Teil-Urteiles des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17.02.2011 am 11.03.2011 innerhalb der Monatsfrist des § 64 Abs. 2 ArbGG Berufung eingelegt und diese auch innerhalb eines weiteren Monats mit Gerichtseingang 11.05.2011 begründet.

I.

75

Die zulässige Berufung ist jedoch nicht begründet. Sie hat in der Sache keinen Erfolg.

76

Das Arbeitsgericht hat in seinem Teil-Urteil vom 17.02.2011 der Klage, soweit sie Gegenstand des Teil-Urteiles war, zu Recht stattgegeben. Die Angriffe der Beklagten gegen das arbeitsgerichtliche Urteil bleiben erfolglos. Weder die außerordentliche Kündigung vom 03.05.2010 noch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 15.03.2010 haben das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst. Dies hat das Arbeitsgericht im Ergebnis und in der Begründung zutreffend festgestellt. Die Berufungskammer folgt den ausführlich und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt diese hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest.

77

Im Einzelnen:

78

1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.05.2010 war nicht geeignet das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 626 BGB zu beenden.

79

a) Der Kläger hat die Kündigung vom 03.05.2010 mit bei Gericht am 10.05.2010 eingegangener Kündigungsschutzklage fristgerecht innerhalb der Dreiwochenfrist des §§ 4, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG angegriffen, die Kündigung war daher an den Voraussetzungen des § 626 BGB und auch des § 102 BetrVG zu messen.

80

aa) Es kann jedoch offen bleiben, ob die Beklagte ihren Betriebsrat anhören musste, weil der Kläger kein leitender Angestellter i.S.v. § 5 BetrVG ist. Genauso unentschieden bleiben kann, ob die vorsorglich durchgeführte Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs.1 S.3 BetrVG unwirksam ist, da die Beklagte bewusst den Kläger entlastende Umstände ( z.B. E-Mail vom 29.01.2009) dem Betriebsrat nicht mitgeteilt hat. Der Kündigung liegt schon keine Pflichtverletzung i.S.v. § 626 Abs.1 BGB zugrunde.

81

bb) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn dem Kündigungsberechtigten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist (vorliegend nach § 12 des Arbeitsvertrages zum 31.12.2010) unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann. Darüber hinaus hat der in diesem Sinne Kündigungsberechtigte die Kündigungsausspruchsfrist des § 626 Abs. 2 BGB einzuhalten.

82

Die Prüfung, ob ein bestimmter Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellt, erfolgt im Rahmen einer abgestuften Prüfung im Wege zweier systematisch selbständiger Abschnitte (vgl. BAG 26.03.2009 - 2 AZR 953/07 - AP BGB § 626 Nr. 220). Auf erster Stufe ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt unter Außerachtlassung der besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet sein kann, einen wichtigen Grund abzugeben. Dabei bedarf es dem Grunde nach zur Verwirklichung eines wichtigen Grundes keines schuldhaften Verhaltens. Im Rahmen der Prüfung verhaltensbedingter Gründe wird hier jedoch wegen der notwendigen Interessenabwägung in der Regel nur bei schuldhaftem vorwerfbaren Verhalten ein wichtiger Grund anzunehmen sein (BAG 14.02.1996 - 2 AZR 274/95 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26; 20.11.1997 - 2 AZR 643/96 - AP KSchG 1969, § 1 Nr. 43). Geht der Arbeitnehmer trotz eines objektiven Vertragsverstoßes von der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens aus, ist Verschulden zu verneinen, wenn ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vorlag. Bei vermeidbaren Verbotsirrtum ist grundsätzlich Verschulden anzunehmen und der Grad der Fahrlässigkeit im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen.

83

Spricht der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung aus, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast für die Kündigungsgründe (vgl. BAG 06.08.1987 - 2 AZR 226/87 - AP BGB § 626 Nr. 97). Vom Kündigungsempfänger geltend gemachte Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sind vom Kündigenden zu widerlegen (BAG 17.06.2003 - 2 AZR 123/02 - AP ZPO 1977 zu § 543 Nr. 13; 06.09.2007 - 2 AZR 264/06 - NZA 2008, 636; 12.05.2010 - 2 AZR 587/08 - AP Nr 67 zu § 15 KSchG 1969). In diesem Falle hat der Kündigungsempfänger im Rahmen abgestufter Darlegungslast die tatsächlichen Grundlagen der Rechtfertigung oder Entschuldigung substantiiert darzulegen, der Kündigende hierauf entsprechend substantiiert zu erwidern und nötigenfalls Beweis anzubieten (BAG 06.08.1987 - 2 AZR 226/87 - AP BGB § 626 BGB Nr. 97; LAG Rheinland-Pfalz 01.10.2008 - 7 Sa 263/08, zitiert nach juris).

84

Ist auf dieser ersten Stufe festgestellt, dass an sich ein zur Kündigung geeigneter tatsächlicher Grund vorliegt, ist auf zweiter Stufe im Rahmen einer abschließenden Interessenabwägung unter Abwägung des Bestandsinteresses des Kündigungsempfängers und des Beendigungsinteresses des Kündigungserklärenden festzustellen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Kündigungserklärenden zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, wobei die Umstände der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Kündigungserklärende zu beweisen hat (BAG 24.11.1983 - 2 AZR 327/82 - AP BGB § 626 Nr. 76; 26.03.2009 - 2 AZR 953/07 - AP Nr 220 zu § 626 BGB jeweils m. w. N.).

85

Ausgehend von diesen Grundsätzen, die auch das Arbeitsgericht zugrunde gelegt hat, hat das Arbeitsgericht zutreffend angenommen, dem Kläger könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein an sich zur Kündigung geeigneter Fehlverhaltenstatbestand zur Last gelegt werden. Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, ist es der Beklagten im Rahmen der Beweisaufnahme nicht gelungen nachzuweisen, der Kläger habe sich pflichtwidrig als Alleinerfinder geriert. Wie das Arbeitsgericht unter Bezugnahme auf § 6 Abs. 3 PatG zutreffend dargestellt hat, kommt es für die Frage der Vertragswidrigkeit der Patentanmeldung durch den Kläger letztendlich darauf an, ob die Beklagte nachweisen konnte, der Kläger habe keinen schöpferischen Beitrag zur Erfindung geleistet, sich vielmehr ausschließlich Wissen Dritten zu eigen gemacht, ohne dass eine Doppelerfindung vorliegt. Die im Berufungsverfahren erhobenen Behauptung des Klägers außer acht lassend, er habe schon am 31.10.2008 die hier streitgegenständliche Erfindung gemacht, hätte es der Beklagten oblegen, nachzuweisen, dem Kläger sei schon vor dem 29.01.2009 die Erfindung "bewegliche Welle zum Betrieb der Duschtrennvorrichtung" seitens des von der Beklagten behaupteten Erfinders R. oder durch Frau H. zur Kenntnis gebracht worden. Dies, weil aller spätestens mit E-Mail des Klägers vom 29.01.2009 dieser von seiner Seite die Idee der beweglichen Welle den Mitarbeitern der K.W. mitgeteilt hat, in dem er sie gegenüber Frau H. ins Gespräch brachte.

86

Dass der Kläger in diesem Sinne sich eine Erfindung des Herrn R. von der K.W. zu eigen gemacht hat oder aber in Kenntnis der Miterfindereigenschaft Dritter, insbesondere des Herrn R., das Patent angemeldet hat hat die Beklagte wie das Arbeitsgericht zutreffend in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 17.02.2011 (Bl. 22 bis 28 des Urteils, Bl. 603 bis 607 d. A.) festgestellt hat, nicht bewiesen. Die hier nicht zu treffende Feststellung einer etwaigen Doppelerfindung genügt zum Nachweis einer Pflichtverletzung durch den Kläger aufgrund der Regelung in § 6 PatG nicht.

87

(1) Die Beklagte und Berufungsklägerin hat keine ausreichenden und konkreten Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenerhebung oder -feststellung des Arbeitsgerichtes begründen könnten (§ 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO). Derartige Zweifel sind vorliegend nicht in ausreichenden Maße ersichtlich.

88

Gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

89

Diese mit der Zivilprozessreform im Jahre 2001 eingeführte Bestimmung bedeutet zwar nicht, dass die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichtes bezogen auf die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen nur auf Verfahrensfehler in Form einer Revisionskontrolle beschränkt wären. Es kommt jedoch in § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, das Berufungsgericht grundsätzlich an die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen zu binden. Eine erneute Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht ist nach der Gesetzesformulierung die Ausnahme ("soweit nicht …"). Dies war auch die Absicht des Gesetzgebers (vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Bundesdrucksache 14/4722, S. 100). Aus den Gesetzesmaterialien folgt, dass die zwecks Entlastung der Berufungsgerichte vorgesehene grundsätzliche Bindung an die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen sich auf solche Tatsachenfeststellungen bezieht, welche die erste Instanz bereits vollständig und überzeugend getroffen hat.

90

Die Anforderungen an die Voraussetzungen einer erneuten Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht dürfen jedoch im Hinblick auf den Grundgedanken der materiellen Gerechtigkeit nicht überspannt werden. Vernünftige Zweifel liegen daher nicht nur dann vor, wenn die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen verfahrensfehlerhaft erhoben worden sind, sondern auch dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Feststellungen unvollständig oder unrichtig sind (BGH 09.03.2005 - VII ZR 2 66/03 - NJW 2005, 972). Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen können sich aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung (BVerfG 12.06.2003 - 1 BVR 2385/02 - NJW 2003, 2534) dann ergeben, wenn das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt, als das Gericht der Vorinstanz. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichtes an die erstinstanzliche getroffenen Feststellungen entfallen lässt, können sich auch ergeben, wenn die Beweiswürdigung nicht den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO genügt, weil sie unvollständig oder in sich widersprüchlich ist oder gegen Denk- und Erfahrungsgesetze verstößt (BGH 12.03.2004 - V ZR 257/03 - NJW 2004, 845).

91

Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO ist bei umfassender Würdigung der erhobenen Beweise Ziel der Beweiswürdigung die Beantwortung der Frage, ob eine streitige Behauptung als erwiesen angesehen werden kann, d.h. das Gericht von der Wahrheit der behaupteten Tatsache überzeugt ist. Dies ist der Fall, wenn eine Gewissheit besteht, die Zweifeln schweigen gebietet, ohne sie letztendlich vollständig ausschließen zu können. Weniger als Überzeugung von der Wahrheit reicht für das Bewiesensein dabei nicht aus. Ein bloßes Glauben, Wähnen, für wahrscheinlich halten, berechtigt den Richter nicht zur Bejahung des streitigen Tatbestandsmerkmals. Mehr als subjektive Überzeugung ist jedoch letztendlich nicht gefordert. Absolute Gewissheit ist nicht zu verlangen (vgl. Zöller, Kommentar zum ZPO, 27.Auflage, § 286, Rn. 18 und 19).

92

(2) Gemessen an diesen Anforderungen sind Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung nicht begründet. Die Berufungskammer teilt vielmehr die vom Arbeitsgericht vorgenommene Wertung.

93

Das Arbeitsgericht sah die Aussage des Zeugen R. im Hinblick auf das Beweisthema für unergiebig an, selbst wenn man unterstellt, der Zeuge R. habe den Einsatz einer biegsamen Welle zur Verwendung bei Duschabtrennvorrichtungen im November 2008 (ebenfalls) erfunden.

94

Dies weil der Zeuge R. den Zeitpunkt einer etwaigen Kenntnisvermittlung des Einsatzes einer biegsamen Welle seitens der Mitarbeiter der K.W. an den Kläger in den Zeitraum von November 2008 bis Frühjahr 2009 legte. Dem Zeugen war eine genauere Eingrenzung des Zeitraumes im Rahmen der Beweisaufnahme trotz Nachfrage nicht möglich. Die Behauptung des Zeugen er sei sicher in den Telefonaten sei die erste Information über die biegsame Welle von Mitarbeitern der k.W. ausgegangen und nicht vom Kläger, genügt, so zutreffend das Arbeitsgericht, nicht, um zu beweisen, der Kläger habe eine Erfindung des Herrn R. bzw. der K.W. verwendet. Die E-Mail des Klägers vom 29.01.2010, in der dieser seinerseits die biegsame Welle ansprach war nicht an Herrn R., sondern an Frau H. gerichtet, Die Aussagen des Zeugen R. bezogen sich dagegen ausschließlich auf Telefongespräche. Ein sicherer Schluss, die Kenntnis des Klägers von der biegsamen Welle sei durch die Zeugen R. und H. vor dem 29.01.2009 vermittelt worden, läßt die Aussage des Zeugen R. daher nicht zu. Dieser Würdigung und Bewertung der Zeugenaussage des Zeugen R. schließt sich die Kammer an. Die Beweiswürdigung ist frei von Widersprüchen, verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände sind widerspruchsfrei beachtet worden. Das Arbeitsgericht hat die Aussage vollständig seiner Bewertung zugrunde gelegt und als wahr unterstellt. Allein dem Zeugen war eine konkrete Eingrenzung in zeitlicher Hinsicht nicht möglich.

95

Dass die Feststellungen des Arbeitsgerichtes im Hinblick auf die Aussage des Zeugen R. im Urteil vom 17.02.2010 fehlerhaft oder unvollständig seien, hat die Beklagte im Rahmen der Berufung nicht behauptet. Die Beklagte hat sich letztendlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Bewertung des Arbeitsgerichtes hinsichtlich der Aussage der Zeugin H. zutreffend ist.

96

Aus der Aussage der Zeugin H., so das Arbeitsgericht, könne nicht mit hinreichender Gewissheit geschlossen werden, die Behauptung der Zeugin H., die Alternative biegsame Welle sei dem Kläger schon im Jahre 2008 zugetragen worden, sei objektiv tatsächlich zutreffend. Auch bei Annahme, die Aussage entspräche dem subjektiven Tatsachenerinnerungsstand der Zeugin (subjektive Wahrheit) könne keine (ausreichende) Überzeugung gewonnen werden, die zeitliche Einordnung der Zeugin hinsichtlich der Gespräche sei korrekt. Begründet hat das Arbeitsgericht dies damit, dass die Zeugin sich nicht habe erinnern können, in welchen Gesprächen eine Erörterung der Lösungsmöglichkeit tatsächlich konkret erfolgt sei. Sie habe nur bekundet, jedenfalls im Jahre 2008 sei dies erfolgt. Zweifel an der Erinnerungsfestigkeit der Zeugin seien geboten, da die E-Mail des Klägers vom 29.01.2009, in welcher dieser die Lösungsmöglichkeit mit biegsamer Welle aufweise, der Zeugin nicht mehr erinnerlich gewesen sei. Darüber hinaus hat das Arbeitsgericht angenommen, auch der Wortlaut der E-Mail des Klägers vom 29.01.2009 stehe der Aussage der Zeugin H., schon in 2008 sei Kenntnisvermittlung erfolgt, entgegen.

97

Die Beklagte und Berufungsklägerin hat in der Berufung vorgetragen, die Aussage des Zeugen H. hinsichtlich der zeitlichen Einordnung der Information des Klägers durch Mitarbeiter der K.W. sei zutreffend. Sowohl die Zeugin H. als auch der Zeuge R. hätten die Historie der Entwicklung übereinstimmend widerspruchsfrei geschildert. Erinnerungslücken seien nicht zu Tage getreten. Die Zeugin H. habe in Übereinstimmung mit dem Zeugen R. mehrfach betont, alle drei Lösungsalternativen, so auch die bewegliche Welle, seien wiederholt Gegenstand von Telefongesprächen wegen der Möglichkeit der Verletzung etwaiger Schutzrechte gewesen. Damit habe die Zeugin auch hinreichend detailliert den Inhalt der Gespräche im Jahre 2008 wieder gegeben. Welche weiteren sonstigen Erinnerungspunkte das Arbeitsgericht verlange, sei nicht nachvollziehbar. Es habe die Zeugin auch in der Verhandlung vom 04.11.2010 nicht zu sonstigen Erinnerungspunkten befragt. Fehlerhaft sei die Behauptung, die Zeugin habe sich nicht an die E-Mail des Klägers vom 29.01.2009 erinnert. Vielmehr habe diese doch geäußert, die Lösungsalternative Zahnrad sei aufgrund bestehender Schutzrechte verworfen worden, was sich allerdings aus der E-Mail des Klägers vom 29.01.2009 ergebe. Dass die Zeugin sich an die E-Mail, die ihr nicht vorgehalten worden sei, nicht erinnert habe, sei nachvollziehbar. Die Erfindung sei zuvor schon von Herrn R. gemacht worden, die E-Mail habe daher nichts Neues enthalten.

98

Da Herr R. die Erfindung im November 2008 entwickelt habe, sei objektiv nicht nachvollziehbar, wieso Herr R. und Frau H. den Kläger, den sie ausschließlich zur Abklärung patenrechtlicher Fragen und unstreitig erstmals im November 2008 kontaktiert hätten, nicht unverzüglich über alle drei gefundenen Lösungsmöglichkeiten informiert haben sollten (vgl. Bl. 718 bis 721 d. A.).

99

Die Einwände der Beklagten sind nicht geeignet, die Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichtes in Zweifel zu ziehen (§ 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO).

100

Soweit die Beklagte einwendet, der Zeugin hätte im Beweistermin vom 04.11.2010 die E-Mail vom 29.01.2009 vorgehalten werden müssen, weist die Kammer daraufhin, dass dies nicht möglich war, da zu diesem Zeitpunkt die Beklagte, in deren Besitz sich die E-Mail befand, diese noch nicht in das Verfahren eingeführt hatte.

101

Die weitere Behauptung, unzutreffend habe das Arbeitsgericht angenommen, die Zeugin H. habe sich an die E-Mail vom 29.01.2009 nicht erinnert, ist falsch. Nach dem Protokoll der Beweisaufnahme vom 04.11.2010 (S. 10, Bl. 454 d. A.) hat die Zeugin auf Nachfrage geäußert, sie könne sich nicht erinnern, der Kläger habe ihr außer der E-Mail mit der Abbildung noch eine weitere E-Mails geschickt. An eine E-Mail, in der der Kläger die Lösungsmöglichkeit einer biegsamen Welle erwähnt habe, könne sie sich nicht erinnern. Sie könne jedoch nicht ausschießen, auch andere E-Mails seitens des Klägers erhalten zu haben. Auf Seite 12 des Protokolls der Beweisaufnahme vom 04.11.2009 (Bl. 456 d. A.) äußerte die Zeugin dann auf die Nachfrage, ob sie auf ihre E-Mail vom 12.01.2009 eine schriftliche Antwort des Klägers erhalten habe, das wisse sie nicht mehr, sie könne jedoch sagen, dass sie vom Kläger in der Regel telefonisch kontaktiert worden sei. In diesem Zusammenhang hat die Zeugin (Bl. 10 des Terminsprotokolls vom 04.11.2010, 454 d. A.) geäußert, soweit sie sich recht erinnere, habe der Kläger sie Ende Januar angerufen und mitgeteilt, die Lösungsmöglichkeit mit dem Zahnrad verletze ebenfalls Schutzrechte. Entgegen der Behauptung der Beklagten, hat daher die Zeugin sehr wohl in dem Beweistermin erklärt, sich an eine E-Mail des Klägers in Antwort auf ihre E-Mail vom 12.01.2009 nicht erinnern zu können. Sie hat vielmehr dargelegt, dass in der Regel der Kontakt telefonisch verlaufen sein soll. Auch die Mitteilung über die Schutzrechtsverletzung im Hinblick auf den Vorschlag mit ihrer E-Mail vom 12.01.2009 habe sie telefonisch vom Kläger erhalten.

102

Soweit die Beklagte den Schluss zieht, die Aussage der Zeugin, ihr sei vom Kläger vermittelt worden, auch das in der E-Mail vom 12.01.2009 angedachte Zahnradmodell verletzte Schutzrechte, zwinge zu dem Schluss, der Zeugin sei auch die E-Mail vom 29.01.2009 erinnerlich gewesen, ist nicht nachvollziehbar. Denn die Zeugin hat in der Beweisaufnahme behauptet, hierüber telefonisch vom Kläger informiert worden zu sein, was auch nach Vortrag des Klägers tatsächlich der Fall war (vgl. Protokoll der Sitzung vom 19.08.2010, Bl. 3, 348 d. A.).

103

Daraus folgend ist auch der Vorwurf der Beklagten, es sei nicht ersichtlich, welche anderen Erinnerungspunkte das Arbeitsgericht abgefragt habe, nicht nachvollziehbar. Die Zeugin hat insgesamt den Ablauf des Erfindungsgeschehens und der Entwicklung der Duschabtrennvorrichtung ohne konkrete, mit Datum versehene Anhaltspunkte geschildert. Auch den Inhalt etwaiger Gespräche, die die Zeugin behauptet hat, hat sie nur thematisch beschrieben, weder zeitlich konkret eingeordnet, noch hinsichtlich einzelner Gespräche nach Wortlaut oder auch konkretem Ablauf weiter differenziert. Ausgehend hiervon hat das Arbeitsgericht gerade auch im Hinblick auf den (teilweise dokumentierten) E-Mail-Verkehr die Zeugin befragt. Ganz konkret bezog sich das Arbeitsgericht auf eine etwaige E-Mail des Klägers im Januar, in der der Kläger eine biegsame Welle als Lösungsmöglichkeit vorgeschlagen hat. Wie zuvor dargestellt, hat die Zeugin Kenntnis von einer derartigen E-Mail insgesamt verneint.

104

Den Schluss des Arbeitsgerichtes, dass dies ein wesentliches Randfaktum sei, das letztendlich im Hinblick auf die Frage des Bewiesenseins im Sinne obiger Definition ausreichender Wahrscheinlichkeit Einfluss nimmt, teilt die Kammer.

105

Der letzte Hinweis der Beklagten, man müsse allein deswegen annehmen, dem Kläger sei schon im November oder Dezember 2008 Kenntnis von der Verwendbarkeit einer biegsamen Welle vermittelt worden, da doch Herr R. die Erfindung schon im November gemacht habe und die Gespräche mit dem Kläger nur den Sinn gehabt hätten, etwaige Schutzrechtsverletzungen zu vermeiden, ist unter Berücksichtigung des vorgelegten E-Mail-Verkehrs nicht überzeugend. Denn hätte die K.W. schon im Rahmen der telefonischen Gespräche im November oder Anfang Dezember 2008 konkret das Lösungsmodell biegsame Welle an den Kläger ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung etwaiger Schutzrechtsverletzungen herangetragen, so ist nicht nachvollziehbar, wieso unter dem Datum vom 12.01.2009, allein Bezug nehmend auf eine E-Mail vom 03.11.2008 und ohne die Erwähnung etwaiger sonstiger Entwicklungsalternativen, eine Anfrage wegen einer Lösung mit einem Zahnradgetriebe erfolgte. Diese E-Mail legt vielmehr nahe, dass zuvor keine explizite Telefongespräche hinsichtlich patentrechtlicher Fragen bezüglich einzelner Entwicklungsalternativen stattgefunden haben. Dafür spricht ebenfalls, wie auch das Arbeitsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung festgestellt hat, nachfolgend die Formulierung des Klägers in seiner E-Mail vom 29.01.2009.

106

Die Einwände der Beklagten im Berufungsverfahren waren daher nicht geeignet, die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichtes in Frage zu stellen.Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Würdigung, die Zeugin habe nicht glaubhaft vermittelt, dem Kläger sei die Idee der beweglichen Welle schon im November oder Dezember 2008 von den Mitarbeitern der K.W. mitgeteilt worden ist daher in sich widerspruchsfrei, verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze und hat alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände in sich widerspruchsfrei berücksichtigt.

107

Nach § 286 Abs. 1 ZPO muss nach Würdigung etwaiger erhobener Beweise Ziel der Beweiswürdigung die Beantwortung der Beweisfrage als erwiesen sein. Dazu genügt nicht, nur ein Maß der Wahrscheinlichkeit erreicht zu haben, dass im Sinne eines nachvollziehbaren Tatsachenverlaufes möglich erscheint. Vielmehr muss das Gericht von der behaupteten Tatsache mit einer Gewissheit ausgehen, die Zweifeln schweigen gebietet, ohne diese letztendlich vollständig auszuschließen. Weniger als Überzeugung reicht dabei jedoch nicht aus. Ein bloßes Glauben, Wähnen, für wahrscheinlich halten berechtigt nicht zur Annahme des Bewiesenseins etwaiger streitiger Tatbestandsmerkmale.

108

Eine derartige Gewissheit konnte, wie zuvor dargestellt, weder erstinstanzlich durch das Arbeitsgericht noch zweitinstanzlich im Rahmen der Würdigung der Aussagen der Zeugen R. und H. gewonnen werden.

109

Daran ändert auch der Einwand der Beklagten, der neue Vortrag des Klägers zur Erfindung schon am 31.10.2008, erschüttere die Glaubwürdigkeit seines bisherigen Vortrages, nichts. Der bisherige Sachvortrag des Klägers und sein neuer Vortrag stehen nicht in einem wechselseitigen Ausschlussverhältnis. Dies behauptet nicht einmal die Beklagte. Diese meint Widersprüche erkannt zu haben, die die Glaubwürdigkeit zu erschüttern geeignet seien. Der Kläger ist dem tatsächlich entgegen getreten.

110

Ist der Vortrag des Klägers die Erfindung schon am 31.10.2008 gemacht zu haben zutreffend, wäre eine spätere gleiche Entwicklung durch Herrn R. irrelevant. Trifft der neue Vortrag des Klägers zum Erfindungsdatum nicht zu, ist sein bisheriges Vorbringen dennoch entscheidungsrelevant. Dies, weil aller spätestens mit E-Mail des Klägers vom 29.01.2009 dieser von seiner Seite die Idee der beweglichen Welle den Mitarbeitern der K.W. mitgeteilt hat. Auch die E-Mail der Zeugin H. vom 12.01.2009 ist dann wie Zuvor dargestellt weiterhin geeignet den Vortrag des Klägers zu stützen. Selbst im Falle der neue Vortag des Klägers zum Erfindungsdatum sei unzutreffend liegen ausreichende objektive Anhaltspunkte vor, die es verbieten ohne Beweisaufnahme, den bisherigen Sachvortrag des Klägers unberücksichtigt lassend, die Behauptung der Beklagten zur Kenntnisvermittlung noch im Jahre 2008, als zutreffend zu unterstellen.

111

Damit steht fest, es ist der Beklagten nicht gelungen nachzuweisen, der Kläger wäre von den Mitarbeitern der K.W. vor dem 29.01.2009 über die Anwendbarkeit einer biegsamen Welle im Hinblick auf die Entwicklung einer Duschtrennvorrichtung informiert worden. Zutreffend ist auch zugleich die Bewertung des Arbeitsgerichtes (Bl. 27 des Urteils vom 17.02.2011 unter Ziffer 3.1, Bl. 606 d. A.), dass dann auch nicht bewiesen ist, der Kläger habe sich eine etwaige Erfindung des Mitarbeiters R. zu eigen gemacht oder von dieser profitiert, was Miterfindereigenschaft bedingen würde. Dass keine Doppelerfindung vorliegt, hat die Beklagte daher ebenfalls nicht bewiesen.

112

Es bleibt daher bei der Feststellung des Arbeitsgerichtes, dass die Kündigung vom 03.05.2010 als außerordentliche Kündigung nicht geeignet war, das Arbeitsverhältnis der Parteien zu beenden.

113

2. Auch die hilfsweise Kündigung der Beklagten vom 15.03.2010 war nicht geeignet das Arbeitsverhältnis der Parteien zu beenden.

114

Die Kammer verweist gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die ausführlichen rechtlichen Ausführungen des Arbeitsgerichtes im Urteil vom 17.02.2011 (S. 28 bis 33 d. Urteils, Bl. 607 bis 612 d. A.) und macht sich diese ausdrücklich zu eigen.

115

Im Hinblick auf den Vortrag der Beklagten in der Berufungsbegründung gilt nachfolgendes:

116

Die Beklagte wirft dem Kläger eine besonders schwerwiegende Ehrverletzungen durch die E-Mail vom 04.03.2010 vor, da der Kläger Dr. Z. nicht nur im Einzelfall Inkompetenz vorgeworfen hätte, sondern generell und pauschaliert die Behauptung der Inkompetenz des Dr. Z. aufgestellt habe und dies zuletzt in gut überlegter Form. Darüber hinaus sei die E-Mail des Klägers auch verleumderisch, da entgegen der Behauptung des Klägers die Darstellung des Dr. Z. in seiner E-Mail vom 03.01.2010 hinsichtlich des Informationsflusses bezogen auf den Linzenzvertrag USA zutreffend gewesen sei. Umstände, die das Verhalten des Klägers rechtfertigen oder in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten, lägen nicht vor. Da der Kläger schon zuvor zweimal ermahnt worden sei, habe er nicht davon ausgehen dürfen, sein Verhalten werde geduldet.

117

Auch unter Berücksichtigung des nunmehrigen Vortrages der Beklagten kommt eine von der Wertung des Arbeitsgerichts abweichende Bewertung des Sachverhaltes nicht in Betracht.

118

a. Die Kammer teilt die Ansicht, dass eine grobe Beleidigung des Dr. Z. nicht vorliegt.

119

Die Formulierung "Insoweit ist Ihre Behauptung, Herr Hs. habe "beim Übertrag (meiner) Akten" keine Kenntnis erlangt, schlicht unwahr ", stellt keinen Vorwurf der Lüge durch Herrn Dr. Z. dar, sondern enthält, Bezug nehmend auf Absatz 1 der E-Mail und die Schilderung der Abläufe zur Übersendung von Akten, eine unterschiedliche Bewertung der Tatsachenabläufe. Ein Vorwurf bewusster Falschdarstellung zur Täuschung über Geschehensabläufe, somit der Lüge, wird mit dieser Formulierung nicht erhoben.

120

Mit dem letzten Absatz der E-Mail vom 04.03.2010 beginnend mit "Bemerkenswert finde ich…" endend mit "…Einsicht" hat der Kläger Herrn Dr. Z. keine allgemeine Inkompetenz bescheinigt. Die Formulierung "Der obengenannte Vorgang ist - neben anderen - ein sehr illustrativer Beleg für die Richtigkeit, diese Einsicht" steht in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Satz zuvor und der E-Mail des Herrn Dr. Z. vom 03.03.10, wo dieser mitteilte, "Ich komme doch nicht im Entferntesten auf die Idee Ihre offenen Themen aus 2008 (!) an mich zu ziehen und selbst lösen zu wollen; dazu fehlt mir jegliches Detailverständnis der Vorgänge, der juristische Hintergrund sowie, viel wichtiger, die grundsätzliche Motivation". Die Bezugnahme lässt eindeutig erkennen, dass sich die Äußerungen des Klägers auf den eingeschränkten Bereich der patentrechtlichen Fragen bezieht und somit keine allgemeine Unterstellung der Inkompetenz beinhaltet. Patentfragen gehören jedoch unstreitig gerade nicht zum Aufgabengebiet des Dr. Z., da ihm nach eigener Aussage hierfür das juristische Fachverständnis fehlt. Ein allgemeiner Inkompetenzvorwurf an Herrn Dr. Z. kann daher in der E-Mail vom 04.03.2010 nicht gesehen werden.

121

b. Zutreffend hat das Arbeitsgericht jedoch festgestellt, allein aufgrund der polemisierenden Wortwahl des Klägers werde der Rahmen des zulässigen Umgangs mit Vorgesetzten, hier einem Vorstandsmitglied überschritten. Eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung liegt vor.

122

Mit dem Arbeitsgericht, auf dessen Darstellung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes Bezug genommen wird (A II 2. b. bb. (1.), Bl.32 des Urteils), ist jedoch die Kammer der Ansicht, im Falle steuerbaren Fehlverhaltens ist grundsätzlich, in Anwendung des Ultima-ratio-Prinzips als tragendem Grundsatz des Kündigungsrechtes, als milderes Mittel vor der Kündigung der Ausspruch einer Abmahnung erforderlich. Die Kammer schließt sich insoweit zur Frage der Notwendigkeit einer Abmahnung im vorliegenden Fall den Ausführungen des Arbeitsgerichtes im Urteil vom 17.02.2011 (A II 2. b. bb. (2.), Bl. 33 des Urteils) an, § 69 Abs.2 ArbGG.

123

In der Berufung wendet die Beklagte noch ein, unberücksichtigt geblieben sei, dass der Kläger die E-Mail wohlüberlegt verfasst habe. Ein Augenblicksversagen läge nicht vor. Dies müsse sich zu Lasten des Klägers auswirken.

124

Nach Ansicht der Kammer ist jedoch zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass der Inhalt der E-Mail vom Kläger nicht an Dritte herangetragen worden ist.

125

Entscheidender Abwägungsgesichtspunkt im Rahmen der Interessenabwägung ist jedoch, die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei für zwei Vorfälle, in denen er sich im Ton vergriffen habe und den gebührenden Respekt vor Vorgesetzten habe vermissen lassen, lediglich ermahnt worden. Hat daher die Beklagte auf zwei Vorfälle, die einen vergleichbaren Fehlverhaltenskreis betreffen, jeweils nur mit Ermahnung, somit mit einem arbeitsrechtlichen Mittel, das im Wesentlichen sanktionslos bleibt, reagiert, war für den Kläger nicht absehbar, die Beklagte werde nunmehr bei einem ähnlichen Verstoß unter Auslassung der Stufe der Abmahnung unmittelbar die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht ziehen.

126

Wenn die Beklagte nach einmaliger Ermahnung im zweiten Falle nicht zur Abmahnung greift, sondern erneut unter Verzicht auf die einer Abmahnung zwingend innewohnende Warnfunktion im Hinblick auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses erneut nur eine Abmahnung erteilt, musste der Kläger nicht davon ausgehen, nunmehr für das E-Mail-Schreiben vom 04.03.2011 gleich mit dem Verlust des Arbeitsplatzes sanktioniert zu werden.

127

Im Ergebnis lässt sich daher feststellen, dass die Berufung der Beklagten insgesamt unbegründet war.

II.

128

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.

III.

129

Gründe gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG die Revision zuzulassen, lagen nicht vor.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 257/03 Verkündet am:
12. März 2004
W i l m s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
ZPO (2002) § 529 Abs. 1 Nr. 1
Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen
des erstinstanzlichen Gerichts begründen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern
ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen
sind.
ZPO (2002) § 529 Abs. 1
Ist eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht geboten, so beurteilt sich die
Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen
Beweisaufnahme verpflichtet ist, nach denselben Grundsätzen wie aus der Zeit vor Geltung
des Zivilprozeßreformgesetzes.
ZPO (2002) § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3
Wird in der Berufungsbegründung gerügt, das erstinstanzliche Gericht habe Parteivorbringen
übergangen, so ist eine genaue Bezeichnung unter Angabe der Fundstelle in den
Schriftsätzen der Vorinstanz nicht erforderlich.
ZPO (2002) § 529 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1
Auch bei einem Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts obliegt dem Berufungsgericht
nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle
des erstinstanzlichen Urteils ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge.
Für schriftsätzlich angekündigtes Vorbringen kommt dem Urteilstatbestand keine negative
Beweiskraft zu.
BGH, Urt. v. 12. März 2004 - V ZR 257/03 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. März 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin
Dr. Stresemann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. August 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte war von der Stadt O. beauftragt, auf einem ehemaligen Kasernengelände gelegene Grundstücke und Wohnungen zu vermarkten. Mit notariellem Vertrag vom 8. Juli 1999 verkaufte sie eine durch Ausbau des Dachgeschosses eines Hauses noch zu errichtende Wohnung zum Preis von 444.000 DM an die Klägerin.
Dem Vertragsschluß vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen einer Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin Dr. L. , und der Klägerin, die von ihrem Bekannten, dem Zeugen Rechtsanwalt W. , begleitet wur-
de. Nach den Behauptungen der Klägerin erklärte Dr. L. während der Verhandlungen, auf dem der künftigen Dachgeschoßwohnung gegenüber liegenden Grundstück der Beklagten solle ein lediglich zweigeschossiges Gebäude errichtet werden, so daß die Sicht aus der Wohnung auf den Taunus uneingeschränkt erhalten bleibe. Tatsächlich war bereits zu diesem Zeitpunkt der - zwischenzeitlich begonnene - Bau eines viergeschossigen Wohn- und Geschäftshauses durch einen Investor geplant, wovon die Klägerin erst nach Bezug der Wohnung Kenntnis erhielt. Die mehr als zweigeschossige Nachbarbebauung , so hat die Klägerin behauptet, habe zu einem um 20 % geminderten Wert der Wohnung geführt.
Sie verlangt daher Schadensersatz in Höhe von 20 % des Kaufpreises sowie entsprechend geminderter Erwerbskosten und nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung von 47.613,80 Landgericht hat die Klage nach Vernehmung des Zeugen W. und der Zeugin Dr. L. über den Inhalt der Vertragsverhandlungen abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gewandt und insbesondere gerügt, daß das Landgericht die Zeugen nicht gehört habe, die sie zur Erschütterung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. benannt habe. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht hält die Klage auf der Grundlage der in erster Instanz getroffenen Feststellungen für unbegründet. Die von der Klägerin behaupteten Falschangaben der Zeugin Dr. L. zur zweigeschossigen Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks seien nicht bewiesen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen in der Berufungsinstanz gebieten könnten, habe die Klägerin nicht aufgezeigt. Die von dem Eingangsgericht vorgenommene Beweiswürdigung unterliege zwar gewissen Zweifeln, sei im Ergebnis jedoch zutreffend. Soweit die Klägerin das Übergehen erstinstanzlicher Beweisanträge gerügt habe, betreffe dies einen nicht von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel , der gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen könne, wenn er nach Maßgabe des § 520 Abs. 3 ZPO in der Berufungsbegründung ordnungsgemäß geltend gemacht worden sei. Diesen Anforderungen entspreche die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge nicht, weil es an einer konkreten Bezeichnung der angebotenen Zeugen und der Angabe des genauen Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote fehle.
Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

II.


1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts. Für den Fall, daß - wie die Klägerin behauptet - die für die Beklagte handelnde Zeugin Dr. L. im Rahmen der Vertragsverhandlungen unzutreffende Angaben zu der geplanten Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks gemacht haben sollte, wären die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß erfüllt (vgl. Senat, Urt. v. 20. September 1996, V ZR 173/95, NJW-RR 1997, 144, 145; Urt. v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302). Die Gewährleistungsvorschriften des hier weiterhin anwendbaren früheren Rechts (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) sind nicht einschlägig und stehen mithin einer Haftung der Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht entgegen. Der Umstand, daß der gegenwärtige oder zukünftige Eigentümer eines benachbarten Grundstücks zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht den Willen hat, dieses entsprechend den baurechtlichen Möglichkeiten zu bebauen, stellt keine Eigenschaft des veräußerten Objekts, deren Fehlen als Sachmangel qualifiziert werden könnte (BGH, Urt. v. 14. Januar 1993, IX ZR 206/91, NJW 1993, 1323, 1324).
2. Hingegen rügt die Revision mit Erfolg, daß das Berufungsgericht erneute Feststellungen zu dem zwischen den Parteien streitigen Inhalt der Vertragsverhandlungen unter Verletzung des Verfahrensrechts abgelehnt hat. Auch nach neuem Recht unterliegen Berufungsurteile auf entsprechende Verfahrensrüge hinsichtlich der vollständigen Berücksichtigung des Streitstoffs und der Beweisangebote der Überprüfung durch das Revisionsgericht (MünchKomm -ZPO/Wenzel, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 546 Rdn. 15). Dies führt vorliegend zu dem Ergebnis, daß sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an
der Vollständigkeit des von dem Eingangsgericht zugrunde gelegten Sachverhalts , die nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO erneute Feststellungen des Berufungsgerichts gebieten, sowohl aus Fehlern der Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Urteil (a), als auch aus dem Übergehen erstinstanzlichen Vorbringens der Klägerin (b) ergeben.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 100; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann , NJW 2003, 169, 171).
aa) Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind (Hannich /Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 529 Rdn. 21; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rdn. 8). Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urt. v. 11. Februar 1987, IVb ZR 23/86, NJW 1987, 1557, 1558; Senat, Urt. v. 9. Juli 1999, V ZR 12/98, NJW 1999, 3481, 3482). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt unter anderem dann vor,
wenn Umständen Indizwirkungen zuerkannt werden, die sie nicht haben können , oder wenn die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH, Urt. v. 22. Januar 1991, VI ZR 97/90, NJW 1991, 1894, 1895; Urt. v. 23. Januar 1997, I ZR 29/94, NJW 1997, 2757, 2759).
(1) Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil zumindest insoweit fehlerhaft, als es um die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. geht. Dessen Bekundungen hat das Gericht erster Instanz vor allem deshalb für unglaubhaft gehalten, weil der Zeuge die angebliche Zusicherung der Zeugin Dr. L. , das gegenüberliegende Grundstück werde nur zweigeschossig bebaut, nicht überprüft und sich insbesondere bei der Stadt O. nicht nach dem Bestand und dem Inhalt eines etwaigen Bebauungsplans erkundigt habe. Diesem Umstand kommt indes die ihm vom Gericht zuerkannte Indizwirkung nicht zu. Es ist nicht ersichtlich , aus welchem Grund für den Zeugen W. , der an den Vertragsverhandlungen nicht als beauftragter Rechtsanwalt, sondern allein wegen seiner Bekanntschaft mit der Klägerin teilgenommen hatte, Anlaß bestehen konnte, Erkundigungen zu den Äußerungen der Zeugin Dr. L. einzuholen. Zudem ist das herangezogene Indiz auch auf Grund seiner Ambivalenz nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. in Frage zu stellen. Selbst für die Klägerin gab es nämlich keine Veranlassung, die von der Zeugin Dr. L. erteilten Auskünfte zu überprüfen, wenn sie auf deren Richtigkeit vertraute. Daß die Angaben der Zeugin einen für den Vertragswillen der Klägerin bedeutsamen Punkt betrafen, steht dieser Möglichkeit nicht entgegen. Das Unterbleiben von Nachforschungen läßt deshalb nicht ohne weiteres darauf schließen, daß die Zeugin Dr. L. eine zweigeschossige Nachbarbebauung nicht zugesagt hat. Vielmehr läßt dieser Umstand auch den
Schluß zu, die Klägerin habe sich ebenso wie der Zeuge W. auf eine derartige Zusage verlassen. (2) Geht das Eingangsgericht - wie hier - auf Grund einer fehlerhaften Beweiswürdigung von der Nichterweislichkeit einer entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung aus, so bestehen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 13, § 529 Rdn. 35). Hierbei genügt es, wenn nur ein tragendes Element der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in seiner Aussagekraft geschmälert wird (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 32), weil bereits dann die Unrichtigkeit oder Lückenhaftigkeit der getroffenen Feststellungen als Folge der konkreten Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden kann (Rimmelspacher , NJW 2002, 1897, 1902). So liegt der Fall auch hier. Ausweislich seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung ist das erstinstanzliche Gericht nur deshalb zu dem Ergebnis der Nichterweislichkeit unzutreffender Angaben der Zeugin Dr. L. gelangt, weil es Anlaß gesehen hat, an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen W. zumindest zu zweifeln. Können diese Bedenken ausgeräumt werden, so ist es möglich, daß der Tatrichter die Aussage des Zeugen W. als glaubhaft ansieht. Da die Beweiswürdigung dann auch zu einem anderen Ergebnis führen kann, besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses. In solcher Situation sind erneute oder auch erstmalige (Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 12) neue Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geboten (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 14/6036, S. 123; Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 36; MünchKomm -ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 529 Rdn. 24; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 11).
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich weder das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte noch die Erforderlichkeit erneuter Feststellungen mit der Erwägung verneinen, das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiswürdigung unterliege zwar "gewissen Zweifeln", sei aber aus anderen Gründen richtig. Zu dieser Schlußfolgerung konnte das Berufungsgericht nur auf Grund einer eigenständigen Würdigung der in erster Instanz erhobenen Beweise gelangen. Dies stellt jedoch, worauf die Revision zutreffend hinweist, der Sache nach eine erneute Tatsachenfeststellung dar, die aber nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte und das Gebotensein nochmaliger Feststellungen gerade voraussetzt.
cc) Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht deshalb als richtig dar (§ 561 ZPO), weil das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO gebotenen erneuten Tatsachenfeststellung zwar - fehlerhaft - verneint, eine solche aber doch vorgenommen hat. Die Tatsachenfeststellung in dem Berufungsurteil leidet nämlich ebenfalls an einem Verfahrensmangel und kann deshalb keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung, die von der Klägerin behauptete Zusicherung einer zweigeschossigen Bebauung des Nachbargrundstücks sei nicht erwiesen , darauf, daß beide Zeugen ein persönliches Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits hätten. Damit stellt das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage, was - wie die Revision zu Recht rügt - nur auf Grund deren nochmaliger Vernehmung zulässig gewesen wäre, nachdem das erstinstanzliche Gericht beide Zeugen als glaubwürdig angesehen hat. Es hat sich mit der fehlenden Glaubwürdigkeit der Zeugen W. und Dr. L. nur insoweit befaßt, als es angesichts der sich widersprechenden Aussagen erwogen hat, einer von beiden Zeugen müsse gelogen haben. Zu
einer Aufklärung hat sich das erstinstanzliche Gericht jedoch außer Stande gesehen, seine Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit daher nicht weiterverfolgt und seine weiteren Ausführungen auf die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen beschränkt. Die Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, wenn die Voraussetzungen für eine erneute Tatsachenfeststellung vorliegen, beantwortet sich nach den von der Rechtsprechung zum bisherigen Recht entwickelten Grundsätzen (Musielak/Huber, aaO, § 398 Rdn. 5; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 13). Es verbleibt mithin dabei, daß das Berufungsgericht bei pflichtgemäßer Ausübung des ihm durch §§ 525 Satz 1, 398 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen muß, wenn es dessen Glaubwürdigkeit abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BGH, Urt. v. 29. Oktober 1996, VI ZR 262/95, NJW 1997, 466; Urt. v. 10. März 1998, VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223 m.w.N.).

b) Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ergeben sich zudem daraus, daß das Eingangsgericht die unter Beweis gestellte Behauptung der Klägerin nicht berücksichtigt hat, die Zeugin Dr. L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Bebauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Träfe diese Behauptung zu, so wäre sie geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. , sie habe die Klägerin ebenso wie alle übrigen Interessenten auf die geplante viergeschossige Bebauung hingewiesen, in Frage zu stellen. Besteht mithin unter Zugrundelegung der von der Klägerin behaupteten Tatsache zumindest die Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses, so ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO eine erneute Tatsachenfeststellung geboten. Entgegen der Auf-
fassung des Berufungsgerichts ist hierfür eine den formalen Anforderungen des Revisionsrechts genügende Berufungsrüge selbst dann nicht Voraussetzung , wenn - wie hier - zugleich auch ein Verfahrensfehler des Erstrichters vorliegt. Insoweit stellt das Berufungsgericht, was die Revision mit Erfolg geltend macht, zum einen zu hohe Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit einer Verfahrensrüge gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO (aa) und verkennt zum anderen auch die Bedeutung des § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO (bb).
aa) Das Berufungsgericht überspannt die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung, soweit es die Ordnungsmäßigkeit der von der Klägerin gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erhobenen Berufungsrüge mit der Begründung verneint, es fehle an der erforderlichen namentlichen Benennung der in erster Instanz angebotenen Zeugen und an der Angabe des Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote.
(1) Wendet sich der Berufungskläger - wie hier - gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil, so greift er, gestützt auf den Berufungsgrund des § 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO, die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen mit dem Ziel einer erneuten Feststellung durch das Berufungsgericht an. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Berufung muß er deshalb gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO die Voraussetzungen darlegen, unter denen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die Bindung des Berufungsgerichts an die vom Eingangsgericht getroffenen Feststellungen entfällt (BGH, Beschl. v. 28. Mai 2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531, 2532). Dies hat die Klägerin bereits dadurch getan, daß sie die Feststellungen des Erstrichters unter Hinweis auf ein bereits in erster Instanz vorgelegtes Beschwerdeschreiben mehrerer Wohnungseigentümer angegriffen und ihre Behauptung wiederholt hat, die Zeugin Dr.
L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Be- bauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Da dieses Vorbringen die Glaubhaftigkeit der inhaltlich widersprechenden Aussage der Zeugin in Frage stellen kann und in dem mit der Berufung angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt worden ist, sind nach der Berufungsbegründung konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an den erstinstanzlich getroffenen Feststellungen mit der Folge gegeben , daß das Berufungsgericht insoweit nicht mehr gebunden ist. Auf die von der Klägerin angebotenen Zeugen wäre es erst angekommen, wenn die vom Berufungsgericht vorzunehmende Prüfung ergeben hätte, daß die Behauptung der Klägerin von der Beklagten wirksam bestritten worden war.
(2) Nichts anderes folgt aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, falls diese Regelung für Angriffe gegen Tatsachenfeststellungen auf Grund von Verfahrensfehlern - zusätzlich - anwendbar sein sollte (befürwortend Fellner, MDR 2003, 721, 722; ablehnend MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 520 Rdn. 40). Hieraus ergeben sich im Ergebnis keine weitergehenden Anforderungen an den notwendigen Inhalt der Berufungsbegründung. Die ohnehin erforderliche Darlegung der in § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO bestimmten Voraussetzungen reicht nämlich im Falle eines Verfahrensmangels auch für die nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO gebotene Darlegung einer entscheidungskausalen Rechtsverletzung aus. Insbesondere muß der Berufungskläger zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Verfahrensfehlers lediglich aufzeigen, daß das Eingangsgericht ohne den Verfahrensverstoß möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (Musielak /Ball, aaO, § 520 Rdn. 33).
(3) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lassen sich strengere formale Anforderungen an die Berufungsbegründung nicht daraus herleiten, daß ein Revisionskläger, der gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. b ZPO ein verfahrensfehlerhaftes Übergehen von Tatsachenbehauptungen oder Beweisangeboten rügen will, diese unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Vorinstanzen genau bezeichnen muß (vgl. dazu BGHZ 14, 205, 209 f; BAG, ZIP 1983, 605, 606; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 554 Rdn. 13; MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 551 Rdn. 21; Musielak/Ball, aaO, § 551 Rdn. 11). Dieses revisionsrechtliche Erfordernis ist auf das Berufungsverfahren nicht übertragbar (a.A. Musielak/Ball, aaO, § 520 Rdn. 32; Ball, WuM 2002, 296, 299; wohl auch Stackmann, NJW 2003, 169, 171 f). Es findet seine Rechtfertigung in der durch § 559 Abs. 1 ZPO allein für das Revisionsverfahren angeordneten Beschränkung des Prozeßstoffs. Danach kann aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll nicht ersichtliches Parteivorbringen nur über eine Nichtberücksichtigungsrüge zur Beurteilungsgrundlage des Revisionsgerichts werden (vgl. MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 3, 7). Diese Rüge muß so konkret sein, daß keine Zweifel an dem vom Revisionsgericht zugrunde zu legenden Tatsachenstoff verbleiben. Das Berufungsverfahren kennt hingegen keine § 559 Abs. 1 ZPO vergleichbare Bestimmung. Eine entsprechende Anwendung der revisionsrechtlichen Regelung scheitert an den unterschiedlichen Funktionen der Rechtsmittel (Gaier, NJW 2004, 110, 111; a.A. Grunsky, NJW 2002, 800, 801; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901). Anders als im Revisionsverfahren ist das angefochtene Urteil nicht nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen, vielmehr gehört es gemäß § 513 Abs. 1 ZPO zu den Aufgaben der Berufung, das Urteil der Vorinstanz auch auf konkrete Anhaltspunkte für Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Tatsachenfeststellungen zu prüfen und etwaige Fehler zu beseiti-
gen (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 64; Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 1, 7, 12 f). Fehlt es mithin an einer begrenzenden Regelung, so gelangt mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte - wie noch auszuführen sein wird, aus den Akten ersichtliche - Prozeßstoff der ersten Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz (Barth, NJW 2002, 1702, 1703; Gaier, NJW 2004, 110, 112). Damit steht auch der von dem Berufungsgericht zu berücksichtigende Tatsachenstoff fest, weshalb es einer Nichtberücksichtigungsrüge und der für sie geltenden formalen Anforderungen nicht bedarf. bb) Zudem hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, daß die ihm nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO obliegende Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils im Fall eines - wie hier - zulässigen Rechtsmittels ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge besteht.
(1) Eine Bindung des Berufungsgerichts an solche Zweifel begründende Umstände, die in der Berufungsbegründung dargelegt sind, folgt insbesondere nicht aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO. Danach müssen zwar konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO in der Berufungsbegründung bezeichnet werden. Auf solche Umstände wird die Überprüfung durch das Berufungsgericht allerdings nicht beschränkt, sondern lediglich eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels geregelt (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Notwendigkeit einer Rüge läßt sich dem Wortlaut anderer Gesetzesvorschriften ebensowenig entnehmen. Sie entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Nach den Gesetzesmaterialien hat das Berufungsgericht Zweifeln an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen selbst dann nachzugehen, wenn es sie unabhängig vom Partei-
vortrag auf Grund lediglich bei ihm gerichtskundiger Tatsachen gewonnen hat (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses , BT-Drucks. 14/4722, S. 100). Damit kann und muß das Berufungsgericht erst recht konkrete Anhaltspunkte berücksichtigen, die ihre Grundlage im erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien haben, auch wenn das Übergehen dieses Vortrags von dem Berufungskläger nicht zum Gegenstand einer Berufungsrüge gemacht worden ist (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rdn. 12). Bemerkt das Berufungsgericht etwa anläßlich der Prüfung sonstiger Berufungsrügen, daß das Eingangsgericht eine für die Beweiswürdigung bedeutsame Tatsache oder ein erhebliches Beweisangebot übergangen hat, dann bestehen auch ohne dahingehende Rüge konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichten (a.A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2003, S. 11, 16).
(2) Dem steht nicht entgegen, daß das erstinstanzliche Gericht hier Parteivorbringen übergangen hat und darin ein Verfahrensfehler in Gestalt der Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder des Verstoßes gegen § 286 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 15. März 2000, VIII ZR 31/99, NJW 2000, 2024, 2026) zu sehen ist. Zwar prüft das Berufungsgericht einen Mangel des Verfahrens - soweit er nicht von Amts wegen berücksichtigt werden muß - gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann, wenn er gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung gerügt worden ist. Hierdurch wird jedoch die durch § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geregelte tatsächliche Inhaltskontrolle des Berufungsgerichts entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 520 Rdn. 53, § 529
Rdn. 14, 38; ders., NJW 2002, 1897, 1902; ders., NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 11, 15; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 9, 23; Hinz, NZM 2001, 601, 605; Gehrlein, MDR 2003, 421, 428) nicht eingeschränkt (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 8, § 529 Rdn. 27, 43; Zöller/Gummer/Heßler, aaO, § 529 Rdn. 12; Vorwerk, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 4, 6; Gaier, NJW 2004, 110, 112). Von der Aufgabe des Berufungsgerichts, konkreten Anhaltspunkten ungeachtet einer Berufungsrüge nachzugehen, macht das Gesetz keine Ausnahme, wenn sich - was ohnehin die weitaus praktischste Fallgestaltung darstellen dürfte - konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO aus Verfahrensfehlern des Erstrichters bei der Feststellung des Sachverhalts ergeben. Dies zeigt sich an der Systematik des § 529 ZPO, der mit seinen Absätzen klar zwischen den Aufgaben des Berufungsgerichts bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht trennt (Hannich /Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 8, § 529 Rdn. 27, 43). Für die tatsächliche Inhaltskontrolle ist ausschließlich § 529 Abs. 1 ZPO maßgebend, eine Vermischung mit der in § 529 Abs. 2 ZPO geregelten Rechtsfehlerkontrolle darf mithin selbst dann nicht stattfinden, wenn die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil auf einem Verfahrensmangel beruhen.
(3) Das Berufungsgericht ist an der Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens nicht deshalb gehindert gewesen, weil dieser Vortrag weder durch eine Darstellung im Tatbestand noch durch eine § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO genügende Bezugnahme (vgl. BGH, Urt. v. 18. Februar 1954, IV ZR 126/53, LM § 295 ZPO Nr. 9) in dem erstinstanzlichen Urteil Erwähnung gefunden hat.
Die auf § 314 ZPO gestützte Annahme, daß nicht erwähnte Angriffsund Verteidigungsmittel, auch tatsächlich unterblieben sind (negative Beweiskraft des Tatbestandes), wäre nur dann gerechtfertigt, wenn das Parteivorbringen in dem Urteilstatbestand vollständig wiedergegeben werden müßte. Nur dann könnte nämlich von dem Fehlen einer Darstellung auf das Fehlen entsprechenden Vortrags geschlossen werden. Eine vollständige Wiedergabe des Parteivorbringens kann aber nicht mehr zu den Funktionen des Urteilstatbestandes zählen, nachdem sich das Gesetz in § 313 Abs. 2 ZPO mit einer "knappen" Darstellung nur des "wesentlichen Inhalts" der vorgebrachten Angriffs - und Verteidigungsmittel begnügt (MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 7; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 7, § 559 Rdn. 17; ders., in Festschrift für Geiß, 2000, S. 3, 20; Fischer, DRiZ 1994, 461, 462 f; Crückeberg, MDR 2003, 199, 200; Gaier, NJW 2004, 110, 111; Rixecker, NJW 2004, 705, 708; a.A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 11, 13). Dies hängt eng zusammen mit der Aufgabe der ursprünglichen Konzeption des Zivilprozesses als eines rein mündlichen Verfahrens, nach der mündlicher Vortrag weder durch ein Verlesen noch durch eine Bezugnahme auf Schriftsätze ersetzt werden konnte (§ 128 Abs. 3 Satz 1 CPO 1877/§ 137 Abs. 3 Satz 1 CPO 1900). Wurde hiernach ausschließlich das mündlich Vorgetragene zum Prozeßstoff, so konnte dieser nicht durch den Inhalt der Schriftsätze , sondern allein durch den - tunlichst vollständigen - Urteilstatbestand nachgewiesen werden. Insbesondere seit der gänzlichen Aufgabe des Bezugnahmeverbots durch die Neufassung des § 137 Abs. 3 Satz 1 ZPO (RGBl. I 1924, 135) stehen indessen die vorbereitenden Schriftsätze ebenfalls zum Nachweis des Parteivorbringens zur Verfügung. Da mit der Antragstellung und der mündlichen Verhandlung im Zweifel eine Bezugnahme der Parteien auf den Inhalt der zur Vorbereitung vorgelegten Schriftstücke verbunden ist (BGH,
Urt. v. 28. November 2001, IV ZR 309/00, NJW-RR 2002, 381 m.w.N.), ergibt sich der Prozeßstoff auch aus dem Inhalt der Gerichtsakten. Der Bundesgerichtshof hat bereits vor dem Hintergrund dieser Überlegung - wenn auch ohne ausdrückliche Aufgabe der Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft - auf entsprechende Revisionsrüge Vorbringen berücksichtigt, das im Tatbestand nicht erwähnt war (BGH, Urt. v. 16. Juni 1992, XI ZR 166/91, NJW 1992, 2148, 2149; Urt. v. 7. Dezember 1995, III ZR 141/93, NJW-RR 1996, 379; vgl. auch Urt. v. 28. November 2001, IV ZR 309/00, aaO). Allein mit dem Hinweis auf die negative Beweiskraft des Urteilstatbestandes kann mithin Parteivorbringen, das sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, in den Rechtsmittelverfahren nicht unberücksichtigt bleiben. Hingegen bleibt die negative Beweiskraft für solche Angriffs- und Verteidigungsmittel von Bedeutung, die in der mündlichen Verhandlung ohne vorherige Ankündigung in einem vorbereitenden Schriftsatz vorgebracht werden (Ball, in Festschrift für Geiß, 2000, S. 3, 20). Allerdings hat die Rechtsprechung bisher dem Urteilstatbestand auf Grund des § 314 ZPO auch negative Beweiskraft hinsichtlich des mündlichen Parteivorbringens beigelegt. Danach soll der Tatbestand nicht nur Beweis dafür erbringen, daß das, was in ihm als Parteivortrag wiedergegeben wird, tatsächlich vorgetragen worden ist, sondern auch beweisen, daß von den Parteien nichts behauptet worden ist, was nicht aus dem Tatbestand ersichtlich ist (Senat, Urt. v. 25. Mai 1984, V ZR 199/82, NJW 1984, 2463, insoweit in BGHZ 91, 282 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 27. Mai 1981, IVa ZR 55/80, NJW 1981, 1848; Urt. v. 3. November 1982, IVa ZR 39/81, NJW 1983, 885, 886 m.w.N.; Urt. v. 16. Mai 1990, IV ZR 64/89, NJW-RR 1990, 1269). Dieser bereits vom Reichsgericht (RGZ 4, 418, 420; RG, JW 1887, 38; 1896, 72; 1897, 52, 53) vertretenen Auffassung ist das Bundesverwaltungsgericht beigetreten (BVerwG, Beschl. v. 13. April 1989, 1 B 21/89 m.w.N.). Gleichwohl bedarf es
hier weder einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG) noch an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 2 RsprEinhG). Beide Vorlagen setzen voraus, daß die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage für die Entscheidung des konkreten Falles nach Auffassung des vorlegenden Senats erforderlich wird, das vorlegende Gericht also bei Befolgung der abweichenden Ansicht zu einem anderen Ergebnis gelangen würde (BGH, Beschl. v. 15. Februar 2000, XI ZR 10/98, NJW 2000, 1185 zu § 132 GVG; GmS-OGB, BGHZ 88, 353, 357 zu § 2 RsprEinhG). An diesem Erfordernis fehlt es; denn das angefochtene Urteil ist bereits deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit des zugrunde gelegten Sachverhalts aus den bereits erörterten Fehlern der Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil ergeben.

III.


Nach alledem war die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird zunächst die gebotenen Feststellungen zum Inhalt der geführten Vertragsverhandlungen nachholen müssen. Sollte danach von dem Vorliegen der Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs auszugehen sein, wären weitergehende Feststellungen zur Schadenshöhe erforderlich. Da die Klägerin an dem geschlossenen Vertrag festhalten will, wäre als ersatzfähiger Schaden der Betrag anzusetzen, um den die Klägerin die Dachgeschoßwohnung im Vertrauen auf
die Richtigkeit der Angaben der Zeugin Dr. L. zu teuer erworben hat (vgl. Senat, Urt. v. 6. April 2001, V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2877 m.w.N.).
Wenzel Krüger Klein Gaier RiBGH Dr. Stresemann ist infolge Urlaubsabwesenheit gehindert, zu unterschreiben. Wenzel

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 257/03 Verkündet am:
12. März 2004
W i l m s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
ZPO (2002) § 529 Abs. 1 Nr. 1
Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen
des erstinstanzlichen Gerichts begründen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern
ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen
sind.
ZPO (2002) § 529 Abs. 1
Ist eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht geboten, so beurteilt sich die
Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen
Beweisaufnahme verpflichtet ist, nach denselben Grundsätzen wie aus der Zeit vor Geltung
des Zivilprozeßreformgesetzes.
ZPO (2002) § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3
Wird in der Berufungsbegründung gerügt, das erstinstanzliche Gericht habe Parteivorbringen
übergangen, so ist eine genaue Bezeichnung unter Angabe der Fundstelle in den
Schriftsätzen der Vorinstanz nicht erforderlich.
ZPO (2002) § 529 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1
Auch bei einem Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts obliegt dem Berufungsgericht
nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die tatsächliche Inhaltskontrolle
des erstinstanzlichen Urteils ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge.
Für schriftsätzlich angekündigtes Vorbringen kommt dem Urteilstatbestand keine negative
Beweiskraft zu.
BGH, Urt. v. 12. März 2004 - V ZR 257/03 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. März 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel, die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin
Dr. Stresemann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. August 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte war von der Stadt O. beauftragt, auf einem ehemaligen Kasernengelände gelegene Grundstücke und Wohnungen zu vermarkten. Mit notariellem Vertrag vom 8. Juli 1999 verkaufte sie eine durch Ausbau des Dachgeschosses eines Hauses noch zu errichtende Wohnung zum Preis von 444.000 DM an die Klägerin.
Dem Vertragsschluß vorausgegangen waren Verhandlungen zwischen einer Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin Dr. L. , und der Klägerin, die von ihrem Bekannten, dem Zeugen Rechtsanwalt W. , begleitet wur-
de. Nach den Behauptungen der Klägerin erklärte Dr. L. während der Verhandlungen, auf dem der künftigen Dachgeschoßwohnung gegenüber liegenden Grundstück der Beklagten solle ein lediglich zweigeschossiges Gebäude errichtet werden, so daß die Sicht aus der Wohnung auf den Taunus uneingeschränkt erhalten bleibe. Tatsächlich war bereits zu diesem Zeitpunkt der - zwischenzeitlich begonnene - Bau eines viergeschossigen Wohn- und Geschäftshauses durch einen Investor geplant, wovon die Klägerin erst nach Bezug der Wohnung Kenntnis erhielt. Die mehr als zweigeschossige Nachbarbebauung , so hat die Klägerin behauptet, habe zu einem um 20 % geminderten Wert der Wohnung geführt.
Sie verlangt daher Schadensersatz in Höhe von 20 % des Kaufpreises sowie entsprechend geminderter Erwerbskosten und nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung von 47.613,80 Landgericht hat die Klage nach Vernehmung des Zeugen W. und der Zeugin Dr. L. über den Inhalt der Vertragsverhandlungen abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gewandt und insbesondere gerügt, daß das Landgericht die Zeugen nicht gehört habe, die sie zur Erschütterung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. benannt habe. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht hält die Klage auf der Grundlage der in erster Instanz getroffenen Feststellungen für unbegründet. Die von der Klägerin behaupteten Falschangaben der Zeugin Dr. L. zur zweigeschossigen Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks seien nicht bewiesen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen in der Berufungsinstanz gebieten könnten, habe die Klägerin nicht aufgezeigt. Die von dem Eingangsgericht vorgenommene Beweiswürdigung unterliege zwar gewissen Zweifeln, sei im Ergebnis jedoch zutreffend. Soweit die Klägerin das Übergehen erstinstanzlicher Beweisanträge gerügt habe, betreffe dies einen nicht von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel , der gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen könne, wenn er nach Maßgabe des § 520 Abs. 3 ZPO in der Berufungsbegründung ordnungsgemäß geltend gemacht worden sei. Diesen Anforderungen entspreche die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge nicht, weil es an einer konkreten Bezeichnung der angebotenen Zeugen und der Angabe des genauen Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote fehle.
Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

II.


1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts. Für den Fall, daß - wie die Klägerin behauptet - die für die Beklagte handelnde Zeugin Dr. L. im Rahmen der Vertragsverhandlungen unzutreffende Angaben zu der geplanten Bebauung des gegenüberliegenden Grundstücks gemacht haben sollte, wären die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß erfüllt (vgl. Senat, Urt. v. 20. September 1996, V ZR 173/95, NJW-RR 1997, 144, 145; Urt. v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302). Die Gewährleistungsvorschriften des hier weiterhin anwendbaren früheren Rechts (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) sind nicht einschlägig und stehen mithin einer Haftung der Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht entgegen. Der Umstand, daß der gegenwärtige oder zukünftige Eigentümer eines benachbarten Grundstücks zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht den Willen hat, dieses entsprechend den baurechtlichen Möglichkeiten zu bebauen, stellt keine Eigenschaft des veräußerten Objekts, deren Fehlen als Sachmangel qualifiziert werden könnte (BGH, Urt. v. 14. Januar 1993, IX ZR 206/91, NJW 1993, 1323, 1324).
2. Hingegen rügt die Revision mit Erfolg, daß das Berufungsgericht erneute Feststellungen zu dem zwischen den Parteien streitigen Inhalt der Vertragsverhandlungen unter Verletzung des Verfahrensrechts abgelehnt hat. Auch nach neuem Recht unterliegen Berufungsurteile auf entsprechende Verfahrensrüge hinsichtlich der vollständigen Berücksichtigung des Streitstoffs und der Beweisangebote der Überprüfung durch das Revisionsgericht (MünchKomm -ZPO/Wenzel, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 546 Rdn. 15). Dies führt vorliegend zu dem Ergebnis, daß sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an
der Vollständigkeit des von dem Eingangsgericht zugrunde gelegten Sachverhalts , die nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO erneute Feststellungen des Berufungsgerichts gebieten, sowohl aus Fehlern der Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Urteil (a), als auch aus dem Übergehen erstinstanzlichen Vorbringens der Klägerin (b) ergeben.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 100; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann , NJW 2003, 169, 171).
aa) Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind (Hannich /Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 529 Rdn. 21; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rdn. 8). Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urt. v. 11. Februar 1987, IVb ZR 23/86, NJW 1987, 1557, 1558; Senat, Urt. v. 9. Juli 1999, V ZR 12/98, NJW 1999, 3481, 3482). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt unter anderem dann vor,
wenn Umständen Indizwirkungen zuerkannt werden, die sie nicht haben können , oder wenn die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH, Urt. v. 22. Januar 1991, VI ZR 97/90, NJW 1991, 1894, 1895; Urt. v. 23. Januar 1997, I ZR 29/94, NJW 1997, 2757, 2759).
(1) Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil zumindest insoweit fehlerhaft, als es um die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. geht. Dessen Bekundungen hat das Gericht erster Instanz vor allem deshalb für unglaubhaft gehalten, weil der Zeuge die angebliche Zusicherung der Zeugin Dr. L. , das gegenüberliegende Grundstück werde nur zweigeschossig bebaut, nicht überprüft und sich insbesondere bei der Stadt O. nicht nach dem Bestand und dem Inhalt eines etwaigen Bebauungsplans erkundigt habe. Diesem Umstand kommt indes die ihm vom Gericht zuerkannte Indizwirkung nicht zu. Es ist nicht ersichtlich , aus welchem Grund für den Zeugen W. , der an den Vertragsverhandlungen nicht als beauftragter Rechtsanwalt, sondern allein wegen seiner Bekanntschaft mit der Klägerin teilgenommen hatte, Anlaß bestehen konnte, Erkundigungen zu den Äußerungen der Zeugin Dr. L. einzuholen. Zudem ist das herangezogene Indiz auch auf Grund seiner Ambivalenz nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen W. in Frage zu stellen. Selbst für die Klägerin gab es nämlich keine Veranlassung, die von der Zeugin Dr. L. erteilten Auskünfte zu überprüfen, wenn sie auf deren Richtigkeit vertraute. Daß die Angaben der Zeugin einen für den Vertragswillen der Klägerin bedeutsamen Punkt betrafen, steht dieser Möglichkeit nicht entgegen. Das Unterbleiben von Nachforschungen läßt deshalb nicht ohne weiteres darauf schließen, daß die Zeugin Dr. L. eine zweigeschossige Nachbarbebauung nicht zugesagt hat. Vielmehr läßt dieser Umstand auch den
Schluß zu, die Klägerin habe sich ebenso wie der Zeuge W. auf eine derartige Zusage verlassen. (2) Geht das Eingangsgericht - wie hier - auf Grund einer fehlerhaften Beweiswürdigung von der Nichterweislichkeit einer entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung aus, so bestehen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 13, § 529 Rdn. 35). Hierbei genügt es, wenn nur ein tragendes Element der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in seiner Aussagekraft geschmälert wird (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 32), weil bereits dann die Unrichtigkeit oder Lückenhaftigkeit der getroffenen Feststellungen als Folge der konkreten Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden kann (Rimmelspacher , NJW 2002, 1897, 1902). So liegt der Fall auch hier. Ausweislich seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung ist das erstinstanzliche Gericht nur deshalb zu dem Ergebnis der Nichterweislichkeit unzutreffender Angaben der Zeugin Dr. L. gelangt, weil es Anlaß gesehen hat, an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen W. zumindest zu zweifeln. Können diese Bedenken ausgeräumt werden, so ist es möglich, daß der Tatrichter die Aussage des Zeugen W. als glaubhaft ansieht. Da die Beweiswürdigung dann auch zu einem anderen Ergebnis führen kann, besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses. In solcher Situation sind erneute oder auch erstmalige (Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 12) neue Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geboten (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 14/6036, S. 123; Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 36; MünchKomm -ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 529 Rdn. 24; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 11).
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich weder das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte noch die Erforderlichkeit erneuter Feststellungen mit der Erwägung verneinen, das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweiswürdigung unterliege zwar "gewissen Zweifeln", sei aber aus anderen Gründen richtig. Zu dieser Schlußfolgerung konnte das Berufungsgericht nur auf Grund einer eigenständigen Würdigung der in erster Instanz erhobenen Beweise gelangen. Dies stellt jedoch, worauf die Revision zutreffend hinweist, der Sache nach eine erneute Tatsachenfeststellung dar, die aber nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte und das Gebotensein nochmaliger Feststellungen gerade voraussetzt.
cc) Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht deshalb als richtig dar (§ 561 ZPO), weil das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO gebotenen erneuten Tatsachenfeststellung zwar - fehlerhaft - verneint, eine solche aber doch vorgenommen hat. Die Tatsachenfeststellung in dem Berufungsurteil leidet nämlich ebenfalls an einem Verfahrensmangel und kann deshalb keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung, die von der Klägerin behauptete Zusicherung einer zweigeschossigen Bebauung des Nachbargrundstücks sei nicht erwiesen , darauf, daß beide Zeugen ein persönliches Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits hätten. Damit stellt das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage, was - wie die Revision zu Recht rügt - nur auf Grund deren nochmaliger Vernehmung zulässig gewesen wäre, nachdem das erstinstanzliche Gericht beide Zeugen als glaubwürdig angesehen hat. Es hat sich mit der fehlenden Glaubwürdigkeit der Zeugen W. und Dr. L. nur insoweit befaßt, als es angesichts der sich widersprechenden Aussagen erwogen hat, einer von beiden Zeugen müsse gelogen haben. Zu
einer Aufklärung hat sich das erstinstanzliche Gericht jedoch außer Stande gesehen, seine Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit daher nicht weiterverfolgt und seine weiteren Ausführungen auf die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen beschränkt. Die Frage, ob und inwieweit das Berufungsgericht zu einer Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet ist, wenn die Voraussetzungen für eine erneute Tatsachenfeststellung vorliegen, beantwortet sich nach den von der Rechtsprechung zum bisherigen Recht entwickelten Grundsätzen (Musielak/Huber, aaO, § 398 Rdn. 5; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 13). Es verbleibt mithin dabei, daß das Berufungsgericht bei pflichtgemäßer Ausübung des ihm durch §§ 525 Satz 1, 398 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen muß, wenn es dessen Glaubwürdigkeit abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. BGH, Urt. v. 29. Oktober 1996, VI ZR 262/95, NJW 1997, 466; Urt. v. 10. März 1998, VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223 m.w.N.).

b) Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ergeben sich zudem daraus, daß das Eingangsgericht die unter Beweis gestellte Behauptung der Klägerin nicht berücksichtigt hat, die Zeugin Dr. L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Bebauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Träfe diese Behauptung zu, so wäre sie geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin Dr. L. , sie habe die Klägerin ebenso wie alle übrigen Interessenten auf die geplante viergeschossige Bebauung hingewiesen, in Frage zu stellen. Besteht mithin unter Zugrundelegung der von der Klägerin behaupteten Tatsache zumindest die Möglichkeit eines anderen Beweisergebnisses, so ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO eine erneute Tatsachenfeststellung geboten. Entgegen der Auf-
fassung des Berufungsgerichts ist hierfür eine den formalen Anforderungen des Revisionsrechts genügende Berufungsrüge selbst dann nicht Voraussetzung , wenn - wie hier - zugleich auch ein Verfahrensfehler des Erstrichters vorliegt. Insoweit stellt das Berufungsgericht, was die Revision mit Erfolg geltend macht, zum einen zu hohe Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit einer Verfahrensrüge gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO (aa) und verkennt zum anderen auch die Bedeutung des § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO (bb).
aa) Das Berufungsgericht überspannt die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung, soweit es die Ordnungsmäßigkeit der von der Klägerin gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erhobenen Berufungsrüge mit der Begründung verneint, es fehle an der erforderlichen namentlichen Benennung der in erster Instanz angebotenen Zeugen und an der Angabe des Aktenfundorts der jeweiligen Beweisangebote.
(1) Wendet sich der Berufungskläger - wie hier - gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil, so greift er, gestützt auf den Berufungsgrund des § 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO, die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen mit dem Ziel einer erneuten Feststellung durch das Berufungsgericht an. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Berufung muß er deshalb gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO die Voraussetzungen darlegen, unter denen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO die Bindung des Berufungsgerichts an die vom Eingangsgericht getroffenen Feststellungen entfällt (BGH, Beschl. v. 28. Mai 2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531, 2532). Dies hat die Klägerin bereits dadurch getan, daß sie die Feststellungen des Erstrichters unter Hinweis auf ein bereits in erster Instanz vorgelegtes Beschwerdeschreiben mehrerer Wohnungseigentümer angegriffen und ihre Behauptung wiederholt hat, die Zeugin Dr.
L. habe auch anderen Interessenten eine lediglich zweigeschossige Be- bauung des Nachbargrundstücks zugesagt. Da dieses Vorbringen die Glaubhaftigkeit der inhaltlich widersprechenden Aussage der Zeugin in Frage stellen kann und in dem mit der Berufung angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt worden ist, sind nach der Berufungsbegründung konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an den erstinstanzlich getroffenen Feststellungen mit der Folge gegeben , daß das Berufungsgericht insoweit nicht mehr gebunden ist. Auf die von der Klägerin angebotenen Zeugen wäre es erst angekommen, wenn die vom Berufungsgericht vorzunehmende Prüfung ergeben hätte, daß die Behauptung der Klägerin von der Beklagten wirksam bestritten worden war.
(2) Nichts anderes folgt aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, falls diese Regelung für Angriffe gegen Tatsachenfeststellungen auf Grund von Verfahrensfehlern - zusätzlich - anwendbar sein sollte (befürwortend Fellner, MDR 2003, 721, 722; ablehnend MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 520 Rdn. 40). Hieraus ergeben sich im Ergebnis keine weitergehenden Anforderungen an den notwendigen Inhalt der Berufungsbegründung. Die ohnehin erforderliche Darlegung der in § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO bestimmten Voraussetzungen reicht nämlich im Falle eines Verfahrensmangels auch für die nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO gebotene Darlegung einer entscheidungskausalen Rechtsverletzung aus. Insbesondere muß der Berufungskläger zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Verfahrensfehlers lediglich aufzeigen, daß das Eingangsgericht ohne den Verfahrensverstoß möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (Musielak /Ball, aaO, § 520 Rdn. 33).
(3) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lassen sich strengere formale Anforderungen an die Berufungsbegründung nicht daraus herleiten, daß ein Revisionskläger, der gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. b ZPO ein verfahrensfehlerhaftes Übergehen von Tatsachenbehauptungen oder Beweisangeboten rügen will, diese unter Angabe der Fundstelle in den Schriftsätzen der Vorinstanzen genau bezeichnen muß (vgl. dazu BGHZ 14, 205, 209 f; BAG, ZIP 1983, 605, 606; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 554 Rdn. 13; MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 551 Rdn. 21; Musielak/Ball, aaO, § 551 Rdn. 11). Dieses revisionsrechtliche Erfordernis ist auf das Berufungsverfahren nicht übertragbar (a.A. Musielak/Ball, aaO, § 520 Rdn. 32; Ball, WuM 2002, 296, 299; wohl auch Stackmann, NJW 2003, 169, 171 f). Es findet seine Rechtfertigung in der durch § 559 Abs. 1 ZPO allein für das Revisionsverfahren angeordneten Beschränkung des Prozeßstoffs. Danach kann aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll nicht ersichtliches Parteivorbringen nur über eine Nichtberücksichtigungsrüge zur Beurteilungsgrundlage des Revisionsgerichts werden (vgl. MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 3, 7). Diese Rüge muß so konkret sein, daß keine Zweifel an dem vom Revisionsgericht zugrunde zu legenden Tatsachenstoff verbleiben. Das Berufungsverfahren kennt hingegen keine § 559 Abs. 1 ZPO vergleichbare Bestimmung. Eine entsprechende Anwendung der revisionsrechtlichen Regelung scheitert an den unterschiedlichen Funktionen der Rechtsmittel (Gaier, NJW 2004, 110, 111; a.A. Grunsky, NJW 2002, 800, 801; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901). Anders als im Revisionsverfahren ist das angefochtene Urteil nicht nur auf Rechtsfehler hin zu überprüfen, vielmehr gehört es gemäß § 513 Abs. 1 ZPO zu den Aufgaben der Berufung, das Urteil der Vorinstanz auch auf konkrete Anhaltspunkte für Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Tatsachenfeststellungen zu prüfen und etwaige Fehler zu beseiti-
gen (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, S. 64; Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 1, 7, 12 f). Fehlt es mithin an einer begrenzenden Regelung, so gelangt mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte - wie noch auszuführen sein wird, aus den Akten ersichtliche - Prozeßstoff der ersten Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz (Barth, NJW 2002, 1702, 1703; Gaier, NJW 2004, 110, 112). Damit steht auch der von dem Berufungsgericht zu berücksichtigende Tatsachenstoff fest, weshalb es einer Nichtberücksichtigungsrüge und der für sie geltenden formalen Anforderungen nicht bedarf. bb) Zudem hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, daß die ihm nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO obliegende Kontrolle der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage des erstinstanzlichen Urteils im Fall eines - wie hier - zulässigen Rechtsmittels ungeachtet einer entsprechenden Berufungsrüge besteht.
(1) Eine Bindung des Berufungsgerichts an solche Zweifel begründende Umstände, die in der Berufungsbegründung dargelegt sind, folgt insbesondere nicht aus § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO. Danach müssen zwar konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO in der Berufungsbegründung bezeichnet werden. Auf solche Umstände wird die Überprüfung durch das Berufungsgericht allerdings nicht beschränkt, sondern lediglich eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels geregelt (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Notwendigkeit einer Rüge läßt sich dem Wortlaut anderer Gesetzesvorschriften ebensowenig entnehmen. Sie entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Nach den Gesetzesmaterialien hat das Berufungsgericht Zweifeln an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen selbst dann nachzugehen, wenn es sie unabhängig vom Partei-
vortrag auf Grund lediglich bei ihm gerichtskundiger Tatsachen gewonnen hat (Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses , BT-Drucks. 14/4722, S. 100). Damit kann und muß das Berufungsgericht erst recht konkrete Anhaltspunkte berücksichtigen, die ihre Grundlage im erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien haben, auch wenn das Übergehen dieses Vortrags von dem Berufungskläger nicht zum Gegenstand einer Berufungsrüge gemacht worden ist (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rdn. 12). Bemerkt das Berufungsgericht etwa anläßlich der Prüfung sonstiger Berufungsrügen, daß das Eingangsgericht eine für die Beweiswürdigung bedeutsame Tatsache oder ein erhebliches Beweisangebot übergangen hat, dann bestehen auch ohne dahingehende Rüge konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichten (a.A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, 2003, S. 11, 16).
(2) Dem steht nicht entgegen, daß das erstinstanzliche Gericht hier Parteivorbringen übergangen hat und darin ein Verfahrensfehler in Gestalt der Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder des Verstoßes gegen § 286 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 15. März 2000, VIII ZR 31/99, NJW 2000, 2024, 2026) zu sehen ist. Zwar prüft das Berufungsgericht einen Mangel des Verfahrens - soweit er nicht von Amts wegen berücksichtigt werden muß - gemäß § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur dann, wenn er gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung gerügt worden ist. Hierdurch wird jedoch die durch § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO geregelte tatsächliche Inhaltskontrolle des Berufungsgerichts entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 520 Rdn. 53, § 529
Rdn. 14, 38; ders., NJW 2002, 1897, 1902; ders., NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 11, 15; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 9, 23; Hinz, NZM 2001, 601, 605; Gehrlein, MDR 2003, 421, 428) nicht eingeschränkt (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 8, § 529 Rdn. 27, 43; Zöller/Gummer/Heßler, aaO, § 529 Rdn. 12; Vorwerk, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 4, 6; Gaier, NJW 2004, 110, 112). Von der Aufgabe des Berufungsgerichts, konkreten Anhaltspunkten ungeachtet einer Berufungsrüge nachzugehen, macht das Gesetz keine Ausnahme, wenn sich - was ohnehin die weitaus praktischste Fallgestaltung darstellen dürfte - konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO aus Verfahrensfehlern des Erstrichters bei der Feststellung des Sachverhalts ergeben. Dies zeigt sich an der Systematik des § 529 ZPO, der mit seinen Absätzen klar zwischen den Aufgaben des Berufungsgerichts bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht trennt (Hannich /Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 8, § 529 Rdn. 27, 43). Für die tatsächliche Inhaltskontrolle ist ausschließlich § 529 Abs. 1 ZPO maßgebend, eine Vermischung mit der in § 529 Abs. 2 ZPO geregelten Rechtsfehlerkontrolle darf mithin selbst dann nicht stattfinden, wenn die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil auf einem Verfahrensmangel beruhen.
(3) Das Berufungsgericht ist an der Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens nicht deshalb gehindert gewesen, weil dieser Vortrag weder durch eine Darstellung im Tatbestand noch durch eine § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO genügende Bezugnahme (vgl. BGH, Urt. v. 18. Februar 1954, IV ZR 126/53, LM § 295 ZPO Nr. 9) in dem erstinstanzlichen Urteil Erwähnung gefunden hat.
Die auf § 314 ZPO gestützte Annahme, daß nicht erwähnte Angriffsund Verteidigungsmittel, auch tatsächlich unterblieben sind (negative Beweiskraft des Tatbestandes), wäre nur dann gerechtfertigt, wenn das Parteivorbringen in dem Urteilstatbestand vollständig wiedergegeben werden müßte. Nur dann könnte nämlich von dem Fehlen einer Darstellung auf das Fehlen entsprechenden Vortrags geschlossen werden. Eine vollständige Wiedergabe des Parteivorbringens kann aber nicht mehr zu den Funktionen des Urteilstatbestandes zählen, nachdem sich das Gesetz in § 313 Abs. 2 ZPO mit einer "knappen" Darstellung nur des "wesentlichen Inhalts" der vorgebrachten Angriffs - und Verteidigungsmittel begnügt (MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 7; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 7, § 559 Rdn. 17; ders., in Festschrift für Geiß, 2000, S. 3, 20; Fischer, DRiZ 1994, 461, 462 f; Crückeberg, MDR 2003, 199, 200; Gaier, NJW 2004, 110, 111; Rixecker, NJW 2004, 705, 708; a.A. Rimmelspacher, NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion, aaO, S. 11, 13). Dies hängt eng zusammen mit der Aufgabe der ursprünglichen Konzeption des Zivilprozesses als eines rein mündlichen Verfahrens, nach der mündlicher Vortrag weder durch ein Verlesen noch durch eine Bezugnahme auf Schriftsätze ersetzt werden konnte (§ 128 Abs. 3 Satz 1 CPO 1877/§ 137 Abs. 3 Satz 1 CPO 1900). Wurde hiernach ausschließlich das mündlich Vorgetragene zum Prozeßstoff, so konnte dieser nicht durch den Inhalt der Schriftsätze , sondern allein durch den - tunlichst vollständigen - Urteilstatbestand nachgewiesen werden. Insbesondere seit der gänzlichen Aufgabe des Bezugnahmeverbots durch die Neufassung des § 137 Abs. 3 Satz 1 ZPO (RGBl. I 1924, 135) stehen indessen die vorbereitenden Schriftsätze ebenfalls zum Nachweis des Parteivorbringens zur Verfügung. Da mit der Antragstellung und der mündlichen Verhandlung im Zweifel eine Bezugnahme der Parteien auf den Inhalt der zur Vorbereitung vorgelegten Schriftstücke verbunden ist (BGH,
Urt. v. 28. November 2001, IV ZR 309/00, NJW-RR 2002, 381 m.w.N.), ergibt sich der Prozeßstoff auch aus dem Inhalt der Gerichtsakten. Der Bundesgerichtshof hat bereits vor dem Hintergrund dieser Überlegung - wenn auch ohne ausdrückliche Aufgabe der Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft - auf entsprechende Revisionsrüge Vorbringen berücksichtigt, das im Tatbestand nicht erwähnt war (BGH, Urt. v. 16. Juni 1992, XI ZR 166/91, NJW 1992, 2148, 2149; Urt. v. 7. Dezember 1995, III ZR 141/93, NJW-RR 1996, 379; vgl. auch Urt. v. 28. November 2001, IV ZR 309/00, aaO). Allein mit dem Hinweis auf die negative Beweiskraft des Urteilstatbestandes kann mithin Parteivorbringen, das sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, in den Rechtsmittelverfahren nicht unberücksichtigt bleiben. Hingegen bleibt die negative Beweiskraft für solche Angriffs- und Verteidigungsmittel von Bedeutung, die in der mündlichen Verhandlung ohne vorherige Ankündigung in einem vorbereitenden Schriftsatz vorgebracht werden (Ball, in Festschrift für Geiß, 2000, S. 3, 20). Allerdings hat die Rechtsprechung bisher dem Urteilstatbestand auf Grund des § 314 ZPO auch negative Beweiskraft hinsichtlich des mündlichen Parteivorbringens beigelegt. Danach soll der Tatbestand nicht nur Beweis dafür erbringen, daß das, was in ihm als Parteivortrag wiedergegeben wird, tatsächlich vorgetragen worden ist, sondern auch beweisen, daß von den Parteien nichts behauptet worden ist, was nicht aus dem Tatbestand ersichtlich ist (Senat, Urt. v. 25. Mai 1984, V ZR 199/82, NJW 1984, 2463, insoweit in BGHZ 91, 282 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 27. Mai 1981, IVa ZR 55/80, NJW 1981, 1848; Urt. v. 3. November 1982, IVa ZR 39/81, NJW 1983, 885, 886 m.w.N.; Urt. v. 16. Mai 1990, IV ZR 64/89, NJW-RR 1990, 1269). Dieser bereits vom Reichsgericht (RGZ 4, 418, 420; RG, JW 1887, 38; 1896, 72; 1897, 52, 53) vertretenen Auffassung ist das Bundesverwaltungsgericht beigetreten (BVerwG, Beschl. v. 13. April 1989, 1 B 21/89 m.w.N.). Gleichwohl bedarf es
hier weder einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG) noch an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 2 RsprEinhG). Beide Vorlagen setzen voraus, daß die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage für die Entscheidung des konkreten Falles nach Auffassung des vorlegenden Senats erforderlich wird, das vorlegende Gericht also bei Befolgung der abweichenden Ansicht zu einem anderen Ergebnis gelangen würde (BGH, Beschl. v. 15. Februar 2000, XI ZR 10/98, NJW 2000, 1185 zu § 132 GVG; GmS-OGB, BGHZ 88, 353, 357 zu § 2 RsprEinhG). An diesem Erfordernis fehlt es; denn das angefochtene Urteil ist bereits deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sich konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit des zugrunde gelegten Sachverhalts aus den bereits erörterten Fehlern der Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil ergeben.

III.


Nach alledem war die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird zunächst die gebotenen Feststellungen zum Inhalt der geführten Vertragsverhandlungen nachholen müssen. Sollte danach von dem Vorliegen der Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs auszugehen sein, wären weitergehende Feststellungen zur Schadenshöhe erforderlich. Da die Klägerin an dem geschlossenen Vertrag festhalten will, wäre als ersatzfähiger Schaden der Betrag anzusetzen, um den die Klägerin die Dachgeschoßwohnung im Vertrauen auf
die Richtigkeit der Angaben der Zeugin Dr. L. zu teuer erworben hat (vgl. Senat, Urt. v. 6. April 2001, V ZR 394/99, NJW 2001, 2875, 2877 m.w.N.).
Wenzel Krüger Klein Gaier RiBGH Dr. Stresemann ist infolge Urlaubsabwesenheit gehindert, zu unterschreiben. Wenzel

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

*

(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn

1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.

(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.

(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.

Eine Entscheidung ist stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
2.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs ohne Erfolg geltend gemacht ist;
3.
wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war;
4.
wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat;
5.
wenn die Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
6.
wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden.

(2) Die Beschwerde ist bei dem Bundesarbeitsgericht innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils schriftlich einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils beigefügt werden, gegen das die Revision eingelegt werden soll.

(3) Die Beschwerde ist innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils zu begründen. Die Begründung muss enthalten:

1.
die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit,
2.
die Bezeichnung der Entscheidung, von der das Urteil des Landesarbeitsgerichts abweicht, oder
3.
die Darlegung eines absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Entscheidungserheblichkeit der Verletzung.

(4) Die Einlegung der Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. Die Vorschriften des § 719 Abs. 2 und 3 der Zivilprozeßordnung sind entsprechend anzuwenden.

(5) Das Landesarbeitsgericht ist zu einer Änderung seiner Entscheidung nicht befugt. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluß, der ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. Die ehrenamtlichen Richter wirken nicht mit, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wird, weil sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Dem Beschluss soll eine kurze Begründung beigefügt werden. Von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(6) Wird der Beschwerde stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(7) Hat das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Bundesarbeitsgericht abweichend von Absatz 6 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverweisen.