Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 07. Juni 2016 - 6 Sa 522/15

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2016:0607.6SA522.15.0A
bei uns veröffentlicht am07.06.2016

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Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10. September 2015 - 7 Ca 4371/14 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

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Der 1967 geborene, ledige Kläger war ab 01. April 1995 bei der Beklagten in deren Hotelbetrieb in B als Etagenhelfer/ Minibar Kellner beschäftigt. Ihm ist ein Grad der Behinderung von 70 zuerkannt.

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Nach zwei für den Kläger arbeitsfreien Tagen am 06. und 07.Oktober 2014 kam es am 08. Oktober 2014 während der Arbeitszeit im Keller des Hotels zu einer Diskussion des Klägers mit der Hausdamenassistentin B-Z wegen des unordentlichen Zustands des Etagen-Offices, wo seit Tagen Flaschen und Teller nicht weggeräumt worden waren. Der Verlauf der Auseinandersetzung ist zwischen den Parteien streitig, insbesondere, ob der Kläger - wie von der Beklagten behauptet - die Zeugin tätlich angegriffen hat, indem er ihr mit beiden Fäusten auf Brust und Schulter schlug, so dass sie mit dem Rücken gegen die Tür fiel. Während des Vorfalls befand sich ebenfalls im Keller die Mitarbeiterin eines Fremdreinigungsunternehmens R. Auch der Service-Mitarbeiter B hat die Auseinandersetzung wahrgenommen. Nach dem Vorfall kam es im Keller zu einem Gespräch des Klägers mit dem Hoteldirektor H und der Betriebsratsvorsitzenden C, dessen Inhalt zwischen den Parteien ebenfalls umstritten ist.

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Im Anschluss an den Vorfall vom 08. Oktober 2014 hörte die Beklagte den in der Betriebsstätte B gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung vorbehaltlich der einzuholenden Zustimmung des Integrationsamtes an. Der Betriebsrat erteilte seine Zustimmung.

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Am 20. Oktober 2014 fand wegen der Vorkommnisse vom 08. Oktober 2014 ein Gespräch zwischen dem Kläger, seinem Betreuer, dem Hoteldirektor H, der stellvertretenden Hoteldirektorin Z und der Betriebsratsvorsitzenden C statt, nachdem der Kläger zuvor bereits am 15. Oktober 2014 eine schriftliche Stellungnahme abgegeben hatte, wegen deren Inhalts auf Bl. 7 d. A. Bezug genommen wird.

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Die Beklagte beantragte mit am 10. Oktober 2014 eingegangenem Schreiben vom 09. Oktober 2014 beim Integrationsamt beim Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung des Landes Rheinland-Pfalz (im Folgenden: Integrationsamt) die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Im Lauf des Zustimmungsverfahren hat sie zwei vom 08. Oktober 2014 datierende schriftliche Aussagen der Zeugin B-Z und des Zeugen B, sowie ein ärztliches Attest vom 15. Oktober 2014 in Bezug auf eine Untersuchung der Zeugin B-Z am 09. Oktober 2014 vorgelegt, hinsichtlich deren Inhaltes auf Bl. 33, 34 und 36 d. A. Bezug genommen wird. Die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen Kündigung wurde mit Bescheid vom 23. Oktober 2014, der Beklagten zugegangen am 24. Oktober 2014, erteilt.

7

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31. Oktober 2014, dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, außerordentlich. Zuvor hatte die Beklagte den Betriebsrat über die erteilte Zustimmung in Kenntnis gesetzt und ihn erneut zur beabsichtigten Kündigung angehört. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung zu.

8

Der Kläger hat am 17. November 2014 beim Arbeitsgericht Koblenz Kündigungsschutzklage erhoben.

9

Er hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, es liege kein Grund zur außerordentlichen Kündigung vor. Er habe die Kollegin B-Z, die nicht seine Vorgesetzte sei, nicht tätlich angegriffen. Diese habe ihn in nicht freundlichem Ton auf herumstehendes Geschirr hingewiesen, woraufhin er sie darauf hingewiesen habe, dass er wegen seiner beiden freien Tage hierfür nicht verantwortlich gemacht werden könne. Sie habe ihn aber weiter angeherrscht und erklärt, es müsse jeden Tag aufgeräumt werden. Er sei darüber verärgert gewesen, dass sie sich ihm gegenüber Vorgesetztenfunktion angemaßt, seine Arbeit angezweifelt und nicht habe zur Kenntnis nehmen wollen, dass er für den Zustand im Etagen-Office nichts könne. Aggressiv sei er nicht gewesen. Er habe die Zeugin nicht mit den Fäusten geschlagen, sondern sei - eher als Reflex auf die Vorhaltung - auf sie zugegangen und habe sie mit der linken Hand mit zwei Fingern geschubst, während er in der rechten Hand sein Schreibbrett gehabt habe. Die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren vorgelegten Zeugenaussagen seien widersprüchlich und die Zeugin B-Z habe maßlos übertrieben. Es sei davon auszugehen, dass der Betriebsrat nicht zugestimmt hätte, wenn die Beklagte ihm den wahren Sachverhalt mitgeteilt hätte. Er habe die Zeugin zu keinem Zeitpunkt verletzen wollen, allenfalls fahrlässig gehandelt und eine Wiederholungsgefahr scheide nach allgemeiner Lebenserfahrung und angesichts seiner 19-jährigen friedlichen Betriebszugehörigkeit aus. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass er aufgrund seiner Schwerbehinderung keinen gleichwertigen Arbeitsplatz oder überhaupt eine neue Beschäftigung finden könne. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten.

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Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

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es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Oktober 2014, zugegangen am 31. Oktober 2014, nicht aufgelöst worden ist.

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Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die Zeugin B-Z habe den Kläger als hierzu befugte Hausdamen-Assistentin am 08. Oktober 2014 gebeten, das Etagen-Office noch im Laufe des Tages aufzuräumen, woraufhin dieser aggressiv reagiert und angefangen habe, die Zeugin anzuschreien, die versucht habe, sich in einer Ecke vor einem im Keller-Flur gelegenen Büro zu verstecken und ihn verbal zu beruhigen, da sie Angst gehabt habe, der Kläger könne ihr etwas tun. Als die Zeugin habe weglaufen wollen, sei der Kläger auf sie zugekommen, habe sie mit beiden Fäusten auf die linke Brust und Schulter geschlagen, bis sie mit dem Rücken gegen die Tür gefallen sei. Dies habe der Service-Mitarbeiter B gemerkt, der in diesem Moment ebenfalls in den Keller-Eingang gekommen sei, den Kläger von der Zeugin getrennt und dafür gesorgt habe, dass sie sich habe entfernen können und sowohl der Hoteldirektor H als auch die Betriebsratsvorsitzende informiert worden seien. Im anschließenden Gespräch mit dem Hoteldirektor sei der Kläger immer aggressiver geworden, so dass er ihn zum Schutz der Mitarbeiter des Hauses verwiesen habe. Eine im Haus tätige Krankenschwester habe die Zeugin B-Z untersucht und ihr aufgrund der sichtbaren Spuren des Angriffs geraten, einen Arzt aufzusuchen. Dieser habe am Folgetag eine druckschmerzhafte Schwellung am Schlüsselbein festgestellt, was die Einlassung des Klägers, die Zeugin nur geschubst zu haben, klar widerlege. Angesichts des tätlichen Angriffs und der Aggressivität des Klägers mache es ihr unzumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Nach Eingang des Zustimmungsbescheids sei der Betriebsrat hierüber informiert worden und vorsorglich noch einmal um die Zustimmung zur Kündigung gebeten worden, die am 31. Oktober 2014 noch einmal erteilt worden sei. Die Kündigung sei mit Schreiben vom gleichen Tag ausgesprochen worden, da der Hoteldirektor als einziger kündigungsberechtigter Vertreter im Betrieb nach Eingang der Zustimmungserklärung erst an diesem Tag wieder im Betrieb gewesen sei.

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Das Arbeitsgericht hat aufgrund Beschlusses vom 10. September 2015 am gleichen Tag Beweis erhoben zu den Behauptungen der Beklagten zum tätlichen Angriff des Klägers auf die Zeugin B-Z durch Vernehmung der genannten Zeugin, des Zeugen B und der Zeugin R. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Bl. 91 ff. d. A. verwiesen.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. September 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, der Betriebsrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden, da die Anhörung nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung nicht dadurch unwirksam werde, dass die Beklagte dem Betriebsrat nach Auffassung des Klägers unzutreffende Zeugenaussagen vorgelegt habe. Das Verhalten des Klägers sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur Kündigung darzustellen, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aus im Einzelnen genannten Gründen zur festen Überzeugung der Kammer feststehe, dass der Kläger am 08. Oktober 2014 im Zuge einer verbalen Auseinandersetzung mit der Zeugin B zu ihren Lasten einen tätlichen Angriff begangen habe, indem er mit beiden Fäusten auf ihren linken Schulter-/Brustbereich eingeschlagen habe, so dass diese durch die Wucht des Angriffs nach hinten gefallen sei. Entschuldigungs- und Rechtfertigungsgründe seien nicht ersichtlich. Der vom Kläger behauptete unangemessene Tonfall der Zeugin könne nicht geeignet sein, einen tätlichen Angriff zu ihren Lasten zu rechtfertigen. Die Berücksichtigung sämtlicher Einzelumstände führe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Zugunsten des Klägers sei seine lange beanstandungsfreie Beschäftigungsdauer nachhaltig zu berücksichtigen. Die Kammer verkenne auch nicht, dass der Kläger in Anbetracht seiner Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt nur unter besonders erschwerten Umständen einen neuen Arbeitsplatz werde finden können. Eine Abmahnung sei vorliegend nicht erforderlich, weil der Kläger bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung in Anbetracht der Schwere des Verstoßes - gezielter Angriff mit zwei Fäusten auf den Oberkörper der Zeugin - von vorneherein habe davon ausgehen müssen, dass mit einer Billigung seines Verhaltens nicht zu rechnen sei. Es seien darüber hinaus die betrieblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, da der Kläger die Interessen der Beklagten an einem ungestörten Betriebsablauf durch sein Verhalten nachhaltig beeinträchtigt habe, wobei es sich angesichts des ärztlichen Attestes nicht um eine Lappalie oder Bagatelle handele. Außerdem lasse die Einlassung des Klägers, er habe die Zeugin lediglich mit zwei Fingern zur Seite geschubst und sei zuvor nachhaltig provoziert worden, erkennen, dass dieser die Auffassung vertrete, bei - wenn auch lautstarken - Vorhaltungen eines Arbeitskollegen sich provoziert fühlen zu können und den vermeintlichen Provokateur zur Seite schubsen zu dürfen. Es fehle dem Kläger daher an einem hinreichenden Unrechtsbewusstsein, was wiederum eine Wiederholungsgefahr indiziere. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers scheide vor diesem Hintergrund aus. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 117 ff. d. A. Bezug genommen.

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Der Kläger hat mit am 26. November 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 24. November 2015 Berufung gegen das am 20. November 2015 zugestellte erstinstanzliche Urteil eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 15. Januar 2016, bei Gericht eingegangen am 18. Januar 2016, begründet.

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Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren gegen den zustimmenden Bescheid des Integrationsamtes hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Koblenz Klage erhoben, die mit Urteil vom 04. April 2016 - 3 K 292/15.KO - abgewiesen worden ist. Wegen des Inhaltes der Entscheidung wird auf Bl. 162 ff. d. A. Bezug genommen. Der vom Kläger beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz unter dem Aktenzeichen 7 A 10431/16.OVG angestrengte Antrag auf Zulassung der Berufung war zum Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungskammer noch nicht beschieden.

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Der Kläger macht zur Begründung seiner Berufung nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift vom 15. Januar 2016 und seines Schriftsatzes vom 11. Mai 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 142 ff. und 177 ff. d. A.), zweitinstanzlich im Wesentlichen geltend,

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das Arbeitsgericht habe die Tatsachen unvollständig festgestellt, weil es die diversen anders lautenden Aussagen im Vorfeld des Verfahrens ausgeblendet und daher keinen Anlass gehabt habe, sich mit der Glaubwürdigkeit der Zeugen auseinander zu setzen. Die Aussage der Zeugin R und des Zeugen B beim Integrationsamt lasse sich mit der beim Arbeitsgericht gemachten Aussage nicht vereinbaren. Bei der Sachverhaltsdarstellung fehlten auch Angaben über die Sehstörungen und Koordinationsstörungen des Klägers, aufgrund derer ein vorsätzliches Handeln mit dem Ziel, die Zeugin B zu verletzen, nicht vorgelegen habe. Die Zeugin B habe sich anlässlich ihrer Vernehmung unglaubhaft als verständnisvolle, mitfühlende Mitarbeiterin ausgegeben. Das Gericht habe sich auch nicht mit einer fristgemäßen Kündigung auseinandergesetzt. Der Kläger habe auch Unrechtsbewusstsein gehabt und sich in seiner schriftlichen Stellungnahme für sein Verhalten entschuldigt. Da die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamtes noch nicht rechtskräftig sei, müsse das Verfahren ausgesetzt werden. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht eingehalten; die Begründung, der Hoteldirektor sei „außer Haus“ gewesen, verfange bei einem so großen Hotel wie dem Betrieb der Beklagten in B nicht.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10. September 2015 - Az.: 7 Ca 4371/14 - wird abgeändert und es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 31. Oktober 2014, zugegangen am 31. Oktober 2014, nicht aufgelöst worden ist.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beklagte verteidigt das vom Kläger angefochtene Urteil nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 17. Februar 2016, auf den Bezug genommen wird (Bl. 159 ff. d. A.), zweitinstanzlich im Wesentlichen wie folgt,

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das Arbeitsgericht habe den Sachverhalt umfassend aufgeklärt und die Aussagen der Zeugen objektiv gewertet. Die schriftlichen Erklärungen der Zeugen widersprächen sich nicht mit deren Aussage in der Beweisaufnahme, auch untereinander und im Hinblick auf die Begleitumstände nicht. Auch habe das Gericht die Behinderungen des Klägers in Betracht gezogen und gewertet. Einen Aussetzungsgrund gebe es nicht.

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Im Übrigen wird wegen des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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A Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht erfolgreich.

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I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, wurde vom Kläger nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 20. November 2015 mit am 26. November 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 24. November 2015 form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und mit am 18. Januar 2016 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 15. Januar 2016 rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO).

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II. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Kündigung der Beklagten vom 31. Oktober 2014, die der Kläger fristgemäß nach §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG angegriffen hat, das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung beendet hat.

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1. Die Voraussetzungen für eine wirksame außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 und Abs. 2 BGB liegen vor.

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1.1. Der Kläger hat der Beklagten durch sein Verhalten gegenüber der Zeugin B-Z am 08. Oktober 2014 iSd. § 626 Abs. 1 BGB Anlass für eine außerordentliche Kündigung gegeben.

33

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 14; 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; jeweils zitiert nach juris).

34

b) Die Berufungskammer geht mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass der Kläger sich nach diesen Grundsätzen am Nachmittag des 08. Oktober 2014 gegenüber der Zeugin B-Z im Keller einer Tätlichkeit schuldig gemacht hat, die einen an sich zur außerordentlichen Kündigung geeigneten Grund darstellt.

35

aa) Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern sind grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund zur Kündigung zu bilden. Der tätliche Angriff auf einen Arbeitskollegen ist eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Der Arbeitgeber ist nicht nur allen Arbeitnehmern verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind, sondern hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinandersetzungen beeinträchtigt wird und nicht durch Verletzungen Arbeitskräfte ausfallen. Der Arbeitgeber darf auch berücksichtigen, wie es sich auf das Verhalten der übrigen Arbeitnehmer auswirkt, wenn er von einer Kündigung absieht. Insoweit handelt es sich noch um Folgen des Fehlverhaltens, für das der Arbeitnehmer einzustehen hat (vgl. insgesamt BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 20, mwN, zitiert nach juris). Für die Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitgebers an einem ungestörten Betriebsablauf und die durch das gezeigte Verhalten indizierte zukünftige Gefährdung schutzwürdiger Rechtsgüter anderer Arbeitnehmer ist es - soweit nicht eine Notwehrlage bestanden hat - regelmäßig unerheblich, wer den ersten Schlag ausführt und welche Handlung ggf. zu einer Körperverletzung führt (BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 25, aaO).

36

bb) Das Arbeitsgericht hat als an sich geeigneten Grund zur außerordentlichen Kündigung nach durchgeführter Beweisaufnahme zutreffend festgestellt, dass der Kläger während der Auseinandersetzung am 08. Oktober 2014 die Zeugin B-Z tätlich angegriffen hat, indem er mit beiden Fäusten auf ihren linken Schulter-Brustbereich geschlagen hat, so dass diese durch die Wucht des Schlages nach hinten fiel.

37

(1) Das Berufungsgericht schließt sich der zutreffenden Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts (S. 10 und 11 des Urteils = Bl. 119 f. d. A.) an, macht sich dessen Ausführungen zur Vermeidung von Wiederholungen zu Eigen und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der vom Arbeitsgericht fehlerfrei durchgeführten Beweisaufnahme steht auch zur Überzeugung des Berufungsgerichts (§ 286 ZPO) fest, dass dem Kläger die vom Arbeitsgericht festgestellte Tätlichkeit vorzuwerfen ist.

38

(2) Die gegen die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts gerichteten Berufungsangriffe sind nicht begründet. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Arbeitsgerichts begründen (§§ 64 Abs. 6 ArbGG iVm. 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), liegen nicht vor. Entgegen der Ansicht der Berufung stehen die Aussagen der Zeugen im Rahmen ihrer Vernehmung durch das Arbeitsgericht weder in Widerspruch zu den zuvor schriftlich abgegebenen Zeugenaussagen, noch dergestalt untereinander in Widerspruch, dass Anlass zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Zeugen bestanden hätte. Der Zeuge B hat sowohl im Rahmen seiner Vernehmung durch das Arbeitsgericht als auch anlässlich seiner schriftlichen Aussage vom 08. Oktober 2014 erklärt, dass der Kläger die Zeugin B-Z geschlagen hat. Hieran ändert die geringfügig unterschiedliche Formulierung in der schriftlichen Aussage, der Kläger sei mit beiden Fäusten auf die Zeugin zugegangen und diese nach hinten gekippt, nichts, hat der Zeuge doch auch hier angegeben, er sei eingeschritten um weitere Handgreiflichkeiten zu verhindern. Ebenso wenig sind Widersprüchlichkeiten zwischen den beiden Aussagen der Zeugin R ersichtlich. Diese hat in ihrer der schriftlichen Aussage angegeben, der Kläger habe mit voller Wucht beide Fäuste auf die Brust der angegriffenen Zeugin gedrückt. Dass sie hiermit gemeint hat, dass der Kläger die Zeugin mit beiden Fäusten geschlagen hat, hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 10. September 2015 vor dem Arbeitsgericht ausdrücklich und zudem als „zu 100 % sicher“ bestätigt und schließlich ausweislich des Protokolls noch persönlich imitiert. Auch die Zeugin B-Z hat entgegen der Auffassung des Klägers im Hinblick auf die Tatsache, dass er sie geschlagen hat, nicht im Rahmen ihrer Vernehmung eine „ganz neue Version“ des Vorfalls aufgetischt. Auch sie hat in Übereinstimmung mit den Aussagen der anderen Zeugen im Rahmen der schriftlichen Aussage erklärt, der Kläger sei mit voller Wucht auf sie losgegangen und habe mit beiden Fäusten auf ihre linke Brust und Schulter eingeschlagen, bis sie mit dem Rücken gegen die Tür gefallen sei. Nichts anderes hat die Zeugin im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Arbeitsgericht ausgesagt. Im Übrigen hat die Zeugin entgegen der Auffassung der Berufung weder in der schriftlichen Aussage vom 08. Oktober 2014, noch während ihrer mündlichen Zeugenaussage ca. ein Jahr später behauptet, dem Kläger eine Anweisung gegeben zu haben, sondern jeweils lediglich angegeben, ihn gebeten zu haben, das Leergut wegzuräumen bzw. ihm einen entsprechenden Hinweis gegeben zu haben. Von einer gänzlich neuen Darstellung des Sachverhalts, der Anlass zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Zeugin und zur Wiederholung der Beweisaufnahme gegeben hätte, vermochte die Berufungskammer damit jedenfalls nicht auszugehen. Alle drei Zeugen haben gleichartig ausgesagt, dass der Kläger die Zeugin B-Z geschlagen hat und aggressiv aufgetreten ist. Diese Schilderungen stimmen überein mit den am 15. Oktober 2014 aufgrund einer Untersuchung vom 09. Oktober 2014 ärztlich attestierten Verletzungen der Zeugin. Darüber hinaus hat keiner der Zeugen auch nur ansatzweise den Vortrag des Klägers, er habe die Zeugin lediglich als Reflex mit zwei Fingern seiner - geöffneten - Hand etwas zur Seite geschubst, bestätigt. Nach alledem blieben die Einwendungen der Berufung, die lediglich die eigene Wertung des Geschehens an Stelle der Wertung des Gerichts setzt, ohne Erfolg.

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c) Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch angenommen, dass der Beklagten die Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist in Abwägung der beiderseitigen Interessen beider Parteien nicht zuzumuten ist. Die Berufungskammer schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Interessenabwägung (S. 12 bis 14 des Urteils = Bl. 121 bis 123 d. A.) an und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die Angriffe der Berufung geben keinen Anlass zu einer anderen Betrachtung. Soweit der Kläger geltend macht, das Gericht habe verkannt, dass die Selbstdarstellung der Zeugin B-Z als verständnisvolle, mitfühlende Mitarbeiterin einfach unglaubhaft sei, übersieht er, dass das Arbeitsgericht zu seinen Gunsten seinen Vortrag als zutreffend unterstellt hat, dass die Zeugin ihm nachhaltig und lautstark Vorhaltungen gemacht hat. Dennoch ist das Arbeitsgericht - zu Recht - zu der Auffassung gelangt, dass auch ein derartiges Verhalten eines Arbeitskollegen eine Reaktion wie die vom Kläger für angemessen gehaltene - das beiseite Stoßen des vermeintlichen Provokateurs - nicht rechtfertigt und vor diesem Hintergrund mit einer Wiederholung von Tätlichkeiten zu rechnen ist. Angesichts der Annahme des erstinstanzlichen Gerichts, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei vor diesem Hintergrund ausgeschlossen, ist auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Kläger annimmt, das Arbeitsgericht, das zutreffend von einer nachhaltigen Beeinträchtigung des ungestörten Betriebsablaufs ausgegangen ist, habe sich nicht damit auseinander gesetzt, ob eine ordentliche Kündigung in Frage kommt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Arbeitsgericht trotz des jahrelangen beanstandungsfreien Verlaufs des Beschäftigungsverhältnisses und der zu erwartenden Schwierigkeiten des - nicht unterhaltspflichtigen - Klägers, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, das Interesse der Beklagten, ihre Mitarbeiter vor Angriffen des Klägers zu schützen, letztlich angesichts der nach zutreffender Beweiswürdigung nicht geringfügigen Tätlichkeit höher bewertet hat. Soweit der Kläger mit der Berufung die fehlende Auseinandersetzung des Arbeitsgerichts mit den von ihm behaupteten Seh- und Koordinationsstörungen rügt, die ein vorsätzliches Handeln ausgeschlossen hätten, vermochte dies das Verhalten des Klägers nicht in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Der Kläger behauptet selbst nicht, unverschuldet, aufgrund eines nicht steuerbaren körperlichen Reflexes oder ohne Einsichtsfähigkeit gehandelt zu haben. Soweit er sich im Hinblick auf seine Beeinträchtigung erstinstanzlich auf eine zur Akte gereichte ärztliche Bescheinigung des Prof. Dr. K vom 19. Juni 1985 berufen hat, lässt sich dieser zwar entnehmen, dass der Kläger eine schwere Sehstörung hat und ständig seine Kopfhaltung ändern muss, um eine Blickschärfe zu erreichen, nicht jedoch, dass er nicht in der Lage wäre, gezielt einen Faustschlag abzugeben. Dass dies auch nicht den Tatsachen entspricht, hat die Beweisaufnahme aus den dargelegten Gründen ergeben.

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2. Entgegen der Rüge der Berufung hat die Beklagte bei Ausspruch der Kündigung auch die zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten.

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2.1. Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Bestimmung mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die sachgerechte Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden Umstände (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 39, 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 27; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, jeweils zitiert nach juris).

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2.2. Obwohl bei Zugang der streitigen Kündigung, die vorliegend der Zustimmung des Integrationsamtes bedurfte (§§ 85, 91 Abs. 1 SGB IX), am 31. Oktober 2014 mehr als zwei Wochen seit dem Tag des Kündigungsvorfalls am 08. Oktober 2014 vergangen waren, hat die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten.

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a) Für den Fall, dass bei fristgerechter Antragstellung die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts bereits abgelaufen ist, verlangt § 91 Abs. 5 SGB IX den unverzüglichen Ausspruch der Kündigung(BAG 19. April 2012 - 2 AZR 118/11 - Rn. 13; 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - Rn. 26, jeweils zitiert nach juris). Damit ist klargestellt, dass nach erteilter Zustimmung keine neue Ausschlussfrist iSv. § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt. § 91 Abs. 5 SGB IX trägt ferner dem Umstand Rechnung, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf dieser Frist die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen(BAG 19. April 2012 - 2 AZR 118/11 - Rn. 14, mwN, aaO). Erteilt iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ist die Zustimmung, sobald eine solche Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX getroffen und der antragstellende Arbeitgeber hierüber in Kenntnis gesetzt oder wenn eine Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nicht getroffen worden ist; in diesem Fall gilt die Zustimmung mit Ablauf der Frist gemäß § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt(BAG 19. April 2012 - 2 AZR 118/11 - Rn. 15 mwN, aaO). Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 91 Abs. 5 SGB IX „ohne schuldhaftes Zögern“; schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist; da „unverzüglich“ weder „sofort“ bedeutet noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden ist, kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, mwN, aaO). Dabei ist nicht allein die objektive Lage maßgebend. Solange derjenige, dem unverzügliches Handeln abverlangt wird, nicht weiß, dass er die betreffende Rechtshandlung vornehmen muss, oder es mit vertretbaren Gründen annehmen kann, er müsse sie noch nicht vornehmen, liegt kein „schuldhaftes” Zögern vor; die Kündigung ist im Sinne von § 91 Abs. 5 SGB IX „erklärt“, wenn sie dem schwerbehinderten Menschen gemäß § 130 BGB zugegangen ist(BAG 19. April 2012 - 2 AZR 118/11 - Rn. 16, mwN, zitiert nach juris)

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b) Nach fristgerechter Antragstellung gemäß § 91 Abs. 2 SGB IX beim Integrationsamt durch die Beklagte am 10. Oktober 2014, hat das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung mit Bescheid vom 23. Oktober 2014 und damit nach Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB am 22. Oktober 2014 erteilt. Die Beklagte, der der zustimmende Bescheid am Tag des Ablaufs der Frist nach § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX am 24. Oktober 2014 zugegangen ist, hat die Kündigung ohne schuldhaftes Zögern erklärt. Sie hat - vom Kläger nicht in Abrede gestellt - nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt den bei ihr gebildeten Betriebsrat unter Berücksichtigung der Fristen des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG innerhalb kürzest möglicher Zeit(vgl. BAG 03. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - Rn. 41, zitiert nach juris). erneut zur beabsichtigten Kündigung angehört. Unabhängig davon, ob die Beklagte zur erneuten Anhörung des Betriebsrates für die Wirksamkeit der Kündigung verpflichtet gewesen wäre (vgl. BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 626/93 - Rn. 34 - zitiert nach juris), war es ihr jedenfalls angesichts der Tatsache, dass Gegenstand des Verwaltungsverfahrens vor dem Integrationsamt auch die dem Betriebsrat noch nicht bekannten schriftlichen Aussagen der Zeugen B-Z, B und R waren und der Betriebsrat auch keine Kenntnis vom ärztlichen Attest und der Stellungnahme des Klägers vom 15. Oktober 2014 haben konnte, nicht verwehrt, den Betriebsrat im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG erneut zu beteiligen. Insgesamt vermochte die Berufungskammer daher nicht anzunehmen, dass die Beklagte bei Ausspruch der Kündigung schuldhaft gezögert hätte. Auf den Einwand der Berufung, in einem Hotel der Größenordnung des Betriebs in B müsse die Betriebsabwesenheit des Hoteldirektors unerheblich sein, kommt es daher nicht entscheidungserheblich an.

45

3. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert auch nicht an der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes nach §§ 85, 91 Abs. 1 SGB IX. Diese wurde mit Bescheid vom 23. Oktober 2014 unstreitig erteilt. Die vom Kläger noch im Berufungsverfahren begehrten Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit des vom Kläger gegen die erteilte Zustimmung betriebenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kam nicht in Betracht. Die Aussetzung des Kündigungsschutzverfahrens nach § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zustimmung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Gerichte für Arbeitssachen(BAG 26. September 1996 - 2 AZR 132/91 - Rn. 96, zitiert nach juris). Angesichts der Tatsache, dass in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses dem allgemeinen Beschleunigungsgebot des § 9 Abs. 1 ArbGG besondere Bedeutung zu kommt und aufgrund der bislang sämtlich zu Lasten des Klägers ergangenen Entscheidungen im Verfahren über die Wirksamkeit der zustimmenden Entscheidung des Integrationsamtes gibt die Rechtslage keinen Anlass zu die Aussetzung rechtfertigenden Zweifeln daran, dass das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung zu Recht erteilt hat.

46

B Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

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Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 07. Juni 2016 - 6 Sa 522/15

Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 07. Juni 2016 - 6 Sa 522/15

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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

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(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

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(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

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(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 07. Juni 2016 - 6 Sa 522/15 zitiert 19 §§.

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Referenzen

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 26. November 2013 - 7 Sa 444/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und über einen Auflösungsantrag des beklagten Landkreises.

2

Die Klägerin ist Dipl.-Verwaltungswirtin. Sie war bei dem beklagten Landkreis seit Oktober 2010 als Angestellte beschäftigt. Ihr war die Leitung der Erhebungsstelle Zensus übertragen. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung der TVöD-VKA Anwendung.

3

Am 22. April 2012 fand die Wahl des Landrats statt. Der Amtsinhaber stellte sich zur Wiederwahl. Die parteilose Klägerin kandidierte ebenfalls. Sie warb mit einem Flyer für sich. In diesem stellte sie die „Säulen“ ihrer Politik vor, als welche sie „Transparenz in der Verwaltung“, „Bürgernahe Politik“ und „Jugend, Familien und Senioren“ bezeichnete. Zum Punkt „Transparenz in der Verwaltung“ hieß es in dem Flyer:

        

„Wie der jüngste Umweltskandal in [B.] und der Subventionsbetrug am [Rathaus in C.] beweist, deckt der amtierende Landrat sogar die Betrügereien im Kreis. Ich stehe für eine transparente Politik, die Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft.“

4

Der Flyer lag einem lokalen Anzeigenblatt bei, das am 18. April 2012 mit einer Auflage von 28.700 verteilt wurde.

5

Nach Beteiligung des Personalrats kündigte der beklagte Landkreis das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 21. April 2012 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2012. Er warf der Klägerin üble Nachrede und Beleidigung seines Repräsentanten vor.

6

Gegen die Kündigung hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat gemeint, es sei weder ein Grund für die außerordentliche noch für die ordentliche Kündigung gegeben. Sie habe sich nicht im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses geäußert, sondern als Kandidatin im Wahlkampf. Ihr Flyer werde missverstanden. Es sei ihr nicht darum gegangen, den amtierenden Landrat persönlich zu diffamieren, einer Straftat zu bezichtigen oder gar zu beleidigen. Sie habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass der Landrat im Hinblick auf den Umweltskandal in B. und die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Sanierung des Rathauses in C. nichts unternommen habe und stattdessen transparenter und in der Öffentlichkeit aktiver mit diesem Thema hätte umgehen müssen. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Im Übrigen habe sie nur Vorwürfe wiederholt, die zuvor in der Presse erhoben worden seien. Die Klägerin hat zudem die Personalratsbeteiligung als fehlerhaft gerügt.

7

Sie hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21. April 2012 aufgelöst wurde;

        

2.    

den beklagten Landkreis zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 27. September 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigten.

8

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012 gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufzulösen.

9

Er hat die Kündigung für wirksam gehalten. Die Klägerin habe dem Landrat wider besseres Wissen unterstellt, dieser decke Betrügereien, sei also aktiv am Vertuschen von Straftaten beteiligt und erfülle damit den Straftatbestand der Strafvereitelung. Die Unterstellung krimineller Machenschaften sei eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte grobe Beleidigung und üble Nachrede. Der Landrat müsse dies auch im Wahlkampf nicht hinnehmen. Solche Vorwürfe habe es in der Presse nicht gegeben. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG aufzulösen. Der Betriebsfrieden sei nachhaltig gestört. Schon früher habe es wegen einer Konkurrentenklage Spannungen mit der Klägerin gegeben. Diese müsse sich außerdem das Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen. Der habe die Landratswahl angefochten. Seine verbalen Ausfälle gegen den Kreiswahlleiter und die Mitarbeiter des Kreiswahlbüros zeigten deutlich, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit auch mit der Klägerin nicht mehr möglich sei.

10

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben, den Auflösungsantrag des Beklagten hat es abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der beklagte Landkreis die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden.

13

I. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16).

15

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 40; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

16

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 41; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO).

17

a) Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 24 mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

18

b) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 7, 198; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35). Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - aaO; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO).

19

aa) Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Handelt es sich bei einem Werturteil um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198).

20

bb) Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

21

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt, nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei den Äußerungen der Klägerin in dem Wahl-Werbeflyer habe es sich um eine vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützte Meinungsäußerung gehandelt. Diese habe die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten und gehe, da sie im Wahlkampf erfolgt sei, der Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem beklagten Landkreis vor.

22

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Aussagen der Klägerin in dem am 18. April 2012 verteilten Flyer stellten nicht schon deshalb keine Vertragspflichtverletzung dar, weil sie außerdienstlich und überdies im Wahlkampf gefallen seien. Die Klägerin hat die Amtswahrnehmung des Landrats kritisiert. Das berührt unmittelbar die Belange auch des beklagten Landkreises.

23

b) Das vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegte Verständnis der Äußerungen in dem Flyer ist nicht zu beanstanden. Das Gericht hat angenommen, die Wahlwerbung sei nicht zwingend dahin zu verstehen, die Klägerin habe dem amtierenden Landrat kriminelles Verhalten vorgeworfen. Ebenso gut sei eine mildere, politische Deutung möglich. Danach habe die Klägerin dem Landrat den Vorwurf gemacht, bei Betrügereien im Landkreis das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen und damit demokratische Kontrolle zu behindern. Insofern handele es sich um eine Meinungsäußerung, die dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG unterfalle. Die dagegen vom beklagten Landkreis vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

24

aa) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 47; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312).

25

(1) Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312; vgl. auch BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 20; 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - Rn. 31). Mehrdeutige Äußerungen dürfen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit schlüssigen, überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (BVerfG 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - aaO mwN; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 46).

26

(2) Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40). Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Gilt für Meinungsäußerungen, insbesondere im öffentlichen Meinungskampf, bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zu Gunsten der freien Rede, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18 mwN). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Auch eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Wo dies der Fall wäre, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden. Anderenfalls drohte eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtschutzes (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO mwN).

27

(3) In der Verwendung eines Rechtsbegriffs liegt nur dann eine Tatsachenbehauptung, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingebetteten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dabei kommt es auch hier entscheidend auf den Zusammenhang an, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 28; BGH 27. April 1999 - VI ZR 174/97 - zu II 2 a der Gründe; 22. Juni 1982 - VI ZR 255/80 - zu 2 b der Gründe).

28

bb) Danach enthält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei ein - verglichen mit der Deutung des Beklagten - milderes, nämlich politisches Verständnis der Äußerung der Klägerin ohne Weiteres möglich, keinen Rechtsfehler. Das Landesarbeitsgericht hat den möglichen Aussagegehalt der fraglichen Äußerung nach ihrem Kontext beurteilt und dabei berücksichtigt, dass es sich um eine Äußerung im Rahmen von Wahlwerbung, also als Teil der politischen Auseinandersetzung mit einem Gegenkandidaten handelte. Die Aussage über dessen Amtswahrnehmung war in das eigene „Drei-Säulen-Programm“ der Klägerin eingebettet. Mit der Formulierung, der amtierende Landrat „decke“ Betrügereien im Landkreis, war deshalb nicht notwendigerweise der Vorwurf verbunden, der Landrat habe sich selbst - etwa der Strafvereitelung - strafbar gemacht. Ebenso gut lässt sich die Äußerung dahin verstehen, der Landrat habe politisch nicht genügend zur Aufklärung der aufgeführten - angeblichen - Missstände unternommen. Diese Deutung liegt angesichts der von der Klägerin an gleicher Stelle hervorgehobenen Bedeutung von Transparenz im Verwaltungshandeln sogar näher. Daran ändern der Fettdruck und die farbige Gestaltung des Flyers unter Nutzung von Fotomaterial nichts. Der Vorwurf wiegt politisch schwer genug, um als ein aus Sicht der Klägerin maßgebliches und gestalterisch zu unterstreichendes Argument in der Auseinandersetzung mit ihrem Gegenkandidaten betont zu werden.

29

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in der Äußerung der Klägerin über den amtierenden Landrat ihrem Schwerpunkt nach ein Werturteil gesehen, und nicht eine dem Wahrheits- oder Unwahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptung.

30

(1) Der Vorwurf, nicht genug zur Aufklärung - vermeintlicher - Betrügereien im öffentlichen Bereich getan zu haben, umschreibt kein spezifisches, einem objektiven Wahrheitsbeweis zugängliches Verhalten (für den Begriff „decken“ als Teil der Passage: „Besonders gefährlich sind die …, die [Herr] F.G. deckt“ ebenso EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 50). Der Vorwurf kann im vorliegenden Zusammenhang vielmehr schon das Unterlassen höherer Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts oder auch nur mangelndes Interesse daran zum Gegenstand haben. Die Gründe dafür, schon in bloßer Passivität politisch ein „Decken“ von Missständen zu erblicken, können unterschiedlich sein und hängen erkennbar von der subjektiven Einschätzung des Betrachters ab. Der Vorwurf, etwas zu „decken“, bringt daher vor allem die Meinung zum Ausdruck, der Betreffende habe nicht alles von ihm zu Fordernde zur Aufklärung unternommen. Ob eine solche Wertung berechtigt erscheint, ist eine Frage des Dafürhaltens und Meinens ohne konkret fassbaren Tatsachenkern.

31

(2) Dies gilt auch dann, wenn man in die Auslegung einbezieht, dass die Klägerin dem Landrat vorgeworfen hat, „Betrügereien“ im Landkreis zu decken, wie der jüngste „Umweltskandal“ in B. und der „Subventionsbetrug“ am Rathaus in C. bewiesen. Aus der Bezugnahme auf die solcherart umschriebenen Vorgänge ergibt sich zwar erst die Relevanz des Vorwurfs. Hätte die Klägerin neutraler von bloßen „Vorgängen“ gesprochen, hätte der Vorhalt, nicht genug zu deren Aufklärung getan zu haben, nicht das gleiche Gewicht gehabt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber auch in der Verwendung dieser Begriffe keine dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptungen gesehen. Die Ausdrücke „Umweltskandal“ und „Betrügereien“ sind dafür zu unbestimmt. Der Terminus „Subventionsbetrug“ ist zwar ein Rechtsbegriff, der den Straftatbestand des § 264 StGB bezeichnet. Ein verständiger Leser verknüpft mit seiner Verwendung in dem Wahl-Werbeflyer der Klägerin aber nicht die Vorstellung von konkreten, strafrechtlich relevanten Vorgängen, die einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich wären. Die von der Klägerin verwendeten Formulierungen dienten im Rahmen des Wahlkampfs ersichtlich als pointierte Schlagworte zur Beschreibung der von ihr ausgemachten Missstände, um die Leser ggf. dazu zu animieren, sich über die fraglichen Vorgänge selbst näher zu unterrichten. Soweit die Klägerin von „Subventionsbetrug“ spricht, ist damit erkennbar allenfalls eine pauschale Umschreibung gemeint, ohne dass diese einen fassbaren Tatsachenkern zum Gegenstand hätte. Es kommt daher nicht darauf an, ob es, wie der Beklagte im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, „unstreitig“ feststeht, dass es „derartige Straftaten“ weder in B. noch in C. gegeben habe. Das Landesarbeitsgericht hat im Übrigen eine solche Feststellung nicht getroffen; einen Antrag nach § 320 Abs. 1 ZPO hat der Beklagte nicht gestellt, eine zulässige Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.

32

(3) Der Ausdruck, die genannten Vorgänge „bewiesen“, dass der amtierende Landrat Betrügereien im Landkreis decke, ändert nichts am Charakter der Aussage als Meinungsäußerung. „Beweisen“ steht im gegebenen Zusammenhang für „belegen“ oder „zeigen“. Die Klägerin erklärt damit, sie halte das von ihr kritisierte Verhalten des Landrats durch die angesprochenen Vorfälle für belegt oder erwiesen. Ob dies gerechtfertigt ist, ist erneut eine Frage des Dafürhaltens und Meinens, ohne dass konkret fassbare Tatsachen behauptet würden. Selbst im Rechtssinne erfordert die Frage, ob etwas „bewiesen“ ist, eine wertende Betrachtung. In einem nicht juristischen Kontext wie hier liegt erst recht ein wertender Gebrauch nahe (vgl. zu den Begriffen „absichtlich“ und „bewusst“ BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 19).

33

(4) Ein anderes Verständnis verlangt auch nicht die anschließende Formulierung, die Klägerin stehe für eine transparente Politik, die „Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft“. Damit wird dem bisherigen Landrat nicht implizit und zwingend vorgeworfen, die Gesetze verletzt zu haben. Ebenso gut lässt sich die Aussage dahin verstehen, die Klägerin wolle hervorheben, dass sie als Landrätin möglichen Gesetzesverstößen konsequenter und transparenter nachgehe. Auch dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Zusammenhang der Äußerung mit der von ihr so bezeichneten Säule ihrer Politik „Transparenz in der Verwaltung“.

34

dd) Das Landesarbeitsgericht hat die an die Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Aussagen der Klägerin zu Recht aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums ausgelegt. Entgegen der Auffassung des beklagten Landkreises kommt es nicht darauf an, ob der Flyer überwiegend politisch interessierte oder desinteressierte Empfänger erreichte und ob diese um den Erhalt der Informationen gebeten hatten oder nicht. Die von dem Beklagten angestellten Schlussfolgerungen sind überdies nicht zwingend. Gerade ein nur flüchtiger, politisch desinteressierter und möglicherweise außerhalb des Wahlkampfgebiets ansässiger Leser des Flyers wird dessen Aussagen kaum auf einen konkreten Tatsachenkern bezogen haben.

35

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht der Meinungsfreiheit der Klägerin Vorrang vor ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Beklagten eingeräumt.

36

aa) Allerdings kann es die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass es ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterlässt, die Amtswahrnehmung von Repräsentanten seines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Klägerin hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landkreises deshalb nicht verletzt, weil deren Reichweite ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit bestimmt werden muss.

37

bb) Bei der Würdigung der fraglichen Erklärungen fällt entscheidend ins Gewicht, dass es sich um Äußerungen der Klägerin über einen Gegenkandidaten im laufenden Wahlkampf gehandelt hat. Ein Wahlbewerber muss sich in einer solchen Situation ggf. auch überzogener Kritik stellen. Die Grenzen zulässiger Kritik sind gegenüber einem Politiker weiter gefasst als gegenüber einer Privatperson (zu Art. 10 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 41). Auch als Beschäftigte des betroffenen Landkreises durfte die Klägerin für das Amt des Landrats kandidieren und sich im Rahmen ihrer Wahlwerbung mit der Amtsausübung des seinerseits kandidierenden Landrats auseinandersetzen. Durch ihre Kandidatur und ihre öffentlichen Äußerungen setzte sich die Klägerin gleichermaßen selbst der kritischen Überprüfung aus (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 39). In einem öffentlichen Wahlkampf ist auch ein Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen, Kritik an der Amtsausübung eines Gegenkandidaten, der zugleich Repräsentant seines Arbeitgebers ist, zunächst nur intern zu äußern. Es geht gerade um den öffentlichen Meinungskampf, in dessen Rahmen ansonsten zu beachtende vertragliche Pflichten zur Rücksichtnahme, soweit im Interesse der Meinungsfreiheit erforderlich, zurücktreten müssen. Die Klägerin war als Leiterin der Erhebungsstelle Zensus nicht unmittelbar persönlich für den amtierenden Landrat tätig. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob von ihr anderenfalls eine weitergehende Zurückhaltung auch in einem öffentlichen Wahlkampf hätte verlangt werden können.

38

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Grenzen zur Schmähkritik seien nicht überschritten. Bei den Äußerungen der Klägerin stand nicht die persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats im Vordergrund. Die Klägerin hat nach dem vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Verständnis ihrer Erklärungen nicht dem Landrat selbst „kriminelle Machenschaften“ unterstellt. Sie hat vielmehr, wenn auch in zugespitzter Form, Kritik an dessen Amtswahrnehmung geübt und damit ein bereits zuvor in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema aufgegriffen (vgl. bspw. die Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 2. November 2011 als Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 28. Januar 2013: „Das Landratsamt verharmlost … und blockiert…“). Es ging - entgegen der Auffassung des Beklagten - um eine politische Frage von öffentlichem Interesse (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 42), hier das Erfordernis transparenten Verwaltungshandelns.

39

dd) Die Klägerin hat die Kritik an der Amtswahrnehmung ihres Gegenkandidaten nicht ins Blaue hinein erhoben. An einem solchen Beitrag bestünde auch im politischen Wahlkampf kein anerkennenswertes Interesse. Sie hat sich vielmehr darauf berufen, in der Presse veröffentlichte Berichte und öffentlich diskutierte Vorgänge aufgegriffen zu haben. Ihrer kritischen Bewertung der Amtsausübung des Landrats lag damit zumindest die Tatsache zugrunde, dass die Vorgänge in B. und C. und die Rolle des Landratsamts in der Öffentlichkeit als aufklärungsbedürftig angesehen worden waren. Der beklagte Landkreis mag zwar zutreffend geltend gemacht haben, der Landrat sei in der Presse nicht „krimineller Machenschaften“ bezichtigt worden. Ein solcher Aussagegehalt kommt aber - wie ausgeführt - auch dem Flyer der Klägerin nicht zu. Handelt es sich stattdessen um ein Werturteil - hier über die Amtsausübung des Landrats - und bei diesem um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198). Sie beschränkt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf spontane, mündliche Äußerungen. Vielmehr schützt Art. 5 Abs. 1 GG die freie Meinungsäußerung „in Wort, Schrift und Bild“(vgl. BVerfG 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO: ua. schriftlicher Boykottaufruf; 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 -: Veröffentlichung eines „Denkzettels“ im Internet). Bei einer spontanen, mündlichen Erklärung mag außerdem die mögliche Unbedachtheit einer gewählten Formulierung zu berücksichtigen sein.

40

ee) Die Äußerung der Klägerin ging nach Form und Zeitpunkt nicht über das in einem Wahlkampf hinzunehmende Maß hinaus.

41

(1) Der beklagte Landkreis hat geltend gemacht, die Klägerin habe offensichtlich um jeden Preis potentielle Wähler für sich gewinnen wollen. Dabei lässt er außer Acht, dass sie dies nicht durch eine persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats, sondern durch eine politische Stellungnahme zu dessen Amtswahrnehmung versucht hat. Dass sie damit zugleich beabsichtigt haben dürfte, die Wähler gegen den amtierenden Landrat und für sich selbst einzunehmen, ist nicht zu missbilligender Zweck eines Wahlkampfs.

42

(2) Ob der Vorgang anders zu beurteilen wäre, wenn die Klägerin zur Unterstützung ihrer Äußerungen ihren Dienst beim Beklagten in die Waagschale geworfen und den Lesern zB das Vorhandensein darauf beruhender besonderer Einblicke in die Zusammenhänge suggeriert hätte, bedarf keiner Entscheidung. Ein Hinweis auf ihre Beschäftigung bei dem beklagten Landkreis war dem Flyer nicht zu entnehmen.

43

(3) Dass der Flyer über das Gebiet des beklagten Landkreises hinaus verbreitet worden wäre, ist vom Landesarbeitsgericht weder festgestellt worden, noch würde dies ein anderes Ergebnis rechtfertigen. Das Anzeigenblatt, dem der Flyer beigelegt war, ist jedenfalls auch in dem Gebiet des beklagten Landkreises verteilt worden. Die Klägerin musste von dieser Möglichkeit seiner Verbreitung nicht deshalb absehen, weil das Blatt einen über den Landkreis hinausreichenden Einzugsbereich hatte.

44

(4) Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, die Klägerin habe bewusst einen so späten Zeitpunkt für die Veröffentlichung gewählt, dass dem amtierenden Landrat vor der Wahl keine Reaktion mehr möglich gewesen sei, ist dies bereits unschlüssig. Das Anzeigenblatt wurde am 18. April 2012 verteilt, die Landratswahl fand am 22. April 2012 statt.

45

II. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Die Klägerin hat - wie ausgeführt - ihre Vertragspflichten nicht verletzt.

46

III. Den Auflösungsantrag des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Der beklagte Landkreis hat keine Umstände dargelegt, die einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG entgegenstünden. Weder genügen frühere Spannungen aufgrund einer Konkurrentenklage als Auflösungsgrund, noch ist ersichtlich, warum sich die Klägerin ein Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen müsste.

47

IV. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

48

V. Als unterlegene Partei hat der beklagte Landkreis gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    F. Löllgen     

        

    Gerschermann    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. März 2013 - 13 Sa 6/13 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 3. September 2012 - 3 Ca 319/12 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 15. März 2012 nicht aufgelöst worden ist.

3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einer binnen der Kündigungsfrist erklärten außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte produziert Wellpappe für Verpackungen und Displays. Sie beschäftigte zuletzt etwa 210 Arbeitnehmer. Der 1984 geborene Kläger stand vom 18. Mai bis 15. September 2009 und ab dem 9. November 2010 in ihren Diensten, zuletzt als Produktionsmitarbeiter.

3

Am 10. Februar 2012 fand auf Einladung der Gewerkschaft ver.di in dem bisher betriebsratslosen Betrieb der Beklagten eine Betriebsversammlung zum Zweck der Wahl eines Wahlvorstands statt. Zu der für den Beginn der Versammlung angesetzten Uhrzeit waren hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre noch nicht anwesend. Gleichwohl wurde ein Versammlungsleiter gewählt. Laut des von diesem verfassten Protokolls beschlossen die Teilnehmer einstimmig, keinen Wahlvorstand zu wählen. Die Versammlung wurde geschlossen. Die zwischenzeitlich eingetroffenen Gewerkschaftssekretäre versuchten, die Anwesenden zum Bleiben zu bewegen. Teilweise gelang dies. An einer anschließend durchgeführten Abstimmung über die Wahl eines Wahlvorstands beteiligten sich etwa 50 Arbeitnehmer. Auf den Kläger als Kandidaten von ver.di entfielen 33 Stimmen. Die Zahl der bei der Abstimmung insgesamt anwesenden Arbeitnehmer ließ sich später nicht mehr feststellen.

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Mit Schreiben vom 17. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 2012. Sie warf dem Kläger vor, er sei am Vortag 15 Minuten zu spät zur Arbeit erschienen. Bereits am 7. April 2011 und am 27. Oktober 2011 hatte sie den Kläger - im einen Fall wegen einer behaupteten Verspätung von 22 Minuten, im anderen Fall wegen Nichterscheinens zur Nachtschicht - abgemahnt.

5

In den Tagen nach Zugang der Kündigung nahm der Kläger an einem Treffen gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter der Beklagten teil. Anlässlich der Zusammenkunft wurde durch „Streik.TV“ - einer im Auftrag von ver.di produzierten online-TV-Sendung für gewerkschaftsrelevante Themen - unter dem Aufmacher „[Die Beklagte] behindert die Bildung eines Betriebsrats“ ein Video-Interview erstellt. Darin schilderte ein „Hintergrundsprecher“, bei der Beklagten habe ein Wahlvorstand zur Einleitung einer Betriebsratswahl gewählt werden sollen. Sodann äußerte sich der Kläger mit den Worten: „Wir haben Probleme mit den Arbeitszeiten, mit Urlaubszeiten, mit Pausenzeiten. Dann haben wir viele Probleme, dass das Vertrauen zu den Mitarbeitern fehlt, da großer Druck von oben aufgebaut ist. Viele Sicherheitsvorkehrungen fehlen an einzelnen Maschinen. Ich möchte fast behaupten, dass keine Maschine zu 100 Prozent ausgerüstet ist. Das Problem ist, dass keine Fachkräfte vorhanden sind und dass das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100 Prozent erfüllt wird.“

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Das Video wurde am 22. Februar 2012 in das Internet eingestellt und war bei „YouTube“ zu sehen. Der Kläger selbst verbreitete es über seinen „Facebook“-Account. Mit Schreiben vom 15. März 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „fristlos, hilfsweise fristgerecht“.

7

Auf Antrag von ver.di bestellte das Arbeitsgericht am 21. März 2012 - rechtskräftig - einen fünfköpfigen Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl im Betrieb der Beklagten. Der Kläger, den ver.di als Kandidaten benannt hatte, wurde nicht eingesetzt.

8

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, aufgrund seiner Kandidatur für den Wahlvorstand habe er besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG genossen. Die außerordentliche Kündigung sei demzufolge unwirksam, weil sie ohne die erforderliche Zustimmung iSd. § 103 BetrVG erklärt worden sei, die ordentlichen Kündigungen seien wegen seines Sonderkündigungsschutzes ausgeschlossen gewesen. Abgesehen davon fehle es an Kündigungsgründen. Mit seinen Äußerungen in dem Video, für die er sich auf sein Recht auf Meinungsfreiheit berufen könne, habe er seine vertraglichen Pflichten nicht verletzt. Am 16. Februar 2012 sei er lediglich drei Minuten zu spät zur Arbeit erschienen und dies witterungsbedingt.

9

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 17. Februar 2012 noch durch die Kündigung der Beklagten vom 15. März 2012 aufgelöst worden ist.

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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für den vom Kläger angenommenen Sonderkündigungsschutz lägen nicht vor. Die fristlose Kündigung sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Die Äußerungen des Klägers in dem Video-Interview, soweit mit ihnen das Fehlen von Fachkräften behauptet werde, seien „verleumderisch“. Sie erfüllten überdies den Tatbestand der Kreditgefährdung. Sie seien geeignet gewesen, Kunden und mögliche Stellenbewerber abzuschrecken. Mit der Billigung seines Verhaltens habe der Kläger nicht rechnen dürfen. Zumindest habe das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der ordentlichen Kündigungen sein Ende gefunden. Was die Kündigung vom 17. Februar 2012 angehe, so sei der Kläger am Tag zuvor mit erheblicher Verspätung zur Arbeit erschienen, ohne dies genügend entschuldigt zu haben.

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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Feststellungsantrag des Klägers ist begründet, soweit er sich gegen die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 richtet. Dies kann der Senat abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Hinsichtlich des weitergehenden Feststellungsbegehrens war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 17. Februar 2012 zum 31. März 2012 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest. Damit kommt derzeit eine Sachentscheidung über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 15. März 2012, die zu einem nach dem 31. März 2012 liegenden Zeitpunkt wirken würde, nicht in Betracht.

13

A. Die Revision des Klägers ist zulässig. Zwar enthält die Revisionsbegründung keinen förmlichen Antrag. Dies ist jedoch unschädlich.

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I. Nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ZPO muss die Revisionsbegründung eine Erklärung darüber enthalten, inwieweit das angegriffene Urteil angefochten und seine Aufhebung beantragt werde. Dafür ist nicht erforderlich, dass dieser Revisionsantrag gesondert hervorgehoben und ausdrücklich formuliert wird. Es genügt, dass sein Inhalt aus der Begründung zweifelsfrei ersichtlich wird (BAG 31. Januar 2008 - 8 AZR 11/07 - Rn. 27; BGH 25. März 2014 - II ZB 3/13 - Rn. 7).

15

II. Das Begehren des Klägers wird aus der Revisionsbegründung hinreichend deutlich. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 zu Unrecht als wirksam angesehen und habe es deshalb rechtsfehlerhaft versäumt, über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigungen zu befinden. Darin kommt sein Begehren zum Ausdruck, das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben und seiner Berufung in vollem Umfang stattzugeben. Das genügt.

16

B. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben. Das Landesarbeitsgericht durfte die Klage nicht mit der Begründung abweisen, das Arbeitsverhältnis sei durch die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 aufgelöst worden. Diese Kündigung ist unwirksam.

17

I. Der Kläger hat mit seinem gegen „die Kündigung vom 15. März 2012“ gerichteten Feststellungsantrag die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG sowohl hinsichtlich der fristlosen, als auch hinsichtlich der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung von diesem Tag gewahrt. Der betreffende Schriftsatz ist am 23. März 2012 bei Gericht eingegangen. Der Antrag ist ausreichend bestimmt, auch wenn in ihm nicht förmlich zwischen beiden Kündigungen unterschieden wird. Die beigegebene Begründung lässt deutlich erkennen, dass der Kläger keine der Kündigungserklärungen vom 15. März 2012 gegen sich gelten lassen will (zur Problematik vgl. BAG 16. November 1970 - 2 AZR 33/70 - zu III der Gründe; HaKo/Gallner KSchR 4. Aufl. § 4 Rn. 64).

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II. Die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 ist nicht schon deshalb unwirksam, weil es zu ihrer Wirksamkeit - entsprechend § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG, § 103 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG - der vorherigen gerichtlichen Zustimmung bedurft hätte. Dem Kläger stand im maßgebenden Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung der geltend gemachte Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 KSchG nicht zu(zum Beurteilungszeitpunkt vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 20 mwN). Der Kläger war weder Mitglied des Wahlvorstands noch „Wahlbewerber“ im Sinne dieser Bestimmung.

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1. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Wahlvorstands vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines „Wahlbewerbers“ vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist.

20

2. Der Kläger war bei Zugang der Kündigung nicht Mitglied eines Wahlvorstands iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 KSchG, § 103 BetrVG. In Betracht kommt allenfalls, dass er am 10. Februar 2012 in ein solches Amt gewählt worden wäre. Das war jedoch nicht der Fall. Eine Wahl iSv. § 17 Abs. 2 BetrVG hat nicht stattgefunden.

21

a) Die Bestellung des Wahlvorstands bestimmt sich nach den Vorschriften des BetrVG, hier nach § 17 BetrVG. Nach Absatz 2 der Vorschrift wird der Wahlvorstand in Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht, unter den dort genannten Voraussetzungen in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer gewählt. Zu dieser Betriebsversammlung kann nach § 17 Abs. 3 BetrVG ua. eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen und dabei Vorschläge für die Zusammensetzung des Gremiums machen. Im Übrigen gelten für diese Betriebsversammlung die Vorschriften der §§ 42 ff. BetrVG, soweit sie nicht das Bestehen eines Betriebsrats voraussetzen (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 185/08 - Rn. 11, BAGE 132, 293; 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 2 a der Gründe mwN).

22

b) Da es sich um bloße Vorbereitungshandlungen zur Wahl eines Betriebsrats handelt, ist zwar ein „übertriebener Formalismus“ mit Blick auf die Einhaltung der einschlägigen Verfahrensvorschriften fehl am Platz, solange nicht gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Wahl verstoßen wird (BAG 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 4 b aa der Gründe). Unverzichtbare Mindestanforderung ist aber, dass die Wahl in einer Betriebsversammlung erfolgte und das erforderliche Quorum erreicht ist. Jeder für den Wahlvorstand vorgesehene Arbeitnehmer muss mit der Mehrheit der Stimmen der bei der Betriebsversammlung anwesenden Arbeitnehmer gewählt werden; die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt nicht (statt vieler: Fitting BetrVG 27. Aufl. § 17 Rn. 29; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 17 Rn. 25). Ohne die Beachtung dieser Voraussetzungen liegt keine rechtsgültige Wahl vor.

23

c) Danach wurde der Kläger am 10. Februar 2012 nicht zum Mitglied eines Wahlvorstands gewählt. Es ist bereits zweifelhaft, ob die hierüber durchgeführte Abstimmung, nachdem die Versammlung zuvor offenbar „geschlossen“ worden war, „in einer Betriebsversammlung“ erfolgte. Im Ergebnis kann dies offenbleiben. Die Zahl der bei der Abstimmung anwesenden Arbeitnehmer ist nicht ermittelt worden. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, ob tatsächlich eine im Sinne des Gesetzes repräsentative Wahl des Klägers erfolgt ist. Dieser erhielt zwar 33 von etwa 50 abgegebenen Stimmen. Ob aber nicht im Zeitpunkt der Wahl insgesamt mehr als 65 Teilnehmer anwesend waren, so dass der Kläger nicht von deren Mehrheit gewählt worden wäre, lässt sich nicht mehr feststellen. Dies geht zu Lasten des Klägers. Der Arbeitnehmer, der sich auf einen Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG beruft, hat die dafür erforderlichen Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 955/11 - Rn. 31).

24

3. Der Kläger wurde aufgrund seiner am 10. Februar 2012 auf der Versammlung erklärten Bereitschaft, für das Amt des Wahlvorstands zu „kandidieren“, nicht „Wahlbewerber“ iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG. „Wahlbewerber“ wurde er auch nicht aufgrund des Umstands, dass er seit dem 23. Februar 2012 in einem Antrag nach § 17 Abs. 4 BetrVG für eine gerichtliche Bestellung zum Wahlvorstand vorgeschlagen worden war. Dementsprechend kam für ihn weder ab dem 10. noch ab dem 23. Februar 2012 (nachwirkender) Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG in Betracht.

25

a) Im Schrifttum sind die Meinungen zu dieser Problematik geteilt. Einige Stimmen nehmen an, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands seien - unabhängig vom Weg, auf dem sie in das Amt gelangen sollen - als „Wahlbewerber“ iSd. § 15 Abs. 3 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG anzusehen(vgl. KR/Etzel 10. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 13; Stein AuR 1975, 201, 202). Die Mehrzahl der Stimmen lehnt ein solches Begriffsverständnis ab (vgl. nur APS/Linck 4. Aufl. § 103 BetrVG Rn. 2; Fitting BetrVG 27. Aufl. § 103 Rn. 10; GK/Raab BetrVG 8. Aufl. § 103 Rn. 6; HWGNRH/Huke BetrVG 9. Aufl. § 103 Rn. 13; Kittner/Däubler/Zwanziger/Deinert KSchR 8. Aufl. § 15 Rn. 17; Richardi/Thüsing BetrVG 12. Aufl. § 103 Rn. 8; SES/Eylert KSchG § 15 Rn. 22; WPK/Preis BetrVG 4. Aufl. § 103 Rn. 6; Grau/Schaut BB 2014, 757; Fischermeier ZTR 1998, 433, 434; Nägele/Nestel BB 2002, 354, 356).

26

b) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands sind keine „Wahlbewerber“.

27

aa) Seinem Wortlaut nach bezieht sich § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG mit dem Ausdruck „Wahlbewerber“ auf Personen, die sich im Rahmen einer Wahl für ein Amt „bewerben“. Mitglieder des Wahlvorstands erlangen ihr Amt dagegen vielfach gerade nicht durch Wahl. Ihre Bestellung durch den Betriebsrat (§ 16 BetrVG), den Gesamt- oder den Konzernbetriebsrat (§ 17 Abs. 1 BetrVG) oder das Gericht (§ 17 Abs. 4 BetrVG) ist weder sprachlich noch inhaltlich vom Begriff „Wahl“ gedeckt. Auch „bewerben“ sich die Kandidaten bei dem jeweiligen Gremium, das zur Bestellung des Wahlvorstands berufen ist, nicht um das Amt. Das zuständige Gremium setzt vielmehr die Personen, die es für geeignet hält, in eigener Verantwortung als Mitglieder des Wahlvorstands ein.

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bb) Systematische Gesichtspunkte stützen dieses Verständnis.

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(1) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG sind Wahlbewerber „vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an … bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses“ vor Kündigungen besonders geschützt. Dieser Schutz ist ersichtlich an die Durchführung eines Wahlverfahrens geknüpft; dieses wiederum verlangt für die „Aufstellung“ eines Wahlvorschlags und damit für eine „Bewerbung“ die Einhaltung einer bestimmten Form (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 24). Mit Blick auf die Wahl des Betriebsrats etwa ist erforderlich, dass ein schriftlicher Wahlvorschlag existiert, der den in § 14 Abs. 4 BetrVG und in der Wahlordnung normierten Voraussetzungen genügt, insbesondere die erforderliche Mindestzahl von Stützunterschriften aufweist(BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12, 13). Durch die in § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorausgesetzte Aufstellung eines Wahlvorschlags wird der Begriff des „Wahlbewerbers“ jedenfalls kündigungsschutzrechtlich auf Kandidaten beschränkt, die sich einem formalisierten Wahlverfahren stellen. Auf die Benennung von Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands trifft dies nicht zu. Ein strukturiertes Verfahren, in dessen Rahmen „Wahlvorschläge aufgestellt“ würden, ist selbst für den Weg der Wahl in einer Betriebsversammlung iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht vorgesehen(BAG 24. März 1988 - 2 AZR 629/87 - zu II 4 b aa der Gründe). Schon die zweifelsfreie Feststellung des Beginns des Sonderkündigungsschutzes wäre damit nicht möglich.

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(2) Es kommt hinzu, dass mit einem Verständnis der Kandidatur für den Wahlvorstand als „Wahlbewerbung“ die Möglichkeit einer Erstreckung des Sonderkündigungsschutzes auf alle Belegschaftsmitglieder verbunden wäre. Soll die Wahl des Wahlvorstands in einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 2 BetrVG erfolgen, könnte jeder Anwesende sich zum Kandidaten erklären oder könnte von anderen Belegschaftsmitgliedern oder der einladenden Gewerkschaft dazu erklärt werden. Soll der Wahlvorstand nach ergebnisloser Betriebsversammlung durch das Gericht bestellt werden, könnten die Antragsteller zahlenmäßig unbegrenzte Bestellungsvorschläge unterbreiten, aus denen das Gericht die zu bestellenden Mitglieder aussuchen möge. Dies vertrüge sich systematisch nicht mit der Regelung in § 15 Abs. 3a KSchG. Danach ist der besondere Schutz für Belegschaftsmitglieder, die zu einer Betriebsversammlung iSv. § 17 Abs. 3 BetrVG einladen oder den Antrag iSv. § 17 Abs. 4 BetrVG stellen, auf die ersten drei in der Einladung bzw. der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer begrenzt.

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Für - umgekehrt - eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 3a KSchG auf die Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands wiederum fehlt es an der erforderlichen Ähnlichkeit der Sachverhalte. Weder sind die „Aktivitäten“ der Initiatoren bzw. Antragsteller und die der (bloßen) Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands vergleichbar, noch macht eine zahlenmäßige Begrenzung auf die „ersten“ drei Kandidaten Sinn - zumal der Wahlvorstand aus mehr als drei Personen bestehen kann.

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cc) Auch Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes gebieten es nicht, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands als „Wahlbewerber“ iSv. § 15 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 KSchG, § 103 Abs. 1 BetrVG anzusehen.

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(1) Die Erstreckung des besonderen Kündigungsschutzes in § 15 Abs. 3 KSchG auf Mitglieder des Wahlvorstands und Wahlbewerber dient der Erleichterung der Wahl der Betriebsverfassungsorgane und der Sicherung der Kontinuität ihrer Arbeit(BT-Drs. VI/1786 S. 59). Das gleiche Ziel verfolgt die entsprechende Regelung in § 103 Abs. 1 BetrVG. Das Zustimmungserfordernis soll verhindern, geschützte Personen faktisch zunächst einmal aus dem Betrieb zu entfernen und durch die Länge eines möglichen Kündigungsschutzverfahrens der Belegschaft zu entfremden (vgl. BT-Drs. VI/1786 S. 53).

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(2) Diese Zwecke verlangen nicht danach, Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands als „Wahlbewerber“ anzusehen.

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(a) Zwar sind schon im Vorfeld der Betriebsratswahl spezifische Konflikte zwischen betroffenen Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber denkbar. Aus diesem Grund sind sowohl die Mitglieder des tatsächlich gewählten oder bestellten Wahlvorstands, die nunmehr die Wahl des Betriebsrats aktiv zu betreiben haben, als auch die Bewerber um das Betriebsratsamt als solches durch § 15 Abs. 3 KSchG besonders geschützt. Ohne diesen Schutz hat der Gesetzgeber das Ziel einer möglichst reibungslosen und erfolgreichen Wahl des Betriebsrats erkennbar als gefährdet angesehen.

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(b) Dieses Ziel verlangt aber nicht nach dem gleichen Schutz schon für die Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands. Aus einer solchen Kandidatur erwachsen typischerweise keine Konfliktlagen, die mit denen aus dem späteren Amt als tatsächlich gewählter/bestellter Wahlvorstand oder aus einer Bewerbung um das Amt des Betriebsrats selbst vergleichbar wären. Zum einen dauert die Kandidatur für den Wahlvorstand in der Regel nur eine kurze Zeitspanne - etwa die Zeit zwischen der Einladung zur Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 3 BetrVG, soweit die Kandidatur darin überhaupt bekanntgegeben wird, und der Durchführung der Versammlung oder die Zeit zwischen Antragstellung und Entscheidung des Gerichts nach § 17 Abs. 4 BetrVG. Geht es um die Bestellung der Mitglieder des Wahlvorstands durch ein Betriebsratsgremium lässt sich zudem schon von einer „Kandidatur“ kaum sprechen. Zum anderen tritt der Kandidat für das Amt des Wahlvorstands auch im Rahmen des Wegs über § 17 Abs. 2 BetrVG in der Regel nicht werbend in Erscheinung, um gegenüber Konkurrenten mit bestimmten inhaltlichen Vorschlägen zu überzeugen. Anlässe und Angriffsflächen für Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers sind damit nicht zu erwarten. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses von Kandidaten für den Wahlvorstand erscheint demnach nicht schon wegen ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rolle als besonders gefährdet. Sind die Kandidaten zugleich die Initiatoren der Wahl iSv. § 15 Abs. 3a KSchG iVm. § 17 Abs. 3, Abs. 4 BetrVG, sind sie in dieser Rolle durch § 15 Abs. 3a KSchG ohnehin geschützt. Damit ergeben sich aus Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 KSchG keine Gründe, die eine mit dem Wortsinn „Wahlbewerber“ nicht zu vereinbarende und in Widersprüche zur Systematik der Gesamtregelung geratende Auslegung dieses Begriffs dahin rechtfertigen könnten, dass er auch Kandidaten für das Amt des Wahlvorstands erfasse.

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(3) Sollte der Arbeitgeber mit der Kündigung eines Arbeitnehmers dennoch das Ziel verfolgen, dessen Wahl oder Bestellung zum Mitglied eines Wahlvorstands zu verhindern, stellte dies eine verbotene Wahlbehinderung dar. Die Kündigung wäre nach § 20 Abs. 1 BetrVG iVm. § 134 BGB nichtig(vgl. auch BAG 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu II 3 a der Gründe). Im Übrigen finden zugunsten der Kandidaten allemal die allgemeinen kündigungsschutzrechtlichen Bestimmungen Anwendung.

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III. Die fristlose Kündigung vom 15. März 2012 ist gleichwohl unwirksam. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Der Kläger hat mit seinen Äußerungen in dem durch „Streik.TV“ produzierten Video seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, er habe in dem Beitrag bewusst geschäftsschädigende Tatsachenbehauptungen aufgestellt, beruht auf einer fehlerhaften Auslegung der fraglichen Äußerungen und schenkt dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) keine genügende Beachtung. Darauf, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, kommt es nicht an.

39

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15 mwN, BAGE 146, 303).

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2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

41

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung liegt regelmäßig vor, wenn der Arbeitnehmer über seinen Arbeitgeber, seine Vorgesetzten oder Kollegen bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen aufstellt, insbesondere wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Auch eine bewusste und gewollte Geschäftsschädigung, die geeignet ist, bei Geschäftspartnern des Arbeitgebers Misstrauen in dessen Zuverlässigkeit hervorzurufen, kann einen wichtigen Grund zur Kündigung bilden. Das gilt auch dann, wenn es sich um einen einmaligen Vorgang handelt (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 15; 6. Februar 1997 - 2 AZR 38/96 - zu II 1 e der Gründe).

42

4. Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b aa der Gründe mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

43

5. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a der Gründe). Die Verfassung gibt das Ergebnis einer solchen Abwägung nicht vor. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - auch auf Seiten des Arbeitgebers eine grundrechtlich geschützte Position betroffen ist. Durch Art. 12 GG wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt, die durch geschäftsschädigende Äußerungen verletzt sein kann. Auch gehört § 241 Abs. 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 20; 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - BVerfGE 114, 339).

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6. Danach hat der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Beklagten nicht verletzt.

45

a) Sowohl für die Beurteilung, ob es sich bei einer Aussage um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, als auch für die Bewertung, ob eine vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasste Äußerung die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet, kommt es entscheidend auf den Sinngehalt der fraglichen Erklärung an(vgl. BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - zu B III 2 a cc der Gründe). Dessen Ermittlung hat vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, darf aber den sprachlichen Kontext, in dem sie steht, sowie die für den Empfänger erkennbaren Begleitumstände, unter denen sie gefallen ist, nicht unberücksichtigt lassen. Die isolierte Betrachtung nur eines Teils der Äußerung wird diesen Anforderungen in der Regel nicht gerecht (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe).

46

b) Um der Meinungsfreiheit gerecht zu werden, dürfen Gerichte einer Äußerung keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat. Bei Mehrdeutigkeit dürfen Äußerungen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (bspw. BVerfG 25. Oktober 2005 - 1 BvR 1696/98 - Rn. 33, BVerfGE 114, 339; 25. März 1992 - 1 BvR 514/90 - zu B I 2 a der Gründe, BVerfGE 86, 1).

47

c) Die Einhaltung dieser Grundsätze kann das Revisionsgericht uneingeschränkt überprüfen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15 mwN, BAGE 138, 312). Ihnen genügt die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Sinnermittlung nicht.

48

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit seiner Erklärung, bei der Beklagten seien „keine Fachkräfte vorhanden“, zum Ausdruck gebracht, diese beschäftige keine Arbeitnehmer, die innerhalb ihres erlernten Berufs über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügten. Damit habe er dem Großteil der bei der Beklagten tätigen Arbeitnehmer, die in Wirklichkeit sehr wohl über eine einschlägige Facharbeiterausbildung zB als Schlosser, Elektriker oder im Bereich Verpackungsmittelmechanik verfügten, die Kompetenz abgesprochen, eine ausbildungsadäquate Tätigkeit zu verrichten. Er habe insoweit eine objektiv unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt.

49

bb) Diese Auslegung wird dem Sinn der Äußerung schon deshalb nicht gerecht, weil sie mit der beanstandeten Passage nur einen Teil in den Blick nimmt und sich außerdem allein am allgemeinen Verständnis des Begriffs „Fachkraft“ orientiert. Eine Fachkraft ist danach eine Person, die innerhalb ihres Berufs oder ihres Fachgebiets über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt (Duden Deutsches Universalwörterbuch 7. Aufl.; Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl.). Auf diese Weise lässt das Landesarbeitsgericht - wie der Kläger zu Recht rügt - den gedanklichen Zusammenhang, in den die Äußerung gestellt ist, außer Betracht und berücksichtigt nicht hinreichend ihren äußeren Bezugsrahmen.

50

(1) Der Kläger bezieht sich in erster Linie auf „Probleme“ mit Arbeitszeiten, Urlaubszeiten und Pausenzeiten. Er spricht damit Sachverhalte an, die - je nach den konkreten Umständen - einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5 BetrVG unterliegen können. Anschließend bemängelt er ein unzureichendes Vertrauen in die Mitarbeiter und den Umstand, dass „viele Sicherheitsvorkehrungen“ an „einzelnen Maschinen“ fehlten. Daran schließt sich der Hinweis, es seien „keine Fachkräfte vorhanden“ unmittelbar an. Noch im selben Satz äußert der Kläger sodann, er möge „fast“ behaupten, dass keine Maschine zu „100 Prozent ausgerüstet“ sei. Diese enge textliche und sachliche Verknüpfung mit den angesprochenen Sicherheitsaspekten legt es unmittelbar nahe anzunehmen, der Kläger habe nicht auf das Fehlen von Fachkräften im Allgemeinen, sondern auf Defizite in Sachen Arbeitssicherheit hinweisen wollen.

51

(2) Für ein solches Verständnis spricht ferner der situative Kontext der Aussage. Das fragliche Video wurde aus Anlass der Ereignisse vom 10. Februar 2012 erstellt. Vor der beanstandeten Äußerung berichtet ein „Hintergrundsprecher“ von der auf einen Mitarbeiterwunsch zurückgehenden Einladung der Gewerkschaft ver.di zu einer Betriebsversammlung bei der Beklagten, in der ein Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl habe gewählt werden sollen. Im Anschluss an die Erklärung des Klägers äußert der Hintergrundsprecher weiter: „Die Betriebsversammlung lief alles andere als gut. Zu einer Wahl kam es nicht“. Eingebettet in diesen Sachzusammenhang waren die Äußerungen des Klägers in ihrer Gesamtheit erkennbar darauf angelegt, für die Wahl eines Betriebsrats zu „werben“. An keiner Stelle des Interviews wird deutlich, dass der Kläger der Beklagten hätte absprechen wollen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die über eine qualifizierte Berufsausbildung verfügen und in der Lage sind, in ihrem Beruf erworbene Fähigkeiten und Kenntnisse adäquat anzuwenden. Gegenstand seiner Stellungnahme waren vielmehr „Probleme“, derer sich ein Betriebsrat würde annehmen können.

52

Der von der Beklagten als geschäftsschädigend angesehene Eindruck, sie setze bei der Herstellung ihrer Produkte durchweg kein ausgebildetes Fachpersonal ein, konnte bei einem Zuschauer nicht wirklich entstehen. Insbesondere mussten ihre (potentiellen) Kunden oder an einer Beschäftigung bei ihr interessierte Arbeitnehmer aufgrund der Äußerungen des Klägers nicht annehmen, die von der Beklagten hergestellten Waren seien minderwertig oder erfüllten nicht die Qualitätserwartungen. Ein verständiger Betrachter des Videos konnte allenfalls den Eindruck gewinnen, bei der Beklagten sei aus Sicht des Klägers eine gefahrlose Bedienung der Maschinen mangels hierfür spezifisch aus- oder weitergebildeter Kräfte nicht ausnahmslos gewährleistet.

53

Angesichts dessen bleibt für die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung kein Raum. Selbst wenn es sich aber um eine nicht gänzlich auszuschließende Deutungsvariante handeln würde, müsste der hier dargelegten und zumindest ebenso naheliegenden Auslegung zum Schutz der Meinungsfreiheit der Vorrang eingeräumt werden.

54

cc) Ist die Äußerung des Klägers als Hinweis auf das Fehlen von „Fachkräften“ in Bezug auf die Arbeitssicherheit zu verstehen, kann sie - selbst bei isolierter Betrachtung - nicht als Tatsachenbehauptung eingestuft werden. Der Kläger beschreibt nicht das Fehlen einer wirklichen Qualifikation, deren (Nicht-)Vorhandensein ggf. einem Wahrheitsbeweis zugänglich wäre. Er äußert sich vielmehr pauschal über eine seiner Einschätzung nach unzureichend gewährleistete Sicherheit bei der Bedienung der im Betrieb eingesetzten Maschinen. Dafür macht er Defizite sowohl im technischen als auch im personellen Bereich verantwortlich.

55

dd) Selbst wenn die Äußerung des Klägers auch tatsächliche Behauptungen implizieren würde, so hat sie doch zumindest teilweise wertenden Charakter. Eine Trennung von tatsächlichen und wertenden Bestandteilen einer Äußerung wiederum ist nur zulässig, wenn dadurch deren Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies der Fall wäre, muss die Erklärung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; 19. Dezember 1990 - 1 BvR 389/90 - zu B I der Gründe; jeweils mwN). So liegt es hier. Schon die einleitenden Worte des Klägers: „Wir haben Probleme …“ bringen den Charakter der nachfolgenden Äußerungen als subjektive Wertung klar zum Ausdruck. Dem gesamten Kontext nach ist sein Beitrag davon geprägt, aus Arbeitnehmersicht die Bedeutung der Wahl einer betrieblichen Interessenvertretung hervorzuheben. Die fraglichen Äußerungen unterfallen damit insgesamt - unabhängig von ihrer sachlichen Berechtigung - dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG.

56

d) Die im Rahmen von § 241 Abs. 2 BGB vorzunehmende Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien ergibt, dass die Meinungsfreiheit des Klägers nicht hinter die Belange der Beklagten zurückzutreten hat. Das vermag der Senat selbst zu beurteilen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der für die erforderliche (Grundrechte-)Abwägung maßgebliche Sachverhalt ist durch das Landesarbeitsgericht festgestellt. Weitergehender Sachvortrag steht insoweit nicht zu erwarten.

57

aa) Der Kläger hat keine Behauptungen aufgestellt, die geeignet wären, Repräsentanten der Beklagten oder ihre Mitarbeiter in ihrer Ehre zu verletzen. Dafür fehlt es am erforderlichen Personenbezug.

58

bb) Als Meinungsäußerungen, die dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallen, werden die von der Beklagten angegriffenen Aussagen nicht vom Tatbestand der Kreditgefährdung(§ 824 BGB) erfasst.

59

cc) Die Äußerungen verletzen die Beklagte auch nicht in ihrem allgemeinen „Persönlichkeitsrecht“ als Unternehmen. Zwar steht das Recht der persönlichen Ehre und auf Achtung ihres öffentlichen Ansehens auch juristischen Personen zu (vgl. BGH 22. September 2009 - VI ZR 19/08 - Rn. 10 mwN). Eine dieses Recht regelmäßig verletzende Schmähkritik (vgl. dazu BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - BVerfGE 93, 266; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36 mwN) liegt hier aber nicht vor. Die beanstandete Aussage ist nicht auf eine Diffamierung der Beklagten angelegt. Sie hat erkennbar einen sachlichen Bezug.

60

dd) Der Kläger hat seine Vertragspflichten nicht aufgrund des Umstands verletzt, dass das Interview nicht nur einem begrenzten Empfängerkreis zugänglich war.

61

(1) Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge wurde das fragliche Video auf der Seite „Streik.TV“ in das Internet gestellt. Der Zugriff auf die Plattform unterlag keinen personellen Beschränkungen, sondern war jedem Internetnutzer möglich. Der Kläger hat nicht behauptet, ihm sei der Verwendungszweck des Videos unbekannt gewesen. Für die rechtliche Beurteilung kommt es deshalb nicht darauf an, ob er selbst den Beitrag bei „YouTube“ eingestellt hat oder ob dies durch Dritte erfolgt ist. Ebenso wenig ist von Belang, ob er zusätzlich eine gewisse Öffentlichkeit durch dessen Verbreitung über „Facebook“ hergestellt hat (zur Problematik vgl. Bauer/Günther NZA 2013, 67, 68).

62

(2) Dieser Verbreitungsgrad reicht unter den gegebenen Umständen nicht aus, um einen Verstoß gegen § 241 Abs. 2 BGB zu begründen.

63

(a) Allerdings sind Arbeitnehmer grundsätzlich gehalten, innerbetriebliche Kommunikationswege zu nutzen, bevor sie mögliche Missstände im Betrieb nach Außen tragen (vgl. Hinrichs/Hörtz NJW 2013, 648, 651; Wiese NZA 2012, 1, 4; zu den Grenzen der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit Anzeigen gegen den Arbeitgeber vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 37; 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18; vgl. ferner EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 62 ff.). Der Arbeitnehmer kann Beschwerden direkt beim Arbeitgeber oder beim Betriebsrat erheben (§ 85 BetrVG). Das Recht der freien Meinungsäußerung endet aber nicht an der Betriebsgrenze (ErfK/Schmidt 14. Aufl. Art. 5 GG Rn. 37). Es kann Fälle geben, in denen eine innerbetriebliche Klärung nicht zu erwarten steht oder ein entsprechender Versuch dem Arbeitnehmer nicht zuzumuten ist (BAG 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b dd (2) der Gründe, BAGE 107, 36). Im Übrigen ist die Wahl des Mediums zur Kundgabe einer Meinungsäußerung lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten bei Abwägung der gegenläufigen Interessen (so zu Recht Wiese NZA 2012, 1, 8).

64

(b) Die Interessen der Beklagten werden durch die beanstandete Aussage lediglich in geringem Maße tangiert. Ein verständiger Betrachter konnte sie, wie dargelegt, nicht ernsthaft dahin verstehen, der Kläger wolle behaupten, die Beklagte setze bei der Produktion kein Fachpersonal ein. Die geäußerte Kritik am Fehlen von „Fachkräften“ für die sichere Bedienung der Maschinen enthielt zudem keine näheren Angaben. Mit ihr war deshalb keine massive Geschäftsschädigung verbunden. Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Betriebsfriedens. Die beanstandete Aussage steht überdies im thematischen Zusammenhang mit dem Verlauf der Betriebsversammlung vom 10. Februar 2012. Der Video-Beitrag diente der Aufbereitung des gescheiterten Wahlvorgangs. Mit Blick auf die Intention des Klägers, die Bedeutung der Wahl eines Betriebsrats aufzuzeigen, kam es nicht infrage, vorab in Gespräche mit der Beklagten einzutreten.

65

Es kommt hinzu, dass die Äußerungen des Klägers zwar einem unbegrenzten Teilnehmerkreis zugänglich, aber nicht auf eine größtmögliche Verbreitung angelegt waren. Das Video wurde auf einer Internet-Platform eingestellt, die sich gewerkschaftlicher Themen annimmt und bei der zu erwarten stand, dass sie lediglich von einem daran interessierten Publikum aufgerufen würde. Auch die Beklagte ist nach ihrem Vorbringen nur zufällig auf das Interview gestoßen. Unter diesen Umständen hat ihr Interesse, in der Öffentlichkeit nicht mit vermeintlichen Defiziten bei der Einhaltung von Sicherheitsstandards in Verbindung gebracht zu werden, hinter das Recht des Klägers auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten.

66

IV. Hinsichtlich der Klage gegen die ordentlichen Kündigungen vom 17. Februar und 15. März 2012 ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. In diesem Umfang war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

67

1. Das Recht der Beklagten, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen, unterlag im jeweiligen Kündigungszeitpunkt keinen Beschränkungen aus § 15 Abs. 3, Abs. 3a KSchG. Der Kläger genoss, wie gezeigt, nach den dortigen Bestimmungen keinen (nachwirkenden) besonderen Kündigungsschutz.

68

2. Der Senat vermag nicht zu beurteilen, ob die Kündigung vom 17. Februar 2012 iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist oder nicht. Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Das Landesarbeitsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent - nicht geprüft, ob die Kündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und hat dazu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben. Die Beklagte macht geltend, der Kläger sei am 16. Februar 2012 trotz einschlägiger vorheriger Abmahnungen verspätet zur Arbeit erschienen. Darin kann, falls sich der Vorwurf bestätigt, ein Grund für eine ordentliche Kündigung liegen (vgl. BAG 16. September 2004 - 2 AZR 406/03 -; 15. November 2001 - 2 AZR 609/00 - BAGE 99, 340). Sollte es auf das Vorbringen des Klägers ankommen, er habe den Arbeitsplatz witterungsbedingt nicht rechtzeitig erreichen können, wird ihm Gelegenheit zu geben sein, diesen Vortrag zu substantiieren. Bisher ist nicht konkret dargetan, welche Hindernisse vorlagen und weshalb er deshalb seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen konnte (vgl. dazu BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 18. Oktober 1990 - 2 AZR 204/90 -).

69

3. Ist über die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung vom 15. März 2012 zu entscheiden, wird das Landesarbeitsgericht von deren Unwirksamkeit ausgehen können. Der Kläger hat, wie ausgeführt, durch seine Äußerungen in dem bei „Streik.TV“ eingestellten Video seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Damit ist kein Grund ersichtlich, der geeignet wäre, die ordentliche Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial zu rechtfertigen.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Bartz    

        

    Perreng    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. November 2012 - 14 Sa 1178/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betrieb bis April 2013 Handel mit Kfz-Ersatzteilen. Im Jahr 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1963 geborene Kläger war bei ihr seit August 1988 tätig, zuletzt als Leiter der Finanzbuchhaltung. Sein Bruttomonatsverdienst betrug rund 3.900,00 Euro.

3

Im Juni 2011 übernahm eine Gesellschafterin der Beklagten Aufgaben im Bereich Buchhaltung. Daraus erwuchsen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Eine dem Kläger am 3. Januar 2012 erteilte Abmahnung wegen behaupteter Arbeitsverweigerung hielt die Beklagte unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten nicht aufrecht.

4

Mit Schreiben vom 24. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2012. Zur Begründung gab sie an, ihre Gesellschafterin habe zwischenzeitlich die Arbeitsaufgaben des Klägers vollständig übernommen. Dessen Arbeitsplatz sei weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung Klage erhoben. Nachdem die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht erfolglos geblieben war, fertigte sein Prozessbevollmächtigter unter dem 9. Mai 2012 eine Replik auf die Klageerwiderung der Beklagten. Darin heißt es, die Kündigung sei willkürlich erfolgt. Der Beklagten sei es lediglich darum gegangen, den Kläger als „lästigen Mitwisser“ zweifelhafter Geschäfte loszuwerden. Sie habe private Aufwendungen ihres Gesellschafters und seiner Ehefrau sowie des Lebensgefährten einer Gesellschafterin als Betriebsausgaben verbucht. Die Kündigung sei erfolgt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen sei, diese Handlungen zu dulden und/oder mit zu tragen. Der Schriftsatz ging der Beklagten zunächst außergerichtlich als Entwurf zu. In einem Begleitschreiben vom 14. Mai 2012 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, absprachegemäß sollten „nochmal“ die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Regelung „erörtert werden“. Falls „in den nächsten Tagen“ keine Rückäußerung erfolge, werde die Replik bei Gericht eingereicht.

6

Der Kläger verfuhr, nachdem eine Antwort der Beklagten ausgeblieben war, wie angekündigt. Mit Schreiben vom 23. Mai 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, „hilfsweise“ ordentlich. Der Kläger hat auch diese Kündigung im Wege einer Klageerweiterung fristgerecht angegriffen.

7

Nach - rechtskräftiger - Abweisung der Klage gegen die Kündigung vom 24. Februar 2012 hat sich der Kläger nur noch gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege nicht vor. Im Schriftsatz vom 9. Mai 2012 habe er den Sachverhalt lediglich aus seiner Sicht dargelegt. Mit dem Begleitschreiben habe er keinen unzulässigen Druck auf die Beklagte ausgeübt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe mit der unüblichen und nicht abgesprochenen Vorabübersendung seines Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 das Ziel verfolgt, sie hinsichtlich der angestrebten gütlichen Einigung „gefügig zu machen“. In der Ankündigung einer Offenbarung angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ liege der Versuch einer Erpressung oder Nötigung. Zudem habe der Kläger die Unterlagen, die dem Schriftsatz beigefügt gewesen seien, unbefugt kopiert, um ein Druckmittel gegen sie zu haben. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei ihr unzumutbar gewesen.

10

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage auch insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Es hat bis zum Termin der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012, dh. bis zum 30. September 2012 fortbestanden.

12

I. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittelverfahren ist gegeben.

13

1. Neben der Beschwer stellt das Rechtsschutzinteresse im Allgemeinen keine besonders zu prüfende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar; typischerweise folgt es aus ihr (vgl. BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - zu I 1 der Gründe, BAGE 38, 85; BLAH 70. Aufl. Grundz. § 511 Rn. 14, 16 mwN). Ausnahmsweise kann das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn sich etwa die Einlegung des Rechtsmittels trotz Vorliegens einer Beschwer als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich erweist (BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - aaO).

14

2. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich für die Zeit bis zum 30. September 2012 abgerechnet und den sich aus den Abrechnungen ergebenden Nettoverdienst an den Kläger ausgekehrt. Damit hat sie aber nicht - auch nicht konkludent - erklärt, sie werde aus der fristlosen Kündigung gegenüber dem Kläger keine Rechte mehr herleiten. In ihrem Verhalten liegt auch kein - konkludenter - Verzicht auf die Revision. Darauf, ob die Beklagte bei einer Klageabweisung die Rückzahlung überschießender Vergütung beanspruchen will und kann, kommt es nicht an.

15

II. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Klage gegen die fristlose Kündigung vom 23. Mai 2012 ist begründet. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

16

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

17

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 17; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14 mwN). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

3. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagten war es weder aufgrund der Erklärungen im anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2012 und der Übersendung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 im Entwurf, noch wegen des Fotokopierens betrieblicher Unterlagen durch den Kläger unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2012 - dem Termin der vorausgegangenen ordentlichen Kündigung - fortzusetzen.

19

a) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54; 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, BAGE 132, 72).

20

b) Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (ähnlich BAG 11. März 1999 - 2 AZR 507/98 - zu II 1 b aa der Gründe; 30. März 1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).

21

c) Hier hat der Kläger seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen im Schreiben vom 14. Mai 2012 selbst dann nicht verletzt, wenn er sich die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten aufgrund der erteilten Prozessvollmacht (§ 81 ZPO) uneingeschränkt nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen muss(zur Problematik vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13 ff.; 28. März 1963 - 2 AZR 379/62 - BAGE 14, 147; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 85 Rn. 7). Das Ansinnen einer gütlichen Einigung hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012 war auch in Anbetracht der Ankündigung, im Falle der Nichtäußerung den im Entwurf beigefügten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 bei Gericht einzureichen, nicht widerrechtlich. Darauf, ob sich die Parteien zuvor über das Procedere verständigt hatten, kommt es nicht an.

22

aa) Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 418/10 - Rn. 14). Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (vgl. BAG 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 - zu 2 der Gründe; BGH 22. November 1995 - XII ZR 227/94 - zu 2 der Gründe). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (vgl. BAG 22. Oktober 1998 - 8 AZR 457/97 - zu I 4 d bb der Gründe).

23

bb) Die Einführung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 in den laufenden Kündigungsschutzprozess mag für die Beklagte ein empfindliches Übel gewesen sein. Das Vorgehen des Klägers war aber nicht widerrechtlich. Es war ihm - ebenso wie seine Ankündigung - erlaubt.

24

(1) Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37 mwN). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12).

25

(a) Dass der Kläger in dem der Beklagten vorab übermittelten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sein Vorbringen zur Verbuchung privater Aufwendungen und Erstattungsleistungen einer Versicherung mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Die Würdigung wird von der Beklagten nicht angegriffen. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar.

26

(b) Der Kläger hat nicht in rechtswidriger Weise gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende, durch § 17 UWG ergänzte Verpflichtung verstoßen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einschließlich der ihm aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen privaten Geheimnisse der Beklagten zu wahren(zur Eignung solcher Verstöße als wichtiger Grund vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob sich die Beklagte hinsichtlich der in Rede stehenden „Betriebsinterna“ überhaupt auf ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse berufen könnte (zur Problematik vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb 15. Aufl. § 53 Rn. 55). Der Kläger war jedenfalls im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits zur Offenlegung der betreffenden Tatsachen gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht befugt. Er handelte in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er wollte auf diese Weise unlautere Motive der Beklagten für die angeblich betriebsbedingte Kündigung dartun. Dass er die Informationen an andere Personen oder Stellen weitergegeben hätte, ist nicht dargetan.

27

(2) Der bezweckte Erfolg - eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits - war ebenso wenig widerrechtlich. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten oder die Zahlung einer Abfindung anstrebte. Durch einen Vergleich sollen der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden (§ 779 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sein Abschluss ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - vorbehaltlich eines sittenwidrigen Inhalts der Einigung - grundsätzlich erlaubt (vgl. BAG 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - zu I der Gründe).

28

(3) Das Vorgehen des Klägers stellt sich auch nicht wegen eines zwischen dem Inhalt des eingereichten Schriftsatzes und der angestrebten Einigung hergestellten Zusammenhangs - der Zweck-Mittel-Relation - als widerrechtlich dar.

29

(a) Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken veranlassen will. Das gilt auch dann, wenn für den Fall der Nichteinigung eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung eines beabsichtigten Prozessverhaltens ist - sowohl im Vorfeld einer Klageerhebung als auch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens - jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie weder mutwillig erfolgt, noch zu einer über die Erhebung oder das Bestreiten bestimmter Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt (vgl. BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 5 a der Gründe). Anders als die Beklagte meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass eine Partei auf den Abschluss eines Vergleichs keinen Rechtsanspruch hat (so schon RG 11. Dezember 1925 - VI 406/25 - RGZ 112, 226).

30

(b) Die Ankündigung des Klägers, bei einer Nichteinigung einen dem Entwurf der Replik entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen, wäre allenfalls dann widerrechtlich, wenn sein darin ausgedrückter rechtlicher Standpunkt gänzlich unvertretbar wäre. Das ist nicht der Fall. Der Kläger musste nicht von der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. Februar 2012 ausgehen. Er durfte sich mit der Behauptung verteidigen, die angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber bestimmten buchhalterischen Vorgängen. Seine Anregung, sich vor diesem Hintergrund auf eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu verständigen, erfolgte im Vertrauen auf eine nicht etwa gänzlich aussichtslose Rechtsposition.

31

d) Die Beklagte war nicht deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil der Kläger Fotokopien von Geschäftsunterlagen hergestellt und diese bei Gericht eingereicht hatte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, insoweit liege keine Verletzung vertraglicher Pflichten vor. Zumindest sei es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Die Würdigung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

32

aa) Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe).

33

bb) Im Streitfall hat der Kläger ohne Einverständnis der Beklagten Fotokopien verschiedener, den Geschäftsbetrieb der Beklagten betreffender Rechnungen und Schecks hergestellt, ohne dass hierfür ein dienstliches Bedürfnis bestanden hätte. Selbst wenn er die Kopien ausschließlich zu seiner Rechtsverteidigung hat verwenden wollen und verwandt hat, durfte das Landesarbeitsgericht daraus nicht ohne Weiteres auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen schließen. Dem Rechtsschutzinteresse einer Partei, die sich nicht im Besitz prozessrelevanter Urkunden befindet, trägt das Gesetz mit den Regelungen zur Vorlagepflicht in § 142 ZPO und § 424 ZPO Rechnung. Besondere Umstände, aufgrund derer der Kläger hätte annehmen dürfen, ein entsprechendes prozessuales Vorgehen sei von vorneherein aussichtslos, sind nicht festgestellt.

34

cc) Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger für die Rechtfertigung seines Verhaltens auf eine Beweisnot berufen könnte (zur Eignung eines solchen Sachverhalts als Rechtfertigungsgrund vgl. Haller BB 1997, 202, 203). Sein Verhalten wiegt den Umständen nach jedenfalls nicht so schwer, dass der Beklagten - auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen - ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.

35

(1) Das Berufungsgericht hat bei der Interessenabwägung einen gewissen Beurteilungsspielraum. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz (nur) daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Verfahrensgrundsätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

36

(2) Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Beklagte nicht auf.

37

(a) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers dessen Dauer der Betriebszugehörigkeit von mehr als zwanzig Jahren berücksichtigt. Von dieser hat es angenommen, sie sei beanstandungsfrei verlaufen. Die Würdigung ist angesichts der „Rücknahme“ einer vorausgehenden Abmahnung des Klägers nachvollziehbar. Sonstige Beanstandungen sind nicht dargetan. Die Berücksichtigung des Lebensalters zugunsten des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung begründet. Es durfte außerdem bedenken, dass der Kläger die fraglichen Fotokopien nicht zu Wettbewerbszwecken oder zu dem Zweck hergestellt hat, der Beklagten zu schaden. Er hat sie - soweit ersichtlich - nur an seinen Rechtsanwalt und damit an eine ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtete Person mit dem Ziel weitergegeben, sie bei Gericht einzureichen. Auf diese Weise wollte er sein Vorbringen zur Unsachlichkeit der Kündigung verdeutlichen und ihm stärkeres Gewicht verleihen. Diese Umstände schließen - wie aufgezeigt - die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zwar nicht aus. Sie lassen es aber in einem milderen Licht erscheinen. Hinzu kommt, dass es sich um eine singuläre Pflichtverletzung handelte, der erkennbar die - irrige - Vorstellung des Klägers zugrunde lag, zur Selbsthilfe berechtigt zu sein.

38

(b) Aufgrund dieser Erwägungen war es ohne Weiteres vertretbar, dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist - Vorrang vor dem Beendigungsinteresse der Beklagten einzuräumen.

39

III. Das Landesarbeitsgericht hat unausgesprochen angenommen, die ordentliche Kündigung vom 23. Mai 2012 gehe ins Leere, da das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits anderweitig zum 30. September 2012 aufgelöst worden sei. Dagegen erhebt die Beklagte keine Einwände. Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.

40

IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Das Urteil nebst Tatbestand und Entscheidungsgründen ist von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben. § 60 Abs. 1 bis 3 und Abs. 4 Satz 2 bis 4 ist entsprechend mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Frist nach Absatz 4 Satz 3 vier Wochen beträgt und im Falle des Absatzes 4 Satz 4 Tatbestand und Entscheidungsgründe von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben sind.

(2) Im Urteil kann von der Darstellung des Tatbestandes und, soweit das Berufungsgericht den Gründen der angefochtenen Entscheidung folgt und dies in seinem Urteil feststellt, auch von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden.

(3) Ist gegen das Urteil die Revision statthaft, so soll der Tatbestand eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien enthalten. Eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen ist zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird.

(4) § 540 Abs. 1 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung. § 313a Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass es keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf sie verzichtet haben; im Übrigen sind die §§ 313a und 313b der Zivilprozessordnung entsprechend anwendbar.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Saarland vom 12. September 2012 - 2 Sa 7/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1956 geborene Kläger trat im April 1981 in die Dienste der Bundeswehr. Von Oktober 1993 bis Juni 2005 wurde er als Nachschubhelfer und Kraftfahrer eingesetzt. Zuvor und in der Zeit ab Juli 2005 war er als Gabelstaplerfahrer und Lagerhelfer tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Regelungen des TVöD Anwendung.

3

Anfang August 2005 wurde der Kläger der Heeresinstandsetzungslogistik HIL-GmbH (im Folgenden: GmbH) „beigestellt“. Bei der GmbH handelt es sich um ein von der Beklagten und Dritten gemeinsam gegründetes Wirtschaftsunternehmen, das als Kooperationsbetrieb iSv. § 1 BwKoopG aus der Bundeswehr ausgegliederte Aufgaben wahrnimmt. Die Arbeitsabläufe in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers wurden seit der „Beistellung“ durch die GmbH gesteuert, während dieser selbst Arbeitnehmer der Beklagten blieb.

4

Nach einer Tätigkeitsbeschreibung vom Oktober 2007 waren dem Kläger zuletzt die Aufgaben eines Betriebsstoffhelfers zugewiesen. Danach oblagen ihm die Entgegennahme, die Lagerung, Kontrolle und Verausgabung von Betriebsstoff, die Führung entsprechender Bücher, die tägliche Feststellung des Bedarfs an Betriebsstoffen und die Durchführung von Reinigungsarbeiten in den Lagerbereichen.

5

Aufgabe der GmbH war es ua., Dieselkraftstoff aus den Fahrzeugen der Bundeswehr abzupumpen, sofern er starke Verunreinigungen oder Ablagerungen aufwies. Das Dieselöl wurde sodann in Behältnissen gesammelt und durch eine Fremdfirma aufbereitet. Anschließend wurde der gereinigte Kraftstoff zurückgebracht und in den Fahrzeugen wieder verwendet. Auch die bei der Aufarbeitung entstandenen Rückstände wurden zum Betriebsgelände der GmbH zurückgebracht und dort als sog. Abfalldiesel in größeren Behältnissen gesammelt. In gewissen zeitlichen Abständen ließ die GmbH die Rückstände kostenpflichtig durch eine andere Firma fachgerecht und umweltschonend entsorgen.

6

Der Kläger verfiel - laut seiner eigenen Einlassung - auf den Gedanken, ein Kollege könne das Abfallprodukt womöglich mit einer häuslichen Filteranlage zu betriebsfähigem Dieselkraftstoff aufbereiten, um diesen sodann zum Heizen des Hauses oder zum Betanken eines privaten Fahrzeugs zu verwenden. In Absprache mit dem Kläger füllte der Kollege daraufhin mehrfach verunreinigtes Dieselöl in Kanister ab, die er vom Betriebsgelände der GmbH - allein oder gemeinschaftlich mit dem Kläger - abfuhr.

7

Am 7. Juni 2010 wurden das Fahrzeug des Klägers und die Wohnung des Kollegen polizeilich durchsucht. Dabei wurden 91 „Treibstoffkanister“ mit einer Gesamtmenge von 3.640 Litern Diesel beschlagnahmt. Das im Heizungstank des Hauses vorgefundene Dieselöl (ca. 3.000 Liter) wurde dort belassen. Im Fahrzeug des Klägers wurden zusätzlich sechs Plastikkanister sichergestellt, die etwa 180 Liter Dieselkraftstoff enthielten; deren Qualität ist zwischen den Parteien streitig.

8

Am 11. und am 18. Juni 2010 versuchte die Beklagte vergeblich, mit dem Kläger persönlich Kontakt aufzunehmen. In der Zwischenzeit stellte sie ihn „rückwirkend“ zum 8. des Monats von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 18. Juni 2010 gab sie ihm Gelegenheit, sich zu den - von ihr näher beschriebenen - Vorfällen vom 7. Juni 2010 zu äußern. Der Kläger erklärte binnen der ihm bis zum 21. Juni 2010 eingeräumten Frist, er werde einstweilen keine Angaben zur Sache machen.

9

Am 18. Juni 2010 unterrichtete die Beklagte den Personalrat von ihrer Absicht, den Kläger außerordentlich zu kündigen. Sie gab den Inhalt des Protokolls der Beschlagnahme wieder und erklärte, zu ihrer Überzeugung habe sich der Kläger des Diebstahls schuldig gemacht, indem er zusammen mit seinem Kollegen wenigstens 180 Liter Dieselkraftstoff weggenommen und sich rechtswidrig zugeeignet habe. Der Personalrat ließ die Frist zur Äußerung verstreichen.

10

Mit Schreiben vom 24. Juni 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

11

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Er habe lediglich Abfalldieselöl an sich genommen bzw. einem Kollegen überlassen. Das Öl sei nicht mehr verwendungsfähig gewesen und habe andernfalls kostenpflichtig entsorgt werden müssen. Darin liege allenfalls eine geringfügige Pflichtverletzung. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt. Der Personalrat der Dienststelle sei nicht ordnungsgemäß über den wahren Kündigungssachverhalt unterrichtet worden. Aufgrund seiner „Beistellung“ habe außerdem der Betriebsrat der GmbH angehört werden müssen.

12

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 24. Juni 2010 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

im Falle des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterzubeschäftigen.

13

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, die Kündigung sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Der Kläger habe sich aus ihren Beständen große Mengen Dieselkraftstoff rechtswidrig zugeeignet. Am 7. Juni 2010 seien auf dem Grundstück des Kollegen mehrere tausend Liter Dieselöl beschlagnahmt worden. Im Keller des Hauses seien mindestens 540 Liter Kraftstoff sichergestellt worden, der zweifelsfrei ihr - der Beklagten - zuzuordnen gewesen sei. Hinzu kämen je 180 Liter Dieselkraftstoff, die in den Fahrzeugen des Klägers und des Kollegen vorgefunden worden seien. Dabei habe es sich nicht um bloßes „Abfalldieselöl“ gehandelt. Im Übrigen liege selbst dann eine erhebliche Pflichtverletzung vor. Der Kläger habe nicht nur beabsichtigt, sich oder seinem Kollegen durch die Entwendung des Kraftstoffs finanzielle Vorteile zu verschaffen. Er habe außerdem die ihm eingeräumte Vertrauensstellung missbraucht. Die Kündigungserklärungsfrist sei eingehalten. Ihre kündigungsberechtigten Mitarbeiter hätten nicht vor dem 10. Juni 2010 von den maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Anhörung des Personalrats sei - ausgehend von ihrem damaligen Kenntnisstand - ordnungsgemäß erfolgt.

14

Das Arbeitsgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme stattgegeben. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Parallel dazu hörte sie - mit Schreiben vom 6. März 2012 - den Personalrat zu ihrer Absicht an, die bereits erklärte Kündigung zusätzlich auf neue Erkenntnisse bezüglich der Menge und der Art des entwendeten Kraftstoffs sowie auf einen Verdacht als Kündigungsgrund zu stützen. Außerdem teilte sie dem Personalrat mit, sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis der Parteien vorsorglich erneut zu kündigen. Mit Schriftsatz vom 16. April 2012 hat sie den betreffenden Sachverhalt in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführt. Der Kläger hat daraufhin „hilfsweise“ beantragt festzustellen, dass die weitere, „eventuell ausgesprochene Kündigung“ das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat; die Beklagte hat beantragt, den Hilfsantrag „zurückzuweisen“.

15

Das Landesarbeitsgericht hat die Klage „insgesamt abgewiesen“. Mit seiner Revision begehrt der Kläger, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen und sodann nach seinem Hilfsantrag zu erkennen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision ist unbegründet.

17

A. Das prozessuale Vorgehen des Klägers in der Berufungsinstanz war zulässig. Das betrifft insbesondere den dort erstmals angebrachten Feststellungsantrag. Die darin liegende Klageerweiterung ist als - im Streitfall zulässige - Anschlussberufung zu verstehen.

18

I. Dem Kläger stand für eine Erweiterung der Klage im Berufungsrechtszug nur der Weg der Anschlussberufung zur Verfügung (bspw. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - Rn. 11). Als solche ist die Klageerweiterung zu behandeln. Einer Beschwer durch das erstinstanzliche Urteil bedarf es für die Anschlussberufung nicht (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - aaO; 10. Februar 2009 - 3 AZR 728/07 - Rn. 11).

19

II. Die Anschlussberufung ist gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG binnen der dem Kläger nach § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG verlängerten Berufungsbeantwortungsfrist beim Landesarbeitsgericht eingegangen(zu dieser Voraussetzung im Einzelnen BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 124/11 - Rn. 12). Sie ist auch im Übrigen zulässig.

20

B. Die Revision bleibt ohne Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden. Der auf die fristlose Kündigung vom 24. Juni 2010 bezogene Feststellungsantrag ist unbegründet. Die Kündigung ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Über die weitergehenden (unechten) Hilfsanträge war nicht mehr zu entscheiden. Dies hat bei richtigem Verständnis schon das Landesarbeitsgericht nicht getan.

21

I. Die Kündigung vom 24. Juni 2010 ist gemäß § 34 Abs. 2 TVöD iVm. § 626 BGB aus wichtigem Grund gerechtfertigt.

22

1. Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD konnte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers, der im Kündigungszeitpunkt das 40. Lebensjahr vollendet hatte und länger als 15 Jahre bei ihr beschäftigt war, nur aus einem wichtigen Grund kündigen. Auf die tarifliche Besitzstandsregelung in § 34 Abs. 2 Satz 2 TVöD kommt es im Streitfall nicht an.

23

2. Mit dem Begriff „wichtiger Grund“ knüpft die tarifvertragliche Bestimmung an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an, deren Verständnis deshalb auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend ist(BAG 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 12, BAGE 132, 299; 27. November 2003 - 2 AZR 601/02 - zu B I 5 der Gründe mwN). Aufgrund der Bezugnahme gilt zugleich § 626 Abs. 2 BGB. Danach kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen erklärt werden (BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31; 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 12 mwN, aaO).

24

3. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB sind erfüllt.

25

a) Gemäß dieser Vorschrift kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15 mwN, BAGE 146, 303).

26

b) Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19 mwN).

27

c) Begeht ein Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Dies gilt auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Gegenstände von geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 18; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 26, BAGE 134, 349). Maßgebend ist der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 17, BAGE 142, 176).

28

d) Im Streitfall liegt eine in diesem Sinne erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor.

29

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe im Frühjahr 2010 gemeinschaftlich mit seinem Kollegen mehrere hundert Liter Abfalldieselöl ohne Erlaubnis vom Betriebsgelände der GmbH entfernt, um es zu filtern und anschließend nach Möglichkeit selbst weiterzuverwenden oder an einen interessierten Dritten abzugeben. 180 Liter des verunreinigten Kraftstoffs - sechs Kanister - seien in seinem eigenen Fahrzeug vorgefunden worden. Diese Feststellungen greift der Kläger nicht an.

30

bb) Danach hat der Kläger seine Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB erheblich und schuldhaft verletzt. Dafür kommt es nicht darauf an, ob das Abfalldieselöl im Eigentum der Beklagten oder der GmbH stand und ob das in Rede stehende Verhalten einen Straftatbestand erfüllt.

31

(1) Dem Kläger war - unter Aufrechterhaltung seines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten - dauerhaft eine Tätigkeit bei der GmbH zugewiesen worden. Im Rahmen dieser Personalgestellung musste er die Vermögensinteressen der GmbH in gleicher Weise wahren wie diejenigen der Beklagten. Im Übrigen lief die unberechtigte Wegnahme des Kraftstoffs in Anbetracht ihrer Beteiligung an der GmbH unmittelbar den Vermögensinteressen der Beklagten zuwider, mag diese auch - wie vom Kläger behauptet - nicht die Mehrheit der Anteile gehalten haben. Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe die Eigentumsverhältnisse an dem in Rede stehenden Kraftstoff nicht hinreichend aufgeklärt, geht damit ins Leere.

32

(2) Das Landesarbeitsgericht hat das Vorbringen des Klägers, ihm habe das Unrechtsbewusstsein gefehlt, als Schutzbehauptung gewertet und eine vorsätzliche Verletzung seiner vertraglichen Nebenpflicht angenommen. Diese Würdigung liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21). Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Er ist auch nicht offensichtlich. Der Kläger konnte angesichts der gesonderten Aufbewahrung des Abfalldieselöls auf dem Betriebsgelände der GmbH und der Beauftragung einer darauf spezialisierten Drittfirma nicht im Zweifel darüber sein, dass der Beklagten an dessen fachgerechter Entsorgung gelegen war. Er musste wissen, dass er sich Kraftstoff - welcher Qualität auch immer - nicht ohne ausdrückliche Einwilligung der hierfür zuständigen Mitarbeiter aneignen durfte. Seiner eigenen Einlassung zufolge hat er das Abfalldieselöl auch nicht für wirtschaftlich wertlos erachtet. Beides reichte aus, um für ihn auch subjektiv eine Erlaubnis zur Mitnahme auszuschließen.

33

e) Die Kündigung ist bei Beachtung der Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt.

34

aa) Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 17, BAGE 146, 303; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27). Auch bei der fristlosen Kündigung eines tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses muss die Vertrauensgrundlage so schwer gestört sein, dass jede weitere Zusammenarbeit für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Eine außerordentliche fristlose Kündigung ist gerechtfertigt, wenn es dem Arbeitgeber nicht zumutbar war, den Arbeitnehmer bis zum Ablauf der „fiktiven“ Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen (BAG 18. September 2008 - 2 AZR 827/06 - Rn. 37; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 44; vgl. auch BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 20).

35

bb) Danach hat das Landesarbeitsgericht den ihm im Rahmen der Interessenabwägung zukommenden Beurteilungsspielraum (dazu BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 35 mwN) nicht verletzt. Es hat alle wesentlichen Aspekte des Falls berücksichtigt und die beiderseitigen Interessen vertretbar abgewogen.

36

(1) Der Kläger hat seine Stellung als Betriebsstoffhelfer zu einer Verletzung des Eigentums entweder der Beklagten oder des Kooperationsunternehmens missbraucht. In beiden Fällen liegt ein schwerwiegender Vertrauensbruch vor. Der Kläger war im Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs dafür verantwortlich, dass Betriebsstoffe nur an Berechtigte ausgegeben würden. Er hatte dies entsprechend zu dokumentieren. Stattdessen hat er sich bewusst und ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten zumindest Abfalldieselöl in erheblicher Menge in der Absicht angeeignet, sich oder seinem Kollegen auf diese Weise wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Unerheblich ist, ob er in der Annahme gehandelt hat, er bewahre die Beklagte vor eigenen Aufwendungen. Die Interessen der Beklagten und ihres Kooperationsunternehmens waren erkennbar darauf gerichtet, das verunreinigte und für die Umwelt nicht ungefährliche Abfalldieselöl auf dem Betriebsgelände zwischenzulagern, um es anschließend fachgerecht entsorgen zu lassen.

37

(2) Die Pflichtverletzung ist von solchem Gewicht, dass ihre Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und - auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen war (zu diesem Maßstab vgl. BAG 26. September 2013 - 2 AZR 741/12 - Rn. 20; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16). Die nahezu 30-jährige, ohne Beanstandungen gebliebene Betriebszugehörigkeit des Klägers und der - zu seinen Gunsten unterstellt - allenfalls geringfügige Verkehrswert des entwendeten Kraftstoffs führen zu keinem anderen Ergebnis. Der Kläger hat seine Vertragspflichten wiederholt verletzt. Er hat aus purem Eigennutz in erheblichem Umfang Stoffe, von denen Gefahren für die Umwelt ausgehen können, einer durch die Verantwortlichen vorgesehenen fachgerechten Entsorgung entzogen. Dies brauchte die Beklagte - auch ohne vorherige Abmahnung - nicht hinzunehmen.

38

4. Die Beklagte hat die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

39

a) Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Bestimmung mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die sachgerechte Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden Umstände (BAG 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 27; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, BAGE 137, 54).

40

b) Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne(BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 14; 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - Rn. 27). Dabei kommt es nicht darauf an, ob er ggf. eine Kündigung wegen erwiesener Tat oder wegen eines zumindest erdrückenden Verdachts zu erklären beabsichtigt. Dies gilt allerdings nur solange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen (BAG 31. März 1993 - 2 AZR 492/92 - zu II 1 der Gründe, BAGE 73, 42). Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf in der Regel nicht mehr als eine Woche betragen (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - aaO; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, BAGE 137, 54). Bei Vorliegen besonderer Umstände kann sie überschritten werden (BAG 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - Rn. 24, BAGE 117, 168). Unerheblich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder nicht (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - aaO; 21. Februar 2013 - 2 AZR 433/12 - aaO). Gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Stellungnahme, so gereicht ihm dies hinsichtlich des Beginns der zweiwöchigen Ausschlussfrist deshalb auch dann nicht zum Nachteil, wenn der Arbeitnehmer innerhalb angemessener Überlegungszeit keine Erklärung abgibt oder seine Stellungnahme rückblickend zur Feststellung des Sachverhalts nichts beiträgt (BAG 27. Januar 1972 - 2 AZR 157/71 - zu 3 der Gründe, BAGE 24, 99). Das bedeutet zugleich, dass der mit der beabsichtigten Anhörung verbundene Fristaufschub iSv. § 626 Abs. 2 BGB nicht nachträglich entfällt, wenn der Arbeitgeber das ergebnislose Verstreichen der Frist zur Stellungnahme zum Anlass nimmt, nunmehr auf die Anhörung des Arbeitnehmers zu verzichten(BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - aaO).

41

c) Danach hat die Beklagte die Kündigung iSv. § 626 Abs. 2 BGB rechtzeitig erklärt.

42

aa) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, den kündigungsberechtigten Mitarbeitern der Beklagten seien die Vorfälle vom 7. Juni 2010 nicht vor dem 10. Juni 2010 bekannt geworden. Mit dem Zugang der fristlosen Kündigung am 24. Juni 2010 ist die Zwei-Wochen-Frist gewahrt.

43

bb) Die Kündigung wäre selbst dann fristgerecht erfolgt, wenn die Kündigungsberechtigten von dem Geschehen bereits am 7. Juni 2010 Kenntnis erlangt hätten. Die Beklagte durfte es für erforderlich halten, den Kläger zum Kündigungssachverhalt anzuhören. Es war nicht auszuschließen, dass sich aus seiner Äußerung weitere, etwa ihn entlastende Umstände ergeben würden. Eine Verzögerung bei der Anhörung ist der Beklagten nicht anzulasten. Bereits am 11. Juni 2010 hat sie versucht, den Kläger telefonisch zu kontaktieren. Nachdem dieser und ein weiterer Versuch, ihn persönlich anzusprechen, erfolglos blieben, hat sie ihm - zeitnah - Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben und seine Äußerung abgewartet. Ebenso wenig handelte die Beklagte willkürlich, als sie die Kündigung schon am 24. Juni 2010 erklärte. Der Kläger hatte nicht etwa um eine Verlängerung der Äußerungsfrist gebeten.

44

cc) Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass er bereits ab dem 8. Juni 2010 freigestellt worden sei, ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - mangels Entscheidungserheblichkeit unbegründet. Selbst wenn die Freistellung einen Hinweis auf die Kenntnis einschlägiger Tatsachen gäbe, führte dies nicht dazu, dass die Beklagte die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt hätte.

45

II. Die Kündigung vom 24. Juni 2010 ist nicht deshalb unwirksam, weil der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden wäre (§ 79 Abs. 4 BPersVG). Der Kündigungssachverhalt, wie er der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zugrunde liegt, hatte sich gegenüber dem der Personalvertretung mitgeteilten Geschehen auch nicht in einer Weise verändert, dass er nur nach erneuter Anhörung des Personalrats prozessual verwertbar gewesen wäre.

46

1. Nach § 79 Abs. 3 BPersVG ist der Personalrat vor außerordentlichen Kündigungen anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, so hat er sie unter Angabe der Gründe dem Dienstellenleiter unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen, schriftlich mitzuteilen. Nach § 79 Abs. 4 BPersVG ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Diese Rechtsfolge tritt auch bei nicht ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats ein (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 45; 12. März 2009 - 2 AZR 251/07 - Rn. 36). Zu dieser Beteiligung gehört insbesondere die hinreichende Unterrichtung des Gremiums. Der Personalrat ist ordnungsgemäß unterrichtet worden, wenn der Arbeitgeber die für ihn subjektiv tragenden Gründe, auf denen sein Kündigungsentschluss beruht, mitgeteilt hat (BAG 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 57; für die ordentliche Kündigung bspw. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 22). Darauf, ob diese Umstände auch objektiv geeignet und ausreichend sind, die Kündigung zu stützen, kommt es für die Ordnungsgemäßheit der Unterrichtung nicht an (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 46). Fehlerhaft ist die Unterrichtung, wenn der Dienstherr dem Personalrat bewusst und gewollt unrichtige oder unvollständige Sachverhalte unterbreitet hat (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - aaO).

47

2. Die Parteien streiten nicht darüber, dass die Beklagte das Mitbestimmungsverfahren gegenüber dem zuständigen örtlichen Personalrat formell ordnungsgemäß eingeleitet und die zu beachtenden Fristen gewahrt hat. Ein Rechtsfehler ist insoweit nicht zu erkennen.

48

3. Die Beklagte hat den Personalrat nicht bewusst irreführend über das Ausmaß der Pflichtverletzung unterrichtet, soweit sie ihm mitgeteilt hat, der Kläger habe „wenigstens 180 Liter Dieselkraftstoff“ entwendet. Auf die genaue Menge und die Qualität des Diesels, dh. ob es sich um verunreinigte und nicht mehr gebrauchsfähige Kraftstoffreste oder um bessere Qualität handelte, kam es ihr - soweit sie hiervon im Kündigungszeitpunkt überhaupt konkrete Kenntnis hatte - ersichtlich nicht an. Es handelt sich zudem um Umstände, die für den Kern des mitgeteilten Vorwurfs, der Kläger habe vom Betriebsgelände der GmbH eine erhebliche Menge von Dieselkraftstoff widerrechtlich entwendet, nicht entscheidend sind. In einem solchen Fall ist es unschädlich, wenn sich der dem Personalrat mitgeteilte Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess nicht in seiner Gesamtheit bestätigt (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 34).

49

4. Der Kläger erhebt keine zulässige Verfahrensrüge, soweit er geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe eine gebotene Zeugenvernehmung zum „Informationsumfang und Informationsinhalt bei der Anhörung“ unterlassen. Es fehlt an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des unter Beweis gestellten Vorbringens (vgl. dazu BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 1005/12 - Rn. 28 mwN).

50

III. Die Kündigung ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass im Kündigungszeitpunkt im maßgebenden Betrieb der GmbH ein Betriebsrat gewählt war. Dieser war auch mit Blick auf die Gestellung des Klägers nicht zur Kündigung anzuhören. Das ergibt die Auslegung von §§ 1, 6 Abs. 1 und Abs. 3 BwKoopG.

51

1. Nach § 1 BwKoopG gilt dieses Gesetz ua. für Angestellte des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung, soweit und solange ihnen unter Beibehaltung ihres Dienst- oder Arbeitsverhältnisses zum Bund eine Tätigkeit in einem Wirtschaftsunternehmen zugewiesen wurde, mit dem die Bundeswehr eine Kooperation eingegangen ist. Die GmbH ist ein solches Kooperationsunternehmen. Die ihr zugewiesenen oder gestellten Arbeitnehmer, zu denen der Kläger zählt, gelten daher nach § 6 Abs. 1 BwKoopG ua. für die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes als ihre Arbeitnehmer. Die Regelung in § 6 Abs. 3 BwKoopG sichert die Erfüllung der Verpflichtungen des Kooperationsbetriebs aus den in § 6 Abs. 1 BwKoopG genannten Gesetzen, ua. aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Grundsätzlich obliegt es dem Kooperationsbetrieb, die Verpflichtungen zu erfüllen. Scheitert dies allerdings daran, dass der Beschäftigte nicht in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis zum Kooperationsunternehmen steht, hat die betreffende Dienststelle dafür einzustehen (BAG 4. Mai 2011 - 7 ABR 3/10 - Rn. 33, BAGE 138, 25).

52

2. Die Regelungen in § 6 Abs. 1, Abs. 3 BwKoopG tragen dem Umstand Rechnung, dass das Personal der Bundeswehr langfristig in dem privatrechtlich organisierten Betrieb eines Kooperationspartners eingesetzt und dort in die Arbeitsabläufe eingegliedert wird. Mit Blick auf diese faktische Eingliederung soll für den Bereich der betrieblichen Interessenvertretung eine Gleichstellung mit den Arbeitnehmern des Kooperationsbetriebs erreicht werden (vgl. BT-Drs. 15/2944 S. 9), die sich nicht nur darin erschöpft, dass den Betroffenen das aktive und passive Wahlrecht im Kooperationsbetrieb zugestanden wird (BAG 4. Mai 2011 - 7 ABR 3/10 - Rn. 36, BAGE 138, 25). Gleichwohl bedeutet die grundsätzliche Einbeziehung zugewiesener oder gestellter Arbeitnehmer in die Betriebsverfassung nicht zwingend, dass dem Betriebsrat des Kooperationsbetriebs für diese Personengruppen uneingeschränkt die Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes zukommen. Bestand und Umfang der betrieblichen Mitbestimmung richten sich vielmehr nach dem Gegenstand und Zweck des jeweiligen Mitbestimmungsrechts und der darauf bezogenen Entscheidungsmacht (BAG 4. Mai 2011 - 7 ABR 3/10 - Rn. 41, aaO; 9. Juni 2011 - 6 AZR 132/10 - Rn. 32, BAGE 138, 116; zum Gegenstandsbezug siehe auch BAG 19. Juni 2001 - 1 ABR 43/00 - zu B II 4 und 5 der Gründe, BAGE 98, 60).

53

3. Das Anhörungsrecht des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG zielt - ebenso wie die Anhörung des Personalrats zur Kündigung nach § 79 Abs. 3 BPersVG - nicht darauf ab, die Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung zu überprüfen. Es beschränkt sich vielmehr darauf, dem Betriebsrat im Vorfeld der Kündigung die Möglichkeit zu geben, auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen (für § 102 BetrVG vgl. BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 348/11 - Rn. 76, BAGE 144, 125; 22. September 1994 - 2 AZR 31/94 - zu II 2 der Gründe, BAGE 78, 39). Da im Fall der Kündigung von gestellten Arbeitnehmern der Kündigungsentschluss nicht durch den Inhaber des Kooperationsbetriebs gefasst und umgesetzt wird, sondern die Entscheidung typischerweise beim öffentlichen (Vertrags-)Arbeitgeber liegt, macht eine Beteiligung des Betriebsrats des Kooperationsbetriebs insoweit keinen Sinn (Altvater/Altvater 8. Aufl. § 6 BwKoopG Rn. 4; Tiling öAT 2013, 139, 140; für die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG: BAG 9. Juni 2011 - 6 AZR 132/10 - Rn. 32, BAGE 138, 116; ebenso: APS/Koch 4. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 8a; Fitting BetrVG 27. Aufl. § 5 Rn. 319, § 102 Rn. 20d; Raab in GK-BetrVG § 5 Rn. 78). Eine Verdoppelung der Beteiligungsverfahren mit womöglich gegenläufigen Voten der beiden Arbeitnehmervertretungen wäre mangels Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers des Beschäftigungsbetriebs nicht geeignet, die Lage des betroffenen Arbeitnehmers relevant zu verbessern (Tiling aaO). Soweit der Personalrat aus seiner Sicht nicht über die erforderliche Sachverhaltskenntnis verfügt, um anhand der Mitteilungen des öffentlichen Arbeitgebers ein vollständiges Bild vom behaupteten Kündigungsgrund zu gewinnen, steht es ihm frei, dazu weitere Erkundigungen einzuholen und etwa den Arbeitnehmer anzuhören.

54

4. Nach diesen Grundsätzen war eine Beteiligung des Betriebsrats der GmbH nicht geboten. Die in Rede stehende außerordentliche fristlose Kündigung betrifft das zur Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis. Der Kläger hat nicht in Abrede gestellt, dass die Kündigungsbefugnis allein bei ihr lag. Daran vermag auch eine größere Sachnähe des Betriebsrats des Kooperationsbetriebs nichts zu ändern. Ob etwas anderes dann zu gelten hätte, wenn die Ausübung des Kündigungsrechts durch den öffentlichen Arbeitgeber an das Einverständnis des Inhabers des Kooperationsbetriebs geknüpft wäre (dazu Fitting BetrVG 27. Aufl. § 102 Rn. 20d; Tiling öAT 2013, 139, 140), kann dahinstehen. Für einen solchen Sachverhalt fehlt es an Anhaltspunkten. Ebenso wenig hat der Kläger behauptet, die Beklagte und ihr Kooperationsunternehmen hätten den Betrieb gemeinsam geführt.

55

IV. Die Kündigung ist nicht gemäß § 174 Satz 1 BGB oder wegen eines Mangels in der Vertretungsmacht nach § 180 Satz 1 BGB unwirksam. Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe seinen Vortrag zur „Frage der Kündigungsbefugnis“ übergangen, ist unzulässig. Soweit das Vorbringen auf eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 174 Satz 1 BGB abzielt, lassen die Ausführungen in der Revisionsbegründung nicht erkennen, dass der Kläger die Kündigung unverzüglich mangels Vorlage eines Vollmachtnachweises zurückgewiesen hätte(zu den Anforderungen an die Zurückweisung vgl. BAG 8. Dezember 2011 - 6 AZR 354/10 - Rn. 33 mwN, BAGE 140, 64). Auf die Berechtigung einer entsprechenden Zurückweisung kommt es demzufolge nicht an. Soweit der Kläger geltend machen will, das Landesarbeitsgericht habe außer Acht gelassen, dass er die Kündigungsbefugnis des „die Kündigung unterschreibenden Mitarbeiters“ bestritten habe, zeigt er die Entscheidungserheblichkeit des vermeintlich übergangenen Vortrags nicht auf. Das gilt insbesondere angesichts der Möglichkeit einer konkludenten Genehmigung der Kündigung durch die Beklagte (vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 13), von der das Landesarbeitsgericht stillschweigend ausgegangen sein dürfte.

56

V. Da die Kündigung somit bereits wegen erwiesener Tat wirksam ist, kann dahinstehen, ob der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zu folgen wäre, die Beklagte könne sich auf den Verdacht, der Kläger habe wesentlich größere Mengen Diesel und in der Qualität höherwertigen Kraftstoff vom Betriebsgelände der GmbH rechtswidrig entwendet, deshalb nicht berufen, weil die Voraussetzungen für das Nachschieben eines solchen Kündigungsgrundes nicht vorgelegen hätten.

57

VI. Der Feststellungsantrag des Klägers betreffend die weitere Kündigung ist als unechter Hilfsantrag zu verstehen. Er ist nur für den Fall gestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht bereits durch die vorausgegangene fristlose Kündigung sein Ende gefunden hat. Gleiches gilt für den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Über beide Anträge war dementsprechend nicht zu entscheiden. Auch das Landesarbeitsgericht hat das Begehren des Klägers nicht anders verstanden. Es hat den Weiterbeschäftigungsantrag nicht auch in der Sache abschlägig beschieden, soweit es das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage „insgesamt abgewiesen“ hat. Es hat damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der stattgebenden Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsantrag wegen der Erfolglosigkeit des Feststellungsantrags die Grundlage entzogen war. Die Anschlussberufung des Klägers ist damit gleichermaßen gegenstandslos.

58

VII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Bartz    

        

    Alex    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 17. Februar 2012 - 4 Sa 519/10 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der Kläger war bei dem Beklagten - einer bayerischen Gemeinde - seit 1998 als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Er hatte die Funktion des Leiters der EDV inne. Auf sein Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Laut Arbeitsvertrag war er zunächst in Vergütungsgruppe IV b der Anlage 1a zum BAT eingruppiert.

3

Im Juni 2009 hörte der Beklagte den Kläger erstmals zu einem Verdacht auf Arbeitszeitmanipulation an. Am 29. Juni 2009 beschloss der Gemeinderat, dem Kläger den Abschluss eines Aufhebungsvertrags anzubieten. Da der Kläger das Angebot nicht annahm, führte der Beklagte weitere Ermittlungen durch. Zu deren Ergebnissen wurde der Kläger am 11. November 2009 angehört. Er nahm am 19. November 2009 zu den Vorwürfen Stellung.

4

Auf der Tagesordnung der nächsten Sitzung des Gemeinderats des Beklagten am 2. Dezember 2009 hieß es unter Punkt 3.3:

        

„[Name des Klägers]: Beratung und ggf. Beschlussfassung über arbeitsrechtliche Konsequenzen.“

5

Am Sitzungstag beschloss der Gemeinderat gegen Mitternacht, die Beratung und Beschlussfassung über die den Kläger betreffende Angelegenheit auf den 8. Dezember 2009 zu vertagen. In dieser Sitzung informierte der erste Bürgermeister den Gemeinderat über die nach Abschluss der Ermittlungen gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe. Der Gemeinderat beschloss daraufhin, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich zu kündigen.

6

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 hörte der erste Bürgermeister den Personalrat unter Schilderung der Vorwürfe zu dieser Absicht an. Der Personalrat verweigerte mit Schreiben vom 17. Dezember 2009 die Zustimmung. Er rügte, dass er nicht vor der endgültigen Entscheidung des Gemeinderats beteiligt worden sei, und vertrat die Auffassung, die vom Beklagten vorgetragenen Gründe seien nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Es beständen zudem „erhebliche rechtliche Bedenken am Zeitpunkt“ des Kündigungsausspruchs.

7

Am 18. Dezember 2009 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.

8

Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Er habe seine Arbeitszeit stets korrekt erfasst. Zudem sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden. Der Beklagte habe schon die Ermittlungen zu zögerlich durchgeführt. Spätestens am 2. Dezember 2009 aber sei die Frist in Lauf gesetzt worden, weil die Angelegenheit an diesem Tag sogar auf der Tagesordnung gestanden habe. Auch sei die Beteiligung des Personalrats nicht ordnungsgemäß erfolgt. Sie hätte vor und nicht erst nach einer endgültigen Beschlussfassung des Gemeinderats durchgeführt werden müssen.

9

Der Kläger hat, soweit für die Revision von Belang, beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 18. Dezember 2009 nicht beendet worden ist.

10

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, der Kläger habe im Zeitraum von August 2008 bis Mai 2009 in mindestens zwölf Fällen etwa zehn bis fünfzehn Minuten vor dem Betreten des Dienstgebäudes telefonische „Kommt-Buchungen“ vorgenommen und dadurch die Erfassung seiner Arbeitszeit manipuliert. Um den im Juni 2009 entstandenen Anfangsverdacht belegen zu können, habe es umfangreicher Ermittlungen bedurft, welche erst im November 2009 abgeschlossen gewesen seien. Die Angelegenheit sei sodann auf die Tagesordnung der nächsten Gemeinderatssitzung gesetzt worden. Um Mitternacht sei es für keinen der Beteiligten mehr zumutbar gewesen, auch die Angelegenheit des Klägers noch zu behandeln. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Erst nachdem seine Stellungnahme vorgelegen habe, habe der erste Bürgermeister die Kündigung ausgesprochen.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung nicht als unwirksam ansehen. Seine Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

13

I. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil der erste Bürgermeister des Beklagten den Kündigungsbeschluss nicht selbst gefasst, sondern einen Beschluss des Gemeinderats ausgeführt hat. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Gemeinderat gem. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO für den Ausspruch der Kündigung zuständig war. Der Kläger gehört als ursprünglich in Vergütungsgruppe IV b der Anlage 1a zum BAT eingruppierter Arbeitnehmer mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zur Gruppe der „Arbeitnehmer ab Entgeltgruppe 9 TVöD“ iSd. Vorschrift.

14

II. Die Kündigung ist nicht wegen unzureichender Anhörung des Personalrats unwirksam (Art. 77 Abs. 3, Abs. 4 BayPVG). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts musste diese gem. Art. 77 Abs. 3 BayPVG zwar vor Ausspruch der Kündigung, nicht aber entsprechend Art. 70 Abs. 1 Satz 4, Satz 5 BayPVG schon vor dem endgültigen Kündigungsentschluss des Gemeinderats erfolgen. Es kann deshalb dahinstehen, ob ein Verstoß gegen diese Vorschrift zur Fehlerhaftigkeit der Personalratsanhörung und Unwirksamkeit der Kündigung führen würde.

15

1. Gem. Art. 77 Abs. 3 BayPVG ist der Personalrat vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, hat er sie unter Angabe der Gründe dem Dienststellenleiter unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen schriftlich mitzuteilen.

16

2. Eine bestimmte zeitliche Reihenfolge von Anhörung des Personalrats und Beschlussfassung des Gemeinderats ist gesetzlich nicht vorgesehen.

17

a) Allerdings soll nach Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG bei Gemeinden die Mitbestimmung erfolgen, bevor das zuständige Organ endgültig entscheidet. Der Beschluss des Personalrats ist dem zuständigen Organ zur Kenntnis zu bringen. Diese Regelung gilt gem. Art. 72 Abs. 1 Satz 3 BayPVG entsprechend für Maßnahmen, an denen der Personalrat - wie bei der ordentlichen Kündigung(Art. 77 Abs. 1 Satz 1 BayPVG) - mitwirkt.

18

b) Dagegen wird für das in Art. 77 Abs. 3 BayPVG geregelte Verfahren der Anhörung vor außerordentlichen Kündigungen nicht auf die Bestimmung des Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG verwiesen. Die Notwendigkeit einer Anhörung des Personalrats vor der Beschlussfassung des Gemeinderats lässt sich deshalb - anders als offenbar das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht unmittelbar aus einer gesetzlich gebotenen Anwendung von Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG ableiten.

19

c) Für eine analoge Anwendung der in Fällen der Mitwirkung des Personalrats geltenden Verweisungsregelung des Art. 72 Abs. 1 Satz 3 BayPVG auf die Fälle der Anhörung des Personalrats iSv. Art. 75 Abs. 3 BayPVG ist kein Raum.

20

aa) Auch wenn der Wortsinn des Gesetzes die Grenze der Auslegung markiert, ist er für die Rechtsanwendung durch die Gerichte keine unübersteigbare Grenze. Der Richter hat nicht zwingend am Wortsinn einer Norm haltzumachen (BVerfG 14. Februar 1973 - 1 BvR 112/65 - zu C IV 1 der Gründe, BVerfGE 34, 269). Sowohl seitens der Methodenlehre als auch von Verfassungs wegen kann es für ihn wegen der Bindung an Gesetz „und Recht“ nach Art. 20 Abs. 3 GG geboten sein, das vom Gesetz Gewollte gegen das im Gesetz Gesagte zur Geltung zu bringen. Zur wortsinnübersteigenden Gesetzesanwendung durch Analogie oder wortsinnunterschreitenden Nichtanwendung des Gesetzes durch teleologische Reduktion bedarf es dabei einer besonderen Legitimation. Analoge Gesetzesanwendung setzt voraus, dass der gesetzessprachlich nicht erfasste, dh. gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt, wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Teleologische Reduktion setzt umgekehrt voraus, dass der gesetzessprachlich erfasste, dh. der gesetzlich in bestimmter Weise geregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes nach einer anderen Entscheidung verlangt als die übrigen geregelten Fälle, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (BAG 14. Februar 2007 - 7 ABR 26/06 - Rn. 55, BAGE 121, 212; 29. September 2004 - 1 ABR 39/03 - zu B III 2 b der Gründe, BAGE 112, 100).

21

bb) Hier ist eine analoge Anwendung von Art. 72 Abs. 1 Satz 3, Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG auf die Fälle der Anhörung des Personalrats nach Art. 75 Abs. 3 BayPVG nicht geboten. Die Sachverhalte von Mitbestimmung/Mitwirkung auf der einen und bloßer Anhörung des Personalrats auf der anderen Seite sind zu verschieden, als dass sie nach einer gleichen Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens verlangten. In den Fällen der Mitbestimmung und der Mitwirkung sehen Art. 70 bzw. Art. 72 BayPVG mehrstufige Verständigungsverfahren zwischen Dienststellenleiter und Personalrat vor, wenn dieser der beabsichtigten Maßnahme seine Zustimmung versagt bzw. Einwendungen gegen sie erhebt. Der Dienststellenleiter kann die beabsichtigte Maßnahme nicht wirksam durchführen, wenn er das betreffende weitere Verfahren nicht einhält. Bei seiner endgültigen Entscheidung soll das zuständige Gemeindeorgan deshalb mögliche Verweigerungsgründe bzw. Einwendungen des Personalrats kennen, um angesichts ihrer beurteilen zu können, ob es an der beabsichtigten Maßnahme trotz ihrer zumindest vorläufigen Undurchführbarkeit und der Notwendigkeit eines Verständigungsverfahrens nach Art. 70 bzw. Art. 72 BayPVG festhalten will. Diese wegen Art. 77 Abs. 1 BayPVG für die ordentliche Kündigung gegebene Situation liegt bei außerordentlichen Kündigungen nicht vor. Auch wenn der Personalrat im Rahmen der Anhörung nach Art. 77 Abs. 3 BayPVG Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung erhebt, ist der Dienststellenleiter nicht gehalten, vor Ausspruch der Kündigung das Verfahren nach Art. 72 Abs. 3, Abs. 4 BayPVG einzuhalten. Er kann die Kündigung vielmehr - wie der Arbeitgeber nach § 102 BetrVG - trotz der Bedenken des Personalrats erklären, ohne weitere verfahrensrechtliche Vorgaben beachten zu müssen. Damit wiederum verlangen Gleichheitssatz und gesetzliche Wertungskonsistenz nicht danach, Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG über das geschriebene Gesetz hinaus auf die Fälle einer Anhörung des Personalrats nach Art. 77 Abs. 3 BayPVG entsprechend anzuwenden.

22

cc) Eine analoge Anwendung ist auch nicht deshalb geboten, weil nur so Sinn und Zweck einer Anhörung des Personalrats gewahrt und erreicht werden könnten. Zwar soll die Anhörung den Arbeitgeber dazu veranlassen, eine geplante Kündigung zu überdenken, sich mit den Argumenten des Personalrats auseinanderzusetzen und ggf. von der Kündigung Abstand zu nehmen (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4; zu § 102 BetrVG KR/Etzel 10. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 8). Dieser Zweck wird jedoch auch dann nicht verfehlt, wenn dem Gemeinderat in den Fällen der außerordentlichen Kündigung die Stellungnahme des Personalrats bei seiner Beschlussfassung noch nicht bekannt ist. Dem Schutzzweck der Personalratsbeteiligung ist vielmehr durch die Bestimmungen der bayerischen Gemeindeordnung hinreichend Rechnung getragen. Der erste Bürgermeister führt nicht nur den Vorsitz im Gemeinderat und vollzieht als ausführendes Organ dessen Beschlüsse (Art. 36 BayGO). Der Gesetzgeber hat ihm auch die Funktion des Dienststellenleiters iSv. Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 BayPVG und in Art. 43 Abs. 3 BayGO die des Dienstvorgesetzten der Beamten und Angestellten der Gemeinde übertragen. Im Rahmen dieser Funktionen gehört die eigenständige Durchführung der Personalratsanhörung zu seinen gesetzlichen Aufgaben. Damit hat ihm der Gesetzgeber eine - wenn auch nicht stets das Kündigungsrecht als solches umfassende - partielle Personalkompetenz zugewiesen. In deren Rahmen hat er die Pflicht zur sachlichen Beurteilung. Sie verlangt von ihm, die Stellungnahme des Personalrats gewissenhaft inhaltlich zu prüfen und die Angelegenheit dem Gemeinderat für den Fall, dass die Stellungnahme zu Bedenken an der Berechtigung des Kündigungsentschlusses Anlass gibt, erneut zuzuleiten.

23

d) Die Senatsrechtsprechung steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Nach der Entscheidung vom 18. Mai 1994 (- 2 AZR 930/93 - zu III 1 b der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6) ist zwar umgekehrt die Personalratsanhörung nicht deshalb fehlerhaft, weil sie ohne Vorliegen eines Kündigungsentschlusses des zuständigen Gremiums durchgeführt wurde, um dieses erst anschließend und unter Vorlage der Stellungnahme des Personalrats mit der Angelegenheit zu befassen. Das bedeutet aber nicht, dass die hier eingeschlagene Vorgehensweise rechtswidrig wäre.

24

3. Danach ist die Anhörung des Personalrats ordnungsgemäß erfolgt. Dieser ist am 14. Dezember 2009 unter Schilderung des aus Sicht des Beklagten kündigungsrelevanten Sachverhalts über die beabsichtigte Kündigung unterrichtet worden. Der Kläger hat die inhaltliche Richtigkeit der Information nicht gerügt. Der Personalrat hat binnen dreier Tage unter Angabe formaler und inhaltlicher Gründe erklärt, seine Zustimmung zur Kündigung zu verweigern. Damit war das Anhörungsverfahren nach Maßgabe von Art. 77 Abs. 3 BayPVG am 17. Dezember 2009 - also vor Ausspruch der Kündigung - ordnungsgemäß abgeschlossen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Stellungnahme des Personalrats dem ersten Bürgermeister Anlass dafür hätte sein müssen, den Gemeinderat vor der Ausführung des Kündigungsbeschlusses erneut mit der Sache zu befassen.

25

III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich derzeit nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend. Die außerordentliche Kündigung ist nach den bisherigen Feststellungen nicht deshalb unwirksam, weil der Beklagte die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt hätte.

26

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen.

27

a) Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 30; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, BAGE 137, 54). Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begänne(BAG 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - AP BGB § 626 Nr. 231 = EzA BPersVG § 108 Nr. 5; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - zu B I 3 der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9). Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Unbeachtlich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - aaO; 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - zu B I 3 c bb (1) der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1).

28

b) Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann, wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind (BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 21, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23; 26. November 1987 - 2 AZR 312/87 - RzK I 6g Nr. 13). Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein, wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers (BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22, aaO; 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 355 mwN; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 810). Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22, aaO; 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - aaO; KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 355).

29

2. Danach hat der Beklagte die Erklärungsfrist gewahrt.

30

a) Maßgebend für den Beginn der Frist ist im Streitfall die Kenntnis des Gemeinderats als des gem. Art. 43 BayGO kündigungsberechtigten Organs. Dieser hatte erst aufgrund der Erörterungen in der Sitzung vom 8. Dezember 2009 Kenntnis von den aus seiner Sicht eine außerordentliche Kündigung begründenden Tatsachen erlangt. Diese waren ihm weder mit der Ladung noch in der Sitzung vom 2. Dezember 2009 mitgeteilt worden. Zwar war der Gemeinderat bereits am 29. Juni 2009 mit Vorwürfen gegen den Kläger befasst. An diesem Tag wurde jedoch lediglich beschlossen, dem Kläger einen Aufhebungsvertrag anzubieten. Falls er diesen nicht annähme, sollten weitere Ermittlungen durchgeführt werden. Der Gemeinderat besaß zu diesem Zeitpunkt noch keine aus seiner Sicht hinreichenden, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Kenntnisse.

31

b) Der Beklagte muss sich die schon länger währende Kenntnis seines ersten Bürgermeisters von den dem Kündigungsentschluss zugrunde liegenden Umständen nicht zurechnen lassen. Der erste Bürgermeister hat zwar als Vorgesetzter der Gemeindebediensteten und Vorsitzender des Gemeinderats eine herausgehobene Stellung (vgl. BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6). Die Tatsache, dass der Gemeinderat erst am 8. Dezember 2009 von den aus seiner Sicht kündigungsrelevanten Tatsachen Kenntnis erlangt hat, beruht aber nicht auf einem Organisationsverschulden.

32

aa) Es stellt kein solches Verschulden dar, dass der Gemeinderat seine turnusgemäßen Sitzungen im Abstand von mehreren Wochen abhält. Der Gemeinderat muss nicht im Vorhinein mit Blick auf mögliche, nur im Ausnahmefall notwendig werdende außerordentliche Kündigungen einen engeren Sitzungsrhythmus einplanen. Nach dem Schutzzweck des § 626 Abs. 2 BGB ist es unbedenklich, eine außerordentliche Kündigung in der turnusmäßig nächsten Sitzung eines Gemeinderats zu beraten. Für den Arbeitnehmer iSv. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO ist erkennbar, dass der erste Bürgermeister auch bei eigener Kenntnis der aus seiner Sicht eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Umstände eines Beschlusses des Gemeinderats bedarf und dieser in der Regel erst in der nächsten Sitzung herbeigeführt werden kann(BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6).

33

bb) Es kann nicht als Organisationsmangel angesehen werden, dass der erste Bürgermeister keine Sondersitzung des Gemeinderats einberufen hat. Mit Blick auf die Größe des Gremiums und die einzuhaltenden Ladungsfristen hätte dies einen nicht gerechtfertigten Aufwand verursacht (vgl. BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 c dd der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6).

34

cc) Es ist dem Beklagten nicht anzulasten, dass der Gemeinderat die Beratung über eine Kündigung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger nicht mehr - nach Mitternacht - in der Sitzung vom 2. Dezember 2009 erörtert, sondern diesen Tagesordnungspunkt um sechs Tage auf die Sitzung vom 8. Dezember 2009 vertagt hat. Dies erscheint mit Blick auf die Belange der Gemeinderatsmitglieder und die Interessen des Klägers, der einen Anspruch auf sorgfältige Beratung der ihn betreffenden personellen Angelegenheit hat, als vertretbare Verzögerung. Der Gemeinderat hat - anders als der Kläger gemeint hat - personelle Maßnahmen in der Sitzung am 2. Dezember 2009 nicht vorrangig behandeln müssen. Dem Gemeinderat steht in Bezug auf die Reihenfolge der Beratungen ein Beurteilungsspielraum zu. Den hat er im Streitfall nicht überschritten. Es ist nicht unsachlich oder willkürlich, die Tagesordnungspunkte in der vom Vorsitzenden in der Einladung vorgegebenen Reihenfolge abzuhandeln. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - nicht von vornherein mit der Vertagung eines oder mehrerer Tagesordnungspunkte zu rechnen ist.

35

IV. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB gegeben war. Ebenso wenig ist es dem Vortrag des Klägers nachgegangen, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei aufgrund der zögerlichen Durchführung der Ermittlungen bereits vor dem 2. Dezember 2009 verstrichen gewesen. Über beides vermag der Senat mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen nicht selbst zu entscheiden.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

        

        

    Söller    

        

    B. Schipp    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. August 2009 - 19/3 Sa 575/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. März 2008 - 19 Ca 9432/06 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine fristlose Verdachtskündigung.

2

Der im Jahr 1961 geborene Kläger war bei der beklagten Stadt seit dem 1. September 1989 als Orchestermusiker (2. Hornist) gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 4.580,79 Euro beschäftigt. Nach den anzuwendenden Bestimmungen des Tarifvertrags für Musiker in Kulturorchestern (TVK) sind Arbeitnehmer, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und mehr als 15 Jahre beschäftigt sind, ordentlich nicht mehr kündbar.

3

Ihren Eigenbetrieb der städtischen Bühnen leitete die Beklagte mit Wirkung zum 1. September 2004 auf die S GmbH (nachfolgend S GmbH) über. Der Kläger widersprach einem Übergang seines Arbeitsverhältnisses. In der Folge wies die Beklagte den Kläger - ebenso wie die übrigen Mitarbeiter, die einer Überleitung widersprochen hatten - aufgrund eines mit der S GmbH geschlossenen Personalgestellungsvertrags dieser zur Dienstausübung zu. Im Februar 2005 fand eine Betriebsratswahl für einen von der Beklagten und der S GmbH gemeinsam geführten Betrieb „Städtische Bühnen“ statt. In dem von der S GmbH eingeleiteten Wahlanfechtungsverfahren wurde der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl rechtskräftig abgewiesen. Mit - weiterem - Beschluss vom 19. Februar 2009 erklärte das Hessische Landesarbeitsgericht die Wahl für „ungültig“.

4

Der Kläger war mit einem Kollegen aus dem Orchester befreundet. Dieser hat zwei Töchter, geboren 1990 und 1994. Der Kläger berührte das ältere der Mädchen - damals fünf- bis sechsjährig - bei Besuchen im Haus des Freundes in den Jahren 1995 und 1996 unsittlich, das jüngere - damals acht bis neun Jahre alt - mehrmals bei Besuchen bei der inzwischen allein lebenden Mutter in den Jahren 2002 und 2003. Am 22. September 2004 erstattete die Mutter Anzeige. Gegen den Kläger wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren ua. wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eingeleitet. Gegenstand des Verfahrens war auch der Vorwurf, der Kläger habe im Jahr 1994 ein weiteres, damals elf Jahre altes Mädchen sexuell missbraucht.

5

Am 20. Oktober 2004 wurde die Beklagte durch den Vater der Mädchen über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe informiert. In einem Gespräch der Beklagten mit den übrigen Hornbläsern am 22. November 2004 offenbarte einer der Musiker, dass sich der Kläger auch seinem Sohn unsittlich genähert habe und ein strafrechtliches Verfahren gegen Zahlung eines Bußgelds eingestellt worden sei. Er und andere Mitglieder der Stimmgruppe der Hornisten erklärten, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können.

6

Am 13. Dezember 2004 hörte die Beklagte den Kläger zu den Vorwürfen an. Dieser bestritt deren Berechtigung. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 sprach die Beklagte eine auf den Verdacht der Tatbegehungen gestützte fristlose Kündigung aus. Der dagegen erhobenen Klage gab das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 9. Oktober 2006 mit der Begründung - rechtskräftig - statt, dass die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt habe.

7

Nachdem die Beklagte im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 9. Oktober 2006 erfahren hatte, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war, bemühte sie sich vergeblich um Akteneinsicht. In einem Telefonat mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfuhr sie, dass die Anklageerhebung auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhe. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 lud sie den Kläger erneut zu einem Anhörungsgespräch am 11. Dezember 2006. Der Kläger teilte ihr am 8. Dezember 2006 mit, dass er nicht erscheinen werde. Nach Anhörung des - trotz Wahlanfechtung weiterhin amtierenden - Betriebsrats sprach die Beklagte am 21. Dezember 2006 erneut eine außerordentliche, fristlose Verdachtskündigung aus. Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.

8

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei mangels Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Frist sei spätestens am 3. Dezember 2004 abgelaufen. Die Kündigung sei eine unzulässige Wiederholungskündigung. Die von ihm begangenen Straftaten könnten als außerdienstliches Verhalten die Kündigung ohnehin nicht rechtfertigen. Der Kläger hat bestritten, dass es zu einem Vertrauensverlust bei seinen Kollegen gekommen sei und seine Anwesenheit die künstlerische Qualität des Orchesters beeinträchtige. Seine sexuellen Neigungen seien seit Anfang der 90-er Jahre im Orchester bekannt gewesen. Er befinde sich seit 1992 in therapeutischer Behandlung. Deswegen bestehe keine Wiederholungsgefahr. Seine Taten seien Folge einer psychischen Disposition. Die Kündigung sei deshalb nach den Grundsätzen der krankheitsbedingten Kündigung zu beurteilen und mangels negativer Prognose unwirksam. Außerdem habe statt des Betriebsrats der zuständige Personalrat angehört werden müssen.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 nicht beendet worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, mit der Erhebung der Anklage sei ein wesentlicher Einschnitt im Strafverfahren verbunden gewesen. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei erneut in Gang gesetzt worden, als sie von der Anklageerhebung Kenntnis erhalten habe. Wegen des dringenden Verdachts der Begehung der fraglichen Straftaten sei die Kündigung auch materiell gerechtfertigt. Das Verhalten des Klägers weise einen hinreichenden dienstlichen Bezug auf. Das Vertrauensverhältnis zu den Mitgliedern des Orchesters, insbesondere zu den Hornbläsern, sei zerstört. Die Anwesenheit des Klägers beeinträchtige die künstlerische Qualität bei Proben und Vorstellungen. Die Neigungen des Klägers seien keineswegs allgemein im Orchester bekannt gewesen. Es bestehe ein unkalkulierbares Risiko, dass er wieder einschlägig auffällig werde. Im Hinblick darauf, dass sie in der Komparserie und im Rahmen von Praktika minderjährige Kinder beschäftige, sei ihr eine Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten. Die Beteiligung des Personalrats sei nicht erforderlich gewesen.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zur Abweisung der Klage. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt(I.). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der Senat selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor(II.). Die Kündigung ist nicht mangels Anhörung des Personalrats unwirksam (III.).

13

I. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Beklagte hat die gesetzliche Frist zur Erklärung der Kündigung gewahrt.

14

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

15

a) Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15 mwN, NZA-RR 2011, 177; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - aaO). Solange er die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - zu B I 3 der Gründe, aaO). Um den Lauf der Frist nicht länger als notwendig hinauszuschieben, muss eine Anhörung allerdings innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen, und ohne dass besondere Umstände vorlägen, nicht mehr als eine Woche betragen (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - Rn. 24, BAGE 117, 168).

16

b) Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; Bader/Bram/Dörner/Kriebel-Bader KSchG Stand Dezember 2010 § 626 BGB Rn. 77; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 321). Für den betreffenden Zeitpunkt bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen - neuen - ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch der Kündigung nehmen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 20, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9).

17

c) Der Arbeitgeber kann sich auch für die Überlegung, ob er eine Verdachtskündigung aussprechen soll, am Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens orientieren (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Dort gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Vertragspartner habe die Pflichtverletzung begangen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; vgl. HaKo-Gieseler 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 106; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Eine solche den Verdacht intensivierende Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Klage haben (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl 2. Aufl. Bd. 1 § 626 BGB Rn. 102; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO). Zwar kann die Erhebung der öffentlichen Klage für sich genommen keinen dringenden Verdacht im kündigungsrechtlichen Sinne begründen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 27, aaO; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Sie bedeutet aber einen Einschnitt, der in der Lage ist, die anderweitig schon genährte Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken. Während die Einleitung des Ermittlungsverfahrens lediglich einen Anfangsverdacht erfordert, ist die Erhebung der öffentlichen Klage nach der Strafprozessordnung an das Bestehen eines „hinreichenden“ Verdachts gebunden. Der Verdacht erhält damit eine andere Qualität. Dies rechtfertigt es, die Erhebung der öffentlichen Klage als einen Umstand anzusehen, bei dessen Eintritt der Arbeitgeber einen sachlichen Grund hat, das Kündigungsverfahren einzuleiten (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl aaO; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO).

18

d) Der Arbeitgeber hat nicht nur zwei Möglichkeiten, dem sich mit der Zeit entwickelnden Zuwachs an Erkenntnissen durch eine außerordentliche Kündigung zu begegnen. Es gibt nicht lediglich zwei objektiv genau bestimmbare Zeitpunkte, zu denen die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begönne: einen Zeitpunkt für den Ausspruch einer Verdachts-, einen weiteren für den Ausspruch einer Tatkündigung. Im Laufe des Aufklärungszeitraums kann es vielmehr mehrere Zeitpunkte geben, in denen der Verdacht „dringend“ genug ist, um eine Verdachtskündigung darauf zu stützen. Dabei steht dem Kündigungsberechtigten ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 22 ff., AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

19

e) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt demnach erneut zu laufen, wenn der Arbeitgeber eine neue, den Verdacht der Tatbegehung verstärkende Tatsache zum Anlass für eine Kündigung nimmt. Eine den Verdacht verstärkende Tatsache kann die Anklageerhebung im Strafverfahren darstellen, selbst wenn sie nicht auf neuen Erkenntnissen beruht. Der Umstand, dass eine unbeteiligte Stelle mit weiterreichenden Ermittlungsmöglichkeiten, als sie dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, ist geeignet, den gegen den Arbeitnehmer gehegten Verdacht zu verstärken. Der Arbeitgeber kann ihn auch dann zum Anlass für den Ausspruch einer Verdachtskündigung nehmen, wenn er eine solche schon zuvor erklärt hatte. Da die neuerliche Kündigung auf einem neuen, nämlich um die Tatsache der Anklageerhebung ergänzten Sachverhalt beruht, handelt es sich nicht etwa um eine unzulässige Wiederholungskündigung. Ebenso wenig ist das Recht, eine weitere Verdachtskündigung auszusprechen, mit dem Ausspruch einer ersten Verdachtskündigung verbraucht. Der Arbeitgeber hat sich dadurch, dass er eine Verdachtskündigung bereits vor Anklageerhebung ausgesprochen hat, auch nicht dahin gebunden, vor Ausspruch einer weiteren Kündigung den Ausgang des Ermittlungs- oder Strafverfahrens abzuwarten. Für die Annahme eines solchen Verzichts auf ein - noch nicht absehbares späteres - Kündigungsrecht gibt es keine Grundlage. Zwar bezieht sich der Verdacht jeweils auf dieselbe Tat, der zur Kündigung führende Sachverhalt ist aber gerade nicht identisch. Die zweite Kündigung stützt sich auf eine erweiterte, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB neu in Gang setzende Tatsachengrundlage.

20

2. Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte mit Ausspruch der Kündigung am 21. Dezember 2006 die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Diese begann am 8. Dezember 2006 erneut zu laufen. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 erfolgte innerhalb von zwei Wochen.

21

a) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann erneut in dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Beklagte vollständige Kenntnis davon erhielt, dass gegen den Kläger Anklage wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen erhoben worden war und neue entlastende Gesichtspunkte nicht zu ermitteln waren. Der Verdacht bezieht sich zwar auf dieselbe Tat wie der, welcher der Kündigung vom 23. Dezember 2004 zugrunde lag. Der Sachverhalt ist aber deshalb nicht identisch, weil sich die Beklagte zusätzlich auf die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft beruft.

22

b) Vollständige positive Kenntnis von den den Verdacht verstärkenden Umständen hatte die Beklagte erst am 8. Dezember 2006. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte sie zwar bereits während der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2006 Kenntnis davon erhalten, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war. Sie hatte aber erst aufgrund des Gesprächs mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfahren, dass die Anklage auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhte und damit ua. die Vorwürfe zum Gegenstand hatte, die den von ihr gehegten Verdacht gegen den Kläger betrafen. Ihre vorausgegangenen Bemühungen, Akteneinsicht zu erhalten, waren erfolglos geblieben. Die Beklagte durfte anschließend dem Kläger Gelegenheit geben, neue entlastende Umstände vorzubringen. Mit der Einladung zu einem Anhörungstermin am 11. Dezember 2006 ist sie diese Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts auch hinreichend zügig angegangen. Zwar war die dafür in der Regel zu veranschlagende Wochenfrist am 11. Dezember überschritten. Die Beklagte ging gleichwohl mit der gebotenen Eile vor. Der 30. November 2006 war ein Donnerstag. Das Einladungsschreiben vom 4. Dezember wurde am auf ihn folgenden zweiten Arbeitstag verfasst. Dies ist zumindest angesichts der Besonderheit, dass sie schon zuvor eine Verdachtskündigung ausgesprochen hatte und die Notwendigkeit einer weiteren Anhörung des Klägers damit nicht unmittelbar auf der Hand lag, nicht zu beanstanden. Dass die Beklagte den Termin erst auf eine weitere Woche später anberaumte, ist ihr ebenso wenig vorzuhalten. Sie berücksichtigte damit in angemessener Weise das Interesse des im Betrieb nicht mehr beschäftigten Klägers an einer Ankündigungszeit. Mit dem Erhalt von dessen Nachricht am 8. Dezember 2006, er werde den Anhörungstermin nicht wahrnehmen, stand sodann fest, dass sich neue entlastende Umstände durch eine Anhörung des Klägers nicht ergeben würden.

23

II. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

24

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.

26

a) Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung der Kündigung zwar nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen. Obwohl der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund darstellt (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8), stehen beide Gründe aber nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO ). Ergibt sich nach tatrichterlicher Würdigung das tatsächliche Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen; es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - mwN, aaO). Nichts anderes gilt für das Revisionsgericht, wenn das Berufungsgericht zwar nicht selbst geprüft hat, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist, aber gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindend festgestellt hat, dass die Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen wurde.

27

b) Dies ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Kläger sowohl während mehrerer Besuche im Haus der Familie seines Kollegen in den Jahren 1995/1996 die ältere von dessen Töchtern, damals fünf- bis sechsjährig, unsittlich berührte als auch mehrmals in den Jahren 2002 und 2003 die jüngere Tochter, damals acht bis neun Jahre alt, anlässlich von Besuchen im Haus der inzwischen allein lebenden Ehefrau. Das Landesarbeitsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass ein weiterer Kollege der Beklagten während eines Gesprächs am 22. November 2004 mitgeteilt hatte, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Vorwurfs, dieser habe sich dem Sohn des Kollegen unsittlich genähert, sei eingestellt worden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erklärten der betreffende Kollege und andere Mitglieder der Hornisten-Gruppe, mit dem Kläger wegen dieser Vorwürfe nicht mehr zusammenarbeiten zu können.

28

c) Der Umstand, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer gerichtlichen Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat nicht entgegen. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Entscheidung, ob der ungültig gewählte, aber während des Wahlanfechtungsverfahrens weiter amtierende Betriebsrat überhaupt nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen war. Ausreichend ist jedenfalls, wenn dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung Genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Danach ist der Betriebsrat hier ausreichend unterrichtet worden. Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen sind auch Gegenstand des Anhörungsschreibens vom 15. Dezember 2006.

29

d) Eine schwere und schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Das gilt auch für die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten (Senat 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30, EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Arbeitnehmervertreter Nr. 1; 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8).

30

e) Der Kläger hat seine Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, auf die berechtigten Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, durch den sexuellen Missbrauch von Kindern eines Kollegen in erheblichem Maße verletzt. Darauf, ob sich aus § 5 Abs. 1 TVK aF noch weiter gehende Pflichten zur Rücksichtnahme ergaben, kommt es nicht an.

31

aa) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19, NZA 2011, 112; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77). Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - aaO). Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann deshalb auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden (vgl. ErfK/Müller-Glöge 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 83). Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO). Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 22, aaO; 27. November 2008 -  2 AZR 98/07  - Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4). Fehlt ein solcher Zusammenhang, scheidet eine Pflichtverletzung regelmäßig aus (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO; SPV/Preis Rn. 642).

32

bb) Die von dem Kläger außerdienstlich begangenen Straftaten haben einen solchen Bezug zum Arbeitsverhältnis.

33

(1) Dieser Bezug besteht zunächst darin, dass Opfer der Straftaten des Klägers die Kinder eines Kollegen waren.

34

(2) Die von dem Kläger an den Kollegenkindern begangenen Sexualstraftaten hatten zudem negative Auswirkungen auf das betriebliche Miteinander. So haben mehrere Mitglieder der Stimmgruppe des Klägers in dem Gespräch am 22. November 2004 gegenüber der Beklagten erklärt, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können. Der Einwand des Klägers, in dem Orchester herrsche ohnehin keine Atmosphäre des Vertrauens, sondern eine Atmosphäre der Angst, ist unbeachtlich. Er ändert nichts daran, dass im vorliegenden Zusammenhang allein der Kläger für die Störung des Betriebsfriedens verantwortlich ist.

35

cc) Die Straftaten des Klägers haben das kollegiale Miteinander und damit das Arbeitsverhältnis schwer belastet. Der Kläger hat das Vertrauen seines Kollegen und von dessen Familie wiederholt massiv missbraucht. Aus eben diesem Grund haben mehrere Kollegen aus seiner Stimmgruppe ausgeschlossen, mit ihm weiter zusammenarbeiten zu können.

36

Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt. Soweit er seine sexuellen Neigungen im Laufe des Rechtsstreits auf krankhafte Störungen zurückgeführt hat, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Der Kläger hat nicht behauptet, dass es ihm unmöglich gewesen sei, sein Verhalten zu steuern. Die Grundsätze einer personenbedingten Kündigung finden keine Anwendung.

37

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt. Der Beklagten war es unzumutbar, den Kläger auch nur bis zum Ablauf einer - fiktiven - Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

38

a) Obwohl das Landesarbeitsgericht - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - eine Interessenabwägung nicht vorgenommen hat, ist eine eigene Abwägung durch den Senat möglich. Der dem Berufungsgericht in der Rechtsprechung des Senats zugestandene Beurteilungsspielraum (vgl. Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) schränkt lediglich die revisionsrechtliche Überprüfung der Interessenabwägung ein. Hat das Berufungsgericht eine Interessenabwägung vorgenommen, ist - wenn sämtliche relevanten Tatsachen feststehen - eine eigene Interessenabwägung des Revisionsgerichts nur dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist (vgl. Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 35 f., AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Fehlt es indessen an einer Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, ist es - wenn alle relevanten Tatsachen festgestellt sind - nicht erforderlich, dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zu geben, zunächst eine eigene Abwägung vorzunehmen. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist zwar in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, aaO).

39

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 f. mwN).

40

c) Danach ist die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 gerechtfertigt.

41

aa) Der Kläger hat wiederholt die Kinder eines Kollegen sexuell missbraucht und dadurch bewirkt, dass sich mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe weigerten, mit ihm weiter zusammenzuarbeiten. Ohne erhebliche Auswirkungen auf den Betriebsfrieden war eine Mitwirkung des Klägers in seiner Stimmgruppe damit nicht mehr vorstellbar. Zwar war der betreffende Kollege zum Zeitpunkt der Kündigung bereits aus dem Orchester ausgeschieden. Der zweite betroffene Kollege und weitere Mitglieder, die an dem Gespräch am 22. November 2004 teilgenommen hatten, waren aber auch im Dezember 2006 noch beschäftigt. Unerheblich ist, ob die sexuellen Neigungen des Klägers schon länger im Orchester bekannt waren. Der Kläger hat nicht behauptet, es sei auch bekannt gewesen, dass er tatsächlich Straftaten an Kollegenkindern beging.

42

bb) Für die Beklagte war es nicht zumutbar, den Kläger unter Inkaufnahme einer fortbestehenden Störung des Betriebsfriedens weiterzubeschäftigen. Anders als in einer Drucksituation, der kein Verhalten des Arbeitnehmers und kein personenbedingter Grund zugrunde liegt, war die Beklagte nicht gehalten, sich etwa schützend vor den Kläger zu stellen und zu versuchen, die Kollegen von ihrer Weigerung, weiter mit dem Kläger zusammenzuarbeiten, abzubringen (vgl. dazu Senat 19. Juni 1986 - 2 AZR 563/85 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 33 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 39). Der Kläger hatte durch sein Verhalten die Betriebsstörung vielmehr selbst herbeigeführt. Er hat das ihm von einem Kollegen und dessen Familie entgegengebrachte Vertrauen in schwerwiegender Weise mehrfach missbraucht. Dass auch anderen Kollegen angesichts dessen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr möglich erschien, ist objektiv nachvollziehbar. Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein die Integrität der Opfer in schwerwiegender Weise verletzendes Delikt. Geschützt ist die Entwicklung der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung (Fischer StGB 58. Aufl. § 176 Rn. 2 mwN). Äußere, fremdbestimmte Eingriffe in die kindliche Sexualität sind in besonderer Weise geeignet, diese Entwicklung zu stören. Die Tat birgt die Gefahr von nachhaltigen Schädigungen des Kindes (Fischer Rn. 36 mwN, aaO). Sie ist nach § 176 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht.

43

cc) Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht. Angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzungen war deren - auch nur erstmalige - Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen (vgl. zu diesem Maßstab Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

44

dd) Nicht entscheidend ist, ob zu erwarten stand, der Kläger werde weiterhin sexuelle Straftaten an (Kollegen-)Kindern begehen. Die von dem Kläger vorgetragenen Therapiebemühungen und der Umstand, dass er strafrechtlich nur zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, rechtfertigen deshalb ebenso wenig eine andere Bewertung wie Gesichtspunkte der Resozialisierung. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Beklagte angesichts der Erklärungen von Mitgliedern der Stimmgruppe des Klägers davon ausgehen musste, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen diesem und seinen Kollegen nicht mehr zu erwarten war. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, nicht alle Orchestermusiker hätten sich geweigert, mit ihm zusammenzuarbeiten, kann die Richtigkeit dieser Behauptung dahinstehen. Der Kläger bestreitet nicht, dass mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe nicht mehr zu einer Zusammenarbeit bereit waren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die musikalische Qualität von Proben oder Vorstellungen bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers tatsächlich gelitten hätte. Der Beklagten war es angesichts der Taten des Klägers schon nicht zumutbar, von seinen Kollegen eine weitere Zusammenarbeit überhaupt zu fordern. Darauf, ob der Kläger im Dienst Kontakt zu Kindern hatte, kommt es ebenfalls nicht an.

45

ee) An dem Ergebnis der Interessenabwägung ändert sich auch dann nichts, wenn die Behauptung des Klägers zutrifft, erst eine als Krankheit anzusehende Ausprägung seiner sexuellen Neigungen habe ihn straffällig werden lassen. Der Beklagten ist es auch unter dieser Voraussetzung nicht zuzumuten, von den Kollegen des Klägers die weitere Zusammenarbeit zu verlangen. Die durch das Verhalten des Klägers verursachte Störung des Betriebsfriedens wird dadurch nicht geringer.

46

ff) Disziplinarrechtliche Maßstäbe zur Beurteilung von Dienstvergehen eines Beamten sind für den Streitfall ohne Bedeutung. Die Sachverhalte, die den vom Kläger herangezogenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zugrunde liegen, sind zudem schon deshalb nicht vergleichbar, weil es dabei nicht um den Missbrauch von Kollegenkindern ging. Der Kläger will überdies aus dem Umstand, dass die Beklagte Opernaufführungen mit sexuellen Bezügen inszeniert, eine Bereitschaft zur Toleranz von Kindesmissbrauch ableiten. Dies ist abwegig. Soweit er darüber hinaus meint, seine Taten hätten einen Bezug zu seiner Tätigkeit als bildender Künstler, bleibt unklar, welchen Schluss er daraus ableitet. Er kann schwerlich gemeint haben, die Kunstfreiheit rechtfertige Kindesmissbrauch.

47

gg) Beschäftigungsdauer und Lebensalter des Klägers rechtfertigen kein anderes Ergebnis. An der Schwere der Pflichtverletzungen und Störung des Betriebsfriedens ändern sie nichts.

48

hh) Der Umstand, dass der Kläger ordentlich unkündbar war, hat auf die Interessenabwägung keinen gesonderten Einfluss. Ist es dem Arbeitgeber - wie hier - nicht zumutbar, den tariflich unkündbaren Arbeitnehmer bis zum Ablauf der „fiktiven“ Frist einer ordentlichen Beendigungskündigung weiterzubeschäftigen, ist eine außerordentliche fristlose Kündigung auch des tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers gerechtfertigt (Senat 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 5 b der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; 15. November 2001 -  2 AZR 605/00  - BAGE 99, 331).

49

III. Die Kündigung ist nicht mangels Beteiligung eines für den Kläger zuständigen Personalrats nach § 78 Abs. 2 des Hessischen Personalvertretungsgesetzes vom 24. März 1988 (HPVG) unwirksam.

50

1. Bei einer außerordentlichen Kündigung sieht § 78 Abs. 2 HPVG eine Anhörung des Personalrats vor. Soweit der Kläger das Unterbleiben einer Beteiligung nach § 77 HPVG gerügt hat, handelt es sich offensichtlich um eine Falschbezeichnung. § 77 Nr. 2 Buchst. i HPVG betrifft die Mitbestimmung bei ordentlichen Kündigungen (außerhalb der Probezeit). Eine Anhörung war im Streitfall nicht etwa nach § 104 Abs. 3 Satz 1 HPVG entbehrlich. Nach dieser Bestimmung entfallen zwar die Mitbestimmung und Mitwirkung des Personalrats in Personalangelegenheiten der in § 104 Abs. 1 HPVG genannten Orchestermitglieder. Das Beteiligungsrecht bei außerordentlichen Kündigungen wird aber als bloßes Anhörungsrecht von dem Ausschluss nicht erfasst (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 104 zu 3.2; ders. in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 104 HPVG Rn. 17).

51

2. Indessen sind aus dem Parteivorbringen keine Umstände dafür ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Kündigung vom 21. Dezember 2006 ein Personalrat im Amt gewesen wäre, der nach § 78 Abs. 2 HPVG hätte angehört werden müssen.

52

a) Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe, da in Wirklichkeit kein gemeinsamer Betrieb bestanden habe, nicht den für diesen gewählten Betriebsrat, sondern „den zuständigen Personalrat“ beteiligen müssen. Nach ihrem Vorbringen im Rechtsstreit über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 23. Dezember 2004 hatte die Beklagte vor Ausspruch dieser Kündigung den Personalrat des „Restamts Städtische Bühnen“ angehört. Dabei handelte es sich um denjenigen Personalrat, der für die von der Beklagten zuvor als Eigenbetrieb geführten Städtischen Bühnen gewählt war. Im Konsens aller Beteiligten sollte dieser ein „Übergangsmandat“ für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter bis zur Wahl eines eigenen Betriebsrats wahrnehmen (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe).

53

b) Die Amtszeit dieses Personalrats hatte mit Ablauf des 31. August 2004 geendet. Auf die Frage, ob nicht bis zur Rechtskraft der die Betriebsratswahl vom Februar 2005 für ungültig erklärenden gerichtlichen Entscheidung ohnehin nur der für den - vermeintlichen - Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat zu beteiligen gewesen wäre, kommt es deshalb nicht an.

54

aa) Das Amt des für den Eigenbetrieb gewählten Personalrats endete mit Ablauf des 31. August 2004. Der Eigenbetrieb als Dienststelle der Beklagten wurde durch die Überleitung des Betriebs auf die S GmbH mit Wirkung zum 1. September 2004 iSv. § 81 Abs. 2 HPVG aufgelöst. Im Falle einer Privatisierung endet das Amt des Personalrats (Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 10, 15). Die Änderung der Rechtsform des Trägers der Betriebsorganisation hat den Verlust der bisherigen personalvertretungsrechtlichen Repräsentation zur Folge (Fitting aaO Rn. 15). Die Überführung in eine privatrechtliche Trägerschaft stellt eine Auflösung der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinne dar (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 1 zu 4 aE; Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 81 HPVG Rn. 276 mwN; v.Roetteken in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 1 HPVG Rn. 158). Hieran ändert im Streitfall nichts, dass zusammen mit dem Kläger eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer der Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse auf die S GmbH widersprochen hatten. Damit blieben sie zwar Arbeitnehmer der Beklagten. Auch mag diese sie in einer Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ zusammengefasst haben. Darin lag aber keine Aufrechterhaltung der Dienststelle des Eigenbetriebs „Städtische Bühnen“. Dieser war auf die S GmbH übergeleitet und damit aufgelöst worden. Dies ergibt sich auch aus einer Organisationsverfügung der Oberbürgermeisterin der Beklagten vom 28. September 2004. Ihr zufolge wurden die bisherigen Organisationseinheiten der Städtischen Bühnen mit Wirkung vom 1. September 2004 aufgelöst und gleichzeitig eine neue Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ eingerichtet (vgl. die Entscheidung des BAG im Verfahren über die Anfechtung der Wahl des Betriebsrats im vermeintlichen Gemeinschaftsbetrieb vom 16. April 2008 - 7 ABR 4/07 - zu A der Gründe, AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 32 = EzA BetrVG 2001 § 1 Nr. 7). Der Kläger behauptet nicht, dass für diese Organisationseinheit bis zum Ausspruch der Kündigung ein neuer Personalrat gewählt worden sei.

55

bb) Der Personalrat der bisherigen Dienststelle „Städtische Bühnen“ blieb nicht deshalb über die Privatisierung zum 1. September 2004 hinaus im Amt, weil im Personalgestellungsvertrag zwischen der Beklagten und der S GmbH vom 1. April 2004 geregelt war, dass der Personalrat gemäß § 103 HPVG die zuständige Interessenvertretung für die gestellten Arbeitnehmer sei(vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe). § 103 HPVG bestimmt, dass öffentliche Theater und selbständige Orchester Dienststellen im Sinne des HPVG sind. Diese gesetzliche Fiktion dient vor allem der Klarstellung (Burkholz in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 103 HPVG Rn. 7). Zu den Folgen der Auflösung einer Dienststelle durch ihre Privatisierung verhält sich § 103 HPVG nicht. Durch vertragliche Vereinbarung wiederum kann der gesetzliche Anwendungsbereich des Personalvertretungsrechts nicht wirksam verändert werden.

56

cc) Ein gesetzlich vorgesehenes Übergangsmandat des Personalrats, wie es zB für die Umwandlung eines Universitätsklinikums in § 98 Abs. 6 HPVG geregelt ist, bestand im Streitfall nicht. Wenn der Personalrat zur Schließung dieser möglichen Schutzlücke (vgl. dazu Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 15) ein Übergangsmandat für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter wahrnahm (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 -), dauerte dieses allenfalls bis zur Wahl des Betriebsrats, längstens sechs Monate (vgl. Fitting aaO Rn. 17). Zudem gilt ein Personalrat, der in Privatisierungsfällen ein Übergangsmandat wahrnimmt, als Betriebsrat und hat Rechte und Pflichten aus dem Betriebsverfassungs-, nicht dem Personalvertretungsgesetz (vgl. Fitting aaO Rn. 18 f.).

57

3. Für die Anhörung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers war nicht ein bei der Beklagten errichteter Gesamtpersonalrat zuständig. Bei individuellen Maßnahmen ist der Gesamtpersonalrat, unabhängig von der Entscheidungsbefugnis des Dienststellenleiters, gem. § 83 Abs. 4 iVm. Abs. 1 und Abs. 2 HPVG unzuständig (Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 83 HPVG Rn. 96). Bei der Anhörung zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 78 Abs. 2 HPVG gibt es zudem kein Stufenverfahren, so dass eine Beteiligung des Gesamtpersonalrats nach § 52 Abs. 2 HPVG ebenfalls nicht in Betracht kommt.

58

IV. Als unterlegene Partei hat der Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Beckerle    

        

    B. Schipp    

                 

Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.

(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 467/09 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt ein Groß- und Einzelhandelsunternehmen. Der Kläger war bei ihr seit Oktober 1995 als Lagerist in der Niederlassung E beschäftigt. Er ist mit einem Grad von 50 schwerbehindert. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 1.539,00 Euro.

3

Eine im Auftrag der Beklagten tätige Detektei stellte am 6. und 8. Juni 2009 fest, dass der Kläger Ware ohne Kauf- und Auslieferungsunterlagen in Fahrzeuge Dritter lud.

4

Mit Schreiben vom 8. Juni 2009 beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Der Antrag ging am 9. Juni 2009 beim Integrationsamt ein.

5

Am 22. oder 23. Juni 2009 fragte die Beklagte beim Integrationsamt telefonisch nach einer Bescheidung des Antrags. Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 teilte ihr das Integrationsamt mit, dass es eine Entscheidung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX nicht getroffen habe und deshalb die Zustimmung als erteilt gelte. Das Schreiben wurde ausweislich des Poststempels am 30. Juni 2009 aufgegeben. Die Niederlassungsleiterin der Beklagten nahm es am 1. Juli 2009 zur Kenntnis.

6

Mit Schreiben vom 2. Juli 2009, welches dem Kläger einen Tag später zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Termin.

7

Gegen die außerordentliche Kündigung hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat außerdem Lohnansprüche für die Zeit von Mai bis einschließlich Juli 2009 geltend gemacht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Im Übrigen habe die Beklagte die Kündigung nicht unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ausgesprochen.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung seitens der Beklagten vom 2. Juli 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.617,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jeweils seit Rechtshängigkeit bestimmter Teilbeträge zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe die fristlose Kündigung „unverzüglich“ iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX ausgesprochen. Die Beklagte hat behauptet, das Integrationsamt habe ihr auf ihre Nachfrage am 22. oder 23. Juni 2009 mitgeteilt, eine Entscheidung befinde sich auf dem Postweg. Sie hat gemeint, die Kündigung sei wegen Diebstahls gerechtfertigt. Zahlungsansprüche bestünden nicht.

10

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten, die diese auf die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag und ihre Verurteilung zur Zahlung von mehr als 3.648,09 Euro beschränkt hat, zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage im noch rechtshängigen Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die außerordentliche Kündigung vom 2. Juli 2009 sei unwirksam, weil die Beklagte sie nicht unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt habe. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

12

I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, die Beklagte habe die außerordentliche Kündigung vom 2. Juli 2009 nicht unverzüglich iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt.

13

1. Für den Fall, dass bei fristgerechter Antragstellung die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts bereits abgelaufen ist, verlangt § 91 Abs. 5 SGB IX den unverzüglichen Ausspruch der Kündigung(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - Rn. 26, AP SGB IX § 91 Nr. 5 = EzA SGB IX § 91 Nr. 2).

14

a) Damit ist klargestellt, dass nach erteilter Zustimmung keine neue Ausschlussfrist iSv. § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 5 = EzA SGB IX § 91 Nr. 2). § 91 Abs. 5 SGB IX trägt ferner dem Umstand Rechnung, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf dieser Frist die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B I 1 b der Gründe, BAGE 114, 264; 15. November 2001 - 2 AZR 380/00 - zu B II 1 b cc der Gründe, BAGE 99, 358).

15

b) Erteilt iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ist die Zustimmung, sobald eine solche Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX getroffen und der antragstellende Arbeitgeber hierüber in Kenntnis gesetzt oder wenn eine Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nicht getroffen worden ist; in diesem Fall gilt die Zustimmung mit Ablauf der Frist gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt(vgl. zur Vorgängerregelung des § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 BAG 3. April 1986 - 2 AZR 258/85 - zu II 1 der Gründe, AP SchwbG § 18 Nr. 9 = EzA SchwbG § 18 Nr. 7).

16

c) Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 91 Abs. 5 SGB IX „ohne schuldhaftes Zögern“(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3). Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; RG 22. Februar 1929 - II 357/28 - RGZ 124, 115, 118). Da „unverzüglich“ weder „sofort“ bedeutet noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden ist, kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - zu II 3 b cc (1) der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; BGH 26. Januar 1962 - V ZR 168/60 - WM 1962, 511).Dabei ist nicht allein die objektive Lage maßgebend. Solange derjenige, dem unverzügliches Handeln abverlangt wird, nicht weiß, dass er die betreffende Rechtshandlung vornehmen muss, oder es mit vertretbaren Gründen annehmen kann, er müsse sie noch nicht vornehmen, liegt kein „schuldhaftes” Zögern vor (BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - aaO;   21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B I 2 e aa der Gründe, BAGE 114, 264; BSG 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - zu 2 der Gründe, BSGE 95, 8).

17

d) Die Kündigung ist im Sinne von § 91 Abs. 5 SGB IX „erklärt“, wenn sie dem schwerbehinderten Menschen gemäß § 130 BGB zugegangen ist(vgl. zur Vorgängerregelung des § 18 Abs. 6 SchwbG BAG 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 34, 20).

18

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze steht noch nicht fest, ob die Beklagte die Kündigung vom 2. Juli 2009 unverzüglich iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt hat.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, für die Beurteilung der „Unverzüglichkeit“ sei im Streitfall auf den Eintritt der Zustimmungsfiktion gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX am 23. Juni 2009 abzustellen. Das Integrationsamt habe innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang keine Entscheidung getroffen. Die Beklagte habe die Kündigung nicht ohne schuldhaftes Zögern erklärt, weil sie schon in dem von ihr behaupteten Telefongespräch mit dem Integrationsamt am 22. oder 23. Juni 2009 habe nachfragen müssen, welche Entscheidung dort getroffen worden sei. Sie habe zumindest deshalb schuldhaft gezögert, weil sie es trotz der Information seitens des Integrationsamts, eine Entscheidung sei unterwegs, nicht für notwendig erachtet habe, nach Ablauf der normalen Postzeit, also spätestens am 26. Juni 2009, nach dem Verbleib der Entscheidung zu fragen.

20

b) Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Trifft die Behauptung der Beklagten zu, sie habe vom Integrationsamt bei ihrer telefonischen Nachfrage am 22. oder 23. Juni 2009 die Auskunft erhalten, eine Entscheidung sei auf dem Postweg, dann durfte sie den Zugang dieser Entscheidung abwarten, bevor sie die Kündigung erklärte. Dies gilt jedenfalls solange, wie sie keinen Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erteilten Auskunft haben musste. Das Ausbleiben der angekündigten Postsendung musste die Beklagte nicht schon vor deren tatsächlichem Zugang am 1. Juli 2009 zu weiteren Nachfragen anhalten.

21

aa) Hat die Beklagte am 22. oder 23. Juni 2009 die von ihr behauptete Auskunft vom Integrationsamt erhalten, durfte sie darauf vertrauen, dass keine Zustimmung fingiert würde und sie die Kündigung daher nicht unverzüglich nach Ablauf der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX würde aussprechen müssen. Hat nämlich das Integrationsamt innerhalb der zwei Wochen gem. § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX entschieden und die Entscheidung noch vor Ablauf der Frist zur Post gegeben, tritt eine Zustimmungsfiktion nicht ein(vgl. zu § 21 SchwbG 1986 für den Fall einer ablehnenden Entscheidung BAG 9. Februar 1994 - 2 AZR 720/93 - zu II 3 der Gründe, BAGE 75, 358; zu § 18 SchwbG 1979 vgl. BAG 16. März 1983 - 7 AZR 96/81 - zu II 3 der Gründe, BAGE 44, 22).

22

bb) Nach dem von der Beklagten behaupteten Inhalt der Mitteilung des Integrationsamts blieb offen, ob eine zustimmende oder eine ablehnende Entscheidung getroffen worden war. Unter diesen Umständen hat die Beklagte nicht deshalb vorwerfbar gezögert, weil sie den Zugang des angekündigten Bescheids abgewartet hat, bevor sie die Kündigung erklärte. Der Arbeitgeber muss nicht riskieren, eine Kündigung ohne die erforderliche Zustimmung des Integrationsamts auszusprechen, wenn er zwar weiß oder annehmen darf, dass das Integrationsamt vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, aber nicht weiß, wie die Entscheidung ausgefallen ist.

23

cc) Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen durfte sich die Beklagte mit dem Hinweis, eine Entscheidung sei auf dem Postweg, zunächst zufrieden geben. Zwar besteht eine Obliegenheit des Arbeitgebers, sich beim Integrationsamt zu erkundigen, ob es innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, weil anderenfalls die Zustimmung fingiert wird(vgl. BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - zu II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 34, 20; HK-SGB IX/Trenk-Hinterberger 3. Aufl. § 91 Rn. 40). Dem Arbeitgeber ist es aber nicht zuzumuten, darauf zu dringen, ggf. auch über den Inhalt der getroffenen Entscheidung schon vorab in Kenntnis gesetzt zu werden. Zu einer solchen Auskunft ist das Integrationsamt nicht verpflichtet. Die Bekanntgabe der Entscheidung hat vielmehr durch Zustellung zu erfolgen (§ 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX). Teilt das Integrationsamt lediglich mit, dass es innerhalb der Frist eine Entscheidung getroffen habe, darf der Arbeitgeber die Zustellung des entsprechenden Bescheids eine - nicht gänzlich ungewöhnliche - Zeit lang abwarten.

24

dd) Ihr Vorbringen über die ihr erteilte Auskunft als wahr unterstellt, musste die Beklagte nicht unmittelbar nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX noch einmal beim Integrationsamt nachfragen, ob tatsächlich keine Zustimmungsfiktion eingetreten sei. Dies wäre allenfalls dann anders zu beurteilen, wenn sie an der Richtigkeit der Auskunft Zweifel hätte haben müssen. Dafür ist nach den bisherigen Feststellungen nichts ersichtlich.

25

ee) Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen musste sich die Beklagte auch nicht spätestens am 26. Juni 2009 nach dem Verbleib des angekündigten Bescheids erkundigen. Es sind keine Umstände festgestellt, aufgrund derer ihr Zuwarten über eine „normale“ Postlaufzeit hinaus als schuldhaftes Zögern anzusehen wäre. Gem. § 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX ist die Entscheidung des Integrationsamts förmlich zuzustellen. Das kann zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen.

26

ff) Aus den einschlägigen Bestimmungen über die Bekanntgabe/Zustellung des Bescheids ergeben sich keine weitergehenden Sorgfaltsanforderungen. Zwar gilt gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Zum einen gilt dies aber gem. § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X dann nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Zum anderen bleiben die Vorschriften über eine Bekanntgabe des Verwaltungsakts mittels Zustellung nach § 37 Abs. 5 SGB X von den Regelungen des § 37 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB X unberührt. Nach § 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX hat das Integrationsamt seine Entscheidung dem Arbeitgeber und dem schwerbehinderten Menschen zuzustellen. Für die Zustellung gelten gem. § 65 Abs. 2 SGB X die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften über das Zustellungsverfahren. Diese sehen zwar für die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben eine Zustellungsfiktion am dritten Tag nach Aufgabe zur Post vor (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ThüVwZG). Die Fiktion tritt aber dann nicht ein, wenn das Schriftstück nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zugeht (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ThüVwZG). Für die Zustellung durch die Post mittels Zustellungsurkunde gilt gar keine Fiktionsregelung (§ 3 ThüVwZG).

27

II. Das Landesarbeitsgericht wird demnach bei der neuen Verhandlung und Entscheidung Feststellungen über den Inhalt der der Beklagten vom Integrationsamt am 22. oder 23. Juni 2009 erteilten Auskunft zu treffen und - sollte dieser dem Vortrag der Beklagten entsprechen - weiter zu prüfen haben, ob für die außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bestand. Sollte sich die Richtigkeit des Vorbringens der Beklagten nicht erweisen, wird das Landesarbeitsgericht im Licht der festgestellten Tatsachen erneut zu beurteilen haben, ob die Beklagte die außerordentliche Kündigung „unverzüglich“ erklärt hat.

28

III. Von der Aufhebung und Zurückverweisung ist auch die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung umfasst, soweit sie von ihr mit der Berufung angegriffen worden ist. Insoweit hängt der Anspruch des Klägers von der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 2. Juli 2009 ab.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey    

        

    Grimberg    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 467/09 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt ein Groß- und Einzelhandelsunternehmen. Der Kläger war bei ihr seit Oktober 1995 als Lagerist in der Niederlassung E beschäftigt. Er ist mit einem Grad von 50 schwerbehindert. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 1.539,00 Euro.

3

Eine im Auftrag der Beklagten tätige Detektei stellte am 6. und 8. Juni 2009 fest, dass der Kläger Ware ohne Kauf- und Auslieferungsunterlagen in Fahrzeuge Dritter lud.

4

Mit Schreiben vom 8. Juni 2009 beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Der Antrag ging am 9. Juni 2009 beim Integrationsamt ein.

5

Am 22. oder 23. Juni 2009 fragte die Beklagte beim Integrationsamt telefonisch nach einer Bescheidung des Antrags. Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 teilte ihr das Integrationsamt mit, dass es eine Entscheidung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX nicht getroffen habe und deshalb die Zustimmung als erteilt gelte. Das Schreiben wurde ausweislich des Poststempels am 30. Juni 2009 aufgegeben. Die Niederlassungsleiterin der Beklagten nahm es am 1. Juli 2009 zur Kenntnis.

6

Mit Schreiben vom 2. Juli 2009, welches dem Kläger einen Tag später zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Termin.

7

Gegen die außerordentliche Kündigung hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat außerdem Lohnansprüche für die Zeit von Mai bis einschließlich Juli 2009 geltend gemacht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Im Übrigen habe die Beklagte die Kündigung nicht unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ausgesprochen.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung seitens der Beklagten vom 2. Juli 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.617,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jeweils seit Rechtshängigkeit bestimmter Teilbeträge zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe die fristlose Kündigung „unverzüglich“ iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX ausgesprochen. Die Beklagte hat behauptet, das Integrationsamt habe ihr auf ihre Nachfrage am 22. oder 23. Juni 2009 mitgeteilt, eine Entscheidung befinde sich auf dem Postweg. Sie hat gemeint, die Kündigung sei wegen Diebstahls gerechtfertigt. Zahlungsansprüche bestünden nicht.

10

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten, die diese auf die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag und ihre Verurteilung zur Zahlung von mehr als 3.648,09 Euro beschränkt hat, zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage im noch rechtshängigen Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die außerordentliche Kündigung vom 2. Juli 2009 sei unwirksam, weil die Beklagte sie nicht unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt habe. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

12

I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, die Beklagte habe die außerordentliche Kündigung vom 2. Juli 2009 nicht unverzüglich iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt.

13

1. Für den Fall, dass bei fristgerechter Antragstellung die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts bereits abgelaufen ist, verlangt § 91 Abs. 5 SGB IX den unverzüglichen Ausspruch der Kündigung(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - Rn. 26, AP SGB IX § 91 Nr. 5 = EzA SGB IX § 91 Nr. 2).

14

a) Damit ist klargestellt, dass nach erteilter Zustimmung keine neue Ausschlussfrist iSv. § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 5 = EzA SGB IX § 91 Nr. 2). § 91 Abs. 5 SGB IX trägt ferner dem Umstand Rechnung, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf dieser Frist die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B I 1 b der Gründe, BAGE 114, 264; 15. November 2001 - 2 AZR 380/00 - zu B II 1 b cc der Gründe, BAGE 99, 358).

15

b) Erteilt iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ist die Zustimmung, sobald eine solche Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX getroffen und der antragstellende Arbeitgeber hierüber in Kenntnis gesetzt oder wenn eine Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nicht getroffen worden ist; in diesem Fall gilt die Zustimmung mit Ablauf der Frist gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt(vgl. zur Vorgängerregelung des § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 BAG 3. April 1986 - 2 AZR 258/85 - zu II 1 der Gründe, AP SchwbG § 18 Nr. 9 = EzA SchwbG § 18 Nr. 7).

16

c) Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 91 Abs. 5 SGB IX „ohne schuldhaftes Zögern“(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3). Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; RG 22. Februar 1929 - II 357/28 - RGZ 124, 115, 118). Da „unverzüglich“ weder „sofort“ bedeutet noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden ist, kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - zu II 3 b cc (1) der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; BGH 26. Januar 1962 - V ZR 168/60 - WM 1962, 511).Dabei ist nicht allein die objektive Lage maßgebend. Solange derjenige, dem unverzügliches Handeln abverlangt wird, nicht weiß, dass er die betreffende Rechtshandlung vornehmen muss, oder es mit vertretbaren Gründen annehmen kann, er müsse sie noch nicht vornehmen, liegt kein „schuldhaftes” Zögern vor (BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - aaO;   21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B I 2 e aa der Gründe, BAGE 114, 264; BSG 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - zu 2 der Gründe, BSGE 95, 8).

17

d) Die Kündigung ist im Sinne von § 91 Abs. 5 SGB IX „erklärt“, wenn sie dem schwerbehinderten Menschen gemäß § 130 BGB zugegangen ist(vgl. zur Vorgängerregelung des § 18 Abs. 6 SchwbG BAG 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 34, 20).

18

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze steht noch nicht fest, ob die Beklagte die Kündigung vom 2. Juli 2009 unverzüglich iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt hat.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, für die Beurteilung der „Unverzüglichkeit“ sei im Streitfall auf den Eintritt der Zustimmungsfiktion gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX am 23. Juni 2009 abzustellen. Das Integrationsamt habe innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang keine Entscheidung getroffen. Die Beklagte habe die Kündigung nicht ohne schuldhaftes Zögern erklärt, weil sie schon in dem von ihr behaupteten Telefongespräch mit dem Integrationsamt am 22. oder 23. Juni 2009 habe nachfragen müssen, welche Entscheidung dort getroffen worden sei. Sie habe zumindest deshalb schuldhaft gezögert, weil sie es trotz der Information seitens des Integrationsamts, eine Entscheidung sei unterwegs, nicht für notwendig erachtet habe, nach Ablauf der normalen Postzeit, also spätestens am 26. Juni 2009, nach dem Verbleib der Entscheidung zu fragen.

20

b) Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Trifft die Behauptung der Beklagten zu, sie habe vom Integrationsamt bei ihrer telefonischen Nachfrage am 22. oder 23. Juni 2009 die Auskunft erhalten, eine Entscheidung sei auf dem Postweg, dann durfte sie den Zugang dieser Entscheidung abwarten, bevor sie die Kündigung erklärte. Dies gilt jedenfalls solange, wie sie keinen Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erteilten Auskunft haben musste. Das Ausbleiben der angekündigten Postsendung musste die Beklagte nicht schon vor deren tatsächlichem Zugang am 1. Juli 2009 zu weiteren Nachfragen anhalten.

21

aa) Hat die Beklagte am 22. oder 23. Juni 2009 die von ihr behauptete Auskunft vom Integrationsamt erhalten, durfte sie darauf vertrauen, dass keine Zustimmung fingiert würde und sie die Kündigung daher nicht unverzüglich nach Ablauf der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX würde aussprechen müssen. Hat nämlich das Integrationsamt innerhalb der zwei Wochen gem. § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX entschieden und die Entscheidung noch vor Ablauf der Frist zur Post gegeben, tritt eine Zustimmungsfiktion nicht ein(vgl. zu § 21 SchwbG 1986 für den Fall einer ablehnenden Entscheidung BAG 9. Februar 1994 - 2 AZR 720/93 - zu II 3 der Gründe, BAGE 75, 358; zu § 18 SchwbG 1979 vgl. BAG 16. März 1983 - 7 AZR 96/81 - zu II 3 der Gründe, BAGE 44, 22).

22

bb) Nach dem von der Beklagten behaupteten Inhalt der Mitteilung des Integrationsamts blieb offen, ob eine zustimmende oder eine ablehnende Entscheidung getroffen worden war. Unter diesen Umständen hat die Beklagte nicht deshalb vorwerfbar gezögert, weil sie den Zugang des angekündigten Bescheids abgewartet hat, bevor sie die Kündigung erklärte. Der Arbeitgeber muss nicht riskieren, eine Kündigung ohne die erforderliche Zustimmung des Integrationsamts auszusprechen, wenn er zwar weiß oder annehmen darf, dass das Integrationsamt vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, aber nicht weiß, wie die Entscheidung ausgefallen ist.

23

cc) Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen durfte sich die Beklagte mit dem Hinweis, eine Entscheidung sei auf dem Postweg, zunächst zufrieden geben. Zwar besteht eine Obliegenheit des Arbeitgebers, sich beim Integrationsamt zu erkundigen, ob es innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, weil anderenfalls die Zustimmung fingiert wird(vgl. BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - zu II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 34, 20; HK-SGB IX/Trenk-Hinterberger 3. Aufl. § 91 Rn. 40). Dem Arbeitgeber ist es aber nicht zuzumuten, darauf zu dringen, ggf. auch über den Inhalt der getroffenen Entscheidung schon vorab in Kenntnis gesetzt zu werden. Zu einer solchen Auskunft ist das Integrationsamt nicht verpflichtet. Die Bekanntgabe der Entscheidung hat vielmehr durch Zustellung zu erfolgen (§ 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX). Teilt das Integrationsamt lediglich mit, dass es innerhalb der Frist eine Entscheidung getroffen habe, darf der Arbeitgeber die Zustellung des entsprechenden Bescheids eine - nicht gänzlich ungewöhnliche - Zeit lang abwarten.

24

dd) Ihr Vorbringen über die ihr erteilte Auskunft als wahr unterstellt, musste die Beklagte nicht unmittelbar nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX noch einmal beim Integrationsamt nachfragen, ob tatsächlich keine Zustimmungsfiktion eingetreten sei. Dies wäre allenfalls dann anders zu beurteilen, wenn sie an der Richtigkeit der Auskunft Zweifel hätte haben müssen. Dafür ist nach den bisherigen Feststellungen nichts ersichtlich.

25

ee) Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen musste sich die Beklagte auch nicht spätestens am 26. Juni 2009 nach dem Verbleib des angekündigten Bescheids erkundigen. Es sind keine Umstände festgestellt, aufgrund derer ihr Zuwarten über eine „normale“ Postlaufzeit hinaus als schuldhaftes Zögern anzusehen wäre. Gem. § 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX ist die Entscheidung des Integrationsamts förmlich zuzustellen. Das kann zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen.

26

ff) Aus den einschlägigen Bestimmungen über die Bekanntgabe/Zustellung des Bescheids ergeben sich keine weitergehenden Sorgfaltsanforderungen. Zwar gilt gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Zum einen gilt dies aber gem. § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X dann nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Zum anderen bleiben die Vorschriften über eine Bekanntgabe des Verwaltungsakts mittels Zustellung nach § 37 Abs. 5 SGB X von den Regelungen des § 37 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB X unberührt. Nach § 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX hat das Integrationsamt seine Entscheidung dem Arbeitgeber und dem schwerbehinderten Menschen zuzustellen. Für die Zustellung gelten gem. § 65 Abs. 2 SGB X die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften über das Zustellungsverfahren. Diese sehen zwar für die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben eine Zustellungsfiktion am dritten Tag nach Aufgabe zur Post vor (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ThüVwZG). Die Fiktion tritt aber dann nicht ein, wenn das Schriftstück nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zugeht (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ThüVwZG). Für die Zustellung durch die Post mittels Zustellungsurkunde gilt gar keine Fiktionsregelung (§ 3 ThüVwZG).

27

II. Das Landesarbeitsgericht wird demnach bei der neuen Verhandlung und Entscheidung Feststellungen über den Inhalt der der Beklagten vom Integrationsamt am 22. oder 23. Juni 2009 erteilten Auskunft zu treffen und - sollte dieser dem Vortrag der Beklagten entsprechen - weiter zu prüfen haben, ob für die außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bestand. Sollte sich die Richtigkeit des Vorbringens der Beklagten nicht erweisen, wird das Landesarbeitsgericht im Licht der festgestellten Tatsachen erneut zu beurteilen haben, ob die Beklagte die außerordentliche Kündigung „unverzüglich“ erklärt hat.

28

III. Von der Aufhebung und Zurückverweisung ist auch die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung umfasst, soweit sie von ihr mit der Berufung angegriffen worden ist. Insoweit hängt der Anspruch des Klägers von der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 2. Juli 2009 ab.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey    

        

    Grimberg    

                 

(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 467/09 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt ein Groß- und Einzelhandelsunternehmen. Der Kläger war bei ihr seit Oktober 1995 als Lagerist in der Niederlassung E beschäftigt. Er ist mit einem Grad von 50 schwerbehindert. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 1.539,00 Euro.

3

Eine im Auftrag der Beklagten tätige Detektei stellte am 6. und 8. Juni 2009 fest, dass der Kläger Ware ohne Kauf- und Auslieferungsunterlagen in Fahrzeuge Dritter lud.

4

Mit Schreiben vom 8. Juni 2009 beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Der Antrag ging am 9. Juni 2009 beim Integrationsamt ein.

5

Am 22. oder 23. Juni 2009 fragte die Beklagte beim Integrationsamt telefonisch nach einer Bescheidung des Antrags. Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 teilte ihr das Integrationsamt mit, dass es eine Entscheidung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX nicht getroffen habe und deshalb die Zustimmung als erteilt gelte. Das Schreiben wurde ausweislich des Poststempels am 30. Juni 2009 aufgegeben. Die Niederlassungsleiterin der Beklagten nahm es am 1. Juli 2009 zur Kenntnis.

6

Mit Schreiben vom 2. Juli 2009, welches dem Kläger einen Tag später zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Termin.

7

Gegen die außerordentliche Kündigung hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat außerdem Lohnansprüche für die Zeit von Mai bis einschließlich Juli 2009 geltend gemacht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Im Übrigen habe die Beklagte die Kündigung nicht unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ausgesprochen.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung seitens der Beklagten vom 2. Juli 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.617,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jeweils seit Rechtshängigkeit bestimmter Teilbeträge zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe die fristlose Kündigung „unverzüglich“ iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX ausgesprochen. Die Beklagte hat behauptet, das Integrationsamt habe ihr auf ihre Nachfrage am 22. oder 23. Juni 2009 mitgeteilt, eine Entscheidung befinde sich auf dem Postweg. Sie hat gemeint, die Kündigung sei wegen Diebstahls gerechtfertigt. Zahlungsansprüche bestünden nicht.

10

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten, die diese auf die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag und ihre Verurteilung zur Zahlung von mehr als 3.648,09 Euro beschränkt hat, zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage im noch rechtshängigen Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die außerordentliche Kündigung vom 2. Juli 2009 sei unwirksam, weil die Beklagte sie nicht unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt habe. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

12

I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, die Beklagte habe die außerordentliche Kündigung vom 2. Juli 2009 nicht unverzüglich iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt.

13

1. Für den Fall, dass bei fristgerechter Antragstellung die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts bereits abgelaufen ist, verlangt § 91 Abs. 5 SGB IX den unverzüglichen Ausspruch der Kündigung(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - Rn. 26, AP SGB IX § 91 Nr. 5 = EzA SGB IX § 91 Nr. 2).

14

a) Damit ist klargestellt, dass nach erteilter Zustimmung keine neue Ausschlussfrist iSv. § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 5 = EzA SGB IX § 91 Nr. 2). § 91 Abs. 5 SGB IX trägt ferner dem Umstand Rechnung, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf dieser Frist die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B I 1 b der Gründe, BAGE 114, 264; 15. November 2001 - 2 AZR 380/00 - zu B II 1 b cc der Gründe, BAGE 99, 358).

15

b) Erteilt iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ist die Zustimmung, sobald eine solche Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX getroffen und der antragstellende Arbeitgeber hierüber in Kenntnis gesetzt oder wenn eine Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nicht getroffen worden ist; in diesem Fall gilt die Zustimmung mit Ablauf der Frist gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt(vgl. zur Vorgängerregelung des § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 BAG 3. April 1986 - 2 AZR 258/85 - zu II 1 der Gründe, AP SchwbG § 18 Nr. 9 = EzA SchwbG § 18 Nr. 7).

16

c) Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 91 Abs. 5 SGB IX „ohne schuldhaftes Zögern“(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3). Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; RG 22. Februar 1929 - II 357/28 - RGZ 124, 115, 118). Da „unverzüglich“ weder „sofort“ bedeutet noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden ist, kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - zu II 3 b cc (1) der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; BGH 26. Januar 1962 - V ZR 168/60 - WM 1962, 511).Dabei ist nicht allein die objektive Lage maßgebend. Solange derjenige, dem unverzügliches Handeln abverlangt wird, nicht weiß, dass er die betreffende Rechtshandlung vornehmen muss, oder es mit vertretbaren Gründen annehmen kann, er müsse sie noch nicht vornehmen, liegt kein „schuldhaftes” Zögern vor (BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - aaO;   21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B I 2 e aa der Gründe, BAGE 114, 264; BSG 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - zu 2 der Gründe, BSGE 95, 8).

17

d) Die Kündigung ist im Sinne von § 91 Abs. 5 SGB IX „erklärt“, wenn sie dem schwerbehinderten Menschen gemäß § 130 BGB zugegangen ist(vgl. zur Vorgängerregelung des § 18 Abs. 6 SchwbG BAG 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 34, 20).

18

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze steht noch nicht fest, ob die Beklagte die Kündigung vom 2. Juli 2009 unverzüglich iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt hat.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, für die Beurteilung der „Unverzüglichkeit“ sei im Streitfall auf den Eintritt der Zustimmungsfiktion gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX am 23. Juni 2009 abzustellen. Das Integrationsamt habe innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang keine Entscheidung getroffen. Die Beklagte habe die Kündigung nicht ohne schuldhaftes Zögern erklärt, weil sie schon in dem von ihr behaupteten Telefongespräch mit dem Integrationsamt am 22. oder 23. Juni 2009 habe nachfragen müssen, welche Entscheidung dort getroffen worden sei. Sie habe zumindest deshalb schuldhaft gezögert, weil sie es trotz der Information seitens des Integrationsamts, eine Entscheidung sei unterwegs, nicht für notwendig erachtet habe, nach Ablauf der normalen Postzeit, also spätestens am 26. Juni 2009, nach dem Verbleib der Entscheidung zu fragen.

20

b) Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Trifft die Behauptung der Beklagten zu, sie habe vom Integrationsamt bei ihrer telefonischen Nachfrage am 22. oder 23. Juni 2009 die Auskunft erhalten, eine Entscheidung sei auf dem Postweg, dann durfte sie den Zugang dieser Entscheidung abwarten, bevor sie die Kündigung erklärte. Dies gilt jedenfalls solange, wie sie keinen Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erteilten Auskunft haben musste. Das Ausbleiben der angekündigten Postsendung musste die Beklagte nicht schon vor deren tatsächlichem Zugang am 1. Juli 2009 zu weiteren Nachfragen anhalten.

21

aa) Hat die Beklagte am 22. oder 23. Juni 2009 die von ihr behauptete Auskunft vom Integrationsamt erhalten, durfte sie darauf vertrauen, dass keine Zustimmung fingiert würde und sie die Kündigung daher nicht unverzüglich nach Ablauf der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX würde aussprechen müssen. Hat nämlich das Integrationsamt innerhalb der zwei Wochen gem. § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX entschieden und die Entscheidung noch vor Ablauf der Frist zur Post gegeben, tritt eine Zustimmungsfiktion nicht ein(vgl. zu § 21 SchwbG 1986 für den Fall einer ablehnenden Entscheidung BAG 9. Februar 1994 - 2 AZR 720/93 - zu II 3 der Gründe, BAGE 75, 358; zu § 18 SchwbG 1979 vgl. BAG 16. März 1983 - 7 AZR 96/81 - zu II 3 der Gründe, BAGE 44, 22).

22

bb) Nach dem von der Beklagten behaupteten Inhalt der Mitteilung des Integrationsamts blieb offen, ob eine zustimmende oder eine ablehnende Entscheidung getroffen worden war. Unter diesen Umständen hat die Beklagte nicht deshalb vorwerfbar gezögert, weil sie den Zugang des angekündigten Bescheids abgewartet hat, bevor sie die Kündigung erklärte. Der Arbeitgeber muss nicht riskieren, eine Kündigung ohne die erforderliche Zustimmung des Integrationsamts auszusprechen, wenn er zwar weiß oder annehmen darf, dass das Integrationsamt vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, aber nicht weiß, wie die Entscheidung ausgefallen ist.

23

cc) Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen durfte sich die Beklagte mit dem Hinweis, eine Entscheidung sei auf dem Postweg, zunächst zufrieden geben. Zwar besteht eine Obliegenheit des Arbeitgebers, sich beim Integrationsamt zu erkundigen, ob es innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, weil anderenfalls die Zustimmung fingiert wird(vgl. BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - zu II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 34, 20; HK-SGB IX/Trenk-Hinterberger 3. Aufl. § 91 Rn. 40). Dem Arbeitgeber ist es aber nicht zuzumuten, darauf zu dringen, ggf. auch über den Inhalt der getroffenen Entscheidung schon vorab in Kenntnis gesetzt zu werden. Zu einer solchen Auskunft ist das Integrationsamt nicht verpflichtet. Die Bekanntgabe der Entscheidung hat vielmehr durch Zustellung zu erfolgen (§ 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX). Teilt das Integrationsamt lediglich mit, dass es innerhalb der Frist eine Entscheidung getroffen habe, darf der Arbeitgeber die Zustellung des entsprechenden Bescheids eine - nicht gänzlich ungewöhnliche - Zeit lang abwarten.

24

dd) Ihr Vorbringen über die ihr erteilte Auskunft als wahr unterstellt, musste die Beklagte nicht unmittelbar nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX noch einmal beim Integrationsamt nachfragen, ob tatsächlich keine Zustimmungsfiktion eingetreten sei. Dies wäre allenfalls dann anders zu beurteilen, wenn sie an der Richtigkeit der Auskunft Zweifel hätte haben müssen. Dafür ist nach den bisherigen Feststellungen nichts ersichtlich.

25

ee) Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen musste sich die Beklagte auch nicht spätestens am 26. Juni 2009 nach dem Verbleib des angekündigten Bescheids erkundigen. Es sind keine Umstände festgestellt, aufgrund derer ihr Zuwarten über eine „normale“ Postlaufzeit hinaus als schuldhaftes Zögern anzusehen wäre. Gem. § 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX ist die Entscheidung des Integrationsamts förmlich zuzustellen. Das kann zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen.

26

ff) Aus den einschlägigen Bestimmungen über die Bekanntgabe/Zustellung des Bescheids ergeben sich keine weitergehenden Sorgfaltsanforderungen. Zwar gilt gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Zum einen gilt dies aber gem. § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X dann nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Zum anderen bleiben die Vorschriften über eine Bekanntgabe des Verwaltungsakts mittels Zustellung nach § 37 Abs. 5 SGB X von den Regelungen des § 37 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB X unberührt. Nach § 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX hat das Integrationsamt seine Entscheidung dem Arbeitgeber und dem schwerbehinderten Menschen zuzustellen. Für die Zustellung gelten gem. § 65 Abs. 2 SGB X die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften über das Zustellungsverfahren. Diese sehen zwar für die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben eine Zustellungsfiktion am dritten Tag nach Aufgabe zur Post vor (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ThüVwZG). Die Fiktion tritt aber dann nicht ein, wenn das Schriftstück nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zugeht (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ThüVwZG). Für die Zustellung durch die Post mittels Zustellungsurkunde gilt gar keine Fiktionsregelung (§ 3 ThüVwZG).

27

II. Das Landesarbeitsgericht wird demnach bei der neuen Verhandlung und Entscheidung Feststellungen über den Inhalt der der Beklagten vom Integrationsamt am 22. oder 23. Juni 2009 erteilten Auskunft zu treffen und - sollte dieser dem Vortrag der Beklagten entsprechen - weiter zu prüfen haben, ob für die außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bestand. Sollte sich die Richtigkeit des Vorbringens der Beklagten nicht erweisen, wird das Landesarbeitsgericht im Licht der festgestellten Tatsachen erneut zu beurteilen haben, ob die Beklagte die außerordentliche Kündigung „unverzüglich“ erklärt hat.

28

III. Von der Aufhebung und Zurückverweisung ist auch die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung umfasst, soweit sie von ihr mit der Berufung angegriffen worden ist. Insoweit hängt der Anspruch des Klägers von der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 2. Juli 2009 ab.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey    

        

    Grimberg    

                 

(1) Die Anfechtung muss in den Fällen der §§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung gilt als rechtzeitig erfolgt, wenn die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet worden ist.

(2) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.

(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

(1) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.

(2) Auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ist es ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird.

(3) Diese Vorschriften finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 467/09 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt ein Groß- und Einzelhandelsunternehmen. Der Kläger war bei ihr seit Oktober 1995 als Lagerist in der Niederlassung E beschäftigt. Er ist mit einem Grad von 50 schwerbehindert. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 1.539,00 Euro.

3

Eine im Auftrag der Beklagten tätige Detektei stellte am 6. und 8. Juni 2009 fest, dass der Kläger Ware ohne Kauf- und Auslieferungsunterlagen in Fahrzeuge Dritter lud.

4

Mit Schreiben vom 8. Juni 2009 beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Der Antrag ging am 9. Juni 2009 beim Integrationsamt ein.

5

Am 22. oder 23. Juni 2009 fragte die Beklagte beim Integrationsamt telefonisch nach einer Bescheidung des Antrags. Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 teilte ihr das Integrationsamt mit, dass es eine Entscheidung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX nicht getroffen habe und deshalb die Zustimmung als erteilt gelte. Das Schreiben wurde ausweislich des Poststempels am 30. Juni 2009 aufgegeben. Die Niederlassungsleiterin der Beklagten nahm es am 1. Juli 2009 zur Kenntnis.

6

Mit Schreiben vom 2. Juli 2009, welches dem Kläger einen Tag später zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Termin.

7

Gegen die außerordentliche Kündigung hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat außerdem Lohnansprüche für die Zeit von Mai bis einschließlich Juli 2009 geltend gemacht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Im Übrigen habe die Beklagte die Kündigung nicht unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ausgesprochen.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung seitens der Beklagten vom 2. Juli 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.617,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jeweils seit Rechtshängigkeit bestimmter Teilbeträge zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe die fristlose Kündigung „unverzüglich“ iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX ausgesprochen. Die Beklagte hat behauptet, das Integrationsamt habe ihr auf ihre Nachfrage am 22. oder 23. Juni 2009 mitgeteilt, eine Entscheidung befinde sich auf dem Postweg. Sie hat gemeint, die Kündigung sei wegen Diebstahls gerechtfertigt. Zahlungsansprüche bestünden nicht.

10

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten, die diese auf die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag und ihre Verurteilung zur Zahlung von mehr als 3.648,09 Euro beschränkt hat, zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage im noch rechtshängigen Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die außerordentliche Kündigung vom 2. Juli 2009 sei unwirksam, weil die Beklagte sie nicht unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt habe. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

12

I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, die Beklagte habe die außerordentliche Kündigung vom 2. Juli 2009 nicht unverzüglich iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt.

13

1. Für den Fall, dass bei fristgerechter Antragstellung die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts bereits abgelaufen ist, verlangt § 91 Abs. 5 SGB IX den unverzüglichen Ausspruch der Kündigung(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - Rn. 26, AP SGB IX § 91 Nr. 5 = EzA SGB IX § 91 Nr. 2).

14

a) Damit ist klargestellt, dass nach erteilter Zustimmung keine neue Ausschlussfrist iSv. § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 5 = EzA SGB IX § 91 Nr. 2). § 91 Abs. 5 SGB IX trägt ferner dem Umstand Rechnung, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf dieser Frist die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B I 1 b der Gründe, BAGE 114, 264; 15. November 2001 - 2 AZR 380/00 - zu B II 1 b cc der Gründe, BAGE 99, 358).

15

b) Erteilt iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ist die Zustimmung, sobald eine solche Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX getroffen und der antragstellende Arbeitgeber hierüber in Kenntnis gesetzt oder wenn eine Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nicht getroffen worden ist; in diesem Fall gilt die Zustimmung mit Ablauf der Frist gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt(vgl. zur Vorgängerregelung des § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 BAG 3. April 1986 - 2 AZR 258/85 - zu II 1 der Gründe, AP SchwbG § 18 Nr. 9 = EzA SchwbG § 18 Nr. 7).

16

c) Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 91 Abs. 5 SGB IX „ohne schuldhaftes Zögern“(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3). Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; RG 22. Februar 1929 - II 357/28 - RGZ 124, 115, 118). Da „unverzüglich“ weder „sofort“ bedeutet noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden ist, kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - zu II 3 b cc (1) der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; BGH 26. Januar 1962 - V ZR 168/60 - WM 1962, 511).Dabei ist nicht allein die objektive Lage maßgebend. Solange derjenige, dem unverzügliches Handeln abverlangt wird, nicht weiß, dass er die betreffende Rechtshandlung vornehmen muss, oder es mit vertretbaren Gründen annehmen kann, er müsse sie noch nicht vornehmen, liegt kein „schuldhaftes” Zögern vor (BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - aaO;   21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B I 2 e aa der Gründe, BAGE 114, 264; BSG 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - zu 2 der Gründe, BSGE 95, 8).

17

d) Die Kündigung ist im Sinne von § 91 Abs. 5 SGB IX „erklärt“, wenn sie dem schwerbehinderten Menschen gemäß § 130 BGB zugegangen ist(vgl. zur Vorgängerregelung des § 18 Abs. 6 SchwbG BAG 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 34, 20).

18

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze steht noch nicht fest, ob die Beklagte die Kündigung vom 2. Juli 2009 unverzüglich iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt hat.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, für die Beurteilung der „Unverzüglichkeit“ sei im Streitfall auf den Eintritt der Zustimmungsfiktion gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX am 23. Juni 2009 abzustellen. Das Integrationsamt habe innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang keine Entscheidung getroffen. Die Beklagte habe die Kündigung nicht ohne schuldhaftes Zögern erklärt, weil sie schon in dem von ihr behaupteten Telefongespräch mit dem Integrationsamt am 22. oder 23. Juni 2009 habe nachfragen müssen, welche Entscheidung dort getroffen worden sei. Sie habe zumindest deshalb schuldhaft gezögert, weil sie es trotz der Information seitens des Integrationsamts, eine Entscheidung sei unterwegs, nicht für notwendig erachtet habe, nach Ablauf der normalen Postzeit, also spätestens am 26. Juni 2009, nach dem Verbleib der Entscheidung zu fragen.

20

b) Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Trifft die Behauptung der Beklagten zu, sie habe vom Integrationsamt bei ihrer telefonischen Nachfrage am 22. oder 23. Juni 2009 die Auskunft erhalten, eine Entscheidung sei auf dem Postweg, dann durfte sie den Zugang dieser Entscheidung abwarten, bevor sie die Kündigung erklärte. Dies gilt jedenfalls solange, wie sie keinen Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erteilten Auskunft haben musste. Das Ausbleiben der angekündigten Postsendung musste die Beklagte nicht schon vor deren tatsächlichem Zugang am 1. Juli 2009 zu weiteren Nachfragen anhalten.

21

aa) Hat die Beklagte am 22. oder 23. Juni 2009 die von ihr behauptete Auskunft vom Integrationsamt erhalten, durfte sie darauf vertrauen, dass keine Zustimmung fingiert würde und sie die Kündigung daher nicht unverzüglich nach Ablauf der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX würde aussprechen müssen. Hat nämlich das Integrationsamt innerhalb der zwei Wochen gem. § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX entschieden und die Entscheidung noch vor Ablauf der Frist zur Post gegeben, tritt eine Zustimmungsfiktion nicht ein(vgl. zu § 21 SchwbG 1986 für den Fall einer ablehnenden Entscheidung BAG 9. Februar 1994 - 2 AZR 720/93 - zu II 3 der Gründe, BAGE 75, 358; zu § 18 SchwbG 1979 vgl. BAG 16. März 1983 - 7 AZR 96/81 - zu II 3 der Gründe, BAGE 44, 22).

22

bb) Nach dem von der Beklagten behaupteten Inhalt der Mitteilung des Integrationsamts blieb offen, ob eine zustimmende oder eine ablehnende Entscheidung getroffen worden war. Unter diesen Umständen hat die Beklagte nicht deshalb vorwerfbar gezögert, weil sie den Zugang des angekündigten Bescheids abgewartet hat, bevor sie die Kündigung erklärte. Der Arbeitgeber muss nicht riskieren, eine Kündigung ohne die erforderliche Zustimmung des Integrationsamts auszusprechen, wenn er zwar weiß oder annehmen darf, dass das Integrationsamt vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, aber nicht weiß, wie die Entscheidung ausgefallen ist.

23

cc) Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen durfte sich die Beklagte mit dem Hinweis, eine Entscheidung sei auf dem Postweg, zunächst zufrieden geben. Zwar besteht eine Obliegenheit des Arbeitgebers, sich beim Integrationsamt zu erkundigen, ob es innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, weil anderenfalls die Zustimmung fingiert wird(vgl. BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - zu II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 34, 20; HK-SGB IX/Trenk-Hinterberger 3. Aufl. § 91 Rn. 40). Dem Arbeitgeber ist es aber nicht zuzumuten, darauf zu dringen, ggf. auch über den Inhalt der getroffenen Entscheidung schon vorab in Kenntnis gesetzt zu werden. Zu einer solchen Auskunft ist das Integrationsamt nicht verpflichtet. Die Bekanntgabe der Entscheidung hat vielmehr durch Zustellung zu erfolgen (§ 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX). Teilt das Integrationsamt lediglich mit, dass es innerhalb der Frist eine Entscheidung getroffen habe, darf der Arbeitgeber die Zustellung des entsprechenden Bescheids eine - nicht gänzlich ungewöhnliche - Zeit lang abwarten.

24

dd) Ihr Vorbringen über die ihr erteilte Auskunft als wahr unterstellt, musste die Beklagte nicht unmittelbar nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX noch einmal beim Integrationsamt nachfragen, ob tatsächlich keine Zustimmungsfiktion eingetreten sei. Dies wäre allenfalls dann anders zu beurteilen, wenn sie an der Richtigkeit der Auskunft Zweifel hätte haben müssen. Dafür ist nach den bisherigen Feststellungen nichts ersichtlich.

25

ee) Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen musste sich die Beklagte auch nicht spätestens am 26. Juni 2009 nach dem Verbleib des angekündigten Bescheids erkundigen. Es sind keine Umstände festgestellt, aufgrund derer ihr Zuwarten über eine „normale“ Postlaufzeit hinaus als schuldhaftes Zögern anzusehen wäre. Gem. § 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX ist die Entscheidung des Integrationsamts förmlich zuzustellen. Das kann zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen.

26

ff) Aus den einschlägigen Bestimmungen über die Bekanntgabe/Zustellung des Bescheids ergeben sich keine weitergehenden Sorgfaltsanforderungen. Zwar gilt gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Zum einen gilt dies aber gem. § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X dann nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Zum anderen bleiben die Vorschriften über eine Bekanntgabe des Verwaltungsakts mittels Zustellung nach § 37 Abs. 5 SGB X von den Regelungen des § 37 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB X unberührt. Nach § 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX hat das Integrationsamt seine Entscheidung dem Arbeitgeber und dem schwerbehinderten Menschen zuzustellen. Für die Zustellung gelten gem. § 65 Abs. 2 SGB X die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften über das Zustellungsverfahren. Diese sehen zwar für die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben eine Zustellungsfiktion am dritten Tag nach Aufgabe zur Post vor (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ThüVwZG). Die Fiktion tritt aber dann nicht ein, wenn das Schriftstück nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zugeht (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ThüVwZG). Für die Zustellung durch die Post mittels Zustellungsurkunde gilt gar keine Fiktionsregelung (§ 3 ThüVwZG).

27

II. Das Landesarbeitsgericht wird demnach bei der neuen Verhandlung und Entscheidung Feststellungen über den Inhalt der der Beklagten vom Integrationsamt am 22. oder 23. Juni 2009 erteilten Auskunft zu treffen und - sollte dieser dem Vortrag der Beklagten entsprechen - weiter zu prüfen haben, ob für die außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bestand. Sollte sich die Richtigkeit des Vorbringens der Beklagten nicht erweisen, wird das Landesarbeitsgericht im Licht der festgestellten Tatsachen erneut zu beurteilen haben, ob die Beklagte die außerordentliche Kündigung „unverzüglich“ erklärt hat.

28

III. Von der Aufhebung und Zurückverweisung ist auch die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung umfasst, soweit sie von ihr mit der Berufung angegriffen worden ist. Insoweit hängt der Anspruch des Klägers von der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 2. Juli 2009 ab.

        

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(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

(1) Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.

(2) Zur Wahrnehmung der in diesem Gesetz genannten Aufgaben und Befugnisse der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ist deren Beauftragten nach Unterrichtung des Arbeitgebers oder seines Vertreters Zugang zum Betrieb zu gewähren, soweit dem nicht unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegenstehen.

(3) Die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, werden durch dieses Gesetz nicht berührt.

Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.

(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.

(1) Das Verfahren ist in allen Rechtszügen zu beschleunigen.

(2) Die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über Zustellungs- und Vollstreckungsbeamte, über die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung, über die Gerichtssprache, über die Wahrnehmung richterlicher Geschäfte durch Referendare und über Beratung und Abstimmung gelten in allen Rechtszügen entsprechend. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landesarbeitsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesarbeitsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Arbeitsgerichtsgesetz tritt.

(3) Die Vorschriften über die Wahrnehmung der Geschäfte bei den ordentlichen Gerichten durch Rechtspfleger gelten in allen Rechtszügen entsprechend. Als Rechtspfleger können nur Beamte bestellt werden, die die Rechtspflegerprüfung oder die Prüfung für den gehobenen Dienst bei der Arbeitsgerichtsbarkeit bestanden haben.

(4) Zeugen und Sachverständige erhalten eine Entschädigung oder Vergütung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz.

(5) Alle mit einem befristeten Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen enthalten die Belehrung über das Rechtsmittel. Soweit ein Rechtsmittel nicht gegeben ist, ist eine entsprechende Belehrung zu erteilen. Die Frist für ein Rechtsmittel beginnt nur, wenn die Partei oder der Beteiligte über das Rechtsmittel und das Gericht, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist, die Anschrift des Gerichts und die einzuhaltende Frist und Form schriftlich belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsmittels nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung der Entscheidung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsmittel nicht gegeben sei; § 234 Abs. 1, 2 und § 236 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung gelten für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.