Hanseatisches Oberlandesgericht Urteil, 09. Nov. 2018 - 11 U 136/17

bei uns veröffentlicht am09.11.2018

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 9. Juni 2017, Az. 404 HKO 24/16, abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

5. Der Wert des Berufungsverfahrens wird festgesetzt auf 4.000.983,23 Euro.

Gründe

1

Der Kläger begehrt vom Beklagten als ehemaligem Geschäftsführer der Schuldnerin in Höhe von 4.000.983,23 Euro die Erstattung von Zahlungen, die zwischen dem 19. Juli und dem 4. August 2010 auf dem debitorischen Konto der Schuldnerin bei der eingegangen sind.

2

Für den erstinstanzlichen Sach- und Streitstand wird mit den folgenden Ergänzungen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

3

In der Klageschrift vom 29. März 2016 hatte der Kläger in einer Aufstellung sämtlicher Einzahlungen auf die debitorisch geführten Konten der Schuldnerin diejenigen Einzahlungen gelb markiert, die den Gegenstand der Klage ausmachen sollten (S. 58 ff. der Klageschrift). Dies ergab eine Gesamtsumme von 4.532.787,63 Euro. Hiervon hatte er einen Betrag in Höhe von 531.804,40 Euro abgezogen, den die H-Bank nach Anfechtung der vereinnahmten Einzahlungen durch den Kläger im Rahmen eines Vergleichs an die Insolvenzmasse erstattet hat, wobei sich diese Zahlung nicht auf einzeln verrechnete Gutschriften bezog. Nachdem der Beklagte in seiner Klageerwiderung Einwendungen gegen die Aufstellung des Klägers erhoben hatte, hat der Kläger in seiner Replik vom 12. August 2016 die zurückzuerstattenden Zahlungen auf die in der Tabelle auf Seite 6 der Replik vom 12. August 2016 aufgeführten Beträge in Höhe von 4.000.983,23 Euro konkretisiert. Ob der Kläger in dieser Aufstellung die Zahlung der H-Bank verrechnet hat, ist zwischen den Parteien streitig.

4

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass Charterreisen, wie sie die Schuldnerin durchgeführt hat, stets im Voraus bezahlt werden. Der Beklagte hat insoweit die Auffassung vertreten, dass diese Vorauszahlungen nicht mehr erfolgt wären, wenn er die (langjährigen) Geschäftspartner aufgefordert hätte, nicht mehr auf die Konten bei der H-Bank, sondern auf ein neu eröffnetes (kreditorisches) Konto zu zahlen. In diesem Fall wäre die Insolvenzreife offensichtlich geworden. Namentlich gelte das sowohl für die Reiseveranstalter ÖT-GmbH, ÖTT-GmbH und die HL Ltd. sowie für diejenigen Fluggesellschaften, für die die Schuldnerin einen sog. Sub-Service durchgeführt habe (AB-Luftverkehrs KG, C-Flugdienst, G.., T-A). Zudem hätte die H-Bank umgehend einen Insolvenzantrag für die Schuldnerin gestellt, wenn auf dem Kontokorrentkonto keine Eingänge mehr erfolgt wären.

5

Das Landgericht hat der Klage im vollen Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Schuldnerin habe bereits vor dem Stichtag 19. Juli 2010 ihre Zahlungen eingestellt. So habe sie mehrere offene Forderungen bis zuletzt nicht beglichen. Soweit sich der Beklagte auf Stundungen nach Fälligkeit berufe, sei dies unerheblich, da es entscheidend darauf ankomme, dass die Schuldnerin bei Fälligkeit nicht in der Lage gewesen sei, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen. Da die Stundungen über mehrere Monate hinweg erfolgt seien, liege auch keine nur vorübergehende Zahlungsstockung vor. Der Beklagte habe nicht dargetan, dass er diese Insolvenzreife unverschuldet nicht erkannt habe, vielmehr sei für ihn erkennbar gewesen, dass die Forderungen auf absehbare Zeit nicht hätten beglichen werden können. Der Beklagte könne sich auch nicht auf die Verlängerung der Betriebserlaubnis durch das Luftfahrt-Bundesamt berufen, weil dieses fachlich nicht qualifiziert sei, die Insolvenzreife eines Unternehmens festzustellen. Bei der Konsultation des Rechtsanwalts K... habe der Beklagte lediglich eine Auskunft erhalten. Eine sachverständige Beratung durch die für die Erstellung des Sanierungskonzepts 2009 beauftragten Wirtschaftsprüfer sei nicht erfolgt. Die Einzahlungen seien auch nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Hierfür komme es auf den hypothetischen Verlauf nicht an. Vielmehr müssten Zahlungen mit der Absicht geleistet werden, den Betrieb im Interesse einer ernstlich erwarteten Sanierung aufrechtzuerhalten, wofür ein schlüssiges, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept, das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt worden sei und beim Schuldner die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertige, vorliegen. Hier habe es aber lediglich Gespräche mit potentiellen Investoren gegeben. Die Haftung scheide auch nicht aus Kausalitätsgesichtspunkten aus, da jede Rechtshandlung für sich zu betrachten sei, wofür es auf den weiteren Verlauf nicht ankomme. Etwas anderes gelte nur, wenn die Schuldnerin in unmittelbarem Zusammenhang stehende Gegenleistungen erhalten hätte, was bei einem debitorischen Konto gerade nicht der Fall sei. Schließlich könne sich der Beklagte auch nicht auf eine rechtfertigende Pflichtenkollision berufen. Wenn sich ein Geschäftsführer nach § 130a HGB normgerecht verhalte, scheide eine Strafbarkeit aus.

6

Gegen dieses Urteil, das ihm am 22. Juni 2017 zugestellt worden ist, hat der Beklagte mit einem am 21. Juli 2017 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 22. September 2017 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Begründungsfrist bis zu diesem Tag verlängert worden war.

7

Der Beklagte meint, die Schuldnerin sei nicht zahlungsunfähig gewesen. Die Forderungen der Banken seien nicht fällig gewesen, weil die Banken die Kreditlinien bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Insolvenzanmeldung aufrechterhalten hätten. Die Forderungen der LHT seien von dieser selbst nicht als fällig angesehen bzw. von der Schuldnerin als unbegründet betrachtet worden. Eine Zahlungseinstellung liege aber nicht vor, wenn der Schuldner nicht zahle, weil er die Forderung als unbegründet ansehe. Mit seinen Einwendungen zu den weiteren Forderungen habe sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt.

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Ebenso fehle es an einer Auseinandersetzung mit seinem Vorbringen zur Liquiditätslage der Schuldnerin. Die Datengrundlage des GdPDU-Exports sowie die Liquiditätsbilanz hätten mittels Sachverständigengutachtens überprüft werden müssen. Auch habe das Landgericht die Verbesserung der Liquiditätsaussichten durch branchenspezifische Besonderheiten des Charterflugs sowie saisonale Schwankungen nicht berücksichtigt, obwohl dies von erheblicher Bedeutung sei, da es genüge, wenn eine Liquiditätslücke von über 10 % aufgrund der Umstände des Einzelfalls später geschlossen werden könne.

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Die Qualifikation des Luftfahrtbundesamtes habe das Landgericht unrichtig beurteilt. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 16 und 17 Luftfahrtbundesamtgesetz sei es auch mit der Prüfung und Erstellung von Gutachten zur finanziellen Leistungsfähigkeit der Fluggesellschaften beauftragt und halte hierfür ein eigenes Referat vor.

10

Die Konsultation von Rechtsanwalt K... habe zu seiner, des Beklagten, Exkulpation ebenfalls ausgereicht. Dieser habe die Schuldnerin von Ende Mai 2010 bis zur Antragstellung beratend begleitet. Dabei sei es um die Prüfung der Einhaltung insolvenzrechtlicher Vorgaben und die Beurteilung der wirtschaftlichen Situation unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten gegangen. Auf Anraten des Beklagtenvertreters sei Rechtsanwalt K... als Insolvenzrechtsspezialist und Restrukturierungsberater hinzugezogen worden, um während der laufenden Investorengespräche zu beurteilen, wann Insolvenzantrag zu stellen sei. Dabei sei Rechtsanwalt K... fortlaufend mit der Frage konfrontiert gewesen, ob und wann die Schuldnerin als insolvenzreif anzusehen sei. Hierfür seien ihm die zur Beurteilung notwendigen Informationen und Unterlagen zugänglich gemacht worden. Außerdem habe er die Geschäftsführer zu Gesprächen mit Banken begleitet, bei denen es um die Verlängerung der Kredite gegangen sei. Bis zur Fälligstellung der Kredite habe er die Insolvenzreife verneint.

11

Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, dass das ihm vorgeworfene Unterlassen für die Masseschmälerung nicht kausal gewesen sei. In Höhe von 3.781,175,20 Euro würden die Zahlungen aus Vorauszahlungen von Reiseveranstaltern stammen. Der Hinweis, auf ein anderes Konto zu zahlen, hätte zur Abstandnahme von Vorauszahlungen und zur Unterbindung von Aufträgen geführt. Die H-Bank hätte die Kreditlinie sofort fällig gestellt und dafür gesorgt, dass die mit ihr gesellschaftsrechtlich verbundenen Leasinggesellschaften die Leasingverträge gekündigt und die Flugzeuge stillgelegt hätten, wie es nach Antragstellung auch erfolgt sei. Die weiteren Leasinggeber hätten sich dem angeschlossen, zu Einzahlungen auf das kreditorische Konto wäre es nicht gekommen. Jedenfalls wären die dort eingegangenen Zahlungen ohne Gegenleistung erfolgt und für die Reiseveranstalter verloren gegangen. Folglich hätte der Beklagte Untreue begangen, weil die Zahlungen lediglich für die Insolvenzmasse verwendet worden wären, sodass er seine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Veranstaltern verletzt hätte. Die Wahrung der Vermögensinteressen Dritter entspreche jedoch der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Ebenso habe er den konkreten Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluss mit einem Investor durch Aufrechterhaltung des Betriebes eine Grundlage geben dürfen. Aus dem „Vorschlag der finanziellen Neuausrichtung durch externen Investor“ (Anlage B 8) ergebe sich ein Sanierungskonzept durch Zuführung frischer Liquidität. Auch das Sanierungskonzept aus dem Jahr 2009 (Anlagen B 2 und B 3) sei nach damaligem Standard IDW ES 6 erstellt worden und habe auch 2010 und 2011 betroffen. Dessen Plausibilität sei von Wirtschaftsprüfern bestätigt worden (Anlage B 4). Die Banken hätten hierauf die Aufrechterhaltung der Finanzierung gestützt. Im Übrigen sei das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose im Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig dargestellt worden.

12

Jedenfalls hätte das Landgericht von der Forderung des Klägers den aus dem Vergleich mit der H-Bank erlangten Vergleichsbetrag in Höhe von 531.804,40 Euro abziehen müssen, wie es der Kläger in der Klage auch selbst noch getan habe.

13

Der Beklagte beantragt:

14

Unter Aufhebung des am 9. Juni 2017 verkündeten und am 22. Juni 2017 zugestellten Urteils des Landgerichts Hamburg, Aktenzeichen: 404 HKO 24/16, wird die Klage abgewiesen.

15

Der Kläger beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seiner erstinstanzlichen Argumentation.

18

Den Berufungsvortrag über die Aufgabe des Rechtsanwalts K... bestreitet der Kläger und meint, infolgedessen sei dieser im Berufungsverfahren nicht zuzulassen.

19

Hinsichtlich der vom Beklagten verlangten Anrechnung des Vergleichsbetrages, den er, der Kläger, von der H-Bank erhalten habe, verweist der Kläger darauf, dass im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt werde, dass diese Anrechnung erfolgt sei. Der Beklagte habe hiergegen keinen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt. Neuer Vortrag sei jedoch nicht zuzulassen.

20

Nachdem der Senat in der Berufungsverhandlung vom 8. Juni 2018 noch die Auffassung vertreten hatte, dass es auf den Vortrag des Beklagten zur Kausalität nicht ankomme, hat er mit Beschluss vom 20. Juli 2018 die mündliche Verhandlung wiedereröffnet und die Parteien auf die Möglichkeit hingewiesen, dass er diese Auffassung ändert. Für die Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 20. Juli 2018 Bezug genommen.

21

Mit Zustimmung der Parteien hat der Senat mit Beschluss vom 14. August 2018 das schriftliche Verfahren mit Schriftsatzende am 28. September 2018 angeordnet.

22

Der Kläger hat in seiner Stellungnahme u.a. bestritten, dass es sich bei den streitgegenständlichen Gutschriften um Vorauszahlungen bzw. Vorschusszahlungen gehandelt habe. Weiterhin hat er bestritten, dass die Kunden der Schuldnerin keine Zahlungen auf ein neu eröffnetes Konto vorgenommen hätten. Hierauf komme es auch gar nicht an, da die maßgebliche Pflichtverletzung des Beklagten darin liege, dass dieser keinen Insolvenzantrag gestellt habe. Lediglich bei erfolgversprechenden Sanierungsbemühungen sei es zulässig, Zahlungen auf ein kreditorisch geführtes Konto umzuleiten.

II.

23

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

24

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung masseschmälernder Zahlungen gemäß §§ 130a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2, 177a HGB. Solche Zahlungen liegen nicht vor.

25

1. Dass der Beklagte entgegen dem Wortlaut des § 130a Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 HGB keine Auszahlungen geleistet hat, ist allerdings unerheblich. Der Zahlungsbegriff erfasst nicht nur Auszahlungen von den Konten des Schuldners, sondern auch Einzahlungen auf solche Konten, die debitorisch geführt werden, da sich infolge der Verrechnung der Einzahlung mit dem Debetsaldo die den (übrigen) Gläubigern zur Verfügung stehende Masse mindert (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2016, - II ZR 394/13 -, Rn. 39, juris).

26

2. Es trifft auch zu, dass die streitgegenständlichen Einzahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife der Schuldnerin zu dem vom Kläger gewählten Stichtag am 19. Juli 2010 erfolgten. Die Schuldnerin war sowohl zahlungsunfähig als auch überschuldet.

27

a) Die Schuldnerin hatte zum Stichtag längst ihre Zahlungen im Rechtssinne eingestellt und auch nicht wieder aufgenommen (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO).

28

Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen.

29

Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es nicht einer darüber hinaus gehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens zehn Prozent. Es obliegt vielmehr dem Tatrichter, ausgehend von den festgestellten Indizien eine Gesamtabwägung vorzunehmen, ob eine Zahlungseinstellung gegeben ist (BGH, Urteil vom 29. März 2012 - IX ZR 40/10 -, Rn. 11, juris).

30

Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus. Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen. (zum Vorstehenden insgesamt BGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 50/15 -. Rn. 12, juris; vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - II ZR 54/12 -. Rn. 6, juris).

31

aa) Der Kläger hat schlüssig dargetan, dass seit Ende 2008 stets mehr als 50 % der fälligen Verbindlichkeiten der Schuldnerin nicht gedeckt waren (Aufstellung Bl. 38 ff. d.A., Grafik Bl. 49 d. A.) und sich das bis zur Insolvenzeröffnung nicht mehr änderte. Aus der Aufstellung auf Bl. 38 ff. ergibt sich zugleich, dass in diesem Zeitraum der Deckungsgrad der Verbindlichkeiten durchweg unter 90 % lag, wobei noch nicht einmal die Passiva II berücksichtigt sind.

32

Der Beklagte greift zunächst die gesamte Grundlage der vom Kläger aus der GdPdU ermittelten Zahlen an. Diese seien hinsichtlich der Fälligkeit von Forderungen nicht aussagekräftig, da die Fälligkeit nur aus buchhalterischer und nicht aus rechtlicher Sicht bewertet werde. So würden beispielsweise Einwendungen, Zahlungsvereinbarungen, Zahlungsziele, Stundungen und Aufrechnungen nicht berücksichtigt. Hiermit konnte der Beklagte nicht durchdringen, denn es war seine Aufgabe, im Einzelnen darzutun, bei welchen Verbindlichkeiten die buchhalterische Fälligkeit nicht mit der tatsächlichen übereingestimmt hat. Insoweit hat er mit seiner Berufung auch zu Unrecht gerügt, dass das Landgericht über die Richtigkeit der Daten kein Sachverständigengutachten eingeholt hat.

33

Auch im Übrigen hat er den klägerischen Vortrag lediglich pauschal bestritten, weil er es für nicht vorstellbar hält, dass die Schuldnerin seit 2008 zahlungsunfähig gewesen sein soll, ohne dass die Gläubiger sich gerührt hätten. Dieses Bestreiten ist unerheblich (§ 138 Abs. 3 ZPO), denn es fehlt an einer konkreten Auseinandersetzung mit dem Zahlenwerk des Klägers. Außerdem haben nicht sämtliche Gläubiger stillgehalten, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt.

34

Auch das Bestreiten des Bestehens der Forderungen mit Nichtwissen war unzulässig, weil es sich insoweit um einen Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung als Geschäftsführer handelt bzw. den Beklagten zumindest eine Erkundigungspflicht traf (vgl. BGH, Beschluss vom 08. März 2012 - IX ZR 102/11 -, Rn. 7, juris).

35

bb) Der Kläger hat weiterhin schlüssig dargetan, dass die Schuldnerin einzelne wesentliche Verbindlichkeiten nicht gezahlt hat, nämlich

36

- die am 9. Oktober 2008 fällige Verbindlichkeit gegenüber der LHT in Höhe von 2.528.184,10 Euro (Anlage K 32);
- die am 3. November 2008 fällige Verbindlichkeit gegenüber der B-A GmbH in Höhe von 440.000,00 Euro (Anlage K 34) und
- die am 12. Dezember 2008 fällige Verbindlichkeit gegenüber der Flughafen... GmbH in Höhe von 340.458,86 Euro (Anlage K 35).

37

Die Einwendungen des Beklagten sind unerheblich.

38

Hinsichtlich der Forderung der B-A GmbH hat er behauptet, dass sich aus der E-Mail vom 3. November 2008 (Anlage K 34) die Höhe des angemahnten Betrages nicht ergebe, im Übrigen habe es sich um keine Mahnung, sondern lediglich um eine Bitte um Prüfung gehandelt. Beides trifft ersichtlich nicht zu. Es geht in dieser E-Mail ausdrücklich um Außenstände in Höhe von ca. 440.000,00 Euro. Die Bitte um Prüfung bezieht sich dabei offensichtlich nicht auf diesen Betrag, sondern auf die Frage, ob und warum die Schuldnerin ihren Zahlungspflichten nicht nachgekommen ist.

39

Bezüglich der Forderung der Flughafen ... GmbH hat der Beklagte behauptet, dass mit den E-Mails in der Anlage K 35 nicht belegt werde, dass die Forderungen tatsächlich bestanden und die Schuldnerin keine Einwendungen hatte. Hier gilt das bereits zuvor Gesagte: Der Beklagte hätte darlegen müssen, dass die Forderungen nicht bestanden bzw. die Schuldnerin Einwendungen hatte.

40

cc) Die Zahlungseinstellung ergibt sich auch aus der Vielzahl von Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarungen mit der LHT. Eigene Erklärungen des Schuldners, eine fällige Verbindlichkeit nicht begleichen zu können, deuten auf Zahlungsunfähigkeit hin; daran ändert eine gleichzeitig geäußerte Stundungsbitte nichts; dies kann vielmehr gerade auf die Nachhaltigkeit der Liquiditätskrise hindeuten (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 - IX ZR 93/06 -, Rn. 21, juris).

41

Stand 12. Dezember 2008 hatte die Schuldnerin Verbindlichkeiten von 2.263.128,73 Euro und 40.224,89 USD. Dies ergibt sich jedenfalls aus der Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung von diesem Tag (Anlage K 40), die der Beklagte nicht bestritten hat, sodass es nicht darauf ankommt, dass die Vereinbarung keine Unterschriften trägt. Am 11. Juni 2009 gab es eine erneute Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung bezüglich 2.632.771,34 Euro und 590.045,13 USD zum 4. September 2009 (Anlage K 41). Die Schuldnerin zahlte die Raten nicht vollständig und fristgemäß, wie sich aus der E-Mail vom 29. Juni 2009 ergibt (Anlage K 42). Eine erneute Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung wurde am 25. Februar 2010 bezüglich 1.156.403,68 Euro und 282.737,28 USD geschlossen (Anlage K 43). Die erste Rate sollte am 3. März 2010 gezahlt werden, was die Schuldnerin jedoch nicht tat (Anlage K 44). Am 19. März 2010 kam es erneut zu einer Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarung über 683.905,51 Euro (Anlage K 45).

42

Bereits im Mai 2009 hatte LHT darauf hingewiesen, dass die Auslieferung eines ihr zur Wartung überlassenen Flugzeugs erst nach vollständiger Bezahlung der Liegezeit und deutlicher Reduzierung der Außenstände erfolgen werde (Anlage K 50). Da dies offensichtlich nicht gelang, kam es zu einem Treffen am 10. Juni 2009. Aus dem Besprechungsprotokoll (Anlage K 51) lässt sich entnehmen, dass LHT eine Erhöhung der Bankgarantie um 500.000,00 Euro sowie die zusätzliche Zahlung von 600.000,00 Euro und 200.000,00 USD zur Reduzierung der Außenstände von 2,66 Mio. Euro und 590.000,00 USD forderte (Punkte 4 und 5).

43

Die Einwendungen des Beklagten greifen auch an dieser Stelle nicht durch.

44

Seine Behauptung in der Berufungsbegründung, die Forderungen seien von LHT selbst nicht als fällig bzw. von der Schuldnerin als unbegründet angesehen worden, steht im Widerspruch zu den einzelnen Vereinbarungen, in denen die Verbindlichkeiten der Schuldnerin gemeinsam festgestellt wurden. Deshalb kommt es auch nicht auf die unter Beweis gestellte Behauptung an, dass es umfangreiche Beanstandungen zu den Rechnungen gegeben habe. Dasselbe gilt hinsichtlich der Auffassung des Beklagten, eine Zahlungseinstellung liege nicht vor, wenn der Schuldner deshalb nicht zahle, weil er die Forderungen als unbegründet ansehe. Das trifft zwar in der Sache zu. Es fehlt jedoch konkreter Vortrag dazu, dass die Schuldnerin sämtliche Forderungen der LHT als unbegründet angesehen habe. Vielmehr beruft sich der Beklagte an anderer Stelle ausdrücklich auf die pünktliche Zahlung der Raten aus den einzelnen Vereinbarungen.

45

Dass LHT der Schuldnerin als guter Kundin mit den Stundungsvereinbarungen entgegenkommen wollte, vermag der Senat nachzuvollziehen. Der Beklagte hat jedoch nicht behauptet, dass der Anstoß dazu von LHT gekommen ist.

46

Dass weder die E-Mail vom 13. Mai 2009 (Anlage K 50) noch das Besprechungsprotokoll vom 10. Juni 2009 (Anlage K 51) eine Pfändungsandrohung bezüglich des Flugzeugs enthält, ist unerheblich.

47

dd) Gegenüber der L-GmbH als Caterer bat die Schuldnerin am 18. Dezember 2008 um Stundung ihrer fälligen Verbindlichkeiten in Höhe von 503.624,37 Euro und Ratenzahlung in sieben Raten bis zum 18. Februar 2009 (Anlage K 37). L... bestand jedoch auf vollständiger Zahlung zum 31. Januar 2009 (Anlage K 37), ohne dass sich das Zahlungsverhalten der Schuldnerin verbesserte (Anlage K 38).

48

Der Beklagte hat hierzu lediglich behauptet, dass sich aus den Mails nur ergebe, dass es Verhandlungen über Ratenzahlungsvereinbarungen gegeben habe, nicht jedoch, wie sich die Parteien geeinigt hätten. Hierauf kommt es jedoch nicht an, weil für die Zahlungseinstellung die Bitte um Stundung und Ratenzahlung bereits genügt.

49

ee) Die Schuldnerin hatte am 21. August 2007 Leasingverträge mit der „A... Fi...“ Flugzeugfonds GmbH & Co KG und der „A... Fu...“ Flugzeugfonds GmbH & Co KG über je einen Airbus A 319 abgeschlossen. Im Februar 2009 betrugen die fälligen Verbindlichkeiten jeweils 4.977.052,00 Euro. Hierüber gab die Schuldnerin am 23. Februar 2009 ein notariell beurkundetes Schuldanerkenntnis ab und unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung (Anlage K 46). Für weitere offene Leasingraten in Höhe von jeweils 466.018,00 Euro bat die Schuldnerin um Stundung, die ihr am 19. Februar 2009 gewährt wurde (Anlage K 47). Zu einer weiteren Stundungsvereinbarung kam es am 20. Juli 2010 (Anlage K 48).

50

Hinsichtlich der Stundungsvereinbarungen hat der Beklagte wiederum übersehen, dass es allein auf die Bitte um Stundung ankommt. Es ist deshalb unerheblich, wenn er sich auf den Standpunkt stellt, aufgrund der Stundungen habe es keine fälligen Verbindlichkeiten gegeben. Tatsächlich ergibt sich aber aus Ziff. 1 der Stundungsvereinbarungen (Anlage K 48), dass Raten ausgeblieben waren.

51

ff) Gegenüber Eurocontrol bot die Schuldnerin am 16. Januar 2009 für Verbindlichkeiten von mehr als 1,4 Mio. Euro eine Teilzahlung in Höhe von 500.000,00 Euro an, die Eurocontrol ablehnte; der Mitarbeiter der Schuldnerin bat die Geschäftsführer, den Mitarbeiter Eurocontrols „weichzuklopfen“, um eine Reduzierung zu erreichen (Anlage K 49).

52

Auch diesbezüglich sind die Einwendungen des Beklagten unerheblich. Der Beklagte beanstandet wiederum lediglich, dass die E-Mail in Anlage K 49 keinen Hinweis darauf enthalte, ob die Forderungen bestanden und fällig waren, warum nicht gezahlt worden sei und welche Funktion Herr L... gehabt habe.

53

gg) Unter diesen Umständen ist nicht von einer bloßen Zahlungsstockung auszugehen. Eine bloß vorübergehende Zahlungsstockung liegt nicht vor, wenn es dem Schuldner über mehrere Monate nicht gelingt, seine fälligen Verbindlichkeiten spätestens innerhalb von drei Wochen auszugleichen und die rückständigen Beträge insgesamt so erheblich sind, dass von lediglich geringfügigen Liquiditätslücken keine Rede sein kann (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10 -, Rn. 12, juris).

54

hh) Der Beklagte hat auch nicht dargetan, dass die Schuldnerin lediglich zahlungsunwillig gewesen ist. Hierfür hätte er eine Liquiditätsbilanz vorlegen müssen. Zeigt der Schuldner ein nach außen hervortretendes Verhalten, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, liegt zwar auch dann Zahlungseinstellung vor, wenn der Schuldner tatsächlich nur zahlungsunwillig ist; diese Vermutung kann aber durch die Vorlage einer Liquiditätsbilanz, aus der sich die Zahlungsfähigkeit ergibt, widerlegt werden (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 50/15 -, Rn. 13, 15, juris; Beschluss vom 26. März 2015 - IX ZR 134/13 -, Rn. 6, juris).

55

jj) Der Beklagte hat schließlich auch nicht dargetan, dass die Zahlungsunfähigkeit im hier maßgeblichen Zeitraum wieder beseitigt war. Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung wirkt grundsätzlich fort; sie kann nur dadurch wieder beseitigt werden, dass der Schuldner seine Zahlungen allgemein wieder aufnimmt; dies hat derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich auf den nachträglichen Wegfall einer zuvor eingetretenen Zahlungseinstellung beruft (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 - IX ZR 93/06 -, Rn. 24, juris). Die Wiederaufnahme der Zahlungen erfordert, dass - bis auf unwesentliche Ausnahmen - alle Zahlungen geleistet werden (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - IX ZR 117/11 -, Rn. 18, juris; Urteil vom 25. Oktober 2001 - IX ZR 17/01 -, Rn. 25, juris). Nach Zahlungseinstellung durch Stundungsbitten muss der Schuldner die vereinbarten Raten zahlen und den wesentlichen Teil der übrigen Verbindlichkeiten bedienen (BGH, Urteil vom 24. März 2016 – IX ZR 242/13 –, Rn. 11, juris).

56

b) Die Schuldnerin war auch objektiv zahlungsunfähig.

57

Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO). Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04 -, Rn. 25 ff., juris).

58

Wie bereits unter a) aa) ausgeführt, ergibt sich aus der vom Kläger vorgelegten Aufstellung in der Klage, dass bei der Schuldnerin durchweg eine Liquiditätslücke von mehr als 10 % bestand. Soweit der Beklagte beanstandet, dass der Kläger auf den Stichtag 1. Dezember 2009 abstelle, die Rechtsprechung aber zeitliche Nähe fordere, übersieht er, dass der Kläger die Zahlungsunfähigkeit nicht lediglich für den 1. Dezember 2009 dargelegt hat, sondern auch für die folgenden Monate einschließlich des hier maßgeblichen Zeitraums im Juli/August 2010.

59

Ebenso wenig dringt der Beklagte damit durch, dass das Landgericht die Verbesserung der Liquiditätsaussichten durch branchenspezifische Besonderheiten des Charterflugs sowie saisonale Schwankungen nicht berücksichtigt habe. Schon angesichts des langen Zeitraums der Zahlungsunfähigkeit, der ersichtlich gegen „saisonale Schwankungen“ spricht, reichten die pauschalen Ausführungen des Beklagten hierzu nicht aus.

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c) Die Schuldnerin war zum Stichtag 19. Juli 2010 auch überschuldet.

61

aa) Der Jahresabschluss zum 31. Dezember 2008 weist einen nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Verlustanteil von 18,5 Mio. Euro aus (Anlage K 5).

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(1) Der Beklagte hat ohne Erfolg beanstandet, dass der Kläger die Überschuldung nicht für den 19. Juli 2010 dargelegt hat. Ist die Insolvenzreife für einen früheren Zeitpunkt bewiesen, so gilt der Nachweis der im Zeitpunkt des Stichtages noch andauernden Verletzung der Insolvenzantragspflicht jedenfalls bei relativ zeitnah erteilten Aufträgen als geführt, sofern der beklagte Geschäftsführer nicht seinerseits darlegt, dass im Zeitpunkt der Auftragserteilung die Überschuldung nachhaltig beseitigt und damit die Antragspflicht - wieder - entfallen war (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09 –, Rn. 10, juris). Zwar beträgt hier der Zeitraum mehr als eineinhalb Jahre - in der angeführten Entscheidung waren es neun Monate -, aus der Besonderheit heraus, dass die Schuldnerin in der Zwischenzeit nie ihre Zahlungsfähigkeit wiedererlangt hat und der Beklagte auch sonst nichts dazu vorgetragen hat, wie es zur Überwindung des nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Verlustanteils gekommen sein soll, genügt das jedoch zum Nachweis der Überschuldung.

63

(2) Der Beklagte hat auch keine stillen Reserven in einem Umfang dargetan, der die Überschuldung beseitigen würde.

64

Der Beklagte hat unwidersprochen behauptet, dass erhebliche stille Reserven vorhanden gewesen seien. So habe die Immobilie in der H-Straße laut Wertermittlungsgutachten vom 22. September 2008 einen Verkehrswert von 2.985.000,00 Euro gegenüber dem Buchwert von lediglich 1.361.388,00 Euro gehabt. Im Vermögen der Schuldnerin seien Flugzeugersatzteile im Wert von 1 Mio. Euro vorhanden gewesen. Aus der Weiterveräußerung von Flugzeugen seien Erträge zu erwarten gewesen. Die 30 %ige Beteiligung an der Flugzeugleasinggesellschaft E... habe erhebliche stille Reserven gegenüber dem Buchwert von 1.728.070,78 Euro enthalten; allein aus der Veräußerung einer Boeing habe die Schuldnerin 3 Mio. USD erhalten.

65

Dieser Vortrag ist nicht geeignet, die Überschuldung zu beseitigen. Selbst wenn man für die Immobilie stille Reserven von ca. 1.620.000,00 Euro ansetzt und die 1 Mio. Euro für die Ersatzteile hinzurechnet, wobei der Beklagte schon nicht erläutert hat, warum dieser Wert nicht in den Vorräten des Umlaufvermögens enthalten war, würde sich die Überschuldung lediglich auf knapp unter 16 Mio. Euro verringern. Zum Umfang der stillen Reserven hinsichtlich des Flugzeugverkaufs fehlt es bereits an einem konkreten Vortrag. Selbst wenn man die 12 Mio. Euro ansetzte, von denen auf Seite 6 des Prüfungsberichts die Rede ist (Anlage K 5), bliebe bereits offen, warum die Flugzeuge schon vollständig abgeschrieben gewesen sein sollen. Im Übrigen verbliebe eine Überschuldung von 4 Mio. Euro. Hinsichtlich der Beteiligung fehlt es an jedem konkreten Vortrag zur Differenz zwischen Buchwert und tatsächlichem Wert.

66

(a) Jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitraum Juli/August 2010 hat der Beklagte auch keine positive Fortführungsprognose dargelegt.

67

Eine positive Fortführungsprognose, für deren tatsächliche Voraussetzungen der in Anspruch genommene Geschäftsführer darlegungs- und beweispflichtig ist (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2010 - II ZR 151/09 -, Rn. 11, juris), setzt voraus, dass der Geschäftsführer davon ausgehen können muss, dass das Unternehmen trotz der wirtschaftlichen Krise nach dem Willen der Gesellschafter fortgeführt werden soll und dass die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten jedenfalls in der nächsten Zeit, im Allgemeinen mindestens bis zum Ende des laufenden und des folgenden Geschäftsjahres, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wird erfüllen können (hierzu zuletzt Senatsurteil vom 13. Oktober 2017 - 11 U 53/17 - Rn. 45, juris; vgl. auch Senatsurteil vom 08. November 2013 - 11 U 192/11 - Rn. 37, juris). Die Fortführungsprognose ist insofern im Kern eine Zahlungsfähigkeitsprognose, die einer nachvollziehbaren Vermögens-, Finanz- und Ertragsplanung bedarf (BGH, a.a.O., Rn. 13; Beschluss vom 09. Oktober 2006 - II ZR 303/05 -, Rn. 3, juris; Senatsurteil vom 13. Oktober 2017, a.a.O.).

68

(aa) Soweit der Beklagte behauptet, das Bestehen einer positiven Fortführungsprognose sei im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt worden, liegt er falsch, denn dort ist lediglich aufgenommen, dass im Sanierungskonzept vom 23. Juli 2009 (Anlage B 2) eine positive Fortführungsprognose getroffen worden sei.

69

(bb) Eine positive Fortführungsprognose lässt sich zwar den Ausführungen im Prüfungsbericht zum Jahresabschluss 2008 (S. 6, Anlage K 5), dem Sanierungskonzept vom 23. Juli 2009 (Anlage B 2, S. 17) und dem Prüfbericht zu diesem Konzept (Anlage B 4) entnehmen. Alle drei Berichte gehen jedoch von einem Zufluss in Höhe von 14 Mio. Euro durch den Investor aus, mit dem die Schuldnerin am 12. Mai 2009 eine Vereinbarung über dessen Beitritt und entsprechende Zahlungen getroffen hatte. Der Beklagte hat jedoch selbst eingeräumt, dass bereits mit Gesellschafterbeschluss vom 22. Oktober 2009 der Rücktritt erklärt worden sei, nachdem fällige Zahlungen nicht geleistet wurden. Damit waren die positiven Prognosen hinfällig. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass erst mit diesem Rücktritt eine insolvenzrechtliche Überschuldung eingetreten ist, würde das unter (1) Gesagte gelten.

70

Soweit sich aus der Akte Hinweise auf ein Gutachten von F... ergeben, bleibt dessen Inhalt bereits offen. Aus der E-Mail in Anlage K 58 lässt sich jedoch entnehmen, dass F... einen Liquiditätszufluss von 5 Mio. Euro vorausgesetzt hat.

71

3. Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass der Beklagte die vom Kläger in der Replik vom 12. August 2016 für maßgeblich gehaltenen Einzahlungen nicht zu erstatten hat.

72

a) Die Erstattungspflicht erfasst nur solche Zahlungen, die zu einer Masseschmälerung geführt haben. Die Regelung des § 130a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 HGB soll im Interesse einer Gleichbehandlung der Gläubiger lediglich eine Schmälerung der Masse nach Eintritt der Insolvenzreife ausgleichen (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 366/13 -, Rn. 13, juris). Zwar wird eine solche Masseschmälerung bei Einzahlungen auf ein debitorisches Konto grundsätzlich angenommen, weil sich dadurch lediglich die Bankverbindlichkeiten des Schuldners reduzieren, während für die übrigen Gläubiger kein Massezufluss verbleibt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 11). Der vorliegende Fall erfordert nach der Überzeugung des Senats jedoch eine andere Betrachtung.

73

aa) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass Charterreisen stets im Voraus bezahlt werden. Folgerichtig hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Einzahlungen weit überwiegend um solche Vorauszahlungen gehandelt habe. Namentlich gelte das sowohl für die Reiseveranstalter ÖT-GmbH, ÖTT-GmbH und die H-L Ltd. sowie für diejenigen Fluggesellschaften, für die die Schuldnerin einen sog. Sub-Service durchgeführt habe (LT AG, A- Luftverkehrs KG, C-Flugdienst, G..., T-A). Der Kläger ist dem nicht hinreichend entgegengetreten.

74

bb) Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Zahlungen bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten nicht zur Masse gelangt wären.

75

(1) Hätte der Beklagte nach Eintritt der Insolvenzreife für die Schuldnerin einen Insolvenzantrag gestellt, folgt dies schon daraus, dass ein möglicherweise entstandener Vorschussanspruch der Schuldnerin jedenfalls dann entfallen muss, wenn sicher ist, dass die geschuldete Gegenleistung, also die Durchführung der Flüge, nicht mehr erbracht wird. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich und insoweit auch nicht vorgetragen worden, dass der Kläger die Erfüllung dieser Verträge gewählt hätte (§ 103 Abs. 1 InsO). In dieser Konstellation hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die Geschäftspartner der Schuldnerin Vorschusszahlungen an die Insolvenzmasse geleistet hätten.

76

(2) Aber auch bei Eröffnung eines kreditorischen Kontos wären diese Zahlungen nach Überzeugung des Senats ausgeblieben.

77

(a) Der Geschäftsführer muss, wenn er schon seiner Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a Abs. 1 InsO nicht rechtzeitig nachkommt, wenigstens dafür sorgen, dass Zahlungen als Äquivalent für dadurch erfüllte Gesellschaftsforderungen der Masse zugutekommen, nicht dagegen nur zu einer Verringerung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber der Bank und damit dem Verbot des 130a Abs. 2 HGB zuwider zu bevorzugter Befriedigung dieser Gesellschaftsgläubigerin führen. Grundsätzlich gebietet es deshalb die primär auf Masseerhaltung zielende Sorgfaltspflicht des Geschäftsführers, in einer solchen Situation ein neues, kreditorisch geführtes Konto bei einer anderen Bank zu eröffnen und den aktuellen Gesellschaftsschuldnern die geänderte Bankverbindung unverzüglich bekannt zu geben (zum Vorstehenden insgesamt BGH, Urteil vom 26. März 2007 - II ZR 310/05 -, Rn. 12, juris). Entgegen der Auffassung des Klägers gilt dies nicht nur für den hier nicht vorliegenden Fall einer möglichen Sanierung.

78

(b) Nach der Überzeugung des Senats hätten die genannten Geschäftspartner der Schuldnerin nach Kenntnis der neuen Kontoverbindung keine Zahlungen mehr geleistet, da damit die Insolvenzreife der Schuldnerin erkennbar geworden wäre und somit das konkrete Risiko bestanden hätte, die Vorschüsse nicht erstattet zu bekommen, obwohl die Schuldnerin ihre Leistungen nicht mehr hätte erbringen können.

79

Soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom 28. September 2018 die Ansicht vertritt, bei einem reinen Kontowechsel spreche nichts für eine Erkennbarkeit der Insolvenzreife, folgt ihm der Senat nicht. Zum einen lässt sich diese Erkennbarkeit bereits daran knüpfen, dass die Eröffnung eines neuen Kontos nach der zuvor zitierten Rechtsprechung die einzige Möglichkeit eines Geschäftsführers ist, trotz unterlassenem bzw. verspätetem Insolvenzantrag der Haftung nach § 130a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 HGB bzw. § 64 Satz 1 GmbHG zu entgehen. Zum anderen stammten die Einzahlungen nicht von einer Vielzahl „anonymer“ Kunden, sondern von solchen Gesellschaften, mit denen die Schuldnerin in einem jahrelangen ständigen Geschäftskontakt stand, sodass die Mitteilung einer neuen Kontoverbindung und die Aufforderung, ausschließlich auf dieses Konto zu zahlen, nicht die vom Kläger angenommene „Alltäglichkeit“ gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr darauf an, dass es nach Auffassung des Senats sehr wahrscheinlich ist, dass die „tiefe Krise“ der Schuldnerin, wie sie der Kläger bezeichnet hat, schon aufgrund der oben aufgeführten Indizien für eine Zahlungseinstellung in der Branche bekannt war. Hinzu kommt, dass der Beklagte nachvollziehbar dargetan hat, dass die H-Bank umgehend einen Insolvenzantrag zu Lasten der Schuldnerin gestellt hätte, wenn auf dem Kontokorrentkonto keine Zahlungen mehr eingegangen wären.

80

Auch in dieser Konstellation wären die Vorschusszahlungen folglich nicht zur Masse gelangt, ohne dass der Kläger zugleich die Durchführung der Flugleistungen hätte anbieten müssen.

81

cc) Der Senat verkennt nicht, dass es sich bei dem Anspruch aus § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, sondern wie bei § 64 GmbHG um einen Anspruch eigener Art, auch wenn die Norm - anders als § 64 GmbHG - vom Ersatz des Schadens spricht, der jedoch bereits im Abfluss der Mittel liegt (vgl. Hillmann in EBJS, HGB, 3. Auflage 2014, § 130a HGB Rn. 29). Die Ersatzpflicht des Geschäftsführers orientiert sich nicht an der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB. Die Insolvenzmasse ist nicht lediglich so zu stellen, wie sie ohne die Zahlungen stünde. Vielmehr hat der Geschäftsführer Zahlungen nur dann nicht zu erstatten, wenn dem Schuldner im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Vermögensabfluss Vermögen zugeflossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2014 - II ZR 231/13 - Rn. 10, juris), was vorliegend nicht der Fall war.

82

Dies darf nach der Überzeugung des Senats jedoch nicht dazu führen, dass der Geschäftsführer Zahlungen an die Masse leisten muss, die sich bei pflichtgemäßem Verhalten dort nicht befunden hätten. Eine solche Massebereicherung lässt sich auch nicht mit einer „Druckfunktion“ der §§ 130a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2, 64 Satz 1 GmbHG rechtfertigen (vgl. hierzu Baumbach/Hueck/Haas GmbHG, 21. Auflage 2017, § 64 Rn. 3).

83

Auch daraus, dass die Vorschriften der Gläubigergleichbehandlung dienen sollen, lässt sich kein anderes Ergebnis herleiten, denn eine Gläubigergleichbehandlung lässt sich trotz des grundsätzlich nicht bestehenden Vorrangs in einer solchen Konstellation hinreichend über die Insolvenzanfechtung gewährleisten.

84

b) Vor diesem Hintergrund entfällt eine Erstattungspflicht des Beklagten für alle streitgegenständlichen Einzahlungen der Tabelle auf Seite 6 der klägerischen Replik vom 12. August 2016 durch folgende Unternehmen: ÖT-GmbH, ÖTT-GmbH, H-L Ltd., L-T AG, A- Luftverkehrs KG, C-F, G... und T-A.

85

Es verbleiben zunächst die folgenden Einzahlungen, zu denen der Beklagte nicht dargetan hat, dass sie nicht auch auf ein neu eröffnetes kreditorisches Konto erfolgt wären bzw. dass auch insoweit ein Erfüllungsanspruch des Klägers nur bei Erbringung einer Gegenleistung bestanden hätte:

86

19.7.2010

Einzelkunden Sammelkonto

1.830,00 Euro

22.7.2010

Einzelkunden Sammelkonto

 542,90 Euro

23.7.2010

T...   

 135,02 Euro

28.7.2010

Einmalkunden Hotel

 240,60 Euro

29.7.2010

Sonstige Vermögensgegenstände

 260,00 Euro

30.07.2010

Einzelkunden Sammelkonto

 70,00 Euro

02.08.2010

Umsatzsteuer"vorauszahlungen"

 112.944,91 Euro

03.08.2010

Umsatzsteuer"vorauszahlungen"

 34.696,58 Euro

03.08.2010

Anzeigen Werbung Diverse

1.785,00 Euro

04.08.2010

A...   

 11,30 Euro

____________

____________________________

_______________

                 

153.121,56 Euro

87

Hinsichtlich der vom Kläger als Umsatzsteuervorauszahlung bezeichneten Positionen geht der Senat davon aus, dass es sich tatsächlich um Umsatzsteuererstattungen durch das Finanzamt gehandelt hat (vgl. Kontoauszug vom 30. Juli 2010, Anlagenkonvolut K 53).

88

c) Aber auch diese verbleibenden Einzahlungen führen nicht zu einer Erstattungspflicht des Beklagten.

89

Die Forderung des Klägers entfällt im Rahmen der vorzunehmenden Verrechnung dieser Einzahlungen mit einem Betrag in Höhe von 531.804,40 Euro, den der Kläger aus einem Vergleich mit der H-Bank erzielt hat. Dadurch ist die tatsächliche vorliegende Masseschmälerung ausgeglichen worden. Die in der Zahlung liegende Schmälerung der Masse ist rückgängig gemacht, wenn die Masse durch die erfolgreiche Anfechtung wieder aufgefüllt ist (BGH, Urteil vom 03. Juni 2014 - II ZR 100/13 -, Rn. 14, juris). Es würde zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Insolvenzmasse führen, wenn sie neben der Rückgewähr der anfechtbar weggegebenen Vermögenswerte zusätzlich Ersatz für deren Weggabe von dem dafür verantwortlichen Geschäftsführer erhielte (BGH, a.a.O.).

90

aa) Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine solche Anrechnung vorliegend nicht (mehr) erfolgt.

91

In der Klageschrift vom 29. März 2016 hatte der Kläger den Vergleichsbetrag noch abgezogen. Hierzu hatte er zunächst in einer Aufstellung sämtlicher Einzahlungen auf die debitorisch geführten Konten der Schuldnerin diejenigen Einzahlungen gelb markiert, die den Gegenstand der Klage ausmachen sollten (S. 58 ff. der Klageschrift). Dies ergab eine Gesamtsumme von 4.532.787,63 Euro, von der er sodann den Vergleichsbetrag in Abzug brachte, sodass sich die Klageforderung ergab (S. 65 der Klageschrift).

92

Nachdem der Beklagte in seiner Klageerwiderung Einwendungen gegen die Aufstellung des Klägers erhoben hatte, hat der Kläger in seiner Replik vom 12. August 2016 die zurückzuerstattenden Zahlungen auf die in der Tabelle auf Seite 6 der Replik aufgeführten Beträge konkretisiert. Diese Tabelle enthält jedoch nur noch Einzahlungen in Höhe der Klageforderung. Dass weitere Einzahlungen im Hinblick auf die Verrechnung des Vergleichsbetrages nicht mehr geltend gemacht würden, hat der Kläger dort nicht behauptet. Es ergibt sich auch sonst nicht aus seiner Darstellung. Dabei ist zu beachten, dass die Aufstellung in der Replik teilweise nicht mehr dieselben Einzahlungen zum Gegenstand hat wie die Klage. So hat der Kläger beispielsweise in der Klageschrift Einzahlungen der Ö-T- GmbH vom 21. Juli 2010 in Höhe von insgesamt 531.494,00 Euro gelb markiert, während es in der Replik nur noch 498.494,00 Euro sind. Dasselbe gilt für Einzahlungen der ÖTT-GmbH am 23. Juli 2010, die in der Klage noch in Höhe von 536.504,00 Euro geltend gemacht wurden, in der Replik jedoch nur noch mit 401.844,00 Euro, sowie für Einzahlungen der ÖT-GmbH am 28. Juli 2010: In der Klageschrift werden 566.750,00 Euro geltend gemacht, in der Replik nur noch 529.110,00 Euro. Die „Erträge aus Kursdifferenzen“ vom 03. August 2010 aus der Klageschrift finden sich in der Replik nicht wieder. Dagegen enthält die Aufstellung in der Replik eine Einzahlung „A...“ vom 04. August 2010 in Höhe von 11,30 Euro, die in der Klageschrift nicht erwähnt worden war. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger lediglich Einzahlungen in Höhe des Vergleichsbetrages nicht mehr auflisten wollte. Aus demselben Grund ist es unerheblich, dass der Kläger in seinen Schriftsatz vom 29. Juni 2018 noch einmal die Aufstellung aus der Klageschrift eingefügt hat.

93

bb) Mit seinen weiteren Ausführungen im Schriftsatz vom 29. Juni 2018 zu einer vermeintlichen Klagerücknahme dringt der Kläger ebenfalls nicht durch. Eine Klagerücknahme kommt nicht in Betracht, sondern allenfalls eine Klageänderung dergestalt, dass der Kläger mit der Auflistung der für ihn maßgeblichen Einzahlungen auf dem debitorischen Konto, bei denen es sich jeweils um eigene Streitgegenstände handelt, in der Replik den ursprünglichen Lebenssachverhalt teilweise geändert hat, ohne aber seinen Prozessantrag zu reduzieren.

94

cc) Entgegen der Auffassung des Klägers hatte der Senat seiner Entscheidung auch nicht die Feststellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils zugrunde zu legen, dass der Kläger im Hinblick auf den im Rahmen der Insolvenzanfechtung erhaltenen Rückführungsbetrag weitere Einzahlungen in Höhe von 531.804,40 Euro nicht geltend gemacht habe (Seite 6 oben). Zwar hat der Beklagte keinen Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 ZPO gestellt, sodass der Senat grundsätzlich an diese Feststellung gebunden ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 - I ZR 226/13 -, Rn. 32, juris). Soweit der Beklagte in seiner Berufungsbegründung darauf hinweist, dass der Kläger die Verrechnung tatsächlich nicht vorgenommen habe, handelt es sich jedoch um neues Vorbringen nach § 531 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2015, - II ZR 22/13 -, Rn. 9, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. Juni 2017 - I-5 U 114/16 -, Rn. 109, juris), das schon deshalb zuzulassen ist, weil der Kläger diese Behauptung in der Berufungserwiderung nicht bestritten bzw. nicht behauptet hat, die Verrechnung in der Replik noch vorgenommen zu haben. Neuer Tatsachenvortrag ist immer zu berücksichtigen, wenn er vom Gegner nicht hinreichend bestritten wird (BGH, Beschluss vom 09. Oktober 2014, - V ZB 225/12 -, Rn. 9, juris)

95

dd) Da nach dem Klägervorbringen die Zahlung der H-Bank an die Masse nicht auf einzelne Einzahlungen, sondern pauschal in Höhe der tatsächlichen Verringerung der Forderungen der Bank aus dem Kontokorrent erfolgte, gibt es auch sonst keinen Grund, den Vergleichsbetrag nicht auf die verbliebenen Einzahlungen anzurechnen.

96

4. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

97

5. Der Senat lässt die Revision gegen dieses Urteil zu, um höchstrichterlich klären zu lassen, ob es im Rahmen des Anspruchs nach § 130a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 HGB für die Annahme einer Masseschmälerung allein darauf ankommt, dass die Einzahlungen auf ein debitorisches Konto zur Verringerung der Verbindlichkeiten gegenüber der Bank führen, oder ob der Umstand, dass bei pflichtgemäßem Handeln des Geschäftsführers der Wert der Einzahlungen nicht zur Masse gelangt wäre, die Annahme einer Masseschmälerung ausschließt, wie der Senat meint.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Okt. 2014 - V ZB 225/12

bei uns veröffentlicht am 09.10.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 225/12 vom 9. Oktober 2014 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4; § 522 Abs. 1 Wird eine Berufung ausschließlich auf neues Vorbringen gestützt, k

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juni 2014 - II ZR 100/13

bei uns veröffentlicht am 03.06.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL I I ZR 1 0 0 / 1 3 Verkündet am: 3. Juni 2014 Vondrasek Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewer

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(1) Anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen enthält das Urteil

1.
die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen,
2.
eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
Wird das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet, so können die nach Satz 1 erforderlichen Darlegungen auch in das Protokoll aufgenommen werden.

(2) Die §§ 313a, 313b gelten entsprechend.

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b) Demgegenüber sind die auf dem Konto eingegangenen Zahlungen nicht ohne weiteres als Zahlungen im Sinne von § 64 Satz 1 GmbHG zu werten. Der Einzug von Forderungen einer insolvenzreifen GmbH auf ein debitorisches Konto ist zwar, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, grundsätzlich eine masseschmälernde Zahlung im Sinne von § 64 Satz 1 GmbHG, weil dadurch das Aktivvermögen der Gesellschaft zu Gunsten der Bank geschmälert wird (BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 mwN). Die zwischen der Schuldnerin und der O. bank abgeschlossenen Globalabtretungsverträge können die Annahme masseschmälernder Zahlungen durch die Einziehung von Forderungen auf das debitorisch geführte Konto jedoch ausschließen.

(1) Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit.

(2) Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.

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a) Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 f). Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 - IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rn. 28). Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, aaO Rn. 29; vom 20. Dezember 2007 - IX ZR 93/06, WM 2008, 452 Rn. 21 jeweils mwN). Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, aaO Rn. 29; vom 11. Februar 2010 - IX ZR 104/07, WM 2010, 711 Rn. 42). Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 185).
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Die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit anhand einer Liquiditätsbilanz ist entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 f.; Urteil vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 28; Urteil vom 21. Juni 2007 - IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 27). Zahlungseinstellung ist dasjenige äußere Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Es muss sich also mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seinen fälligen, eingeforderten Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für die Annahme einer Zahlungseinstellung aus, auch wenn noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Sogar die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 12, 15; Urteil vom 24. Januar 2012 - II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 13; Urteil vom 27. März 2012 - II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 25; Urteil vom 29. März 2012 - IX ZR 40/10, WM 2012, 998 Rn. 15; Versäumnisurteil vom 19. Juni 2012 - II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 24; Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 13/12, ZIP 2013, 174 Rn. 16 - Göttinger Gruppe).

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

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a) Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners 10 vom Hundert oder mehr, ist regelmäßig von seiner Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 1 InsO) auszugehen (BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 - IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 144 ff). Bei der Bewertung, ob danach Zahlungsunfähigkeit vorliegt, sind solche Forderungen auszunehmen, die rein tatsächlich - also auch ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung - gestundet sind (BGH, Urteil vom 14. Mai 2009 - IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 Rn. 22; Beschluss vom 14. Juli 2011 - IX ZB 57/11, ZIP 2011, 1875 Rn. 9). Vor diesem Hintergrund können im Rahmen einer zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit zu erstellenden Liquiditätsbilanz die von einem Vollstreckungsaufschub betroffenen Forderungen außer Betracht bleiben.
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a) Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 f). Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 - IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rn. 28). Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, aaO Rn. 29; vom 20. Dezember 2007 - IX ZR 93/06, WM 2008, 452 Rn. 21 jeweils mwN). Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, aaO Rn. 29; vom 11. Februar 2010 - IX ZR 104/07, WM 2010, 711 Rn. 42). Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist (BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 185).
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a) Soll, wie es das Berufungsgericht getan hat, der in § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO vorausgesetzte Benachteiligungsvorsatz des Schuldners maßgeblich auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen bestehende, dem Schuldner bekannte Zahlungsunfähigkeit gestützt werden (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 13/12, WM 2013, 180 Rn. 14 mwN), muss diese festgestellt werden. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der anfechtende Insolvenzverwalter. Zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit bedarf es im Insolvenzanfechtungsprozess nicht zwingend einer Liquiditätsbilanz, wenn auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte. Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 19 f mwN). Dem Anfechtungsgegner bleibt es unbenommen, der Annahme der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners mit dem Antrag auf Erstellung einer Liquiditätsbilanz durch einen Sachverständigen entgegenzutreten, sei es um die Beweiswirkung der für die Zahlungsunfähigkeit sprechenden Indizien zu erschüttern oder um die Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zu widerlegen (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 20).
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bb) Anders verhält es sich, wenn feststeht, dass der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hatte, bevor Ratenzahlung vereinbart wurde. Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung wirkt grundsätzlich fort. Sie kann nur dadurch wieder beseitigt werden, dass die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen werden. Dies hat derjenige zu beweisen, der sich darauf beruft. Hat der anfechtende Verwalter für einen bestimmten Zeitpunkt den ihm obliegenden Beweis der Zahlungseinstellung des Schuldners geführt, muss der Anfechtungsgegner grundsätzlich beweisen, dass diese Voraussetzung zwischenzeitlich wieder entfallen ist (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012, aaO Rn. 33 mwN; vom 25. Februar 2016 - IX ZR 109/15, ZInsO 2016, 628 Rn. 24). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt es hierfür nicht, dass mit der Ratenzahlungsvereinbarung diejenige Verbindlichkeit als gestundet gilt, deren Nichtbedienung die Feststellung der Zahlungseinstellung trägt. Der Anfechtungsgegner hat vielmehr zu beweisen, dass der Schuldner seine Zahlungen allgemein wieder aufgenommen hat. Dazu gehört zum einen, dass er die vereinbarten Raten zahlt. Darüber hinaus muss der Schuldner aber auch den wesentlichen Teil seiner übrigen Verbindlichkeiten bedienen (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 188; vom 24. Mai 2007 - IX ZR 97/06, WM 2007, 1579 Rn. 23; vom 20. Dezember 2007 - IX ZR 93/06, WM 2008, 452 Rn. 24 ff; vom 27. März 2008 - IX ZR 98/07, WM 2008, 840 Rn. 21; vom 25. Oktober 2012 - IX ZR 117/11, WM 2012, 2251 Rn. 18; vom 6. Dezember 2012, aaO Rn. 36; Schmidt, InsO, 19. Aufl., § 17 Rn. 18; Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl., § 17 Rn. 135). Dazu hat die Beklagte nichts vorgetragen.

(1) Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit.

(2) Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.

BUNDESGERICHTSHOF

 

Urteil vom 24.05.2005

Az.: IX ZR 123/04

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. Mai 2004 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Beklagte ist alleiniger Geschäftsführer und hälftiger Gesellschafter der J. GmbH (fortan: Schuldnerin). Diese wurde von der K.

GmbH beauftragt, für ein Entgelt von -zunächst -1.980.000 DM Konstruktionsleistungen für die Automobilindustrie zu erbringen. Sie schaltete ihrerseits die S. und die SW. GmbH als Subunternehmer ein. Wegen der Abwicklung des Auftrags kam es zu einem Rechtsstreit zwischen der Schuldnerin und K. , der am 9. September 1999 vergleichsweise wie folgt beendet wurde: Die Schuldnerin verpflichtete sich, die vertragliche Leistung bis 14. September 1999 zur Verfügung zu stellen.

K. verpflichtete sich, an die Schuldnerin bis 15. September 1999 700.000 DM zu zahlen und bis zum 30. September 1999 weitere 700.000 DM, von denen sie allerdings 400.000 DM sollte zurückbehalten dürfen, sofern sie die Leistung für nicht in Ordnung befinden und deswegen eine "qualifizierte Rüge" erheben sollte. Auf weitergehende Ansprüche von angeblich 2,6 Mio. DM verzichtete die Schuldnerin. K. , die von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machte, zahlte auf den Vergleich insgesamt 1 Mio. DM, davon 305.090,70 DM unmittelbar an eine Gläubigerin der Schuldnerin.

Die Buchhaltung der Schuldnerin ermittelte zum 9. September 1999 Verbindlichkeiten in Höhe von 2.659.151,25 DM. Dem standen gegenüber liquide Mittel und kurzfristig einbringliche Forderungen in Höhe von 1.122.323,04 DM. Dabei waren die Zahlungen der K. in Höhe von 1 Mio. DM bereits berücksichtigt. Neben diesen Aktiva waren nur noch Vorräte und Anlagevermögen mit einem Fortführungswert von insgesamt 11.124 DM vorhanden.

Später zahlte der Beklagte an verschiedene Gläubiger 1.175.076,68 DM. Nach seinem Vortrag stellte er für die Schuldnerin Ende Dezember 1999 wegen "drohender Zahlungsunfähigkeit" Insolvenzantrag. Mit Beschluß vom 1. März 2000 wurde das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Kläger, welcher der Auffassung ist, die Schuldnerin sei -wie der Beklagte gewußt habe -bereits mit Abschluß des für sie äußerst nachteiligen Vergleichs zahlungsunfähig und überschuldet gewesen, verlangt von dem Beklagten nach § 64 Abs. 2 GmbHG Schadensersatz in Höhe von 600.807,17 € (= 1.175.076,68 DM). Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage -teilweise Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Forderungen aus Insolvenzanfechtung -stattgegeben. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner zugelassenen Revision.

Gründe

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat sein Urteil darauf gestützt, nach Abschluß des Vergleichs mit K. am 9. September 1999 sei die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen. Sie habe über liquide Mittel in Höhe von 1.282.323,04 DM verfügt. Dabei sei nur die später von K. bezahlte Summe von 1 Mio. DM zuzüglich Mehrwertsteuer, nicht jedoch der mit dem Vorbehalt eines Zurückbehaltungsrechts versprochene -und bis heute nicht bezahlte -Betrag von 400.000 DM (netto) zu berücksichtigen gewesen. Diesen liquiden Mitteln hätten nach eigener Darstellung des Beklagten fällige Verbindlichkeiten von 1.411.627,33 DM gegenübergestanden. Die danach vorhandene Unterdeckung von 129.304,29 DM -dies entspreche 9,2 % der Verbindlichkeiten -sei nicht unwesentlich.

II.

Diese Ausführungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung stand.

1. Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 64 GmbHG kann nicht anders verstanden werden als in § 17 InsO. Denn für den Beginn des den Geschäftsführer treffenden Zahlungsverbots genügt in objektiver Hinsicht die bestehende Insolvenzreife (vgl. BGHZ 143, 184, 185; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG 16. Aufl. § 64 Rn. 1).

a) Nach früherem Recht setzte der Konkursgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 102 KO) voraus, daß der Schuldner dauernd unvermögend war, seine Zahlungsverpflichtungen im wesentlichen zu erfüllen (RG JW 1934, 841; BGHZ 118, 171, 174; BGH, Urt. v. 22. November 1990 -IX ZR 103/90, ZIP 1991, 39, 40; v. 11. Juli 1991 -IX ZR 230/90, ZIP 1991, 1014; BGHSt 31, 32). Dabei wurden die verfügbaren Mittel zu den insgesamt fälligen Zahlungsverbindlichkeiten ins Verhältnis gesetzt. Es mußte ermittelt werden, ob die Zahlung oder die Nichtzahlung Regel oder Ausnahme war (Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 30 Rn. 28; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 102 Rn. 2a). Im Schrifttum wurde Zahlungsunfähigkeit angenommen, wenn 10 % bis 25 % der fälligen Forderungen ungedeckt waren (vgl. die Nachweise bei Kuhn/Uhlenbruck, aaO).

b) Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Auf die Merkmale der "Dauer" und der "Wesentlichkeit" hat der Gesetzgeber der Insolvenzordnung bei der Umschreibung der Zahlungsunfähigkeit verzichtet (vgl. Himmelsbach/Thonfeld NZI 2001, 11 f; Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch 2. Aufl. § 6 Rn. 6). Nach der Gesetzesbegründung (Begr. zu § 20 und § 21 RegE, BT-Drucks. 12/2443 S. 114) versteht es sich von selbst -und braucht deshalb nicht besonders zum Ausdruck gebracht zu werden -, daß eine vorübergehende Zahlungsstockung keine Zahlungsunfähigkeit begründet. Andererseits hielt man es für untunlich, das Erfordernis der andauernden Unfähigkeit zur Erfüllung der fälligen Zahlungspflichten zu betonen, weil dies als Bestätigung der verbreiteten Neigung hätte verstanden werden können, den Begriff der Zahlungsunfähigkeit stark einzuengen und damit eine etwa auch über Wochen oder sogar Monate fortbestehende Illiquidität zur rechtlich unerheblichen Zahlungsstockung zu erklären. Eine solche Auslegung würde nach der Gesetzesbegründung das Ziel einer rechtzeitigen Verfahrenseröffnung erheblich gefährden. Ferner ist der Gesetzgeber davon ausgegangen (Begr. zu § 20 und § 21 RegE, aaO), daß "ganz geringfügige Liquiditätslücken außer Betracht bleiben müssen". Es erscheine jedoch "nicht gerechtfertigt, Zahlungsunfähigkeit erst anzunehmen, wenn der Schuldner einen bestimmten Bruchteil der Gesamtsumme seiner Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann".

c) Demgemäß wird verbreitet davon ausgegangen, zahlungsunfähig sei ein Schuldner, wenn ihm die Erfüllung der fälligen Zahlungspflichten wegen eines objektiven, kurzfristig nicht zu behebenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht möglich sei. Um dies festzustellen, werden im Rahmen einer Liquiditätsbilanz die aktuell verfügbaren und kurzfristig verfügbar werdenden Mittel in Beziehung gesetzt zu den an demselben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (Harz ZInsO 2001, 193, 196; MünchKomm-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 10; HK-InsO/Kirchhof, 3. Aufl. § 17 Rn. 24; Gottwald/Huber, aaO § 47 Rn. 10). Zahlungsunfähig ist danach auch ein Schuldner, der nur einen Gläubiger hat und außerstande ist, diesen zu befriedigen (HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 19; Nerlich/Römermann/Mönning, InsO § 17 Rn. 17; vgl. ferner BGHZ 149, 178, 185). Eine Quote zum Ausscheiden "ganz geringfügiger Liquiditätslücken" wird teilweise ganz abgelehnt (Temme, Die Eröffnungsgründe der Insolvenzordnung 1997 S. 35 ff; Bieneck Strafverteidiger 1999, 43, 44; Niesert ZInsO 2001, 738 f; MünchKomm-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 15, 22; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 17 Rn. 10; Kübler/Prütting/Pape, InsO § 17 Rn. 13; FK-InsO/ Schmerbach, 3. Aufl. § 17 Rn. 21; Braun/Kind, InsO 2. Aufl. § 17 Rn. 11; wohl auch Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO § 17 Rn. 16). Andere halten für "ganz geringfügig" eine Quote von unter 5 % (AG Köln NZI 2000, 89, 91; Hess/Weis/ Wienberg, InsO 2. Aufl. § 17 Rn. 17; Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts 4. Aufl. S. 71; Nerlich/Römermann/Mönning, aaO § 17 Rn. 18), unter 10 % (HKInsO/Kirchhof, § 17 Rn. 20), bis zu 20 % (Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung 3. Aufl. Kap. 1 Rn. 85) oder bis zu 25 % (LG Augsburg DZWIR 2003, 304; Harz ZInsO 2001, 193, 196). Vereinzelt wird auch eine Rückkehr zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit nach der Konkursordnung befürwortet (Himmelsbach/Thonfeld aaO S. 15). Der Bundesgerichtshof hatte bislang keinen Anlaß, sich zu diesen Fragen zu äußern (vgl. BGHZ 149, 178, 187).

2. Nach Auffassung des Senats ist daran festzuhalten, daß eine Zahlungsunfähigkeit, die sich voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit beheben läßt, lediglich als Zahlungsstockung gilt und keinen Insolvenzeröffnungsgrund darstellt (Uhlenbruck, aaO § 17 Rn. 9; Kübler/Prütting/Pape, aaO § 17 Rn. 11; HKInsO/Kirchhof, § 17 Rn. 18; Hess/Weis/Wienberg, aaO § 17 Rn. 2; Scholz/

K. Schmidt, GmbHG 9. Aufl. § 64 Rn. 11 f; Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG 6. Aufl. § 63 Rn. 26; a.A. Münchkomm-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 22; Nerlich/ Römermann/Mönning, aaO § 17 Rn. 14; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG 16. Aufl. § 64 Rn. 9).

a) Der Zeitraum, innerhalb dessen die Zahlungsstockung beseitigt sein muß, andernfalls sie als Zahlungsunfähigkeit behandelt wird, ist unter der Geltung der Konkursordnung und der Gesamtvollstreckungsordnung auf etwa einen Monat begrenzt worden (BGHZ 149, 100, 108; BGH, Urt. v. 3. Dezember 1998 -IX ZR 313/97, WM 1999, 12, 14; v. 4. Oktober 2001 -IX ZR 81/99, WM 2001, 2181, 2182). Der Gesetzgeber der Insolvenzordnung wollte diesen Zeitraum verkürzen (vgl. oben 1 b sowie BGHZ 149, 178, 187). Als Zahlungsstockung ist deshalb nur noch eine Illiquidität anzusehen, die den Zeitraum nicht überschreitet, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen (HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 18; FK-InsO/Schmerbach, aaO § 17 Rn. 17). Eine Frist von einem Monat (für deren Beibehaltung Gottwald/Huber, aaO § 47 Rn. 9) oder gar von drei Monaten (dafür Harz ZInsO 2001, 193, 197) ist hierfür zu lang. Wieder andere halten eine Zahlungsstockung bereits jenseits einer Frist von ein bis zwei Wochen nicht mehr für gegeben (Haarmeyer/Wutzke/Förster, aaO Kap. 1 Rn. 86). Dies erscheint zu kurz. Als Zeitraum für die Kreditbeschaffung sind zwei bis drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend (LG Bonn ZIP 2001, 346; Burger/Schellberg BB 1995, 261, 262 f, 567; Temme aaO S. 30; Uhlenbruck, aaO § 17 Rn. 9, 18; Kübler/ Prütting/Pape, aaO § 17 Rn. 11; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 18; FK-InsO/ Schmerbach, aaO § 17 Rn. 17; Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 63 Rn. 27). Die Vorschrift des § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zeigt, daß das Gesetz eine Ungewißheit über die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft längstens drei Wochen hinzunehmen bereit ist (Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG 17. Aufl. § 64 Rn. 5; Niesert ZInsO 2001, 735, 738 f).

Zwar werden im Hinblick auf die Vorschrift des § 286 Abs. 3 BGB n.F. systematische Bedenken gegen eine derartige Verkürzung der Frist erhoben (Himmelsbach/Thonfeld NZI 2001, 11, 13 noch zu § 284 Abs. 3 BGB a.F.; dagegen Braun/Kind, aaO § 17 Rn. 16). Es gehe nicht an, einen Schuldner, der noch nicht einmal in Verzug sei, als zahlungsunfähig zu behandeln mit der Konsequenz, daß der Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen könne (§ 14 InsO) und -falls Schuldnerin eine GmbH sei -deren Geschäftsführung einen solchen stellen müsse (§ 64 Abs. 1 GmbHG). Diese Bedenken erscheinen jedoch nicht stichhaltig. Daß über den Insolvenzantrag eines Gläubigers früher als dreißig Tage nach Fälligkeit seiner Forderung entschieden wird, erscheint bereits wenig lebensnah. Zudem bezeichnet § 286 Abs. 3 BGB n.F. den spätesten Zeitpunkt des Verzugseintritts und läßt eine frühere Herbeiführung durch Mahnung unberührt. Für einen GmbH-Geschäftsführer, der zu prüfen hat, ob er Auszahlungen vornehmen darf, obwohl er für seine Gesellschaft eine kurzfristig nicht zu beseitigende Liquiditätslücke ermittelt hat, muß die Frage, ob sich die Gesellschaft mit der Begleichung der fälligen Verbindlichkeiten bereits in Verzug befindet, ohnehin bedeutungslos sein.

b) Die Frage, ob noch von einer vorübergehenden Zahlungsstockung oder schon von einer endgültigen Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist, muß allein aufgrund der objektiven Umstände beantwortet werden (vgl. HK-InsO/ Kirchhof, aaO § 17 Rn. 19; Nerlich/Römermann/Mönning, aaO § 17 Rn. 30). Soweit die Haftung des Geschäftsführers für von ihm nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vorgenommene Zahlungen zu beurteilen ist, muß allerdings auf der subjektiven Seite das Verschulden hinzukommen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Entscheidend ist hier, ob im Zeitpunkt der Zahlung bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes die Insolvenzreife der Gesellschaft für den Geschäftsführer nicht erkennbar ist, wobei diesen allerdings die volle Darlegungsund Beweislast trifft (BGHZ 143, 184, 185; BGH, Urt. v. 1. März 1993 -II ZR 61/92, WM 1994, 1030, 1031). Wenn dieser erkennt, daß die GmbH zu einem bestimmten Stichtag nicht in der Lage ist, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen, jedoch aufgrund einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung der Meinung sein kann, die GmbH werde vor Erreichen des Zeitpunkts, bei dem eine Zahlungsstockung in eine Zahlungsunfähigkeit umschlägt -also binnen drei Wochen -, sämtliche Gläubiger voll befriedigen können, darf er innerhalb dieses Zeitraums, solange sich seine Prognose nicht vorzeitig als unhaltbar erweist, Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind (vgl. § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG), an Gläubiger leisten, ohne die Haftung befürchten zu müssen. Müßte er anstehende Zahlungen zurückhalten, bis die Zahlungsfähigkeit insgesamt wieder hergestellt ist, würde er dadurch die Geschäftsbeziehungen zu den betreffenden Gläubigern, auf deren Fortführung der Betrieb der Schuldnerin mehr denn je angewiesen ist, gefährden. Auch läge eine Zahlungseinstellung vor, mit welcher der Geschäftsführer möglicherweise Eröffnungsanträge der Gläubiger (§ 14 InsO) herausfordern würde. Ist die Zahlungsfähigkeit nach Ablauf der Frist noch nicht wieder hergestellt, darf er -weil nunmehr die endgültige Zahlungsunfähigkeit fest steht -nur noch solche Zahlungen leisten, welche die Insolvenzmasse nicht schmälern oder erforderlich sind, um das Unternehmen für die Zwecke des Insolvenzverfahrens zu erhalten (Michalski/Nerlich, GmbHG 2002 § 64 Rn. 46).

Für die Prognose, die der Geschäftsführer anstellen muß, sobald bei einer Liquiditätsbilanz eine Unterdeckung festzustellen ist, und die er bei jeder vorzunehmenden Zahlung kontrollieren muß, sind die konkreten Gegebenheiten in bezug auf den Schuldner -insbesondere dessen Außenstände, die Bonität der Drittschuldner und die Kreditwürdigkeit des Schuldners -, auf die Branche und die Art der fälligen Schulden zu berücksichtigen (Burger/Schellberg BB 1995, 261, 263; Kübler/Prütting/Pape, aaO § 17 Rn. 11; FK-InsO/Schmerbach, aaO § 17 Rn. 17).

3. Demgegenüber ist die Ansicht abzulehnen, zahlungsunfähig sei ein Schuldner generell bereits dann, wenn er seine fälligen Verbindlichkeiten nicht -binnen der dreiwöchigen Frist (dazu oben 2) -zu 100 % erfüllen kann.

a) Zwar spräche für diese strenge Lösung der Vorzug der begrifflichen Klarheit. Sie wäre zudem im Interesse der Rechtssicherheit. So könnte sich der Geschäftsführer der Schuldner-GmbH aufgrund der von ihm aufzustellenden Liquiditätsbilanz und der von ihm zu verlangenden Zukunftsprognose ohne weiteres Klarheit verschaffen, wann er gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG Insolvenzantrag stellen muß, nämlich in jedem Falle einer länger als drei Wochen währenden, noch so geringen Unterdeckung. Verhindert eine insgesamt gesehen geringfügige Unterdeckungsquote die Annahme der Zahlungsunfähigkeit, kann dies die konkret von der Unterdeckung betroffenen Gläubiger auch erheblich benachteiligen, weil sie nicht mit Aussicht auf Erfolg einen Insolvenzantrag stellen können. Ein Unternehmen, das dauerhaft eine -wenngleich geringfügige -Liquiditätslücke aufweist, erscheint auch nicht erhaltungswürdig.

b) Indes überwiegen die Gründe, einen Schuldner, der seine Verbindlichkeiten bis auf einen geringfügigen Rest bedienen kann, nicht als zahlungsunfähig anzusehen.

aa) Zum einen wollte -wie bereits dargelegt (oben 1 b) -auch der Gesetzgeber "ganz geringfügige Liquiditätslücken" für die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit nicht ausreichen lassen. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, daß er die zu tolerierende Lücke nicht auch quantitativ, sondern lediglich zeitlich -im Sinne einer bloßen Zahlungsstockung -verstanden hat.

bb) Ein Insolvenzverfahren soll immer -aber auch erst -dann eingeleitet werden, wenn die Einzelzwangsvollstreckung keinen Erfolg mehr verspricht und nur noch die schnellsten Gläubiger zum Ziele kommen, die anderen hingegen leer ausgehen, eine gleichmäßige Befriedigung somit nicht mehr erreichbar ist. Je geringer der Umfang der Unterdeckung ist, desto eher ist es den Gläubigern zumutbar, einstweilen zuzuwarten, ob es dem Schuldner gelingen wird, die volle Liquidität wieder zu erlangen. Das Geschäftsleben ist in weiten Teilen dadurch gekennzeichnet, daß Phasen mit guter Umsatzund Ertragslage und Rückschläge sich abwechseln. Insbesondere mittelständische Unternehmen mit geringer Eigenkapitalausstattung, etwa Handwerksbetriebe, sind oft darauf angewiesen, daß Kundenzahlungen vollständig und zeitnah erfolgen. Wird ein größerer Auftrag nicht bezahlt, kann dies eine Liquiditätskrise auslösen. Je kleiner die Liquiditätslücke ist, desto begründeter ist die Erwartung, daß es dem Schuldner gelingen wird, das Defizit in absehbarer Zeit zu beseitigen -sei es durch eine Belebung seiner Geschäftstätigkeit, sei es durch die anderweitige Beschaffung neuer flüssiger Mittel, sei es durch Einigung mit Gläubigern -, also die Zahlungsfähigkeit wieder zu erlangen (so bereits Burger/Schellberg BB 1995, 261, 263; FK-InsO/Schmerbach, aaO § 17 Rn. 2; Scholz/K. Schmidt, § 64 Rn. 13). In einem solchen Fall brächte die Insolvenzeröffnung den Gläubigern keinen Vorteil, insbesondere keine schnellere und betragsmäßig höhere Befriedigung (Himmelsbach/Thonfeld aaO S. 15; Zweifel am Rechtsschutzinteresse des antragstellenden Gläubigers äußern auch Nerlich/Römermann/Mönning, aaO § 17 Rn. 18).

Zwar wird die Auffassung vertreten, wenn ein Schuldner geringe Forderungen nicht mehr ausgleichen könne, so sei er erst recht außerstande, größere Beträge zu zahlen (Uhlenbruck, aaO § 17 Rn. 10; Pape/Uhlenbruck, Insolvenzrecht 2002 Rn. 300; Beck/Depre, Praxis der Insolvenz 2003 S. 216). Diese Erwägung ist unzutreffend. Ein Schuldner, der -beispielsweise -zu 90 % oder mehr liquide ist, vermag durchaus auch hohe Forderungen zu befriedigen.

cc) Einen Insolvenzgrund auch bereits bei sehr kleinen Liquiditätslücken anzunehmen, verbietet sich schließlich im Interesse des Schuldners. Sofern seine Auftragslage gut ist und künftig mit anderen Zahlungseingängen gerechnet werden kann, wäre es unangemessen, wenn er wegen einer vorübergehenden Unterdeckung von wenigen Prozent, die nicht binnen drei Wochen (vgl. oben 2) beseitigt werden kann, Insolvenz anmelden müsste. Der damit verbundene Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen (Art. 12, 14 GG) wäre unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bedenklich (Himmelsbach/Thonfeld aaO S. 15).

dd) Gesamtwirtschaftliche Erwägungen bestätigen dieses Ergebnis. In bestimmten Branchen sind regelmäßig saisonale Flauten zu überbrücken, die teilweise mehrere Monate andauern (Himmelsbach/Thonfeld aaO S. 11). Als Beispielsfälle sind insbesondere die Bauwirtschaft, der Fremdenverkehr und die Hersteller typischer Saisonartikel (etwa Bademoden, Wintersportgeräte und -bekleidung) zu nennen. Wer sich auf einem derartigen Wirtschaftssektor als Anbieter betätigt, muß immer wieder mit Liquiditätsengpässen rechnen. Er darf jedoch normalerweise mit einer wirtschaftlichen Erholung rechnen, sobald die Saison wieder angelaufen ist. Müßte er trotzdem, sobald die Grenze der Zahlungsstockung überschritten ist (dazu oben 2), selbst bei prozentual geringfügiger Liquiditätslücke Insolvenz anmelden, würde dies in manchen Wirtschaftszweigen zu erheblichen Problemen führen.

4. Um die Praxis in die Lage zu versetzen, den Begriff der "geringfügigen Liquiditätslücke" zu handhaben, kann auf eine zahlenmäßige Vorgabe nicht völlig verzichtet werden.

a) Allerdings hat der Gesetzgeber mit Recht davor gewarnt, "Zahlungsunfähigkeit erst anzunehmen, wenn der Schuldner einen bestimmten Bruchteil der Gesamtsumme seiner Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann". Dies spricht jedoch nur dagegen, eine starre zahlenmäßige Grenze einzuführen, die automatisch über das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit entscheidet. Eine starre Grenze hätte auch der Gesetzgeber einführen können. Da er davon abgesehen hat, wollte er offensichtlich für die Rechtsanwendung eine gewisse Flexibilität ermöglichen.

Würde beispielsweise angenommen, bei einer Unterdeckung von weniger als einem bestimmten Vomhundertsatz läge keine Zahlungsunfähigkeit vor, beim Erreichen dieses Vomhundertsatzes jedoch stets, bliebe unberücksichtigt, daß derartige Quoten für sich allein genommen keine abschließende Bewertung eines wirtschaftlich komplexen Sachverhalts wie der Zahlungsunfähigkeit erlauben. Bei einem Unternehmen, dem im Hinblick auf seine Auftragsund Ertragslage eine gute Zukunftsprognose gestellt werden kann, hat eine momentane Liquiditätsunterdeckung in Höhe jenes Vomhundertsatzes eine ganz andere Bedeutung als bei einem solchen, dem für die Zukunft ein weiterer geschäftlicher Niedergang prophezeit werden muß.

Daher kommt die Einführung eines prozentualen Schwellenwerts nur in der Form in Betracht, daß sein Erreichen eine widerlegbare Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit begründet.

b) Der Senat hält es für angemessen, den Schwellenwert bei 10 % anzusetzen. Ein höherer Wert ließe sich mit der Absicht des Gesetzgebers, die Anforderungen an die Annahme der Zahlungsunfähigkeit abzusenken, schwerlich vereinbaren. Andererseits wäre ein niedrigerer Schwellenwert als 10 % -in Betracht kommt dann nur noch 5 % -dem rigorosen "Null-Toleranz-Prinzip" zu sehr angenähert, um noch praktische Wirkungen entfalten zu können.

Liegt eine Unterdeckung von weniger als 10 % vor, genügt sie allein nicht zum Beleg der Zahlungsunfähigkeit. Wenn diese gleichwohl angenommen werden soll, müssen besondere Umstände vorliegen, die diesen Standpunkt stützen. Ein solcher Umstand kann auch die auf Tatsachen gegründete Erwartung sein, daß sich der Niedergang des Schuldner-Unternehmens fortsetzen wird. Geht es um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, muß das Insolvenzgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO) solche Umstände feststellen. Geht es um die Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG, muß die Gesellschaft, die den Geschäftsführer in Anspruch nimmt, oder deren Insolvenzverwalter die besonderen Umstände vortragen und beweisen.

Beträgt die Unterdeckung 10 % oder mehr, muß umgekehrt im Rahmen des § 64 GmbHG der Geschäftsführer der Gesellschaft -falls er meint, es sei doch von einer Zahlungsfähigkeit auszugehen -entsprechende Indizien vortragen und beweisen. Dazu ist in der Regel die Benennung konkreter Umstände erforderlich, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, daß die Liquiditätslücke zwar nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen -dann läge nur eine Zahlungsstockung vor -, jedoch immerhin in überschaubarer Zeit beseitigt werden wird. Im Zusammenhang mit einem Gläubigerantrag (§ 14 InsO) muß sich der Schuldner auf diese Umstände berufen, und das Insolvenzgericht hat sie festzustellen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO).

Je näher die konkret festgestellte Unterdeckung dem Schwellenwert kommt, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu richten, mit denen die Vermutung entkräftet werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerer wiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung von dem Schwellenwert ist.

5. Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Ergebnis des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden. Die mindestens 9,2 %-ige Unterdeckung und eine auf unstreitige Tatsachen gegründete schlechte Zukunftsprognose rechtfertigen zusammen die Annahme, daß die Schuldnerin bereits mit Abschluß des für sie ruinösen Vergleichs am 9. September 1999 zahlungsunfähig war. Dies war für den Beklagten erkennbar; zumindest hat er das Gegenteil nicht bewiesen.

a) Die Zukunftsaussichten für die Schuldnerin waren bereits am 9. September 1999 sehr schlecht. In diesem Zusammenhang rügt die Revision vergeblich die Nichterhebung des angebotenen Sachverständigenbeweises. Der Beweis war für die Vertretbarkeit einer von dem Beklagten vorgenommenen positiven Fortführungsprognose angetreten und betraf die Frage der Überschuldung. Darauf hat das Berufungsgericht seine Entscheidung jedoch nicht gestützt.

Der Kläger hat geltend gemacht, der Beklagte habe überhaupt keine positive Zukunftsprognose erstellt. Dabei gewinnt die unstreitige Tatsache Bedeutung, daß der Beklagte Ende September 1999 Kunden der Schuldnerin angedroht hat, wenn sie nicht mit einer Reduzierung ihrer Forderungen um 35 % einverstanden seien, müsse die Schuldnerin "schließen" und "Konkurs" anmelden. Nicht vorgetragen ist -was Sache des Beklagten gewesen wäre -, daß sich bis zu dem Tage im Dezember 1999, an dem der Beklagte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hat, eine der Schuldnerin nachteilige Entwicklung ergeben hat, die nicht bereits am 9. September 1999 abgeschlossen oder zumindest deutlich erkennbar war.

b) Auf der Passivseite war damit zu rechnen, daß zu den Verbindlichkeiten, die nach der Berechnung des Berufungsgerichts zu einer Unterdeckung von 9,2 % geführt haben, zumindest noch eine solche gegenüber SW. hinzukommen würde. Deren Rechnungen hatte die Schuldnerin in ihrer Summenund Saldenliste per 31. August 1999 berücksichtigt. In der an den Mitgesellschafter B. gerichteten Prüfbitte vom 14. September 1999 hatte der Beklagte vorgesehen, daß etwa noch verfügbare Mittel im Verhältnis 2/3 zu 1/3 auf SW. und S. aufgeteilt werden sollten. Noch im Januar 2000 -also nach dem von ihm gestellten Insolvenzantrag, der angeblich durch die schlechte Arbeit der Subunternehmer verursacht sein soll -hat der Beklagte erklärt, die Forderungen der SW. seien wenigstens in Höhe von 350.000 DM berechtigt. Der Kläger hat die Forderungen der SW. in Höhe von über 800.000 DM zur Tabelle anerkannt. Ferner war damit zu rechnen, daß auch S. , dessen Rechnungen am 9. September 1999 noch nicht vollständig vorlagen, nicht ohne weiteres auf seine Forderungen verzichten würde. Diese haben inzwischen in Höhe von ca.

953.000 DM Aufnahme in die Tabelle gefunden.

c) Der Kläger hat dargetan, daß auf der Aktivseite in absehbarer Zeit nicht mit erheblichen zusätzlichen Einnahmen zu rechnen war.

Das Berufungsgericht hat mit näherer Begründung ausgeführt, am 9. September 1999 sei nicht zu erwarten gewesen, daß K. den Teilbetrag von 400.000 DM nebst Mehrwertsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt 30. September 1999 zahlen werde. Dies wird von der Revision nicht angegriffen und läßt auch keinen Rechtsfehler erkennen. Daß die Aussichten auf Erhalt des Teilbetrages besser zu beurteilen gewesen seien, wenn der Prognosezeitraum über den 30. September 1999 hinaus erstreckt worden wäre, macht die Revision -zu Recht -nicht geltend.

Der Vortrag des Beklagten, es hätten noch Bestellungen der V.

vom 22. August und 22. September 1999 im Umfang von 1,4 Mio. DM vorgelegen, ist nicht erheblich. Es kann allenfalls vom Abschluß einer Rahmenvereinbarung ausgegangen werden. Ob sich dieser Kontakt durch Abruf bestimmter Leistungen zu einem vergütungspflichtigen Auftrag verdichten würde, war damals nicht abzusehen. Dazu fehlt auch jeder Vortrag.

Die Behauptung des Beklagten, die Schuldnerin habe während der gesamten Zeit zwischen dem 9. September und dem 31. Dezember 1999 ihre Konten durchgängig im Haben geführt, die Einzahlungen hätten die Auszahlungen überstiegen und es seien nie irgendwelche Bankdarlehen in Anspruch genommen worden, besagt nichts über eine objektiv begründete Aussicht, die fehlende Liquidität durch zusätzliche Geldmittel wiederzugewinnen. Der Beklagte hat nicht dargelegt, daß er sich um Kredite bemüht habe, bevor er Insolvenzantrag gestellt hat. Dies läßt vermuten, daß er nach der selbst als "desaströs" eingeschätzten Abwicklung des Auftrags der K. von Kreditunwürdigkeit ausgegangen ist.

Nicht substantiiert dargelegt hat der Beklagte, der Vergleichsschluß habe für die Schuldnerin einen Vorsteuererstattungsanspruch in Höhe von 345.000 DM begründet. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn die Schuldnerin vor dem Vergleichsschluß nicht nur offene Forderungen gegen K. in Höhe von ca. 4 Mio. DM gebucht, sondern darauf auch bereits Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt gehabt hätte. Dies hat der Beklagte selbst nicht behauptet.

Fischer

Ganter

Nekovi

Vill

Lohmann

10
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hängt aber die Feststellung einer Überschuldung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit dem Neugläubiger nicht zwingend davon ab, dass für diesen konkreten (unterjährigen ) Zeitpunkt aufgrund der noch verfügbaren Geschäftsunterlagen eine Überschuldungsbilanz aufgestellt werden kann. Ist die Insolvenzreife für einen früheren Zeitpunkt bewiesen, so gilt der Nachweis der im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses noch andauernden Verletzung der Insolvenzantragspflicht (Dauerdelikt ) jedenfalls bei relativ zeitnah erteilten Aufträgen als geführt, sofern der beklagte Geschäftsführer nicht seinerseits darlegt, dass im Zeitpunkt der Auftragserteilung die Überschuldung nachhaltig beseitigt und damit die Antragspflicht - wieder - entfallen war (BGH, Versäumnisurteil vom 12. März 2007 - II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 15; Beschluss vom 28. April 2008 - II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rn. 8). Dieser zeitliche Zusammenhang ist im Streitfall gewahrt. Der Zeitraum zwischen dem 31. Dezember 1996, zu dem nach dem vorgelegten Sachverständigengutachten eine Überschuldung vorgelegen haben soll, und den nachfolgenden, der Klageforderung zugrunde geleg- ten Geschäftsabschlüssen beträgt lediglich bis zu neun Monaten (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. März 2007 - II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 15).
11
a) Gemäß § 19 Abs. 2 InsO aF liegt eine Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Aus dem Aufbau des § 19 Abs. 2 InsO aF folgt ohne weiteres, dass die Überschuldungsprüfung nach Liquidationswerten in Satz 1 den Regelfall und die nach Fortführungswerten in Satz 2, der eine positive Fortführungsprognose voraussetzt, den Ausnahmefall darstellt. Im Haftungsprozess wegen verbotener Zahlungen nach § 64 Abs. 2 GmbHG aF hat die Geschäftsleitung daher die Umstände darzulegen und notfalls zu beweisen, aus denen sich eine günstige Prognose für den fraglichen Zeitraum ergibt (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2006 - II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171 Rn. 3; zur Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG aF vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 11).

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 11 für Handelssachen, vom 17. Januar 2017, Geschäfts-Nr. 411 HKO 112/15, wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

2

Ergänzend hierzu wird festgestellt:

3

Der Kläger ist gemäß Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 18. September 2012 (Anlage K 1) Insolvenzverwalter über das Vermögen der P-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Er nimmt den Beklagten auf die Erstattung von Zahlungen in Anspruch, die seitens der Schuldnerin nach dem Eintritt der von ihm behaupteten Überschuldung der Schuldnerin geleistet worden sind.

4

Der Beklagte ist seit Gründung der über ein Stammkapital von € 25.000,00 verfügenden Schuldnerin deren alleiniger Geschäftsführer. Geschäftsgegenstand der Schuldnerin, deren alleinige Gesellschafterin die Ehefrau des Beklagten ist, war die Erbringung von Dienstleistungen und Beratungsleistungen für Call-Center einschließlich der Schulung von Call-Center-Mitarbeitern.

5

Der am 18. Januar 2012 aufgestellte Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31. Dezember 2010 (Anlage K 4) weist ein handelsbilanzielles Eigenkapital der Schuldnerin in Höhe von noch € 23.498,34 aus. Ausweislich dieser Bilanz und der zugehörigen Gewinn- und Verlustrechnung erwirtschaftete die Schuldnerin im Jahr 2010 einen Jahresfehlbetrag in Höhe von € 20.910,96. Ausweislich der am 4. Januar 2012 erstellten betriebswirtschaftlichen Auswertung der Schuldnerin für Dezember 2011 (Anlage K 5) erwirtschaftete die Schuldnerin in diesem Geschäftsjahr einen weiteren Fehlbetrag in Höhe von € 118.043,88.

6

Im Zeitraum vom 2. Januar bis zum 30. Juni 2012 leistete die Schuldnerin von dem von ihr durchgehend im Guthaben geführten Geschäftskonto bei der ...bank AG insgesamt Zahlungen in Höhe von insgesamt € 239.278,20, wobei diese Zahlungen im Umfang von € 35.091,04 auf Steuerverbindlichkeiten der Schuldnerin und die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung entfielen.

7

Seit Februar 2012 verzichteten der Beklagte und seine bei der Schuldnerin beschäftigte Ehefrau auf die laufenden Gehaltszahlungen in monatlicher Höhe von zusammen € 5.000,00. Am 10. Juli 2012 stellte der Beklagte für die Schuldnerin einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Anlage K 3), den er mit der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin begründete. Diesem Insolvenzantrag war unter anderem die betriebswirtschaftliche Auswertung der Schuldnerin für Dezember 2011 (Anlagen K 5, K 14 und K 17) beigefügt. Im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung war der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin bereits zum Erliegen gekommen, es gab weder laufende Beratungsaufträge noch sonstige kurzfristig beginnende Aufträge.

8

In einem Rechtsstreit der Schuldnerin gegen die V. erging zu Gunsten der Schuldnerin am 13. August 2012 eine Verurteilung in Höhe eines Teilbetrags von € 20.706,00 (Anlage B 2). Die Klage der Schuldnerin wurde nach zwischenzeitlicher Aufnahme des Rechtsstreits durch den Kläger allerdings im Berufungsrechtszug mit Urteil vom 14. August 2015 (Anlage K 12) abgewiesen.

9

Mit Schreiben vom 9. Februar 2015 (Anlage K 6) forderte der Kläger den Beklagten im Hinblick auf die bereits zum Jahresende 2011 eingetretene Überschuldung der Schuldnerin im Umfang von € 204.187,16 zur Erstattung der in der Zeit von Januar bis Juni 2012 seitens der Schuldnerin geleisteten Zahlungen auf. Mit Schreiben vom 8. April 2015 übersandte der Beklagte dem Kläger daraufhin einen korrigierten Jahresabschluss der Schuldnerin für 2010 (Anlage K 7), der nunmehr ein handelsbilanzielles Eigenkapital in Höhe von € 58.678,34 und einen Jahresüberschuss in Höhe von € 14.269,04 auswies. Ferner übersandte der Beklagte dem Kläger einen Jahresabschluss zum 31. Dezember 2011 (Anlage K 8), der bei einem Jahresfehlbetrag in Höhe von € 17.410,36 ein handelsbilanzielles Eigenkapital der Schuldnerin in Höhe von noch € 41.267,98 auswies.

10

Der Kläger hat daraufhin am 16. Dezember 2015 gegen den Beklagten Klage erhoben.

11

Der Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei spätestens seit dem 31. Dezember 2011 insolvenzrechtlich überschuldet gewesen. Die in dem vom Beklagten auf den 31. Dezember 2011 erstellten Jahresabschluss ausgewiesenen Aktiva der Schuldnerin seien im Rahmen eines Überschuldungsstatus nach Liquidationswerten in erheblichem Umfang zu korrigieren:

12

Nicht anzusetzen seien insoweit in Höhe von € 50.983,78 ausgewiesene „Immaterielle Vermögenswerte“, denen, was als solches unstreitig gewesen ist, ein E-Learning-Programm zur Weiterbildung von Call-Center-Mitarbeitern zu Grunde liege. Dieses Programm sei in einer fremden EDV-Struktur nicht nutzbar und deshalb auch im Rahmen einer außergerichtlichen Liquidation nicht verwertbar. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens habe sich hierfür kein Interessent gefunden, auch der weiterhin in der betreffenden Branche tätige Beklagte habe, was als solches ebenfalls unstreitig gewesen ist, kein Interesse an einer Übernahme dieses Programms gehabt, in der Vermögensübersicht zu dem Insolvenzantrag vom 10. Juli 2012 (Anlage K 26) habe der Beklagte, auch dies ist unstreitig gewesen, insoweit auch zu Recht keinen Vermögenswert in Ansatz gebracht.

13

Darüber hinaus sei auch der mit € 57.218,00 ausgewiesene Aktivposten 523 im Kontennachweis zur Bilanz der Schuldnerin zum 31. Dezember 2011 (Anlage K 14) um € 12.218,00 zu reduzieren. Bei diesem Aktivposten habe es sich, was wiederum unstreitig gewesen ist, um einen PKW der Marke Range Rover gehandelt, der nach den gleichfalls unstreitig eigenen Angaben des Beklagten in der Vermögensübersicht zum Insolvenzantrag lediglich einen Zeitwert von € 45.000,00 gehabt habe. Der Liquidationswert per 31. Dezember 2011 habe diesen Wert nicht überstiegen, was umso mehr deshalb gelte, weil das Fahrzeug aufgrund einer unstreitig erfolgten Sicherungsübereignung gar nicht mehr frei veräußerbar gewesen sei.

14

Ferner sei auch die mit € 41.126,40 im Aktivposten 1210 des Kontennachweises zur Bilanz zum 31. Dezember 2011 (Anlage K 8) als „Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ohne Kontokorrent“ ausgewiesene Forderung der Schuldnerin gegen die V. mit € 0,00 anzusetzen, da diese Forderung ausweislich des Berufungsurteils vom 14. August 2015 nicht bestanden habe. Auch insoweit gelte, dass der Beklagte, was erneut unstreitig gewesen ist, diese Forderung in der dem Insolvenzantrag beigefügten Summen- und Saldenliste per 31. Dezember 2011 (Anlage K 17) ebenfalls bereits bis auf einen Erinnerungswert von € 1,00 abgewertet und offenbar selbst nicht mehr mit deren Durchsetzbarkeit gerechnet habe.

15

Stille Reserven seien bei der Schuldnerin im Übrigen nicht vorhanden gewesen.

16

Der Kläger hat außerdem behauptet, es seien im Rahmen der Überschuldungsbilanz in Höhe von € 45.000,00 zusätzliche Passiva als Drohverlustrückstellung für die fiktiven Kosten einer außergerichtlichen Liquidation anzusetzen. Es sei insoweit der Aufwand aus der Beendigung von Dauerschuldverhältnissen, mithin Kündigungslöhne und Mietaufwand für die Zeit zwischen Einstellung des werbenden Geschäftsbetriebs und der rechtlichen Beendigung des Mietverhältnisses, zu berücksichtigen. Der Personalaufwand der Schuldnerin habe, dies ist unstreitig gewesen, im Jahr 2011 rund € 145.000,00 betragen, während sich die Mietzahlungen ebenfalls unstreitig auf etwa € 36.000,00 belaufen hätten. Unter Zugrundelegung von im Umfang von 25 Prozent unproduktiven Auslaufkosten, denen keine ausgleichenden Erträge mehr gegenüberstünden, erhöhe sich die rechnerische Überschuldung der Schuldnerin hiernach um weitere € 45.000,00.

17

Der Kläger hat beantragt,

18

den Beklagten zu verurteilen, an ihn € 204.187,16 nebst Zinsen auf diesen Betrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Eintritt der Rechtshängigkeit zu zahlen.

19

Der Beklagte hat beantragt,

20

die Klage abzuweisen,

21

hilfsweise,

22

festzustellen, dass er mit Zahlung und in Höhe einer Zahlung der Klageforderung Insolvenzforderung erwirkt.

23

Der Beklagte hat gemeint, es sei bei der Prüfung der Überschuldung der Schuldnerin nicht von Liquidationswerten, sondern von Fortführungswerten auszugehen. In diesem Zusammenhang hat der Beklagte behauptet, dass es intensive Bemühungen um die Sanierung der Schuldnerin gegeben habe, namentlich sei von Februar bis Juli 2012 aussichtsreich und ernsthaft über einen Verkauf der Schuldnerin an die H-Akademie verhandelt worden.

24

Im Übrigen sei das in Rede stehende E-Learning-Programm in der Handelsbilanz zum 31. Dezember 2011 zu Recht mit € 50.983,78 aktiviert worden, tatsächlich seien die entsprechenden Lernmodule sogar erheblich mehr wert gewesen, was schon daraus folge, dass die H-Akademie Anfang 2012 bereit gewesen sei, hierfür € 250.000,00 zu zahlen.

25

Auch die Bewertung des PKW Range Rover sei mit € 57.218,00 zutreffend erfolgt, per 31. Dezember 2011 habe es für eine Abschreibung noch keinen Anlass gegeben. Das Fahrzeug sei nämlich, was als solches unstreitig gewesen ist, überhaupt erst Anfang 2012 ausgeliefert worden. Soweit er im Rahmen des Insolvenzantrags im Juli 2012 einen geringeren Fahrzeugwert in Ansatz gebracht habe, gründe dies auf der Laufleistung von bis dahin 10.000 km sowie auf einem zwischenzeitlich eingetretenen Blechschaden. Eine Weiterveräußerung des Fahrzeugs zu Anschaffungskosten hätte zu keinem Zeitpunkt Schwierigkeiten bereitet, da, was als solches gleichfalls unstreitig gewesen ist, zum Zeitpunkt der Anschaffung eine Warteliste von neun Monaten für die Bestellung eines derartigen Fahrzeugs bestanden habe.

26

Der Beklagte hat ferner behauptet, dass entgegen dem Vorbringen des Klägers in einem Umfang von € 3.000,00 stille Reserven der Schuldnerin zu berücksichtigen gewesen seien, da der mit einem Wert von € 8.000,00 in der Bilanz zum 31. Dezember 2011 ausgewiesene weitere PKW VW Polo tatsächlich einen Wert von € 11.000,00 gehabt habe. Darüber hinaus sei die Bilanz der Schuldnerin auch in dem Umfang um stille Reserven aufzuhellen, in dem der Kläger bilanzierte Verbindlichkeiten der Schuldnerin im Rahmen des Insolvenzverfahrens gegenüber den Insolvenzgläubigern bestritten habe.

27

Entgegen der Auffassung des Klägers habe auch die gegenüber der V. geltend gemachte Forderung in der Handelsbilanz der Schuldnerin aktiviert werden dürfen. Hierfür spreche schon, dass neben dem Landgericht auch der seinerzeitige Prozessbevollmächtigte der Schuldnerin sowie auch der den Rechtsstreit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufnehmende Kläger der Auffassung gewesen seien, dass der betreffende Anspruch zumindest zum Teil bestanden habe. Dass der Rechtsstreit im Berufungsverfahren gleichwohl verloren worden sei, sei lediglich auf die unzulängliche Prozessführung des Klägers zurückzuführen. Im Übrigen sei auch im Falle der Abwertung der gegen die V. verfolgten Forderung jedenfalls ein Umsatzsteuererstattungsanspruch der Schuldnerin in Höhe von 19 Prozent des Forderungsbetrags zu aktivieren.

28

Jedenfalls habe er, der Beklagte, eine etwaige Überschuldung der Schuldnerin nicht erkennen können. Es habe insoweit um die Jahreswende 2011/2012 mit der Steuerberaterin der Schuldnerin Einvernehmen bestanden, dass die Anschaffung und Entwicklung der Lernmodule zu aktivieren sei. Da die Bilanz für das Jahr 2011 erst bis zum 31. Mai 2012 habe erstellt werden müssen, habe er bis dahin auch keine etwaige Überschuldung kennen müssen.

29

Ohnehin seien, so hat der Beklagte weiter geltend gemacht, die klagegegenständlichen Zahlungen auch zumindest insoweit kaufmännisch vertretbar gewesen, als die hierin jeweils enthaltene Umsatzsteuer vom Finanzamt verrechnet bzw. erstattet worden sei. Zudem hätten die Zahlungen an die für die Schuldnerin tätig gewesenen Referenten und auch die Mietzahlungen für Seminarräume schon deshalb zu keinerlei Benachteiligung der Schuldnerin geführt, weil diese Kosten jeweils deutlich niedriger gewesen seien als die aus den betreffenden Seminaren für die Schuldnerin erzielten Umsätze.

30

Darüber hinaus hat der Beklagte gegenüber der Klageforderung in Höhe von € 115.852,00 die Aufrechnung mit Mietforderungen als Vermieter der Betriebsräume der Schuldnerin in monatlicher Höhe von € 2.633,00 erklärt, die ihm für die Zeit seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis Mai 2016 deshalb zustünden, weil eine vollständige Räumung der Betriebsräume auch nach der seitens des Klägers zum 31. Dezember 2012 ausgesprochenen Kündigung nicht erfolgt sei.

31

Mit Urteil vom 17. Januar 2017 hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme das Landgericht den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Schuldnerin zur Zeit der streitgegenständlichen Zahlungen bereits überschuldet gewesen sei. Eine positive Fortführungsprognose sei jedenfalls ab dem 1. Januar 2012 nicht mehr zu Grunde zu legen gewesen, weil weder subjektiv der Wille zur Unternehmensfortführung bestanden habe noch objektive Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass sich das Unternehmen mit auskömmlichen Umsätzen künftig positiv entwickeln werde. Ausgangspunkt der nach Liquidationswerten zu beurteilenden Überschuldungsbilanz sei die Handelsbilanz der Schuldnerin per 31. Dezember 2011, der zufolge ein positives Eigenkapital in Höhe von € 41.267,98 bestanden habe. Dieser Wert sei mit Blick auf die für die Überschuldungsbilanz maßgeblichen Liquidationswerte zu berichtigen gewesen. Es ergebe sich im Hinblick auf die folgenden Posten eine Überschuldung in Höhe von € 53.642,20: Die Lernmodule seien in der Überschuldungsbilanz mit einem Liquidationswert von € 0,00 anzusetzen. Der Beklagte habe nicht belegen können, dass die Lernmodule im Wege der Liquidation auf einem entsprechenden Markt für derartige Produkte Abnehmer gefunden hätten. Die darüber durchgeführte Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen F. habe einen vom Beklagten für Anfang 2012 vorgetragenen Marktwert von € 50.983,78, wenn nicht gar € 250.000,00, nicht bestätigt. Hinsichtlich des PKW Range Rover sei von einem merkantilen Minderwert infolge der Erstzulassung im Dezember 2011 auszugehen, den das Gericht im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO mit mindestens € 2.800,00, entsprechend fünf Prozent des Anschaffungswerts von € 56.218,49, bemesse. Die Forderungen gegen die V. seien in der Handelsbilanz der Schuldnerin zu Unrecht aktiviert worden und hätten auch in der Überschuldungsbilanz außer Betracht zu bleiben, da die Forderung seitens der V. vollen Umfangs bestritten worden und Gegenstand eines laufenden Rechtsstreits gewesen sei, der am Ende gegen die Schuldnerin ausgegangen sei. Das mit dem Vorsichtsprinzip verbundene Realisationsprinzip erfordere, dass nur hinreichend sichere Ansprüche in der Bilanz ausgewiesen werden dürften. Hinsichtlich des PKW VW Polo seien stille Reserven nicht zu aktivieren gewesen, da tatsächliche Anhaltspunkte für einen den in der Handelsbilanz ausgewiesenen Betrag übersteigenden Wert vom Beklagten nicht vorgetragen seien. Substanziierter Vortrag des Beklagten zu weiteren stillen Reserven liege nicht vor. Das für die Haftung gemäß § 64 GmbHG erforderliche Verschulden des Beklagten sei gegeben. Der Beklagte habe sich nicht entlasten können. Substanziierter Vortrag des Beklagten zu einer Ausnahme von der Erstattungspflicht nach § 64 Satz 2 GmbHG liege nicht vor. Auch die Aufrechnung des Beklagten führe nicht zum Erfolg. Aufgrund der Kündigung des Klägers kämen von vornherein allenfalls Mieten für die Zeit ab Insolvenzeröffnung am 18. September 2012 bis zum 31. Dezember 2012 in Betracht. Vor dem Hintergrund der unstreitigen Korrespondenz der Parteien sei der Vortrag des Beklagten, der Kläger müsse auch für die Zeit danach Miete zahlen, weil er die Räume nicht vom Inventar der Schuldnerin geräumt habe, unsubstanziiert. Der letzte Stand der diesbezüglichen Korrespondenz der Parteien sei vielmehr gewesen, dass alles Inventar durch den Beklagten entsorgt werde und lediglich die Geschäftsunterlagen der letzten beiden Jahre vom Kläger abgeholt würden. Die übrigen Geschäftsunterlagen unterfielen der gemäß § 74 Abs. 2 GmbHG gesetzlichen Aufbewahrungspflicht des Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin. Hinsichtlich der Mietforderungen vom 18. September bis zum 31. Dezember 2012 bestehe für den Beklagten als Massegläubiger ein Aufrechnungsverbot. Infolge der Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Kläger greife gemäß § 210 InsO das Vollstreckungsverbot hinsichtlich Masseverbindlichkeiten ein. Das Aufrechnungsverbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei sinngemäß anzuwenden.

32

Gegen dieses ihm am 18. Januar 2017 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 7. Februar 2017 Berufung eingelegt, die er nach Fristverlängerung bis zum 18. April 2017 mit an diesem Tag eingegangener Berufungsbegründung begründet hat.

33

Der Beklagte hält daran fest, dass sich aus der für die Überschuldungsprüfung maßgeblichen Handelsbilanz per 31. Dezember 2011 keine Überschuldung der Schuldnerin ergebe. Eine Insolvenzbilanz sei nur bei Insolvenzreife aufzustellen. Im Übrigen sei der Kläger für die Überschuldung der Schuldnerin beweis- und substanziierungspflichtig und habe insoweit nicht substanziiert vorgetragen. Es fehlten Darlegungen zu Verwertungsbemühungen des Klägers hinsichtlich der Lernmodule. Ferner seien die Ausführungen des Landgerichts zur Insolvenzbilanz falsch. Die Prüfung für die Insolvenzbilanz erfolge in einer zweistufigen Reihenfolge. Zunächst sei die Überschuldung zu ermitteln, falls diese vorliege, könne ausnahmsweise bei positiver Fortführungsprognose die Insolvenzreife fehlen. Hinsichtlich des PKW Range Rover rügt der Beklagte, bei der durch das Landgericht vorgenommenen Abwertung habe das Landgericht übersehen, dass bereits eine Monatsabschreibung in Höhe von € 970,25 vorgenommen worden sei. Hinsichtlich des PKW VW Polo habe das Gericht schätzen können, dass dieser wegen geringerer Laufleistung und jüngeren Alters sieben Monate vor Insolvenzantragstellung noch deutlich wertvoller gewesen sei. Bezüglich der Forderung in Höhe von € 41.126,40 gegen die V., die ihm seitens der Schuldnerin im Übrigen bereits vor dem Beginn des Rechtsstreits gegen die V. sicherungshalber abgetreten worden sei, habe das Landgericht das Vorliegen eines Verschuldens nicht geprüft. Verschulden entfalle insoweit, weil hier drei Volljuristen - der Prozessbevollmächtigte des Klägers, das Landgericht und der Kläger selbst - den Anspruch für begründet gehalten hätten. Bezüglich der Lernmodule beruft der Beklagte sich neben seinem erstinstanzlichen Vorbringen darauf, dass nach Insolvenzeröffnung ein Herr B. bereit gewesen sei, die Module zu erwerben und dafür einen sechsstelligen Preis zu zahlen. Es sei im Übrigen Aufgabe des Klägers gewesen, nach Interessenten zu suchen. Soweit der Kläger und das Landgericht der Auffassung seien, dass der Beklagte kein Interesse am Erwerb bekundet habe, sei dies auch nicht seine Aufgabe. In den Berichten an das Insolvenzgericht schreibe der Kläger, dass er sich an den Beklagten habe wenden und einen Verkauf an ihn versuchen wolle. Dies sei bislang nicht geschehen. Ferner komme eine Passvierung von Lohnkosten nicht infrage, da den Lohnverpflichtungen Ansprüche gegen die Arbeitnehmer auf Erfüllung der Arbeitsleistung entgegenstünden. Diese Leistungen seien gleichwertig. Die Passivierung von Lohnkosten sei zudem zirkelschlüssig, da diese nur vorzunehmen sei, wenn es aufgrund Überschuldung zu einer Betriebseinstellung komme. Die Frage der Überschuldung solle aber gerade geprüft werden.

34

Weiterhin ist der Beklagte der Auffassung, dass das Landgericht die Aufrechnung mit Mietzinsforderungen zu Unrecht zurückgewiesen habe. In diesem Zusammenhang behauptet der Beklagte, der Kläger habe ungeachtet der Kündigung der Geschäftsräume der Schuldnerin darauf gedrängt, dass das dort vorhandene Inventar der Schuldnerin stehen bleibe, damit es durch den Kläger verwertet werden könne, dementsprechend habe das Mietverhältnis auch noch über den Kündigungszeitpunkt am 31. Dezember 2012 hinaus fortbestanden.

35

Der Beklagte beantragt,

36

das Urteil des Landgerichts Hamburg, Az. 411 HKO 112/15 vom 18. Januar 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

37

Der Kläger beantragt,

38

die Berufung zurückzuweisen.

39

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Das Landgericht habe die mit € 53.642,20 angenommene Überschuldung der Schuldnerin zutreffend aus den unter dem Gesichtspunkt der Liquidationsprämisse vorzunehmenden Wertberichtigungen der in der Handelsbilanz der Schuldnerin ausgewiesenen Aktiva hergeleitet.

40

Die Überschuldung der Schuldnerin sei für den Beklagten auch zumindest erkennbar gewesen, was sich schon aus der zunächst am 18. Januar 2012 erstellten Bilanz der Schuldnerin für 2010 und der einen Jahresverlust von mehr als € 118.000,00 ausweisenden betriebswirtschaftlichen Auswertungen für 2011 ergebe. Die seitens des Beklagten aufgrund der außergerichtlichen Geltendmachung der Klageforderung erst im Nachhinein im März 2015 erstellte korrigierte Bilanz für 2011 könne den Beklagten in diesem Zusammenhang von vornherein nicht entlasten.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist unbegründet.

42

1. Das Landgericht hat den Beklagten mit dem angefochtenen Urteil zu Recht und aufgrund zutreffender Erwägungen in Höhe von € 204.187,16 nebst Zinsen zur Zahlung an den Kläger verurteilt.

43

Die Klageforderung steht dem Kläger gemäß § 64 Satz 1 GmbHG zu, weil die Schuldnerin bei Vornahme der streitgegenständlichen Zahlungen überschuldet gewesen ist und diese Zahlungen auch nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar gewesen sind. Die Klageforderung ist darüber hinaus auch nicht durch die seitens des Beklagten erklärte Hilfsaufrechnung erloschen.

44

a) Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Voraussetzungen sind danach die bilanzielle Überschuldung und eine negative Fortführungsprognose, wobei § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO keine Prüfungsreihenfolge dieser Voraussetzungen vorschreibt. Für die Überschuldungsbilanz sind nach § 19 Abs. 2 InsO in der seit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz 2008 geltenden Fassung stets Liquidationswerte maßgeblich. Ergibt sich danach eine rechnerische Überschuldung, liegt eine Überschuldung im Sinne von § 19 InsO nach § 19 Abs. 2 Satz 1, Halbsatz 2 InsO gleichwohl nicht vor, wenn eine Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist. Anderenfalls steht auch insolvenzrechtlich die Überschuldung fest.

45

aa) Eine positive Fortführungsprognose, für die im Anwendungsbereich des § 64 Satz 1 GmbHG der Geschäftsführer darlegungs- und beweispflichtig ist (BGH, Urt. v. 18. Oktober 2010 - II ZR 151/09 -, ZIP 2010, 2400 ff., juris Rn. 11), setzt grundsätzlich voraus, dass der Geschäftsführer davon ausgehen darf, dass das Unternehmen trotz der wirtschaftlichen Krise nach dem Willen der Gesellschafter fortgeführt werden soll und dass die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten jedenfalls in der nächsten Zeit, im Allgemeinen mindestens bis zum Ende des laufenden und des folgenden Geschäftsjahrs, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wird erfüllen können. Die Fortführungsprognose ist danach im Kern eine Zahlungsfähigkeitsprognose, die einer nachvollziehbaren Vermögens-, Finanz- und Ertragsplanung bedarf (BGH, a.a.O., Rn. 13; Beschl. v. 9. Oktober 2006 - II ZR 303/05 -, ZIP 2006, 2171, juris Rn. 3).

46

Gemessen hieran liegen ausreichende Darlegungen des Beklagten nicht vor. Im Geschäftsjahr 2011 der Schuldnerin wurde auch auf der Grundlage des eigenen Vorbringens des Beklagten ein Fehlbetrag in Höhe von mindestens € 17.410,36 erwirtschaftet. Dem auch insoweit eigenen Vorbringen des Beklagten zufolge, wonach Anfang 2012 Verkaufsverhandlungen mit der H-Akademie hinsichtlich Software und Lernprogrammen stattgefunden hätten, ging der Beklagte tatsächlich nicht mehr von einem Fortführungswillen der Alleingesellschafterin der Schuldnerin aus und durfte er hiervon auch nicht ausgehen. Aus der Durchführung der in Rede stehenden Verkaufsverhandlungen folgte nämlich, dass der für das Unternehmen der Schuldnerin wesentliche Teil der Software und der Lernprogramme veräußert werden sollte, was der Fortführung des Unternehmens von vornherein entgegengestanden hätte. Auch im Übrigen sind objektive Anhaltspunkte für eine mögliche positive Entwicklung der Schuldnerin seit Anfang 2012 nicht vorgetragen. Damit fehlte es insbesondere an einer belastbaren Planung dazu, wie die ausweislich der vom Beklagten eingereichten Bilanz der Schuldnerin zum 31. Dezember 2011 (Anlage K 8) im Jahr 2011 im Umfang von € 48.000,00 und weiteren € 35.641,00 neu aufgenommenen Verbindlichkeiten der Schuldnerin absehbar hätten zurückgeführt werden können. Unstreitig ist zudem, dass der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin bereits geraume Zeit vor der Insolvenzantragstellung am 10. Juli 2012 vollständig zum Erliegen gekommen war und es weder laufende Beratungsaufträge noch sonstige kurzfristig beginnende Aufträge mehr gab.

47

bb) Die Schuldnerin war seit dem Jahresende 2011 auch rechnerisch überschuldet.

48

In diesem Zusammenhang gilt, dass der Kläger die haftungsbegründend geltend gemachte Überschuldung der Schuldnerin unter Bezugnahme auf deren am 18. Januar 2012 aufgestellten Jahresabschluss zum 31. Dezember 2010 (Anlage K 4) sowie die betriebswirtschaftliche Auswertung der Schuldnerin für das Geschäftsjahr 2011 (Anlage K 5) ausreichend dargelegt hat. Der Handelsbilanz der Schuldnerin kommt für die Beurteilung der Überschuldung zwar nur eine indizielle Bedeutung zu (BGH, Urt. v. 19. November 2013 - II ZR 229/11 -, ZIP 2014, 168 ff., juris Rn. 17), gleichwohl genügt der klagende Insolvenzverwalter der ihm obliegenden Darlegung mit dem Verweis auf einen ausweislich der Handelsbilanz nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag und die weitere Darlegung, dass im Vermögen der Schuldnerin stille Reserven nicht vorhanden sind, wohingegen sodann der beklagte Geschäftsführer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vorzutragen hat, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind (BGH, a.a.O., Rn. 18).

49

Ausgehend hiervon reicht der Verweis des Klägers auf das handelsbilanzielle Eigenkapital der Schuldnerin per 31. Dezember 2010 von € 23.498,34 und den im Geschäftsjahr 2011 in Höhe von € 118.043,88 erwirtschafteten Jahresfehlbetrag für die Darlegung eines per Jahresende 2011 nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags und damit für die schlüssige Darlegung der rechnerischen Überschuldung der Schuldnerin aus. Der Kläger ist in diesem Zusammenhang auch nicht etwa gehalten, der von ihm auf die Handelsbilanz der Schuldnerin gestützten Darlegung der Überschuldung die seitens des Beklagten erst im März 2015 nachgereichten Jahresabschlüsse der Schuldnerin per 31. Dezember 2010 (Anlage K 7) und per 31. Dezember 2011 (Anlage K 8) zu Grunde zu legen. Die entsprechenden Zahlenwerke sind seitens des Beklagten unstreitig erst unter dem Eindruck seiner zunächst außergerichtlichen Inanspruchnahme durch den Kläger erstellt worden. Abgesehen davon, dass schon nicht ersichtlich ist, dass die entsprechenden Jahresabschlüsse durch Beschlussfassung gemäß § 46 Nr. 1 GmbHG überhaupt noch irgendeine Verbindlichkeit erlangt hätten, kommt es insbesondere auch nicht in Betracht, die höchstrichterlich entwickelten Darlegungserleichterungen für den klagenden Insolvenzverwalter dadurch zu unterlaufen, dass dem beklagten Geschäftsführer die Möglichkeit eröffnet würde, jederzeit einen nach seinen Vorstellungen korrigierten Jahresabschluss in den Rechtsstreit einzuführen und sich hierdurch seiner sekundären Darlegungslast für Wertaufhellungen gegenüber dem zunächst festgestellten Jahresabschluss zu entziehen.

50

Insofern hiernach dem Beklagten die Darlegungslast für gegenüber dem Jahresabschluss der Schuldnerin per 31. Dezember 2010 und dessen Fortschreibung aufgrund der betriebswirtschaftlichen Auswertung für das Geschäftsjahr 2011 abweichend geringere Passiva oder abweichend höhere Aktiva der Schuldnerin zum Stichtag 31. Dezember 2011 obliegt, liegen ausreichende Darlegungen des Beklagten zu den insoweit zwischen den Parteien maßgeblich streitigen Bilanzansätzen nicht vor:

51

(1) Hinsichtlich der durch die Schuldnerin entwickelten Lernmodule behauptet der Beklagte, diese hätten - entgegen den eigenen Angaben des Beklagten in der dem Insolvenzantrag vom 10. Juli 2012 beigefügten Vermögensübersicht (Anlage K 26) - tatsächlich einen Wert von mindestens € 50.900,00 gehabt, die H-Akademie sei Anfang 2012 sogar bereit gewesen, für diese Module mindestens € 250.000,00 zu zahlen. Ein Preis in dieser Höhe sei auch deshalb angemessen gewesen, weil die Herstellungskosten solcher Module in der Branche auf € 20.000,00 pro Modul geschätzt würden und in dieser Höhe auch für die H-Akademie anfielen.

52

Der Behauptung, die H-Akademie sei Anfang 2012 bereit gewesen, die Module für € 250.000,00 zu kaufen, ist das Landgericht auf Antrag des Beklagten durch Vernehmung des Zeugen F. nachgegangen, ohne dass diese Behauptung sich in der Beweisaufnahme bestätigt hätte. Der diesbezüglichen Beweiswürdigung des Landgerichts ist der Beklagte mit der Berufung nicht entgegengetreten.

53

Dem übrigen Vorbringen des Beklagten zu der angeblichen Werthaltigkeit der in Rede stehenden Lernmodule lässt sich weder nachvollziehbar entnehmen, wie der Beklagte zu dem für zutreffend gehaltenen Wertansatz von € 50.900,00 gelangt ist, noch hat der Beklagte zu anderweitig konkret bestehenden Verwertungsmöglichkeiten vorgetragen. Aus dem Vorbringen des Beklagten bereits mit der Klageerwiderung ergibt sich lediglich, dass insoweit Fremdkosten aktiviert worden sein sollen, die für die Bezahlung von Toningenieuren, Sprechern und Kameraleuten angefallen seien. Inwiefern die in dieser Höhe aktivierten Aufwendungen der Schuldnerin zugleich einen marktgerechten Liquidationswert der Lernmodule sollten abbilden können, erschließt sich allerdings nicht. Darüber hinaus beschränken sich die Darlegungen des Beklagten darauf, dass die Schuldnerin mit den fraglichen Modulen in den Jahren 2010 und 2011 Umsätze von insgesamt über € 130.000,00 erzielt habe. Auch dieses Vorbringen reicht für sich genommen aber nicht aus, um die Verwertbarkeit der Lernmodule unter der Prämisse der Liquidation der Schuldnerin substanziiert darzulegen und insofern einen Wertansatz per Jahresende 2011 in Höhe von € 50.900,00 zu rechtfertigen.

54

Soweit der Beklagte darüber hinaus erstmals mit der Berufung vorgetragen hat, ein Herr B. sei bereit gewesen, die Module für einen sechsstelligen Preis zu erwerben, hat der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hierzu persönlich angehörte Beklagte klargestellt, dass es sich hierbei um den angestrebten Verkaufserlös für seine nach der Insolvenz der Schuldnerin im gleichen Geschäftsfeld weiterbetriebene Einzelunternehmung gehandelt habe, die Veräußerung sei infolge der Insolvenz des Erwerbers allerdings nicht zur Durchführung gelangt, ohnehin seien die in die Insolvenzmasse gelangten fraglichen Lernmodule als solche "natürlich nicht" veräußert worden.

55

(2) Der Beklagte wendet gegenüber der auf die Handelsbilanz der Schuldnerin gestützten Darlegung der Überschuldung ferner ein, es seien - auch insoweit entgegen der lediglich Forderungen in Höhe von insgesamt € 892,00 ausweisenden Vermögensübersicht zum Insolvenzantrag (Anlage K 26) und zudem entgegen der Summen- und Saldenliste der Schuldnerin per Dezember 2011 (Anlage K 17, dort Konto 12422) - per Jahresende 2011 Forderungen gegenüber der V. im Nennwert von € 41.126,40 zu aktivieren gewesen.

56

Auch insoweit ist der Auffassung des Beklagten allerdings nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat behauptet hat, die entsprechende Forderung sei bereits vor ihrer gerichtlichen Geltendmachung zur Sicherung an ihn persönlich abgetreten worden, und insofern eine Aktivierung zum Nennwert in der Bilanz der Schuldnerin schon grundsätzlich als zweifelhaft erscheint, kommt die seitens des Beklagten vorgenommene Aktivierung dieser Forderung deshalb nicht in Betracht, weil dies dem Gebot der vorsichtigen Bewertung streitiger Forderungen im Rahmen der Überschuldungsprüfung entgegensteht.

57

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Aktivierung einer Forderung in der Überschuldungsbilanz voraus, dass die Forderung einen realisierbaren Vermögenswert darstellt und durchsetzbar ist (Urt. v. 18. Oktober 2010, a.a.O., Rn. 18). Das Gebot einer vorsichtigen Bewertung streitiger Forderungen im Rahmen der Überschuldungsprüfung wird auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten (OLG Schleswig, Urt. v. 11. Februar 2010 - 5 U 60/09 -, ZIP 2010, 516 ff., juris Rn. 51; Senat, Urt. v. 29. Mai 2009 - 11 U 40/09 -, BeckRS 2009, 25551), es deckt sich im Übrigen auch mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach eine Bilanzierung auch handelsbilanziell nur dann und insoweit zulässig ist, als der Anspruch nicht „ernstlich zweifelhaft“ ist (Urt. v. 23. April 2012 - II ZR 252/10 -, BGHZ 193, 96 ff., juris Rn. 25).

58

Für die im Rahmen der Prüfung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung entsprechende Anwendung der Grundsätze vorsichtiger Bewertung spricht namentlich, dass es im Rahmen der Überschuldungsprüfung gemäß § 19 InsO erst Recht um die realistische Beurteilung der Lebensfähigkeit der Gesellschaft und insofern in erster Linie um den Gläubiger- und Verkehrsschutz geht. Mit Blick hierauf muss eine Überbewertung von Vermögensgegenständen vermieden werden, die eine unzutreffende Verneinung der Insolvenzreife zur Folge hätte. Ziel der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung ist vielmehr eine möglichst realistische Einschätzung des Unternehmenswerts, was insofern im Rahmen des § 19 InsO dazu führt, dass im Falle einer streitigen Forderung auch die reale Möglichkeit eines vollständigen Forderungsausfalls zu berücksichtigen ist. Für eine im Sinne eines prozentualen Abschlags vorzunehmende bloße Wertberichtigung einer bereits dem Grunde nach streitigen Forderung fehlt ohnehin jede praktikable Grundlage, vielmehr kann durch eine derartige Wertberichtigung allenfalls die zweifelhafte wirtschaftliche Durchsetzbarkeit einer Forderung abgebildet werden. Schließlich kann es unter der Zielsetzung des Gläubiger- und Verkehrsschutzes auch nicht allein der eigenen Einschätzung des Geschäftsführers überlassen werden, eine der Sache nach gebotene Wertberichtigung zu quantifizieren und hierdurch quasi über die Insolvenzreife der Gesellschaft zu disponieren.

59

Gemessen hieran kommt die Aktivierung der gegen die V. geltend gemachten Forderung der Schuldnerin nicht in Betracht. Die Forderung war durch die V. in vollem Umfang bestritten und Gegenstand eines laufenden Rechtsstreits, der durch rechtskräftiges Berufungsurteil zu Lasten der Schuldnerin entschieden wurde.

60

In Ansehung der Gründe des die Klage abweisenden Berufungsurteils vom 14. August 2015 (Anlage K 12) ist allerdings ohnehin davon auszugehen, dass der in Rede stehende Anspruch gegenüber der V. zu keinem Zeitpunkt bestanden hat. Das entgegenstehende Vorbringen des Beklagten, der Rechtsstreit sei lediglich aufgrund unzulänglicher Prozessführung nach Aufnahme des Rechtsstreits durch den Kläger verloren gegangen, gibt für eine im vorliegenden Rechtsstreit insoweit inzident vorzunehmende eigenständige Prüfung des Bestehens des gegen die V. geltend gemachten Anspruchs substanziell nichts her. Ohnehin übersieht der Beklagte in diesem Zusammenhang, dass auch der erstinstanzliche Prozesserfolg lediglich zur Ausurteilung eines Anspruchs in Höhe von € 20.706,00 geführt hatte, so dass jedenfalls die Aktivierung mit dem Nominalbetrag der Forderung von € 41.126,40 schlechterdings jeder Grundlage entbehrt hat.

61

(3) Hiernach ergibt sich auch unter Zugrundelegung eines handelsbilanziellen Eigenkapitals der Schuldnerin zum Jahresende 2011 von € 41.267,98, wie der Beklagte dies unter Verweis auf den von ihm erst im Jahr 2015 aufgestellten Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31. Dezember 2011 (Anlage K 8) dargelegt hat, eine Überschuldung der Schuldnerin im Umfang von mindestens € 50.842,20.

62

Auf die zwischen den Parteien ebenfalls streitigen Bilanzansätze zum 31. Dezember 2011 für die beiden im Besitz der Schuldnerin befindlichen Fahrzeuge kommt es nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich an.

63

Substanziierter Vortrag des Beklagten dazu, welche in der Handelsbilanz angesetzten Verbindlichkeiten der Schuldnerin tatsächlich nicht oder nur zu geringeren Werten und welche zusätzlichen Forderungen der Schuldnerin im Zusammenhang mit der erfolglosen Inanspruchnahme der V. gegenüber Subunternehmern der Schuldnerin bestanden haben sollen, liegt gleichfalls nicht vor.

64

In diesem Zusammenhang ist es jedenfalls ohne Bedeutung, ob und welche der Verbindlichkeiten vom Kläger im Rahmen des Insolvenzverfahrens gegenüber den Forderungsanmeldern bestritten wurden. Die Konsequenz der höchstrichterlich entwickelten Darlegungserleichterungen zu Gunsten des klagenden Insolvenzverwalters, der sich für die Darlegung der Überschuldung auf die Handelsbilanz der Gesellschaft stützen kann, ist es ja gerade, dass es in Ansehung der bei Aufstellung des Jahresabschlusses noch für zutreffend gehaltenen Bewertungen dem in Anspruch genommenen Geschäftsführer obliegt, darzulegen, warum im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung einzelne Bilanzansätze zu Gunsten der Gesellschaft nunmehr doch abweichend zu beurteilen sein sollten.

65

b) Die als solche im Gesamtbetrag von € 204.187,16 unstreitigen Zahlungen der Schuldnerin im Zeitraum vom 2. Januar bis zum 30. Juni 2012, die der Kläger zutreffend unter Abzug der auf Steuerverbindlichkeiten und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung entfallenden Beträge bestimmt hat, waren auch nicht im Sinne von § 64 Satz 2 GmbHG mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar.

66

aa) Ausgenommen von der Erstattungspflicht sind nach § 64 Satz 2 GmbHG nur solche Zahlungen, die auch nach Eintritt der Insolvenzreife mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Privilegiert sind - zusätzlich zu Zahlungen auf strafbewehrte Zahlungsverpflichtungen des Geschäftsführers - insbesondere Zahlungen im Austausch für eine vollwertige und zeitnahe Gegenleistung (BGH, Urt. v. 18. November 2014 - II ZR 231/13 -, BGHZ 203, 218 ff., juris Rn. 9) sowie Zahlungen, durch die aus ex-ante-Sicht im Einzelfall größere Nachteile für die Masse abgewendet werden (BGH, Urt. v. 4. Juli 2017 - II ZR 319/15 -, ZIP 2017, 1619 ff., juris Rn. 21; Urt. v. 8. Januar 2001 - II ZR 88/99 -, BGHZ 146, 264 ff., juris Rn. 22). Der Ausnahmetatbestand des § 64 Satz 2 GmbHG ist eng auszulegen, um den Schutz vor Masseschmälerungen gemäß § 64 Satz 1 GmbHG nicht wieder auszuhöhlen. Entscheidend ist, ob Zahlungen im wohlverstandenen Interesse der Gläubigergemeinschaft erfolgt sind (Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 64 Rn. 89).

67

bb) Substanziierter Vortrag des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten liegt hierzu nicht vor. Soweit der Beklagte sich darauf beruft, die Zahlungen an die freien Referenten und die Mieten für die Seminarräume in der Gesamthöhe von € 38.770,55 hätten zu keinerlei Benachteiligung der Schuldnerin geführt, weil diese Kosten deutlich niedriger gewesen seien als die aus den betreffenden Seminaren erzielten Umsätze, ist dies mangels näherer Darlegung der sich aus den jeweiligen Seminaren ergebenden Gewinne im Einzelnen weder einlassungsfähig noch nachvollziehbar. Eine Berücksichtigung von Zahlungen zu Lasten der Aktivmasse der Gesellschaft erst nach vollständiger Leistungserbringung seitens des Vertragspartners kommt allerdings ohnehin nicht in Betracht, weil hiermit kein Massezufluss mehr verbunden ist (BGH, Urt. v. 4. Juli 2017, a.a.O., Rn. 10 ff.).

68

Entsprechendes gilt für den Vortrag, die klagegegenständlichen Zahlungen seien insoweit kaufmännisch vertretbar gewesen, als die darin enthaltene Umsatzsteuer von 19 Prozent betroffen sei, die vom Finanzamt verrechnet bzw. erstattet worden sei. Es reicht nicht aus, dass die Umsatzsteuer zu irgendeinem späteren Zeitpunkt erstattet oder verrechnet wird. Die bloße Aussicht auf eine mögliche Umsatzsteuererstattung ist nämlich deshalb noch keine nach § 64 Satz 2 GmbHG privilegierte Gegenleistung, weil schon nicht feststeht, dass sie überhaupt stattfindet, oder stattdessen lediglich eine demgegenüber nicht mit einem Massezufluss verbundene Verrechnung mit anderweitig bestehenden Steuerverbindlichkeiten erfolgt.

69

c) Die Verletzung der dem Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin obliegenden Verpflichtung zur Erhaltung der Masse erfolgte auch schuldhaft.

70

aa) Der Ersatzanspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG setzt Verschulden voraus, wobei Fahrlässigkeit genügt (BGH, Urt. v. 6. Juni 1994 - II ZR 292/91 -, BGHZ 126, 181 ff., juris Rn. 32, Senat, Urt. v. 8. November 2013 - 11 U 192/11 -, ZInsO 2012, 2447 ff., juris Rn. 48). Haftungsbegründend ist deshalb bereits die Erkennbarkeit der Insolvenzreife, die ihrerseits vermutet wird, wobei die Darlegungs- und Beweislast für die mangelnde Erkennbarkeit den in Anspruch genommenen Geschäftsführer trifft (BGH, Urt. v. 29. November 1999 - II ZR 273/98 -, BGHZ 143, 184 ff., juris Rn. 6; Senat, a.a.O.).

71

bb) Die Erkennbarkeit der Insolvenzreife für den Beklagten ist bereits im Hinblick auf den am 18. Januar 2012 erstellten Jahresabschluss der Schuldnerin für 2010 (Anlage K 4) und die bereits am 4. Januar 2012 erstellte betriebswirtschaftliche Auswertung der Schuldnerin für das Geschäftsjahr 2011 (Anlage K 5) nicht zweifelhaft:

72

Aus dem betreffenden Jahresabschluss lässt sich ein verbleibendes Eigenkapital der Schuldnerin von lediglich € 23.498,34 entnehmen, aus der betriebswirtschaftlichen Auswertung ein weiterer Jahresfehlbetrag in Höhe von € 118.043,88. Zum Jahresende 2011 hatte es der Beklagte auch noch für zutreffend gehalten, die Forderung gegenüber der V. auf einen Erinnerungswert von € 1,00 abzuwerten (vgl. Anlage K 17), was nicht zuletzt im Hinblick auf den zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal vorübergehenden Teilerfolg vor dem Landgericht auch ohne Weiteres als sachgerecht erscheinen musste.

73

Ebenso wenig hat der Beklagte es ausweislich der Summen- und Saldenliste per 31. Dezember 2011 (Anlage K 14) für angezeigt gehalten, die von der Schuldnerin entwickelte Software als einen relevanten Aktivposten in Ansatz zu bringen. Auch insoweit ist unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen nicht zu erkennen, dass der Beklagte mit dieser seinerzeitigen Einschätzung falsch gelegen haben könnte. Schon hiernach spricht einiges dafür, dass der Beklagte die insolvenzrechtliche Überschuldung der Schuldnerin nicht nur erkennen konnte, sondern sogar positiv erkannt oder jedenfalls ohne weiteres für möglich gehalten hat, die Voraussetzungen für eine fehlende Erkennbarkeit der Insolvenzreife erschließen sich jedenfalls nicht.

74

Als weiteres relevantes Krisenanzeichen, das dem Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin hat Veranlassung geben müssen, deren Überschuldung und damit deren Insolvenzreife fortlaufend zu überprüfen, hatte es sich dem Beklagten darüber hinaus bereits im Jahresverlauf 2011 aufdrängen müssen, dass die Schuldnerin ausweislich der vom Beklagten eingereichten Bilanz der Schuldnerin zum 31. Dezember 2011 (Anlage K 8) ihre Lebensfähigkeit bereits in diesem Jahr nur noch durch die Aufnahme neuer Verbindlichkeiten im Umfang von € 48.000,00 und weiteren € 35.641,00 vorübergehend hat aufrechterhalten können.

75

cc) Der Beklagte kann sich auch nicht unter Hinweis darauf exkulpieren, dass um die Jahreswende 2011/2012 er und die Steuerberaterin der Schuldnerin sich darüber einig gewesen seien, dass für das Jahr 2011 die Anschaffung und Herstellung der Lernmodule zu aktivieren sei, und bezüglich der Forderung gegen die V. insgesamt drei Volljuristen den Anspruch für begründet gehalten hätten.

76

Das Verschulden entfällt zwar, wenn der Geschäftsführer sich aufgrund fehlerhafter Beratung in einem nicht vorwerfbaren Irrtum bezüglich der Insolvenzreife der Gesellschaft befindet. Es gilt allerdings auch insofern ein strenger Maßstab. Der selbst nicht hinreichend sachkundige Geschäftsführer ist hiernach nur dann entschuldigt, wenn er sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen und für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person hat beraten lassen und hiernach keine Insolvenzreife festzustellen war. Das Prüfergebnis ist zudem nach der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auf Plausibilität zu überprüfen (BGH, Urt. v. 27. März 2012 - II ZR 171/10 -, ZIP 2012, 1174 ff., juris Rn. 15 f.).

77

Der Beklagte hat aber weder vorgetragen, dass die Steuerberaterin der Schuldnerin oder gar die mit der Durchsetzung der Forderung gegen die V. befassten Rechtsanwälte gerade auch mit der Prüfung der Insolvenzreife der Schuldnerin beauftragt gewesen seien, noch dass er selbst ein entsprechendes Prüfergebnis auf Plausibilität überprüft hätte. Im Rahmen der Überschuldungsprüfung hat es auch von vornherein gar nicht um die Frage gehen können, ob die Forderung gegen die V. rechtlich durchsetzbar besteht, sondern vielmehr allein darum, ob diese bereits aus dem Sommer 2010 herrührende vermeintliche Forderung ungeachtet dessen, dass die V. zu keinerlei Zahlungen bereit war und insofern die Führung eines Rechtsstreits erforderlich wurde, im Rahmen der insolvenzrechtlichen Überschuldungsprüfung in voller Höhe aktiviert werden konnte. Eine fachliche Beratung in dieser Hinsicht hat der Beklagte nicht behauptet.

78

d) Ein Erfolg ist der Berufung schließlich auch nicht aufgrund der von dem Beklagten hilfsweise erklärten Aufrechnung mit Mietforderungen aus der Zeit seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 18. September 2012 bis Mai 2016 im Umfang von insgesamt € 115.852,00 zu bescheiden.

79

Ungeachtet der diesbezüglichen Erwägungen im angefochtenen Urteil besteht die seitens des Beklagten geltend gemachte Aufrechnungsforderung nämlich schon deshalb nicht, weil der Beklagte hinsichtlich etwa bestehender Mietforderungen gegenüber der Schuldnerin in gleicher Höhe einem Schadensersatzanspruch der Schuldnerin gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG ausgesetzt wäre und insofern der Durchsetzung eines Zahlungsanspruchs des Beklagten auch im Wege der Aufrechnung die sog. dolo-agit-Einrede gemäß § 242 BGB entgegenstünde.

80

Ausgehend davon, dass die Schuldnerin ihren Geschäftsbetrieb unstreitig bereits vor Stellung des Eigenantrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 10. Juli 2012 eingestellt hatte, hätte es dem Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin nämlich oblegen, das zwischen der Schuldnerin und ihm persönlich bestehende Untermietverhältnis zeitnah noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beenden, anstatt das Vermögen der Schuldnerin weiterhin mit eigenen Mietforderungen dieser gegenüber zu belasten. Eine derartige Beendigung des mit der Schuldnerin bestehenden Untermietverhältnisses etwa im Wege der Vertragsaufhebung wäre dem Beklagten - ungeachtet etwa bestehender Kündigungsfristen - in Anbetracht dessen auch unschwer zuzumuten gewesen, dass der Beklagte die Mieträume nach der Einstellung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin ohnehin im Rahmen des nunmehr wieder ausgeweiteten Geschäftsbetriebs seiner Einzelunternehmung unverändert weitergenutzt hat.

81

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

82

Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

3
Entgegen der Ansicht der Nichtzulassungsbeschwerde, die sich hierfür auf keine Belege in Rechtsprechung und Wissenschaft berufen kann, ist die Auslegung der neuen Vorschrift des § 19 Abs. 2 InsO nicht zweifelhaft. Aus dem Aufbau der Norm des § 19 Abs. 2 InsO folgt ohne weiteres, dass die Überschuldungsprüfung nach Liquidationswerten in Satz 1 den Regelfall und die nach Fortführungswerten in Satz 2, der eine positive Fortbestehensprognose voraussetzt, den Ausnahmefall darstellt. Im Haftungsprozess wegen Insolvenzverschleppung nach § 64 Abs. 2 GmbHG hat die Geschäftsleitung daher die Umstände darzulegen und notfalls zu beweisen, aus denen sich eine günstige Prognose für den fraglichen Zeitraum ergibt. Aus dem Gesetzeswortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO folgt außerdem zweifelsfrei, dass eine günstige Fortführungsprognose sowohl den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe als auch die objektive - grundsätzlich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept (sog. Ertrags- und Finanzplan) herzuleitende - Überlebensfähigkeit des Unternehmens voraussetzt.
13
a) Der Einzug von Forderungen auf einem debitorischen Konto, die an die Bank zur Sicherheit abgetreten waren, ist grundsätzlich keine vom Geschäftsführer einer GmbH veranlasste masseschmälernde Zahlung im Sinn von § 64 Abs. 2 GmbHG aF (§ 64 Satz 1 GmbHG n.F.). § 64 Abs. 2 GmbHG aF meint mit „Zahlung“ eine Leistung der Schuldnerin, durch welche die den Gläu- bigern zur Verfügung stehende Vermögensmasse geschmälert wird. Soweit durch einen Vorgang die den Gläubigern zur Verwertung zur Verfügung stehende Masse nicht geschmälert wird, liegt keine Zahlung vor. § 64 Abs. 2 GmbHG aF soll wie die Parallelvorschrift § 130a Abs. 1 HGB im Interesse einer Gleichbehandlung der Gläubiger lediglich eine Schmälerung der Masse nach Eintritt der Insolvenzreife ausgleichen (st. Rspr., BGH, Urteil vom 18. November 2014 - II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 9, z.V.b. in BGHZ mwN).

(1) Ist ein gegenseitiger Vertrag zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner und vom anderen Teil nicht oder nicht vollständig erfüllt, so kann der Insolvenzverwalter anstelle des Schuldners den Vertrag erfüllen und die Erfüllung vom anderen Teil verlangen.

(2) Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, so kann der andere Teil eine Forderung wegen der Nichterfüllung nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. Fordert der andere Teil den Verwalter zur Ausübung seines Wahlrechts auf, so hat der Verwalter unverzüglich zu erklären, ob er die Erfüllung verlangen will. Unterläßt er dies, so kann er auf der Erfüllung nicht bestehen.

(1) Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen. Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen. Das Gleiche gilt für die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter oder die Abwickler bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist; dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.

(2) Bei einer Gesellschaft im Sinne des Absatzes 1 Satz 3 gilt Absatz 1 sinngemäß, wenn die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter ihrerseits Gesellschaften sind, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, oder sich die Verbindung von Gesellschaften in dieser Art fortsetzt.

(3) Im Fall der Führungslosigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist auch jeder Gesellschafter, im Fall der Führungslosigkeit einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft ist auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Antrags verpflichtet, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis.

(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 1 und 2, auch in Verbindung mit Satz 3 oder Absatz 2 oder Absatz 3, einen Eröffnungsantrag

1.
nicht oder nicht rechtzeitig stellt oder
2.
nicht richtig stellt.

(5) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 4 fahrlässig, ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(6) Im Falle des Absatzes 4 Nummer 2, auch in Verbindung mit Absatz 5, ist die Tat nur strafbar, wenn der Eröffnungsantrag rechtskräftig als unzulässig zurückgewiesen wurde.

(7) Auf Vereine und Stiftungen, für die § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt, sind die Absätze 1 bis 6 nicht anzuwenden.

(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.

10
Da der "Schaden" bereits in dem Abfluss von Mitteln aus der im Stadium der Insolvenzreife der Gesellschaft zugunsten der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhaltenden Vermögensmasse liegt (BGH, Urteil vom 26. März 2007 - II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 7), ist nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich der Masseschmälerung zu berücksichtigen. Vielmehr ist ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Zahlung erforderlich, damit der Massezufluss der Masseschmälerung zugeordnet werden kann. Auf eine Zuordnung nach wirtschaftlicher Betrachtung zur einzelnen masseschmälernden Zahlung kann nicht verzichtet werden, da der Ersatzanspruch nicht auf Erstattung eines Quotenschadens gerichtet ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2007 - II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 7; Beschluss vom 5. Februar 2007 - II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 Rn. 4).
14
1. Die erfolgreiche Anfechtung der von dem debitorischen Konto geleisteten Zahlungen an Gläubiger der Schuldnerin ist bei einer Haftung für Zahlungen auf das debitorische Konto nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Zwar kommt die erfolgreiche Ausübung des Anfechtungsrechts dem nach § 130a Abs. 3 Satz 1 HGB aF haftenden organschaftlichen Vertreter zugute, wenn die haftungsbegründende masseschmälernde Leistung, etwa eine Zahlung an einen Gläubiger der Schuldnerin, dadurch ausgeglichen wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1995 - II ZR 277/94, BGHZ 131, 325, 327). Es würde zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Insolvenzmasse führen, wenn sie neben der Rückgewähr der anfechtbar weggegebenen Vermögenswerte zusätzlich Ersatz für deren Weggabe von dem dafür verantwortlichen Geschäftsführer erhielte. Die in der Zahlung liegende Schmälerung der Masse ist rückgängig gemacht, wenn die Masse durch die erfolgreiche Anfechtung wieder aufgefüllt ist. Der Zweck der in § 130a Abs. 3 Satz 1 HGB aF angeordneten Haftung des organschaftlichen Vertreters für Zahlungen nach Insolvenzreife, eine Masseschmälerung im Interesse einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger im Insolvenzverfahren zu verhindern und nicht einzelne Gläubiger zu bevorzugen, ist auch erreicht, wenn die Leistung an den zunächst bevorzugten Gläubiger erfolgreich angefochten ist.

(1) Enthält der Tatbestand des Urteils Unrichtigkeiten, die nicht unter die Vorschriften des vorstehenden Paragraphen fallen, Auslassungen, Dunkelheiten oder Widersprüche, so kann die Berichtigung binnen einer zweiwöchigen Frist durch Einreichung eines Schriftsatzes beantragt werden.

(2) Die Frist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Der Antrag kann schon vor dem Beginn der Frist gestellt werden. Die Berichtigung des Tatbestandes ist ausgeschlossen, wenn sie nicht binnen drei Monaten seit der Verkündung des Urteils beantragt wird.

(3) Das Gericht entscheidet ohne Beweisaufnahme. Bei der Entscheidung wirken nur diejenigen Richter mit, die bei dem Urteil mitgewirkt haben. Ist ein Richter verhindert, so gibt bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung die Stimme des ältesten Richters den Ausschlag. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt. Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(4) Die Berichtigung des Tatbestandes hat eine Änderung des übrigen Teils des Urteils nicht zur Folge.

32
(1) Das Berufungsgericht hat in der Begründung des Berufungsurteils ausgeführt, die Klägerin habe die fragliche Charge am 1. Juli 2009 erworben. Es hat damit tatbestandliche Feststellungen getroffen, die den Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefern (§ 314 ZPO). Eine Unrichtigkeit dieser Feststellung kann grundsätzlich nur im Berichtigungsverfahren (§ 320 ZPO) geltend gemacht und gegebenenfalls behoben werden (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2010 - I ZR 161/08, GRUR 2011, 459 Rn. 12 = WRP 2011, 467 - Satan der Rache ). Einen Tatbestandsberichtigungsantrag hat die Klägerin nicht gestellt.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

9
Dass das neue Vorbringen kein neues Angriffsmittel (mehr) wäre, wenn es von der Gegenseite nicht bestritten wird, ist in diesem Verfahrensstadium nicht relevant. Dabei kann offenbleiben, ob eine ausschließlich auf neues Vorbringen gestützte Berufung trotz Fehlens der nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbsatz 2 ZPO vorgeschriebenen Angaben zulässig wird, wenn sich das neue Vorbringen als unstreitig erweist, oder ob dies eine unzulässige Vermengung von Zulässigkeit und Begründetheit des Rechtsmittels bedeutete. Denn es steht jedenfalls erst am Schluss der (letzten) mündlichen Verhandlung fest, ob das neue Vorbringen unstreitig ist. Bis dahin kann es von dem Berufungsbeklagten noch bestritten werden, ein vorheriges Nichtbestreiten in vorbereitenden Schriftsätzen bindet ihn nicht BGH, Urteil vom 12. März 1991 - XI ZR 85/90, NJW 1991, 1683; vgl. auch MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, § 522 Rn. 21 zu § 522 Abs. 2 ZPO). Zu einer mündlichen Verhandlung kommt es aber nicht, wenn das Berufungsgericht die Berufung nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch Beschluss verwirft.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.