Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 10. Feb. 2005 - 1 AK 4/04

bei uns veröffentlicht am10.02.2005

Tenor

Der am ... in C./Italien geborene italienische Staatsangehörige X.

- vorläufige Festnahme gem. § 19 IRG am 19. Januar 2005, derzeit in Haft in der JVA U. -

ist zum Zwecke seiner Auslieferung nach Italien zur Strafverfolgung in vorläufige Auslieferungshaft zu nehmen.

Gründe

 
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls konnte nicht entsprochen werden.
I. Der Verfolgte ist Bezugsperson einer Ausschreibung der italienischen Justizbehörden im Schengener Informationssystem (SIS). In den hierzu nach Art. 95 Abs. 2 SDÜ erstellten Begleitpapieren wird ihm aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters von C./Italien vom 25.08.2004 folgender Tatvorwurf zur Last gelegt:
„Die gesuchte Person wendete mehrfach sexuelle Gewalt gegenüber seinem Cousin U. an, der/die 1997, als die Übergriffe begannen, zwölf Jahre alt war. Die gesuchte Person zwang seinen Cousin auch unter Todesdrohungen, den Sachverhalt nicht bei den Justizbehörden anzuzeigen.“
In rechtlicher Hinsicht werten die italienischen Justizbehörden die mit einer Höchststrafe von 13 Jahren und vier Monaten ahndbaren mehreren Taten des Verfolgten hierin wie folgt:
1. Schwere sexuelle Handlungen an einem/r Minderjährigen, strafbar nach Art. 609/Quater, 61 C.P., Tatzeit: Juli 1997, Tatort: Z./Bundesrepublik Deutschland;
2. fortgesetzte schwere sexuelle Gewalt, strafbar nach Art. 81, 609/BIS, 609/TER, 61 C.P., Tatzeit: Juli 1997 und von 1997 bis 2001, Tatort Z./Bundesrepublik Deutschland
3. fortgesetzte schwere Gewalttätigkeit im häuslichen Bereich, strafbar nach Art. 81, 610, 61 C.P., Tatzeit Juli 1997 und von 1998 bis 2001, Tatort Z./Bundesrepublik Deutschland;
4. Gewalttätigkeit im häuslichen Bereich, strafbar nach Art. 610 C.P., Tatzeit: Vor 24.12.2003; Tatort P./Italien.
II. Diese Ausschreibung vermag den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls nach § 15 IRG nicht zu rechtfertigen, da die in § 83 a Abs. 1 Nr. 1 bis 6 IRG vorgesehenen Merkmale in dem Fahndungsersuchen nicht hinreichend bezeichnet sind, weshalb die Ausschreibung derzeit nicht als Europäischer Haftbefehl angesehen werden kann (vgl. § 83 a Abs. 2 IRG). Nach § 83 a Abs. 1 Nr. 5 IRG ist die Beschreibung der Umstände erforderlich, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatorts und der Tatbeteiligung der gesuchten Person (vgl. auch Art. 8 Abs.1 Nr. 1 RbEuHb). Hierzu gehört vor allem eine ausreichende Konkretisierung des Tatvorwurfs, welche eine Überprüfung ermöglicht, ob die Tat zu den Deliktsgruppen des Art. 2 Abs. 2 des RbEuHb gehört oder - wenn nicht - ob das dem Verfolgten vorgeworfene Verhalten nach deutschem Recht strafbar ist.
10 
Die Ausschreibung genügt diesen Anforderungen nicht. Die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten ergeben sich hieraus nur vage, da es an einer genaueren Beschreibung der Tathandlungen gänzlich fehlt. Insbesondere bleibt unklar, welche sexuellen Übergriffe der Verfolgte vorgenommen haben soll. Auch sind die unter Nr. 3 und 4 erhobenen Vorwürfe der „Gewalttätigkeit im häuslichen Bereich“ derart unbestimmt, dass sie nicht ohne weiteres als nach deutschem Recht strafbar bezeichnet werden können.
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III. Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe konnte jedoch durch Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls nach § 16 IRG i.V.m. § 1 Abs. 4 IRG und Art. 16 Abs. 2 EuAlÜbk entsprochen werden, da das Fahndungsersuchen der italienischen Justizbehörden hierfür eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellt. Die Auslieferung ist auch nicht als von vornherein unzulässig anzusehen (§§ 15 Abs. 2, 16 IRG), zumal eine beiderseitige Strafbarkeit jedenfalls teilweise auf der Hand liegt.
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Es besteht auch die erhebliche, anderweitig nicht abwendbare Gefahr, dass der Verfolgte versuchen würde, sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung zu entziehen.
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IV. Die Generalstaatsanwaltschaft wird darum gebeten, die italienischen Behörden um die Vorlage der nach § 10 IRG erforderlichen Auslieferungsunterlagen oder eines Europäischen Haftbefehls oder einer Nachreichung der nach § 83 a Abs. 1 Nr. 5 IRG erforderlichen genaueren Beschreibung der Tatvorwürfe ( vgl. § 83 a Abs. 2 IRG) zu ersuchen. Auch mögen die Italienischen Justizbehörden aufgefordert werden, eine Erklärung abzugeben, ob sie die im Fahndungsersuchen bezeichneten Taten als Deliktsgruppentaten im Sinne des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb ansehen (vgl. BTDrucks. 15/1718, S. 18).
14 
Da die Ausschreibung nicht als Europäischer Haftbefehl i.S.d. § 83 a Abs.2 IRG gilt, ist die Frist des Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk zu beachten (vgl. hierzu Senat StraFo 2004, 425 f. = StV 2005, 31 f.).

Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 10. Feb. 2005 - 1 AK 4/04

Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 10. Feb. 2005 - 1 AK 4/04

Referenzen - Gesetze

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 15 Auslieferungshaft


(1) Nach dem Eingang des Auslieferungsersuchens kann gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet werden, wenn 1. die Gefahr besteht, daß er sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen werde, oder2. auf G

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(1) Der Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten richtet sich nach diesem Gesetz. (2) Strafrechtliche Angelegenheiten im Sinne dieses Gesetzes sind auch Verfahren wegen einer Tat, die nach deutschem Recht als Ordnungswi

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(1) Die Auslieferungshaft kann unter den Voraussetzungen des § 15 schon vor dem Eingang des Auslieferungsersuchens angeordnet werden, wenn 1. eine zuständige Stelle des ersuchenden Staates darum ersucht oder2. ein Ausländer einer Tat, die zu seiner A
Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 10. Feb. 2005 - 1 AK 4/04 zitiert 6 §§.

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Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 19 Vorläufige Festnahme


Liegen die Voraussetzungen eines Auslieferungshaftbefehls vor, so sind die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme befugt. Unter den Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozeßordnung ist jedermann

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Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 06. Mai 2014 - 1 Ausl 64/14

bei uns veröffentlicht am 06.05.2014

Tenor Der Erlass eines Auslieferungshaftbefehls zur Sicherung der Auslieferung des Verfolgten an die Italienische Republik zur Strafverfolgung wird d e r z e i t  a b g e l e h n t . Gründe   I. 1 1. Durch Ausschreibung im Schengen

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Liegen die Voraussetzungen eines Auslieferungshaftbefehls vor, so sind die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme befugt. Unter den Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozeßordnung ist jedermann zur vorläufigen Festnahme berechtigt.

(1) Nach dem Eingang des Auslieferungsersuchens kann gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet werden, wenn

1.
die Gefahr besteht, daß er sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen werde, oder
2.
auf Grund bestimmter Tatsachen der dringende Verdacht begründet ist, daß der Verfolgte die Ermittlung der Wahrheit in dem ausländischen Verfahren oder im Auslieferungsverfahren erschweren werde.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Auslieferung von vornherein unzulässig erscheint.

(1) Die Auslieferungshaft kann unter den Voraussetzungen des § 15 schon vor dem Eingang des Auslieferungsersuchens angeordnet werden, wenn

1.
eine zuständige Stelle des ersuchenden Staates darum ersucht oder
2.
ein Ausländer einer Tat, die zu seiner Auslieferung Anlaß geben kann, auf Grund bestimmter Tatsachen dringend verdächtig ist.

(2) Der Auslieferungshaftbefehl ist aufzuheben, wenn der Verfolgte seit dem Tag der Ergreifung oder der vorläufigen Festnahme insgesamt zwei Monate zum Zweck der Auslieferung in Haft ist, ohne daß das Auslieferungsersuchen und die Auslieferungsunterlagen bei der in § 74 bezeichneten Behörde oder bei einer sonst zu ihrer Entgegennahme zuständigen Stelle eingegangen sind. Hat ein außereuropäischer Staat um Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft ersucht, so beträgt die Frist drei Monate.

(3) Nach dem Eingang des Auslieferungsersuchens und der Auslieferungsunterlagen entscheidet das Oberlandesgericht unverzüglich über die Fortdauer der Haft.

(1) Der Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten richtet sich nach diesem Gesetz.

(2) Strafrechtliche Angelegenheiten im Sinne dieses Gesetzes sind auch Verfahren wegen einer Tat, die nach deutschem Recht als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße oder die nach ausländischem Recht mit einer vergleichbaren Sanktion bedroht ist, sofern über deren Festsetzung ein auch für Strafsachen zuständiges Gericht entscheiden kann.

(3) Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen gehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften dieses Gesetzes vor.

(4) Die Unterstützung für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit mit einem Mitgliedstaat der Europäischen Union richtet sich nach diesem Gesetz.

(5) Die Unterstützung für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit, die den Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit der Republik Island oder dem Königreich Norwegen betrifft, richtet sich nach diesem Gesetz.

(1) Nach dem Eingang des Auslieferungsersuchens kann gegen den Verfolgten die Auslieferungshaft angeordnet werden, wenn

1.
die Gefahr besteht, daß er sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen werde, oder
2.
auf Grund bestimmter Tatsachen der dringende Verdacht begründet ist, daß der Verfolgte die Ermittlung der Wahrheit in dem ausländischen Verfahren oder im Auslieferungsverfahren erschweren werde.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Auslieferung von vornherein unzulässig erscheint.

(1) Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn wegen der Tat ein Haftbefehl, eine Urkunde mit entsprechender Rechtswirkung oder ein vollstreckbares, eine Freiheitsentziehung anordnendes Erkenntnis einer zuständigen Stelle des ersuchenden Staates und eine Darstellung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen vorgelegt worden sind. Wird um Auslieferung zur Verfolgung mehrerer Taten ersucht, so genügt hinsichtlich der weiteren Taten anstelle eines Haftbefehls oder einer Urkunde mit entsprechender Rechtswirkung die Urkunde einer zuständigen Stelle des ersuchenden Staates, aus der sich die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat ergibt.

(2) Geben besondere Umstände des Falles Anlaß zu der Prüfung, ob der Verfolgte der ihm zur Last gelegten Tat hinreichend verdächtig erscheint, so ist die Auslieferung ferner nur zulässig, wenn eine Darstellung der Tatsachen vorgelegt worden ist, aus denen sich der hinreichende Tatverdacht ergibt.

(3) Die Auslieferung zur Vollstreckung einer Strafe oder einer sonstigen Sanktion, die in einem dritten Staat verhängt wurde, ist nur zulässig, wenn

1.
das vollstreckbare, eine Freiheitsentziehung anordnende Erkenntnis und eine Urkunde des dritten Staates, aus der sich sein Einverständnis mit der Vollstreckung durch den Staat ergibt, der die Vollstreckung übernommen hat,
2.
eine Urkunde einer zuständigen Stelle des Staates, der die Vollstreckung übernommen hat, nach der die Strafe oder sonstige Sanktion dort vollstreckbar ist,
3.
eine Darstellung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen sowie
4.
im Fall des Absatzes 2 eine Darstellung im Sinne dieser Vorschrift
vorgelegt worden sind.