Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 20. Mai 2014 - 2 Sa 410/13

ECLI:ECLI:DE:LARBGSH:2014:0520.2SA410.13.0A
bei uns veröffentlicht am20.05.2014

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 19.09.2013 – 2 Ca 1427/11 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wehrt sich gegen eine fristlose Kündigung seines Arbeitsverhältnisses während der Freistellungsphase der Altersteilzeit.

2

Der Kläger ist am ….1952 geboren. Er ist schwerbehindert mit einem GdB von 50. Beim beklagten Land war er seit dem 01.04.1974 als Decks- und Maschinenhelfer beschäftigt und bei der Wasserschutzpolizei in F. eingesetzt. Die Parteien haben am 20.08.2002 einen Altersteilzeitarbeitsvertrag im Blockmodell abgeschlossen, der bis zum 28.02.2015 läuft (BI. 6 - 7 d.A.). Seit dem 01.07.2011 befindet sich der Kläger in der Freistellungsphase. Zuletzt erhielt er Vergütung nach Egr.6 Stufe 6 TV-L i. H. v. 1.647,55 EUR netto einschließlich eines Aufstockungsbetrags von 380,55 EUR netto, entsprechend ca. 83 % des regulären Nettoentgeltes. Seit dem 01.05.2012 bezieht der Kläger Altersrente.

3

Der Kläger betreibt zwei Fahrgastschiffe auf der F. Förde, die MS M. und die MS J.. Hierfür war ihm eine Nebentätigkeit genehmigt worden.

4

In den Jahren 2008 bis 2011, zuletzt am 24.11.2011, beantragte der Kläger auf Anregung von POM M. und mit dessen maßgeblicher Unterstützung beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) die Erteilung verschiedener nautischer Befähigungszeugnisse, deren Voraussetzungen er nicht sämtlich erfüllte. Insoweit manipulierte M. die notwendigen Zeugnisse. Diese Befähigungszeugnisse benötigte der Kläger nicht für seine dienstliche Tätigkeit. Hinsichtlich der Einzelheiten der Anträge wird auf das angefochtene Urteil sowie die Akten verwiesen. Mit Strafbefehl vom 13.03.2013 (BI. 162-169 der Akte) zum Az. 590 Js 6078/13 = 41 Cs (16/13) wurde der Kläger wegen fünf selbstständiger Handlungen gemeinschaftlich handelnd mit dem gesondert verfolgten M. zu einer Gesamtgeldstrafe i. H. v. 650,00 EUR (65 Tagessätze) wegen des Gebrauchs von unechten Urkunden, der Bewirkung von falschen Urkunden und des Versuchs des Erschleichens von falschen Urkunden gemäß §§ 267 Abs. 1, 271 Abs. 1 und 4 StGB verurteilt. Zu Grunde lagen der strafrechtlichen Verurteilung die Anträge des Klägers beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in H. vom 18.07.2008, vom 08.08.2008, vom 18.02.2010, vom 14.11.2010 und vom 24.11.2011.

5

Die Beklagte erfuhr von den Anträgen des Klägers am 28.09.2011 und unterrichtete den Hauptpersonalrat unter dem 29.09.2011. Mit Schreiben vom 05.10.2011 (Anl. K 2, Bl. 12 d.A.) hörte sie den Kläger wegen drei manipulierter Zeugnisse und zweier Bescheinigungen vom BSH an. Der Kläger verlangte mit Schreiben vom 12.10.2011 und 18.10.2011 die Zusendung von Unterlagen, die die Beklagte ihm am 13.10.2011 und am 26.10.2011, zuletzt mit Fristsetzung bis 02.11.2011, zusandte. Der Kläger äußerte sich zu den Vorwürfen nicht.

6

Am 10.11.2011 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt der Stadt F. die Zustimmung zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers. Das Integrationsamt stimmte mit Bescheid vom 22.11.2011 der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung und mit Bescheid vom 08.12.2011 der beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers zu.

7

Die Zustimmung des Hauptpersonalrats beantragte das beklagte Land am 07.11.2011 (BI. 110 d.A.) zur beabsichtigten fristlosen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung des Klägers wegen verschiedener Straftaten. Beigefügt war der Antrag an die Hauptfürsorgestelle mit Anlagen. Wegen der Einzelheiten der Anhörung wird auf das Schreiben vom 05.10.2011 und das Schreiben an die Hauptfürsorgestelle vom 10.11.2011 Bezug genommen. Der Hauptpersonalrat stimmte am 17.11.2011 der beabsichtigten ordentlichen und außerordentlichen Kündigung zu (BI. 115 d.A.).

8

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 23.11.2011 (Bl. 33 d.A.) das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich wegen des Verdachts von Straftaten. Die Kündigung ging dem Kläger am 28.11.2011 zu, nachdem sie ihm bereits zuvor am 23.11.2011 per Fax mitgeteilt worden war. Die ordentliche Kündigung nahm die Beklagte im Hinblick auf die tarifliche Unkündbarkeit des Klägers mit Schreiben vom 13.01.2012 zurück, wobei sie erklärte, an der außerordentlichen Kündigung festzuhalten.

9

Mit der am 14.12.2011 erhobenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger die fristlose Kündigung angegriffen. Er hat vorgetragen, wichtige Gründe in seinem Verhalten, die die Kündigung rechtfertigten, lägen nicht vor. Insbesondere könne der Verdacht von Straftaten nicht eine außerordentliche Kündigung während der Freistellungsphase der Altersteilzeit rechtfertigen. Das erforderliche Vertrauen könne nicht mehr zerstört werden. Im Hinblick auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses von 37 Jahren sei eine außerordentliche Kündigung während der Freistellungsphase nicht verhältnismäßig. Eine Interessenabwägung müsse zu Gunsten des Bestandsinteresses des Klägers ausfallen. Die lange Beschäftigung und die Schwerbehinderung seien vorrangig.

10

Das beklagte Land habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht berücksichtigt und den Antrag bei der Hauptfürsorgestelle nicht fristwahrend gestellt.

11

Der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung beteiligt worden. Das beklagte Land habe sowohl den Beginn der Freistellungsphase als auch die ordentliche Unkündbarkeit gegenüber dem Hauptpersonalrat falsch angegeben.

12

Der Kläger hat beantragt,

13

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 23. November 2011 nicht aufgelöst worden sei, sondern über den 23. November 2011 hinaus fortbesteht.

14

Das beklagte Land hat beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Es hat vorgetragen, die Kündigung sei wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Urkundenfälschung, des Arbeitszeit- und Leistungsbetrugs und vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Hierdurch sei das auch während der Freistellungsphase eines Altersteilzeitverhältnisses für die Fortsetzung erforderliche Vertrauen zerstört worden. Die Zustimmung des Integrationsamtes zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung sei ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung unstreitig am 22.11.2011 erteilt worden. Der Personalrat sei ordnungsgemäß angehört worden.

17

Inzwischen seien weitere Kündigungsgründe bekannt geworden. Es bestehe der dringende Verdacht des Arbeitszeitbetruges im Umfang von 15 Stunden (Wert ca. 540,00 EUR) und der Tätigkeit während einer Arbeitsunfähigkeit auf seinen Fahrgastschiffen an 18 Tagen (Schaden ca. 5.000,00 EUR). Der Kläger habe bei der Anzeige von Nebentätigkeiten unwahre Angaben zum Umfang und zu den erzielten Einkünften gemacht. Er habe auch Arbeit auf seinen privaten Schiffen als Arbeitszeit bei der Polizei eingetragen. Zu diesen weiteren Verdachtsvorwürfen habe sie den Hauptpersonalrat am 17.11.2011 und am 06.02.2012 angehört.

18

Das Arbeitsgericht hat die Akte des Strafverfahrens 590 Js 6078/13 = 41 Cs (16/13) AG Flensburg beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Mit dem angefochtenen Urteil vom 19.09.2013, auf das hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens sowie der Entscheidungsgründe verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dieses Urteil ist dem Kläger zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten am 18.11.2013 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 16.12.2013 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 19.02.2014 am 17.02.2014 begründet.

19

Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und trägt vor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bestehe nicht ein wichtiger Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit seines Arbeitnehmers sei durch den Verdacht der strafbaren Handlung nicht zerstört worden. Der Antrag auf Erteilung des Patents habe nicht in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gestanden. Dem beklagten Land sei ein Nachteil nicht entstanden. Außerdienstliches Verhalten sei grundsätzlich nicht geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Das Patent habe der Kläger weder dienstlich noch außerdienstlich eingesetzt. Er fahre mit seinem Fahrgastschiff nicht in Gewässer, die dieses Patent erforderten. Nicht er selbst habe den Briefkopf des Wasserschutzpolizeireviers F. benutzt, sondern lediglich als Anschrift seiner Dienstadresse genannt. Gleichfalls habe er die Unterschrift ohne Nennung einer Dienstbezeichnung geleistet. Das Verhalten des Polizeiobermeisters M. sei ihm nicht zuzurechnen. Er, der Kläger, habe nicht Kenntnis davon gehabt, dass dieser weitere Schriftsätze in der Angelegenheit an den BSH gerichtet habe. Nicht nur der Kläger, sondern auch andere Arbeitskollegen seien von Herrn M. angesprochen worden, ob nicht auch sie Interesse daran hätten, ihre Patente erweitern zu lassen. Der Kläger sei ebenso wie seine Kollegen davon ausgegangen, dass sie alle Voraussetzungen hierfür erfüllten. Dies habe Herr M. auch bestätigt. Den Strafbefehl habe er zwar anerkannt, aber nur, weil er zum einen eingesehen habe, dass es nachlässig gewesen sei, seinem Arbeitskollegen blind zu vertrauen und Blankounterschriften abzugeben, was er bereue, und weil die Fortführung des Verfahrens für seine Nebentätigkeit mit den Fahrgastschiffen rufschädigend gewesen sei. Eine mündliche Verhandlung, bei der voraussichtlich auch die Presse anwesend gewesen wäre, habe er vermeiden wollen. Die verhängte Gesamtgeldstrafe i. H. v. 650,00 EUR sei im Verhältnis zu den zu erwartenden Umsatzeinbußen das geringere Übel gewesen. Das habe das Arbeitsgericht nicht berücksichtigt.

20

Obwohl er die Anträge teilweise persönlich unterzeichnet habe, habe er den Inhalt nicht kontrolliert. Denn er sei davon ausgegangen, dass Herr M. nur die Unterlagen einreichte, die der Kläger im zugeleitet habe. Die strafrechtlichen Handlungen des Herrn M., von denen er nicht Kenntnis gehabt habe, habe er nicht gebilligt.

21

Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis seien zu befürchten. Der Kläger habe nicht mehr Kontakt zu seinen Kollegen und werde auch nicht nach außen hin für die Wasserschutzpolizei tätig. Dies sowie das 37 -jährige ungestörte Beschäftigungsverhältnis und die Schwerbehinderung des Klägers seien bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen.

22

Zudem habe das beklagte Land die Frist nach § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Das beklagte Land habe ab dem 28.09.2011 von den Anträgen des Klägers erfahren. Selbst wenn die Frist erst am 26.10.2011 begonnen hätte, sei sie nicht gewahrt. Eine wirksame Hemmung sei nicht eingetreten. Die Zweiwochenfrist sei bereits vor Einreichen des Antrags beim Integrationsamt verstrichen gewesen. Der Antrag datiere mit dem 04.11.2011, sei tatsächlich aber erst am 10.11.2011 beim Integrationsamt eingegangen. Die Frist sei aber bereits am 09.11.2011 abgelaufen.

23

Auch sei der Personalrat zur außerordentlichen Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. Er, der Kläger, bestreite nach wie vor mit Nichtwissen, dass dem Personalrat die Angaben zur Person des Klägers und seine Sozialdaten ordnungsgemäß mitgeteilt worden seien. Dem Personalrat sei unter anderem mitgeteilt worden, dass der Kläger mit Wirkung vom 01.11.2011 in die Freistellungsphase eingetreten sei. Tatsächlich habe diese bereits am 01.07.2011 begonnen. Der Personalrat habe damit eine völlig falsche Vorstellung gehabt. Selbst wenn der Hauptpersonalrat grundsätzlich bei der Genehmigung von Altersteilzeitverträgen beteiligt werde, bestreite er, der Kläger, mit Nichtwissen, dass diese Unterlagen bei der Prüfung der außerordentlichen Kündigung hinzugezogen worden seien. Das beklagte Land habe dies auch nicht behauptet.

24

Darüber hinaus sei der Personalrat nicht ausreichend zur Kündigungsfrist, dem Kündigungszeitpunkt und dem Kündigungstermin unterrichtet worden. Auch sei nicht ersichtlich, dass ihm die eingetretenen Störungen und die nachteiligen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis dargelegt worden seien. Die Interessenabwägung sei dem Personalrat ebenso wenig wie die Tatsache, dass eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden sollte, mitgeteilt worden. Die Beschlussfähigkeit des Personalrats sei nicht geprüft worden. Die nach § 32 Abs. 2 MitbestG Schleswig-Holstein anzufertigende Niederschrift habe das beklagte Land nicht vorgelegt, obwohl der Kläger mit Schriftsatz vom 03.05.2012 ausdrücklich bestritten habe, dass der Personalrat beschlussfähig gewesen sei.

25

Der Kläger beantragt,

26

das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 19. September 2013, Aktenzeichen 2 Ca 1427/11, wird abgeändert.

27

Es wird nach den Schlussanträgen erster Instanz erkannt.

28

Das beklagte Land beantragt,

29

die Berufung zurückzuweisen.

30

Es verteidigt das angefochtene Urteil unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen und trägt weiter vor, das Fehlverhalten des Klägers, nämlich der Verdacht der Begehung von Straftaten sei an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die Straftat habe einen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Die Taten seien in Zusammenarbeit mit Herrn M. unter Nutzung dienstlicher Ressourcen begangen worden. Die Schreiben seien auf dem Briefkopf des Wasserschutzpolizeireviers F. gefertigt worden. Der Kläger habe selbst in seinem Schreiben vom 10.06.2008 ausdrücklich auf seine Dienststellung beim Wasserschutzpolizeirevier F. hingewiesen. Zudem beruhe die Begründung der entsprechenden Anträge gerade auf der Tätigkeit des Klägers bei der Wasserschutzpolizei. Er habe angegeben, dass er die – tatsächlich nicht erfüllten – Voraussetzungen für die Befähigungsnachweise im Dienste des beklagten Landes realisiert habe. Auch in dem Schreiben vom 13.07.2011 habe der Kläger auf seine Tätigkeit verwiesen und wahrheitswidrig behauptet, Polizeiboote als eigenverantwortlicher Bootsführer geführt zu haben.

31

Soweit der Kläger behaupte, er habe von den Handlungen des Herrn M. nicht gewusst, handele es sich um eine Schutzbehauptung. Der Kläger habe die verschiedenen Anträge selbst unterschrieben. Die Anträge vom 10.06.2008 und 18.01.2010 seien überschaubar. Es seien nur wenige Kreuze angebracht. Selbst bei oberflächlicher Lektüre sei ohne weiteres zu erkennen gewesen, dass die vom Kläger unterzeichneten Angaben unzutreffend waren. Im Antrag vom 01.07.2009 habe der Kläger wahrheitswidrig behauptet, er habe den Fachlehrgang Küste am 30.06.2007 erfolgreich abgeschlossen. Auch hier habe es sich auf angeblich ausgeübte Tätigkeiten auf Polizeibooten bezogen. Gleiches gelte für die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Antrag vom 13.07.2011.

32

Auch die Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Zwar seien die lange Betriebszugehörigkeit und die Schwerbehinderung des Klägers zu berücksichtigen. Andererseits handele es sich bei den Taten des Klägers um wiederholte Straftaten, die das Vertrauen des beklagten Landes in eine redliche Pflichterfüllung des Klägers massiv beeinträchtigt hätten und die im Zusammenhang mit dem Dienst des Klägers bei der Wasserschutzpolizei erfolgt seien. Die Dienststelle sei in besonderer Weise für die Einhaltung der Strafgesetze verantwortlich.

33

Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung während der Freistellungsphase sei zulässig, wenn in dieser Zeit Straftaten begangen würden bzw. der Verdacht entstehe. Denn die Treue- und Fürsorgepflichtbeziehung der Arbeitsparteien bestehe fort. Der Kläger habe zudem deutlich gemacht, dass er sich durch die Freistellungsphase nicht von der Begehung weiterer Taten abhalten lasse. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei nicht zumutbar.

34

Die Kündigungserklärungsfrist sei eingehalten. Das beklagte Land habe nach erstmaliger Kenntnis am 28.09.2011 zunächst kurzfristig versucht, den Sachverhalt aufzuklären. Dazu sei der Kläger mit Schreiben vom 05.10.2011 aufgefordert worden, Stellung zu nehmen. Mit Anwaltsschreiben vom 12.10.2011 und 18.10.2011 habe der Kläger um weitere Informationen gebeten. Die Verdachtsmomente seien mit Schreiben vom 26.10.2011 nochmals konkretisiert und eine Stellungnahme bis zum 02.11.2011 angefordert worden. Der Kläger habe diese Frist verstreichen lassen. Dem beklagten Land habe der maßgebliche kündigungsrelevante Sachverhalt daher erst am 03.11.2011 vorgelegen. Erst an diesem Tag habe die Frist begonnen.

35

Das beklagte Land habe die Ermittlungen nicht verzögert. Der Kläger habe zunächst mit Schreiben vom 12.10.2011 wahrheitswidrig vorgetragen, er habe die für die Erlangung der nautischen Befähigungszeugnisse notwendigen Lehrgänge absolviert. Danach sei der Anwalt des Klägers auf den Irrtum hingewiesen worden. Daraufhin habe die Prozessbevollmächtigte des Klägers weitere Unterlagen erbeten. Dieser Wunsch habe nicht abgelehnt werden können. Daher seien die Unterlagen unter Fristsetzung übersandt worden.

36

Die Beteiligung des Integrationsamtes am 07.11.2011 habe die Kündigungserklärungsfrist gehemmt. Unmittelbar nach Eingang der Zustimmung sei unverzüglich die Kündigung ausgesprochen worden.

37

Der Hauptpersonalrat sei mit E-Mail vom 07.11.2011 angehört worden. Bereits vorher sei er laufend ab dem 29.09.2011 umfassend unterrichtet worden. Dies habe der Hauptpersonalrat in dem Zustimmungsschreiben vom 17.11.2011 ausdrücklich bestätigt. Unschädlich sei, dass in dem Schreiben an das Integrationsamt der Beginn der Freizeitphase fehlerhaft mit dem 01.11.2011 statt 01.07.2011 angegeben worden sei, sowie der Ausschluss der ordentlichen Kündigung nicht ausdrücklich angegeben worden sei. Aus den Angaben im Anhörungsschreiben – Geburtsdatum und Beschäftigungszeit – ergebe sich eindeutig die ordentliche Unkündbarkeit. Den Mitgliedern des Hauptpersonalrats sei dies bekannt gewesen. Die irrtümliche Angabe in dem Schreiben, dass eine ordentliche Kündigung möglich sei, habe sich nicht ausgewirkt, weil den Mitgliedern des Hauptpersonalrats die ordentliche Unkündbarkeit bekannt gewesen sei und der Hauptpersonalrat der außerordentlichen Kündigung ausdrücklich zugestimmt habe. Zudem sei dem Personalrat bekannt gewesen, dass die Kündigung in der Freizeitphase der Altersteilzeit erfolgen solle. Der Hauptpersonalrat sei schon zuvor mit dem Personalvorgang der Altersteilzeit befasst gewesen. Eine Angabe einer Kündigungsfrist, des Kündigungszeitpunktes und des Kündigungstermins im Unterrichtungsschreiben an den Personalrat sei überflüssig, da im Fall einer außerordentlichen Kündigung die Kündigung unmittelbar nach Zugang der Zustimmung des Personalrates ausgesprochen werde. Die für die Interessenabwägung maßgeblichen Gesichtspunkte ergäben sich aus der dem Hauptpersonalrat übersandten Stellungnahme an das Integrationsamt. Dieses Schreiben enthalte auch den Hinweis auf eine Verdachtskündigung. Etwaige Verfahrensfehler im Verwaltungsablauf des Hauptpersonalrats seien nicht zu berücksichtigen, da sie sich nicht auf die Wirksamkeit der Zustimmung auswirkten. Derartige Mängel bestreite das beklagte Land.

38

Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

39

1. Die Berufung ist als Bestandsstreitigkeit statthaft, § 64 Abs. 2 ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG.

40

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Berufung inhaltlich ordnungsgemäß begründet worden ist, obwohl der Kläger im Wesentlichen seine erstinstanzlichen Argumente wiederholt. Es bestehen daher Bedenken hinsichtlich einer den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO genügenden Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils. Danach muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Es reicht nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (LAG Berlin-Brandenburg vom 04.11.2010 - 26 Sa 1438/10 - NZA-RR 2011,153). Die Berufungsbegründung muss erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht (BAG Urteil vom 19.10.2010 - 6 AZR 118/10 - NZA 2011,62; BAG vom 15.03.2011 - 9 AZR 813/09 - DB 2011,1532 = NZA 2011,767; BAG vom 18.05.2011 - 4 AZR 552/09 - NZA 2012,231).

41

Vorwiegend wird von einer gerade noch hinreichenden Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des arbeitsgerichtlichen Urteils ausgegangen, da es im Wesentlichen um die Bewertung des der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalts geht.

42

2. In der Sache hat die Berufung jedoch nicht Erfolg. Zutreffend hat das Arbeitsgericht die Klage gegen die außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 23.11.2011, zugegangen am 28.11.2011, abgewiesen. Damit endete das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 28.11.2011. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Begründung des Arbeitsgerichts verwiesen. Die Angriffe der Berufung führen nicht zu einer anderen Beurteilung.

43

2.1 Streitgegenstand ist nur noch die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung des beklagten Landes. Dieser ist wirksam, da in die Beklagte berechtigterweise den durch Tatsachen begründeten dringenden Verdacht der Begehung von strafbaren Handlungen hatte, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen. Dem beklagten Land ist es daher nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zu der vereinbarten Beendigung – 28.02.2015 – fortzuführen. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dies ist hier der Fall.

44

Die außerordentliche Kündigung ist als Verdachtskündigung zulässig. Voraussetzung einer Verdachtskündigung ist, dass der Verdacht objektiv durch bestimmte im Zeitpunkt der Kündigung vorliegende (Indiz-)Tatsachen begründet ist. Der Verdacht muss sich aus Umständen ergeben, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Zudem muss er dringend sein und sich auf eine schwerwiegende Pflichtverletzung beziehen (KR-Etzel, Rn. 212 zu § 626 BGB).

45

Das beklagte Land hatte zu Recht den dringenden Verdacht, dass der Kläger sich durch mehrere Handlungen unter Verwendung von manipulierten Bescheinigungen nautische Befähigungszeugnisse beschafft hat, deren Voraussetzungen er nicht erfüllte. Dieser Verdacht ist durch den rechtskräftigen Strafbefehl vom 13.03.2013 (Bl. 162) bestärkt worden. Auch wenn das Arbeitsgericht gehalten ist, einem Entlastungsvorbringen des Klägers durch Aufklärung des Sachverhalts nachzugehen, kann sich der Kläger hier nicht darauf berufen, wie in der Berufungsverhandlung geschehen, dass er die Voraussetzungen für die nautischen Befähigungszeugnisse erfüllt habe. Der Kläger hat nicht dargelegt, wann er welche Lehrgänge besucht und welche Tätigkeiten er erbracht hat, um die verschiedenen beschafften nautischen Befähigungszeugnisse zu erhalten. Sein Vorbringen ist insoweit zu pauschal, als dass ein Eingehen hierauf möglich gewesen wäre. Dabei muss der Kläger sich vorhalten lassen, dass im unstreitigen Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts festgehalten ist, dass er weder den Fachlehrgang Küste noch die Ausbildungslehrgänge Radar und Radar See besucht noch als Nautiker tätig gewesen ist.

46

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass er eventuell Blankounterschriften geleistet habe. Die maßgeblichen Anträge hat er selbst gestellt, auch wenn Herr M., wie der Kläger behauptet, den weiteren Schriftwechsel geführt und die Unterlagen gefälscht hat. In mindestens zwei Fällen hat der Kläger behauptet, er habe den Fachlehrgang Küste erfolgreich besucht, obwohl dies nicht der Fall war.

47

Entgegen der Auffassung des Klägers besteht zwischen den Taten und dem Arbeitsverhältnis ein Zusammenhang. Insoweit wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts verwiesen. Der Kläger hat, wenn er auch nicht in jedem Fall den dienstlichen Briefkopf verwendet hat, doch unter Angabe seiner dienstlichen Adresse die Anträge gestellt. Insbesondere hat er in seinem Schreiben vom 01.07.2009 (Bl. 66 der Akten) ausgeführt:

48

"Ich habe mit dem 30.03.2007 meinen Fachlehrgang Küste erfolgreich bestanden und muss die im Erlass aufgeführte Zeit auf seegehenden Polizeibooten absolvieren… ich bitte Sie daher von der Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen, und mir somit eine Verkürzung der Fahrenszeit auf seegehenden Polizeibooten anzuerkennen".

49

Dieses Schreiben hat der Kläger selbst unterzeichnet. In diesem Schreiben nimmt er ausdrücklich auf seine Tätigkeit bei der Wasserschutzpolizei Bezug. Ebenfalls hat der Kläger mit Schreiben vom 13.07.2011 (Bl. 69) auf seine Tätigkeit beim Wasserschutzpolizeirevier F. Bezug genommen. Mithin hat der Kläger seine dienstliche Tätigkeit ausgenutzt, um sich Befähigungszeugnisse zu beschaffen, für die er die Voraussetzungen nicht erfüllte. Dabei hat er vorgespiegelt, in seiner Dienstposition und damit auch für die Arbeitgeberin zu handeln, als er die Anträge stellte.

50

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass dem beklagten Land kein Nachteil entstanden sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob dem beklagten Land hierdurch Kosten entstanden sind. Jedenfalls hat der Kläger gegen seine ihm obliegende Verpflichtung, sich so zu verhalten, dass das Ansehen des öffentlichen Dienstes nicht leidet, verstoßen. Gerade wenn ein Angehöriger der Polizei seine dienstliche Stellung dazu genutzt, um sich ihm nicht zustehende Vorteile zu verschaffen, schädigt dies das Ansehen des öffentlichen Dienstes, hier des Polizeidienstes. Die Allgemeinheit muss Vertrauen in die Korrektheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes haben. Dieses Vertrauen wird durch Taten, wie der Kläger sie begangen hat, beschädigt.

51

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass seine Taten keine Außenwirkungen hatten. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist doch das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem beklagten Land beschädigt worden. Das beklagte Land kann nicht darauf vertrauen, dass der Kläger nicht gleichartige Taten wieder begehen würde. Denn der Kläger hat sich nicht nur ein Befähigungszeugnis, sondern mehrere verschafft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die letzte Tat nach Beginn der Freistellungsphase der Altersteilzeit begangen wurde, obwohl auch in dieser Zeit die gegenseitigen Pflichten und Rechte aus dem Arbeitsverhältnis weiterbestanden.

52

Soweit der Kläger behauptet, er habe die erlangten Befähigungszeugnisse weder dienstlich noch außerdienstlich eingesetzt, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Er hat, wie der rechtskräftige Strafbefehl zeigt, gemeinsam mit Herrn M. Straftaten nach §§ 267 Abs. 1, 271 Abs. 4 StGB begangen. Zudem hat er in der Berufungsverhandlung selbst erklärt, dass die beantragten Seeschifffahrtpatente dazu dienten, eine Erweiterung seiner Tätigkeit als selbstständiger Reeder zu ermöglichen und mit seinen Schiffen nach D. zu fahren.

53

Die Interessenabwägung fällt, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zu Lasten des Klägers aus. Weder das Alter des Klägers noch seine lange Dienstzugehörigkeit noch seine Schwerbehinderung können gegenüber der Tatsache, dass der dringende Verdacht besteht, der Kläger habe unter Ausnutzung seiner Stellung bei dem beklagten Land Straftaten begangen, überwiegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger noch mehr als 3 Jahre andauern sollte. In dieser Zeit wäre der Kläger noch Arbeitnehmer des beklagten Landes und Mitglied der Wasserschutzpolizei F.. Ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes muss unredliches Verhalten eines Arbeitnehmers nicht hinnehmen. Das war auch dem Kläger bewusst.

54

2.2 Der Kläger kann nicht damit gehört werden, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten sei. Nach § 91 Abs. 5 SGB IX kann die Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird. Dies ist geschehen. Das beklagte Land hat unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung mit Bescheid vom 22.11.2011 die Kündigung ausgesprochen.

55

Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann erst mit dem 03.11.2011 zu laufen. Das beklagte Land war gehalten, vor der Entscheidung über den Ausspruch einer Verdachtskündigung den Sachverhalt aufzuklären. Der Kläger selbst hat das Verfahren verzögert, indem er zunächst während der Anhörung durch das beklagte Land den Sachverhalt bestritten und sodann nicht Stellung genommen hat. Das Land konnte erst nach Ablauf der dem Kläger gesetzten letzten Frist, d.h. nach dem 02.11.2011, tätig werden. Erst danach stand fest, dass eine Stellungnahme des Klägers nicht mehr kommen würde. Selbst wenn der Antrag des beklagten Landes beim Integrationsamt erst am 10.11.2011 eingegangen sein sollte, wäre er innerhalb der Zweiwochenfrist gestellt worden.

56

Das beklagte Land hat unverzüglich nach dem Bescheid über die Zustimmung zur fristlosen Kündigung gekündigt. Unverzüglich bedeutet nicht „sofort", sondern „ohne schuldhaftes Zögern", § 121 Abs. 1 BGB. Der Begriff „unverzüglich“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der unter Berücksichtigung in dem jeweils verwendeten Kontext ausgelegt werden muss. Die Erklärung ist so rechtzeitig abzugeben, wie dies dem Erklärenden unter den gegebenen Umständen und unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Teils an alsbaldiger Klarheit möglich und zumutbar ist. Absolute Grenzen gemessen an Kalendertagen gibt es nicht (ständige Rechtsprechung, z.B. LAG Mecklenburg-Vorpommern Urteil vom 24.02.2009 - 5 Sa 256/08 - NZA-RR 2009,528). Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist (BAG Urteil vom 19.04.2012 - 2 AZR 118/11 - ArbRB 2012,362 = NZA 2013,507). Da nicht sofort, sondern unverzüglich zu kündigen ist, steht dem Arbeitgeber eine angemessene Überlegungsfrist zu. Diese ist jedoch im Hinblick darauf, dass die Kündigungsabsicht bereits Gegenstand des beim Integrationsamt geführten Zustimmungsverfahrens gewesen ist, also ergänzende Überlegungen kaum möglich sind, knapp zu bemessen (LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 05.10.2005 - 10 TaBV 22/05 - JurionRS 2005, 30100).

57

Bei einem Zugang der fristlosen Kündigung am 28.11.2011, d.h. bei einem Zeitabstand von weniger als einer Woche nach der Zustimmung zur fristlosen Kündigung, hat das beklagte Land mit dem Ausspruch der Kündigung nicht schuldhaft gezögert.

58

2.3 Die Kündigung ist auch nicht unwirksam wegen nicht ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats, § 108 Abs. 2 BPersVG; § 51 MBG SH.

59

Dem Personalrat sind die persönlichen Daten des Klägers wie Geburtsdatum und Beginn des Arbeitsverhältnisses mitgeteilt worden. Der Personalrat hat mit Schreiben vom 17.11.2011 (Bl. 90 d. A.) ausdrücklich erklärt, er sei ab dem 29.09.2011 laufend und umfassend informiert worden. Er habe sich am 09.11.2011 intensiv mit der beabsichtigten Maßnahme befasst und habe der außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung zugestimmt. Dass dem Personalrat der Eintritt in die Freistellungsphase am 01.11.2011 statt am 01.07.2011 mitgeteilt worden ist, wird für unschädlich erachtet. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit sich eine andere Beurteilung des Sachverhaltes ergeben hätte. Wäre der Kläger erst am 01.11.2011 in die Freistellungsphase eingetreten, hätte er die beanstandeten Taten sämtlich während seiner aktiven Zeit begangen.

60

Soweit der Kläger meint, der Personalrat sei nicht ausreichend zur Kündigungsfrist, dem Kündigungszeitpunkt und dem Kündigungstermin unterrichtet worden ist, geht diese Rüge ins Leere, da vorliegend über den Ausspruch einer fristlosen Kündigung zu entscheiden ist. Die ordentliche Kündigung ist nicht Gegenstand der Berufung. Da das beklagte Land nicht beabsichtigte, die außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist auszusprechen, war es auch nicht erforderlich, den Personalrat über etwa geltende Kündigungsfristen zu unterrichten.

61

Die Rüge, es sei nicht ersichtlich, dass dem Personalrat die eingetretenen Störungen und die nachteiligen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis sowie die Gesichtspunkte der Interessenabwägung dargelegt worden seien, greift ebenfalls nicht. Dem Personalrat sind – unstreitig – die Unterlagen, die dem Integrationsamt zugeleitet worden sind, ebenfalls übersandt worden. Aus dem Antragsschreiben des beklagten Landes vom 04.11.2011 (Bl. 110 d.A.) ergeben sich die vom beklagten Land gesehene Störung des Vertrauensverhältnisses ebenso wie die Interessenabwägung (insbes. S. 3 ff. des Schreibens, Bl. 112 ff. d.A.).

62

Dass der Personalrat wusste, dass eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden sollte, ergibt sich aus seinem Schreiben vom 17.11.2011 (Bl. 90 d.A.), das der Kläger offenbar nicht zur Kenntnis genommen hat.

63

Nicht erforderlich war, die Beschlussfähigkeit des Personalrats zu prüfen und die Niederschrift der Sitzung des Personalrats einzusehen. Der Personalrat hat der fristlosen Verdachtskündigung zugestimmt und dies dem beklagten Land mitgeteilt. Die Entscheidungsfindung einschließlich der Beschlussfähigkeit des Gremiums stellen Interna der Personalratsarbeit dar, die sich nicht auf die Wirksamkeit der Zustimmung auswirken. Mängel bei der Beschlussfassung haben grundsätzlich selbst dann nicht Auswirkung auf die Ordnungsgemäßheit der Beteiligung des Mitbestimmungsgremiums, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt weiß oder erkennen kann, dass das Gremium die Angelegenheit nicht fehlerfrei behandelt hat. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn erkennbar keine Stellungnahme des Gremiums „Betriebsrat" bzw. „Personalrat“ vorliegt oder der Arbeitgeber den Fehler des Betriebsrats durch unsachgemäßes Verhalten selbst veranlasst hat (BAG Urteil vom 22.11.2012 - 2 AZR 732/11 - NZA 203,665). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

64

Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

65

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 20. Mai 2014 - 2 Sa 410/13

Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 20. Mai 2014 - 2 Sa 410/13

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 20. Mai 2014 - 2 Sa 410/13 zitiert 11 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 64 Grundsatz


(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

Zivilprozessordnung - ZPO | § 520 Berufungsbegründung


(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen. (2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 121 Anfechtungsfrist


(1) Die Anfechtung muss in den Fällen der §§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung gilt als rech

Strafgesetzbuch - StGB | § 267 Urkundenfälschung


(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch i

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 91 Nachrang der Eingliederungshilfe


(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. (2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen andere

Bundespersonalvertretungsgesetz - BPersVG | § 108


(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern der Personalvertretungen, der Jugendvertretungen oder der Jugend- und Auszubildendenvertretungen, der Wahlvorstände sowie von Wahlbewerbern, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, bedarf der Zustimmu

Mitbestimmungsgesetz - MitbestG | § 32 Ausübung von Beteiligungsrechten


(1) Die einem Unternehmen, in dem die Arbeitnehmer nach diesem Gesetz ein Mitbestimmungsrecht haben, auf Grund von Beteiligungen an einem anderen Unternehmen, in dem die Arbeitnehmer nach diesem Gesetz ein Mitbestimmungsrecht haben, zustehenden Recht

Referenzen - Urteile

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 20. Mai 2014 - 2 Sa 410/13 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil, 20. Mai 2014 - 2 Sa 410/13 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 22. Nov. 2012 - 2 AZR 732/11

bei uns veröffentlicht am 22.11.2012

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 12. April 2011 - 19 Sa 1951/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 19. Apr. 2012 - 2 AZR 118/11

bei uns veröffentlicht am 19.04.2012

Tenor 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 467/09 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 18. Mai 2011 - 4 AZR 552/09

bei uns veröffentlicht am 18.05.2011

Tenor 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 31. März 2009 - 14 Sa 1783/08 - aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des

Bundesarbeitsgericht Urteil, 15. März 2011 - 9 AZR 813/09

bei uns veröffentlicht am 15.03.2011

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 4. November 2009 - 6 Sa 18/09 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beruf

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 24. Feb. 2009 - 5 Sa 256/08

bei uns veröffentlicht am 24.02.2009

Tenor 1. Die Berufung wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand 1 Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses nach außerordentlicher arbeitgeberseit

Referenzen

(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrug oder Urkundenfälschung verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,
3.
durch eine große Zahl von unechten oder verfälschten Urkunden die Sicherheit des Rechtsverkehrs erheblich gefährdet oder
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht.

(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer die Urkundenfälschung als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die einem Unternehmen, in dem die Arbeitnehmer nach diesem Gesetz ein Mitbestimmungsrecht haben, auf Grund von Beteiligungen an einem anderen Unternehmen, in dem die Arbeitnehmer nach diesem Gesetz ein Mitbestimmungsrecht haben, zustehenden Rechte bei der Bestellung, dem Widerruf der Bestellung oder der Entlastung von Verwaltungsträgern sowie bei der Beschlußfassung über die Auflösung oder Umwandlung des anderen Unternehmens, den Abschluß von Unternehmensverträgen (§§ 291, 292 des Aktiengesetzes) mit dem anderen Unternehmen, über dessen Fortsetzung nach seiner Auflösung oder über die Übertragung seines Vermögens können durch das zur gesetzlichen Vertretung des Unternehmens befugte Organ nur auf Grund von Beschlüssen des Aufsichtsrats ausgeübt werden. Diese Beschlüsse bedürfen nur der Mehrheit der Stimmen der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner; sie sind für das zur gesetzlichen Vertretung des Unternehmens befugte Organ verbindlich.

(2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden, wenn die Beteiligung des Unternehmens an dem anderen Unternehmen weniger als ein Viertel beträgt.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 4. November 2009 - 6 Sa 18/09 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 17. Dezember 2008 - 4 Ca 1090 b/08 - als unzulässig verworfen wird.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags.

2

Die 1952 geborene Klägerin und die Beklagte verbindet ein Arbeitsverhältnis. Die Beklagte beschäftigt die Klägerin als Krankenschwester in einem Krankenhaus. Der kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbare Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit vom 5. Mai 1998 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 30. Juni 2000 (TV ATZ) gewährt Beschäftigten unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch gegen den Arbeitgeber, mit ihnen einen Altersteilzeitarbeitsvertrag abzuschließen. Einen solchen Anspruch sieht auch der zwischen dem Kommunalen Arbeitgeberverband Schleswig-Holstein und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geschlossene Tarifvertrag „Arbeitszeit für Schleswig-Holstein“ (TV-ArbZ SH) vor.

3

Mit Schreiben vom 17. März 2008, das der Beklagten am 26. März 2008 zuging, forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos auf, mit ihr einen Altersteilzeitarbeitsvertrag für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. September 2017 zu schließen.

4

Die Klägerin hat die Rechtsauffassung vertreten, die ablehnende Entscheidung der Beklagten diskriminiere sie wegen ihres Alters. Die Tarifvertragsparteien, die an den grundgesetzlichen Gleichheitssatz gebunden seien, hätten den ihnen von Verfassungs wegen zustehenden Regelungsspielraum überschritten. Es verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, den Beschäftigten der Stadt Kiel, nicht aber den Beschäftigten in den Krankenhäusern den Zugang zur Altersteilzeit unter den TV-ArbZ SH spezifizierten Bedingungen zu gewähren.

5

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihr Angebot zum Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags in Form des Teilzeitmodells in der Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 30. September 2017 anzunehmen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht gewesen, sie sei berechtigt, Altersteilzeitanträge von Arbeitnehmern, die das 60. Lebensjahr nicht vollendet hätten, aus Kostengründen abzulehnen. Das ihr zustehende Ermessen habe sie fehlerfrei ausgeübt.

7

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet, da bereits die Berufung unzulässig gewesen ist. Das Landesarbeitsgericht hätte die Berufung als unzulässig verwerfen müssen; denn die Berufungsbegründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.

9

1. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung (BAG 27. Juli 2010 -  1 AZR 186/09  - Rn. 17, NZA 2010, 1446). Sie ist deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (BAG 17. Januar 2007 - 7 AZR 20/06 - Rn. 10, BAGE 121, 18). Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Begründung iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, hat das Revisionsgericht die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Berufung verworfen wird(vgl. BAG 15. August 2002 -  2 AZR 473/01  - zu 2 der Gründe, AP ZPO § 519 Nr. 55 = EzA ZPO § 519 Nr. 14). Dass das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat, ist hierbei ohne Bedeutung (vgl. BAG 9. Juli 2003 -  10 AZR 615/02  - zu 1 der Gründe, AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 33 = EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 37).

10

2. Die Berufungsbegründungsschrift genügt nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin hat sich nicht in ausreichender Weise mit den Erwägungen des Arbeitsgerichts, auf die es seine klageabweisende Entscheidung gestützt hat, auseinandergesetzt.

11

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Begründung der Berufung auch im Urteilsverfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen anwendbar(BAG 10. Februar 2005 -  6 AZR 183/04  - zu 2 a der Gründe, EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 40). Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll (BAG 28. Mai 2009 -  2 AZR 223/08  - Rn. 14, AP ZPO § 520 Nr. 2). Die Regelung des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird(vgl. BAG 11. März 1998 - 2 AZR 497/97 - zu I der Gründe, BAGE 88, 171). Deshalb hat der Berufungsführer die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält (vgl. BAG 6. März 2003 2 AZR 596/02  - zu II 1 a der Gründe, BAGE 105, 200). Dadurch soll bloß formelhaften Berufungsbegründungen entgegengewirkt und eine Beschränkung des Rechtsstoffs im Berufungsverfahren erreicht werden (BAG 15. August 2002 - 2 AZR 473/01 - zu 2 der Gründe, AP ZPO § 519 Nr. 55 = EzA ZPO § 519 Nr. 14). Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den Streitfall zugeschnitten sein (BAG 8. Mai 2008 - 6 AZR 517/07 - Rn. 30, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 40 = EzA ZPO 2002 § 520 Nr. 6). Eine schlüssige Begründung kann zwar nicht verlangt werden; doch muss sich die Berufungsbegründung mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will (BAG 10. Februar 2005 -  6 AZR 183/04  - zu 2 a der Gründe, aaO ; 16. Juni 2004 - 5 AZR 529/03 - zu II 2 b der Gründe, EzA ZPO 2002 § 520 Nr. 3; 15. August 2002 - 2 AZR 473/01 - zu 2 der Gründe, aaO). Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 25. April 2007 -  6 AZR 436/05  - Rn. 14, BAGE 122, 190).

12

b) An diesem Maßstab gemessen, hat die Klägerin die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts nicht ausreichend begründet. Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil mit § 2 Abs. 1 TV ATZ(Seite 6 des Urteils) und § 7 TV-ArbZ SH(Seite 8 des Urteils) zwei Anspruchsgrundlagen in Betracht gezogen und deren Voraussetzungen im Ergebnis verneint.

13

aa) Zu § 2 Abs. 1 TV ATZ hat das Arbeitsgericht im Einzelnen ausgeführt, die Beklagte habe das ihr von den Tarifvertragsparteien eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die von der Beklagten angeführten wirtschaftlichen Gründe rechtfertigten die Ablehnung des von der Klägerin unter dem 17. März 2008 gestellten Antrags. Eine Diskriminierung der Beschäftigten, die das 60. Lebensjahr nicht vollendet hätten, liege nicht vor, da diese nicht benachteiligt würden. Die Tarifbestimmung begünstige ältere Arbeitnehmer, ohne jüngere zu benachteiligen. Ausweislich der Präambel des Tarifvertrags solle älteren Beschäftigten ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ermöglicht und dadurch vorrangig Auszubildenden und Arbeitslosen Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet werden. Die Tarifvertragsparteien verfolgten mit den Regelungen des TV ATZ arbeitsmarktpolitische Ziele und beschränkten die Begünstigung deshalb auf Arbeitnehmer, für die der gesetzliche Ruhestand alsbald anstehe.

14

Die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin enthält keine argumentative Auseinandersetzung mit diesen Erwägungen. Soweit die Klägerin auf Seite 1 der Berufungsbegründung ausführt, ihr Anspruch ergebe sich aus § 2 des Arbeitsvertrags, paraphrasiert sie im Folgenden die Tarifnorm des § 2 TV ATZ und rügt „die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes“. Zudem „beruft (sie) sich auch auf das AGG, das jede Diskriminierung aus Altersgründen verbietet“. Hierbei handelt es sich um eine formelhafte Wendung, auf die die Klägerin in ähnlicher Form bereits in der Klageschrift vom 31. Mai 2008 zurückgegriffen hat. Dort hat sie die Ansicht vertreten, in der Regelung liege eine „rechtswidrige Diskriminierung aus Altersgründen, die mit Europa-, Verfassungs- und Bundesrecht unvereinbar“ sei. Die Klägerin legt weder dar, aus welchem Grund sie den Gleichbehandlungsgrundsatz für verletzt erachtet, noch, aufgrund welcher Umstände sie sich auf welche Vorschriften des AGG zur Stützung der Rechtsbehauptung, ihr stehe ein Anspruch auf Abschluss des begehrten Altersteilzeitarbeitsvertrags zu, berufen will. Der pauschale Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Vorschriften des AGG ersetzt nicht die erforderliche Auseinandersetzung mit der die angefochtene Entscheidung tragenden Erwägung des Arbeitsgerichts, es liege keine Ungleichbehandlung zulasten der jüngeren, sondern eine - diskriminierungsrechtlich gerechtfertigte - Begünstigung älterer Arbeitnehmer vor. Auf das weitere Argument des Arbeitsgerichts, die unterschiedliche Behandlung beider Arbeitnehmergruppen sei aufgrund arbeitsmarktpolitischer Erwägungen der Tarifvertragsparteien gerechtfertigt, geht die Klägerin nicht ein.

15

bb) Auch hinsichtlich der zweiten von dem Arbeitsgericht in Betracht gezogenen Anspruchsgrundlage, der Regelung des § 7 TV-ArbZ SH, fehlt es an einer der Form des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entsprechenden Berufungsbegründung. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, es sei Sache der Tarifvertragsparteien, die Gruppe derer zu bestimmen, auf die das zur Verfügung stehende arbeitsmarktpolitische Instrumentarium angewendet werde. Eine Diskriminierung sei nicht ersichtlich, da im Bereich der Krankenpflege keine erhebliche Arbeitslosigkeit bestehe. Angesichts dessen habe kein Bedarf zur Förderung von Arbeitslosen und Jugendlichen bestanden.

16

Dieser Urteilsbegründung setzt die Klägerin auf Seite 2 der Berufungsbegründung den pauschalen Hinweis entgegen, die Tarifvertragsparteien hätten ihre Regelungsbefugnis überschritten. Damit wird die Klägerin ihrer Begründungsobliegenheit nicht gerecht. Ihre ohne nähere Erläuterung aufgestellte Behauptung, „Rechtfertigungsgründe für die Ungleichbehandlung sind nicht ersichtlich“ (Seite 3 der Berufungsbegründung), ist nicht auf die Erwägungen, die das erstinstanzliche Gericht zur Klageabweisung bewogen haben, zugeschnitten. Das Arbeitsgericht hat auf die mit der Einführung von Altersteilzeit verfolgten arbeitsmarktpolitischen Zwecke abgestellt und ist davon ausgegangen, es bestehe angesichts der Arbeitsmarktlage kein Bedürfnis, Mitarbeitern in Krankenhäusern den Zugang zur Altersteilzeit zu eröffnen. Mit diesen sowohl rechtlichen als auch tatsächlichen Argumenten des Arbeitsgerichts befasst sich die Klägerin nicht. Sie erhebt weder Verfahrensrügen, noch stellt sie die rechtlichen Folgerungen des Arbeitsgerichts infrage. Wenn sie auf Seite 3 der Berufungsbegründung ohne nähere Erklärung auf eine Gleichstellung von Altenpflegern und Krankenpflegern im Krankenpflegegesetz verweist, steht dies mit den maßgebenden Tarifbestimmungen in keinem erkennbaren Zusammenhang.

17

C. Die Klägerin hat als Revisionsführerin die Kosten der ohne Erfolg eingelegten Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Düwell    

        

    Krasshöfer    

        

    Suckow    

        

        

        

    Faltyn    

        

    Kranzusch    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 31. März 2009 - 14 Sa 1783/08 - aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 29. Oktober 2008 - 1 Ca 1098/08 - wird als unzulässig verworfen.

2. Der Kläger hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten für die Zeit ab 1. Januar 2007 über die zutreffende Eingruppierung der Tätigkeit des Klägers nach dem Entgeltrahmenabkommen in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 18. Dezember 2003 (ERA).

2

Der Kläger ist langjährig bei der Beklagten als Werkstoffprüfer im mechanischen Labor eingesetzt, wo insgesamt vier Werkstoffprüfer mit der Arbeitsaufgabe Qualitätsprüfung-Metallografie unter einem Laborleiter im Zweischichtbetrieb tätig sind.

3

Die Beklagte bildet ua. Verfahrensmechaniker (Umformtechnik), Drahtzieher und Industriekaufleute aus, Werkstoffprüfer hingegen seit Jahren nicht mehr. Die Auszubildenden zu Industriekaufleuten und zu Verfahrensmechanikern werden jeweils vier Wochen im mechanischen Labor eingesetzt, wobei sie nicht jeden Tag anwesend sind. Bei Auszubildenden zu Verfahrensmechanikern ist eine vierwöchige Ausbildung im mechanischen Labor Bestandteil des Ausbildungsplans und die Inhalte sind prüfungsrelevant. Sie werden in Einzelfällen nach dieser Ausbildung im mechanischen Labor zur Urlaubs- oder Krankheitsvertretung eingesetzt. Außerdem werden für zwei bis drei Wochen pro Jahr zwei bis drei Schülerpraktikanten betreut. Grundsätzlich wird jeweils nur ein Auszubildender oder Praktikant dem mechanischen Labor zugewiesen, wobei es gelegentlich zu Überschneidungen kommt.

4

Im Hinblick auf die zum 1. Januar 2007 beabsichtigte Einführung des ERA schloss die Beklagte mit dem bei ihr eingerichteten Betriebsrat am 28. April 2005 eine freiwillige Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Einführung von ERA gemäß § 2 Nr. 4 ERA-Einführungstarifvertrag in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (ERA-ETV).In Nr. 9 dieser Betriebsvereinbarung vereinbarten die Betriebsparteien die Anwendung des besonderen Eingruppierungs- und Reklamationsverfahrens gem. § 7 ERA-ETV, § 4 Nr. 3 ERA und richteten im Rahmen dieses Verfahrens eine Paritätische Kommission ein.

5

Dem Kläger wurde von der Beklagten im November 2006 eine Aufgabenbeschreibung sowie die Eingruppierung mit Wirkung zum 1. Januar 2007 nach der Entgeltgruppe 11 ERA mitgeteilt. Dagegen wandte er sich mit einem Widerspruch, der auf das Anforderungsmerkmal „Kooperation“ gestützt war und der von der Paritätischen Kommission am 23. Januar 2007 abgelehnt wurde. Dies teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 25. Januar 2007 mit, in dem sie gleichzeitig ankündigte, die Aufgabenbeschreibung hinsichtlich der zuvor nicht darin erwähnten Obliegenheit der Betreuung von Auszubildenden zu ergänzen.

6

Die im Juni 2007 insoweit ergänzte Aufgabenbeschreibung des Klägers bewertet die einzelnen Anforderungsmerkmale des ERA; die Mitarbeiterführung ordnet sie der Stufe 1 zu, vergibt also insoweit 0 Punkte und kommt zu einem Gesamtwert von 110 Punkten, der eine Einstufung in Entgeltgruppe 11 zur Folge hat.

7

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 12 ERA zu. Seine Tätigkeit sei wegen ihrer Prägung durch regelmäßige Betreuung von Auszubildenden und Praktikanten bezüglich des Anforderungsmerkmales „Mitarbeiterführung“ nach der Stufe 2 zu bewerten, so dass ihm weitere fünf Punkte zuzuerkennen seien und er einen für eine Einstufung in Entgeltgruppe 12 ausreichenden Gesamtwert von 115 Punkten erreiche.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass er mit Wirkung zum 1. Januar 2007 in die Entgeltgruppe 12 des Entgeltrahmenabkommens (ERA) der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen einzugruppieren ist.

9

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, dass die Bewertung des Anforderungsprofils „Mitarbeiterführung“ zutreffend sei. Das Tätigkeitsbild der Arbeitsaufgabe „Werkstoffprüfung“ beinhalte nicht die fachliche Anweisung, Anleitung und Unterstützung anderer Beschäftigter. Die zeitweise Betreuung der Auszubildenden während des vorübergehenden Einsatzes im mechanischen Labor präge die Tätigkeit des Klägers nicht.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts war mangels einer den Anforderungen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG entsprechenden Berufungsbegründung unzulässig. Sie wäre deshalb vom Landesarbeitsgericht zu verwerfen gewesen.

12

I. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessfortsetzungsvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung (BAG 27. Juli 2010 - 1 AZR 186/09 - Rn. 17, NZA 2010, 1446). Sie ist deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (st. Rspr., vgl. zB BAG 27. Juli 2010 - 1 AZR 186/09 - aaO; 17. Januar 2007 - 7 AZR 20/06 - Rn. 10, BAGE 121, 18 mzN). Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Begründung iSd. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, hat das Revisionsgericht eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben und die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass sie verworfen wird(im Ergebnis ebenso BAG 15. August 2002 - 2 AZR 473/01 - AP ZPO § 519 Nr. 55 = EzA ZPO § 519 Nr. 14). Dass das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat, ist hierbei ohne Bedeutung (vgl. BAG 15. März 2011 - 9 AZR 813/09 - Rn. 9; 9. Juli 2003 - 10 AZR 615/02 - Rn. 5 mwN, AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 33 = EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 37; 29. November 2001 - 4 AZR 729/00 - EzA ZPO § 519 Nr. 13).

13

II. Mit der Berufungsbegründungsschrift ist die erstinstanzliche Entscheidung nicht ausreichend iSv. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG angegriffen worden. Es fehlt an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des arbeitsgerichtlichen Urteils.

14

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der Berufungsführer die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält (st. Rspr., vgl. ua. BAG 15. März 2011 - 9 AZR 813/09 - Rn. 11; 28. Mai 2009 - 2 AZR 223/08 - Rn. 14, AP ZPO § 520 Nr. 2; 6. März 2003 - 2 AZR 596/02 - BAGE 105, 200). Dabei dürfen im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zwar keine unzumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt werden (BAG 28. Mai 2009 - 2 AZR 223/08 - aaO). Die Berufungsbegründung muss aber auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll (BAG 17. Januar 2007 - 7 AZR 20/06 - Rn. 11 mwN, BAGE 121, 18; 25. April 2007 - 6 AZR 436/05 - Rn. 14 mwN, BAGE 122, 190). Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 15. März 2011 - 9 AZR 813/09 - aaO; 25. April 2007 - 6 AZR 436/05 - Rn 14 mwN, aaO).

15

2. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung des Klägers vom 12. Dezember 2008 nicht.

16

a) Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Klage sei unbegründet, weil sich die Paritätische Kommission bereits nach dem eigenen Vortrag des Klägers bei der Überprüfung der Eingruppierung mit dem Anforderungsmerkmal „Mitarbeiterführung“ nicht beschäftigt habe. Mit § 7 ERA-ETV hätten die Tarifvertragsparteien festgelegt, dass die Feststellung der Eingruppierung einem besonderen Verfahren unterworfen sei, das nur eine beschränkte Überprüfung des gefundenen Ergebnisses vorsehe. Aus § 7 Abs. 1 und Abs. 4 ERA-ETV ergebe sich, dass die Entscheidung der Paritätischen Kommission gerichtlich nur auf Verfahrensfehler und die grobe Verkennung der tariflichen Bewertungsgrundsätze überprüft werden könne. Beides mache der Kläger jedoch nicht geltend. Da sich die Paritätische Kommission nach seinem eigenen Vorbringen nicht mit dem Merkmal Mitarbeiterführung befasst habe, könne ihr insoweit auch kein Fehler unterlaufen sein. Das Unterlassen der Überprüfung des Merkmales Mitarbeiterführung sei der Paritätischen Kommission nicht vorzuwerfen, da sich der Kläger gegenüber seiner tariflichen Ersteinstufung ausdrücklich nur auf das Merkmal „Kooperation“ bezogen habe. Deshalb habe das Gericht nicht zu prüfen, ob der Kläger im Rahmen seiner Arbeitsaufgabe regelmäßig oder nur gelegentlich während eines Betriebsdurchlaufes Auszubildende und Praktikanten betreue.

17

b) Die Berufungsbegründungsschrift des Klägers enthält keinerlei Bezug zu und nicht ansatzweise eine Auseinandersetzung mit diesen Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts. Entgegen den Anforderungen des § 520 ZPO ist nichts dazu vorgetragen, in welchen Punkten rechtlicher und tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll.

18

Das Urteil des Arbeitsgerichts wird in der Berufungsbegründung weder ausdrücklich noch implizit erwähnt. Es findet keinerlei argumentative Auseinandersetzung mit der Auffassung des Arbeitsgerichts statt, dass die Klage bereits unbegründet sei, weil sich die Paritätische Kommission bei der Überprüfung der Eingruppierung mit dem Anforderungsmerkmal „Mitarbeiterführung“ nicht beschäftigt habe. Auch die Ansicht des Arbeitsgerichts, dass die Entscheidung der Paritätischen Kommission gerichtlich nur auf Verfahrensfehler und die grobe Verkennung der tariflichen Bewertungsgrundsätze überprüft werden könne, findet weder Erwähnung noch erfolgt irgendeine Auseinandersetzung mit diesem rechtlichen Ansatz.

19

Stattdessen enthält die Berufungsbegründungsschrift ausschließlich Vortrag von bereits erstinstanzlich vorgetragenen Tatsachen, teils wiederholend, teils vertiefend. Nachdem referiert worden ist, dass das ERA auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist, welche Bewertung der Tätigkeit des Klägers mit welchem Ergebnis erfolgt ist und woran es dabei aus Sicht des Klägers mangelt, wird auch der Ablauf des Verfahrens vor der Paritätischen Kommission geschildert. Die Ausführungen hierzu bleiben jedoch ausschließlich im Tatsächlichen. Es fehlt an jeder rechtlichen Argumentation, die sich mit den Ausführungen im angefochtenen Urteil auseinandersetzt.

20

Soweit der Kläger sich dahingehend äußert, die Paritätische Kommission habe seine Beanstandung im Hinblick auf die nicht zutreffend vorgenommene Bewertung im Rahmen des Merkmales „Mitarbeiterführung“ nicht abgearbeitet, zeigt er keinen Verfahrensfehler auf. Dieses Vorbringen kann zwar anfänglich dahingehend verstanden werden, der Kläger wolle vortragen, dass die Kommission sich mit dem von ihm vorgebrachten Merkmal der „Mitarbeiterführung“ nicht beschäftigt habe. Darin könnte - obwohl vom Kläger nicht ausdrücklich erwähnt - auf den ersten Blick der Vorwurf eines Verfahrensfehlers liegen. Allerdings ergibt sich aus seinen weiteren Ausführungen etwas anderes. So weist der Kläger ausdrücklich darauf hin, dass der Paritätischen Kommission der Themenbereich „Mitarbeiterführung“ bekannt gewesen, „eine Bewertung, insbesondere im Sinne des Klägers, allerdings nicht“ erfolgt sei. Auch sei der Betriebsratsvorsitzenden von der Kommission erklärt worden, dass die Werkstoffprüfer selbstverständlich zur Ausbildung verpflichtet seien, die Aufgabenbeschreibung entsprechend abgeändert werde, eine Bewertung insofern allerdings nicht erfolge. Damit bringt der Kläger zum Ausdruck, dass er die aus seiner Sicht fehlerhafte Bewertung des Merkmales Mitarbeiterführung durch die Paritätische Kommission beanstandet, nicht aber einen Verfahrensfehler durch Nichtberücksichtigung seines Vorbringens rügt.

21

Auch die weiteren Ausführungen in der Berufungsbegründung, insbesondere zu den gleichzeitigen Anwesenheitszeiten von Mitarbeitern des mechanischen Labors und Auszubildenden und Praktikanten in den Jahren 2007 und 2008 und zur Beschreibung der Ausbildungsinhalte im mechanischen Labor, stellen keine argumentative Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Arbeitsgerichts dar.

22

III. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Berufung und Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Bepler    

        

    Treber    

        

    Winter    

        

        

        

    Pieper     

        

    Plautz    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrug oder Urkundenfälschung verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,
3.
durch eine große Zahl von unechten oder verfälschten Urkunden die Sicherheit des Rechtsverkehrs erheblich gefährdet oder
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht.

(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer die Urkundenfälschung als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.

(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Anfechtung muss in den Fällen der §§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung gilt als rechtzeitig erfolgt, wenn die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet worden ist.

(2) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.

Tenor

1. Die Berufung wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses nach außerordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung. In Streit steht die Frage, ob der Kläger die Kündigung wirksam wegen fehlender Vollmachtsurkunde nach § 174 BGB zurückgewiesen hat.

2

Der Kläger ist bei dem beklagten Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit seit 2001 als Bankbetreuer in den Räumlichkeiten der S.-Bank mit einer monatlichen Vergütung - einschließlich Provisionen - in Höhe von durchschnittlich 5.100,00 EUR brutto beschäftigt. Mit Schreiben vom 28. März 2007, dem Kläger zugegangen am 30. März 2007, hat der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt; auf das Kündigungsschreiben (Kopie Blatt 3) wird Bezug genommen.

3

In einem Vorprozess hatten die Parteien um die Wirksamkeit einer Versetzung des Klägers von Stralsund nach Stendal gestritten (Arbeitsgericht Stralsund 4 Ca 392/06; LAG Mecklenburg-Vorpommern 5 Sa 289/07). In diesem Rechtsstreit hatte die Wirksamkeit einer schriftlichen Abänderung des Arbeitsvertrages eine Rolle gespielt. Der Kläger hatte im Vorprozess zeitweilig bestritten, die Vertragsurkunde vom 14. Februar 2006 in der Form, wie sie vom Beklagten in den Rechtsstreit eingeführt worden war, unterzeichnet zu haben. Der Beklagte meint, dieses Bestreiten sei wider besseres Wissens erfolgt und stützt hierauf seine vorliegend streitgegenständliche Kündigung.

4

Das Kündigungsschreiben vom 28. März 2007 wurde unterzeichnet durch den Leiter der Regionaldirektion Berlin der Beklagten, Herrn W.. Eine ausdrückliche Unterrichtung des Klägers seitens des Beklagten über die Übertragung der Kündigungsbefugnis auf Herrn W. gibt es nicht. Dem Kündigungsschreiben war auch keine Vollmacht des Beklagten beigefügt.

5

Das Kündigungsschreiben ist dem Kläger am 30. März 2007 (Freitag) zugegangen. Am darauffolgenden Montag, den 2. April 2007, vereinbarte der Kläger einen Besprechungstermin mit seinem Prozessbevollmächtigten für den darauffolgenden Tag (3. April 2007) um 17.00 Uhr. Noch am Tag der Besprechung diktierte der Prozessbevollmächtigte des Klägers einen Schriftsatz an den Beklagten, mit dem er die Kündigung vom 28. März 2007 nach § 174 BGB zurückgewiesen hat (Kopie Blatt 41, es wird Bezug genommen). Dieses Schreiben wurde am Folgetag (Mittwoch 4. April 2007) gefertigt, unterzeichnet und mit dem Auftrag zur Post gegeben, es per Einschreiben mit Rückschein zuzustellen. Am Donnerstag gab es keinen Zustellversuch, am Freitag war Feiertag (Karfreitag) und bei dem Zustellversuch am Samstag, den 7. April 2007 war in der in der Postanschrift angegebenen Regionaldirektion Berlin des Beklagten niemand anzutreffen. Das Zurückweisungsschreiben konnte durch die Post daher beim Beklagten erst am Dienstag nach Ostern (10. April 2007) zugestellt werden.

6

Auf die am 4. April 2007 beim Arbeitsgericht Stralsund eingegangene Kündigungsschutzklage hat das Gericht mit Urteil vom 30. Juni 2008 festgestellt, dass die Kündigung des Beklagten vom 28. März 2007 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

7

Im Rahmen der rechtzeitig eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung verfolgt der Beklagte sein Klagabweisungsbegehren weiter.

8

Eine Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB sei nicht möglich, da für den Kläger erkennbar Herr W. beim Beklagten eine Stellung bekleide, die üblicherweise mit einer Kündigungsbefugnis verbunden sei. Der Kläger habe in vielfältiger Form Personalgespräche mit dem Regionaldirektor Berlin, Herrn W., geführt. Ihm sei deshalb auch die Kündigungsbefugnis des Regionaldirektors, Herrn W., bekannt. Außerdem habe Herr W. auch den Arbeitsvertrag des Klägers unterzeichnet, woraus der Kläger habe schließen können, dass Herr W. auch die Kündigungsbefugnis besitzen müsse.

9

Das Arbeitsgericht habe außerdem zu Unrecht angenommen, die Zurückweisung der Kündigung sei nicht mehr unverzüglich im Sinne von § 174 BGB erfolgt, sie stehe daher der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen. Der Kläger hätte sich noch am Freitag bei seinem Anwalt melden müssen und der Anwalt hätte die Zurückweisung noch am Besprechungstag per FAX dem Beklagten übermitteln müssen. Außerdem habe der Auftrag, die Sendung per Einschreiben mit Rückschein zuzustellen, unnötig weitere Zeit in Anspruch genommen.

10

Da der Kläger im Vorprozess wissentlich falsch vorgetragen habe und damit indirekt den Beklagten der Lüge und Urkundenfälschung bezichtigt habe, liege auch ein Kündigungsgrund vor.

11

Der Beklagte beantragt,

12

unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

13

Der Kläger beantragt,

14

die Berufung zurückzuweisen.

15

Der Kläger bestreitet das Vorliegen eines Kündigungsgrundes und vertritt die Auffassung, seine Zurückweisung der Kündigung sei noch unverzüglich im Sinne von § 174 BGB erfolgt. Es gebe auch keine hinreichenden Umstände, aus denen er auf die Kündigungsbefugnis des Herrn W. habe schließen können.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17

Die dem Streitgegenstand nach statthafte Berufung ist nicht begründet. Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet, da der Kläger sie wirksam nach § 174 BGB zurückgewiesen hat.

18

1. Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist (§ 174 BGB). Dies trifft vorliegend zu.

19

Die Kündigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft im Sinne von § 174 BGB. Das Kündigungsschreiben vom 28. März 2007 ist unterzeichnet mit "i. V. W.". Der Unterzeichner des Kündigungsschreibens gehört nicht dem Vertretungsorgan des Beklagten an, die Rechtsmacht zur Kündigung kann Herr W. also nur durch Vollmacht erhalten haben. Eine Vollmachtsurkunde war dem Kündigungsschreiben allerdings nicht beigefügt.

20

Die Zurückweisung der Kündigung ist unverzüglich im Sinne von § 174 BGB erfolgt. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Unverzüglich bedeutet nach der Definition in § 121 Absatz 1 BGB "ohne schuldhaftes Zögern". Dabei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der unter Berücksichtigung des Kontextes, in dem er jeweils verwendet wird, ausgelegt werden muss (Singer in: Staudinger, § 121 BGB RN 8). "Unverzüglich" bedeutet nicht "sofort". Vielmehr hat der Zurückweisende die Erklärung lediglich so rechtzeitig abzugeben, wie ihm dies unter den gegebenen Umständen und unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Teils an alsbaldiger Aufklärung möglich und zumutbar ist (Singer a. a. O. RN 9). Daraus folgt, dass es keine absoluten Grenzen gemessen in Kalendertagen gibt. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Zurückweisungsberechtigte die notwendigen Schritte bis zur Zurückweisung zügig gegangen ist.

21

Gemessen hieran ist die Zurückweisung noch rechtzeitig erfolgt. Das Kündigungsschreiben ist dem Kläger am Freitag (30. März) zugegangen; es bestand also Anlass für den Kläger, die dadurch entstandene Lage mit seinem Prozessbevollmächtigten zu besprechen. Der Besprechungstermin war am Dienstagnachmittag. Es kann nicht gesagt werden, dass dies ein auffällig später Besprechungstermin ist. Ein Rechtsanwalt hat häufig andere terminliche Verpflichtungen, es kann daher nicht erwartet werden, dass er innerhalb von 24 Stunden oder weniger einen Besprechungstermin anbieten kann. Da die Termine des Anwalts im Regelfall auch eine etwas längere Vorlaufzeit haben, wäre es für die Festsetzung des Besprechungstermins wohl gleichgültig gewesen, ob dieser bereits am Freitag vereinbart worden wäre oder erst - wie geschehen - am Montag. Dabei muss man auch in Rechnung stellen, dass der Kläger und seine Familie sich zunächst selber schlüssig werden mussten, wie sie auf die Kündigung reagieren wollten; es war daher nicht zögerlich, sich erst nach dem Wochenende um einen Termin beim Anwalt zu bemühen.

22

Auch der Rechtsanwalt hat die Angelegenheit nicht zögerlich behandelt. Er hat das Schreiben im Anschluss an die Besprechung diktiert; da dies schon nach Ablauf der üblichen Bürozeiten war, konnte das Schreiben aber erst am Folgetag gefertigt und unterzeichnet werden. Es ist an diesem Tag auch noch zur Post aufgegeben worden, so dass eine Zögerlichkeit nicht erkennbar ist.

23

Es gereicht dem Rechtsanwalt nicht zum Vorwurf, dass er das Schreiben nicht noch am 4. April (Mittwoch) per FAX an die Zieladresse übermittelt hat. Denn wegen des angespannten Verhältnisses zwischen den Parteien war nicht auszuschließen, dass der Beklagte ein per FAX übermitteltes Zurückweisungsschreiben seinerseits nach § 174 BGB zurückgewiesen hätte, da dem FAX keine Originalvollmacht beigelegen habe. Aus ähnlichen Erwägungen war es auch nicht zuzumuten, das Schreiben mit einfacher Post zu versenden, auch wenn dies aller Wahrscheinlichkeit nach dazu geführt hätte, dass es bereits am Folgetag (Donnerstag 5. April) zugegangen wäre. Denn bei den Spannungen im Arbeitsverhältnis konnte nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte einen Nachweis des Datums der Zustellung verlangen würde. Dieser Nachweis hätte zwar auch durch das im Regelfall etwas schnellere Einwurfeinschreiben geführt werden können. Die Entscheidung für das im Regelfall noch langsamere Einschreiben mit Rückschein hat hier den Zeitablauf jedoch nicht beeinflusst, denn das Einwurfeinschreiben wäre aller Voraussicht nach erst am Samstag (7. April) dem Beklagten übermittelt worden, was - da samstags nicht gearbeitet wird - zu einer Kenntnisnahme durch den Beklagten erst am Dienstag nach Ostern (10. April) geführt hätte. Dies ist aber auch der Tag, zu dem der Beklagte nach der Gestaltung der Zustellung durch den Kläger und seinen Anwalt das Schreiben zur Kenntnis genommen hat.

24

2. Die Zurückweisung der Kündigungserklärung wegen fehlender Vollmachtsurkunde ist hier auch nicht nach § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Nach § 174 Satz 2 BGB ist die Zurückweisung ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber - hier der Beklagte - den anderen - hier den Kläger - von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte. Eine solche In-Kenntnis-Setzung kann hier nicht festgestellt werden.

25

Eine ausdrückliche Unterrichtung ist nicht vorgetragen. Nach allgemeiner Auffassung reicht aber auch eine allgemeine an einen größeren Kreis gerichtete Erklärung, etwa durch einen Aushang aus. Vorliegend fehlt es aber auch an einer solchen an einen größeren Kreis gerichteten Hinweis auf die Vollmacht zur Erklärung von Kündigungen. Es liegt auch kein Hinweis durch Eintragung im Handels- oder Vereinsregister vor.

26

Über die bisher behandelten Möglichkeiten der Unterrichtung hinaus entspricht es allgemeiner Auffassung, dass es bestimmte Positionen in einem Unternehmen oder einer Behörde gibt, mit der nach allgemeiner Verkehrsauffassung die Vollmacht zur Kündigung üblicherweise verbunden ist. Für die Personen, die solche Positionen einnehmen, bedarf es daher nicht einmal eines ausdrücklichen Hinweises auf eine Kündigungsvollmacht, sie ergibt sich vielmehr schlüssig aus der von ihnen bekleideten Position.

27

Es ist dem Beklagten nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass Herr W. in einer solchen Position bei ihm beschäftigt ist. Der Beklagte hat es nicht für erforderlich gehalten, sein Organisationsmodell, aus dem sich die Stellung von Herrn W. ableiten ließe, im Rechtsstreit systematisch vorzustellen. Aus der Erörterung in der mündlichen Verhandlung ist festzuhalten, dass die Regionaldirektion in Berlin, der Herr W. angehört, nach den Vertriebswegen für die Produkte des Beklagten in drei Abteilungen gegliedert ist. Herr W. leitet den Bereich der Bankbetreuer, die als Arbeitnehmer angestellt und in den Filialen der S.-Bank angesiedelt sind. Die anderen beiden Abteilungsleiter sind für die den Innendienst und den Außendienst mit selbstständigen Mitarbeitern zuständig. Daraus schließt das Gericht, dass Herr W. der oberste Fachvorgesetzte des Klägers ist. Mit dieser Position ist nicht üblicherweise die Vollmacht zur Kündigung verbunden. Die in der Rechtsprechung bisher anerkannten Fälle beziehen sich auf die althergebrachte Organisationsstruktur mit einer eigenen Abteilung, die für Personal zuständig ist. Der Leiter dieser Abteilung (bei Behörden der Abteilungsleiter 1, in der Privatwirtschaft der Abteilungsleiter Personal) hat eine Stellung, die üblicherweise mit dem Recht zur Kündigung verbunden ist (vergleiche zum Beispiel BAG 20. August 1997 - 2 AZR 518/96 - NZA 1997, 1343; 29.10.1992 - 2 AZR 460/92 - AP Nr. 10 zu § 174 BGB; LAG Mecklenburg-Vorpommern 1. Dezember 2006 - 3 Sa 309/05 - auf juris.de verfügbar; 5. Oktober 2006 - 1 Sa 161/06 - auf juris.de verfügbar). Ein Fachvorgesetzter und mag er in der innerbetrieblichen Hierarchie noch so hoch angesiedelt sein, erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Denn ist das Unternehmen in der althergebrachten Weise aufgestellt, gibt es neben dem Fachvorgesetzten den Abteilungsleiter Personal, dem die personalrechtlichen Befugnisse zustehen. Nimmt der Fachvorgesetzte abweichend von diesem Organisationsmodell selbst die Personalbefugnisse in seinem Bereich wahr, ist das ein Organisationsmodell, das vom Üblichen abweicht. Aus der Üblichkeit kann daher hier nicht auf die Kündigungsbefugnis geschlossen werden.

28

Auch der weitere Hinweis des Beklagten, Herr W. wäre gleichzeitig der Leiter der Regionaldirektion Berlin gewesen, ändert an diesem Befund nichts. Zum einen konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht weiter aufgeklärt werden, welche besonderen Befugnisse mit dieser Funktion verbunden sind. Zum anderen ändert das nichts an dem Befund, dass Herr W. offensichtlich nicht der Leiter der Personalabteilung des Beklagten ist. Auch der nähere Gehalt der Bezeichnungen "Mitglied der Geschäftsführung" bzw. "Vertreter der Geschäftsführung", die der Beklagte in Bezug auf Herrn W. verwendet hat, konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht weiter aufgeklärt werden.

29

Es kann offen bleiben, ob es einen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, nach dem man von der Befugnis zur Einstellung von Personal auf die Befugnis zur Kündigung von Personal schließen kann (verneinend LAG Mecklenburg-Vorpommern 5. Oktober 2006 a. a. O.), denn aus dem Arbeitsvertrag des Klägers lässt sich nicht entnehmen, dass Herr W. die Befugnis zur Einstellung besitzt, denn der Arbeitsvertrag des Klägers ist auf Seiten des Beklagten von mehreren Personen unterzeichnet. Dass Herr W. mit dem Kläger auch Personalgespräche geführt hat, gehört zu seiner Stellung als Fachvorgesetzter und lässt daher keine Rückschlüsse auf die Kündigungsbefugnis zu.

30

3. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 97 ZPO).

31

Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Zulassung der Revision (§ 72 ArbGG) sind nicht erfüllt.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 467/09 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt ein Groß- und Einzelhandelsunternehmen. Der Kläger war bei ihr seit Oktober 1995 als Lagerist in der Niederlassung E beschäftigt. Er ist mit einem Grad von 50 schwerbehindert. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 1.539,00 Euro.

3

Eine im Auftrag der Beklagten tätige Detektei stellte am 6. und 8. Juni 2009 fest, dass der Kläger Ware ohne Kauf- und Auslieferungsunterlagen in Fahrzeuge Dritter lud.

4

Mit Schreiben vom 8. Juni 2009 beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Der Antrag ging am 9. Juni 2009 beim Integrationsamt ein.

5

Am 22. oder 23. Juni 2009 fragte die Beklagte beim Integrationsamt telefonisch nach einer Bescheidung des Antrags. Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 teilte ihr das Integrationsamt mit, dass es eine Entscheidung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX nicht getroffen habe und deshalb die Zustimmung als erteilt gelte. Das Schreiben wurde ausweislich des Poststempels am 30. Juni 2009 aufgegeben. Die Niederlassungsleiterin der Beklagten nahm es am 1. Juli 2009 zur Kenntnis.

6

Mit Schreiben vom 2. Juli 2009, welches dem Kläger einen Tag später zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Termin.

7

Gegen die außerordentliche Kündigung hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat außerdem Lohnansprüche für die Zeit von Mai bis einschließlich Juli 2009 geltend gemacht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Im Übrigen habe die Beklagte die Kündigung nicht unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ausgesprochen.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung seitens der Beklagten vom 2. Juli 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.617,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jeweils seit Rechtshängigkeit bestimmter Teilbeträge zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe die fristlose Kündigung „unverzüglich“ iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX ausgesprochen. Die Beklagte hat behauptet, das Integrationsamt habe ihr auf ihre Nachfrage am 22. oder 23. Juni 2009 mitgeteilt, eine Entscheidung befinde sich auf dem Postweg. Sie hat gemeint, die Kündigung sei wegen Diebstahls gerechtfertigt. Zahlungsansprüche bestünden nicht.

10

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten, die diese auf die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag und ihre Verurteilung zur Zahlung von mehr als 3.648,09 Euro beschränkt hat, zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage im noch rechtshängigen Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht ( § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, die außerordentliche Kündigung vom 2. Juli 2009 sei unwirksam, weil die Beklagte sie nicht unverzüglich iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt habe. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

12

I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, die Beklagte habe die außerordentliche Kündigung vom 2. Juli 2009 nicht unverzüglich iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt.

13

1. Für den Fall, dass bei fristgerechter Antragstellung die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts bereits abgelaufen ist, verlangt § 91 Abs. 5 SGB IX den unverzüglichen Ausspruch der Kündigung(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - Rn. 26, AP SGB IX § 91 Nr. 5 = EzA SGB IX § 91 Nr. 2).

14

a) Damit ist klargestellt, dass nach erteilter Zustimmung keine neue Ausschlussfrist iSv. § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 12. Mai 2005 - 2 AZR 159/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 5 = EzA SGB IX § 91 Nr. 2). § 91 Abs. 5 SGB IX trägt ferner dem Umstand Rechnung, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf dieser Frist die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B I 1 b der Gründe, BAGE 114, 264; 15. November 2001 - 2 AZR 380/00 - zu B II 1 b cc der Gründe, BAGE 99, 358).

15

b) Erteilt iSv. § 91 Abs. 5 SGB IX ist die Zustimmung, sobald eine solche Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX getroffen und der antragstellende Arbeitgeber hierüber in Kenntnis gesetzt oder wenn eine Entscheidung innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nicht getroffen worden ist; in diesem Fall gilt die Zustimmung mit Ablauf der Frist gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt(vgl. zur Vorgängerregelung des § 18 Abs. 6 SchwbG 1979 BAG 3. April 1986 - 2 AZR 258/85 - zu II 1 der Gründe, AP SchwbG § 18 Nr. 9 = EzA SchwbG § 18 Nr. 7).

16

c) Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 91 Abs. 5 SGB IX „ohne schuldhaftes Zögern“(BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - Rn. 31, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3). Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; RG 22. Februar 1929 - II 357/28 - RGZ 124, 115, 118). Da „unverzüglich“ weder „sofort“ bedeutet noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden ist, kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an (BAG 1. Februar 2007 - 2 AZR 333/06 - aaO; 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - zu II 3 b cc (1) der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; BGH 26. Januar 1962 - V ZR 168/60 - WM 1962, 511).Dabei ist nicht allein die objektive Lage maßgebend. Solange derjenige, dem unverzügliches Handeln abverlangt wird, nicht weiß, dass er die betreffende Rechtshandlung vornehmen muss, oder es mit vertretbaren Gründen annehmen kann, er müsse sie noch nicht vornehmen, liegt kein „schuldhaftes” Zögern vor (BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - aaO;   21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B I 2 e aa der Gründe, BAGE 114, 264; BSG 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - zu 2 der Gründe, BSGE 95, 8).

17

d) Die Kündigung ist im Sinne von § 91 Abs. 5 SGB IX „erklärt“, wenn sie dem schwerbehinderten Menschen gemäß § 130 BGB zugegangen ist(vgl. zur Vorgängerregelung des § 18 Abs. 6 SchwbG BAG 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 34, 20).

18

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze steht noch nicht fest, ob die Beklagte die Kündigung vom 2. Juli 2009 unverzüglich iSd. § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt hat.

19

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, für die Beurteilung der „Unverzüglichkeit“ sei im Streitfall auf den Eintritt der Zustimmungsfiktion gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX am 23. Juni 2009 abzustellen. Das Integrationsamt habe innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang keine Entscheidung getroffen. Die Beklagte habe die Kündigung nicht ohne schuldhaftes Zögern erklärt, weil sie schon in dem von ihr behaupteten Telefongespräch mit dem Integrationsamt am 22. oder 23. Juni 2009 habe nachfragen müssen, welche Entscheidung dort getroffen worden sei. Sie habe zumindest deshalb schuldhaft gezögert, weil sie es trotz der Information seitens des Integrationsamts, eine Entscheidung sei unterwegs, nicht für notwendig erachtet habe, nach Ablauf der normalen Postzeit, also spätestens am 26. Juni 2009, nach dem Verbleib der Entscheidung zu fragen.

20

b) Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Trifft die Behauptung der Beklagten zu, sie habe vom Integrationsamt bei ihrer telefonischen Nachfrage am 22. oder 23. Juni 2009 die Auskunft erhalten, eine Entscheidung sei auf dem Postweg, dann durfte sie den Zugang dieser Entscheidung abwarten, bevor sie die Kündigung erklärte. Dies gilt jedenfalls solange, wie sie keinen Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erteilten Auskunft haben musste. Das Ausbleiben der angekündigten Postsendung musste die Beklagte nicht schon vor deren tatsächlichem Zugang am 1. Juli 2009 zu weiteren Nachfragen anhalten.

21

aa) Hat die Beklagte am 22. oder 23. Juni 2009 die von ihr behauptete Auskunft vom Integrationsamt erhalten, durfte sie darauf vertrauen, dass keine Zustimmung fingiert würde und sie die Kündigung daher nicht unverzüglich nach Ablauf der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX würde aussprechen müssen. Hat nämlich das Integrationsamt innerhalb der zwei Wochen gem. § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX entschieden und die Entscheidung noch vor Ablauf der Frist zur Post gegeben, tritt eine Zustimmungsfiktion nicht ein(vgl. zu § 21 SchwbG 1986 für den Fall einer ablehnenden Entscheidung BAG 9. Februar 1994 - 2 AZR 720/93 - zu II 3 der Gründe, BAGE 75, 358; zu § 18 SchwbG 1979 vgl. BAG 16. März 1983 - 7 AZR 96/81 - zu II 3 der Gründe, BAGE 44, 22).

22

bb) Nach dem von der Beklagten behaupteten Inhalt der Mitteilung des Integrationsamts blieb offen, ob eine zustimmende oder eine ablehnende Entscheidung getroffen worden war. Unter diesen Umständen hat die Beklagte nicht deshalb vorwerfbar gezögert, weil sie den Zugang des angekündigten Bescheids abgewartet hat, bevor sie die Kündigung erklärte. Der Arbeitgeber muss nicht riskieren, eine Kündigung ohne die erforderliche Zustimmung des Integrationsamts auszusprechen, wenn er zwar weiß oder annehmen darf, dass das Integrationsamt vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, aber nicht weiß, wie die Entscheidung ausgefallen ist.

23

cc) Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen durfte sich die Beklagte mit dem Hinweis, eine Entscheidung sei auf dem Postweg, zunächst zufrieden geben. Zwar besteht eine Obliegenheit des Arbeitgebers, sich beim Integrationsamt zu erkundigen, ob es innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX eine Entscheidung getroffen hat, weil anderenfalls die Zustimmung fingiert wird(vgl. BAG 2. Februar 2006 - 2 AZR 57/05 - zu II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; 3. Juli 1980 - 2 AZR 340/78 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 34, 20; HK-SGB IX/Trenk-Hinterberger 3. Aufl. § 91 Rn. 40). Dem Arbeitgeber ist es aber nicht zuzumuten, darauf zu dringen, ggf. auch über den Inhalt der getroffenen Entscheidung schon vorab in Kenntnis gesetzt zu werden. Zu einer solchen Auskunft ist das Integrationsamt nicht verpflichtet. Die Bekanntgabe der Entscheidung hat vielmehr durch Zustellung zu erfolgen (§ 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX). Teilt das Integrationsamt lediglich mit, dass es innerhalb der Frist eine Entscheidung getroffen habe, darf der Arbeitgeber die Zustellung des entsprechenden Bescheids eine - nicht gänzlich ungewöhnliche - Zeit lang abwarten.

24

dd) Ihr Vorbringen über die ihr erteilte Auskunft als wahr unterstellt, musste die Beklagte nicht unmittelbar nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX noch einmal beim Integrationsamt nachfragen, ob tatsächlich keine Zustimmungsfiktion eingetreten sei. Dies wäre allenfalls dann anders zu beurteilen, wenn sie an der Richtigkeit der Auskunft Zweifel hätte haben müssen. Dafür ist nach den bisherigen Feststellungen nichts ersichtlich.

25

ee) Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen musste sich die Beklagte auch nicht spätestens am 26. Juni 2009 nach dem Verbleib des angekündigten Bescheids erkundigen. Es sind keine Umstände festgestellt, aufgrund derer ihr Zuwarten über eine „normale“ Postlaufzeit hinaus als schuldhaftes Zögern anzusehen wäre. Gem. § 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX ist die Entscheidung des Integrationsamts förmlich zuzustellen. Das kann zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen.

26

ff) Aus den einschlägigen Bestimmungen über die Bekanntgabe/Zustellung des Bescheids ergeben sich keine weitergehenden Sorgfaltsanforderungen. Zwar gilt gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Zum einen gilt dies aber gem. § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X dann nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Zum anderen bleiben die Vorschriften über eine Bekanntgabe des Verwaltungsakts mittels Zustellung nach § 37 Abs. 5 SGB X von den Regelungen des § 37 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB X unberührt. Nach § 88 Abs. 2, § 91 Abs. 1 SGB IX hat das Integrationsamt seine Entscheidung dem Arbeitgeber und dem schwerbehinderten Menschen zuzustellen. Für die Zustellung gelten gem. § 65 Abs. 2 SGB X die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften über das Zustellungsverfahren. Diese sehen zwar für die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben eine Zustellungsfiktion am dritten Tag nach Aufgabe zur Post vor (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ThüVwZG). Die Fiktion tritt aber dann nicht ein, wenn das Schriftstück nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zugeht (§ 4 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ThüVwZG). Für die Zustellung durch die Post mittels Zustellungsurkunde gilt gar keine Fiktionsregelung (§ 3 ThüVwZG).

27

II. Das Landesarbeitsgericht wird demnach bei der neuen Verhandlung und Entscheidung Feststellungen über den Inhalt der der Beklagten vom Integrationsamt am 22. oder 23. Juni 2009 erteilten Auskunft zu treffen und - sollte dieser dem Vortrag der Beklagten entsprechen - weiter zu prüfen haben, ob für die außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bestand. Sollte sich die Richtigkeit des Vorbringens der Beklagten nicht erweisen, wird das Landesarbeitsgericht im Licht der festgestellten Tatsachen erneut zu beurteilen haben, ob die Beklagte die außerordentliche Kündigung „unverzüglich“ erklärt hat.

28

III. Von der Aufhebung und Zurückverweisung ist auch die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung umfasst, soweit sie von ihr mit der Berufung angegriffen worden ist. Insoweit hängt der Anspruch des Klägers von der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 2. Juli 2009 ab.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey    

        

    Grimberg    

                 

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern der Personalvertretungen, der Jugendvertretungen oder der Jugend- und Auszubildendenvertretungen, der Wahlvorstände sowie von Wahlbewerbern, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, bedarf der Zustimmung der zuständigen Personalvertretung. Verweigert die zuständige Personalvertretung ihre Zustimmung oder äußert sie sich nicht innerhalb von drei Arbeitstagen nach Eingang des Antrags, so kann das Verwaltungsgericht sie auf Antrag des Dienststellenleiters ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(2) Eine durch den Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Beschäftigten ist unwirksam, wenn die Personalvertretung nicht beteiligt worden ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 12. April 2011 - 19 Sa 1951/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Sie streiten ferner - in Abhängigkeit vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits - über Abrechnung und Zahlung von Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.

2

Die Beklagte stellt Transportgeräte her. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1950 geborene Kläger war seit April 1977, zuletzt als Leiter Buchhaltung/Finanzen/Personal bei ihr tätig.

3

Anfang 2003 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg unberechtigt Firmengelder iHv. rund 280.500,00 Euro vereinnahmt hatte. Der Kläger gestand dies zu. Im Rahmen eines notariellen Schuldanerkenntnisses trat er im März 2003 den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens an die Beklagte ab und gewährte ihr weitere Sicherheiten. Die Beklagte beschäftigte den Kläger weiter. Sie beließ es bei einer ihm erteilten Kontovollmacht, verschärfte allerdings ihre Kontrollen. Unter anderem verpflichtete sie den Kläger, der Geschäftsführung für Überweisungen, die von Firmenkonten getätigt wurden, Belege vorzulegen.

4

Im April 2007 ging der Beklagten ein zugunsten einer anderen Gläubigerin des Klägers ausgestellter Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu, mit dem seine Gehaltsansprüche wegen einer Forderung iHv. 48.900,00 Euro gepfändet wurden. Ende April 2007 stellte sie den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Im selben Zeitraum traten neue Unregelmäßigkeiten im Verhalten des Klägers zutage. Nachforschungen bei Kreditinstituten ergaben, dass dieser - zumindest in zwei Fällen - ohne rechtlichen Grund Firmengelder auf sein Konto überwiesen hatte. Die Vorgänge hatte er durch Erstellung fingierter Belege verschleiert.

5

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 10. Mai 2007 außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht. Der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage wurde - rechtskräftig - stattgegeben, da der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.

6

Im Rahmen von Ermittlungen stieß die Beklagte auf weitere unrechtmäßige Überweisungen. Nach neuerlicher Anhörung des Betriebsrats kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15. August 2007 abermals fristlos. Das Landesarbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt, erneut wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung. Das Urteil ist rechtskräftig.

7

Am 29. Juni 2007 erstattete die Beklagte Strafanzeige. Am 21. Mai 2008 erhob die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger Anklage. Sie legte ihm zur Last, sich in 74 Fällen der Untreue zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht zu haben. Mit Blick darauf hörte die Beklagte den Betriebsrat am 19. November 2008 zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Mit Beschluss vom 18. November 2008 hatte das Amtsgericht die öffentliche Klage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Nachdem sie davon erfahren hatte, führte die Beklagte eine weitere Betriebsratsanhörung zu einer auch auf diesen Gesichtspunkt gestützten fristlosen Kündigung durch. Mit Zustimmung des Betriebsrats kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 25. November 2008 außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30. Juni 2009. Sie erklärte die fristlose Kündigung sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung. Das Landesarbeitsgericht gab der dagegen gerichteten Klage - rechtskräftig - statt; die fristlose Kündigung sei nicht binnen der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden, die ordentliche Kündigung sei aufgrund der einzelvertraglich in Bezug genommenen Bestimmung des § 20 Nr. 4 MTV Metall- und Elektroindustrie NRW ausgeschlossen.

8

Am 24. August 2009 fand vor dem Amtsgericht die Hauptverhandlung gegen den Kläger statt. Die Staatsanwaltschaft beantragte, nachdem das Verfahren in vier Punkten eingestellt worden war, wegen 67 angeklagter - die Jahre 2005 bis 2007 betreffender - Taten, den Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung zu verurteilen; in drei Anklagepunkten beantragte sie Freispruch. Die Verteidigung des Klägers schloss sich dem mit der Maßgabe an, den Kläger zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten zu verurteilen und die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Das Amtsgericht verurteilte den Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten ohne Bewährung. Es sah es aufgrund einer durchgeführten Beweisaufnahme als erwiesen an, dass der Kläger in der fraglichen Zeit in 67 Fällen Firmengelder iHv. ingesamt 44.061,54 Euro veruntreut habe. Bei der Verhandlung und Urteilsverkündigung waren ein Geschäftsführer der Beklagten und ihr Prozessbevollmächtigter anwesend.

9

Auf ihren noch am selben Tag gestellten Antrag wurden der Beklagten am 11. September 2009 Abschriften des Verhandlungsprotokolls und des Strafurteils zur Verfügung gestellt. Nach Unterrichtung des Betriebsrats kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 22. September 2009 erneut fristlos.

10

Dagegen hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Außerdem hat er Zahlungs- und Abrechnungsansprüche für die Monate Oktober bis Dezember 2009 geltend gemacht.

11

Noch im Verlauf des ersten Rechtszuges kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. Dezember 2009 ein weiteres Mal, nunmehr mit der Begründung, der Kläger habe sich herabsetzend über ihr steuerliches Verhalten geäußert. In einem hierüber getrennt geführten Kündigungsschutzprozess stellte das Arbeitsgericht mit Urteil vom 23. Juni 2010 fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Das Urteil ist - insoweit - rechtskräftig.

12

Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger die Auffassung vertreten, seiner Kündigungsschutzklage sei angesichts des Urteils vom 23. Juni 2010 ohne Weiteres stattzugeben. Aufgrund dieser Entscheidung stehe zwischen den Parteien bindend fest, dass zwischen ihnen noch am 4. Dezember 2009 ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Damit stehe zugleich fest, dass es nicht durch die fristlose Kündigung vom 22. September 2009 aufgelöst worden sei. Im Übrigen sei auch diese Kündigung unwirksam, weil die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt und die Betriebsratsanhörung fehlerhaft sei.

13

Der Kläger hat - zusammengefasst und unter Berücksichtigung einer in der Revisionsinstanz erfolgten Klarstellung - zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 22. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, für die Monate Oktober 2009 und Dezember 2009 jeweils einen Gehaltsbruttobetrag iHv. 5.749,75 Euro und für den Monat November 2009 einen Gehaltsbruttobetrag iHv. 8.979,98 Euro abzurechnen und die betreffenden Beträge, vermindert um auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangene Ansprüche iHv. 528,01 Euro und vermindert um auf die Beklagte übergegangene Ansprüche iHv. je 1.437,05 Euro für die Monate Oktober und Dezember 2009 sowie 3.078,85 Euro für den Monat November 2009, jeweils zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf das volle Bruttogehalt seit dem ersten Kalendertag eines jeden Folgemonats an ihn bzw. eine evtl. Drittgläubigerin auszuzahlen;

                 

hilfsweise

                 

festzustellen, dass er für die Monate Oktober und Dezember 2009 jeweils Inhaber einer von der Beklagten nicht abgerechneten Bruttolohnforderung iHv. 5.749,75 Euro und für den Monat November 2009 Inhaber einer von der Beklagten nicht abgerechneten Bruttolohnforderung iHv. 8.979,98 Euro ist;

                 

hilfsweise dazu

                 

festzustellen, dass er für die Monate Oktober, November und Dezember 2009 jeweils Inhaber einer nicht abgerechneten Bruttoforderung in der im vorstehenden Hilfsantrag bezeichneten Höhe ist, die - bezogen auf die Monate Oktober und Dezember 2009 - iHv. je 1.437,05 Euro netto auf die Beklagte und iHv. je 528,01 Euro netto auf die Arbeitsgemeinschaft für Arbeit im Kreis Herford übergegangen ist und die - bezogen auf den Monat November 2009 - iHv. 3.078,85 Euro netto auf die Beklagte und iHv. 528,01 Euro auf die Arbeitsgemeinschaft für Arbeit im Kreis Herford übergangen ist;

                 

hilfsweise zu allem Vorstehenden

                 

die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate Oktober, November und Dezember 2009 je 1.067,65 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Kalendertag eines jeden Folgemonats zu zahlen

                 

sowie 

                 

die Beklagte zu verurteilen, für die Monate Oktober und Dezember 2009 jeweils 1.604,08 Euro Lohnsteuer, 144,36 Euro Kirchensteuer und 88,22 Euro Solidaritätszuschlag und für den Monat November 2009 2.932,08 Euro Lohnsteuer, 263,88 Euro Kirchensteuer und 161,26 Euro Solidaritätszuschlag an das zuständige Betriebsstättenfinanzamt, namentlich das Finanzamt Bielefeld-Außenstadt, sowie für die Monate Oktober bis Dezember 2009 jeweils insgesamt 1.074,60 Euro an Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zur Rentenversicherung an die Deutsche Rentenversicherung und jeweils insgesamt 151,20 Euro an Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zur Arbeitslosenversicherung an die Bundesagentur für Arbeit abzuführen.

14

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe nach Abgabe des Schuldanerkenntnisses weitere Firmengelder veruntreut, zumindest in den im Strafverfahren nachgewiesenen 67 Fällen. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB habe sie gewahrt. Der Kläger habe im Strafverfahren die fraglichen Taten mittelbar dadurch eingeräumt, dass er in der Verhandlung vom 24. August 2009 keinen umfassenden Freispruch, sondern die Verhängung einer Bewährungsstrafe beantragt habe. Dies sei als neue Tatsache zu werten. Um dem Betriebsrat insoweit etwas „Greifbares“ bieten zu können, habe sie die Übersendung des Protokolls und der schriftlichen Urteilsgründe abwarten dürfen. Die anschließende Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Etwaige Fehler bei der Beschlussfassung des Gremiums seien ihr nicht zuzurechnen. Die auf Zahlung und Abrechnung gerichteten Anträge seien schon deshalb unbegründet, weil zwischen den Parteien seit Zugang der Kündigung vom 22. September 2009 kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden habe. Unabhängig davon sei sie nicht in Annahmeverzug geraten. Eine tatsächliche Beschäftigung des Klägers sei für sie unzumutbar gewesen.

15

Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag zu 1. stattgegeben, im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung vom 22. September 2009 zu Recht als wirksam angesehen (I.). Die auf Abrechnung und Zahlung von Annahmeverzugslohn gerichteten Anträge einschließlich der darauf bezogenen Hilfsanträge sind dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen (II.).

17

I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die fristlose Kündigung vom 22. September 2009 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

18

1. Einem klageabweisenden Urteil im vorliegenden Rechtsstreit steht nicht das rechtskräftige Urteil vom 23. Juni 2010 entgegen, soweit das Arbeitsgericht festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 4. Dezember 2009 nicht aufgelöst worden ist. Der Beklagten ist es trotz dieser Feststellungen nicht verwehrt, sich auf die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 22. September 2009 zu berufen.

19

a) Der Umfang der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess bestimmt sich nach dem Streitgegenstand. Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage mit einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG ist, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien aus Anlass einer bestimmten Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen Termin aufgelöst worden ist. Die begehrte Feststellung erfordert nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung. Mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht deshalb fest, dass jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwischen den streitenden Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 73; 26. März 2009 - 2 AZR 633/07 - Rn. 16, BAGE 130, 166). Auch enthält ein rechtskräftiges Urteil, wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine bestimmte Kündigung zu dem vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist, grundsätzlich die konkludente Feststellung, dass dieses Arbeitsverhältnis nicht zuvor durch andere Ereignisse aufgelöst worden ist (BAG 25. März 2004 - 2 AZR 399/03 - zu B II 1 der Gründe, AP BMT-G II § 54 Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 4; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111). Die Rechtskraft schließt gemäß § 322 ZPO im Verhältnis der Parteien zueinander eine hiervon abweichende gerichtliche Feststellung in einem späteren Verfahren aus(BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13, aaO; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - zu B I 1 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11).

20

b) Zu berücksichtigen ist aber, dass der Streitgegenstand der (späteren) Kündigungsschutzklage und damit der Umfang der Rechtskraft eines ihr stattgebenden Urteils auf die (streitige) Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung beschränkt werden kann (BAG 26. März 2009 - 2 AZR 633/07 - Rn. 16, BAGE 130, 166; 25. März 2004 - 2 AZR 399/03 - zu B II 2 der Gründe, AP BMT-G II § 54 Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 4; 20. Mai 1999 - 2 AZR 278/98 - zu I der Gründe, ZinsO 2000, 351; 17. Mai 1984 - 2 AZR 109/83 - zu A II der Gründe, BAGE 46, 191). Eine solche Einschränkung des Umfangs der Rechtskraft bedarf deutlicher Anhaltspunkte, die sich aus der Entscheidung selbst ergeben müssen (für die Einschränkung der Rechtskraft eines die Leistungsklage abweisenden Urteils vgl. BAG 11. Oktober 2011 - 3 AZR 795/09 - Rn. 18 mwN, EzA ZPO 2002 § 322 Nr. 2). Das schließt es nicht aus, für die Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft im Einzelfall Umstände heranzuziehen, die schon mit der Entscheidungsfindung zusammenhängen. So kann für die „Ausklammerung“ der Rechtsfolgen einer eigenständigen, zeitlich früher wirkenden Kündigung aus dem Streitgegenstand der Klage, die sich gegen eine später zugegangene Kündigung richtet, der Umstand sprechen, dass dieselbe Kammer des Arbeitsgerichts am selben Tag über beide Kündigungen entschieden hat. In einem solchen Fall ist regelmäßig sowohl für die Parteien als auch für das Gericht klar, dass die Wirkungen der früheren Kündigung nicht zugleich Gegenstand des Rechtsstreits über die später wirkende Kündigung sein sollten (vgl. BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 278/98 - zu I der Gründe, aaO).

21

c) Danach führt die Rechtskraft des der Klage gegen die Kündigung vom 4. Dezember 2009 stattgebenden Urteils vom 23. Juni 2010 nicht dazu, dass im vorliegenden Rechtsstreit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der fristlosen Kündigung vom 22. September 2009 nicht mehr geprüft werden könnte. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, das Arbeitsgericht habe mit seinem Urteil vom 23. Juni 2010 nicht über die Wirksamkeit der ihm bekannten, zeitlich vorhergehenden Kündigung entscheiden wollen und entschieden, ist rechtsfehlerfrei. Die Parteien haben ihren Streit über die Wirksamkeit der betreffenden Kündigungen in getrennten Prozessen ausgetragen. Im Tatbestand des Urteils vom 23. Juni 2010 wird ausdrücklich auf die fristlose Kündigung vom 22. September 2009 hingewiesen. Es ist das erstinstanzliche Aktenzeichen des vorliegenden Rechtsstreits aufgeführt und dargestellt worden, dass das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben hat. Das Urteil vom 23. Juni 2010 stammt von derselben Kammer, die am 9. April 2010 das erstinstanzliche Urteil in der vorliegenden Sache verkündet hat. Hinzu kommt, dass bei Verkündung des Urteils vom 23. Juni 2010 die Frist für die Einlegung einer Berufung gegen das am 9. April 2010 ergangene Urteil noch nicht abgelaufen war. Dafür, dass sich das Arbeitsgericht dieser Tatsache bei Verkündung des Urteils vom 23. Juni 2010 bewusst war, spricht der in den dortigen Tatbestand aufgenommene Hinweis, es handele sich bei der vorausgegangenen Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung vom 22. September 2009 um ein erstinstanzliches Urteil. Schon diese Umstände zeigen, dass aus Sicht des Arbeitsgerichts die Kündigung vom 22. September 2009 nicht zugleich Gegenstand des Rechtsstreits betreffend die Kündigung vom 4. Dezember 2009 sein sollte. Überdies befassen sich die Entscheidungsgründe des Urteils vom 23. Juni 2010 an keiner Stelle mit der Frage, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 4. Dezember 2009 noch bestanden hat. Dies kann in Anbetracht des bekanntermaßen noch nicht rechtskräftig beendeten Streits über die Wirksamkeit der vorangegangenen Kündigung, zu deren Rechtfertigung sich die Beklagte überdies auf völlig andere Gründe berufen hatte, nur so verstanden werden, dass das Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung vom 23. Juni 2010 die rechtliche Bewertung der Kündigung vom 22. September 2009 dem Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits überlassen wollte.

22

2. Die Kündigung vom 22. September 2009 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

23

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dass sich der Kläger in 67 Fällen der Untreue zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht hat und der Beklagten damit die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar war. Diese Würdigung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Ungeachtet der knappen Ausführungen liegt kein Verfahrensmangel iSd. § 547 Nr. 6 ZPO vor. Aus der Begründung des Gerichts wird hinreichend deutlich, dass es - auch ohne vorausgehende Abmahnung - von der Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst für die Dauer einer (fiktiven) Kündigungsfrist ausgegangen ist. Das ist angesichts der Schwere der dem Kläger anzulastenden Pflichtverletzungen nicht zu beanstanden. Dessen Lebensalter und die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit vermögen kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Das sieht die Revision ersichtlich nicht anders.

24

b) Mit dem zur Rechtfertigung der Kündigung vorgebrachten Grund ist die Beklagte nicht präkludiert. Dies gilt selbst dann, wenn die in Rede stehenden 67 Untreuehandlungen - entweder im Sinne eines Verdachts oder im Sinne eines Tatvorwurfs - bereits Gegenstand der rechtskräftig für unwirksam erklärten Kündigungen vom 10. Mai 2007, 15. August 2007 und 25. November 2008 gewesen sein sollten. Das angefochtene Urteil enthält dazu keine eindeutigen Feststellungen.

25

aa) Eine Kündigung kann nicht erfolgreich auf Gründe gestützt werden, die der Arbeitgeber schon zur Begründung einer vorhergehenden Kündigung vorgebracht hat und die in einem rechtskräftig abgeschlossenen Kündigungsschutzprozess mit dem Ergebnis materiell geprüft worden sind, dass sie die Kündigung nicht tragen. Mit einer Wiederholung dieser Gründe zur Stützung einer späteren Kündigung ist der Arbeitgeber ausgeschlossen (BAG 6. September 2012 - 2 AZR 372/11 - Rn. 13, BB 2012, 2367; 8. November 2007 - 2 AZR 528/06 - Rn. 20 ff. mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 19). Eine solche Präklusionswirkung entfaltet die Entscheidung über die frühere Kündigung allerdings nur bei identischem Kündigungssachverhalt. Hat sich dieser wesentlich geändert, darf der Arbeitgeber erneut kündigen (BAG 6. September 2012 - 2 AZR 372/11 - Rn. 13, aaO; 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 19, BAGE 132, 299).

26

bb) Die außerordentliche Kündigung vom 22. September 2009 stellt sich danach nicht als bloße Wiederholung einer der früheren Kündigungen dar.

27

(1) Die Klagen gegen die Kündigungen vom 10. Mai und 15. August 2007 waren deshalb erfolgreich, weil das Landesarbeitsgericht für beide zu dem Ergebnis gelangt war, sie seien wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung und damit aus einem formellen Grund unwirksam. Eine materielle gerichtliche Überprüfung der Kündigungsgründe erfolgte nicht.

28

(2) Die fristlose - sowohl auf einen bloßen Tatverdacht als auch den Tatvorwurf - gestützte Kündigung vom 25. November 2008 hatte deshalb keinen Bestand, weil das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Das Gericht war der Auffassung, die Eröffnung des Hauptverfahrens, auf deren Grundlage die Beklagte gekündigt habe, stelle gegenüber der - bereits länger als zwei Wochen zurückliegenden - Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft und den in diesem Zusammenhang bekannt gewordenen Tatsachen keinen Umstand dar, der die Ausschlussfrist erneut in Gang setze. Auch insoweit hat deshalb eine materielle Prüfung der Kündigungsgründe als solche nicht stattgefunden. Unabhängig davon stützt die Beklagte die Kündigung vom 22. September 2009 nicht auf einen vollständig identischen Sachverhalt. Sie beruft sich zusätzlich auf die strafgerichtliche Verurteilung des Klägers und die in der Hauptverhandlung von seiner Seite abgegebenen Erklärungen. Ob dies ausreicht, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erneut in Gang zu setzen, erfordert eine neue rechtliche Bewertung; die Entscheidung über die Kündigung vom 25. November 2008 erfasst diesen Aspekt nicht und vermag insoweit keine Präklusionswirkung zu entfalten (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 19, BAGE 137, 54).

29

3. Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

30

a) Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, BAGE 137, 54; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

31

b) Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Fort- und Ausgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und abhängig davon in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen. Für die Wahl des Zeitpunkts bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr ausreichend Erkenntnisse für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch einer neuerlichen Kündigung nehmen (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 16 mwN, BAGE 137, 54; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 20 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

32

c) Der Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens - beispielsweise die Erhebung der öffentlichen Klage und die spätere Verurteilung - kann einen gegen den Arbeitnehmer bestehenden Verdacht, er habe seine Vertragspflichten verletzt, verstärken (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, 18 mwN, BAGE 137, 54). Auch wenn derartige Umstände für sich genommen - dh. ohne konkreten, den Kündigungsgrund stützenden Tatsachenvortrag - nicht ausreichen, eine Verdachts- oder Tatkündigung zu begründen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 16, DB 2013, 641; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 26, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 11), stellen sie doch einen Einschnitt dar, der in der Lage ist, den Verdacht oder die Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken, und der für den Beginn der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB von Bedeutung sein kann(BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 16, aaO; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17 ff., aaO). Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis am Anfang der Ermittlungen schon einmal gekündigt hat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 19, aaO).

33

d) Für eine Kündigung, die wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ausgesprochen wird, gelten mit Blick auf § 626 Abs. 2 BGB grundsätzlich dieselben Erwägungen wie für eine Kündigung wegen einer als erwiesen angesehenen Straftat(BAG 29. Juli 1993 - 2 AZR 90/93 - zu II 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 31 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 4). Die Möglichkeit, die Kündigung an neue Erkenntnisse im Strafverfahren zu knüpfen, trägt den mit der Aufklärung strafbarer Handlungen des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber verbundenen Schwierigkeiten und dessen eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten Rechnung. Hat der Arbeitgeber eine Kündigung bereits ausgesprochen, weil er der Auffassung war, die bisher angestellten Ermittlungen böten ihm eine hinreichende Grundlage für einen dringenden Tatverdacht oder den Nachweis einer schwerwiegenden Pflichtverletzung, schließt dies eine neuerliche Kündigung bei Hinzutreten veränderter, die Überzeugung verstärkender Umstände nicht aus. Zwar stellen in der Regel weder der Verdacht strafbarer Handlungen noch eine begangene Straftat einen Dauertatbestand dar (BAG 29. Juli 1993 - 2 AZR 90/93 - zu II 1 c dd der Gründe, aaO). Das hindert den Arbeitgeber aber nicht daran, eine erneute Kündigung auf eine veränderte, weil erweiterte Tatsachengrundlage zu stützen. Durch eine einmal erklärte Kündigung verzichtet er auf dieses Recht nicht, mögen auch die Kündigungsart und die in Rede stehende Pflichtverletzung die nämliche sein (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 19, BAGE 137, 54; aA Walker Anm. zu AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49, unter 2).

34

e) In Anwendung dieser Grundsätze ist das Landesarbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB habe am 11. September 2009 als dem Tag - neu - begonnen, an welchem die Beklagte eine Abschrift des Protokolls der Hauptverhandlung und des Strafurteils vom 24. August 2009 erhalten hat.

35

aa) Die strafrechtliche Verurteilung des Klägers konnte die Beklagte in der Gewissheit bestätigen, dass dieser die ihm zur Last gelegten Taten tatsächlich begangen hat (vgl. BAG 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12). Das Landesarbeitsgericht hat für den Senat bindend angenommen, vor Erstattung der Strafanzeige seien nicht alle Vorfälle hinreichend aufgeklärt gewesen. Den Gründen des Strafurteils, auf die das Landesarbeitsgericht Bezug genommen hat, ist zu entnehmen, dass sich der Kläger weder zur Sache eingelassen, noch Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und den Taten gemacht hatte. Zumindest in einem solchen Fall bedeutet es einen relevanten Erkenntnisfortschritt, dass das mit den Möglichkeiten der Amtsermittlung ausgestattete Strafgericht nach Beweisaufnahme den Tatnachweis als geführt ansieht und zu einer Verurteilung des Arbeitnehmers gelangt (vgl. BAG 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26 = EzA BGB § 626 nF Nr. 160). Im Streitfall kommt hinzu, dass der Verteidiger des Klägers keinen Freispruch, sondern die Verhängung einer Bewährungsstrafe beantragt und der Kläger von der ihm eingeräumten Möglichkeit, etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen, keinen Gebrauch gemacht hat. Auch dadurch hat sich die Tatsachengrundlage erweitert, belegt das Verhalten des Klägers doch zumindest, dass er den Vorwürfen nicht mehr aktiv entgegen treten will.

36

bb) Es hält sich im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum, wenn das Landesarbeitsgericht für den Beginn der Frist nicht auf den 24. August 2009 als das Datum der Urteilsverkündung abgestellt hat, sondern auf die Zuleitung des Protokolls und der schriftlichen Urteilsgründe am 11. September 2009. Erst durch die Möglichkeit der Kenntnisnahme von den schriftlichen Gründen hat die Beklagte - angesichts der Komplexität des Verfahrens und der Vielzahl der in Rede stehenden Tathandlungen - hinreichende Gewissheit über den konkreten Gegenstand und den Umfang der Verurteilung gewonnen. Für diese Sichtweise spricht zudem das in § 406e der Strafprozessordnung verbürgte Recht des Verletzten auf Akteneinsicht durch einen Rechtsanwalt, das die Prüfung ermöglichen soll, ob und in welchem Umfang zivilrechtliche Ansprüche mit Erfolgsaussicht geltend gemacht werden können(vgl. Hanseatisches OLG Hamburg 21. März 2012 - 2 Ws 11/12 ua. - Rn. 22, wistra 2012, 397; zur Einsicht in strafrechtliche Ermittlungsakten vgl. BVerfG 5. Dezember 2006 - 2 BvR 2388/06 - NJW 2007, 1052). Die Teilnahme an der öffentlichen Verhandlung ist hierfür kein ausreichendes Äquivalent. Ob die Beklagte - wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat - die Übermittlung der Schriftstücke auch wegen ihrer Unterrichtungspflichten aus § 102 Abs. 1 BetrVG abwarten durfte, bedarf keiner Entscheidung.

37

f) Die Kündigungserklärung erfolgte binnen zweier Wochen nach dem 11. September 2009. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, die fristlose Kündigung vom 22. September 2009 sei dem Kläger am 24. September 2009 zugegangen.

38

4. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß zur Kündigung vom 22. September 2009 angehört worden.

39

a) Die Beklagte ist gemäß dem Grundsatz der „subjektiven Determinierung“ (vgl. dazu BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41 mwN, NZA 2013, 86; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45 mwN, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36) ihrer Mitteilungspflicht aus § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG inhaltlich ausreichend nachgekommen.

40

b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann dahinstehen, ob die Beklagte das Anhörungsverfahren durch Übergabe des Unterrichtungsschreibens an ein anderes Mitglied des Betriebsrats als dessen Vorsitzenden am 18. September 2009 wirksam eingeleitet hatte und deshalb die Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG bei Zugang des Kündigungsschreibens am 24. September 2009 tatsächlich abgelaufen war. Auf die Empfangszuständigkeit des betreffenden Mitglieds kommt es nicht an. Das Anhörungsverfahren war aufgrund der Stellungnahme des Betriebsrats in jedem Fall am 21. September 2009 abgeschlossen (vgl. BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 461/03 - zu B II 2 b der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9).

41

aa) Der Kläger wendet sich nicht gegen die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, der Anhörungsbogen mit der seitens des Betriebsrats abgegebenen Erklärung, gegen die fristlose Kündigung bestünden keine Bedenken, habe der Beklagten am 21. September 2009 und damit zu einem Zeitpunkt vorgelegen, zu dem das Kündigungsschreiben ihren Machtbereich noch nicht verlassen hatte. Es handelte sich dabei erkennbar um eine das Anhörungsverfahren abschließende Äußerung.

42

bb) Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Stellungnahme keine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats zugrunde gelegen habe, greift nicht durch.

43

(1) Mängel bei der Beschlussfassung des Betriebsrats haben grundsätzlich selbst dann keine Auswirkungen auf die Ordnungsgemäßheit seiner Anhörung, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt weiß oder erkennen kann, dass der Betriebsrat die Angelegenheit nicht fehlerfrei behandelt hat. Solche Fehler - etwa die Abgabe der Stellungnahme durch ein dafür unzuständiges Mitglied des Betriebsrats - gehen schon deshalb nicht zu Lasten des Arbeitgebers, weil dieser keine rechtliche Möglichkeit eines Einflusses auf die Beschlussfassung des Betriebsrats hat (BAG 6. Oktober 2005 - 2 AZR 316/04 - Rn. 21 mwN, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 150 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 16; 24. Juni 2004 - 2 AZR 461/03 - zu B II 2 b aa der Gründe mwN, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9).

44

(2) Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn erkennbar keine Stellungnahme des Gremiums „Betriebsrat”, sondern etwa nur eine persönliche Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden vorliegt oder der Arbeitgeber den Fehler des Betriebsrats durch unsachgemäßes Verhalten selbst veranlasst hat (BAG 6. Oktober 2005 - 2 AZR 316/04 - Rn. 22, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 150 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 16; 16. Januar 2003 - 2 AZR 707/01 - zu B I 2 c der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 129 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 2).

45

(3) Für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls fehlt es auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts an hinreichenden Anhaltspunkten. Einen beachtlichen Verfahrensfehler des Landesarbeitsgerichts zeigt der Kläger nicht auf. Er bezieht sich auf sein Vorbringen, entweder habe das betreffende Betriebsratsmitglied am 21. September 2009 nur eine persönliche Äußerung abgegeben oder die Beklagte habe den Betriebsrat zu einer eiligen Beschlussfassung im Umlaufverfahren gedrängt. Er verbindet damit den Einwand, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht gemeint, dies laufe auf eine unzulässige Ausforschung hinaus. Soweit er damit geltend machen will, das Landesarbeitsgericht habe eine gebotene Beweisaufnahme unterlassen, ist die Rüge unzulässig. Er legt nicht dar, welches Ergebnis die Erhebung des angebotenen Beweises voraussichtlich erbracht hätte (zu dieser Anforderung BAG 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 3 d aa der Gründe, BAGE 109, 145). Unabhängig davon ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts mit den Vorgaben des Prozessrechts vereinbar. Zwar kann es einer Prozesspartei, die keinen Einblick in bestimmte Geschehensabläufe hat und der deshalb die Beweisführung erschwert ist, gestattet sein, auch solche Tatsachen unter Beweis zu stellen, die sie nicht sicher kennt, die sie aber aufgrund ihr bekannter Umstände vermuten kann. Zulässig ist ein solcher Beweisantritt aber nur, wenn zumindest greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen der fraglichen Tatsache aufgezeigt werden (vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 33, DB 2009, 964; BGH 15. Mai 2003 - III ZR 7/02 - zu II 2 a der Gründe, BGHReport 2003, 891). Dieser Anforderung genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Allein die verhältnismäßig kurze Zeit, die zwischen Übergabe des Anhörungsbogens und der Stellungnahme vom 21. September 2009 liegt und der zusätzliche Umstand, dass zwei Tage dieser Zeitspanne arbeitsfrei gewesen sein mögen, sind keine greifbare Indizien dafür, dass das handelnde Betriebsratsmitglied der Beklagten lediglich eine persönliche Stellungnahme übermittelt hat. Zum einen ist es nicht ausgeschlossen, dass der Betriebsrat außerhalb der regulären Arbeitszeit zu Sitzungen zusammentritt. Zum anderen deutet der Inhalt der Stellungnahme („… haben wir keine Bedenken“) explizit auf eine Einbeziehung weiterer Betriebsratsmitglieder hin. Ebenso wenig bietet der zeitliche Ablauf einen Anhaltspunkt für die Annahme, der Betriebsrat habe, falls er einen Beschluss im Umlaufverfahren gefasst haben sollte, dies auf Drängen der Beklagten getan.

46

II. Die Klageanträge zu 2. fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an. Der Kläger hat in der Revisionsbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass deren Erfolg vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits abhängt. Dies kann bei sachgerechter Würdigung, insbesondere vor dem Hintergrund des angebrachten Prozesskostenhilfegesuchs, nur so verstanden werden, dass er sie insgesamt als uneigentliche Hilfsanträge zum Kündigungsschutzantrag stellen will. Selbst wenn über sie zu befinden wäre, bliebe seiner Revision im Übrigen der Erfolg versagt. Infolge der Wirksamkeit der Kündigung vom 22. September 2009 hat in den Monaten Oktober, November und Dezember 2009 zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden.

47

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Nielebock    

                 

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)