Landgericht Hamburg Urteil, 08. Nov. 2017 - 619 KLs 7/16

bei uns veröffentlicht am08.11.2017

Tenor

1. Der Angeklagte wird freigesprochen.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe

1

Der jetzt 75-jährige Angeklagte war auf Kosten der Staatskasse freizusprechen, weil er sich unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt strafbar gemacht hat.

2

Er war vereinbarungsgemäß in der Wohnung der beiden Frauen W. (85 Jahre alt) und M. (81 Jahre alt) anwesend, als diese sich am 10. November 2012 mittels von ihm empfohlener Medikamente freiverantwortlich das Leben nahmen. Er beobachtete die Einnahme der Medikamente - Metoclopramid, Chloroquin und Diazepam - und protokollierte den gesamten Sterbevorgang. Nach Eintritt der Bewusstlosigkeit leitete er dem Wunsch beider Frauen entsprechend keine Rettungsbemühungen ein, stellte dann den Tod fest und rief - nach einer weiteren Wartezeit - die Feuerwehr. Seine Personalien wurden festgestellt und er entlassen.

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Der Angeklagte war von dem Vorwurf der versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassen aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Er war wegen des beachtlichen - entgegenstehenden - Willens der beiden Frauen und der Freiverantwortlichkeit ihrer Entscheidung für den Suizid nicht verpflichtet, nach dem Eintritt ihrer Bewusstlosigkeit Rettungsmaßnahmen einzuleiten. Hinsichtlich der ihm vorgeworfenen unerlaubten Überlassung von Betäubungsmitteln erfolgte der Freispruch aus tatsächlichen Gründen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass er den beiden Frauen das Diazepam überlassen hatte. Zudem wurden die für die Strafbarkeit vorausgesetzten Grenzwerte nicht überschritten (§ 13 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III).

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I. Anklage und Eröffnungsbeschluss

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In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 5. Mai 2014 wurde dem Angeklagten gemeinschaftlicher Totschlag in mittelbarer Täterschaft in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen vorgeworfen. Er und Dr. K. hätten die zum Tatzeitpunkt am 10. November 2012 85-jährige G. W. und die 81-jährige I. M. zunächst über die Freiverantwortlichkeit und „Wohlerwogenheit“ ihres Sterbewunsches getäuscht. Der Angeklagte habe zu Unrecht und ohne Tatsachenbezug - mithin „falsch“ - in neurologischen und psychiatrischen Gutachten deren jeweiligen Sterbeentschluss als frei von Mängeln und „wohlerwogen“ diagnostiziert, obwohl keine vollständige Aufklärung und Beratung über Lebensalternativen erfolgt sei. Er und Dr. K. hätten den Irrtum der Frauen ausgenutzt und sie durch die Bereitstellung der tödlichen Medikamente getötet, um in Deutschland einen Präzedenzfall zu schaffen.

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Das Landgericht Hamburg hatte in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2015 die Anklage insgesamt aus tatsächlichen Gründen nicht zur Hauptverhandlung zugelassen.

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Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft bestätigte das Hanseatische Oberlandesgericht - nunmehr rechtskräftig - die Nichteröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich des ursprünglich Mitangeklagten Dr. K., ließ aber die Anklage hinsichtlich des Angeklagten zur Hauptverhandlung zu. Das Gericht eröffnete das Hauptverfahren aber vor der Allgemeinen Großen Strafkammer.

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Hintergrund dieser Eröffnungsentscheidung war, dass auch der Senat keinen hinreichenden Tatverdacht wegen (gemeinschaftlichen) Totschlages in mittelbarer Täterschaft sah, aber einen solchen wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen sowie wegen unerlaubter Überlassung von Betäubungsmitteln.

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Es sei wahrscheinlich, dass der Angeklagte am 10. November 2012 - dem Tag des Suizides - die zur Tötung vorgesehenen Medikamente Chloroquin und Diazepam in der erforderlichen Menge mitgebracht habe. Bezüglich des Diazepam seien dabei die Grenzwerte der Anlage III des BtMG überschritten gewesen. Nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen um 13:23 Uhr habe er, obwohl er die objektiv unwahrscheinliche Rettung der Frauen noch für möglich gehalten habe, keinen Rettungswagen verständigt. Auch nachdem um 14:24 Uhr weder Puls noch Atmung spürbar gewesen seien habe er zur Sicherheit noch mindestens eine halbe Stunde gewartet, ehe er die Feuerwehr über den Notruf verständigt habe.

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II. Feststellungen

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Die Kammer hat nach der durchgeführten Beweisaufnahme folgenden Sachverhalt festgestellt:

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1. Der Angeklagte

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Der heute 75-jährige nicht vorbestrafte Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger und wohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau in D., N.- W..

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Er ist approbierter Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und seit dem 1. November 1981 Mitglied der Ärztekammer W.-L.. Der Angeklagte hat viele Jahre als Arzt im Krankenhaus gearbeitet. Mittlerweile ist er ausschließlich gutachterlich im Bereich der Sterbehilfe tätig. Er erstellt seit dem Jahre 2003 regelmäßig neurologische und psychiatrische Gutachten über die Urteils- und Einsichtsfähigkeit von Suizidwilligen, die von Sterbehilfeorganisationen wie D. in der Schweiz und dem S. e.V. in Deutschland mitunter für die Begleitung eines Suizides vorausgesetzt werden.

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Er selbst ist und war nicht Mitglied in einem Sterbehilfeverein, hat aber in der Vergangenheit bereits mehrere Suizide in der Schweiz und in Deutschland selbst begleitet.

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Diese Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten, der Aussage der Zeugin L. wie dem verlesenen Bundeszentralregisterauszug vom 28. September 2017.

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2. Die beiden verstorbenen Frauen W. und M.

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Die 85-jährige Frau W. und die 81-jährige Frau M. waren seit vielen Jahren eng befreundet. Sie hatten sich Ende der 50er Jahre in einem Tennisclub kennengelernt.

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Frau W. war ledig und kinderlos. Sie floh Mitte der 50er Jahre aus der damaligen DDR nach Westdeutschland. Hier arbeitete sie zunächst als Einzelhandelskauffrau und später bis zu ihrem Renteneintritt als Personalchefin in einer Versicherung. Frau M. war verwitwet und hatte ebenfalls keine Kinder. Sie arbeitete zunächst als Sachbearbeiterin im Logistikgewerbe und anschließend bis zur Rente für ihren Ehemann, der selbständiger Börsenmakler war.

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Nach dem Tod des Ehemannes von Frau M. Mitte der 90er Jahre zogen die Frauen gemeinsam in eine Eigentumswohnung in den H. K. Weg in H., wo sie bis zu ihrem Tod lebten. Die Wohnung war in einem sehr gepflegten und ordentlichen Zustand. Sie hatten eine Haushaltshilfe, die sie etwa einmal die Woche unterstützte, führten ihren Haushalt aber im Übrigen selbständig. Sie kochten für sich und gingen regelmäßig essen.

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Wirtschaftlich waren beide Frauen, insbesondere aber Frau M., sehr gut situiert. Sie hatte das Vermögen ihres Mannes nach dessen Tod geerbt. Beide hatten ihr Geld - bedingt durch die berufliche Tätigkeit des Ehemannes von Frau M. - schon frühzeitig gewinnbringend an der Börse angelegt. Insbesondere Frau M. interessierte sich für wirtschaftliche Themen und hatte bis zum Tod einen genauen Überblick über die finanziellen Verhältnisse. Sie kontrollierte sorgfältig sämtliche Kontoauszüge und führte Buch. Die Eigentumswohnung der Frauen war unbelastet, beide hatten mehrere Konten und bewahrten in einem Safe in ihrer Wohnung erhebliche Summen Bargeld, wertvollen Schmuck und Goldbarren auf.

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Beide hatten bis zu ihrem Tod viele freundschaftliche wie familiäre Beziehungen. Der engste Kontakt in H. bestand zu dem befreundeten Ehepaar W1. Sie spielten einmal wöchentlich Bridge zusammen, trafen sich häufiger und fuhren gelegentlich gemeinsam in den Urlaub. Bridge war neben Tennis ein großes Hobby der Frauen, welches sie intensiv betrieben, u.a. in weiteren Bridge-Runden wie im Verein beim NDR. Ein sehr enger und vertrauensvoller Kontakt bestand auch zu der Verwandtschaft von Frau W. in L.. Dort lebten ihr Bruder S. W., dessen Ehefrau I. W. und ihr Neffe T. W.. Dieser besuchte die beiden Frauen auch, wenn er geschäftlich in H. zu tun hatte. Nach jedem Arztbesuch riefen sie in L. an und berichteten. Auch mit Familie W. fuhren die Frauen gemeinsam in den Urlaub und verbrachten regelmäßig Weihnachten zusammen, in der Regel in L..

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Das Verhältnis von Frau M. zu ihrem Bruder, dem Zeugen B., war dagegen distanziert. Sie hatten nur unregelmäßig und überwiegend telefonischen Kontakt, obwohl er in H. wohnte.

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Sowohl Frau W. als auch Frau M. waren bis zu ihrem Tod geistig rege und nahmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Sie beschäftigten sich mit kulturellen und gesellschaftspolitischen Themen, über die sie sich in Zeitungen, im Fernsehen und Radio informierten und mit ihren Freunden wie den Eheleuten W1 und den Familienangehörigen aus L. diskutierten.

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Beide Frauen litten unter mehreren Krankheiten. Diese waren indes nicht lebensbedrohlich.

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Frau W. hatte diverse Krankheiten und Beschwerden, die aber auch ihrem Alter geschuldet waren, wie Bluthochdruck, Vorhofflimmern sowie eine chronische Bronchitis, die dazu führte, dass sie manchmal schlecht Luft bekam. Zudem hatte sie seit 2009 eine Glutenunverträglichkeit, die einen „Blähbauch“ verursachte. Schließlich litt sie seit mehreren Jahren eine Knötchenflechte (lichen ruber) im Mund, der hierdurch ständig wund war. Eine Operation im Jahre 2008 hatte nicht zur Heilung geführt. Seit Anfang des Jahres 2012 ging die Hauterkrankung auch auf die Beine über, was zu großflächigen Entzündungen und zum Teil offenen Blutungen führte. Frau W. war deswegen in der Klinik gewesen, die Beschwerden waren jedoch nicht heilbar. Sie suchte regelmäßig einen Heilpraktiker auf, der eine Eigenblutbehandlung durchführte, sowie verschiedenste Ärzte. Sie litt darunter, dass sie sehr viel Zeit bei Ärzten verbracht und im Ergebnis vergeblich verschiedene Behandlungsmethoden probierte hatte.

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Frau M. litt unter Augenkrankheiten, namentlich grünem wie grauem Star und einer Makuladegeneration. Diese beeinträchtigten sie sehr, auch beim Bridge-Spielen. Ihr Arzt hatte ihr mitgeteilt, dass sie voraussichtlich erblinden werde, wovor sie große Angst hatte. Zudem hatte auch sie Herzbeschwerden. Seit einem Bandscheibenvorfall im Jahre 2006 litt sie ferner immer wieder unter starken Rückenschmerzen. Eine Operation hatte keine deutliche Besserung gebracht. Eine erneute Operation lehnte sie ab, obwohl sie wiederholt erhebliche Schmerzen hatte. Weiter hatte Frau M. Krampfadern, die mehrfach operiert werden mussten. Schließlich litt sie unter häufigen Blasenentzündungen und dadurch verursachtem Einnässen.

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Bei beiden nahmen die Beschwerden in den letzten Monaten vor ihrem Tod deutlich zu. In dem letzten größeren gemeinsamen Urlaub mit den Eheleuten W. im März 2012 auf G. C. waren beide sehr schlapp, konnten nur noch kurze Strecken zu Fuß laufen und Frau W. klagte über ihre Herzprobleme. Seit Juli 2012 besuchten sie nicht mehr ihr Fitnessstudio, weil die Kräfte dies nicht mehr zuließen. Das Tennisspielen war ihnen bereits seit einigen Jahren nicht mehr möglich gewesen.

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3. Entscheidung und Planungen für den Doppelsuizid

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Die beiden 85 und 81 Jahren alten Frauen entschlossen sich zu einem unbekannt gebliebenen Zeitpunkt - wahrscheinlich im Frühjahr 2012 -, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Sie empfanden ihre zunehmenden Beschwerden als „unerträglich“ und fanden, „es sei Zeit zu gehen“. In Umsetzung ihres Sterbewunsches nahmen sie Kontakt zum Verein S. D. e.V. (S. e.V.) auf, insbesondere zu dessen Vorsitzenden Dr. K., und wurden Mitglied dieses Vereins. Wenig später vertrauten sie sich dem - ihnen von Dr. K. empfohlenen - Angeklagten an, welcher im Folgenden ihren Wunsch entsprechend die Sterbebegleitung bis zum vereinbarten Todestag - dem 10. November 2012 - übernahm. Sie sprachen sonst mit niemandem über ihre Planungen. Die Entscheidung haben sie eigenverantwortlich gefällt, sie war frei von Irrtümern oder sonstigen Mängeln.

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Im Einzelnen:

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Schon seit etwa 2008 beschäftigten sich beide Frauen offenbar mit dem Thema Suizid und Sterbebegleitung. Im Rahmen eines Gesprächs baten sie den damals 39-jährigen Zeugen T. W., ihnen doch die Adresse des von Dr. K. gegründeten Sterbehilfevereins „Dr. R. K. S. e.V.“ im Internet herauszusuchen. Er wollte dies jedoch nicht, weil er Sterbehilfe grundsätzlich ablehnte.

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Anfang des Jahres 2010 verfassten beide Frauen - gemeinsam mit dem Ehepaar W1 - Generalvollmachten und Patientenverfügungen. In den inhaltsgleichen Generalvollmachten erteilten sie sich wechselseitig und jeweils ersatzweise Herrn W1 Vollmachten. Es ging darum, im Bedarfsfall für die jeweils andere in Absprache mit den Ärzten auch Entscheidungen über medizinische Heilbehandlungen, Untersuchungen, Eingriffe und Medikamentengaben treffen zu können. Sie bestimmten in den Vollmachten zudem jeweils, dass sie verbrannt und anonym beerdigt werden möchten.

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Zugleich verwiesen sie in den Vollmachten auf ihre Patientenverfügungen. Diese errichteten sie jeweils - wiederum inhaltsgleich - am 10. Februar 2010. Die Verfügungen haben auszugsweise folgenden Inhalt:

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„Ich [...] möchte in Würde sterben und bestimme hiermit für den Fall, dass ich meinen Willen nicht mehr bilden und verständlich äußern kann folgendes:

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Exemplarische Situationen, für welche die Verfügung gelten soll:

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1. Wenn zwei Fachärzte unabhängig voneinander bestätigt haben, dass aufgrund einer Gehirnschädigung meine Fähigkeit Einsichten zu gewinnen, Entscheidungen zu treffen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten aller Wahrscheinlichkeit nach unwiederbringlich erloschen sind, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist. Dies gilt für direkte Gehirnschädigung [...] ebenso wie für indirekte Gehirnschädigungen z.B. nach Wiederbelebung, Schock oder Lungenversagen. Es ist mir bewusst, dass in solchen Situationen die Fähigkeit zu Empfindungen erhalten sein kann und dass ein Aufwachen aus diesem Zustand nicht ganz auszuschließen, aber unwahrscheinlich ist. [...]

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In den oben beschriebenen Situationen verzichte ich auf die Einleitung oder Aufrechterhaltung lebenserhaltender Maßnahmen. [...]

39

Ich wünsche keine künstliche Ernährung unabhängig von der Form der Zuführung der Nahrung [...]. Ebenso wünsche ich keine künstliche Flüssigkeitszufuhr.

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Wiederbelebungsmaßnahmen lehne ich ab, sofern diese Situationen nicht im Rahmen medizinischer Maßnahmen unerwartet eintreten.

41

Ich wünsche, dass keine künstliche Beatmung durchgeführt wird [...].

42

Wenn irgend möglich möchte ich zu Hause bzw. in vertrauter Umgebung, oder in einem Hospiz sterben.

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In Situationen, die in dieser Patientenverfügung nicht konkret geregelt sind, ist mein mutmaßlicher Wille möglichst im Konsens der Beteiligten zu ermitteln. Dafür soll diese Verfügung als Richtschnur maßgeblich sein. [...]

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Ich bin mir des Inhalts und der Konsequenzen meiner getroffenen Entscheidungen bewusst. [...]“

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Anlässlich eines Sterbehilfefalles, über den Dr. K. öffentlich berichtet hatte, sprachen die Frauen auch den heute 79-jährigen Zeugen W. W1 auf das Thema Sterbehilfe an. Sie teilten ihm mit, dass sie Sterbehilfe in Anspruch nehmen würden, wenn die Schmerzen zu groß seien und fragten auch ihn, ob er eine Verbindung zu Dr. K. herstellen könne. Er verneinte dies und machte deutlich, dass er Sterbehilfe ablehne und hiermit nichts zu tun haben wolle. Der genaue Zeitpunkt des Gespräches konnte nicht sicher festgestellt werden.

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Im weiteren Verlauf - ab Ende 2010 und im Jahre 2011 - verschlechterten sich die altersbedingten Beschwerden und Krankheiten der Frauen zunehmend. Sie hatten Sorge, bei einer weiteren Verschlechterung pflegebedürftig zu werden und befürchteten, in diesem Fall physisch und psychisch mit der Pflege der jeweiligen Freundin überfordert zu sein. Ausdruck dieser Sorge war im Folgenden der Gedanke, in ein Alters- und Pflegeheim zu ziehen. Sie holten Informationen ein, bestellten Prospekte und besuchten in Hamburg auch gut situierte Einrichtungen. Keines der Heime sagte ihnen jedoch zu, sie fanden diese „kalt und unpersönlich“. Auch dachten sie darüber nach, eine häusliche Pflegekraft einzustellen. Letztlich lehnten sie beide Möglichkeiten für sich endgültig ab.

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Frau M. machte sich zudem Sorgen um eine Entwertung des Geldes, falls sie ihre Eigentumswohnung verkaufen würden.

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Schließlich entschieden sie sich, wahrscheinlich im Frühjahr 2012, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Sie nahmen Kontakt zu dem von dem Zeugen Dr. K. im Jahre 2009 gegründeten S. e.V., dem Nachfolger des Vereins Dr. R. K. S. e.V. auf, um schmerzfrei und begleitet Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Die Kammer geht davon aus, dass die Unterstützung des Vereins - auch - darin bestand, die für die Selbsttötung erforderlichen Medikamente in der notwendigen Menge zur Verfügung zu stellen.

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Sie wandten sich am 6. Juni 2012 mit einem Brief an Dr. K., dem sie jeweils ihren Mitgliedsantrag für den S. e.V. sowie den Mitgliedsbeitrag von 1.000,- Euro beifügten. Sie baten hierbei um eine schriftliche Bestätigung und einen Anruf, um einen persönlichen Termin zu vereinbaren. Dieses Vorgehen hatte Frau M. zuvor mit Herrn Dr. K. persönlich telefonisch abgestimmt.

50

Am 13. Juli 2012 fand ein Gespräch mit Dr. K. in ihrer Wohnung statt, um das sie ihn in ihren Briefen gebeten hatten. Im Rahmen des Treffens fertigte Dr. K. Ton- und Filmaufnahmen, deren Inhalt nicht bekannt ist. Zudem besprach er mit den Frauen, dass der S. e.V. für die Begleitung ihres Suizides ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten über ihre Einsichts- und Urteilsfähigkeit wie die Wohlerwogenheit ihres Suizidbeihilfewunsches voraussetze, das dem Verein als Grundlage für die Entscheidung über die Begleitung dienen solle. Er empfahl ihnen, den Angeklagten mit der Erstellung der Gutachten zu beauftragen, der hiermit seit Jahren Erfahrungen hatte.

51

Im Anschluss an das Treffen stellte Dr. K. den Kontakt zwischen den Frauen und dem Angeklagten her. Diese vereinbarten mit ihm im August 2012 ein persönliches Treffen für den 9. September 2012.

52

Am 4. September 2012 erwarben sie zusammen mit den Eheleuten W1 eine Grabstätte auf dem O. Friedhof in H.. Die Frauen wählten eine Wahlgrabstätte in der Paaranlage, in der sie gemeinsam beigesetzt werden wollten.

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Am 9. September 2012 gegen 11:00 Uhr kam es dann zu dem ersten persönlichen Treffen zwischen den Frauen und dem Angeklagten. Der Besuch fand in ihrer Wohnung statt. Frau W. und Frau M. erteilten dem Angeklagten jeweils vor dem Hintergrund der ihnen von Dr. K. geschilderten Notwendigkeit den Auftrag für die Erstellung des von dem S. e.V. vorausgesetzten neurologischen und psychiatrischen Gutachtens über ihre Einsichts- und Urteilsfähigkeit und Wohlerwogenheit bei einem Suizid-Beihilfe-Wunsch. Zu diesem Zeitpunkt stand die Entscheidung der beiden Frauen, sich das Leben nehmen zu wollen, bereits sicher fest.

54

Der Angeklagte führte bei diesem Treffen mit beiden Frauen eine Befragung durch, die dann die Grundlage für seine späteren gutachterlichen Stellungnahmen war. Beide schilderten ihm ausführlich ihre Biographie, ihre gesundheitlichen Beschwerden wie die Gründe für ihren Suizidentschluss.

55

In diesem Gespräch ging es zudem um mögliche Alternativen zur Lebensbeendigung wie den Umzug in ein Seniorenheim oder die Einrichtung einer häuslichen Pflege, die beide jedoch für sich weiterhin ablehnten. Sie brachten dem Angeklagten gegenüber mehrfach deutlich zum Ausdruck, dass sie fest zum Suizid entschlossen seien und sich ihre Entscheidung gut überlegt hätten. Hieran hatte dieser keinen Zweifel.

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Im Anschluss daran baten beide Frauen den Angeklagten, sie auch später persönlich bei ihrem Suizid zu begleiten. Der Angeklagte lehnte dies zunächst ab, weil ihm eigene Suizidbegleitungen sehr schwerfielen und er nicht in H. wohne.

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Am 13. September 2012 erstellte der Angeklagte die neurologischen und psychiatrischen Gutachten. Er übersandte diese sowohl den Frauen als auch dem S. e.V. Der Angeklagte stützte seine Bewertung in den Gutachten neben den Gesprächen auf einen MRT-Befund der Lendenwirbelsäule (Frau M.) und auf einen Befundbericht einer Hautbiopsie (Frau W.). Körperliche Untersuchungen führte er nicht durch. Er gab lediglich die tatsächlich bestehenden Krankheiten der Frauen wieder.

58

Der Angeklagte attestierte sowohl Frau W. als auch Frau M. jeweils aus psychiatrischer Sicht eine uneingeschränkte Einsichts- und Urteilsfähigkeit und kam zu dem Ergebnis, dass aus ärztlich-psychiatrischer Sicht keine Einwände gegen den Suizid-Beihilfewunsch der Frauen zu erkennen seien.

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Ebenfalls am 13. September 2012 - offensichtlich in Kenntnis des Ergebnisses des Gutachtens - nahmen die Frauen nochmals Kontakt mit Dr. K. auf, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Sie schrieben ihm einen Brief, in dem sie ihm mitteilten, dass sie ab dem 24. September 2012 wieder erreichbar seien und ihn um einen anschließenden umgehenden Anruf baten.

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Bereits eine Woche später - am 20. September 2012 - schrieben sie einen Brief an den Angeklagten und dessen Ehefrau, in dem sie ihn baten, doch persönlich ihren Suizid zu begleiten. Dieser erklärte sich schließlich im Hinblick auf das bei dem Treffen am 9. September entstandene Vertrauensverhältnis hiermit einverstanden.

61

Fünf Tage später - am 25. September 2012 - unterschrieben beide Frauen eine von ihnen jeweils erstmals im September 1999 errichtete Erklärung, mit der sie sich gegenseitig ermächtigten, Auskunft bei ihren Ärzten über ihren Gesundheitszustand und die Diagnose einzuholen und die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbanden.

62

Kurz darauf - am 29. September 2012 - schrieben sie erneut einen Brief an Dr. K., in dem sie ihren Unmut darüber äußerten, dass er auf ihren letzten Brief nicht geantwortet hatte. Sie wollten ihren Suizidplan zeitnah umsetzen und das vom Verein vorausgesetzte Gutachten lag vor. Sie baten ihn daher nochmals dringend um einen Anruf.

63

Da er sich nicht bei ihnen meldete, schickten sie ihm 5 Tage später nochmals ein Fax mit erneuter Bitte um dringenden Rückruf. Es konnte nicht sicher festgestellt werden, ob und in welcher Form Dr. K. hierauf reagierte.

64

Am 15. Oktober 2012 übergaben beide dem Neffen von Frau W., der sie besucht hatte, ihre überarbeiteten Testamente. Sie baten ihn, diese mit nach L. nehmen und dort zu verwahren. Dies hatten sie schon bei ihren vorangegangenen Testamenten entsprechend gehandhabt.

65

Am bzw. um den 22. Oktober 2012 - knapp drei Wochen vor dem Suizid - fand ein weiteres Treffen mit dem Angeklagten in der Wohnung der Frauen statt. Es wurden die Einzelheiten und Formalitäten für die Durchführung des Suizids besprochen. Der Wunsch zu sterben und Alternativen hierzu wurden thematisiert. Beide Frauen hielten an ihrer Entscheidung fest.

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Später vereinbarten sie mit dem Angeklagten telefonisch den 10. November 2012 als Tag für ihren Suizid.

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Am 26. Oktober 2012, schrieben die Frauen einen Brief an den S. e.V., in dem sie auf die Rückzahlung des Mitgliedsbeitrages im Falle ihres Todes verzichteten; ihr Verzicht solle als Spende gelten.

68

Beide Frauen erstellten - zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt - einen sog. Leitfaden für Hinterbliebene. Hierfür füllten sie in einem Formular über mehrere Seiten Daten ihrer Versicherungen, Konten, Ansprechpartner und weitere für die Abwicklung des Nachlasses benötigte Informationen aus.

69

Am 3. November 2012 - eine Woche vor dem geplanten Suizid - trafen sie sich das letzte Mal mit ihren Freunden W1 zum Bridge-Spielen in ihrer Wohnung. Anders als sonst üblich, machten sie ihnen bei der Verabschiedung wertvolle Geschenke: Frau M. schenkte Herrn W1 die goldenen Manschettenknöpfe ihres verstorbenen Ehemannes, Frau W. Frau W1 eine Pelzjacke. Von ihrem Plan, sich eine Woche später das Leben zu nehmen, erwähnten sie weiterhin nichts.

70

Am 5. November 2012 - knapp eine Woche vor ihrem Tod - unterzeichneten beide jeweils ein mit dem Titel „Aufklärung und Einwilligung“ überschriebenes Formblatt, welches sie von dem Angeklagten erhalten hatten, und fügten dort den Namen des Angeklagten in Freitexte ein. Das Schreiben lautet auszugsweise:

71

„Entsprechend meinem ureigensten Willen möchte ich mein Leben in Frieden und Würde beenden. Ich beurteile die Aussichten im Falle eines Weiterlebens als nicht erstrebenswert und die mit zunehmenden Alter und zunehmender Gebrechlichkeit drohende Gefahr der Abhängigkeit so, dass ich mich dem nicht aussetzen möchte. [...]

72

Ich berufe mich darauf, dass dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland ein Vorrang vor dem Lebensschutz eingeräumt wird. Ich weiß, dass jede eingreifende Maßnahme ohne Einwilligung der betroffenen Person in der Rechtsprechung unter Strafe steht. Unter Berufung auf diese Rechtsprechung untersage ich im Falle meiner Handlungsunfähigkeit jegliche Rettungsmaßnahmen. [...]

73

Ich weiß, dass es in unseren staatlichen Organen Kräfte gibt, die die Beihilfe zu einem Suizid als sittenwidrig ansehen und zu verhindern suchen. Ich bin darauf vorbereitet, meine persönliche Meinung ggfs. Auch gegenüber möglichen polizeilichen Ermittlungen zu vertreten.

74

Ich habe mir meine Entscheidung gut überlegt. Ich will es so. [...]“

75

Am 9. November 2012, dem Tag vor ihrem Suizid, unterschrieben die Frauen gemeinsam eine zuvor von Frau W. handschriftlich verfasste, mit „Unser ausdrücklicher Wille“ überschriebene weitere Erklärung. Der Angeklagte hatte hierfür eine Vorlage mitgebracht, die sie aber noch modifizierten. In dieser Erklärung untersagten sie - auch unter Verweis auf ihre Patientenverfügungen - jeder sie etwa noch lebend antreffenden Person im Falle ihrer Handlungsunfähigkeit jegliche Rettungsmaßnahmen. Sie beauftragten T. W., gegen die entsprechenden Personen Regress- und Schmerzensgeldforderungen einzuklagen. Am Ende des Schreibens hielten sie nochmals fest:

76

„Wir haben uns diese Entscheidung gründlich genug überlegt. Wir wollen es so.“

77

Noch am gleichen Tag rief Frau M. bei ihrem Bruder an. Anders als bei sonstigen Telefonaten erzählte sie ihm von ihren drei Augenkrankheiten, dass sie kein Auto mehr fahren könne und langfristig wohl erblinden werde. Den für den nächsten Tag geplanten Suizid erwähnte sie nicht.

78

Ebenfalls am 9. November 2012 verfassten die beiden Frauen Abschiedsbriefe an Familie W. sowie die Eheleute W1. Der von Frau M. handschriftlich geschriebene und von beiden unterschriebene Brief an die Familie W. lautet wie folgt:

79

„Liebe I., lieber S., lieber T.,
es fällt uns sehr schwer, diese Zeilen an euch zu richten.

80

Die letzten Monate haben uns gesundheitlich sehr zu schaffen gemacht. Auch wenn wir es nicht immer zum Ausdruck gemacht haben.

81

Mit diesem Schritt sind wir sehr vorsichtig und abwägend umgegangen; aber wenn die Beschwerden zunehmen, keine Besserung noch Heilung zu erwarten ist und die Kräfte erschreckend nachlassen, dann ist es leider Zeit zu gehen.

82

Bitte versucht uns zu verstehen und verzeiht uns.

83

Leb´t wohl und behaltet uns in guter Erinnerung.

84

Eure G. und I.
[...]

85

Ns. Bitte sprecht B. und W. [...] bezüglich Hilfe an.“

86

Dem Brief war eine nur von Frau W. geschriebene Karte folgenden Inhalts beigefügt:

87

„Ihr Lieben,
wir sind leider kraftlos und hinfällig. I. hat mir seit Wochen viel Arbeit abgenommen, aber leider lassen auch ihre Kräfte nach und sie hat selbst gesundheitliche Probleme.

88

Versteht uns bitte, es ist so die beste Lösung, die auch uns sehr schwer gefallen ist.
Eure G..“

89

Der von der Frau M. handschriftlich geschriebene und von beiden unterschriebene Brief an die Eheleute W1 lautet:

90

„Liebe B., lieber W.,
es fällt uns sehr schwer, diese Zeilen an Euch zu richten, aber wenn die Leiden zunehmen, unüberwindbar und teils unheilbar sind, die Schmerzen unerträglich werden und die Kräfte schwinden, dann ist es Zeit zu gehen.

91

Wir sind beide der Meinung, den richtigen Weg gewählt zu haben, deshalb verzeiht uns bitte.

92

Würde Ihr so lieb sein und unseren Hausarzt Herrn Dr. F. B. [...]I. und S. [...] und D. S. [...] verständigen.

93

Vielen Dank für alles.

94

Fühlt euch umarmt und gedrückt.

95

Leb´t wohl.
Eure G. und I.
Ns.

96

Bitte bietet den L.ern Hilfe und Unterstützung an.“

97

In einer Notiz auf der Rückseite des Briefes baten sie das Ehepaar W1 noch darum, zwei Freundinnen zu benachrichtigen, mit denen sie sich für den 16. November 2012 zum Bridge-Spielen verabredet hatten.

98

Sie steckten die Briefe erst spät am Abend nach der letzten Leerung in den Briefkasten, um sicherzustellen, dass die Briefe erst am Montag - nach dem geplanten Suizid - bei ihnen ankommen.

99

4. Statuten des S. e.V.

100

Zum Zeitpunkt des Beitritts der Frauen zu dem S. e.V. im Juni 2012 galt noch die Satzung des S. e.V. vom 1. Oktober 2009 in der Fassung vom 9. Dezember 2009. In dieser hieß es unter § 2 zum Zweck des Vereins auszugsweise:

101

„(1) Der Verein setzt sich für das Selbstbestimmungsrecht des Menschen im Leben und im Sterben ein. Der Verein unterstützt die Durchführung dieses Rechts in Deutschland.

102

(2) Der Verein steht Mitgliedern, die wegen Krankheit, Behinderung oder Altersbeschwerden leiden, beratend zur Seite.

103

(3) Der Verein setzt sich dafür ein, dass Patientenverfügungen von Ärzten und Pflegepersonal respektiert werden. Der Verein unterstützt seine Mitglieder bei der Abfassung und Durchsetzung ihrer individuellen Patientenverfügung.

104

(4) Bei hoffnungsloser Prognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung setzt sich der Verein für einen begleiteten Suizid ein. Er unterstützt seine Mitglieder in ihrem Wunsch nach einem selbst bestimmten Lebensende. [...].“

105

Am 9. September 2012 wurde eine neue Satzung beschlossen, in welcher unter anderem festgelegt wurde, dass sich der Verein Ethische Grundsätze geben werde, die für alle im und für den Verein tätigen Personen verbindlich sein sollten. Diese Grundsätze wurden indes erst nach dem Tod der Frauen - nämlich am 8. Dezember 2012 - beschlossen. Sie legten u.a. fest:

106

„14. Hilfe beim Suizid setzt voraus, dass die Einsichts- und Willensfähigkeit des Sterbewilligen ohne jede Einschränkung zu bejahen sind.

107

15. Wichtiges Indiz für die Einsichts- und Willensfähigkeit des Sterbewilligen ist die Auseinandersetzung mit Alternativen. Wer krankheitsbedingt sterben will, muss sich mit den Möglichkeiten therapeutischer Besserung befassen. In der Regel bedarf es hierzu der Einholung ärztlichen Rates durch den Sterbewilligen. [...]

108

17. Der Verein hilft beim Suizid nur, wenn der Sterbewille unumstößlich ist. [...]

109

18. Der Verein hilft beim Suizid nur, wenn der Sterbewunsch durchdacht und nachvollziehbar ist. Können Zweifel durch ein ärztliches Gutachten nicht ausgeräumt werden, lehnt der Verein eine Suizidbegleitung ab.

110

19. Wenn die Hoffnungslosigkeit der Prognose oder die Unerträglichkeit der Beschwerden oder die Unzumutbarkeit der Behinderung [...] nicht offensichtlich sind, bedarf es eines ärztlichen Gutachtens, das auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts des Sterbewilligen dessen individuelle Wahrnehmung im Lichte der allgemein anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft bewertet [...].“

111

Es konnte nicht festgestellt werden, ob die beiden Frauen die Satzungen des Vereins im Einzelnen kannten und bis zu ihrem Tod die - offenbar vereinsinterne - Diskussion über die Notwendigkeit von „Ethischen Grundsätze“ verfolgt haben.

112

5. Der Doppelsuizid am 10. November 2012

113

Am Morgen des 10. November 2012 telefonierten die Frauen zum letzten Mal mit den Eheleuten W.. Sie redeten über Alltägliches und das bevorstehende gemeinsame Weihnachtsfest. Den unmittelbar bevorstehenden Suizid sprachen sie nicht an.

114

Anschließend legten sie auf dem Esstisch im Wohnzimmer diverse vorbereitete Dokumente bereit:

115

- Schreiben „Unser ausdrücklicher Wille“ vom 9. November 2012
- Kopie des Abschiedsbriefes an Familie W. vom 9. November 2012
- Brief an das Ehepaar Dr. S. vom 20. September 2012
- Gutachten des Angeklagten vom 13. September 2012
- Unterlagen über die Wahlgrabstätte auf dem O. Friedhof vom 4. September 2012
- Generalvollmacht von Frau M. vom 20. Januar 2010 und ihre Patientenverfügung vom 10. Februar 2010
- Generalvollmacht und die Patientenverfügung von Frau W. vom 10. Februar 2010
- Schweigepflichtentbindungserklärungen und
- Leitfäden für Hinterbliebene.

116

Um 11:30 Uhr traf der Angeklagte absprachegemäß in der Wohnung der Frauen ein. Sie setzten sich gemeinsam ins Wohnzimmer. Beide Frauen berichteten von ihren Vorbereitungen für den Suizid in den letzten Tagen und informierten den Angeklagten über die Briefe, die sie den Eheleuten W1 und der Familie W. geschrieben hatten.

117

Sie übergaben ihm über das vereinbarte Gutachtenhonorar von jeweils 1.100,- Euro hinaus weitere 2.000,- Euro. Es war ihr Wunsch, ihm dieses weitere Geld zuzuwenden. Er nahm diesen Betrag an, um ihn später absprachegemäß an das Kinderhospiz in D. zu spenden. Darüber hinaus erhielt er keine Zahlungen oder sonstige Zuwendungen, insbesondere wurde die Begleitung des Suizides nicht entlohnt.

118

Sodann besprach der Angeklagte mit ihnen erneut die Einzelheiten der Medikamenteneinnahme. Er sagte ihnen zu, dass er ihrem Wunsch entsprechend bis zu ihrem sicheren Herzstillstand anwesend bleiben würde. Weiter war Thema des Gespräches, dass er beabsichtige, auch nach ihrem Tod noch vor Ort zu bleiben, Feuerwehr und Polizei zu informieren und zu warten, bis diese erschienen. Beide Frauen waren damit einverstanden.

119

Anschließend unterhielten sich die Frauen mit ihm über ihre Gefühle in Bezug auf das Abschiednehmen voneinander und vom Leben, wobei Frau M. mit den Tränen zu kämpfen hatte. Sie erklärte noch einmal, dass ein Umzug in ein Heim für sie keine Alternative sei und es auch egal sei, ob sie Weihnachten nun noch mitnähmen.

120

Der Angeklagte fragte noch einmal nach, ob sie sich sicher seien, die Selbsttötung jetzt durchführen zu wollen. Beide bejahten dies. Er wies beide zusätzlich darauf hin, dass ein begleiteter Suizid auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich sein würde. Beide waren jedoch fest entschlossen, den von ihnen seit langem geplanten Suizid nunmehr umzusetzen. Sie hatten sich ihre Entscheidung gut überlegt und Alternativen umfassend abgewogen, was dem Angeklagten aus seinen Gesprächen mit den Frauen bekannt war.

121

Sodann ging Frau W. in die Küche und brachte zwei Gläser mit, in denen sie je 50 Tropfen des Medikamentes Metoclopramid (MCP) in Wasser aufgelöst hatte. Gegen 12:15 Uhr tranken beide jeweils eines der Gläser.

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Der Angeklagte führte ab diesem Zeitpunkt ein Protokoll über die Zeitpunkte der Medikamenteneinnahmen und den weiteren äußeren Verlauf des Suizides.

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Anschließend begaben sich alle drei gemeinsam in die Küche, wo sie 2 Packungen mit jeweils 100 Tabletten Resochin mit je 250 mg Chloroquin-Phosphat aus den Blistern lösten. Die Tabletten zerkleinerten sie sodann in einem bereitstehenden Mörser, füllten sie in zwei Tassen und lösten sie mit Wasser auf. Frau M. füllte den Inhalt von 8 Flaschen Diazepam mit jeweils 25 ml und einem Wirkstoffgehalt von 10 mg/ml in zwei Gläser.

124

Danach gingen beide Frauen mit den 2 Tassen und den 2 Gläsern ins Wohnzimmer und nahmen gegenüber voneinander in zwei Ohrensesseln Platz. Der Angeklagte wies beide nochmals darauf hin, dass sie nach der Einnahme des Chloroquins unbedingt anschließend auch das Diazepam einnehmen müssten, um dessen Intoxikationswirkung nicht zu erleben. Um 13:00 Uhr tranken beide jeweils eines der Gläser mit dem gelösten toxischen Chloroquin, um sich umzubringen. Beide Frauen waren von dem Angeklagten umfassend über die Wirkweise des Chloroquins und dessen todbringende Wirkung aufgeklärt und belehrt worden.

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Nach der Einnahme des Chloroquins umarmten und verabschiedeten sie sich.

126

Wie mit dem Angeklagten besprochen, tranken sie sodann um 13:14 Uhr jeweils die Tassen mit dem Diazepam. Es fand noch ein kurzes Gespräch über gemeinsame Erinnerungen statt. Kurze Zeit später schliefen beide infolge der Einnahme des Diazepams ein, nämlich die Verstorbene W. um 13:22 Uhr und die Verstorbene M. um 13:23 Uhr.

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Der Angeklagte nahm dies wahr und notierte das „Einnicken“ in seinem Verlaufsprotokoll.

128

Im Zeitpunkt des Bewusstseinsverlustes der Frauen bestand zwar noch eine gewisse Chance, ihr Leben zu retten. Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Rettung war jedoch äußerst gering. Wenn überhaupt, hätten beide mit schwersten Hirnschäden überlebt.

129

Dem Angeklagten als Arzt war dies alles bewusst. Er rief nicht den Notarzt und unternahm auch sonst keine Rettungsbemühungen, um dem erkennbaren Willen der beiden Frauen zu entsprechen. Sie hatten diesen ihm gegenüber wiederholt nachdrücklich geäußert. Auch die schriftlichen Erklärungen „Aufklärung und Einwilligung“ und „Unser ausdrücklicher Wille“ untersagten jegliche Rettungsbemühungen. Schließlich war dem Angeklagten auch klar, dass die Frauen auch im unwahrscheinlichen Falle einer Wiederbelebung schwerste Hirnschäden davongetragen hätten und genau dann das eintreten würde, was die beiden Frauen eben nicht wollten und auch er als unzumutbar empfunden hätte. Für eine Änderung des Willens der Frauen ergaben sich auch nach der Medikamenteneinnahme keine Anzeichen.

130

Um 14:16 Uhr war bei Frau W. nur noch eine seltene Ruckatmung wahrzunehmen und der Puls nur noch schlecht zu tasten. Bei Frau M. war die Atmung um 14:17 Uhr noch regelmäßig. Um 14:22 Uhr stellte der Angeklagte auch bei ihr Atempausen und nur noch fraglichen Puls fest.

131

Beide Frauen verstarben um 14:24 Uhr infolge der Einnahme des Chloroquins. Der Angeklagte stellte ihren Tod fest und notierte dies abschließend in seinem Verlaufsprotokoll.

132

Er wartete noch eine gute halbe Stunde und rief dann seinen Verteidiger an. Nach dem Telefonat verständigte er um 15:09 Uhr die Feuerwehr mit den Worten:

133

„[...] Ich möchte zwei nicht natürliche Todesfälle durch Suizid melden.

134

[...] Ich bin vor Ort und habe im Sinne der beiden alten Damen die Bitte, möglichst nicht mit einem riesen Bahnhof anzurücken. Die beiden Damen wollten das eigentlich nicht publik machen

135

[...]. Alle Utensilien stehen hier, alle Papiere sind hier, ich warte hier. [...]“

136

Kurze Zeit später erschienen dann die Polizeibeamten vor Ort, u.a. die Zeugin S.. Der Angeklagte erwartete sie gemeinsam mit seinem Verteidiger. Er wurde nach Aufnahme seiner Personalien entlassen und die weiteren Ermittlungen aufgenommen.

137

Die Kammer konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte den Frauen das Diazepam und das Chloroquin beschafft hatte und geht davon aus, dass ihnen der S. e.V. die Medikamente in der für die Selbsttötung erforderlichen Menge und Zusammensetzung zur Verfügung gestellt hatte.

138

Vier Tage nach dem Suizid schrieb der Angeklagte einen mehrseitigen Brief an Dr. K. und seinen Verteidiger, in dem er dessen Verlauf, seine Begegnungen mit den Frauen und seine Empfindungen hierzu reflektierte.

139

III. Beweiswürdigung

140

Die Feststellungen ergaben sich für die Kammer infolge einer umfassenden Gesamtwürdigung sämtlicher erhobener Beweise.

141

Die Einlassung des Angeklagten war im Wesentlichen glaubhaft und im Kern mit den weiteren erhobenen Beweisen in Einklang zu bringen, aus denen sich auch die weiteren Feststellungen ergaben.

142

Dies gilt für die Aussagen der Zeugen S., I. und T. W., W. W1, H. B., Dr. B., L. und S.. Die Aussagen sämtlicher uneingeschränkt glaubwürdiger Zeugen waren glaubhaft. Sie berichteten nachvollziehbar und detailreich unter Einräumung von Erinnerungslücken. Kein Zeuge zeigte in Bezug auf den Angeklagten Be- oder Entlastungstendenzen. Der Kriminalbeamte und Zeuge A. hatte hingegen - auch nach mehrfachem Vorhalt - keine Erinnerungen an die Durchsuchung bei dem Angeklagten. Auf ihn hat die Kammer keine Feststellungen gestützt. Der Zeuge Dr. K. hat von seinem Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) Gebrauch gemacht.

143

Weiter stützt die Kammer ihre Überzeugung auf die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. P., Dr. G., Dr. K. und Dr. I.- B.. Es gab für die Kammer keine Anhaltspunkte, an der Richtigkeit der von den Sachverständigen erstatteten Gutachten zu zweifeln. Die Kammer hat deren schlüssige und nachvollziehbare Gutachten geprüft und schließt sich diesen nach eigener Überzeugungsbildung an.

144

Schließlich stützt die Kammer ihre Überzeugung auf die eingeführten Urkunden und Schriftstücke wie die in Augenschein genommenen Lichtbilder aus der Wohnung, Medikamente und den Notrufmitschnitt.

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Im Einzelnen:

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1. Einlassung des Angeklagten

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Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass er Erfahrungen in der Suizidbeihilfe in Deutschland und der Schweiz habe. Er sei allerdings niemals Mitglied des S. e.V. oder eines anderen vergleichbaren Vereins in Deutschland geworden.

148

Er habe seit 2003 eine große Zahl von fachlichen Gutachten über die Wohlerwogenheit des freien Willens von Menschen, die einen Suizid anstrebten, angefertigt. Diese habe er nach wissenschaftlichem Standard und mit großer Sorgfalt erstellt. So sei es auch bei den beiden Frauen gewesen, die sich lange vor seinem Kontakt mit ihnen auf ihren Weg zum Suizid gemacht hätten.

149

Die Gutachten seien von dem S. e.V. für eine Begleitung vorausgesetzt worden, was den Frauen mitgeteilt worden sei. Die Frauen seien schon vorher zum Suizid entschlossen gewesen. Die Gutachten hätten inklusive Steuern jeweils 1.100,- gekostet. Die Frauen hätten ihm etwas Gutes tun und ihm zusätzlich 2000,- Euro zukommen lassen wollen. Er habe dann gesagt, dass er das Geld spenden wolle, was er auch gemacht habe.

150

Anders als in Deutschland sei es in der Schweiz üblich, dass Suizidbegleiter den Sterbeort nicht verlassen. Dies halte er für die würdige Verhaltensweise. Da er erst nach längerem Zögern bei den beiden Frauen seine Anwesenheit zugesagt gehabt habe, habe er sich nach rechtlicher Beratung dazu entschieden, am Sterbeort zu verbleiben.

151

Er habe am 9. September 2012 ausführlich mit beiden Frauen gesprochen und hier den Eindruck gewonnen, dass sie fest zum Suizid entschlossen und uneingeschränkt einsichts- und urteilsfähig seien. Anzeichen für eine geistige Einschränkung habe es in keiner Weise gegeben. Um den 22. Oktober 2012 hätten sie sich erneut getroffen. Bei beiden Treffen habe er mit den Frauen mögliche Alternativen erörtert. Diese hätten jedoch nach langen Überlegungen ihre Entscheidung getroffen und diese selbstbewusst kommuniziert. Verschiedene Motive, die sie umfangreich besprochen hätten, hätten für den Selbsttötungsentschluss eine Rolle gespielt, unter anderem die Zunahme der Beschwerden, die Angst vor Pflege, Fremdbestimmung und dem Alleinsein, wenn eine von ihnen zuerst verstürbe.

152

Aus seiner Sicht hätten beide Frauen ihren körperlichen Zustand und die Angst vor der zunehmenden Verschlechterung und drohenden Pflegebedürftigkeit als unzumutbare Belastung empfunden. In seinen Gutachten habe er nicht den gesamten Inhalt der Gespräche wiedergegeben, diese seien deutlich umfangreicher gewesen. Es sei für ihn sehr deutlich geworden, dass beide intensiv und klar über ihre Zukunft nachgedacht und dies ausdiskutiert hätten.

153

Er habe die Frauen auf die enorme Belastung, die bei Nahestehenden entstünden, wenn sie vor dem Suizid nicht über die Pläne informiert gewesen seien, hingewiesen und dazu geraten, die Angehörigen einzubeziehen. Dies hätten sie jedoch nicht gewollt.

154

Er habe keines der Medikamente für die Frauen besorgt. Sie hätten diese vielmehr selbst besorgt, sie seien am Todestag in der Wohnung gewesen, was ihm die Frauen vorab mitgeteilt hätten. Er habe die Medikamente auch nicht verabreicht oder anderweitig zugeführt; die Frauen hätten sie freiwillig und bewusst selbst zu sich genommen.

155

Ihm hätten nicht nur die glaubhafte Lebensgeschichte beider Frauen vorgelegen, sondern auch deren klaren und eindeutigen Patientenverfügungen und die weiteren Dokumente. Dies habe ihn daran gehindert, irgendwelche Maßnahmen bei oder nach Eintritt der Bewusstlosigkeit zu ergreifen. Dies hätten beide Frauen ausdrücklich nicht gewollt. Aus seiner Sicht habe auch deshalb keine Handlungspflicht bestanden, weil er nicht der behandelnde Arzt gewesen sei. Die Entscheidung beider Frauen zum Freitod sei eigenverantwortlich und im vollen Bewusstsein der Tragweite erfolgt.

156

Zunächst hat sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, nach seiner Erfahrung und dem raschen Verlauf des Versterbens sei er davon überzeugt gewesen, dass eine Rettung nach dem Ende von Herzschlag und Atmung bzw. bei Eintritt der Bewusstlosigkeit nicht möglich gewesen wäre. Zwischen der Suizidhandlung und dem Todeseintritt habe auch keine längere Latenzperiode gelegen. Er habe die von ihm als völlig aussichtslos eingeschätzten möglichen Wiederbelebungsversuche durch die von ihm alarmierte Feuerwehr vermeiden wollen. Rettungsversuche dieser Art hätten nach allgemeiner medizinischer Erfahrung zu schwersten Hirnschädigungen geführt. Auf Nachfrage hat der Angeklagte seine Einlassung dahingehend ergänzt, dass er davon überzeugt sei, dass eine Rettung nach dem Herzstillstand und Aufhören der Atmung unter realistischen Bedingungen nicht mehr oder aber nur mit Hirnschädigungen möglich gewesen wäre. In letzterem Fall hätte es ein Wachkoma gegeben, was man als Möglichkeit nicht in Kauf nehmen dürfe.

157

2. Würdigung der Einlassung und weitere Feststellungen

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a. Todesursache und -zeitpunkt

159

Frau W. und Frau M. starben am 10. November 2012 um 14:24 Uhr infolge der aufgenommenen Menge des Chloroquins, dessen Wirkung durch das resorptionsfördernde Metoclopramid noch verstärkt worden war. Die Angaben des Angeklagten zu den Mengen und Zeitpunkten der eingenommenen Medikamente wie dem Eintritt des Todes sind glaubhaft.

160

Die erfahrenen, Sachverständigen des Instituts für Rechtsmedizin in H. -Dr. G., Dr. K., Dr. I.- B. und Prof. P. - haben in ihren überzeugenden Gutachten die Todeszeitpunkte der beiden Frauen bestätigt, wie sie von dem Angeklagten im handschriftlichen Verlaufsprotokoll festgehalten wurden. Im Übrigen haben sie auch die Todesursache - Vergiftung infolge einer Überdosis Chloroquin - erläutert. Hieran besteht kein Zweifel.

161

Der Sachverständige Dr. G. begründete anschaulich, dass Frau W. wahrscheinlich infolge einer Medikamenten-Intoxikation verstorben sei. Es hätten sich keine Anzeichen einer äußeren Gewalteinwirkung und keine krankhaften Veränderungen an den Organen ergeben, welche ihren Tod erklärt hätten. Als Hinweise für eine Vergiftung hätten sich eine Überwässerung von Hirn und Lungen, eine Erweiterung und die Urinfüllung der Harnblase sowie eine Hirnschwellung gezeigt. Es seien Tablettenschlammartige Bestandteile im Magen und dem Dünndarminhalt gefunden worden.

162

Der Sachverständige Dr. G. erklärte, dass die von dem Angeklagten in seinem Verlaufsprotokoll notierten Todeszeitpunkte anhand der von ihm vor Ort gemessenen Rektal- und Raumtemperaturen plausibel seien.

163

Der Sachverständige Dr. K. schilderte ebenfalls nachvollziehbar, dass als Todesursache bei Frau M. eine Medikamentenvergiftung vermutet werde. Im Mageninhalt hätte sich Tablettenschlamm abgesetzt. Zudem hätte sich Zeichen einer zentralen Lähmung gezeigt, nämlich eine massive Blutstauung der zentralen soliden Organe sowie starke Überwässerungen der Lunge wie des Hirns.

164

Die Sachverständige Dr. I.- B. führte schließlich aus, dass sie von beiden Frauen Urin, den Mageninhalt, Venen- und Herzblut und Proben des Dünn- und Dickdarmes untersucht hätten. Hiernach hätten beide vor ihrem Tod ohne Zweifel Diazepam, Chloroquin und Metoclopramid zu sich genommen, wobei das eingenommene Chloroquin zum Tode geführt habe. Dieses habe bei Überdosierung eine stark toxische Wirkung, führe zur Lähmung von Herz, Kreislauf und Atmung und schließlich zum Tode.

165

Im Hinblick auf die körperliche Konstitution der Frauen hätte wohl schon eine Aufnahme von 3 g zum Tode geführt. Die gemessenen Chloroquinwerte hätten bei der Verstorbenen Frau M. eine absolute gesicherte Mindestaufnahmemenge von 5 g Chloroquin ergeben. Die im Venenblut erreichten Spiegel hätten im Vergleich zu anderen postmortal ermittelten Werten in einem hohen Bereich gelegen, was - neben weiteren Faktoren - dafür spreche, dass die tatsächlich aufgenommene Menge noch deutlich höher gewesen sei. Wahrscheinlich habe sie eher gegen 8-9 g aufgenommen. Frau W. habe zwar gesichert nur eine Mindestmenge von 2,4 g aufgenommen. Es sei jedoch auch bei ihr zu berücksichtigen, dass die Muskulatur gar nicht und vom Darm nur geringe Mengen untersucht werden konnten. Daher sei es sehr wahrscheinlich, dass auch sie über 4-5 g an Chloroquin aufgenommen habe.

166

Die Wirkung des Chloroquins sei durch das zuerst eingenommene Metoclopramid verstärkt worden, weil es das Erbrechen verhindere, aber auch eine resorptionsfördernde Wirkung habe. Das anschließend eingenommene Diazepam diene der Beruhigung und habe zum Einschlafen geführt. Die Kombination der drei Medikamente sei eine geeignete und in der Sterbehilfe verbreitete Methode, schmerzfrei einzuschlafen, um so den Tod nicht bewusst erleben zu müssen.

167

Der Sachverständige Prof. P. hat überzeugend dargetan, dass die im Verlaufsprotokoll des Angeklagten aufgeführten Mengen an aufgenommen Medikamenten mit den rechtsmedizinischen Untersuchungen in Einklang zu bringen seien.

168

Die Konzentration und Zusammensetzung des eingenommenen Diazepams wie die Mengen der eingenommenen Medikamente ergaben sich des Weiteren aus den verlesenen Etiketten der (leeren) Medikamentenschachteln und -flaschen, die in der Wohnung gefunden worden waren und in Augenschein genommen worden sind.

169

b. Geistiger Zustand der Frauen

170

Die Kammer ist überzeugt, dass beide Frauen bis zuletzt einsichts- wie urteilsfähig waren und nicht an psychischen Erkrankungen litten.

171

Diese Einschätzung des Angeklagten deckt sich mit den übereinstimmenden und glaubhaften Bekundungen der ihnen nahestehenden Zeugen S., I. und T. W. (Familie von Frau W.), W1 (Freund), B. (Bruder von Frau M.) wie ihres Hausarztes Dr. B.. Es habe bei ihnen keinerlei Anzeichen für eine psychische Erkrankung oder eine Einschränkung des geistigen Zustandes gegeben. Man habe sich mit ihnen jederzeit über aktuelle politische Themen unterhalten können, sie hätten die hierzu von ihnen in der Zeitung gelesenen bzw. im Radio gehörten und Fernsehen gesehenen Nachrichten vollständig erfasst und in Kontexte setzen können.

172

Der Zeuge Dr. B. schilderte, sie seien beide geistig voll präsent gewesen, er habe keine Einschränkungen feststellen können. Er hat zwar zunächst erwähnt, dass er bei Frau W. zwischenzeitlich eine leichte depressive Verstimmung wahrgenommen habe. Diese Äußerung hat er jedoch auf Nachfrage relativiert und mitgeteilt, dass sie bei einem Termin wegen Verdauungsproblemen und Bluthochdruck niedergeschlagen gewesen sei, keinesfalls aber eine Depression mit Krankheitswert vorgelegen habe. Er habe sich nicht veranlasst gesehen, insoweit etwas zu unternehmen.

173

Die Zeugen W. und W1, die mit ihnen regelmäßig Kontakt hatten, haben sämtlich keine Anzeichen für eine Depression feststellen können. Beide hätten insbesondere - trotz ihrer Beschwerden - bis zuletzt aktiv am gesellschaftlichen Leben teilgenommen. Man sei essen gegangen und habe regemäßig Bridge gespielt.

174

c. Langfristige und zielgerichtete Planung des Doppelsuizides

175

Die Entscheidung, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden, war lange geplant, gefestigt und von innerer Überzeugung getragen. Sie wurde dann im Frühjahr 2012 bis zum Todestag schrittweise und sorgfältig umgesetzt. Die Kammer schließt dies aus der Einlassung des Angeklagten und folgenden hiermit kohärenten Umständen:

176

- Die Frauen informierten sich - wie aus den übereinstimmenden Schilderungen der Zeugen W1 und T. W. deutlich geworden ist - bereits Jahre vor dem Suizid, nämlich seit 2008, über Sterbehilfe.

177

- Sie beschäftigten sich auch Anfang des Jahres 2010 noch bzw. wieder mit dem Altern und selbstbestimmten Sterben. So errichteten sie Patientenverfügungen und Generalvollmachten, die sie zuvor mit dem befreundeten Ehepaar W1 besprochen hatten. Dies ergab sich aus ihren demonstrativ auf dem Tisch in der Wohnung bereitgelegten Patientenverfügungen vom 10. Februar 2010 und Generalvollmachten vom 20. Januar bzw. 10. Februar 2010 wie der Schilderung des Zeugen W. W1.

178

- Trotz der ablehnenden Haltung der Zeugen W. W1 und T. W. gegenüber dem Thema Sterbehilfe und dem Ablehnen der Organisation der erbetenen Kontaktdaten nahmen die Frauen von sich aus und selbständig Kontakt zu dem S. e.V. auf und traten diesem schließlich im Juni 2012 bei, um von dem Verein zeitnah Hilfe für den Suizid zu erhalten. Dies folgt aus den Schilderungen der Zeugen W. und W1 wie den auf dem bei Dr. K. sichergestellten Datenträger gespeicherten Schreiben vom 6. Juni 2012 wie ihrer weiteren Kontaktaufnahme zu Dr. K. und dann dem Angeklagten.

179

- Über einen längeren Zeitraum erwogene Alternativen wie den Umzug in ein Altersheim oder die Einstellung einer Pflegekraft lehnten beide für sich ab. Dies folgt neben der Einlassung des Angeklagten aus den in seinem Gutachten dokumentierten Äußerungen der beiden Frauen wie auch aus den Aussagen der Zeugen I., S. und T. W. wie des Zeugen W1. Diese schilderten auch, dass sich die Frauen umfassend über verschiedene Heime informiert und mehrere Einrichtungen besichtigt hatten, ihnen jedoch keines gefallen hatte.

180

Finanzielle Erwägungen spielten bei dieser Entscheidung keine Rolle, was die vorgenannten Zeugen schilderten. So gab der Zeuge S. W. zwar an, dass insbesondere Frau M. Sorge vor einer Entwertung des Geldes im Falle der Veräußerung ihrer Eigentumswohnung gehabt habe. Er führte jedoch weiter aus, dass sie sich den Umzug in ein Heim bzw. die Einstellung einer Pflegekraft ohne weiteres - auch unter Beibehaltung der Eigentumswohnung - hätten leisten können und insgesamt wohlhabend gewesen seien, was beiden bewusst gewesen sei. Dies haben auch von den Zeugen T. W. und W. W1 bestätigt. Sie hätten den Umzug ins Heim auch nicht aus diesem, sondern anderen Gründen abgelehnt. Insbesondere hätten sie die Atmosphäre in den besuchten Heimen als zu unpersönlich gefunden.

181

- Sie erwarben im Hinblick auf ihren geplanten Suizid nach dem Gespräch mit dem Angeklagten im August 2012 Anfang September 2012 eine gemeinsame Grabstätte. Hierüber informierten sie ihre Freunde und Familienangehörigen, allerdings ohne den Hintergrund dieses Erwerbs zu offenbaren. Die Zeugen W1 und T. wie S. W. haben hierüber berichtet. Die entsprechenden Erwerbsdokumente lagen vor.

182

- Sie nahmen nach der Fertigstellung der Gutachten des Angeklagten mehrfach Kontakt zu Dr. K. auf, was sich aus den auf dem bei Dr. K. sichergestellten Datenträger gespeicherten Schreiben vom 13. und 29. September und 4. Oktober 2012 ergab. Die Kammer geht davon aus, dass sie dies taten, um nunmehr die erbetene Zusage für die Unterstützung des S. e.V. zu erhalten und in der Absicht, hierfür die weiteren Schritte zu besprechen und einzuleiten.

183

- Sie erneuerten im Oktober 2012 ihre Testamente und gaben diese dem Zeugen T. W. zur Verwahrung mit, was dieser berichtete. Auch legten sie mehrere Umschläge mit Geldbeträgen, die sie bestimmten Personen zudachten, in ihren Safe, was die Kriminalbeamtin und Zeugin L. geschildert hat.

184

- Im Oktober trafen sie sich nochmals mit dem Angeklagten, um die Einzelheiten für die Durchführung des Suizides zu besprechen.

185

- Sie antizipierten ersichtlich, dass sie infolge der Einnahme der Medikamente bewusstlos werden würden, untersagten für diesen Fall Rettungsmaßnahmen ausdrücklich und bekräftigten damit ihren Sterbewunsch. Dies ergab sich neben der Einlassung des Angeklagten auch aus der auf dem bei Dr. K. sichergestellten Datenträger gespeicherten Erklärung „Aufklärung und Einwilligung“ und dem in ihrer Wohnung zurechtgelegten Schreiben „Unser ausdrücklicher Wille“.

186

Diesen gefestigten Wunsch bestärkten sie dadurch, dass sie den Zeugen T. W. in dem Schreiben „Unser ausdrücklicher Wille“ beauftragten, Regress- und Schmerzensgeldforderungen gegen Personen einzuklagen, die dennoch Rettungsmaßnahmen einleiten würden. Den genauen Inhalt des Schreibens hatten sie zuvor besprochen, was die Kammer daraus schließt, dass sie den von dem Angeklagten mitgebrachten Vordruck inhaltlich modifizierten, was dieser glaubhaft berichtet hat.

187

- In ihren - in Kopie in der Wohnung bereitgelegten - authentischen und höchstpersönlichen Abschiedsbriefen an die Familien W1 und W. legten sie ihre Motive für die Selbsttötungen dar - „es ist Zeit zu gehen“ - und baten um Verständnis für ihre Entscheidung. Dies dokumentiert die Ernsthaftigkeit dieser Entscheidung wie das Bedürfnis, die Personen, die ihnen nahestanden, mit einer persönlichen Erklärung für diesen endgültigen Schritt zu bedenken. Der Bruder von Frau M. hat keinen Brief erhalten, zu ihm bestand ein unterkühltes Verhältnis. Man hatte trotz des gleichen Wohnortes (H.) kaum persönlichen Kontakt.

188

- Die Abschiedsbriefe wurden gezielt nach der letzten Leerung in den Briefkasten gelegt, um zu gewährleisten, dass die Briefe sicher erst nach ihrem Tod ankommen würden. Dies folgt aus dem Brief des Angeklagten an Dr. K. vom 14. November 2012 und der Aussage des Zeugen S. W., den Brief tatsächlich erst nach dem Tod erhalten zu haben.

189

- Das Planvolle und Wohlüberlegte der Entscheidung wird auch daran deutlich, dass sie Vorkehrungen für die Zeit nach ihrem Tod getroffen haben. Es wurde ein Leitfaden für Hinterbliebene erstellt, gebeten, den verabredeten Bridgetermin abzusagen und den Hausarzt zu informieren, wie den Dokumenten zu entnehmen war.

190

- Frau M. rief - wie dieser glaubhaft berichtet hat - am Tag vor dem Suizid bei ihrem Bruder, dem Zeugen H. B., an und erzählte ihm erstmals von ihren Krankheiten. Am Morgen des Todestages und nur wenige Stunden vor der Einleitung ihres Suizides erfolgte - von den Zeugen S. und I. W. übereinstimmend geschildert - ein Anruf bei der Familie W., in dem es um Alltägliches bezogen auf das bevorstehende (gemeinsame) Weihnachtsfest ging, aber nicht um den bevorstehenden geplanten gemeinsamen Suizid.

191

Hier zeigt sich zur Überzeugung der Kammer eine innere Berührtheit der Frauen, so unmittelbar vor ihrem eigenen Tod. Sie wollten offenbar auf diese Weise Abschied nehmen, noch einmal die Stimmen ihrer engsten Vertrauten hören. Es offenbart aber auch andererseits die feste Entschlossenheit, den Plan für den Doppelsuizid konsequent zu Ende zu führen. Die von dem Zeugen S. W. berichtete sehr ruhige Stimme beider Frauen bei dem Gespräch spricht auch für ihre abgeklärte Entscheidung. Sie waren nicht nervös oder unsicher.

192

- Der minutiös geplante weitere Ablauf des detailliert vorbesprochenen Suizides am 10. November 2012 dokumentiert die Zielstrebigkeit der Frauen in Bezug auf ihren Todeswunsch und dessen Wohldurchdachtheit. Den Ablauf hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung glaubhaft berichtet und nach dem Suizid in seinem Brief an Dr. K. vom 14. November 2012 niedergelegt. Der Ablauf wurde handschriftlich auf einem Zettel protokolliert.

193

Die Festigkeit ihres Suizidwunsches zeigt sich auch darin, dass beide Frauen dem Angeklagten am 10. November 2012 nochmals ausdrücklich bestätigten, dass sie den Suizid nunmehr sicher durchführen wollten, obwohl er ihnen eine Begleitung auch zu einem späteren Zeitpunkt angeboten hatte.

194

- Auch die von den Zeugen W. und W1 geschilderten Charaktere der Frauen sprechen dafür, dass der Suizid wohl überlegt und genauestens geplant war. Beide Frauen neigten nicht zu unüberlegten Spontantaten, sondern handelten - wie die Zeugen übereinstimmend ausführten - stets durchdacht und nach sorgfältiger Abwägung.

195

Die vorstehend erwähnten Eigenschaften waren auch in der unter anderem aus den Kontounterlagen ersichtlichen gründlichen Buchführung, namentlich dem Überprüfen und Abhaken jedes einzelnen Buchungsbetrages, dem von dem Zeugen S. W. geschilderten sorgfältigen Ausfüllen des Leitfadens für Hinterbliebene, dem aus den in Augenschein genommenen Lichtbildern der Wohnung und den insoweit übereinstimmenden Schilderungen der Zeugen S. und L. deutlich gewordenen sehr ordentlichen und sauberen Zustand der Wohnung einschließlich dem Zurechtlegen der Schriftstücke auf dem Wohnzimmertisch am Tag des Suizides erkennbar.

196

- Die Polizeibeamtin und Zeugin S., die als erste vor Ort war, hat schließlich eindrucksvoll berichtet, dass sich beide Frauen „zurecht gemacht“ hätten, sie seien schick gekleidet gewesen, hätten Schmuck angelegt und sich offenbar geschminkt.

197

Für sich genommen mag jeder einzelne Umstand nicht ausreichen, den Schluss auf eine langfristige und zielgerichtete Planung des Doppelsuizides zu ziehen. In der Gesamtschau und -würdigung hat die Kammer hieran jedoch keinen Zweifel.

198

Die fehlende Information der Freunde und Verwandten über den geplanten Suizid spricht nicht gegen die Annahme, dieser sei wohl überlegt und geplant gewesen. Dieses bewusste Verheimlichen der Pläne spricht nach Überzeugung der Kammer vielmehr für den festen Willen der Frauen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Die Kammer geht davon aus, dass sie befürchteten, ihre Verwandten und Freunde würden versuchen, sie von ihren Plänen abzuhalten. Diese Annahme liegt auch nahe, weil sie jedenfalls von den Zeugen W1 und T. W. in der Vergangenheit bereits ablehnende Haltungen gegenüber dem Thema Sterbehilfe erfahren hatten.

199

Die unterbliebene Einbeziehung der nahe stehenden Personen beruhte auch nicht auf dem Willen und Wunsch des Angeklagten. Er hatte ihnen, wie er glaubhaft dargelegt hat und sich auch aus der schriftlichen Untersagung der Information der Angehörigen in der Erklärung „Aufklärung und Einwilligung“ ergab, vielmehr zu einer Einbeziehung der Angehörigen geraten.

200

Gegen die Annahme der langfristigen und zielgerichteten Suizidplanung kann auch nicht der Brief der beiden Frauen an den Angeklagten vom 20. September 2012 ins Feld geführt werden. Hier fragen sie an, ob es für sie „eine andere Möglichkeit gebe als die, auf die [sie] angewiesen sind“. Hiermit sprachen sie nicht eine andere Alternative zum Todeswunsch an. Es ging vielmehr darum, in Erfahrung zu bringen, ob der Angeklagte nach seinem Gutachten nicht zusätzlich auch die persönliche Begleitung des Suizides übernehmen könne, was er zunächst abgelehnt hatte. Diese Einlassung und Interpretation des Angeklagten, die sich auch in seinem Brief an Dr. K. vom 14. November 2012 wiederfindet, war glaubhaft.

201

d. Bedeutung der Gutachten und der Statuten des S. e.V.

202

Die beiden Frauen waren schon vor der Erstellung der Gutachten durch den Angeklagten fest zum Suizid entschlossen. Sie machten ihre Entscheidung weder von dem Inhalt und Ergebnis des Gutachtens abhängig noch davon, ob die Unterstützung des Vereins den Voraussetzungen der Satzung bzw. ja erst später beschlossenen Ethischen Grundsätze entsprach. Vielmehr diente das Gutachten allein dazu, dem S. e.V. eine Entscheidungsgrundlage für die Frage zu bieten, ob der Verein Sterbehilfe leisten wird oder nicht. Dies schließt das Gericht aus folgenden Umständen:

203

- Der Kontakt zu dem Angeklagten wurde nicht von den Frauen, sondern - wie sich neben der glaubhaften Einlassung des Angeklagten aus der auf dem bei Dr. K. sichergestellten Speicherstick gespeicherten Erklärung zur Verwertung persönlicher Daten vom 13. Juli 2012 ergab - von dem S. e.V. in der Person des Vorstandsvorsitzenden Dr. K. hergestellt.

204

- Die Initiative zur Erstattung der Gutachten ging mithin vom S. e.V. aus, nicht von den Frauen. Der Verein benötigte diese „Fremdgutachten“ des Angeklagten, der nicht Vereinsmitglied war.

205

Die Notwendigkeit der Erstellung der Gutachten ergibt sich auch daraus, dass der S. e.V. in seinen später beschlossenen Ethischen Grundsätzen festlegte, dass der Verein beim Suizid nur helfe, wenn der Sterbewunsch durchdacht und nachvollziehbar sei und dass bei Zweifeln ein ärztliches Gutachten einzuholen sei. Zwar sind die Grundsätze erst nach dem Todestag, nämlich am 8. Dezember 2012 beschlossen worden. Es ist jedoch naheliegend, dass diese Ergebnis eines Willensbildungsprozesses innerhalb des Vereins waren und ein Nachweis der Freiverantwortlichkeit auch zuvor im Hinblick auf die bekannte Rechtslage vorausgesetzt worden war.

206

Es ist weiter einzustellen, dass der S. e.V. in der Betreffzeile des Gutachtens vom 13. September 2012 gesondert aufgeführt ist.

207

- Es gab auch für die beiden intelligenten Frauen ersichtlich keinen Grund, die Ausgereiftheit ihres Suizidwillens - noch dazu von einer ihnen bis dahin unbekannten Person und gegen Entgelt - nochmals prüfen zu lassen. Hierfür bestand keine Veranlassung. Sie haben die Begutachtung und deren Bezahlung letztlich hingenommen und akzeptiert, weil Ihnen klar war, dass u.a. von dieser Begutachtung die - gewünschte - Hilfe des Vereins abhängig war.

208

- Für diese Annahme spricht auch, dass sie noch am Tag der Fertigstellung des Gutachtens - nämlich am, 13. September 2012 - mit Dr. K. Kontakt aufnahmen, ersichtlich in der Absicht zu erfragen, wie es weiter um die Sterbehilfe durch den Verein bestellt sei. Dies legen auch die zeitnah erfolgten weiteren Kontaktversuche vom 29. September 2012 und 4. Oktober 2012 nahe, wobei jedoch nicht sicher festgestellt werden konnte, ob, wann und wie Dr. K. reagierte. Die Kontaktaufnahmen ergeben sich aus dem Schreiben der Frauen an Dr. K. vom 29. September 2012 und dem Telefax vom 4. Oktober 2012.

209

- Die Kammer ist schließlich überzeugt, dass die Frauen ihren Suizid auch nicht von dem Vorliegen der Voraussetzungen der Statuten des S. e.V. abhängig machten. Es ist bereits unklar, ob sie den Inhalt der Satzungen und der Entwürfe der später beschlossenen Ethischen Grundsätze des S. e.V. überhaupt kannten. Diese wurden - wie die Zeugin L. und der Zeuge S. W. bestätigten - nicht in ihrer Wohnung aufgefunden. Sie werden auch in keinem der von den Frauen verfassten Dokumente erwähnt.

210

Auch hier mag für sich genommen mag jeder einzelne Umstand nicht ausreichen, den Schluss auf eine gutachten- und statutenunabhängige Entscheidung für den Suizid zu ziehen. In der Gesamtschau und -würdigung hat die Kammer hieran jedoch keinen Zweifel.

211

e. Freie Entscheidung

212

Die Kammer ist überzeugt, dass die Entscheidung der Frauen, sich das Leben zu nehmen, nicht von Dritten beeinflusst und frei von Irrtümern oder sonstigen Mängeln war. Dies schließt die Kammer aus Folgendem:

213

- Die Frauen sind selbst und von sich aus gezielt mit ihrem Suizidwunsch an den S. e.V. herangetreten. Der Verein hat sie nicht etwa gezielt angesprochen.

214

- Der Angeklagte hatte die Begleitung des Suizides zunächst abgelehnt und sich erst auf die nachdrückliche Bitte der Frauen hierzu bereit erklärt.

215

-Es waren auch die Frauen, die mehrfach nach dem Vorliegen des Gutachtens Dr. K. und den S. e.V. kontaktierten, um die weiteren Vorbereitungen in Angriff zu nehmen.

216

- Der Angeklagte hat sie auch am Tage des Suizides noch einmal ausdrücklich nach der Ernsthaftigkeit des Entschlusses gefragt und ihnen Alternativen angeboten. Die Einlassung ist glaubhaft und im Übrigen auch nicht zu widerlegen.

217

- Weder der Angeklagte noch der S. e.V. hatten ein finanzielles Interesse an dem Ableben der Frauen. Der Angeklagte bekam kein Honorar für die Sterbebegleitung, der S. e.V. erstattete die Mitgliedsbeiträge. Die Frauen zahlten das Honorar für das Gutachten, weitere 2.000,- Euro sollte der Angeklagte an ein Kinderhospiz spenden, was er auch tat.

218

In den Testamenten der Frauen wurden - wie der Zeuge S. W. berichtete - weder der Angeklagte noch der S. e.V. oder Dr. K. begünstigt.

219

- Biografie, Werdegang und Persönlichkeit der Frauen - glaubhaft geschildert von den Zeugen W. und W1 - sprechen gegen die Annahme, sie hätten sich zu einem Suizid durch Dritte drängen oder hierbei beeinflussen lassen. Die Kammer hält dies für ausgeschlossen. Die Frauen wurden von den vorstehenden Zeugen als starke, selbstbewusste Frauen beschrieben, die wussten, was sie taten und wollten.

220

- Es mag zwar sein, dass der S. e.V. und ggfs. auch der Angeklagte den Suizid der Frauen bewusst öffentlich machen wollten, um mit einem Präzedenzfall die Frage der Strafbarkeit des Verhaltens des Angeklagten klären zu lassen. Hierfür könnte sprechen dass in - allerdings nicht veröffentlichten - undatierten Entwürfen von sog. Weißbüchern des S. e.V., an denen wahrscheinlich auch der Angeklagte mitgewirkt hatte, niedergelegt wurde, dass sowohl nach einem Suizid-Willigen als auch einem Suizid-Helfer gesucht werde, die bereit seien, ein im Einklang mit der Rechtsordnung stehendes Verfahren der Sterbebegleitung zu etablieren. Der Sterbebegleiter solle bereit sein, ein Ermittlungsverfahren wegen einer Tötung durch Unterlassen einschließlich einer möglichen erst- und zweitinstanzlichen Verurteilung mit der Aussicht eines Verfahrens vor dem Bundesgerichtshof auf sich zu nehmen.

221

Anhaltspunkte für eine Beeinflussung des Willens der Frauen haben sich hieraus jedoch aus den dargestellten Gründen nicht ergeben. Die Einlassung des Angeklagten, beide Frauen seien mit der Veröffentlichung „ihre Falles“ und die Verknüpfung mit ihm als Sterbebegleiter einverstanden gewesen, war nicht zu widerlegen.

222

Die Entscheidung für den Suizid mag auf den ersten Blick wenig einleuchten. Beide Frauen waren wohlhabend, sozial eingebunden und hatten - wie die sachverständigen Gutachten zeigten und die Zeugen S. und I. W. und W. W1 wie der Hausarzt Dr. B. bestätigten - keine lebensbedrohlichen Krankheiten. Gleichwohl ist diese Entscheidung als Folge des Selbstbestimmungsrecht hinzunehmen, solange sie auf einem freien Willen beruht, frei von Mängeln, Irrtümern und Täuschungen ist, ohne Druck und Zwang zustande kam und Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht in Frage stehen. So liegt es hier.

223

f. Rettungschance und Vorstellung des Angeklagten

224

Die Kammer ist überzeugt, dass der Angeklagte die Rettung der Frauen im Zeitpunkt des Eintritts der Bewusstlosigkeit zwar für unwahrscheinlich, jedoch - mit Hirnschäden - für möglich hielt. Dies folgt zunächst aus seiner Einlassung, eine Rettung der Frauen sei - wenn überhaupt - nur mit Hirnschäden möglich gewesen. Zudem wartete er nach dem Eintritt des Todes - 14:24 Uhr und dem Anruf bei der Feuerwehr um 15:09 Uhr - „Ich möchte zwei nicht natürliche Todesfälle durch Suizid melden“ - 45 Minuten. In seinem Brief an Dr. K. vom 14. November 2012 mit dem Bericht über die Ereignisse am 10. November 2012 führte er zudem aus, er habe nach dem Einschlafen und Ausbleiben der Spontanatmung „zur Sicherheit“ eine halbe Stunde abgewartet und erst dann telefonisch seinen Verteidiger und anschließend über 112 die Feuerwehr gerufen. Dieser „Sicherheitsabstand“ wäre nicht notwendig gewesen, wenn er von dem endgültigen und unverrückbaren Tod bereit beim Eintritt der Bewusstlosigkeit auch überzeugt gewesen wäre.

225

Der Angeklagte hat zur Überzeugung der Kammer Rettungsmaßnahmen nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit nicht eingeleitet, weil er den von den Frauen ihm gegenüber mehrfach geäußerten Wunsch respektiert und ihn geachtet hat. Sie haben ihm die Einleitung von Rettungsmaßnahmen ausdrücklich untersagt und - schriftlich niedergelegt - sogar den Neffen von Frau W. für den Fall der Missachtung ihres Willens mit dem Einklagen von Regress- und Schmerzensgeldforderungen beauftragt.

226

Die Kammer ist weiter überzeugt, dass eine Rettung der Damen nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit objektiv wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre.

227

Dies hat der Sachverständige Prof. P. umfassend und nachvollziehbar dargelegt. Er hat hierzu ausgeführt, dass zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestanden habe, dass man Frau W. und Frau M. zum Zeitpunkt des Einschlafens noch hätte retten können. Insbesondere in Anbetracht ihres Alters, der aufgenommenen Mindestmenge des Chloroquins, des engen Zeitraumes zwischen dessen Aufnahme und dem Todeseintritt, der Einnahme des resorptionsfördernden Metoclopramids und der eher schlechten Prognose bei der Behandlung von Chloroquinvergiftungen sei die Wahrscheinlichkeit einer Rettung jedoch als eher gering, mit etwa 10 %, einzuschätzen. Dies liege auch daran, dass es kein sofort und schnell wirkendes Gegengift für eine Chloroquin-Vergiftung gebe. Zwar sei es möglich, die Wirkung des Giftes durch die Zugabe von Kohle zu verringern, doch hätte auch dies den Tod wahrscheinlich nicht verhindern können.

228

Nach seiner Einschätzung hätten vor Ort eingeleitete Reanimationsmaßnahmen voraussichtlich - auch im Hinblick darauf, dass ein Notarzt in der Regel keine Mittel dabei habe, um das Gift aus dem Magen zu holen - keinen Erfolg gehabt. Im Krankenhaus hätte man hierfür einen exkorporalen Kreislauf eingerichtet, wodurch hier jedoch die Resorption des Chloroquins noch weiter erhöht worden wäre. Auch die zeitliche Komponente habe eine Rolle gespielt, es hätte doch einige Zeit gedauert, bis die beiden bewusstlosen Frauen im Krankenhaus angekommen wären und umfassender hätten behandeln werden können.

229

g. Vorerkrankungen

230

Die festgestellten Vorerkrankungen und Beschwerden ergeben aus den in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten der Sachverständigen Dr. G. und Dr. K., den Schilderungen der Zeugen S., I. und T. W. sowie W1, B. und Dr. B., den Briefen der Verstorbenen und deren sich aus der Einlassung des Angeklagten wie dessen Gutachten ergebenden Schilderungen gegenüber dem Angeklagten.

231

h. Herkunft der Medikamente

232

Die Einlassung des Angeklagten, er habe keines der Medikamente besorgt bzw. mitgebracht, war nicht zu widerlegen. Die Kammer geht davon aus, dass die beiden Frauen die Medikamente über den S. e.V. erhalten haben und die Beschaffung Teil der Unterstützung des Sterbehilfevereins war. Die Frauen hatten selbst nicht das notwendige Wissen, um sich die Medikamente in der für den Suizid erforderlichen Menge und Zusammenstellung zu beschaffen. Sie verfügten auch den Schilderungen des Zeugen T. W. zufolge über keinen Zugang zum Internet, über das eine Bestellung gegebenenfalls möglich gewesen wäre. In der Wohnung wurde kein Computer gefunden.

233

IV. Rechtliche Würdigung

234

Der Angeklagte hat sich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt strafbar gemacht.

235

1. Totschlag in mittelbarer Täterschaft

236

Das Verhalten des Angeklagten ist aus tatsächlichen Gründen nicht als (gemeinschaftlicher) Totschlag in mittelbarer Täterschaft strafbar. Eine Verweisung des Verfahrens an eine Schwurgerichtskammer war nicht veranlasst.

237

Es bestand auch nach Durchführung der Beweisaufnahme kein hinreichender Verdacht, der Angeklagte habe - im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem Zeugen Dr. K. - die beiden 81- und 85-jährigen Frauen in mittelbarer Täterschaft getötet, ohne Mörder zu sein (§§ 212, 25 Abs. 1, 2. Var, Abs. 2 StGB). Beide Frauen hatten objektiv wie subjektiv die alleinige Tatherrschaft über ihren Tod.

238

Ohne Zweifel lag bei ihnen kein Defektzustand im Sinne der §§ 19, 20, 35 StGB vor. Sie waren uneingeschränkt einsichts- und urteilsfähig.

239

Es haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sie die Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung intellektuell bzw. verstandesmäßig nicht überblickten oder ihr Suizidwille mangelhaft gebildet worden war. Dieser beruhte weder auf Zwang, Drohung noch auf einer Täuschung des Angeklagten.

240

Das von dem Angeklagten erstellte Gutachten war - wie festgestellt - nicht einmal (mit-)ursächlich für ihren jeweiligen Suizidentschluss. Das Gutachten war auch nicht falsch, sondern zutreffend und schon deshalb keine Täuschungsrundlage. Der Angeklagte hat auf die Motive der Frauen für ihre Selbsttötungen keinen Einfluss genommen, diese nicht bewertet, sondern sie in den Gutachten überwiegend in indirekter Rede wiedergegeben. Den Eindruck, den der Angeklagte von den beiden Frauen hatte, deckt sich im Kern mit dem, den die Kammer von ihnen gewonnen hat, maßgeblich gestützt auf die Schilderungen der ihnen nahestehenden Personen.

241

Es gab weiter keine Hinweise darauf, dass die Frauen ihren jeweiligen Gesundheitszustand unrichtig eingeschätzt hätten. Der Angeklagte hat die Krankheiten der Frauen in dem Gutachten auch nicht etwa dahingehend bewertet, dass diese einen tödlichen Verlauf oder eine hoffnungslose Prognose hätten. Er hat in den Gutachten zum Ausdruck gebracht, das Motiv für die Selbsttötungen nicht in erster Linie die bereits bestehenden, sondern die noch zu erwartenden - zunehmenden - Beschwerden seien.

242

Der Angeklagte hat bei den Verstorbenen auch keinen Irrtum über das Vorliegen der nach den Statuten des S. e.V. geforderten Voraussetzungen für eine Suizidbegleitung hervorgerufen. Es gibt schon keine Anhaltspunkte dafür, dass die Frauen ihren Suizidentschluss davon abhängig machten, ob die Voraussetzungen der Satzung des S. e.V. vorlagen. Der Inhalt der - ja erst nach ihrem Tod beschlossenen - Ethischen Grundsätze hatte ebenfalls keinen Einfluss auf ihre Entscheidung. Dies ist selbsterklärend. Erst recht vertrauten die Frauen zur Überzeugung der Kammer nicht darauf, dass der Angeklagte selbst die Satzung und (erst später verfassten) „Ethischen Grundsätze“ des S. e.V. einhalten würde und machten auch nicht ihre Entscheidung über den Suizid hiervon abhängig.

243

Die Frauen irrten sich nicht über ihre wirtschaftliche Situation. Beide waren sehr gut situiert und sich dessen auch bewusst. Zwar mag es sein, dass sie - insbesondere Frau M. - Sorge vor einem Wertverfall ihres Geldes im Falle der Veräußerung ihrer Eigentumswohnung hatten. Diese Sorge, die im Übrigen nicht durch den Angeklagten hervorgerufenen, verstärkte oder bewertet worden war, war jedoch nicht ursächlich für ihren Suizidentschluss. Sie war allenfalls (mit-)ursächlich für ihre Entscheidung, nicht in ein Heim zu ziehen. Dies wiederum hatten beide jedoch bereits aus anderen Gründen für sich abgelehnt.

244

Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte über überlegenes Wissen verfügte bzw. den Bedeutungsgehalt des Suizides besser erfasste. Sowohl Frau W. als auch Frau M. waren genau über die Wirkung der von ihnen eingenommenen Medikamente, insbesondere des tödlichen Chloroquins informiert.

245

Die Suizidentschlüsse von Frau W. und Frau M. waren - wie festgestellt - von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen. Der Entschluss, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden, war über Jahre entwickelt und gebildet worden. Alternativen hatten sie abgewogen und schließlich verworfen. Der Doppelsuizid entsprang keiner Augenblicksstimmung. Er war das Ergebnis einer über einen längeren Zeitraum getroffenen Entscheidung und wurde auch nicht im Zustand einer depressiven Stimmung gefasst.

246

Dagegen spricht auch nicht, dass die Verstorbenen nach dem Eindruck des Angeklagten vor der Einnahme des tödlichen Chloroquins traurig gestimmt waren. Es wäre realitätsfern, dem Suizidwillen allein wegen der Verstimmtheit und Verzweiflung die Freiverantwortlichkeit abzusprechen. Eine innerlich unbeschwerte Willensentscheidung zur Beendigung des eigenen Lebens ist kaum vorstellbar, so dass - im Gegenteil - diese Gefühle gerade die Authentizität der Entscheidung verdeutlichen und zeigen, dass die beiden Frauen sich der Situation und dem bevorstehenden Tod voll bewusst waren.

247

2. Tötung auf Verlangen

248

Das festgestellte Geschehen begründet schon in tatsächlicher Hinsicht keine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB. Er hat Frau W. und Frau M. nicht getötet. Beide haben das von ihnen selbst - hochwahrscheinlich über den S. e.V. - beschaffte todesursächliche Chloroquin eigenhändig und bewusst zu sich genommen, bis zuletzt die Entscheidung und Kontrolle über den Geschehensablauf behalten und das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht (vgl. BGH v. 14.8.1963 - 2 StR 181/63, NJW 1965, 699).

249

3. Tötung auf Verlangen durch Unterlassen

250

Eine Verurteilung des Angeklagten wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen gemäß den §§ 216, 13 StGB schied aus tatsächlichen Gründen aus. Es fehlt bereits an der hypothetischen Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für den Tötungserfolg. Für diese müsste die erwartete Handlung den konkreten Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert haben, so dass der Erfolg bei Vornahme der unterbliebenen Handlung nicht oder in wesentlich geringerem Umfang eingetreten wäre (BGH v. 25.9.1957 - 4 StR 354/57, NJW 1958, 149, 150; BGH v. 10.8.1984 - 1 StR 9/84, NStZ 1985, 26, 27). Dies ist hier - wie dargestellt - nicht der Fall.

251

4. Versuchte Tötung auf Verlangen durch Unterlassen

252

Der Angeklagte war aus rechtlichen Gründen von dem Vorwurf der versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassen i.S.d. §§ 216 Abs. 1, 2, 22, 23 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB freizusprechen.

253

Er wusste zwar, dass die Frauen infolge der Einnahme der Überdosis Chloroquin sterben würden und wollte dies auch zulassen. Der Angeklagte hat auch nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen nichts zur Abwendung von deren bevorstehenden Tod unternommen, weil ihm dies untersagt worden war und er diesen entgegenstehenden Willen beachten wollte, obwohl er es zumindest für möglich hielt, dass der Tod der Frauen bei dem Ergreifen von Rettungsmaßnahmen doch hätte vermieden werden können. Ihn traf jedoch - unabhängig von dem Bestehen einer möglichen Garantenstellung - im Hinblick auf ihren freiverantwortlichen Suizid weder objektiv noch subjektiv eine Pflicht zur Abwendung ihres Todes. An der Freiverantwortlichkeit hatte der Angeklagte auch keinen Zweifel.

254

a. Garantenstellung

255

Es ist bereits zweifelhaft, ob der Angeklagte eine Garantenstellung für das Leben der Frauen hatte.

256

Der bloße Umstand, dass er als Arzt bei dem Suizid anwesend war, kann eine solche nicht begründen. Auch Ärzte treffen nicht per se Garantenpflichten für das Leben anderer Personen (BGH v. 26.10.1982 - 1 StR 413/82, NJW 1983, 350, 351). Voraussetzung dafür, dass einen Arzt infolge seiner beruflichen Stellung eine Garantenpflicht trifft ist zwar nicht, dass zwischen ihm und dem Patienten ein wirksamer bürgerlich-rechtlicher Vertrag geschlossen worden ist. Der Arzt muss jedoch - zumindest faktisch - die Behandlung bzw. eine ärztliche Verantwortung für das Wohl des Patienten übernommen haben (BGH v. 8.2.2000 - VI ZR 325/98, NJW 2000, 2741, 2742; vgl. auch BGH v. 31.1.2002 - 4 StR 289/01, NJW 2002, 1887, 1888). Dies war hier nicht der Fall. Der Angeklagte war Gutachter und trat als solcher auf.

257

Auch die Annahme einer Garantenstellung aus vorangegangenem pflichtwidrigem Tun (Ingerenz) erscheint zweifelhaft. Ein pflichtwidriges Vorverhalten begründet eine Garantenstellung, wenn es die nahe Gefahr des Eintritts des konkret untersuchten tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht (BGH v. 19.4. 2000 - 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2756). Jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, hat die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zu treffen (BGH v. 5.8.2015 - 1 StR 328/15, NJW 2016, 176, 177; BGH v. 21.12.2011 - 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320).

258

Gemessen hieran könnte ein solches pflichtwidriges Vorverhalten allenfalls damit begründet werden, dass der Angeklagte den Frauen die Einnahme des todesursächlichen Chloroquins in Verbindung wie der weiteren Medikamente empfohlen hatte und hierbei anwesend war.

259

Es bestehen indes Zweifel an der Pflichtwidrigkeit. Unabhängig von der Frage, ob ärztliche - standesrechtliche - Berufsordnungen überhaupt Einfluss auf die Strafbarkeit haben können, hätte der Angeklagte gegen diese nicht verstoßen.Von der Berufsordnung der Ärztekammer W.-L., der der Angeklagte angehört, wurde das von der Bundesärztekammer in der beschlossenen Musterberufsordnung vorgeschlagene ausdrückliche Verbot der Hilfe zur Selbsttötung nicht übernommen. Anstelle der von der Bundesärztekammer vorgeschlagenen Formulierung in der Musterberufsordnung: „Sie [Anm. d. Gerichts: Ärztinnen und Ärzte] dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“ heißt es in der maßgeblichen Berufsordnung der Ärztekammer W. L. insoweit unter § 16 Satz 3: „Siesollen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“

260

b. Erfolgsabwendungspflicht

261

Die Frage, ob dem Angeklagten eine Garantenstellung zukam, kann jedoch dahinstehen. Er wäre auch als Garant wegen der von ihm zutreffend eingeschätzten eigenverantwortlichen Selbsttötung der Frauen nicht verpflichtet gewesen, deren Tod abzuwenden.

262

aa. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes

263

Trotz der grundsätzlichen Straflosigkeit der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung hat der Bundesgerichtshof vor gut 33 Jahren in seinem Urteil vom 4. Juli 1987 (3 StR 96/84, NJW 1984, 2639 - „Wittig“ bzw. „Peterle“) entschieden, dass sich nach allgemeinen Grundsätzen wegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen strafbar mache, wer einen Bewusstlosen in einer lebensbedrohenden Lage antreffe und die ihm erforderliche zumutbare Hilfe zur Lebensrettung nicht leiste, obwohl ihn Garantenpflichten für das Leben des Verunglückten treffen. Dies gelte auch dann, wenn Zustand des handlungs- und willensunfähig gewordenen Opfers von diesem absichtlich herbeigeführt worden sei. Wenn der Suizident die tatsächliche Möglichkeit, das Geschehen zu beeinflussen, endgültig verloren habe, weil er infolge Bewusstlosigkeit nicht mehr von seinem Entschluss zurücktreten könne, hänge der Eintritt des Todes jetzt allein vom Verhalten des Garanten ab. In dessen Hand liege es nunmehr, ob das Opfer gerettet werde oder nicht.

264

Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof seither zwar nicht ausdrücklich aufgegeben. In aktuelleren Urteilen wird jedoch erkennbar, dass dem Selbstbestimmungsrecht eine deutlich höhere Bedeutung beigemessen wird:

265

Im Urteil vom 21. Dezember 2011 (2 StR 295/11, NStZ 2012, 319) entschied der 2. Senat des Bundesgerichtshofes, dass die Strafbarkeit eines Garanten wegen der Nichtverhinderung des Todes von der - im zu entscheidenden Fall nicht gegebenen - ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des „Opfers“, sich zu töten, abhänge.

266

Der 1. Strafsenat machte in seinem Urteil vom 28. Januar 2014 (1 StR 494/13, NStZ 2014, 709) deutlich, dass seinem Urteil vom 18. Juli 1978 (1 StR 209/78) nicht der Grundsatz entnommen werden könne, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behandelnden Substitutionsarztes begründe stets eine „besondere Sorgfaltspflicht“ des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe - unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten - stets zu einer täterschaftsbegründenden Herrschaft des Arztes.

267

Im Urteil vom 5. August 2015 (1 StR 328/15, NJW 2016, 176) differenzierte der Senat ausführlich zwischen den sog. Selbstgefährdungs- und den sog. Selbsttötungsfällen. Er bejahte eine Erfolgsabwendungspflicht in Bezug auf den Tod des Opfers ausdrücklich nur für diejenigen Fälle, in denen das Opfer sein Leben (lediglich) eigenverantwortlich gefährden, nicht aber sterben wollte. In diesen Konstellationen liege kein Wertungswiderspruch darin, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem Rechtsgutinhaber eingegangenen Risikos jedoch eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht anzunehmen. Anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpfe sich in den Selbstgefährdungsfällen die Preisgabe des eigenen Rechtsgutes darin, dieses einem Risiko auszusetzen. Entwickele sich das allein auf die Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasse die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einem Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts.

268

bb. Der vorliegende freiverantwortliche Doppelsuizid

269

Jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall traf den Angeklagten nach Überzeugung der Kammer - auch nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen - keine Rechtspflicht zur Abwendung ihres Todes, weil dem der erklärte Wille der freiverantwortlich handelnden, einsichtsfähigen Frauen entgegenstand (vgl. auch etwa OLG München v. 31.7.1987 - 1 Ws 23/87, NJW 1987, 2940 - „Hackethal“; LG Deggendorf v. 13. September 2013 - 1 Ks 4 Js 7438/11, BeckRS 2015, 20138; siehe auch MüKo.StGB-Schneider, 3. Aufl. 2017, § 216 Rn. 66 m.w.N.; Fischer, StGB, 64. Auflage 2017, vor §§ 211-216 Rn. 42). Die Frauen hatten dem Angeklagten mehrfach und ausdrücklich erklärt, dass Rettungsbemühungen nach Eintritt ihrer Bewusstlosigkeit zu unterlassen seien. Dies haben sie - wie dargestellt - auch mehrfach schriftlich niedergelegt. Sie haben zusätzlich den Neffen von Frau W. ermächtigt, Regress- und Schadensersatzansprüche einzuklagen, wenn trotz ihres entgegenstehenden Willens Rettungsbemühungen - erfolgreich - eingeleitet würden.

270

Ihr darin ausgedrücktes Selbstbestimmungsrecht war von dem Angeklagten zu achten. Zwar bleiben die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 212, 216 StGB von den Neuregelungen des BGB über Patientenverfügungen, insbesondere § 1901a Abs. 3 BGB, grundsätzlich unberührt. Diese haben jedoch fraglos als gesetzgeberische Entscheidung mittelbar eine Wirkung auch für das Strafrecht (vgl. auch BGH v. 25.6.2010 - 2 StR 454/09, NJW 2010, 2963, 2965). So kommt in den Vorschriften über Patientenverfügungen und deren Entstehungsgeschichte der hohe Rang des Selbstbestimmungsrechtes zum Ausdruck, den der Gesetzgeber ihm beimisst.

271

Es ist inzwischen auch das Recht anerkannt, medizinische Behandlungen und lebensverlängernde Maßnahmen - und zwar ohne Rücksicht auf ihre Erforderlichkeit - abzulehnen (BGH, a.a.O.). Konsequenterweise ist Sterbehilfe nicht nur durch Unterlassen, sondern auch durch das aktive Begrenzen und Beenden einer medizinischen Maßnahme gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht, § 1901 a BGB (BGH, a.a.O).

272

Hinzu kommt, dass es keinen Grund dafür gibt, im Falle einer freiverantwortlichen Selbsttötung das Selbstbestimmungsrecht dadurch auszuhebeln, dass der Garant verpflichtet wird, den gewollten Suizid nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit zu verhindern. Ein einheitliches Geschehen würde hierdurch wertungswidersprüchlich in einen straflosen und einen strafbaren Teil aufgespalten (ähnlich OLG München, a.a.O.; Schneider, a.a.O., Vorb. zu den §§ 211 ff Rn. 68; Wessels/Hettinger, 23. Auflage, § 1 Rn. 44). Wenn ein vorangegangene aktives Hilfeleisten als bloße Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung straflos bleibt, ist es bei einem - wie hier - fortbestehendem Sterbewillen widersprüchlich, das diesem Tun nachfolgende Untätigbleiben rechtlich anders zu bewerten und es als Unterlassungstäterschaft unter Strafe zu stellen (vgl. Wessels/Hettinger, a.a.O.). Einem Garanten kann insoweit kein - schon gar nicht ein strafrechtlicher - Vorwurf daraus gemacht werden, dass er den eigenverantwortlich gebildeten Willen des Suizidenten respektiert und beim Verlust der Handlungsherrschaft keine Rettungsmaßnahmen einleitet (vgl. auch StA München I, Verfügung vom 30. Juli 2010 - 125 Js 11736/09, NStZ 2011, 345, 346).

273

Auch dogmatisch erscheint die Begründung einer Tatherrschaft des anwesenden Garanten nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit problematisch, denn die Frage der Tatherrschaft stellt sich nur bis zum Zeitpunkt der Versuchsbeendigung, also bis zur Vornahme der todbringenden Handlung (Roxin, NStZ 1987, 345, 346; Schneider, a.a.O.; Vorb. § 211 Rn. 73 m.w.N.). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Bewusstseinsverlust unmittelbare Folge des freiwillig und eigenverantwortlich eingeleiteten Suizids und damit auch Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes des Suizidenten ist (Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, Springer-Verlag 2013, S. 40).

274

Gegen eine Rettungspflicht spricht vorliegend auch, dass der Angeklagte anderenfalls verpflichtet wäre, durch Rettungsmaßnahmen möglicherweise einen Zustand herbeizuführen, für den die Patientenverfügungen der Frauen errichtet worden waren. Die Patientenverfügungen sollten hiernach u.a. in Situationen gelten, in denen „[...] aufgrund einer Gehirnschädigung [ihre] Fähigkeit, Einsichten zu gewinnen, Entscheidungen zu treffen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten aller Wahrscheinlichkeit nach unwiederbringlich erloschen sind [...].“ Dies sollte ausdrücklich auch für indirekte Hirnschädigungen, z.B. nach Wiederbelebung, gelten. In diesem Fall hätte der in der Patientenverfügung niedergelegte Wille ggfs. nicht nur zur Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen berechtigt, sondern wäre verbindlich gewesen.

275

Ferner ist zu beachten, dass die Anwesenheit von nahe stehenden Personen wie Kindern oder Ehepartnern, aber auch (behandelnden) Ärzten als Garanten bei einem Suizid pönalisiert würde, wohingegen fremde Dritte, die keine Garantenstellung trifft, straflos den Tod begleiten könnten. Diese Unterscheidung wäre sinnwidrig.

276

Das Entfallen der Rettungspflicht kann schließlich nicht davon abhängen, ob bereits eine schwere, unheilbare Krankheit besteht (vgl. BVerwG v. 2.3.2017, NJW 2017, 2215 ff.). Denn das Selbstbestimmungsrecht ist unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung zu achten (vgl. § 1901a Abs. 3 BGB).

277

5. Unterlassene Hilfeleistung

278

Der Angeklagte hat sich aus rechtlichen Gründen nicht wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) strafbar gemacht.

279

In Fällen des freiverantwortlichen Suizids ist es nach Auffassung der Kammer jedenfalls in Konstellationen, in denen der Adressat des § 323c StGB über die Suizidabsichten informiert ist und keine Anhaltspunkte für eine Willensänderung des Suizidenten erkennbar sind, schon höchst zweifelhaft, ob ein Unglücksfall i.S.d. § 323c StGB vorliegt (vgl. auch SK-StGB-Stein, 9. Auflage 2016, § 323c Rn. 16 m.w.N.; LK-StGB-Jähncke, 11. Auflage, § 323 c Rn. 50 ff). Dies kann indes dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist in Fällen des freiverantwortlichen Suizides, in denen - wie hier - dem anwesenden Dritten der freiverantwortliche Suizidwille bekannt ist und es keine Anhaltspunkte für eine Willensänderung des Suizidenten gibt, eine Hilfeleistung nicht erforderlich und auch nicht zumutbar i.S.d. § 323c StGB (OLG München, Beschluss vom 31.7.1987, a.a.O.; Gavela, a.a.O., S. 45 f.; Wessels/Hettinger, a.a.O. § 1 Rn. 61).

280

Weiter ist in Blick zu nehmen, dass der Angeklagte als Arzt davon überzeugt war, dass die Frauen im Falle einer unwahrscheinlichen Wiederbelebung schwerste Hirnschäden davongetragen hätten. Ihr Leben hätte allenfalls noch mittels von ihnen abgelehnten Maßnahmen und unter Inkaufnahme irreparabler schwerer Schäden verlängert werden können. Er wusste, dass sie ein Weiterleben in diesem Zustand für sich abgelehnt hatten und hätte dies selbst auch als unzumutbar empfunden.

281

6. Verstoß gegen das BtMG

282

Der Angeklagte hat sich aus tatsächlichen Gründen nicht wegen unerlaubter Überlassung von Betäubungsmitteln entgegen § 13 BtMG zu verantworten (§ 29 a Abs. 1 Nr. 6b BtMG).

283

Er hat den Frauen das Diazepam weder überlassen - insbesondere nicht beschafft - und auch nicht verabreicht - sie haben es eigenhändig dosiert und eingenommen.

284

Das Diazepam in der Wohnung der beiden Frauen unterfällt in der von den ihnen eingenommenen Dosierungsform auch nicht der Strafbarkeit des § 29 a BtMG. Die Grenzwerte aus der Anlage III des BtMG sind nicht überschritten. Hiernach sind Zubereitungen, die ohne einen weiteren Stoff der Anlagen I bis III bis zu 1 vom Hundert als Sirup oder Tropfenlösung, jedoch nicht mehr als 250 mg je Packungseinheit, oder je abgeteilte Form bis zu 10 mg Diazepam enthalten, von der Strafbarkeit ausgenommen.

285

So liegt es hier. Die beiden Frauen haben jeweils 4 Fläschchen Diazepam mit jeweils 25 ml Inhalt und einer Konzentration von 10 mg/ml zu sich genommen. Dies entspricht exakt einer Tropfenlösung mit 250 mg je Packungseinheit. Im Übrigen enthielt die Lösung keine weiteren Stoffe der Anlagen I bis II, sondern lediglich Propylenglycol, Macrogol 400 und gereinigtes Wasser.

286

7. Verstoß gegen das AMG

287

Schließlich scheidet eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG aus tatsächlichen Gründen aus. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Angeklagte entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 Satz 1 AMG mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, Handel trieb oder diese Arzneimittel abgab. Die Abgabe ist indes nur dann strafbar, wenn sie gewerbsmäßig oder berufsmäßig erfolgt (Körner/Patzak/Volkmer-Volkmer, BtMG, § 95 AMG Rn. 206; OLG Hamburg v. 30.03.1995 - II-63/95 - 1 Ss 5/95, NStZ 1995, 598, 599). Hier ist schon nicht nachgewiesen, dass der Angeklagte die Medikamente mitgebracht und den Frauen überlassen hat. Im Übrigen wäre die Abgabe nicht gewerbsmäßig bzw. berufsmäßig erfolgt, da der Angeklagte kein Entgelt für die Begleitung des Suizides erhalten hat und diese auch nicht berufsmäßig erfolgte.

288

V. Kosten und Auslagen

289

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 StPO.

Sonstiger Langtext

290

I n h a l t:

I.

Anklage und Eröffnungsbeschluss

4

II.

Feststellungen

5

1.

Der Angeklagte

6

2.

Die beiden verstorbenen Frauen W. und M.

6

3.

Entscheidung und Planungen für den Doppelsuizid

8

4.

Statuten des  S. e.V.

16

5.

Der Doppelsuizid am 10. November 2012

18

III.

Beweiswürdigung

21

1.

Einlassung des Angeklagten

22

2.

Würdigung der Einlassung und weitere Feststellungen

24

a.

Todesursache und -zeitpunkt

24

b.

Geistiger Zustand der Frauen

26

c.

Langfristige und zielgerichtete Planung des Doppelsuizides

27

d.

Bedeutung der Gutachten und der Statuten des S. e.V.

32

e.

Freie Entscheidung

33

f.

Rettungschance und Vorstellung des Angeklagten

35

g.

Vorerkrankungen

36

h.

Herkunft der Medikamente

36

IV.

Rechtliche Würdigung

37

1.

Totschlag in mittelbarer Täterschaft

37

2.

Tötung auf Verlangen

39

3.

Tötung auf Verlangen durch Unterlassen

39

4.

Versuchte Tötung auf Verlangen durch Unterlassen

40

a.

Garantenstellung

40

b.

Erfolgsabwendungspflicht

41

 aa.

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes

41

bb.

Der vorliegende freiverantwortliche Doppelsuizid

43

5.

Unterlassene Hilfeleistung

45

6.

Verstoß gegen das BtMG

45

7.

Verstoß gegen das AMG

46

V.

Kosten und Auslagen

46

Urteilsbesprechung zu Landgericht Hamburg Urteil, 08. Nov. 2017 - 619 KLs 7/16

Urteilsbesprechungen zu Landgericht Hamburg Urteil, 08. Nov. 2017 - 619 KLs 7/16

Referenzen - Gesetze

Landgericht Hamburg Urteil, 08. Nov. 2017 - 619 KLs 7/16 zitiert 18 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafprozeßordnung - StPO | § 55 Auskunftsverweigerungsrecht


(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 13 Begehen durch Unterlassen


(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichun

Arzneimittelgesetz - AMG 1976 | § 43 Apothekenpflicht


(1) Arzneimittel, die nicht durch die Vorschriften des § 44 oder der nach § 45 Abs. 1 erlassenen Rechtsverordnung für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind, dürfen außer in den Fällen des § 47 berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbr

Arzneimittelgesetz - AMG 1976 | § 95 Strafvorschriften


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.entgegen § 5 Absatz 1 ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei anderen anwendet,2.entgegen § 6 Absatz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 13 Verschreibung und Abgabe auf Verschreibung


(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung ein

Strafgesetzbuch - StGB | § 323c Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen


(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird

Strafgesetzbuch - StGB | § 216 Tötung auf Verlangen


(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 35 Entschuldigender Notstand


(1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies g

Strafgesetzbuch - StGB | § 19 Schuldunfähigkeit des Kindes


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(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist. Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Die in Anlagen I und II bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nicht verschrieben, verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden.

(1a) Zur Deckung des nicht aufschiebbaren Betäubungsmittelbedarfs eines ambulant versorgten Palliativpatienten darf der Arzt diesem die hierfür erforderlichen, in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel in Form von Fertigarzneimitteln nur dann überlassen, soweit und solange der Bedarf des Patienten durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden kann; die Höchstüberlassungsmenge darf den Dreitagesbedarf nicht überschreiten. Der Bedarf des Patienten kann durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden, wenn das erforderliche Betäubungsmittel

1.
bei einer dienstbereiten Apotheke innerhalb desselben Kreises oder derselben kreisfreien Stadt oder in einander benachbarten Kreisen oder kreisfreien Städten nicht vorrätig ist oder nicht rechtzeitig zur Abgabe bereitsteht oder
2.
obwohl es in einer Apotheke nach Nummer 1 vorrätig ist oder rechtzeitig zur Abgabe bereitstünde, von dem Patienten oder den Patienten versorgenden Personen nicht rechtzeitig beschafft werden kann, weil
a)
diese Personen den Patienten vor Ort versorgen müssen oder auf Grund ihrer eingeschränkten Leistungsfähigkeit nicht in der Lage sind, das Betäubungsmittel zu beschaffen, oder
b)
der Patient auf Grund der Art und des Ausmaßes seiner Erkrankung dazu nicht selbst in der Lage ist und keine Personen vorhanden sind, die den Patienten versorgen.
Der Arzt muss unter Hinweis darauf, dass eine Situation nach Satz 1 vorliegt, bei einer dienstbereiten Apotheke nach Satz 2 Nummer 1 vor Überlassung anfragen, ob das erforderliche Betäubungsmittel dort vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht. Über das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 und die Anfrage nach Satz 3 muss der Arzt mindestens folgende Aufzeichnungen führen und diese drei Jahre, vom Überlassen der Betäubungsmittel an gerechnet, aufbewahren:
1.
den Namen des Patienten sowie den Ort, das Datum und die Uhrzeit der Behandlung,
2.
den Namen der Apotheke und des kontaktierten Apothekers oder der zu seiner Vertretung berechtigten Person,
3.
die Bezeichnung des angefragten Betäubungsmittels,
4.
die Angabe der Apotheke, ob das Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Anfrage vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht,
5.
die Angaben über diejenigen Tatsachen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 ergibt.
Über die Anfrage eines nach Satz 1 behandelnden Arztes, ob ein bestimmtes Betäubungsmittel vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht, muss der Apotheker oder die zu seiner Vertretung berechtigte Person mindestens folgende Aufzeichnungen führen und diese drei Jahre, vom Tag der Anfrage an gerechnet, aufbewahren:
1.
das Datum und die Uhrzeit der Anfrage,
2.
den Namen des Arztes,
3.
die Bezeichnung des angefragten Betäubungsmittels,
4.
die Angabe gegenüber dem Arzt, ob das Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Anfrage vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht.
Im Falle des Überlassens nach Satz 1 hat der Arzt den ambulant versorgten Palliativpatienten oder zu dessen Pflege anwesende Dritte über die ordnungsgemäße Anwendung der überlassenen Betäubungsmittel aufzuklären und eine schriftliche Gebrauchsanweisung mit Angaben zur Einzel- und Tagesgabe auszuhändigen.

(1b) Abweichend von Absatz 1 dürfen die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel durch Notfallsanitäter im Sinne des Notfallsanitätergesetzes ohne vorherige ärztliche Anordnung im Rahmen einer heilkundlichen Maßnahme verabreicht werden, wenn diese nach standardisierten ärztlichen Vorgaben handeln, ein Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann und die Verabreichung zur Abwendung von Gefahren für die Gesundheit oder zur Beseitigung oder Linderung erheblicher Beschwerden erforderlich ist. Die standardisierten ärztlichen Vorgaben müssen

1.
den handelnden Notfallsanitätern in Textform vorliegen,
2.
Regelungen zu Art und Weise der Verabreichung enthalten und
3.
Festlegungen darüber treffen, in welchen Fällen das Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann.

(2) Die nach Absatz 1 verschriebenen Betäubungsmittel dürfen nur im Rahmen des Betriebs einer Apotheke und gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. Diamorphin darf nur vom pharmazeutischen Unternehmer und nur an anerkannte Einrichtungen nach Absatz 3 Satz 2 Nummer 2a gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. Im Rahmen des Betriebs einer tierärztlichen Hausapotheke dürfen nur die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel und nur zur Anwendung bei einem vom Betreiber der Hausapotheke behandelten Tier abgegeben werden.

(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Verschreiben von den in Anlage III bezeichneten Betäubungsmitteln, ihre Abgabe auf Grund einer Verschreibung und das Aufzeichnen ihres Verbleibs und des Bestandes bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, in Apotheken, tierärztlichen Hausapotheken, Krankenhäusern, Tierkliniken, Alten- und Pflegeheimen, Hospizen, Einrichtungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, Einrichtungen der Rettungsdienste, Einrichtungen, in denen eine Behandlung mit dem Substitutionsmittel Diamorphin stattfindet, und auf Kauffahrteischiffen zu regeln, soweit es zur Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Insbesondere können

1.
das Verschreiben auf bestimmte Zubereitungen, Bestimmungszwecke oder Mengen beschränkt,
2.
das Verschreiben von Substitutionsmitteln für Drogenabhängige von der Erfüllung von Mindestanforderungen an die Qualifikation der verschreibenden Ärzte abhängig gemacht und die Festlegung der Mindestanforderungen den Ärztekammern übertragen,
2a.
das Verschreiben von Diamorphin nur in Einrichtungen, denen eine Erlaubnis von der zuständigen Landesbehörde erteilt wurde, zugelassen,
2b.
die Mindestanforderungen an die Ausstattung der Einrichtungen, in denen die Behandlung mit dem Substitutionsmittel Diamorphin stattfindet, festgelegt,
3.
Meldungen
a)
der verschreibenden Ärzte an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über das Verschreiben eines Substitutionsmittels für einen Patienten in anonymisierter Form,
b)
der Ärztekammern an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über die Ärzte, die die Mindestanforderungen nach Nummer 2 erfüllen und
Mitteilungen
c)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die zuständigen Überwachungsbehörden und an die verschreibenden Ärzte über die Patienten, denen bereits ein anderer Arzt ein Substitutionsmittel verschrieben hat, in anonymisierter Form,
d)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die zuständigen Überwachungsbehörden der Länder über die Ärzte, die die Mindestanforderungen nach Nummer 2 erfüllen,
e)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die obersten Landesgesundheitsbehörden über die Anzahl der Patienten, denen ein Substitutionsmittel verschrieben wurde, die Anzahl der Ärzte, die zum Verschreiben eines Substitutionsmittels berechtigt sind, die Anzahl der Ärzte, die ein Substitutionsmittel verschrieben haben, die verschriebenen Substitutionsmittel und die Art der Verschreibung
sowie Art der Anonymisierung, Form und Inhalt der Meldungen und Mitteilungen vorgeschrieben,
4.
Form, Inhalt, Anfertigung, Ausgabe, Aufbewahrung und Rückgabe des zu verwendenden amtlichen Formblattes für die Verschreibung, das Verfahren für die Verschreibung in elektronischer Form sowie Form und Inhalt der Aufzeichnungen über den Verbleib und den Bestand der Betäubungsmittel festgelegt und
5.
Ausnahmen von § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c für die Ausrüstung von Kauffahrteischiffen erlassen werden.
Für das Verfahren zur Erteilung einer Erlaubnis nach Satz 2 Nummer 2a gelten § 7 Satz 2 Nummer 1 bis 4, § 8 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 und 3 Satz 1 bis 3, § 9 Absatz 2 und § 10 entsprechend. Dabei tritt an die Stelle des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte jeweils die zuständige Landesbehörde, an die Stelle der zuständigen obersten Landesbehörde jeweils das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Die Empfänger nach Satz 2 Nr. 3 dürfen die übermittelten Daten nicht für einen anderen als den in Satz 1 genannten Zweck verwenden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte handelt bei der Wahrnehmung der ihm durch Rechtsverordnung nach Satz 2 zugewiesenen Aufgaben als vom Bund entliehenes Organ des jeweils zuständigen Landes; Einzelheiten einschließlich der Kostenerstattung an den Bund werden durch Vereinbarung geregelt.

(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

(1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte.

(2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

 

Urteil vom 14.08.1963

Az.: 2 StR 181/63


In der Strafsache

.......

hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
auf Grund der Hauptverhandlung vom 31. Juli 1963
in der Sitzung vom 14. August 1963,
an denen teilgenommen haben:

Senatspräsident Dr. Baldus als Vorsitzender,
Bundesrichter Dr. Dotterweich,
Bundesrichter Mayr,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichter Henning als beisitzende Richter,
Bundesanwalt Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts in Duisburg vom 24. Juli 1962 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmitteln an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

Der Angeklagte und die 16-jährige Gisela Di. empfanden tiefe Zuneigung füreinander; zwischen beiden entwickelten sich intime Liebesbeziehungen. Die Eltern mißbilligten jedoch diese Verbindung. Als auf Antrag der Eheleute Di. dem Angeklagten sogar durch einstweilige Verfügung verboten wurde, zu ihrer Tochter noch einmal Kontakt aufzunehmen, faßte Gisela den festen Entschluß, aus dem Leben zu scheiden. Als sie am Abend des 8. Juni 1959 mit dem Angeklagten zusammentraf, versuchte dieser vergeblich, das über sein Alter hinaus gereifte Mädchen umzustimmen. Weil er Gisela nicht allein sterben lassen wollte, beschloß er, mit ihr in den Tod zu gehen. Beide schrieben Abschiedsbriefe an ihre Eltern, fuhren dann zu einem Parkplatz und nahmen, im Kraftwagen des Angeklagten sitzend, Luminaltabletten ein. Als keine Wirkung eintrat, äußerte Gisela, daß man sich auf andere Weise töten müsse. Der Angeklagte schlug vor, die Auspuffgase in das Wageninnere zu leiten. Damit war Gisela einverstanden und meinte, das sei gilt, hoffentlich finde man sie nicht zu früh. Der Angeklagte schloß einen Schlauch an das Auspuffrohr an und führte ihn durch das linke Fenster in das Wageninnere. Dann versperrte er die linke Wagentür von außen, stieg von rechts in den Kraftwagen und setzte sich auf den Sitz des Fahrers. Das linke Wagenfenster drehte er so weit zu, wie es der Schlauch ermöglichte. Gisela, die neben dem Angeklagten auf dem rechten Vordersitz Platz nahm, verriegelte die rechte Tür von innen. Der Angeklagte ließ nun den Motor an und trat das Gaspedal durch, bis das einströmende Kohlenoxyd ihm die Besinnung raubte. Am Morgen des 9. Juni 1959 wurden der Angeklagte und Gisela im Kraftwagen, dessen Motor noch lief, gefunden. Sie waren in sich zusammengesunken und bewußtlos, lebten aber noch. Doch nur der Angeklagte konnte gerettet werden, Gisela verstarb alsbald.


Die Strafkammer hat den Angeklagten von dem Vorwurf, Gisela Di. auf ihr Verlangen getötet zu haben, freigesprochen. Sie ist der Meinung, er sei "mangels Tötungshandlung, mangels Tötungsvorsatzes und mangels erheblicher Tatherrschaft nicht als Täter und mangels Strafbarkeit des Selbstmords nicht als Gehilfe fremder Tötung zu bestrafen". Im einzelnen hat sie hierzu ausgeführt: Es spreche nichts dafür, daß Gisela an den Angeklagten mit der Bitte herangetreten sei, sie zu töten. Sie habe sich vielmehr selbst töten wollen. Sein Tatbeitrag stelle sich nicht als Tötungshandlung dar. Das Einnehmen der Tabletten sei als Selbsttötungsversuch Giselas anzusehen, den der Angeklagte - durch Zurückgabe der von ihm vor Tatbeginn verwahrten Tabletten - gefördert habe. Der Vorgang mit den Auspuffgasen könne nicht anders beurteilt werden. Das Hineinleiten der Gase in den Wagen habe den Tod Giselas so wenig verursacht, wie dies die Aushändigung der Tabletten vermocht habe. Wenn es dort notwendig gewesen sei, daß Gisela mit Freitodentschluß die Tabletten nahm, so sei es hier erforderlich gewesen, daß sie sich in den Wagen setzte, dort Platz behielt, die Tür schloß und die Gase einatmete. Abgesehen davon habe der Angeklagte nach seiner unwiderlegten Einlassung zwar sich selbst, nicht aber Gisela töten, dieser vielmehr ihre eigene Tötung selbst überlassen wollen. An ihrem Tode sei er nicht interessiert gewesen. Auch eine Tatherrschaft habe er weder gehabt noch haben wollen. Gisela habe vielmehr nach seinem Tatbeitrag - der Einführung der Gase in den Kraftwagen - die freie Entscheidung über Leben und Tod behalten, zumal da sie möglicherweise später als der Angeklagte das Bewußtsein verloren habe.
3
Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Eltern Gisela Di.s als Nebenkläger mit ihren Revisionen. Sie rügen Verletzung sachlichen Rechts, Die Rechtsmittel haben Erfolg. Die Feststellungen rechtfertigen den Freispruch des Angeklagten nicht. Die Würdigung der Strafkammer ist teils unvereinbar mit diesen Feststellungen, teils beruht sie auf Erwägungen, denen der Senat nicht folgen kann.


Für die Entscheidung der Schuldfrage kommt es nach dem erwiesenen Sachverhalt allein darauf an, ob die Tätigkeit des Angeklagten als straflose Beihilfe zur Selbsttötung oder als strafbare Tötung auf Verlangen zu beurteilen ist. Angesichts einzelner Formulierungen des angefochtenen Urteils muß zunächst klargestellt werden, daß der Angeklagte jedenfalls durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Mädchens zur Tat bestimmt wurde. Nachdem der Versuch mit den Luminaltabletten fehlgeschlagen war, gab ihm Gisela durch ihr entschlossenes Verhalten, insbesondere durch ihre Äußerung, sein Vorschlag sei gut und hoffentlich finde man sie nicht zu früh, unmißverständlich zu verstehen, daß sie auf dem von ihm angeregten Weg den Tod suche und wolle Diesen ernstlichen und im vollen Bewußtsein seiner Tragweite zum Ausdruck gebrachten Wunsch, der ihn zugleich zum Festhalten an seinem eigenen Selbsttötungsentschluß bestimmte, wollte der Angeklagte erfüllen. Was er tat, war auch ursächlich für den Tod des Mädchens. Daß Gisela dieses Handeln wünschte und - auf Grund ihres frei und unbeeinflußt gefaßten Entschlusses - durch Verbleiben im Wagen und Einatmen der einströmenden Gase wirksam werden ließ, schließt weder die Kausalität aus, noch wird dadurch der Vorsatz des Angeklagten in Frage gestellt. Indem er die notwendigen technischen Vorbereitungen traf und die giftigen Gase einströmen ließ in der Vorstellung, dadurch den beiderseitigen Tod herbeiführen zu können, hat er bewußt und gewollt, also vorsätzlich, auch eine Ursache zum eingetretenen Teilerfolg, dem Tod Giselas, gesetzt.

Daß der Tatbestand des § 216 StGB von der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung nach den Grundsätzen der Teilnahmelehre abzugrenzen ist, kann als gesicherte Rechtsprechung angesehen werden. Dagegen läßt sich nicht einwenden, Selbsttötung und Beihilfe dazu seien für straffrei erklärt, also mangels Tatbestandsmäßigkeit keine Straftaten, während es die Teilnahmelehre nur mit solchen zu tun habe; denn die von der Teilnahmelehre vorgeschlagenen Unterscheidungsmerkmale sind begrifflich nicht in der Weise von der Pönalisierung abhängig, daß sie nicht auch auf Taten im "natürlichen" Sinne anwendbar wären. Nur insoweit ergibt sich aus der Straflosigkeit der Selbsttötung eine Besonderheit, als "Tatbeiträge" des Lebensmüden zu seinem Tod dem anderen nicht über § 47 StGB zugerechnet werden dürfen.

In BGHSt 13, 162, 166 [BGH 15.05.1959 - 4 StR 475/58] hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ausgesprochen, nach § 216 StGB könne nur bestraft werden, wer das zum Tode führende Geschehen beherrschen wollte, d.h. mit "Täterwillen" gehandelt habe. Unter ausdrücklichen Hinweis auf diese Entscheidung meint die Strafkammer, der Angeklagte habe die Tatherrschaft weder gehabt noch haben wollen. Indessen beruht das Urteil des 4. Strafsenats im Ergebnis auf anderen Erwägungen, so daß es in der hier zu entscheidenden Abgrenzungsfrage nicht bindet. Auch können die Bedenken, die in der allgemeinen Teilnahmelehre gegen das Merkmal des "Willens zur Tatherrschaft" geltend gemacht werden, unerörtert bleiben. Nach Ansicht des erkennenden Senats sind jedenfalls für den Sonderfall der tatbestandlichen Abgrenzung des § 216 StGB gegenüber der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung subjektiv bestimmte Kriterien, ob nämlich der Handelnde die Tat als eigene wollte, ob er den Täterwillen, den Willen zur Tatherrschaft oder ein eigenes Interesse an der Tat hatte, nicht geeignet, sinnvolle Ergebnisse zu gewährleisten. Das gilt vor allem für den "einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord", weil hier der freie und ernste Entschluß, gemeinsam zu sterben, die bewußte Verknüpfung des beiderseitigen Schicksals, gerade zu einer Übereinstimmung der inneren Haltung führt, die eine Unterscheidung nach subjektiven Merkmalen als besonders fragwürdig erscheinen läßt. Sehr deutlich wird das bei dem Urteil des Reichsgerichts in JW 1921, 579: Nach dem Entschluß, gemeinsam durch Gasvergiftung aus dem Leben zu scheiden, hatte der Mann die Gashähne geöffnet, das Mädchen die Türritzen verstopft. Der Mann war gerettet worden; seine Verurteilung wegen Tötung auf Verlangen wurde vom Reichsgericht gebilligt, weil die Annahme des Tatrichters, der Mann habe die Tat als eigene gewollt, rechtlich nicht zu beanstanden sei. Indessen ist nicht erfindlich, an welche Tatsachen diese Annahme angesichts des gemeinsamen Entschlusses und der beiderseits geleisteten Beiträge zu seiner Durchführung anknüpfen könnte. Das Ergebnis ist notwendigerweise willkürlich und unkontrollierbar. Wenn man dem Handelnden nicht gleichsam gestatten will, sich selbst von dem, was er tut, durch "besonderen Willensakt" zu distanzieren, so müßte die Entscheidung davon abhängen, mit welcher Intensität und Hartnäckigkeit der Lebensmüde oder der Partner des Überlebenden den Freitodentschluß verfolgt hat und in welchem Maße sich der Überlebende dem Willen des Partners gebeugt und untergeordnet hat. Davon ist offenbar die Strafkammer ausgegangen, weil sie wiederholt und betont die starke Persönlichkeit, die Zielstrebigkeit und den unbeugsamen Willen Giselas der Labilität, Beeinflußbarkeit und Willensschwäche des Angeklagten gegenüberstellt. Indessen gestattet das Gesetz eine solche Unterscheidung nicht. § 216 StGB setzt tatbestandlich die Unterordnung unter den fremden Willen gerade voraus. Deshalb ist es nach Ansicht des Senats nicht möglich, seine Anwendung an dem Maß dieser Unterordnung im Einzelfalle auszurichten. Wer den Lebensmüden erschießt, ist strafbar nach § 216 StGB, mag er zunächst noch so sehr Widerstand geleistet und mag der Getötete noch so hartnäckig und unermüdlich auf die Ausführung gedrängt und den Widerstand dadurch überwunden haben.

Sieht man von einer nach subjektiven Merkmalen ausgerichteten Unterscheidung ab, dann kann es allein darauf ankommen, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat. Im Einzelfall ist dafür entscheidend die Art und Weise, wie der Tote über sein Schicksal verfügt hat. Gab er sich in die Hand des Anderen, weil er duldend von ihm den Tod entgegennehmen wollte, dann hatte dieser die Tatherrschaft. Behielt er dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötete er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. Dieser "Vorbehalt der Entscheidung" darf allerdings nach Ansicht des Senats beim einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord nicht schlechthin damit gleichgesetzt werden, daß der eine nach dem Tatbeitrag des anderen tatsächlich noch die freie Entscheidung über Leben und Tod gehabt hat (vgl. Schönke-Schröder, StGB 11. Aufl. § 216 Anm. 14). Sonst hinge die Beurteilung vielfach von den Zufälligkeiten des Geschehensablaufs ab, insbesondere ließe sich das Tun der Beteiligten erst nachträglich vom Ergebnis her als Tötungshandlung kennzeichnen Es kommt vielmehr auf den Gesamtplan an. Soll nach ihm der Beitrag eines Beteiligten nicht bis zum Eintritt des Erfolges willensgesteuert fortdauern, sondern nur die Ursachenreihe so in Gang setzen, daß nach seinem Vollzug dem anderen Beteiligten noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden, so liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor, mag sich auch in diesem Beitrag das gesamte Tätigwerden erschöpfen So war der Sachverhalt in dem bereits erwähnten vom Reichsgericht in JW 1921, 579 entschiedenen Fall, Hier aber war der Gesamtplan ein anderer. Der Angeklagte sollte das gesamte Geschehen bis zuletzt in der Hand haben und die auf den beiderseitigen. Tod abzielende Ausführungshandlung bis zum Eintritt eigener Bewußtlosigkeit fortsetzen. Gisela mag zunächst noch in der Lage gewesen sein, die rechte Wagentür wieder zu öffnen oder den Fuß des Angeklagten vom Gashebel zu stoßen. Sie hatte sich aber entschlossen, die fortdauernde auf den Tod zielende Handlung des Angeklagten duldend hinzunehmen und tat dies auch, nicht wissend, wann es ihr nicht mehr möglich sein werde, sich der tödlichen Wirkung zu entziehen. Alles das wußte der Angeklagte; seine Rolle bei Ausführung des Gesamtplanes war unter solchen Umständen die eines Täters nach § 216 StGB. Ob er vor oder nach Gisela das Bewußtsein verlor, ist unerheblich; von diesem zufälligen Umstand, dessen Ungewißheit zum Gesamtplan gehörte, darf die Beurteilung nicht abhängen.

Nach allem rechtfertigen die bisherigen Feststellungen den Freispruch nicht.


Baldus
Dotterweich
Mayr
Meyer
Henning

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 295/11
vom
21. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 17. Februar 2011 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit dem Jahre 2006 mit der Geschädigten befreundet. Es entstand eine intime Beziehung , in der sich der Angeklagte dominant zeigte, während ihm die Geschädigte "in Hörigkeit und Liebe" zugetan war. Der Angeklagte war zeitweise aggressiv. Er demütigte die Geschädigte in diesen Phasen durch sexuell motivierte Machtspiele und betrieb "emotionale Erpressung". Die Geschädigte zog sich in ihrer Familie und im Freundeskreis immer mehr zurück. Sie verfolgte aber ihre Ausbildung zielstrebig und nahm zum Wintersemester 2008/2009 ein Studium in Trier auf. Vor diesem Hintergrund erklärten der Angeklagte und die Geschä- digte jeweils, dass sie ihre Beziehung beenden wollten. Der Angeklagte wandte sich einer neuen Freundin zu, mit der er sich verlobte. Er stand aber weiter mit der Geschädigten in Kontakt, rief sie am 7. Juni 2009 nach einem Streit mit seiner Verlobten an und vereinbarte mit ihr, dass beide einige Zeit gemeinsam in Trier verbringen würden, wo die Geschädigte über ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft verfügte. Der Angeklagte nahm eine zu mehr als der Hälfte gefüllte Flasche "Cleanmagic" dorthin mit. Dabei handelte es sich um ein Reinigungsmittel mit dem Wirkstoff Gamma-Butyrolacton. Er hatte sich im Internet über die Wirkungsweise informiert und benutzte es sehr vorsichtig in genau dosierten Mengen als Drogenersatz. Er hatte auch der Geschädigten angeboten, ebenfalls dieses Mittel zu konsumieren, was aber nicht erfolgt war. Die Geschädigte wusste von der Gefährlichkeit des Mittels, ohne ebenso eingehend wie der Angeklagte darüber informiert zu sein. Der Angeklagte stellte die Flasche "Cleanmagic" im Zimmer der Geschädigten auf den Wohnzimmertisch. Das Paar verbrachte in den folgenden Tagen die meiste Zeit in diesem Zimmer und war mehrfach täglich miteinander intim. Die Geschädigte, die den Angeklagten als "die Liebe ihres Lebens" bezeichnete, hoffte wieder auf eine gemeinsame Zukunft.
3
Am 12. Juni 2009 erklärte ihr der Angeklagte jedoch, dass er weiter an seiner Verlobung mit einer anderen Frau festhalte. Die Geschädigte war darüber tief enttäuscht. Gegen 23.00 Uhr hörte W. , die in derselben Wohngemeinschaft lebte, laute Geräusche aus dem Zimmer der Geschädigten und erkundigte sich durch die geschlossene Zimmertür, ob alles in Ordnung sei, was die Geschädigte bejahte. Danach, jedenfalls aber vor 23.35 Uhr, nahm die Geschädigte, die nie zuvor Selbsttötungsgedanken geäußert hatte, aus einem spontanen Entschluss heraus die Flasche "Cleanmagic", schüttete vor den Augen des Angeklagten etwa 30 Milliliter des Reinigungsmittels in ein Glas, mischte dies mit einem Getränk und trank die Hälfte der Mischung, darunter 15 bis 25 Milliliter des Reinigungsmittels. Bereits 6 bis 7 Milliliter bewirken bei einer Person von ihrer Statur Bewusstlosigkeit, Verflachung der Atmung und Atemstillstand.
4
Der Angeklagte, der am Computer saß, hatte zuvor die Verzweiflung der Geschädigten bemerkt und wahrgenommen, dass sie aus der Flasche von "Cleanmagic" trank. Er erkannte an der verbleibenden Restmenge die erhebliche Dosis. Er wusste um die schnelle Resorption und die Lebensgefährlichkeit des Mittels für Menschen, die es trinken. Er forderte die Geschädigte auf, sich zu übergeben. Diese erbrach aber erst fünf Minuten nach dem Verschlucken des Reinigungsmittels einen Teil der Flüssigkeit und verfiel in Bewusstlosigkeit. Der Angeklagte suchte im Internet nach Informationen über Gegenmaßnahmen, unterließ es aber, notärztliche Hilfe zu rufen, und nahm dabei den Tod der Geschädigten in Kauf. Er beobachtete lediglich die Situation und recherchierte weiter im Internet. Hätte er unverzüglich einen Notarzt gerufen, so hätte die Geschädigte zumindest innerhalb einer halben Stunde nach Einnahme des Mittels gerettet werden können. Gegen 00.30 Uhr klopfte W. an der Zimmertür , um sich nach der Geschädigten zu erkundigen. Der Angeklagte hatte sich aber dazu entschlossen, keine fremde Hilfe heranzulassen und erklärte, dass sie schlafe. Um 01.55 Uhr beendete er seine Computerrecherchen und verließ die Wohnung. Danach entdeckten W. und deren Freund die leblose Geschädigte und riefen den Notarzt, der sie dann aber nicht mehr retten konnte.
5
Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte sei verpflichtet gewesen , unverzüglich ärztliche Hilfe zu rufen; dem stehe keine Eigenverantwortlichkeit der Geschädigten entgegen. Der Angeklagte habe seine Rettungspflicht mit bedingtem Tötungsvorsatz verletzt und den Tod des Opfers verursacht.

II.

6
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Er hat sich des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).
7
Nach allgemeinen Grundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft, die erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen (vgl. BGHSt 53, 38, 42). Da eine absolute Sicherung gegen Gefahren nicht erreichbar ist, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein umsichtiger Mensch für notwendig hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Strafbar ist die Nichtabwendung einer Gefahr aus der vom Garanten eröffneten Gefahrenquelle dann, wenn eine nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. Der Angeklagte hatte durch Abstellen der Flasche mit dem gefährlichen Mittel auf dem Wohnzimmertisch im Zimmer der Geschädigten eine erhebliche Gefahrenquelle geschaffen. Er hatte der Geschädigten früher den Konsum angeboten, weshalb auch die Möglichkeit bestand, dass sie davon trinken würde. Eine Handlungspflicht für den Angeklagten wurde in dem Augenblick begründet, in dem er wahrnahm, dass die Geschädigte tatsächlich davon trank. Da er nach den Feststellungen genau um die rasche Wirkung und die besondere Gefährlichkeit der Einnahme des Mittels durch Menschen wusste und erkannte, dass die Geschädigte eine erhebliche Menge des Mittels getrunken hatte, hätte er nachdem er bemerkt hatte, dass sie die Flüssigkeit nicht sogleich erbrach, unverzüglich den Notarzt rufen müssen. Diese Pflicht hat er schuldhaft nicht erfüllt. Das Unterlassen ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts für den Tod der Geschädigten im Sinne einer hypothetischen Rettung bei unverzüglichem Herbeirufen des Notarztes ursächlich geworden.
8
Eine eigenverantwortlich versuchte Selbsttötung der Geschädigten lag nicht vor. Fehlt es an einer ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers sich zu töten, dann ist das Nichtverhindern des Todes durch einen Garanten als Totschlag durch Unterlassen zu beurteilen (vgl. Wessels/ Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil, Bd. 1, 34. Aufl. 2010, Rn. 54). Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dem spontanen Trinken des Reinigungsmittels habe kein ernstlicher Selbsttötungsentschluss zu Grunde gelegen. Da die Geschädigte in Anwesenheit des Angeklagten von dem Reinigungsmittel trank, ist davon auszugehen, dass sie dies tat, um auf sich aufmerksam zu machen. Es lag kein freiverantwortlicher Selbsttötungsentschluss zugrunde. Dies wird daraus deutlich, dass sie der Aufforderung des Angeklagten, sich zu erbrechen , Folge leistete.
Fischer Schmitt Berger Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 494/13
vom
28. Januar 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
__________________________
BtMG § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a, § 13 Abs. 1
1. Zur "begründeten Anwendung" im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG bei der ärztlichen
Verschreibung von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie opiatabhängiger
Patienten.
2. Die Stellung als behandelnder Substitutionsarzt eines opiatabhängigen Patienten
als solche begründet keine Handlungsherrschaft des Arztes bei missbräuchlicher
Verwendung des verschriebenen Substitutionsmedikaments durch den Patienten.
Ein Arzt kann in solchen Konstellationen lediglich als Täter eines Körperverletzungsoder
Tötungsdelikts strafbar sein, wenn die selbstschädigende oder selbstgefährdende
Handlung des Patienten nicht eigenverantwortlich erfolgte.
BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 - 1 StR 494/13 - LG Deggendorf
in der Strafsache
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
28. Januar 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Erster Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 22. März 2013 werden verworfen. 2. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in 125 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 110,00 Euro verurteilt. Zugleich hat es ihm für die Dauer von fünf Jahren untersagt, als Arzt drogenabhängige Patienten zu substituieren. Im Übrigen ist er freigesprochen worden.
2
Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revision gegen die Verurteilung in 100 der ihm zur Last gelegten Fälle. Die Verurteilung in den sonstigen Fällen sowie den Maßregelausspruch hat er von seinem Rechtsmittelausgenommen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer Revision, dass der Angeklagte nicht wegen eines Tötungsdelikts aufgrund des Todes eines von ihm substituierten Patienten verurteilt worden ist. Zudem rügt sie die Strafzumessung sowohl hinsichtlich der Einzelstrafen als auch der Gesamtstrafe.
3
Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

A.

4
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

I.

5
1. Der Angeklagte behandelte in seiner ärztlichen Praxis opiatabhängige Substitutionspatienten. Er führte bei diesen jeweils ordnungsgemäße Eingangsuntersuchungen durch und sorgte für deren psycho-soziale Betreuung. In den der Verurteilung zugrunde liegenden Einzelfällen verschrieb er zwischen Januar 2008 und August 2011 vier seiner Patienten die Substitutionsmittel Methadon oder Levomethadon im Rahmen von sog. Take-Home-Verordnungen. Bei dieser Art der Verordnung wird den Patienten eine Verschreibung über die für bis zu sieben Tage benötigte Menge des Mittels ausgehändigt und das Methadon diesen damit zur eigenverantwortlichen Einnahme überlassen (UA S. 23). In den verfahrensgegenständlichen Fällen hätten nach den Feststellungen und Wertungen des Tatgerichts Verschreibungen in diesem Verfahren nicht erfolgen dürfen. Die betroffenen Patienten waren entgegen den Voraussetzungen für Take-Home-Verschreibungen nicht stabil eingestellt. In einigen Einzelfällen fehlte es auch an der erforderlichen Kontrolle auf Beikonsum, also die zusätzliche Einnahme von unerlaubten Betäubungsmitteln zum Methadon. Teilweise hatten durchgeführte Tests auch den Nachweis von Beikonsum von verbotenen Betäubungsmitteln erbracht. In fünf den später an den Folgen der Methadoneinnahme verstorbenen Patienten K. betreffenden Fällen erfolgte die Verschreibung ohne einen persönlichen Kontakt zu diesem. Der Angeklagte nahm insgesamt billigend eine nicht ordnungsgemäße Verwendung des Methadons durch die vier betroffenen Patienten in Kauf.
6
2. Das Landgericht hat hinsichtlich der einzelnen Patienten Folgendes festgestellt:
7
a) Fälle 1 bis 35 (B.I. der Urteilsgründe)
8
Im Zeitraum zwischen Januar 2008 und Ende Juni 2009 verordnete der Angeklagte der Patientin H. in 35 Einzelfällen im Rahmen des TakeHome -Verfahrens Methadon, obwohl ihm bekannt war, dass die Patientin nicht stabil eingestellt war und sie ständig mehr Methadon konsumierte, als sie als Tagesdosen in den jeweiligen Verschreibungszeiträumen hätte zu sich nehmen dürfen. Den Mehrverbrauch dokumentierte der Angeklagte in einigen Fällen in der Patientenakte.
9
b) Fälle 36 bis 43 (B.II. der Urteilsgründe)
10
Zwischen Januar und Mai 2008 verschrieb der Angeklagte seinem Patienten He. in acht Einzelfällen Methadon im Take-Home-Verfahren. Dem Angeklagten war dabei bekannt, dass der Patient unzuverlässig und nicht stabil eingestellt war. Nach den weiteren Feststellungen des Tatgerichts hatten zwei Drogentests im Dezember 2007 ein negatives Ergebnis hinsichtlich Methadon erbracht. Damit wusste der Angeklagte um die fehlende Einnahme des Substitutionsmedikaments durch He. in diesem Monat. Tests Anfang und Ende 2008 waren zudem positiv auf THC ausgefallen.
11
c) Fälle 44 bis 65 (B.III. der Urteilsgründe)
12
Der Angeklagte verschrieb dem Patienten U. , der bereits seit rund 20 Jahren durch andere Ärzte verschriebene Substitutionsmedikamente eingenommen hatte, im Zeitraum von Anfang März bis Ende Dezember 2009 in 22 Einzelfällen durch Take-Home-Verordnung Methadon. Ihm war jedoch bekannt , dass bei dem Patienten Ende Februar 2009 ein Drogentest THC und ein weiterer Test rund vier Wochen später Benzodiazepine nachgewiesen hatte. Ein Drogentest Mitte Juni 2009 fiel wiederum positiv auf THC aus. In einer größeren Zahl von Einzelfällen hatte der Angeklagte den Mehrverbrauch des Patienten dokumentiert.
13
d) Fälle 66 bis 125 (B.IV. der Urteilsgründe)
14
Der zumindest seit 2005 opiatabhängige Patient K. befand sich ab dem Sommer 2009 in der Substitutionsbehandlung bei dem Angeklagten. Der Patient nahm das Methadon intravenös über seine Beinvenen ein.
15
Zwischen Mitte Januar 2010 und dem 22. August 2011 verschrieb der Angeklagte dem Patienten in 60 Einzelfällen Methadon. Im Jahr 2010 nahm er bei K. insgesamt acht Drogentests vor. Sechs dieser Tests wiesen kein Me- thadon nach. Dem Angeklagten war damit bekannt, dass „K. dasihm ver- ordnete Medikament nicht bestimmungsgemäß einnahm“ (UA S. 14). Der letzte, am 21. Oktober 2010 durchgeführte Test erbrachte wiederum ein Negativergebnis bezüglich Methadon. Die Ergebnisse der beiden weiteren Tests wiesen THC bzw. Benzodiazepine nach.
16
Die Verschreibung von Methadon an den Patienten erfolgte in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle jeweils nach persönlichem Kontakt mit ihm. In den Fällen 121 bis 125 im Zeitraum von Mitte Juli bis Mitte August 2011 be- stand ein solcher Kontakt jedoch nicht. K. befand sich in diesem Zeitraum in der Justizvollzugsanstalt. Gegenüber dem Angeklagten hatte er vorgegeben, in der fraglichen Zeit in Oberbayern zu arbeiten, und ihn deshalb gebeten, die Methadonrezepte an seine (K. s) Ehefrau zu übergeben. Diesem Wunsch kam der Angeklagte nach. Die Ehefrau beschaffte das verschriebene Methadon in der Apotheke.
17
Nach der Entlassung des Patienten aus der Justizvollzugsanstalt Ende August 2011 waren in seiner Wohnung 35 Fläschchen Methadon vorhanden. In der Nacht vom 1. auf den 2. September 2011 wurde er dort tot aufgefunden. Er hatte den Inhalt von zumindest drei Fläschchen Methadon intravenös eingenommen und war an den Folgen der Überdosis gestorben.

II.

18
Das Landgericht hat in sämtlichen genannten Einzelfällen eine Strafbarkeit des Angeklagten aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a in Verbindung mit § 13 Abs. 1 BtMG und § 5 BtMVV (in der jeweils im Tatzeitraum maßgeblichen Fassung) angenommen. Dagegen hat es den Angeklagten nicht wegen eines Tötungsdelikts im Hinblick auf den Tod des Patienten K. verurteilt. Zudem hat es den Angeklagten in weiteren sechs Fällen vom Vorwurf des Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG – teils aus tatsächlichen, teils aus rechtlichen Gründen – freigesprochen.
19
1. Das Tatgericht hat die Strafbarkeit des Angeklagten nach dem Betäubungsmittelgesetz damit begründet, dass der auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 3 Satz 1 BtMG erlassene § 5 BtMVV eine Verschreibung von Substitutionsmedikamenten lediglich unter bestimmten Voraus- setzungen zulässt. Nach den inhaltlich weitgehend übereinstimmenden, im Tatzeitraum geltenden drei Fassungen von § 5 BtMVV ist dem behandelnden Arzt eine Verschreibung über die für bis zu sieben Tage benötigte Menge des Substitutionsmittels gestattet, wenn und solange der Behandlungsverlauf dies zulässt sowie dadurch die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht beeinträchtigt werden. Die ab dem 25. März 2009 geltende Fassung der Verordnung schließe in § 5 Abs. 8 Satz 4 BtMVV eine Verschreibung der bis zu sieben Tage benötigten Menge des Substitutionsmittels aus, wenn die Untersuchungen und Erhebungen des Arztes zu Erkenntnissen geführt haben, nach denen der Patient Stoffe konsumiert, die ihn zusammen mit der der Einnahme des Substitutionsmittels gefährden, dieser unter Berücksichtigung der Toleranzentwicklung noch nicht auf eine stabile Dosis eingestellt ist oder der Patient missbräuchlich Stoffe konsumiert.
20
Um die Vorgaben der Verordnung inhaltlich näher auszufüllen, hat das Landgericht auf die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger zurückgegriffen. Einen zum Ausschluss der Take-Home-Verordnung führenden „nicht regelgerechten Vorfall“ (UA S. 24) hat es dabei vorallem bei der Feststellung von Beikonsum, eines Mehrverbrauchs oder eines negativen Methadontests angenommen. Das Tatgericht hat allerdings zugunsten des Angeklagten unter Abweichung der genannten Richtlinien lediglich einen Zeitraum von einem Monat zugrunde gelegt, in dem der Patient sich als zuverlässig erwiesen haben muss, um vom TakeHome -Verfahren Gebrauch machen zu können. Die Richtlinien der Bundesärztekammer sehen dagegen nach der Darlegung des Tatgerichts eine wenigstens sechsmonatige Zuverlässigkeit des Patienten vor.
21
2. a) Anhand dieser Maßstäbe stützt das Landgericht die Strafbarkeit des Angeklagten in den 35 die Patientin H. (B.I. der Urteilsgründe) betref- fenden Fällen unter Darlegung im Einzelnen jeweils auf den ihm bekannten und in einigen Fällen sogar in den Patientenunterlagen dokumentierten Mehrverbrauch.
22
b) In den den Patienten He. (B.II. der Urteilsgründe) betreffenden Fällen 36 bis 38 leitet das Tatgericht den Verstoß des Angeklagten gegen das Betäubungsmittelgesetz aus den diesem bekannten Ergebnissen der Drogentests im Dezember 2007 und Januar 2008 ab. Diese hatten teils ein negatives Ergebnis auf Methadon, teils positive Ergebnisse auf Beikonsum erbracht. Die Verschreibung im Fall 39 erfolgte, obwohl He. sich nach dem Drogentest Ende Januar 2008 (positives Ergebnis auf Benzodiazepine) sich noch nicht über einen Monat als zuverlässig erwiesen hatte. Entsprechendes gilt in den Fällen 41 bis 43. Die Verschreibungen erfolgten in einem Zeitraum von 14 Tagen nach einem positiv auf THC ausgefallenen Test. Für den Fall 40 stützt sich das Tatgericht auf den dem Angeklagten bekannten Mehrverbrauch des Patienten , der daher nicht stabil eingestellt war.
23
c) Hinsichtlich des Patienten U. (B.III. der Urteilsgründe) hat das Tatgericht die Strafbarkeitsvoraussetzungen in den Fällen 44 bis 50 auf den dem Angeklagten durch die Ergebnisse von Drogentests bekannten Beikonsum von THC bzw. Benzodiazepinen gestützt. In den Fällen 51 bis 65 hat es unter näheren Darlegungen die zum Ausschluss des Take-Home-Verfahrens führende Unzuverlässigkeit des Patienten aus dessen Mehrverbrauch abgeleitet. Dieser war dem Angeklagten bekannt, zumal er ihn in einigen Fällen in den Patientenunterlagen dokumentiert hatte.
24
d) In Bezug auf die 60 den Patienten K. (B.IV. der Urteilsgründe) betreffenden Fälle hat das Tatgericht die Voraussetzungen der Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG und § 5 BtMVV jeweils auf unterschiedliche Erwägungen gestützt.
25
In den Fällen 66 bis 69, 86 bis 89, 103 bis 106 hätten durchgeführte Drogentests jeweils ein negatives Ergebnis auf Methadon erbracht. Dementsprechend sei dem Angeklagten die nicht bestimmungsgemäße Verwendung des Substitutionsmedikaments durch den Patienten bekannt gewesen. Zudemläge in den Fällen 96 bis 102 neben einem Mehrverbrauch und dem daraus abzuleitenden Fehlen einer stabilen Einstellung des Patienten ebenfalls ein negatives Drogentestergebnis auf Methadon vor. Daraus ergebe sich zusätzlich das Fehlen der Voraussetzungen für das Take-Home-Verfahren.
26
Hinsichtlich der Fälle 70 und 71 sowie 78, 85, 90 und 115 bis 117 habe der Angeklagte nicht die monatlich zur Überprüfung der Zuverlässigkeit des Patienten notwendigen Drogentests durchgeführt. Deshalb hätten in den genannten Fällen keine Take-Home-Verordnungen erfolgen dürfen.
27
In den Fällen 72 bis 77, 91 bis 102 sowie 118 bis 120 hat das Tatgericht jeweils darauf abgestellt, dass bei dem Patienten ein dem Angeklagten bekannter , teils von ihm in den Patientenunterlagen vermerkter Mehrkonsum vorliege, aus dem sich das Fehlen einer ausreichend stabilen medikamentösen Einstellung des Patienten ergebe. Hinsichtlich der Fälle 96 bis 102 gründet sich die Unzuverlässigkeit des Patienten zudem auf das negativ auf Methadon ausgefallene Testergebnis.
28
Für die Fälle 79 bis 84 und 107 bis 114 hat sich das Tatgericht auf die den Nachweis von THC bzw. Benzodiazepine erbringenden Ergebnisse von Drogentests gestützt. Wegen des dem Angeklagten bekannten Beikonsums hätte er von dem Take-Home-Verfahren erst wieder Gebrauch machen dürfen, wenn sich der Patient K. für wenigstens einen Monat als zuverlässig erwiesen hätte.
29
Die Verschreibungen in den Fällen 121 bis 125 seien ohne den erforderlichen persönlichen Kontakt zu dem Patienten erfolgt.
30
3. Die Voraussetzungen einer tateinheitlich mit den Betäubungsmitteldelikten in den Fällen 121 bis 125 verwirklichten fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) des Angeklagten zu Lasten seines Patienten K. hat das Tatgericht verneint. Es liege eine Konstellation sog. eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des zu Tode gekommenen Patienten vor. Bei dieser sei eine Strafbarkeit des daran Mitwirkenden, hier des Angeklagten, lediglich dann zu begründen, wenn er kraft überlegenen „Fachwissens“ das Risiko des selbstgefährdenden Verhaltens besser erfasst habe, als der sich Selbstgefährdende. Dies hat das Landgericht im Hinblick auf die Aussage der Ehefrau des verstorbenen Patienten K. verneint. Dieser habe Methadon bereits seit Jahren intravenös eingenommen und die damit verbundenen Risiken, auch die einer Überdosierung, gekannt. Gegen einen seine freie Willensentschließung beeinträchtigenden Zustand spreche, dass K. die Beschaffung von Substitutionsmedikamenten mit Hilfe seiner Ehefrau für die Dauer seiner Haft planmäßig vorbereitet habe.

III.

31
Gegen dieses Urteil wenden sich sowohl der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten, im Umfang beschränkten Revision als auch die Staatsanwaltschaft mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel.

32
Der Angeklagte hat die Verurteilungen in den fehlende oder negativ auf Methadon ausgefallene Drogentests betreffenden Fällen 36 bis 38, 66 bis 71, 78, 85, 86, 102, 108 bis 112, 115, 117 und 121 bis 125 sowie den Maßregelausspruch von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Hinsichtlich der verbleibenden Fälle wendet sich die Revision u.a. dagegen, dass das Tatgericht die Strafbarkeitsvoraussetzungen auf den dem Angeklagten bekannten Beikonsum von Rauschgiften bzw. auf die fehlende klinische Stabilität der betroffenen Patienten gestützt hat.
33
Die Staatsanwaltschaft beanstandet, dass der Angeklagte wegen der zwischen dem 25. Juli und dem 22. August 2011 (Fälle 121 bis 125) erfolgten Verschreibungen von Methadon für den Patienten K. nicht wegen eines Tötungsdelikts verurteilt worden ist. Darüber hinaus macht sie geltend, die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe würden dem Unrechtsgehalt der Taten nicht gerecht.

B.

34
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.

35
Ob die Beschränkung der Revision des Angeklagten auch auf den Maßregelausspruch wirksam ist, kann dahinstehen, weil sein Rechtsmittel insgesamt ohne Erfolg bleibt.

II.

36
Das Landgericht hat auf der Grundlage rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen in sämtlichen noch verfahrensgegenständlichen Fällen die Verschreibungen von Methadon bzw. L-Polamidon (Levomethadon) durch den Angeklagten zutreffend als gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG strafbares Verhalten gewertet.
37
1. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG stellt das gegen § 13 Abs. 1 BtMG verstoßende Verschreiben von Betäubungsmitteln unter Strafe. Die letztgenannte Vorschrift bestimmt, dass Ärzte die in Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes genannten Stoffe – wie hier Methadon und L-Polamidon – nur dann verschreiben dürfen, wenn ihre Anwendung im oder am menschlichen Körper „begründet“ ist. Unter welchen Voraussetzungen eine im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG „begründete Anwendung“ dererfassten Betäubungsmittel anzunehmen ist, legt das Betäubungsmittelgesetz selbst in den Einzelheiten nicht fest. Konkretisierungen der begründeten Anwendungen von Betäubungsmitteln ergeben sich aus der auf der Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 3 BtMG beruhenden (Rechts)Verordnung über das Verschreiben, die Abgabe und den Nachweis des Verbleibs von Betäubungsmitteln (Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung [BtMVV] in den jeweils im Tatzeitraum geltenden Fassungen). Für die hier in Rede stehende Substitutionsbehandlung von opiatabhängigen Patienten durch Ärzte ergeben sich nähere Beschreibungen der „begründeten Anwendung“ von Betäubungsmitteln bei deren Verschreibung aus § 5 BtMVV. So gestaltet § 5 Abs. 1 BtMVV (in der seit 21. Juli 2009 geltenden Fassung sowie entsprechend die Vorgängerregelungen) die Ziele einer Substitutionsbehandlung aus; Abs. 2 beschreibt die für eine Verschreibung gemäß § 13 Abs. 1 BtMG erforderlichen Voraussetzungen im Einzelnen. In § 5 Abs. 8 BtMVV hat der Verordnungsgeber die Erfordernisse für die Anwendung der sog. TakeHome -Verordnung in den Details festgelegt. Entsprechende Vorgaben fanden sich auch in den vom Tatgericht jeweils herangezogenen, in den jeweiligen Tatzeiträumen geltenden früheren Fassungen der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung.
38
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG im Hinblick auf die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes des Art. 103 Abs. 2 GG bestehen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 1991 – 3 StR 8/91, BGHSt 37, 383, 384 f.; Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338; siehe auch Nestler MedR 2009, 211, 215 sowie BGH, Urteil vom 8. Mai 1979 – 1 StR 118/79, BGHSt 29, 6, 8 hinsichtlich der Vorgängerregelung § 11 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a BtMG aF). Die näheren Voraussetzungen der Strafbarkeit dürfen in einer Rechtsverordnung geregelt werden, wenn diese – wie vorliegend die Betäubungsmittel -Verschreibungsverordnung – Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entspricht (BVerfGE 14, 174, 185) und die die Strafvorschrift ausfüllende Rechtsverordnung ihrerseits den Anforderungen aus Art. 103 Abs. 2 GG an die inhaltliche Bestimmtheit genügt (vgl. BVerfG NStZ-RR 2002, 22; Radtke in Epping/ Hillgruber, GG, 2. Aufl., Art. 103 Rn. 29 mwN). Die Voraussetzungen der Strafbarkeit müssen sich allerdings bereits dem Straftatbestand als solchem entnehmen lassen. Der Verordnung dürfen lediglich Konkretisierungen überlassen bleiben (BVerfGE 75, 329, 342; siehe auch BVerfGE 14, 174, 185 f.).
39
Dem genügen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a, § 13 Abs. 1 BtMG i.V.m. § 5 BtMVV. Mit den gesetzlichen Regelungen selbst wird hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass (u.a.) Ärzten die Verschreibung von in Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes erfassten Betäubungsmitteln lediglich dann ge- stattet ist, wenn die Anwendung der entsprechenden Stoffe am oder im menschlichen Körper medizinisch begründet ist, also eine Indikation für eine solche Anwendung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft besteht (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338). Der Bundesgerichtshof hat in der Sache damit weitgehend übereinstimmend auch bereits die frühere Regelung in § 11 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a BtMG 1972 dahingehend ausgelegt, dass eine begründete Verschreibung von Betäubungsmitteln durch einen Arzt vorliegt, wenn das Mittel nach den allgemeinen oder weitaus überwiegend anerkannten Regeln der ärztlichen Wissenschaft als Heilmittel für das Leiden des Patienten geeignet ist (BGH, Urteil vom 8. Mai 1979 – 1 StR 118/79, BGHSt 29, 6, 9 mwN; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. Mai 1991 – 3 StR 8/91, BGHSt 37, 383, 384). Ob an der vorgenannten Auslegung auch für das geltende Recht in jeder Hinsicht festgehalten werden kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung (siehe bereits BGH aaO, BGHSt 37, 383, 384). Für die geltende Strafvorschrift lässt sich jedenfalls aus § 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG, der im Sinne einer ultima ratio (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338; näher Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 13 Rn. 20-23) eine Anwendung von Betäubungsmitteln bei Vorhandensein anderer Möglichkeiten der Zweckerreichung ausschließt, erkennen , dass die in § 13 Abs. 1 BtMG enthaltene Verhaltensnorm auf die medizinische Notwendigkeit einer (Substitutions-)Behandlung mit an sich verbotenen Betäubungsmitteln, also eine ärztliche Bewertung der Voraussetzungen einer solchen Behandlung, abstellt (Nestler aaO). Das legt das erlaubte Verhalten von Ärzten und anderen in § 13 BtMG genannten Berufsgruppen im Umgang mit Betäubungsmitteln bei der Substitutionsbehandlung im Gesetz selbst ausreichend bestimmt fest. Da die Strafvorschrift § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG an eine gegen § 13 Abs. 1 BtMG verstoßende Verschreibung anknüpft, entspricht sie ihrerseits dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot. Die inhaltlich klaren und sehr detaillierten Vorgaben in § 5 BtMVV stehen mit Art. 103 Abs. 2 GG ebenfalls in Einklang. In ihrem Zusammenspiel normieren § 13 BtMG und § 5 BtMVV die materiellen Voraussetzungen einer erlaubten ärztlichen Substitutionsbehandlung (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 2008 – 2 StR 577/07, BGHSt 52, 271, 273 Rn. 11) bei Anwendung ansonsten unerlaubter Stoffe in einer für den solche Behandlungen durchführenden Arzt eindeutig erkennbaren Weise.
40
2. Die Verschreibungen von Methadon bzw. L-Polamidon (Levomethadon ) an die betroffenen Patienten erfolgte in sämtlichen noch verfahrensgegenständlichen Fällen ohne Vorliegen der materiellen Voraussetzungen einer Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger aus § 13 BtMG i.V.m. § 5 BtMVV. Das begründet die Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG.
41
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwirklicht eine ärztliche Substitutionsbehandlung den Straftatbestand § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG, wenn eine solche ohne Indikationsstellung oder ohne ausreichende Prüfung von Behandlungsalternativen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG) erfolgt (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338). Gleiches gilt im Hinblick auf die Konkretisierung der gesetzlichen Verhaltensnormen durch § 5 Abs. 2 Satz 1 BtMVV bei einer unzureichenden Kontrolle bzw. Begleitung der Behandlung durch den verschreibenden Arzt (BGH aaO). Der in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BtMVV vorgegebene „erforderliche Umfang“ der Konsultati- on des behandelnden Arztes bildet dabei eine „verbindliche Richtschnur“ einer sorgfältigen Substitutionsbehandlung (BGH aaO).
42
Über die bereits in der bisherigen Rechtsprechung anerkannten Konstellationen einer aus der unterbliebenen oder unzureichenden Beachtung der in § 5 BtMVV enthaltenen Vorgaben abgeleiteten Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 BtMG hinaus erweisen sich auch andere Verstöße gegen die in der Verordnung niedergelegten Maßstäbe der Substitutionsbehandlung als Verletzung der materiellen Voraussetzungen dieser Therapie und damit als nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG strafbares Verhalten. Das gilt neben der Nichtbeachtung des in § 5 Abs. 1 BtMVV formulierten Behandlungsziels jedenfalls für die Ausschlussgründe des § 5 Abs. 2 BtMVV sowie die in § 5 Abs. 8 BtMVV niedergelegten Voraussetzungen bzw. spezifischen Ausschlussgründe von Take-Home-Verordnungen. Diese Vorschriften dienen der Sicherstellung der materiellen Erfordernisse in § 13 Abs. 1 BtMG, Ärzten eine Substitutionsbehandlung mit an sich unerlaubten Betäubungsmitteln lediglich im Rahmen einer entsprechenden Indikation unter Beachtung des ultima-ratio-Gedankens (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG) sowie bei Sicherstellung einer dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Durchführung der Therapie zu gestatten.
43
Allerdings ist bei der Anwendung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG ungeachtet der Konkretisierungen der Bedingungen von Suchttherapien vor allem durch § 5 BtMVV dem Arzt eine gewisse Therapiefreiheit zu belassen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 1991 – 3 StR 8/91, BGHSt 37, 383, 385; siehe auch bereits BGH, Urteil vom 8. Mai 1979 – 1 StR 118/79, BGHSt 29, 6, 11 f.; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 9). Der Verordnungsgeber hat diesen Aspekt im Rahmen von § 5 BtMVV berücksichtigt, indem in einzelnen Regelungen, etwa in § 5 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 8 Satz 6 BtMVV, für die Bewertung von Voraussetzungen oder Ausschlussgründen der Substitutionstherapie auf den „allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft“ abgestellt wird. Zur Ausfüllung dessen kann auf die von der Bun- desärztekammer zuletzt am 19. Februar 2010 verabschiedeten Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger bzw. deren Vorgängerrichtlinien abgestellt werden. Für die hier relevanten Ver- schreibungen von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie ergibt sich bei Anwendung des Take-Home-Verfahrens aus § 5 Abs. 8 Satz 6 BtMVV, dass die Bewertung des Verlaufs der Behandlung dem behandelnden Arzt obliegt, der sich allerdings an dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft zu orientieren hat. Dies eröffnet dem Arzt im Rahmen der Therapiefreiheit in den Grenzen der Vorgaben der BetäubungsmittelVerschreibungsverordnung Bewertungsspielräume. Werden diese überschritten und die Voraussetzungen der Substitutionsbehandlung im Take-HomeVerfahren aus § 13 BtMG i.V.m. § 5 BtMVV nicht eingehalten, begründet dies die Strafbarkeit aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG.
44
b) Nach diesen Maßstäben tragen die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen in sämtlichen noch verfahrensgegenständlichen Einzelfällen den Schuldspruch nach dieser Vorschrift.
45
aa) Fälle 1 bis 35 (Patientin H. – B.I. der Urteilsgründe)
46
(1) Hinsichtlich der Patientin H. ergibt sich das Fehlen einer begründeten Anwendung (§ 13 Abs. 1 BtMG) der Verschreibung in den das Jahr 2008 betreffenden Fällen 1 bis 13 bereits aus dem vom Tatgericht festgestellten Unterbleiben der erforderlichen regelmäßigen Drogentests während des gesamten Jahres (UA S. 5). § 5 Abs. 2 Satz 1 (insb. Nr. 4) sowie Abs. 8 BtMVV setzen die regelmäßige Durchführung von Tests des Patienten auf den Konsum anderer Stoffe als des Substitutionsmittels sowie auf die Einnahme des Substitutionsmittels selbst erkennbar voraus, auch wenn eine Anordnung entsprechender Tests nicht ausdrücklich vorgeschrieben wird. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BtMVV benennt „Untersuchungen und Erhebungen des Arztes“, die sich nach den Buchstaben c und d dieser Bestimmung auf den Gebrauch von Stoffen, deren Konsum die Substitution gefährden, sowie auf die bestimmungsgemäße Verwendung des verschriebenen Substitutionsmittels beziehen. Das TakeHome -Verfahren ist gemäß § 5 Abs. 8 Satz 5 BtMVV nicht zulässig, wenn die „Untersuchungen und Erhebungen des Arztes“Erkenntnisse über den Konsum den Patienten gefährdender Stoffe (Ziffer 1) sowie den missbräuchlichen Konsum von Stoffen (Ziffer 3) erbringen. Die angesprochenen Richtlinien der Bundesärztekammer sehen in Ziffer 11 eine Therapiekontrolle anhand klinischer und laborchemischer Parameter vor. Ein durchgängig geltendes Zeitintervall für die Kontrollen wird nicht vorgegeben. Diese sind dem Behandlungsverlauf anzupassen. Die Beurteilung des Therapieverlaufs obliegt zuvörderst dem behandelnden Arzt.
47
Auch unter Berücksichtigung des Vorgenannten hat der Bundesgerichtshof angesichts der Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und der Richtlinien der Bundesärztekammer eine unzureichende ärztliche Kontrolle der Substitutionsbehandlung als gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG strafbares Verhalten bewertet (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338). Das vollständige Fehlen von Drogentests an der Patientin H. im Jahr 2008 macht die Verschreibung von Methadon bzw. Levomethadon in den Fällen 1 bis 13 jeweils zu einer nicht begründeten Anwendung im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG.
48
(2) In den den Zeitraum Anfang März bis Ende Juni 2009 betreffenden Fällen 14 bis 35 hat das Landgericht die Strafbarkeit des Angeklagten im Ergebnis zutreffend jeweils auf einen von ihm so bezeichneten Mehrverbrauch gestützt. Nach den getroffenen Feststellungen verschrieb der Angeklagte der Patientin H. im Rahmen von Take-Home-Verordnungen jeweils in den Einzelfällen unterschiedliche Tagesdosen des Substitutionsmittels. § 5 Abs. 8 Satz 4 BtMVV bzw. der inhaltsgleichen Vorgängerregelung folgend betrug die Anzahl der zunächst verschriebenen Tagesdosen maximal sieben Tage. Die Patientin verteilte den Konsum der jeweiligen Tagesdosen aber nicht über die entsprechende Anzahl von Tagen, sondern konsumierte die verordnete Gesamtmenge vorzeitig. Der Angeklagte verschrieb in Kenntnis dessen dennoch vor Ablauf der von ihm durch die Anzahl der verordneten Einzeldosen vorgesehenen Dauer der Einnahme des Substitutionsmittels weitere Einzeldosen. So hatte der Angeklagte etwa im Fall 20 der Patientin am 14. März 2009 sieben Einzeldosen (Tagesdosen) sowie eine weitere Einzeldosis verschrieben. Bereits am 17. März 2009 erfolgte jedoch die Verschreibung weiterer drei Einzeldosen (Fall 21), weil die Patientin die aus der vorhergehenden Verschreibung stammenden Dosen vorzeitig vollständig konsumiert hatte. In sämtlichen weiteren die Patientin H. betreffenden Fällen hat das Tatgericht entsprechende Feststellungen im Hinblick auf die Verschreibungen durch den Angeklagten getroffen.
49
Diese von ihm über einen Zeitraum von rund 1 ½ Jahren – auch bei den Verordnungen im Jahr 2008 hatte es außer dem Fehlen von Drogentests (Fälle 1 bis 13) bereits den vorstehend beschriebenen Mehrverbrauch gegeben – praktizierte Durchführung der Substitutionstherapie verstößt in schwerwiegender Weise gegen die Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung. Die Behandlung durch den Angeklagten erweist sich deshalb als insgesamt unsorgfältig (vgl. insoweit Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 41 aE). Die Anwendung der verschriebenen Betäubungsmittel bei der Patientin war deshalb nicht im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG begründet.
50
Die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung gestattet eine Verschreibung von Betäubungsmitteln unter den Voraussetzungen von § 13 Abs. 1 BtMG lediglich dann, wenn dem behandelnden Arzt aufgrund seiner Untersuchungen und Erhebungen keine Erkenntnisse über einen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch der verschriebenen Substitutionsmittel vorliegen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. d BtMVV sowie entsprechend die Vorgängerregelungen ). Um einen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch möglichst auszuschließen , sieht § 5 Abs. 5 bis 7 BtMVV als Regelfall der Substitutionsbehandlung die Überlassung des Substitutionsmittels an den Patienten zum unmittelbaren Verbrauch vor (§ 5 Abs. 6 Satz 1 BtMVV). Dabei hat die Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch in durch § 5 Abs. 7 Satz 1 BtMVV näher beschriebenen geeigneten Einrichtungen zu erfolgen. Der durch die Verordnungsgeber vorgesehene Regelfall der Substitutionsbehandlung ist damit die Einnahme des entsprechenden Mittels durch den Patienten unter kontrollierten Bedingungen, die eine missbräuchliche Verwendung durch diesen ausschließen.
51
Bei dem von dem Angeklagten angewendeten Take-Home-Verfahren gemäß § 5 Abs. 8 BtMVV handelt es sich um eine Ausnahme der Durchführung der Substitutionsbehandlung. Sie darf lediglich auf Substitutionspatienten angewendet werden, deren Zustand eine eigenverantwortliche, nicht mehr kontrollierte Einnahme (vgl. § 5 Abs. 6 und 7 BtMVV) gestattet. § 5 Abs. 8 Satz 1 BtMVV stellt ausdrücklich auf Patienten ab, bei denen der Verlauf der Behandlung eine eigenverantwortliche Einnahme gestattet. § 5 Abs. 8 Satz 4 BtMVV setzt zudem eine Stabilisierung des Zustands des Patienten voraus; § 5 Abs. 8 Satz 5 Nr. 2 BtMVV lässt die Anwendung des Take-Home-Verfahrens nicht zu, wenn dieser unter Berücksichtigung einer Toleranzentwicklung noch nicht auf eine stabile Dosis eingestellt worden ist. Bei der Anwendung der vorgenannten Vorgaben ist zudem das in den hier fraglichen Fällen allein relevante Ziel der Substitutionsbehandlung des Opiatabhängigen, die schrittweise Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz einschließlich der Besserung und Stabilisierung seines Gesundheitszustandes, zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BtMVV).

52
Vor dem Hintergrund des Ausnahmecharakters des Take-HomeVerfahrens sowie des genannten Ziels der Substitutionsbehandlung lagen auch unter Beachtung eines dem Angeklagten zustehenden Beurteilungsspielraums über den Behandlungsverlauf (vgl. § 5 Abs. 8 Satz 6 BtMVV) der Patientin H. die Voraussetzungen für Take-Home-Verordnungen nicht vor. Die Patientin war, wie sich aus ihrem durchgängig vorzeitigen Verbrauch der für einen längeren Zeitraum vom Angeklagten vorgesehenen Substitutionsmittel ergibt, gerade nicht zu deren eigenverantwortlicher Einnahme in der Lage. Sie war auch nicht auf eine stabile Dosis eingestellt. Denn es erfolgte aufgrund des Verschreibungsverhaltens des Angeklagten stets eine Verordnung von Substitutionsmitteln und dadurch bedingt deren Konsum in einem Umfang pro Zeiteinheit , der deutlich über den Umfang hinausging, den er an sich vorgesehen hatte. Die Behandlung der Patientin war im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum durch eine permanente Überschreitung der vom Angeklagten zunächst verschriebenen Einzeldosen pro Zeiteinheit gekennzeichnet. Eine Ausrichtung der Therapie auf das Behandlungsziel ist so nicht zu erkennen. Insgesamt stand die Durchführung der Substitutionstherapie damit nicht in Einklang mit den gesetzlichen und durch die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung konkretisierten Voraussetzungen der Substitutionsbehandlung.
53
(3) Da dem Angeklagten die tatsächlichen Umstände bekannt waren, aus denen sich die Nichteinhaltung der Vorschriften über diese Behandlung ableitet (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 47), hat das Tatgericht zu Recht vorsätzliches Handeln angenommen. Das Vorbringen der Revision , der Angeklagte habe auf der Grundlage der Richtlinien der Bundesärztekammer in der Fassung vom 22. März 2002 (in Kraft bis zur Neufassung durch die Richtlinien vom 19. Februar 2010) davon ausgehen dürfen, über die Anwendung des Take-Home-Verfahrens entscheide ausschließlich der behandelnde Arzt, schließt den Tatbestandsvorsatz nicht aus. Maßgeblich sind die im Gesetz und der Verordnung normierten Voraussetzungen der Substitutionsbehandlung. Die Vorstellung, in Einklang mit den Richtlinien der Bundesärztekammer gehandelt zu haben, steht der Kenntnis der den Gesetzesverstoß begründenden Umstände gerade nicht entgegen.
54
bb) Fälle 39 bis 43 (Patient He. – B.II. der Urteilsgründe)
55
Die Substitutionsbehandlung des Patienten He. in den noch verfahrensgegenständlichen Fällen erfolgte – auch unter Berücksichtigung der nicht angefochtenen Fälle 36 bis 38 – ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Take-Home-Verfahrens. Sie stellt sich insgesamt als unbegründete Anwendung von Betäubungsmitteln im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG dar.
56
In den Fällen 39 sowie 41 bis 43 hat das Landgericht die Strafbarkeit des Angeklagten zutreffend auf mangelnde Zuverlässigkeit (siehe B.II.2.b.aa.) des Patienten gestützt und diese mit den Ergebnissen durchgeführter Drogentests begründet. Diese hatten entweder ein auf Methadon negatives oder auf Beikonsum von THC bzw. auch Benzodiazepinen positives Ergebnis erbracht. Zwar führt nicht jeder Beikonsum von verbotenen Betäubungsmitteln während der Substitutionsbehandlung zu einer unbegründeten Anwendung und damit zu einem gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG strafbaren Verhalten des Arztes. Im Hinblick auf den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum über die Therapie und deren Verlauf darf dieser trotz Beikonsums die Substitutionsbehandlung (weiter) durchführen, wenn noch berechtigte Aussichten darauf bestehen, den zusätzlichen Konsum von Betäubungsmitteln zu be- herrschen, indem dieser zunächst eingeschränkt und schließlich abgestellt wird (Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 29 Teil 15 Rn. 21).
57
Eine solche (normativ) berechtigte Erwartung bestand vorliegend jedoch nicht. Nach den Feststellungen des Tatrichters hatten die Drogentests innerhalb eines Zeitraums von wenigen Monaten die Einnahme verschiedener Betäubungsmittel belegt (Nachweis von THC sowie von Benzodiazepinen). Maßnahmen zur Eindämmung des Konsums sind nicht ersichtlich. Der Patient war zudem auch im Hinblick auf die Einnahme des Substitutionsmittels selbst unzuverlässig. Dies war dem Angeklagten aufgrund eines negativen Testergebnisses auf Methadon bekannt.
58
In der Gesamtschau der für die Bewertung der Therapievoraussetzungen maßgeblichen Umstände ergab sich selbst unter Berücksichtigung einer Einschätzungsprärogative zugunsten des Angeklagten eindeutig nicht die von § 5 Abs. 8 BtMVV verlangte Zuverlässigkeit und Stabilität des Patienten. Die Substitutionsbehandlung im Take-Home-Verfahren hätte daher nicht weiter durchgeführt werden dürfen. Dementsprechend verstieß auch die Verschreibung im Fall 41, bei der zusätzlich noch Mehrverbrauch vorlag, gegen die Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung. Aus den dargelegten Gründen war die Substitutionsbehandlung damit nicht im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMVV begründet.
59
Die für die Beurteilung der Voraussetzungen der Therapie im Wege des Take-Home-Verfahrens maßgeblichen tatsächlichen Umstände waren dem Angeklagten voll umfänglich bekannt. Daraus und aus den tatsächlichen Verhältnissen selbst hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auf eine vorsätzliche Verwirklichung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG geschlossen.

60
cc) Fälle 44 bis 65 (Patient U. – B.III. der Urteilsgründe)
61
Bei den 22 für den Patienten U. zwischen Anfang März und Ende Dezember 2009 erfolgten Verschreibungen von L-Polamidon (Levomethadon ) handelt es sich jeweils um unbegründete Anwendungen von Betäubungsmitteln. Aus den Ergebnissen im Februar, März und Juni 2009 durchgeführter Drogentests wusste der Angeklagte um den Beikonsum des Patienten, teils von THC-haltigen Betäubungsmitteln, teils von Benzodiazepinen. Angesichts der Dauer des nachgewiesenen Beikonsums sowie des Wechsels zwischen verschiedenen zusätzlich eingenommenen Rauschmitteln bestand keine berechtigte Erwartung auf eine Beherrschbarkeit des Beikonsums. Zudem lag bei U. nach den Feststellungen (Tabelle UA S. 12) spätestens ab dem 13. Juli 2009 (Fall 51) ein permanenter Mehrverbrauch (dazu B.II.2.b.aa.) vor. Dies war dem Angeklagten bekannt. Der Patient war daher insgesamt eindeutig nicht für die Substitutionstherapie im Rahmen des Take-Home-Verfahrens geeignet.
62
Angesichts dessen kann offenbleiben, ob bei dem Patienten bei der bereits seit mehr als 20 Jahre andauernden Substitutionstherapie überhaupt noch ein zulässiges Therapieziel (vgl. § 5 Abs. 1 BtMVV) verfolgt werden konnte.
63
dd) Fälle 72 bis 77, 79 bis 84, 87 bis 101, 103 bis 107, 113, 114, 116, 118 und 119 (Patient K. – B.IV. der Urteilsgründe)
64
Nach den unter B.II.2.b.aa. dargestellten Maßstäben hat das Tatgericht in sämtlichen den später verstorbenen Patienten K. betreffenden, noch verfahrensgegenständlichen Fällen die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG rechtsfehlerfrei angenommen. Es fehlte sämtlich an den für eine begründete Anwendung gemäß § 13 Abs. 1 BtMG erforderlichen Vo- raussetzungen einer Substitutionstherapie im Take-Home-Verfahren. Es mangelte jeweils an der erforderlichen Sorgfalt der Substitutionsbehandlung und an der notwendigen Zuverlässigkeit des Patienten, derer es bedarf, um eine Einnahme des Substitutionsmittels außerhalb der in § 5 Abs. 5 bis 7 BtMVV genannten Rahmenbedingungen zu gestatten.
65
(1) In den Fällen 87 bis 89 sowie 103 und 106 erfolgten Verschreibungen , obwohl zuvor durchgeführte Drogentests jeweils ein negatives Ergebnis auf Methadon erbracht hatten. Dem Angeklagten war damit eine nicht bestimmungsgemäße , nämlich unterbliebene Verwendung des verschriebenen Substitutionsmittels bekannt. Dem kommt bei der Beurteilung einer begründeten Anwendung von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie erhebliche Bedeutung zu. § 13 BtMG bezweckt wie die Regelungen der Betäubungsmittel -Verschreibungsverordnung, die Sicherheit und Kontrolle des legalen Betäubungsmittelverkehrs zu gewährleisten (Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, aaO, § 13 Rn. 2). Es soll gerade verhindert werden, dass außerhalb der therapeutischen Anwendung verbotene Betäubungsmittel aufgrund ärztlicher Verschreibungen auf den illegalen Markt gelangen, indem Substitutionspatienten die ihnen verschriebenen Medikamente nicht einnehmen, sondern in Verkehr bringen. Unter anderem um dieser Gefahr zu begegnen, sieht § 5 Abs. 5 bis 7 BtMVV für die Substitutionstherapie – wie dargelegt – grundsätzlich lediglich die Überlassung des Substitutionsmittels zum unmittelbaren kontrollierten Verbrauch vor. Die Verschreibung eines Rezepts im Take-Home-Verfahren, bei der die Einnahme des verordneten Mittels gerade ohne (weitere) Kontrolle erfolgt, setzt deshalb gemäß § 5 Abs. 8 BtMVV die Zuverlässigkeit des Patienten voraus. Unterbleibt die Einnahme, fehlt es an dieser Zuverlässigkeit und es droht gerade die Realisierung der Gefahr eines In-den-Markt-Gelangens außerhalb der Therapie unerlaubter Mittel. Setzt der Arzt trotz Kenntnis der Nichtein- nahme des Mittels durch den Patienten über einen gewissen Zeitraum das Take-Home-Verfahren fort, ist die Anwendung nicht mehr begründet.
66
(2) In weiteren Fällen (90 und 116 – sowie in den vom Rechtsmittelangriff ausgenommen) resultiert die unbegründete Anwendung aus dem Unterbleiben erforderlicher regelmäßiger Drogentests oder auf durch Tests nachgewiesenem und wegen der festgestellten Umstände nicht mehr beherrschbarem Beikonsum (Fälle 79 bis 84 sowie 107 und 114). Im Übrigen hat das Landgericht die Strafbarkeitsvoraussetzungen zutreffend auf den langandauernden, dem Angeklagten bekannten Mehrverbrauch (B.II.2.b.aa.) des Patienten gestützt.

III.

67
Soweit sich die Revision gegen die Strafzumessung des Tatgerichts wendet, hat das Rechtsmittel aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 1. Oktober 2013 dargelegten Gründen (dort Ziffer II.2.) keinen Erfolg.
68
Die Anordnung des auf die ärztliche Tätigkeit der Substitution drogenabhängiger Patienten beschränkten und auf fünf Jahre befristeten Berufsverbots (§ 70 Abs. 1 StGB) ist rechtsfehlerfrei.

C.

69
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
70
Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu Recht die Voraussetzungen einer Strafbarkeit des Angeklagten aus einem Tötungsdelikt wegen der Verschreibung von Methadon in den Fällen 121 bis 125 und des durch eine Überdosis Methadon eingetretenen Todes seines Patienten K. verneint. Es hat dabei zutreffend zwischen einer strafbaren täterschaftlichen Begehung eines Tötungsdelikts und einer straflosen Beteiligung an einer Selbstgefährdung bzw. Selbstverletzung des zu Tode gekommenen Rechtsgutsinhabers abgegrenzt.

I.

71
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden ; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Urteile vom 14. Februar1984 – 1StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264 f.; vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 288 f.; vom 29. April 2009 – 1StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 Rn. 5; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (einschließlich der Selbsttötung; vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264 f.).

72
2. Maßgebend ist damit die Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Rechtsgutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden oder zu verletzen. Fehlt es daran, kann sich der an dem entsprechenden Geschehen Beteiligende als Täter eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar machen.
73
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bereits über Konstellationen entschieden worden, in denen es an der Eigenverantwortlichkeit des sich selbst gefährdenden oder verletzenden Rechtsgutsinhabers fehlt und deshalb eine zur Täterschaft des sich Beteiligenden führende – normativ zu bestimmende – Handlungsherrschaft gegeben ist. Dies ist dann der Fall, wenn der sich beteiligende Dritte kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende oder Verletzende (siehe BGH, Urteile vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Ein solches überlegenes Wissen kommt vor allem bei einem Irrtum des sich Gefährdenden in Betracht (BGH aaO NStZ 2011, 341, 342); wobei es sich lediglich um für die Entscheidung zur Gefährdung oder Verletzung des Rechtsguts bedeutsame Irrtümer handeln kann. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof die Eigenverantwortlichkeit ausgeschlossen, wenn der sich Gefährdende oder Verletzende infolge einer Intoxikation bzw. Intoxikationspsychose nicht (mehr) zu einer hinreichenden Risikobeurteilung und -abwägung in der Lage ist (vgl. BGH, Urteile vom 27. November 1985 – 3 StR 426/85, NStZ 1986, 266, 267; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 Rn. 7; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342).

II.

74
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines Tötungsdelikts zu Lasten seines Patienten Karlin ohne Rechtsfehler verneint.
75
1. In tatsächlicher Hinsicht hat der später zu Tode gekommene K. durch die intravenöse Einnahme von drei Fläschchen Methadon eine selbstschädigende Handlung vorgenommen. Das Landgericht ist daher im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, zu einem strafbaren Verhalten des Angeklagten durch die Verschreibung von Methadon lediglich bei fehlender Eigenverantwortlichkeit K. s bei der Vornahme der Injektion gelangen zu können.
76
2. Fehlende Eigenverantwortlichkeit lässt sich angesichts der Feststellungen des Tatgerichts jedoch unter keinem der vorstehend genannten Gesichtspunkte annehmen.
77
a) Ein zur täterschaftlichen Begehung eines Tötungsdelikts durch den Angeklagten führendes, gegenüber K. überlegenes Sachwissen liegt nicht vor.
78
Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Patient bereits seit mehreren Jahren die ihm verschriebenen Substitutionsmittel nicht wie vorgesehen oral, sondern intravenös über die Beinvenen einnahm. Er war daher gerade bei dieser Anwendungsform erfahren (UA S. 22). Ihm waren die Risiken dieser Anwendungsform sowie diejenigen einer Überdosierung bekannt.
79
Diese Feststellungen konnte das Landgericht ohne revisiblen Rechtsfehler auf die als detailliert und glaubhaft bewerteten Aussagen der Ehefrau K. s stützen. Lücken oder Widersprüche in der Beweiswürdigung liegen nicht vor. Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen und der ihnen zugrunde liegenden Beweiswürdigung lässt sich ableiten, dass dem Patienten auch das Risiko bekannt gewesen ist, durch eine zu hohe Dosis Methadon, insbesondere bei intravenöser Einnahme, sterben zu können.
80
Ob er Kenntnis über eventuell in der medizinischen Wissenschaft vorhandene Erkenntnisse hinsichtlich erfahrungsgemäß zum Tod führender Dosen von Methadon oder Levomethadon hatte, ist zwar nicht festgestellt. Darauf kommt es aber für die Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung zur Einnahme von drei Fläschchen Methadon auch nicht an. Maßgebend ist, ob der sich selbst Gefährdende bzw. Verletzende das rechtsgutsbezogene Risiko seines Verhaltens zutreffend eingeschätzt hat. Dafür bedarf es – jedenfalls bei den sonstigen festgestellten Umständen des Einzelfalls – nicht der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme eines bei Überdosierung als lebensgefährlich bekannten Mittels und den Auswirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit.
81
Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof auch bereits entschieden, dass es der Eigenverantwortlichkeit nicht entgegensteht, wenn die sich selbst gefährdende Person bei grundsätzlich vorhandener Kenntnis über die Risiken der Einnahme von ihnen bekannten Stoffen nicht über sämtliche vorhandenen Risiken aufgeklärt war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342).
82
Auch wenn der Angeklagte genauere Erkenntnisse über die – falls medizinisch überhaupt generell benennbar – regelmäßig tödliche Dosis bei der Ein- nahme von Methadon oder Levomethadon als sein Patient K. gehabt haben sollte, stünde dies der Eigenverantwortlichkeit K. s bei der Einnahme der zu seinem Tod führenden Dosis Methadon nicht entgegen. Das Tatgericht war daher nicht gehalten, weitergehende Feststellungen darüber zu treffen.
83
b) Die Feststellungen ergeben auch keine aufgrund der allgemein bestehenden Opiatabhängigkeit oder den Folgen des der übermäßigen Methadoneinnahme vorausgehenden Strafvollzuges eingetretene Einschränkung der Fähigkeit des Patienten K. , eigenverantwortlich das Risiko seines selbstgefährdenden Verhaltens einzuschätzen und abzuwägen. K. stand bei der Einnahme des zum Tode führenden Methadons nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder von unerlaubten Betäubungsmitteln (UA S. 21).
84
c) Ob eine relevante Einschränkung der Fähigkeit zu freiverantwortlicher Entscheidung über die Vornahme als risikoreich erkannten selbstgefährdenden Verhaltens bei Vorliegen von akuten körperlichen Entzugserscheinungen oder bei Angst vor solchen aufgrund früher erlebter Wirkungen des Entzugs (vgl. dazu für den Fall der Einschränkung der Schuldfähigkeit bei Straftatbegehung durch Abhängige BGH, Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151, 152) eintreten kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Solche Umstände hat das Tatgericht nicht festgestellt. Die getroffenen Feststellungen erlauben auch keinen tragfähigen Rückschluss auf einen derartigen Zustand des Patienten nach seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt am 29. August 2011. Die planmäßige Beschaffung eines größeren Vorrats des Substitutionsmittels unter Einschaltung seiner Ehefrau lässt unter Berücksichtigung der sonstigen Feststellungen keinen Schluss auf eine durch Suchtdruck – in dem vorgenannten Sinne – hervorgerufene Einschränkung der Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Handeln im Umgang mit den verschriebenen Substitutionsmitteln zu. Ausweislich der mitgeteilten Ergebnisse der durchgeführten Dro- gentests hatte K. auch bereits früher über längere Zeiten hinweg das Substitutionsmittel gerade nicht eingenommen. Der festgestellte Umfang des durch Tests nachgewiesenen (Bei)Konsums verbotener Betäubungsmittel trägt zwar die Bewertung, der Patient sei unzuverlässig und daher nicht für das TakeHome -Verfahren geeignet. Anhaltspunkte dahingehend, dass der Patient die Kontrolle über sich und damit die Fähigkeit zu freiverantwortlicher, risikoabwägender Entscheidung verlieren werde, lassen sich dem jedoch nicht entnehmen.
85
Soweit die Staatsanwaltschaft nähere Feststellungen über das Vorhandensein von erheblichen Entzugserscheinungen bei dem Patienten K. nach dem Ende des Strafvollzuges im August 2011 vermisst, hätte es der Erhebung einer entsprechenden Aufklärungsrüge bedurft.
86
d) Die getroffenen Feststellungen schließen auch eine sukzessive Einnahme der drei Fläschchen Methadon, bei der nach der ersten Einnahme die Eigenverantwortlichkeit durch die Wirkungen des Mittels beeinträchtigt gewesen sein könnte, aus.
87
3. Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (1 StR 209/78, JR 1979, 429) über die Besonderheiten des dortigen konkreten Falles hinaus allgemein die Rechtsauffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behan- delnden Substitutionsarztes begründe eine „besondere Sorgfaltspflicht“ des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe – unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten – stets zu einer Täterschaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.

III.

88
Angesichts der fehlenden Zurechenbarkeit des Todes des Patienten K. zum Verhalten des Angeklagten war das Tatgericht unter Berücksichtigung der sonst getroffenen Feststellungen nicht gehalten, einen unbeschriebenen besonders schweren Fall gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 BtMG in Betracht zu ziehen. Die Strafzumessung weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf. Raum Rothfuß Graf RinBGH Cirener ist erkrankt und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum Radtke

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist. Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Die in Anlagen I und II bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nicht verschrieben, verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden.

(1a) Zur Deckung des nicht aufschiebbaren Betäubungsmittelbedarfs eines ambulant versorgten Palliativpatienten darf der Arzt diesem die hierfür erforderlichen, in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel in Form von Fertigarzneimitteln nur dann überlassen, soweit und solange der Bedarf des Patienten durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden kann; die Höchstüberlassungsmenge darf den Dreitagesbedarf nicht überschreiten. Der Bedarf des Patienten kann durch eine Verschreibung nicht rechtzeitig gedeckt werden, wenn das erforderliche Betäubungsmittel

1.
bei einer dienstbereiten Apotheke innerhalb desselben Kreises oder derselben kreisfreien Stadt oder in einander benachbarten Kreisen oder kreisfreien Städten nicht vorrätig ist oder nicht rechtzeitig zur Abgabe bereitsteht oder
2.
obwohl es in einer Apotheke nach Nummer 1 vorrätig ist oder rechtzeitig zur Abgabe bereitstünde, von dem Patienten oder den Patienten versorgenden Personen nicht rechtzeitig beschafft werden kann, weil
a)
diese Personen den Patienten vor Ort versorgen müssen oder auf Grund ihrer eingeschränkten Leistungsfähigkeit nicht in der Lage sind, das Betäubungsmittel zu beschaffen, oder
b)
der Patient auf Grund der Art und des Ausmaßes seiner Erkrankung dazu nicht selbst in der Lage ist und keine Personen vorhanden sind, die den Patienten versorgen.
Der Arzt muss unter Hinweis darauf, dass eine Situation nach Satz 1 vorliegt, bei einer dienstbereiten Apotheke nach Satz 2 Nummer 1 vor Überlassung anfragen, ob das erforderliche Betäubungsmittel dort vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht. Über das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 und die Anfrage nach Satz 3 muss der Arzt mindestens folgende Aufzeichnungen führen und diese drei Jahre, vom Überlassen der Betäubungsmittel an gerechnet, aufbewahren:
1.
den Namen des Patienten sowie den Ort, das Datum und die Uhrzeit der Behandlung,
2.
den Namen der Apotheke und des kontaktierten Apothekers oder der zu seiner Vertretung berechtigten Person,
3.
die Bezeichnung des angefragten Betäubungsmittels,
4.
die Angabe der Apotheke, ob das Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Anfrage vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht,
5.
die Angaben über diejenigen Tatsachen, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 ergibt.
Über die Anfrage eines nach Satz 1 behandelnden Arztes, ob ein bestimmtes Betäubungsmittel vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht, muss der Apotheker oder die zu seiner Vertretung berechtigte Person mindestens folgende Aufzeichnungen führen und diese drei Jahre, vom Tag der Anfrage an gerechnet, aufbewahren:
1.
das Datum und die Uhrzeit der Anfrage,
2.
den Namen des Arztes,
3.
die Bezeichnung des angefragten Betäubungsmittels,
4.
die Angabe gegenüber dem Arzt, ob das Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Anfrage vorrätig ist oder bis wann es zur Abgabe bereitsteht.
Im Falle des Überlassens nach Satz 1 hat der Arzt den ambulant versorgten Palliativpatienten oder zu dessen Pflege anwesende Dritte über die ordnungsgemäße Anwendung der überlassenen Betäubungsmittel aufzuklären und eine schriftliche Gebrauchsanweisung mit Angaben zur Einzel- und Tagesgabe auszuhändigen.

(1b) Abweichend von Absatz 1 dürfen die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel durch Notfallsanitäter im Sinne des Notfallsanitätergesetzes ohne vorherige ärztliche Anordnung im Rahmen einer heilkundlichen Maßnahme verabreicht werden, wenn diese nach standardisierten ärztlichen Vorgaben handeln, ein Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann und die Verabreichung zur Abwendung von Gefahren für die Gesundheit oder zur Beseitigung oder Linderung erheblicher Beschwerden erforderlich ist. Die standardisierten ärztlichen Vorgaben müssen

1.
den handelnden Notfallsanitätern in Textform vorliegen,
2.
Regelungen zu Art und Weise der Verabreichung enthalten und
3.
Festlegungen darüber treffen, in welchen Fällen das Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann.

(2) Die nach Absatz 1 verschriebenen Betäubungsmittel dürfen nur im Rahmen des Betriebs einer Apotheke und gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. Diamorphin darf nur vom pharmazeutischen Unternehmer und nur an anerkannte Einrichtungen nach Absatz 3 Satz 2 Nummer 2a gegen Vorlage der Verschreibung abgegeben werden. Im Rahmen des Betriebs einer tierärztlichen Hausapotheke dürfen nur die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel und nur zur Anwendung bei einem vom Betreiber der Hausapotheke behandelten Tier abgegeben werden.

(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Verschreiben von den in Anlage III bezeichneten Betäubungsmitteln, ihre Abgabe auf Grund einer Verschreibung und das Aufzeichnen ihres Verbleibs und des Bestandes bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, in Apotheken, tierärztlichen Hausapotheken, Krankenhäusern, Tierkliniken, Alten- und Pflegeheimen, Hospizen, Einrichtungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, Einrichtungen der Rettungsdienste, Einrichtungen, in denen eine Behandlung mit dem Substitutionsmittel Diamorphin stattfindet, und auf Kauffahrteischiffen zu regeln, soweit es zur Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs erforderlich ist. Insbesondere können

1.
das Verschreiben auf bestimmte Zubereitungen, Bestimmungszwecke oder Mengen beschränkt,
2.
das Verschreiben von Substitutionsmitteln für Drogenabhängige von der Erfüllung von Mindestanforderungen an die Qualifikation der verschreibenden Ärzte abhängig gemacht und die Festlegung der Mindestanforderungen den Ärztekammern übertragen,
2a.
das Verschreiben von Diamorphin nur in Einrichtungen, denen eine Erlaubnis von der zuständigen Landesbehörde erteilt wurde, zugelassen,
2b.
die Mindestanforderungen an die Ausstattung der Einrichtungen, in denen die Behandlung mit dem Substitutionsmittel Diamorphin stattfindet, festgelegt,
3.
Meldungen
a)
der verschreibenden Ärzte an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über das Verschreiben eines Substitutionsmittels für einen Patienten in anonymisierter Form,
b)
der Ärztekammern an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte über die Ärzte, die die Mindestanforderungen nach Nummer 2 erfüllen und
Mitteilungen
c)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die zuständigen Überwachungsbehörden und an die verschreibenden Ärzte über die Patienten, denen bereits ein anderer Arzt ein Substitutionsmittel verschrieben hat, in anonymisierter Form,
d)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die zuständigen Überwachungsbehörden der Länder über die Ärzte, die die Mindestanforderungen nach Nummer 2 erfüllen,
e)
des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte an die obersten Landesgesundheitsbehörden über die Anzahl der Patienten, denen ein Substitutionsmittel verschrieben wurde, die Anzahl der Ärzte, die zum Verschreiben eines Substitutionsmittels berechtigt sind, die Anzahl der Ärzte, die ein Substitutionsmittel verschrieben haben, die verschriebenen Substitutionsmittel und die Art der Verschreibung
sowie Art der Anonymisierung, Form und Inhalt der Meldungen und Mitteilungen vorgeschrieben,
4.
Form, Inhalt, Anfertigung, Ausgabe, Aufbewahrung und Rückgabe des zu verwendenden amtlichen Formblattes für die Verschreibung, das Verfahren für die Verschreibung in elektronischer Form sowie Form und Inhalt der Aufzeichnungen über den Verbleib und den Bestand der Betäubungsmittel festgelegt und
5.
Ausnahmen von § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c für die Ausrüstung von Kauffahrteischiffen erlassen werden.
Für das Verfahren zur Erteilung einer Erlaubnis nach Satz 2 Nummer 2a gelten § 7 Satz 2 Nummer 1 bis 4, § 8 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 und 3 Satz 1 bis 3, § 9 Absatz 2 und § 10 entsprechend. Dabei tritt an die Stelle des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte jeweils die zuständige Landesbehörde, an die Stelle der zuständigen obersten Landesbehörde jeweils das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Die Empfänger nach Satz 2 Nr. 3 dürfen die übermittelten Daten nicht für einen anderen als den in Satz 1 genannten Zweck verwenden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte handelt bei der Wahrnehmung der ihm durch Rechtsverordnung nach Satz 2 zugewiesenen Aufgaben als vom Bund entliehenes Organ des jeweils zuständigen Landes; Einzelheiten einschließlich der Kostenerstattung an den Bund werden durch Vereinbarung geregelt.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 5 Absatz 1 ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei anderen anwendet,
2.
entgegen § 6 Absatz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 2, jeweils auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 3, ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei einem anderen Menschen anwendet,
2a.
(weggefallen)
2b.
(weggefallen)
3.
entgegen § 7 Abs. 1 radioaktive Arzneimittel oder Arzneimittel, bei deren Herstellung ionisierende Strahlen verwendet worden sind, in den Verkehr bringt,
3a.
entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder Absatz 2, auch in Verbindung mit § 73 Abs. 4 oder § 73a, Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellt, in den Verkehr bringt oder sonst mit ihnen Handel treibt,
4.
entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, Handel treibt oder diese Arzneimittel abgibt,
5.
Arzneimittel, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, entgegen § 47 Abs. 1 an andere als dort bezeichnete Personen oder Stellen abgibt oder entgegen § 47 Abs. 2 Satz 1 bezieht oder
5a.
entgegen § 47a Abs. 1 ein dort bezeichnetes Arzneimittel an andere als die dort bezeichneten Einrichtungen abgibt oder in den Verkehr bringt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
durch eine der in Absatz 1 bezeichneten Handlungen
a)
die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen gefährdet,
b)
einen anderen der Gefahr des Todes oder einer schweren Schädigung an Körper oder Gesundheit aussetzt oder
c)
aus grobem Eigennutz für sich oder einen anderen Vermögensvorteile großen Ausmaßes erlangt oder
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3a gefälschte Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellt oder in den Verkehr bringt und dabei gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(1) Arzneimittel, die nicht durch die Vorschriften des § 44 oder der nach § 45 Abs. 1 erlassenen Rechtsverordnung für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind, dürfen außer in den Fällen des § 47 berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbrauch nur in Apotheken und ohne behördliche Erlaubnis nicht im Wege des Versandes in den Verkehr gebracht werden; das Nähere regelt das Apothekengesetz. Außerhalb der Apotheken darf außer in den Fällen des § 47 Abs. 1 mit den nach Satz 1 den Apotheken vorbehaltenen Arzneimitteln kein Handel getrieben werden. Die Angaben über die Ausstellung oder Änderung einer Erlaubnis zum Versand von Arzneimitteln nach Satz 1 sind in die Datenbank nach § 67a einzugeben.

(2) Die nach Absatz 1 Satz 1 den Apotheken vorbehaltenen Arzneimittel dürfen von juristischen Personen, nicht rechtsfähigen Vereinen und Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts an ihre Mitglieder nicht abgegeben werden, es sei denn, dass es sich bei den Mitgliedern um Apotheken oder um die in § 47 Abs. 1 genannten Personen und Einrichtungen handelt und die Abgabe unter den dort bezeichneten Voraussetzungen erfolgt.

(3) Auf Verschreibung dürfen Arzneimittel nur von Apotheken abgegeben werden.

(3a) Abweichend von den Absätzen 1 bis 3 dürfen ärztliche Einrichtungen, die auf die Behandlung von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie spezialisiert sind, in ihren Räumlichkeiten einen Vorrat an Arzneimitteln zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie für den unvorhersehbaren und dringenden Bedarf (Notfallvorrat) bereithalten. Im Rahmen der Notfallversorgung darf ein hämostaseologisch qualifizierter Arzt Arzneimittel aus dem Notfallvorrat nach Satz 1 an Patienten oder Einrichtungen der Krankenversorgung abgeben.

(4) (weggefallen)

(5) (weggefallen)

(6) (weggefallen)

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 5 Absatz 1 ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei anderen anwendet,
2.
entgegen § 6 Absatz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 2, jeweils auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 3, ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei einem anderen Menschen anwendet,
2a.
(weggefallen)
2b.
(weggefallen)
3.
entgegen § 7 Abs. 1 radioaktive Arzneimittel oder Arzneimittel, bei deren Herstellung ionisierende Strahlen verwendet worden sind, in den Verkehr bringt,
3a.
entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder Absatz 2, auch in Verbindung mit § 73 Abs. 4 oder § 73a, Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellt, in den Verkehr bringt oder sonst mit ihnen Handel treibt,
4.
entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, Handel treibt oder diese Arzneimittel abgibt,
5.
Arzneimittel, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, entgegen § 47 Abs. 1 an andere als dort bezeichnete Personen oder Stellen abgibt oder entgegen § 47 Abs. 2 Satz 1 bezieht oder
5a.
entgegen § 47a Abs. 1 ein dort bezeichnetes Arzneimittel an andere als die dort bezeichneten Einrichtungen abgibt oder in den Verkehr bringt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
durch eine der in Absatz 1 bezeichneten Handlungen
a)
die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen gefährdet,
b)
einen anderen der Gefahr des Todes oder einer schweren Schädigung an Körper oder Gesundheit aussetzt oder
c)
aus grobem Eigennutz für sich oder einen anderen Vermögensvorteile großen Ausmaßes erlangt oder
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3a gefälschte Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellt oder in den Verkehr bringt und dabei gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.