Oberlandesgericht Hamm Urteil, 04. Nov. 2013 - 2 U 94/13
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 25.04.2013 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Auf dem X-Account des Beklagten wurde ohne Angabe eines Mindestpreises ein PKW angeboten. Kurz nach dem Einstellen des Angebots wurde die Auktion vom Anbieter abgebrochen und der Wagen erneut, diesmal mit Angabe eines Mindestpreises eingestellt. Höchstbietende zum Zeitpunkt des Abbruchs war die frühere Klägerin, die Y mit einem Gebot von 7,10 €. Der Beklagte war nicht bereit, den Wagen für 7,10 € abzugeben. Mit ihrer Klage hat die Y den Beklagten daraufhin auf Schadenersatz in Anspruch genommen.
4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar sei ein Kaufvertrag zum Preise von 7,10 € zwischen den Parteien zu Stande gekommen. Das Schadenersatzbegehren der Y sei indessen rechtsmissbräuchlich. Wegen der Einzelheiten der Feststellungen des Landgerichts und seiner Entscheidungsgründe sowie wegen der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf das Urteil des Landgerichts verwiesen.
5Gegen das Urteil hat die Y Berufung eingelegt. Sie beanstandet die Auffassung des Landgerichts, die Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs sei rechtsmissbräuchlich. Nach weiterem - klägerseitigen - Vorbringen in der Berufungsinstanz ist der Betrieb der Y vom Kläger übernommen worden.
6Er beantragt,
7abändernd den Beklagten zu verurteilen, an ihn 14.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2012 sowie 925,60 € vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen.
8Der Beklagte beantragt,
9die Berufung zurückzuweisen.
10Er macht geltend, die Y gebe es nicht. Der Kläger lege es darauf an, Fehler von Anbietern auf X auszunutzen und Schadenersatzansprüche zu generieren.
11Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und ihrer Anlagen verwiesen.
12Der Senat hat den Sohn des Beklagten, der als dessen Vertreter im Senatstermin erschienen war, persönlich gehört. Der Sohn des Beklagten hat im Wesentlichen angegeben: Er habe den X-Account des Beklagen mit dessen Wissen genutzt, um Sachen anzubieten. Vom Angebot des Fahrzeugs habe der Beklagte allerdings nichts gewusst. Auch beim ersten Einstellen des Angebots habe er einen Mindestpreis eingegeben. Bei der Kontrolle des dann unter X auftauchenden Angebots habe er festgestellt, dass dort ein Mindestpreis nicht angegeben war. Er habe dann nach Möglichkeiten gesucht, die Auktion abzubrechen, aber bei den als Abbruchgrund vorgegebenen „Klickmöglichkeiten“ keinen passenden Abbruchgrund gefunden. Deshalb habe er angeklickt, dass der Artikel nicht mehr verfügbar sei.
13II.
14Die Berufung hat keinen Erfolg.
151.
16Zwischen der Y und dem Beklagten ist entgegen der Auffassung des Landgerichts kein Kaufvertrag zu Stande gekommen. Das beruht nicht etwa darauf, dass die Y nicht existiert, die Y keine Erklärungen abgegeben hätte oder auf Seiten des Beklagten ein vollmachtloser Vertreter gehandelt hätte (a. - c.), sondern darauf, dass der Beklagte sein Angebot wirksam widerrufen hat (d.).
17a.
18Soweit der Beklagte geltend macht, die Y habe nie existiert, ist dem allerdings nicht zu folgen. Die Y ist im Geschäftsverkehr aufgetreten. Das ergibt sich nicht zuletzt aus dem Vorbringen des Beklagten, wonach die Y gegen verschiedene Verkäufer Schadenersatzansprüche geltend macht. Warum eine Gesellschaft, die im Geschäftsverkehr auftritt, nicht existieren sollte, erschließt sich nicht.. Darüber hinaus hat der Kläger die im Senatstermin in Kopie vorgelegte Vereinbarung, wonach er den Geschäftsbetrieb der mit Vertrag vom 22.05.12 gegründeten Gesellschaft übernimmt, nunmehr im Original vorgelegt. Auch daraus folgt, dass die Gesellschaft existent war.
19b.
20Soweit der Beklagte geltend macht, die Y sei nicht Inhaberin des X Accounts „X2“ gewesen, ist dieses - streitige - Vorbringen neu. Ob es zuzulassen ist, mag dahin stehen. Denn Belastbares dafür, dass die Y nicht Inhaberin des Accounts und damit auf Bieterseite Handelnde gewesen ist, bringt der Beklagte nicht vor. Die von ihm überreichte Auskunft seitens des Portals X [GA129] gibt nur die „Kontaktdaten“ wieder, die nichts Ausreichendes darüber besagen, wer Inhaber des Accounts war.
21c.
22Soweit nach dem Ergebnis der Anhörung des Sohns des Beklagten dieser gehandelt hat, ist dieses Vorbringen neu und streitig. Ob es im Hinblick auf etwa fehlende Vertretungsmacht zuzulassen wäre, kann dahin stehen. Der Beklagte wusste danach, dass sein Sohn seinen X-Account benutzt, um Sachen zu verkaufen. Daraus ergibt sich eine schlüssig erteilte Vollmacht des Beklagten für seinen Sohn, in seinem Namen zu handeln. Dass er vom Einstellen des Fahrzeugs nichts gewusst haben mag, ändert an dieser Bewertung nichts. Im Hinblick auf die Vorgänge um das Einstellen des Fahrzeugs auf X ist es zuzulassen, da es insoweit lediglich Konkretisierung des erstinstanzlichen Vorbringens darstellt und es dafür keinen Unterschied ausmacht, ob der Beklagte selbst oder sein Sohn gehandelt hat.
23d.
24Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Beklagte sein Angebot wirksam zurückgezogen, weshalb das Gebot der Klägerin keinen Vertragsschluss bewirken konnte.
25(1.)
26Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes - VIII ZR 305/10 - steht ein über die Einstellung bei X abgegebenes Angebot unter dem Vorbehalt, dass kein Widerrufsgrund nach den X-Bedingungen gegeben ist. Nach den X-Bedingungen kann ein Angebot zurückgezogen werden, wenn - was hier allein in Betracht kommt - dem Anbieter bei der Einstellung des Angebots ein Fehler unterlaufen ist, wozu nach den vom Beklagten überreichten Erläuterungen seitens X [Roter Anlagehefter, B2] auch ein Fehler bei der Angabe des Mindestpreises gehört. Entgegen der Auffassung des Klägers bedarf es im Falle des Vorliegens eines Widerrufsgrundes nach den X-Bedingungen - auch im Falle eines Irrtums, so ein solcher hier vorliegen sollte - keiner gesonderten Anfechtung. Der Bundesgerichtshof hat in der genannten Entscheidung erkannt, dass die erläuternden Hinweise von X zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Recht zur vorzeitigen Angebotsbeendigung besteht, von Bedeutung sind. Die Verweisung des § 10 AGB X - die AGB sind im Internet abrufbar, aktuell § 10 Nr. 1. AGB - auf eine „gesetzliche“ Berechtigung hat er nicht im engen Sinne einer Verweisung nur auf die gesetzlichen Bestimmungen über die Anfechtung von Willenserklärungen verstanden. Das gilt für den Widerrufsgrund Verlust des Verkaufsgegenstandes, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu Grunde lag, und für den Widerrufsgrund Fehler beim Eingeben des Mindestpreises gleichermaßen.
27(2.)
28Nach dem Ergebnis der Anhörung des Sohnes des Beklagten im Senatstermin ist bei der Eingabe des Mindestpreises ein Fehler unterlaufen, mag der nun darin bestehen, dass das System eine entsprechende Eingabe nicht angenommen hat oder darin, dass die Eingaben an sich nicht dazu führten, dass das System einen mit Mindestpreis versehenes Angebot generiert hat. Beides bedeutet einen Fehler bei der Eingabe im Sinne der X Bedingungen.
29(3.)
30Dass sich die Dinge so ereignet haben, wie vom Sohn des Beklagten bei seiner Anhörung geschildert, steht zur Überzeugung des Senat fest.
31Die Überzeugung gründet sich in der mehr als hohen inneren Wahrscheinlichkeit des vom Sohn des Beklagten dargelegten Vorgangs.
32Unstreitig ist die erste Aktion mit der Angabe, der Artikel sei nicht mehr verfügbar, nach kurzer Zeit abgebrochen und der Wagen unmittelbar danach wieder als Angebot auf X eingestellt worden. Dafür gibt es zwei denkbare Erklärungen. Zum einen erscheint es möglich, dass den Beklagten die Einstellung ohne Mindestpreis gereut hat. Dann wäre bei der Einstellung des ersten Angebots kein Fehler unterlaufen. Zum anderen ist denkbar, dass das System beim ersten Angebot die Eingabe eines Mindestpreises nicht angenommen hat oder dabei ein Eingabefehler unterlaufen ist. Dann wäre bei Einstellung des ersten Angebots ein relevanter Fehler unterlaufen.
33(3.1)
34Die erste Möglichkeit (Reue, einen Mindestpreis nicht angegeben zu haben) ist so fernliegend, dass sie nicht ernsthaft in Betracht kommt. Dass folgt aus dem für den Abbruch angegebenen Grund und der unmittelbaren Neueinstellung des Fahrzeugs danach. Die unmittelbar nach Abbruch erfolgte Wiedereinstellung führt den Abbruchgrund „Artikel nicht mehr vorhanden“ ad absurdum. Das ist auch für jeden, der geboten hat, erkennbar. Zwar ist nicht vorgetragen, dass der Beklagte die Funktion Wiedereinstellen gewählt hätte, über die jeder Bieter ohnehin einen Hinweis erhält, dass der Artikel neu eingestellt ist. Unabhängig davon liegt die Sache aber so, dass jeder, der einen bestimmten Artikel - hier einen M - sucht, auf das erste Angebot gestoßen ist und darauf geboten hat, bei weiterer Suche nach dem gewünschten Artikel sieht, dass der entsprechende Artikel neu eingestellt ist.
35Läge die Sache so, dass es den Beklagten lediglich gereut hätte, das erste Angebot ohne Mindestpreis einzustellen und hätte er deshalb die Auktion beendet, wäre es dumm und töricht, als Abbruchgrund „Artikel ist nicht mehr vorhanden“ anzugeben und das Fahrzeug gleichzeitig neu einzustellen. Dadurch hätte er den Bietern auf das erste Angebot selbst sehenden Auges einen Grund geliefert, ihn Lügen zu strafen. Wäre Reue, den Wagen ohne Mindestpreis angeboten zu haben, Grund für den Abbruch gewesen, hätte es vielmehr mehr als nahe gelegen, als Grund für den Abbruch nicht einen derart offensichtlich falschen, sondern einen weniger widerlegbaren Grund, etwa einen Fehler bei der Erstellung des Angebots, als Abbruchgrund anzugeben.
36(1.3)
37Scheidet damit die erste Möglichkeit aus, bleibt nur die zweite, nämlich die, dass das erste Angebot von X - ob das auf einem Systemfehler oder auf einem Eingabefehler beruht, kann dahin stehen - nicht so generiert worden ist, wie es gewollt war, nämlich mit der Angabe eines Mindestpreises.
38Unabhängig davon, dass bei Ausschluss der ersten Möglichkeit (Rückzug des Angebot wegen Reue, das Angebot so abgegeben zu haben) nur die zweite Möglichkeit (Rückzug des Angebots, weil darin ein Mindestpreis nicht enthalten war) verbleibt, ist diese zweite Möglichkeit plausibel. Denn die Zeit von 11 Minuten, die zwischen dem Einstellen des ersten Angebots und dem Abbruch liegt, ist denkbar kurz. Dass es sich der Beklagte in diesem Zeitraum, was die Angabe eines Mindestpreises angeht, aus Reue darüber, einen Mindestpreis nicht angegeben zu haben, anders überlegt haben sollte, ist mehr als unwahrscheinlich. Denn der Wille, ob und unter welchen Bedingungen ein Fahrzeug angeboten wird, wechselt normalerweise nicht innerhalb von 11 Minuten. Vor dem Hintergrund, dass das von X generierte Angebot nicht so ausgefallen war, wie gewollt, erklären sich dann auch der ansonsten völlig unplausible Abbruchgrund, der Artikel sei nicht mehr vorhanden und die Neueinstellung. Dafür ist kein anderer Grund erkennbar, als der, den der Sohn des Beklagten geschildert hat. Der Beklagte hat nach Möglichkeiten gesucht, das hinsichtlich des Mindestpreises nicht seinem Willen entsprechende erste Angebot möglichst schnell zu beenden. Dass er dabei in der Hektik, sein Angebot aus der Welt zu bekommen, die falsche Option „Artikel nicht mehr vorhanden“ gewählt hat, ändert an diesem Befund nichts.
39(2.)
40Ausreichende Anhaltspunkte gegen die Glaubwürdigkeit des Sohnes des Beklagten, die das gefundene Ergebnis in Frage stellen könnten, sind nicht erkennbar.
41So hätte es, wenn der Sohn des Beklagten die Dinge nicht wahrheitsgemäß hätte schildern wollen, nahe gelegen, dass der Sohn Nutzung des X-Accounts des Beklagten mit dessen Wissen in Abrede gestellt hätte, um eine Inanspruchnahme des Beklagten, seines Vaters, zu vermeiden. Das hat der Sohn des Beklagten nicht getan, sondern - wenn auch erst auf Nachfrage - eingeräumt, dass er den X-Account seines Vaters mit dessen Wissen genutzt hat. Der Ursprungsvortrag des Beklagten, beim Einstellen des Angebots den Mindestpreis vergessen zu haben, weicht nicht so sehr von der jetzigen Darstellung ab, als dass die Annahme, der Sohn des Beklagten habe gelogen, in Betracht käme.
422.
43Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Ziff. 11, 713 ZPO. Eine Zulassung der Revision, § 543 ZPO, ist nicht veranlasst.
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BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Beklagte stellte am 23. August 2009 eine gebrauchte Digitalkamera nebst Zubehör bei eBay für sieben Tage zur Internetauktion mit einem Startpreis von 1 € ein. Am folgenden Tag um 18.06 Uhr beendete der Beklagte die Auktion vorzeitig. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger, der ein Maximalgebot von 357 € abgegeben hatte, mit dem aktuellen Gebotsbetrag von 70 € Höchstbietender.
- 2
- Die für die vorliegende Auktion maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay (im Folgenden: eBay-AGB) enthalten in § 10 Abs. 1 folgende Regelungen: "Stellt ein Anbieter auf der eBay-Website einen Artikel im Angebotsformat Auktion ein, gibt er ein verbindliches Angebot zum Abschluss eines Vertrages über diesen Artikel ab. Dabei bestimmt der Anbieter einen Startpreis und eine Frist (Angebotsdauer), binnen derer das Angebot per Gebot angenommen werden kann. Der Bieter nimmt das Angebot durch Abgabe eines Gebots über die Bieten-Funktion an. Das Gebot erlischt, wenn ein anderer Bieter während der Angebotsdauer ein höheres Gebot abgibt. Bei Ablauf der Auktion oder bei vorzeitiger Beendigung des Angebots durch den Anbieter kommt zwischen Anbieter und Höchstbietendem ein Vertrag über den Erwerb des Artikels zustande, es sei denn der Anbieter war gesetzlich dazu berechtigt, das Angebot zurückzunehmen und die vorliegenden Gebote zu streichen…."
- 3
- In den auf der Website von eBay zugänglichen Hinweisen zum Auktionsablauf wird als Grund für eine vorzeitige Angebotsbeendigung unter anderem der Verlust des angebotenen Artikels genannt.
- 4
- Der Kläger forderte den Beklagten vergeblich zur Lieferung der Kamera auf. Er begehrt mit seiner Klage Schadensersatz in Höhe des behaupteten Wertes der Kamera (1.125,32 €) und des Zubehörs (87,64 €) abzüglich des Gebotsbetrages (70 €), insgesamt 1.142,96 € nebst Zinsen, sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 155,30 €. Der Beklagte beruft sich darauf, dass er zum vorzeitigen Abbruch der Auktion berechtigt gewesen sei, weil ihm die Kamera am Nachmittag des 24. August 2009 gestohlen worden sei.
- 5
- Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
- 7
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
- 8
- Dem Kläger stehe der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz nicht zu, weil zwischen den Parteien kein Kaufvertrag zustande gekommen sei. Der Beklagte habe nachgewiesen, dass ihm die Digitalkamera am 24. August 2009 gestohlen worden sei. Aus diesem Grund sei er gemäß § 10 Abs. 1 eBay-AGB berechtigt gewesen, das Angebot zurückzunehmen. Unter einer "gesetzlichen" Berechtigung zur Angebotsrücknahme im Sinne dieser Bestimmung sei nicht nur ein Anfechtungsrecht nach §§ 119 ff. BGB zu verstehen. Vielmehr sei die unscharf formulierte und daher auslegungsbedürftige Bestimmung dahin auszulegen, dass sie auch den Fall erfasse, in dem wegen Untergangs des Kaufgegenstandes gemäß § 275 Abs. 1 BGB eine Befreiung von der Primärleistungspflicht eintrete. Für diesen Fall regele § 10 Abs. 1 eBay-AGB - abweichend vom allgemeinen Leistungsstörungsrecht - dass eine Berechtigung zur Angebotsbeendigung bestehe und ein Kaufvertrag nicht zustande komme. Für diese Auslegung sprächen die Hinweise, die eBay den Kunden gebe. In ihnen werde als triftiger Grund dafür, ein Angebot vorzeitig zu beenden , unter anderem genannt, dass der Artikel verloren gegangen, beschädigt oder anderweitig nicht mehr zum Verkauf verfügbar sei. Damit gehe eBay selbst davon aus, dass auch der Verlust des Verkaufsgegenstandes zur Angebotsbeendigung berechtige.
- 9
- Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass bei Internetauktionen die Abgabe des verbindlichen Höchstgebotes erst dann zum Vertragsschluss führe, wenn der Bietende auch noch zum regulären Ablauf der Auktion das Höchstgebot halte. Zwar müsse der Bieter davor geschützt werden, dass die Anbieter ihre Angebote aus wirtschaftlichen Erwägungen und damit sachfremden Erwägungen beendeten. Allerdings dürfe dieses Schutzbedürfnis des Bieters nicht dazu führen, dass dem Anbieter faktisch keine Möglichkeit mehr verbleibe, ein Angebot dann zu beenden, wenn er ansonsten "sehenden Auges" in eine anfängliche Unmöglichkeit laufen würde.
- 10
- Dem Beklagten könne nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er unmittelbar nach Feststellen des Diebstahls das Angebot gestrichen habe. Wäre es ihm darum gegangen, seinen Schaden zu minimieren, so hätte er weiter abwarten können, bis höhere Angebote auf die Kamera abgegeben worden wären. Dies hätte dann dazu geführt, dass der von ihm zu ersetzende Schaden entsprechend geringer geworden wäre. Der Kläger sei somit im Zeitpunkt, als es zur Beendigung der Auktion durch den Beklagten gekommen sei, nur zufällig Höchstbietender gewesen. Er habe damit noch keine gesicherte Rechtsposition dahingehend erlangt, die es ihm nun erlaube, Schadensersatz in der begehrten Größenordnung geltend zu machen, obwohl sein eigenes Maximalgebot nicht bei 70 €, sondern bei 357 € gelegen habe.
II.
- 11
- Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
- 12
- Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nicht zu. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass ein Kaufvertrag über die dem Kläger während der laufenden Internetauktion gestohlene Kamera nicht zustande gekommen ist, weil der Kläger dazu berechtigt war, die Auktion wegen des Diebstahls vorzeitig zu beenden.
- 13
- 1. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Tatsachenfeststellungen des Amtsgerichts zugrunde gelegt. Danach ist dem Kläger die von ihm bei eBay zum Verkauf angebotene Kamera einen Tag nach Beginn der auf sieben Tage befristeten Auktion gestohlen worden. Davon geht auch die Revision aus. Sie hält diesen Umstand jedoch für unerheblich und meint, er begründe kein Recht des Klägers zur vorzeitigen Beendigung der Auktion. Deshalb sei ein Kaufvertrag mit dem Beklagten als dem zu diesem Zeitpunkt Höchstbietenden zustande gekommen und der Beklagte berechtigt, gemäß § 275 Abs. 1 und 3, §§ 280, 283 BGB Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen. Das trifft nicht zu.
- 14
- 2. Ein Anspruch des Beklagten auf Schadensersatz statt der Leistung - sei es wegen anfänglicher oder wegen nachträglicher Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit §§ 280, 283 oder § 311a BGB) - setzt voraus, dass zwischen den Parteien ein Kaufvertrag über die vom Kläger angebotene Kamera zustande gekommen ist. Daran fehlt es.
- 15
- a) Nach der Rechtsprechung des Senats kommt ein Kaufvertrag im Rahmen einer bei eBay durchgeführten Internetauktion durch Willenserklärungen der Parteien - Angebot und Annahme - gemäß §§ 145 ff. BGB zustande. Dabei richtet sich der Erklärungsinhalt der Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) auch nach den Bestimmungen über den Vertragsschluss in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, denen die Parteien vor der Teilnah- me an der Internetauktion zugestimmt haben (Senatsurteil vom 3. November 2004 - VIII ZR 375/03, NJW 2005, 53 unter II 2 a aa; vgl. auch Senatsurteil vom 7. November 2001 - VIII ZR 13/01, BGHZ 149, 129, 133 ff.). In die Auslegung der Willenserklärung des Beklagten ist deshalb, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, die Bestimmung von § 10 Abs. 1 eBay-AGB über das Zustandekommen eines Vertrages bei vorzeitiger Beendigung der Auktion einzubeziehen. Davon geht auch die Revision aus.
- 16
- b) Indem der Beklagte auf der Website von eBay die Kamera nebst Zubehör mit einem Startpreis von 1 € zur Versteigerung anbot und die Auktion startete, gab er ein verbindliches Verkaufsangebot ab, das sich an den richtete, der innerhalb der auf sieben Tage angesetzten Laufzeit der Auktion das höchste Gebot abgibt (vgl. Senatsurteil vom 3. November 2004 - VIII ZR 375/03, aaO). Dieser Erklärungsinhalt der Willenserklärung des Beklagten steht im Einklang mit § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 eBay-AGB.
- 17
- Damit ist der Erklärungsinhalt des Angebots des Beklagten jedoch nicht vollständig erfasst. § 10 Abs. 1 Satz 5 eBay-AGB räumt dem Anbietenden unter der dort genannten Voraussetzung das Recht ein, sein Angebot vor Ablauf der festgesetzten Auktionszeit zurückzunehmen, und regelt, dass bei einer berechtigten Rücknahme des Angebots kein Vertrag zustande kommt. Aufgrund dieser Bestimmung ist das Verkaufsangebot des Beklagten aus der Sicht der an der Auktion teilnehmenden Bieter (§§ 133, 157 BGB) dahin zu verstehen, dass es unter dem Vorbehalt einer berechtigten Angebotsrücknahme steht. Ein solcher Vorbehalt, der die Bindungswirkung des Verkaufsangebots einschränkt, verstößt auch nicht gegen die von der Revision herangezogenen Grundsätze über die Bindungswirkung eines Angebots (§§ 145, 148 BGB), sondern ist zulässig. Gemäß § 145 BGB kann der Antragende die Bindungswirkung seines Angebots ausschließen. Ebenso kann er sie einschränken, indem er sich den Widerruf vorbehält. Das ist hier der Fall.
- 18
- c) Entgegen der Auffassung der Revision war der Beklagte wegen des Diebstahls der angebotenen Kamera gemäß § 10 Abs. 1 Satz 5 eBay-AGB dazu berechtigt, sein Verkaufsangebot vor Ablauf der Auktionszeit zurückzunehmen mit der Folge, dass aufgrund der berechtigten Angebotsrücknahme ein Kaufvertrag mit dem Kläger als dem im Zeitpunkt der Auktionsbeendigung Höchstbietenden nicht zustande gekommen ist.
- 19
- Das Berufungsgericht hat mit Recht die Formulierung "es sei denn, der Anbieter war gesetzlich dazu berechtigt, das Angebot zurückzunehmen und die vorliegenden Gebote zu streichen" als auslegungsbedürftig angesehen und unter Berücksichtigung der auf der Website von eBay gegebenen Hinweise zum Ablauf der Internetauktion dahin ausgelegt, dass der Diebstahl der Kamera für den Beklagten ein Recht zur Angebotsrücknahme begründete.
- 20
- aa) Die Auslegung von § 10 Abs. 1 Satz 5 eBay-AGB unterliegt der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Nachprüfung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, an die der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 545 Abs. 1 ZPO angeknüpft hat (BT-Drucks. 16/9733, S. 302), sind Allgemeine Geschäftsbedingungen wie revisible Rechtsnormen zu behandeln und infolgedessen vom Revisionsgericht frei auszulegen, da bei ihnen ungeachtet der Frage, ob sie über den räumlichen Bezirk des Berufungsgerichts hinaus Verwendung finden, ein Bedürfnis nach einheitlicher Handhabung besteht (Senatsurteil vom 9. Juni 2010 - VIII ZR 294/09, NJW 2010, 2877 Rn. 11 mwN).
- 21
- bb) Ohne Erfolg beanstandet die Revision, dass das Berufungsgericht die auf der Website von eBay gegebenen Hinweise zum Ablauf der Internetauktion in die Auslegung von § 10 Abs. 1 Satz 5 eBay-AGB einbezogen hat.
- 22
- Das Berufungsgericht ist bei der Auslegung von § 10 Abs. 1 Satz 5 eBayAGB vom Wortlaut ausgegangen, dabei aber nicht stehen geblieben. Es hat mit Recht angenommen, dass für das Verständnis dieser Bestimmung durch die Auktionsteilnehmer auch und gerade die erläuternden Hinweise von eBay zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Recht zur vorzeitigen Angebotsbeendigung besteht, von Bedeutung sind. Diese Erläuterungen über die "Spielregeln" der Auktion, die jedem Auktionsteilnehmer zugänglich sind, beeinflussen das wechselseitige Verständnis der Willenserklärungen der Auktionsteilnehmer und sind deshalb auch maßgebend für den Erklärungsinhalt des Vorbehalts einer berechtigten Angebotsrücknahme, unter dem jedes Verkaufsangebot gemäß § 10 Abs. 1 Satz 5 eBay-AGB steht.
- 23
- Unter Berücksichtigung dieser Hinweise hat das Berufungsgericht mit Recht angenommen, dass die Bezugnahme in § 10 Abs. 1 Satz 5 eBay-AGB auf eine "gesetzliche" Berechtigung zur Angebotsbeendigung nicht im engen Sinn einer Verweisung nur auf die gesetzlichen Bestimmungen über die Anfechtung von Willenserklärungen (§§ 119 ff. BGB) zu verstehen ist. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts wird in den Hinweisen von eBay zur Angebotsbeendigung auch der Verlust des Verkaufsgegenstandes , worunter auch ein Diebstahl fällt, als rechtfertigender Grund für eine vorzeitige Angebotsbeendigung aufgeführt. Das Berufungsgericht hat deshalb mit Recht angenommen, dass § 10 Abs. 1 Satz 5 eBay-AGB hinsichtlich der Bezugnahme auf eine "gesetzliche" Berechtigung zur Angebotsbeendigung unscharf formuliert ist und auch den Fall des Diebstahls der angebotenen Sache erfasst. Aus den Hinweisen zur Auktion ist damit für alle Auktionsteilnehmer ersichtlich, dass der Anbieter berechtigt ist, das Verkaufsangebot wegen Diebstahls der Sache zurückzuziehen, und sein Angebot unter diesem Vorbehalt steht. Auch für den Kläger war das Verkaufsangebot des Beklagten so zu verstehen. Ob der Kläger von den Hinweisen zur Auktion tatsächlich Kenntnis ge- nommen hat, ist für die Bestimmung des objektiven Erklärungswerts des Angebots des Beklagten (§§ 133, 157 BGB) unerheblich.
- 24
- cc) Ohne Erfolg beanstandet die Revision die tatrichterlichen Feststellungen zum Inhalt der auf der Website von eBay gegebenen Hinweise über das Recht zur vorzeitigen Auktionsbeendigung. Die Revision meint, das Berufungsgericht habe seiner Entscheidung aktuelle Hinweise zugrunde gelegt, die nicht den zum Zeitpunkt der Auktion maßgeblichen entsprächen. Das trifft nicht zu.
- 25
- Zwar hat das Berufungsgericht in seiner Entscheidung "aktuelle" Hinweise wörtlich wiedergegeben. Es hat jedoch ausdrücklich auch auf den vom Beklagten vorgelegten Ausdruck der Hinweise Bezug genommen, den das Amtsgericht zugrunde gelegt hat und auf den sich auch die Revision bezieht. Beide Fassungen stimmen in dem für den vorliegenden Fall maßgeblichen Punkt überein. Auch in der früheren Fassung wird der Verlust des Artikels als Grund für eine vorzeitige Angebotsrücknahme genannt. Aus dem sich anschließenden Hinweis auf eine mögliche Schadensersatzpflicht des Verkäufers ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision nichts Anderes. Er betrifft ausdrücklich den Fall der Angebotsrücknahme "ohne berechtigenden Grund", nicht dagegen die Angebotsrücknahme, die auf einem der zuvor genannten Gründe beruht.
- 26
- dd) Die aus den Hinweisen abzuleitende Auslegung von § 10 Abs. 1 Satz 5 eBay-AGB dahingehend, dass auch der Verlust des Verkaufsgegenstandes zur Angebotsrücknahme berechtigt, verstößt auch nicht, wie die Revision meint, gegen die allgemeinen Regeln des Leistungsstörungsrechts (§§ 275 ff. BGB). Eine Anwendung der §§ 275 ff. BGB setzt einen zustande gekommenen Vertrag voraus. Daran fehlt es hier, weil das Angebot des Verkäufers, wie ausgeführt, nach § 10 Abs. 1 Satz 5 eBay-AGB unter dem Vorbehalt einer berechtigten Angebotsrücknahme steht und deshalb kein Vertrag zustande kommt, wenn - wie im vorliegenden Fall - wegen Diebstahls des Verkaufsgegenstandes ein zur Rücknahme des Angebots berechtigender Grund vorliegt. Dr. Frellesen Dr. Milger Dr. Achilles Dr. Schneider Dr. Bünger
AG Bad Hersfeld, Entscheidung vom 26.04.2010 - 10 C 162/10 -
LG Fulda, Entscheidung vom 12.11.2010 - 1 S 82/10 -
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)