Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 17. Dez. 2015 - 4 Bf 137/13

bei uns veröffentlicht am17.12.2015

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 25. Januar 2013 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau.

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Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste im Februar 2004 in die Bundesrepublik ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Dies lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 24. August 2004 ab. Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Im Oktober 2006 tauchte der Kläger unter und wurde zur Fahndung ausgeschrieben.

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Am 29. Oktober 2010 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung und eine Duldung, um seine Verlobte, die deutsche Staatsangehörige C., heiraten zu können, mit der er zusammenlebe. Der Kläger wies sich mit einem am 8. Juli 2010 ausgestellten Nüfus aus und gab an, er sei im Jahr 2007 mit einem gefälschten Pass aus dem Bundesgebiet ausgereist und über die Niederlande in sein Heimatland zurückgekehrt. Im September 2010 sei er illegal in die Bundesrepublik eingereist, um hier zu heiraten und zu arbeiten. Bisher habe er seinen Wehrdienst in der Türkei noch nicht geleistet. Über einen gültigen Pass verfüge er nicht. Die Beklagte erteilt dem Kläger bis heute fortlaufend Duldungen.

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Am 10. Januar 2011 heiratete der Kläger seine Verlobte.

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Das wegen illegaler Einreise und illegalen Aufenthalts vom 8. September 2010 bis 29. Oktober 2010 eingeleitete Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft am 31. Januar 2011 nach § 153 StPO ein.

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Die Beklagte lehnte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 24. Februar 2011 ab. Sie verwies darauf, die Voraussetzungen der §§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 30 AufenthG und des § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor. Gegen den Bescheid legte der Kläger am 7. März 2011 Widerspruch ein. Diesen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2011 zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus, der Kläger sei nicht mit einem gültigen Visum eingereist. Ihm könne die Aufenthaltserlaubnis auch nicht visumfrei nach § 39 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) erteilt werden. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG könne zwar von der fehlenden Voraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG abgesehen werden. Ein gesetzlicher Anspruch bestehe hier aber nicht, da der Kläger nicht bereits vor der Einreise, sondern erst danach deutsche Sprachkenntnisse nachgewiesen habe und der Ausnahmetatbestand des § 30 Abs. 2 AufenthG nicht erfüllt sei. Die Nachholung des Visumverfahrens sei hier mangels besonderer Umstände nicht unzumutbar. Für einen Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG fehle es an einem Ausreisehindernis.

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Am 21. April 2011 hat der Kläger Klage erhoben und u.a. geltend gemacht: Er sei nach der Ablehnung des Asylantrags in die Türkei zurückgekehrt. Es sei nicht erforderlich, die deutschen Sprachkenntnisse nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG bereits vor der Einreise in das Bundesgebiet nachzuweisen. Die Visumpflicht für türkische Staatsangehörige verstoße gegen die Stand-Still-Klausel des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsratsabkommen EWG/Türkei. Zudem liege kein Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, da hier nur ein geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gegeben sei. Denn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren sei nach § 153 StPO eingestellt worden. Jedenfalls sei, da er mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei, eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG anzunehmen. Der Passpflicht könne er nicht nachkommen. Das Generalkonsulat der Republik Türkei in Hamburg verlange für die Ausstellung eines neuen Passes eine Bescheinigung der Beklagten, dass er den Pass für eine Aufenthaltserlaubnis benötige und dass ihm eine solche erteilt werden solle. Diese Bescheinigung erhalte er nicht.

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Der Kläger hat beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Februar 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 7. April 2011 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen

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Sie hat geltend gemacht, möglicherweise sei der Kläger nicht ausgereist und habe sich seit dem Jahr 2006 illegal hier aufgehalten. Im Übrigen verweise sie auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.

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Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25. Januar 2013 der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheids vom 24. Februar 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 7. April 2011 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtserfassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht u.a. ausgeführt: Der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis stehe nicht § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen der §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, da er mit dem Zertifikat vom 10. Dezember 2010 die erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse nachgewiesen habe. Auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG stehe der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Zwar liege ein Ausweisungsgrund vor, weil der Kläger unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sei und sich hier illegal aufgehalten habe. Es liege jedoch eine Ausnahme von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, da der Kläger als Ehegatte einer deutschen Staatsangehörigen nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genieße. Die in § 56 AufenthG zum Ausdruck kommende Wertung sei hier zu berücksichtigen. Dem Anspruch des Klägers stehe auch nicht entgegen, dass er nicht über einen gültigen Pass verfüge, wie dies § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG verlange. Auch insoweit sei ein Ausnahmefall anzunehmen, da sich die Beklagte weigere, die vom Generalkonsulat der Republik Türkei verlangte Bescheinigung auszustellen. Einem Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis stehe allerdings entgegen, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfülle, weil er illegal in das Bundesgebiet eingereist sei. Es sei aber das Ermessen für eine Entscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG eröffnet, da die Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs vorlägen. Dieses Ermessen der Beklagten sei hier nicht zu Gunsten des Klägers auf Null reduziert. Sie habe für den hier maßgeblichen Fall des Ehegattennachzugs bei einem bestehenden gesetzlichen Anspruch in ihrer Fachanweisung keine bindenden Anordnungen für eine regelmäßige Ermessensausübung getroffen. Daher habe der Kläger einen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags.

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Mit der vom Berufungsgericht mit Beschluss vom 14. November 2014 zugelassenen und am 15. Dezember 2014 begründeten Berufung macht die Beklagte u.a. geltend: Es fehle an den Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis. Hier liege eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht vor. Ferner sei ein Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegeben. Dafür komme es allein darauf an, dass ein Ausweisungstatbestand im Sinne der §§ 53 ff. AufenthG objektiv erfüllt sei. Dass der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei und deshalb möglicherweise nicht ausgewiesen werden könne, begründe keinen Ausnahmefall. Da ein gesetzlicher Anspruch nicht bestehe, könne von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nur abgesehen werden, wenn es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar sei, das Visumverfahren durchzuführen. Solche Umstände seien hier nicht ersichtlich.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Januar 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er weist darauf hin, ihm sei am 27. Oktober 2015 ein türkischer Nationalpass ausgestellt worden. Da seit seinem Verstoß gegen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen inzwischen ein längerer Zeitraum verstrichen sei, sei dieser als geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG zu bewerten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie auf die Ausländerakten Bd. 1 – 3 der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht der im Übrigen abgewiesenen Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte zur Neubescheidung des Antrags des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verpflichtet. Die Klage des Klägers hat auch im Übrigen keinen Erfolg. Daher ist das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Januar 2013 abzuändern.

I.

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Die zulässige Klage ist vollen Umfangs unbegründet.

23

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu bescheidet. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 7. April 2011, mit denen die Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG abgelehnt hat, sind rechtmäßig.

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Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (st. Rspr., BVerwG, Urt. v. 13.6.2013, 10 C 24.12, juris Rn. 8; Urt. v. 7.4.2009, 1 C 17.08, BVerwGE 133, 329, juris Rn. 10). Daher ist dem Begehren des Klägers das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 28. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1802) zu Grunde zu legen.

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Die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erforderliche allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist nicht erfüllt (1). Hiervon kann auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden (2).

26

1. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Dies ist hier nicht der Fall. Von der Einholung eines Visums vor der Einreise war der Kläger weder befreit noch kann er die begehrte Aufenthaltserlaubnis ohne vorige Ausreise in der Bundesrepublik erhalten.

27

a) Der Kläger ist im September 2010 ohne Visum nach Deutschland eingereist. Er unterliegt als türkischer Staatsangehöriger aber der Visumpflicht für die Einreise und den Aufenthalt sowohl zum Zweck der Arbeitsaufnahme als auch zum Zweck der Familienzusammenführung nach §§ 4, 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABI EG Nr. L 81 S. 1) und deren Anhang I. Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 19).

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b) Der Kläger war von der Visumpflicht nicht nach den Standstill-Regelungen des Assoziationsrechts EWG-Türkei befreit.

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Auf die Stillhalteklausel des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen vom 12. September 1963 (BGBl 1972 II S. 385) - Zusatzprotokoll (ZP) - kann der Kläger sich nicht berufen. Art. 41 Abs. 1 ZP bestimmt, dass die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen werden. Die Anwendbarkeit der Regelung setzt voraus, dass der Kläger bei der Einreise von seiner Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen wollte (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 19.2.2015, 1 C 9.14, InfAuslR 2015, 225, juris 15 ff.). Nach den Angaben des Klägers ist aber nichts dafür ersichtlich, dass er vorhatte, hier einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Im Übrigen waren selbständig Erwerbstätige weder bei Inkrafttreten des Art. 41 Abs. 1 ZP noch zu einem späteren Zeitpunkt von der Visumpflicht befreit (vgl. ausführl. BVerwG, Urt. v. 19.2.2015, 1 C 9.14, InfAuslR 2015, 225, juris Rn. 18). Die aktuell geltende Visumpflicht für eine Einreise zum Zweck der Erwerbstätigkeit hätte daher keine neue Beschränkung im Sinne des Art. 41 Abs. 1 ZP dargestellt.

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Die für türkische Arbeitnehmer geschaffenen Stillhalteregelungen des Art. 7 ARB 2/76 und des Art. 13 ARB 1/80 führen hier ebenfalls nicht zu einer Befreiung von der Visumpflicht. Sie setzen einen ordnungsgemäßen Aufenthalt des Arbeitnehmers im Aufnahmestaat voraus, über den der Kläger nicht verfügt. Denn er ist illegal nach Deutschland eingereist, besitzt keine Aufenthaltserlaubnis und wird hier nur vorübergehend geduldet. Ein ordnungsgemäßer Aufenthalt liegt aber nur dann vor, wenn der türkische Staatsangehörige die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Einreise, den Aufenthalt und gegebenenfalls die Beschäftigung beachtet hat, so dass seine Lage im Hoheitsgebiet dieses Staates rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15.14, InfAuslR 2015, 135, juris Rn. 14, so EuGH, Urt. v. 7.11.2013, C-225/12 [Demir], NVwZ-RR 2014, 115 Rn. 35 m.w.N.). Der Kläger kann auch von seiner Ehefrau kein Recht auf Beachtung der Stillhalteklausel des Art. 7 ARB 2/76 oder des Art. 13 ARB 1/80 ableiten mit der Folge, dass es allein auf deren ordnungsgemäßen Aufenthalt ankäme (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 6.11.2014, 1 C 4.14, BVerwGE 150, 276, juris Rn. 15). Denn die am 20. April 2010 eingebürgerte Ehefrau des Klägers war zum Zeitpunkt seiner Einreise im September 2010 deutsche und nicht türkische Staatsangehörige und kann daher ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht vermitteln (vgl. so auch BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15.14, InfAuslR 2015, 135, juris Rn. 14).

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c) Der Kläger kann die Aufenthaltserlaubnis auch nicht abweichend von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nach § 39 Nr. 5 AufenthV ohne vorherige Ausreise erlangen. Gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung im Bundesgebiet während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Der Kläger erfüllt bereits die Voraussetzungen des § 60a AufenthG im Sinne der Vorschrift nicht, denn er wurde bzw. wird nur geduldet, um ihm die Eheschließung und die Durchführung des vorliegenden Verfahrens zu ermöglichen, das gerade die Klärung des Anspruchs zum Inhalt hat (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 9.5.2012, 4 Bs 15/12, juris Rn. 37; Beschl. v. 16.11.2010, 4 Bs 220/10, AuAS 2011, 65, juris Rn. 10 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.1.2012, OVG 11 S 6.12, juris Rn. 10). Zudem hat der Kläger während seines Aufenthalts in Deutschland keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben, wie dies § 39 Nr. 5 AufenthV voraussetzt. Unter einem „Anspruch“ im Sinne von § 39 Nr. 5 AufenthV ist - ebenso wie bei § 39 Nr. 3 AufenthV - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, Rn. 24 m.w.N.). Einen solchen Anspruch hat der Kläger jedoch nicht erworben, da er die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt (dazu unten).

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2. Vom Visumerfordernis kann im vorliegenden Fall nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Dies ist dann möglich, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Weder die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alternative AufenthG (a) noch die der 1. Alternative (b) liegen hier vor.

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a) Für den Kläger ist es nicht auf Grund besonderer Umstände unzumutbar im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG, das Visumverfahren nachzuholen. Gründe, die eine zeitweise Trennung der Eheleute als unzumutbar erscheinen lassen, sind nicht gegeben.

34

Die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.8.2013, 2 BvR 586/13, juris Rn. 12; Beschl. v. 12.5.1987, 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 32 BvR 313/84, BVerfGE 76, 1, 49 ff., juris Rn. 103). Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2011, 2 BvR 1367/10, NVwZ-RR 2011, 585, juris Rn. 14 m.w.N.).

35

Dass die zeitweise Trennung der Eheleute aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar und deshalb unverhältnismäßig sein könnte, hat der Kläger nicht vorgetragen und dies ist auch nicht ersichtlich. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der wehrpflichtige Kläger, sollte er das Visumverfahren nicht von einem Drittland, sondern von seinem Heimatland aus betreiben, nach seiner Rückkehr in die Türkei den Wehrdienst ableisten muss, der – wie in der mündlichen Verhandlung angesprochen – gegenwärtig grundsätzlich 12 Monate andauert. Eine Trennung von seiner Ehefrau für diese Zeit erscheint allerdings auch unter Berücksichtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten privaten Interessen der Eheleute nicht unverhältnismäßig.

36

Ein Nachzugshindernis von begrenzter Zeitdauer, wie es das Visumverfahren darstellt, ist auch beim Ehegattennachzug zu deutschen Staatsangehörigen nicht von vornherein verfassungswidrig (vgl. zum Visumverfahren: BVerfG, Beschl. v. 17.5.2011, 2 BvR 1367/10, juris Rn. 15; Beschl. v. 4.12.2007, 2 BvR 2341/06, InfAuslR 2008, 239 f., juris Rn. 6; BVerwG, Urt. v. 11.1.2011, 1 C 23.09, BVerwGE 138, 353, juris Rn. 34). Ob eine Warte- und Trennungszeit für Eheleute unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Ziele mit der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, bedarf vielmehr der Bewertung des Einzelfalls.

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Danach erweist sich die Trennungszeit von 12 Monaten, die wegen des noch zu leistenden Wehrdienstes zu erwarten ist, nicht als unverhältnismäßig. Zwar kann ein eine Trennung bedingender Umstand wie z.B. das gesetzlich verlangte Spracherfordernis nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz Nr. 2 AufenthG als Nachzugsvoraussetzung im Visumverfahren das zumutbare Ausmaß der Beeinträchtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG qualifiziert geschützten Belange des ausländischen und des deutschen Ehegatten übersteigen und damit unzumutbar sein (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 AufenthG in der seit 1.8.2015 geltenden Fassung; vgl. zu Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG: EUGH, Urt. v. 9.7.2015, C-153/14, juris Rn. 51 ff.). In einem solchen Fall schlägt die grundsätzlich verhältnismäßige Nachzugsvoraussetzung in ein unverhältnismäßiges dauerhaftes Nachzugshindernis um (vgl. zu § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG a.F.: BVerwG, Urt. v. 4.9.2012, 10 C 12.12, BVerwGE 144, 141, juris Rn. 26 ff.). Diese Wertungen führen hier aber bezogen auf die Dauer des einjährigen Wehrdienstes nicht zu einer unverhältnismäßigen Trennungsdauer. Der Wehrdienst ist nicht ein durch nationale Regelungen des deutschen Gesetzgebers bestimmtes Nachzugserfordernis, sondern beruht auf den gesetzlichen Bestimmungen und öffentlichen Interessen eines anderen Staates, denen der Kläger als türkischer Staatsangehöriger unterliegt. Dass es wegen des noch nicht geleisteten Wehrdienstes zu einer Trennung kommen könnte, war beiden Eheleuten bei Eingehung der Beziehung bekannt (vgl. so auch BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15.14, InfAuslR 2015, 135, juris Rn.17; OVG Hamburg, Urt. v. 10.4.2014, 4 Bf 19/13, InfAuslR 2014, 167, juris Rn. 68). Die Trennung wird zudem von vornherein nur für einen zeitlich beschränkten Zeitraum notwendig sein. Das zeitweise Nachzugshindernis der Wehrpflicht kann auch nicht in ein der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet auf unbestimmte Zeit oder dauerhaft entgegenstehendes Nachzugshindernis umschlagen. Denn die Ableistung des zeitlich begrenzten Wehrdienstes ist unabhängig von persönlichen oder wirtschaftlichen Fähigkeiten und Umständen des Wehrpflichtigen. Die durch die Ableistung des Wehrdienstes im Heimatland des Klägers bedingte Trennung wird im Übrigen dadurch gemildert, dass während dieser Zeit die Möglichkeit der Kommunikation mit seiner Ehefrau sowie von Besuchen besteht (vgl. auch OVG Hamburg, Urt. v. 10.4.2014, 4 Bf 19/13, InfAuslR 2014, 426, juris Rn. 67 ff.; Beschl. v. 11.2.2013, 4 Bs 269/12, n.v., S. 16 BA; Beschl. v. 16.11.2010, 4 Bs 220/10, juris Rn. 14; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.1.2011, OVG 11 S 51.10, juris Rn. 14).

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b) Von der Durchführung des vorgeschriebenen Visumverfahrens kann auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG abgesehen werden. Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis ist nicht gegeben.

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aa) Unter einem „Anspruch“ im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist ebenso wie bei vergleichbaren Formulierungen im Aufenthaltsrecht - etwa in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG oder in § 39 Nr. 3 AufenthV - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15.14, InfAuslR 2015, 135, juris Rn. 19 m.w.N.; Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24; Urt. v. 16.12.2008, 1 C 37.07, BVerwGE 132, 382, juris Rn. 21). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Berufungsgericht folgt, ist das Tatbestandsmerkmal des gesetzlichen Anspruchs im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG so auszulegen, dass sich ein solcher aus der typisierten gesetzlichen Regelung ergeben muss und Ausnahmetatbestände insoweit unberücksichtigt bleiben (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15.14, InfAuslR 2015, 135, juris Rn. 19 m.w.N; BVerwG Urt. v. 11.1.2011, a.a.O., Rn. 25).

40

bb) Nach diesem Maßstab liegt ein gesetzlicher Anspruch im Sinne der Vorschrift nicht vor. Zwar ist die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung, die Passpflicht zu erfüllen (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG), gegeben, da der Kläger inzwischen einen im Oktober 2015 ausgestellten türkischen Nationalpass besitzt. Für einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis fehlt es aber an der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.

41

Nach dieser Vorschrift setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Ein solches liegt hier vor. Der Kläger hat durch seine illegale Einreise ohne notwendige Einreise- und Personalpapiere und den sich nach eigenem Vortrag anschließenden mindestens 2-monatigen illegalen Aufenthalt gegen die Straftatbestände des § 14 Abs. 1 Nr. 1, 2 AufenthG i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 1 - 3 AufenthG verstoßen. Dieser bloße Verstoß kann ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufentG n.F. begründen (1). Der Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist erfüllt (2). Das Ausweisungsinteresse kann dem Kläger auch jetzt noch entgegengehalten werden (3).

42

(1) Die seit dem 1. August 2015 wirksame Neufassung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015, BGBl. I, S. 1386) entspricht trotz der Änderung des Wortlauts nach Sinn und Zweck der vorherigen gesetzlichen Regelung. Daher finden die für einen „Ausweisungsgrund“ nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG a.F geltenden Maßstäbe auch hier Anwendung.

43

Mit der Änderung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wurde der Begriff des „Ausweisungsgrundes“ durch den des „Ausweisungsinteresses“ ersetzt. Es ist jedoch nach der Gesetzesbegründung, in der lediglich auf den Änderungsbedarf infolge der Neuordnung des Ausweisungsrechts in den §§ 53 ff. hingewiesen wird (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 35), nicht ersichtlich, dass damit eine weitergehende Änderung bezweckt ist. Auch aus den zum 1. Januar 2016 in Kraft tretenden Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG n.F. lässt sich nicht auf eine Änderung des Zwecks des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG schließen. In der Gesetzesbegründung zu § 53 AufenthG n.F. wird u.a. darauf hingewiesen, in die Abwägung nach § 53 seien die in § 54 und § 55 vorgesehenen (öffentlichen) Ausweisungs- und (privaten) Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49). Zur Begründung des § 54 AufenthG n.F., der mit „Ausweisungsinteresse“ überschrieben ist, wird ausgeführt, § 54 konkretisiere und typisiere die Ausweisungsinteressen, die in die Abwägung nach § 53 Abs. 1 einzubeziehen seien. In typisierter Form würden besonders schwerwiegende (Absatz 1) und schwerwiegende (Absatz 2) Interessen an der Ausweisung beschrieben (BT-Drs. 18/4097, S. 50).

44

Somit bestimmt das AufenthG in den §§ 53 ff. AufenthG bzw. zukünftig in § 54 AufenthG n.F. Ausweisungstatbestände, die in dem Fall, dass ihre Voraussetzungen gegeben sind, ein öffentliches „Ausweisungsinteresse“ im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG begründen können. Dieses liegt bereits dann vor, wenn der Ausländer den Tatbestand einer der in §§ 53 ff. AufenthG bzw. in § 54 Abs. 1 und 2 AufenthG n.F. genannten Ausweisungsinteressen verwirklicht (vgl. zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG n.F. in diesem Sinne: VGH Mannheim, Beschl. v. 25.8.2015, 11 S 1500/15, juris Rn. 9; VG Dresden, Beschl. v. 10.9.2015, 3 L 775/15, juris Rn. 14). Nicht erforderlich ist, dass die Ausweisung im konkreten Fall (als Ergebnis der Ermessensbetätigung oder zukünftig der Abwägung der öffentlichen Ausweisungsinteressen mit den privaten Bleibeinteressen nach §§ 53 Abs. 1 und 2, 55 AufenthG n.F.) zulässig wäre (vgl. in diesem Sinne: VGH Mannheim, Beschl. v. 25.8.2015, 11 S 1500/15, juris Rn. 9; ebenso Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, § 2 Rn. 61; vgl. zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG a.F.: BVerwG, Urt. v. 16.7.2002, 1 C 8.02, BVerwGE 116, 378, juris Rn. 20; OVG Hamburg, Urt. v. 10.4.2014, 4 Bf 19/13, InfAuslR 2014, 426, juris Rn. 40; Beschl. v. 21.7.2010, 3 Bs 58/10, AuAS 2010, 256, juris Rn. 14; BayVGH, Beschl. v. 3.1.2007, 24 CS 06.2634, juris Rn. 13; vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Juli 2013, § 5 Rn. 55 f.).

45

(2) Im Fall des Klägers besteht ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, weil er durch seine Verstöße gegen die Strafvorschriften des § 95 Abs. 1 AufenthG den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht hat.

46

Der Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (entspricht § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG n.F.) ist u.a. dann erfüllt, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Erforderlich ist, dass sich der Verstoß feststellen lässt; Mutmaßungen reichen nicht aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.6.1998, 1 C 27.96, BVerwGE 107, 58, juris Rn. 30, Discher, in: GK-AufenthG, Stand 2009, § 55 Rn. 469 m.w.N.). Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist es grundsätzlich unerheblich, ob es wegen des Rechtsverstoßes zu einer strafrechtlichen Verurteilung gekommen ist. Der Rechtsverstoß im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann unbeachtlich, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, er ist hingegen immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. zur Einbürgerung/§ 46 Nr. 2 AuslG: BVerwG, Urt. v. 18.11.2004, 1 C 23.03; BVerwGE 122, 193, juris Rn. 21; Urt. v. 24.9.1996, 1 C 9.94, BVerwGE 102, 63, juris). Danach ist hier nicht von einem nur geringfügigen oder vereinzelten Verstoß auszugehen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

47

Der Kläger hat nach seinem eigenen Vortrag vorsätzlich gegen die vorgenannten Einreise-, Aufenthalts- und Ausweisbestimmungen verstoßen. Damit stehen die Rechtsverstöße fest. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich nicht als geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG anzusehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.9.1996, 1 C 9.94, BVerwGE 102, 63, juris Rn. 20 zu § 46 Nr. 2 AuslG 1990; vgl. auch Urt. v. 17.6.1998, 1 C 27.96, BVerwGE 107, 58, juris Rn. 27; VGH Kassel, Beschl. v. 21.8.2013, 3 B 1684/13, juris Rn. 7, Discher, in: GK-AufenthG, § 55 Rn. 516 m.w.N.). Es lassen sich im Gesetz auch keine Maßstäbe dafür entnehmen, ob und ggf. welche vorsätzlichen Strafrechtsverstöße nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG wegen Geringfügigkeit außer Betracht bleiben sollen (vgl. zu § 46 Nr. 2 AuslG: BVerwG, Urt. v. 24.9.1996, 1 C 9.94, a.a.O., juris Rn. 20). Dies schließt es allerdings nicht aus, dass es auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten unter engen Voraussetzungen Ausnahmefälle geben kann, in denen der Rechtsverstoß des Ausländers als geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG zu bewerten ist. Dies kann, worauf der Kläger hinweist, u.a. dann der Fall sein, wenn ein strafrechtliches Verfahren eingestellt worden ist (vgl. zur Einbürgerung: BVerwG, Urt. v. 18.11.2004, 1 C 23.03, BVerwGE 122, 193, juris Rn. 22, Urt. v. 24.9.1996, 1 C 9.94, BVerwGE 102, 63, juris Rn. 21).

48

Die illegale Einreise des Klägers ohne erforderliches Visum und ohne gültigen Nationalpass sowie sein sich anschließender erneuter illegaler Aufenthalt über mindestens zwei Monate sind trotz der Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger nach § 153 StPO als nicht nur geringfügige Verstöße gegen Rechtsvorschriften anzusehen. Die nach §§ 95 Abs. 1 und 2 iVm. § 14 Abs. 1 AufenthG strafbewehrten gesetzlichen Anforderungen u.a. an das Visumverfahren sowie an die Rechtmäßigkeit der Einreise und des Aufenthalts stellen nach der Intention des Gesetzgebers einen wesentlichen Pfeifer zur Verhinderung der unerlaubten Einreise und damit zur Steuerung der Zuwanderung dar und wirken ebenso wie § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG dem Anreiz entgegen, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15.14, InfAuslR 2015, 135, juris Rn. 20; vgl. zu § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auch Urt. v. 11.1.2011, 1 C 23.09, BVerwGE 138, 353, juris Rn. 20 unter Hinweis auf Gesetzesbegr. BT-Drs. 15/420, S. 70). Nicht nur durch die Neufassung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) und b) AufenthG, sondern auch mit dem ebenfalls durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970, 1988) in § 95 AufenthG ergänzten Absatz 6, wonach der unerlaubten Einreise ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln aufgrund eines durch unrichtige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleichsteht, hat der Gesetzgeber die hohe (ausweisungs- und strafrechtliche) Relevanz eines bloßen Verstoßes gegen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen noch einmal betont.

49

Daher sind die illegale Einreise des Klägers und sein illegaler Aufenthalt im Bundesgebiet unabhängig von ihrer strafrechtlichen Sanktionierung grundsätzlich als nicht geringfügiger Verstoß anzusehen (vgl. in diesem Sinne: BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15.14, InfAuslR 2015, 135, juris Rn. 21; vgl. auch Urt. v. 16.7.2002, 1 C 8.02, BVerwGE 116, 378, juris Rn. 20; vgl. zur besondere Bedeutung der ordnungsgemäßen Einreise i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG: BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 27; vgl. zur Geringfügigkeit im Aufenthalts- bzw. Strafrecht: OVG Hamburg, Beschl. v. 6.3.2002, 3 Bf 205/01, AuAS 2002, 139, juris Rn. 2 m.w.N.; Beschl. v. 19.9.2013, 3 Bs 226/13, AuAS 2013, 256, juris Rn. 12; vgl. zur Einstellung des Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO: Beschl. v. 18.6.2010, 3 Bs 2/10, juris Rn. 30; vgl. VGH München, Beschl. v. 4.9.2014, 10 CS 14.1601, juris Nr. 19; OVG Magdeburg, Beschl. v. 27.5.2015, 2 M 21/15, juris Rn. 14; Beschl. v. 28.7.2014, 2 L 91/12, juris Rn. 27; OVG Münster, Beschl. v. 11.7.2012, 18 B 562/12, juris Rn. 22; Bauer, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 55 Rn. 22; Hailbronner, Ausländerrecht, § 55 (Stand 2009) Rn. 30, 44 ff.; Storr/Wenger u.a., Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 55 Rn. 11; a.A.: Discher, in: GK-AufenthG, § 55 Rn. 529). Besondere Umstände der Tat, die es im Fall des Klägers erfordern, ausnahmsweise einen nur geringfügigen Verstoß anzunehmen, sind nicht ersichtlich.

50

Für die Frage, ob ein Rechtsverstoß geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist, ist allein die Bewertung der (Straf-) Tat selbst maßgeblich. Entgegen der Ansicht des Klägers ist in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen, ob sich die Wirkung oder das Gewicht des Rechtverstoßes zwischenzeitlich möglicherweise durch Zeitablauf abgeschwächt hat.

51

Aus der - das Berufungsgericht nicht bindenden - Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG vom 26. Oktober 2009 ergibt sich nicht anderes. Dort wird zwar für den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG eine Geringfügigkeit bei einer Verurteilung bis zu 30 Tagessätzen angenommen (Tz. 55.2.2.3.1). Allerdings bewertet die Verwaltungsvorschrift Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht im Allgemeinen nicht als geringfügig (Umkehrschluss aus Tz 55.2.2.6, dort Fahrlässigkeit; vgl. auch Tz. 55.2.2.8 zu schuldhaft unrichtigen Angaben bei Erteilung einer AE) und hebt außerdem hervor, dass sogar eine Ausweisung wegen Verstoßes gegen die Visumpflicht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls aus Gründen der Generalprävention gerechtfertigt sein kann (Tz 55.2.2.7).

52

Die vom Kläger im September 2010 begangenen Rechtsverstöße stellen zudem keine „vereinzelten“ im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG dar. Bereits während seines ersten Aufenthalts im Bundesgebiet hat der Kläger gegen aufenthaltsrechtliche Be-stimmungen verstoßen. Am 10. Oktober 2006 verließ er trotz bestehender Ausreisepflicht seine Wohnunterkunft mit unbekanntem Ziel und war nicht mehr im Besitz einer Duldung. Deshalb wurde er zur Fahndung ausgeschrieben. Nach seinen eigenen Angaben lebte er zunächst weiter illegal in der Bundesrepublik, reiste im Jahr 2007 illegal in die Niederlande ein und kehrte von dort nach sechs Monaten mit einem gefälschten Pass in die Türkei zurück. Damit hat er sich mehrere Monate ohne gültigen Aufenthaltstitel und ohne Duldung im Bundesgebiet und danach illegal in einem weiteren Schengen-Staat aufgehalten und bei seiner jeweiligen Aus- bzw. Einreise gegen nationale und EU-Aufenthaltsbestimmungen verstoßen.

53

(3) Das Ausweisungsinteresse ist verwertbar. Die seit dem Verstoß verstrichene Zeitspanne kann allenfalls eine Ausnahme von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG begründen.

54

Ausweisungsgründe dürfen einem Ausländer nur dann und solange entgegengehalten werden, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind bzw. die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.3.2005, 1 C 26.03, juris Rn. 21; OVG Münster, Beschl. v. 22.1.2015, OVG 3 B 16.09, juris Rn. 44). Erforderlich ist daher, dass das Ausweisungsinteresse aktuell noch vorliegt und verwertbar ist. Dies ist hier der Fall.

55

Umstände, die eine Verwirkung des Ausweisungsinteresses rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Die Beklagte hat beim Kläger zu keinem Zeitpunkt ein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend geschaffen, dass ihm der weitere Aufenthalt trotz der illegalen Einreise ermöglicht werden sollte (vgl. dazu Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 6 Rn. 68, 70).

56

Da der Kläger nicht strafrechtlich verurteilt wurde, findet trotz des seit der illegalen Einreise verstrichenen Zeitraums das Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (BZRG) keine Anwendung. Danach dürfen Eintragungen von Verurteilungen, die getilgt worden oder tilgungsreif sind, dem Betroffenen im Rechtsverkehr, wozu auch das Ausländer- bzw. Aufenthaltsrecht gehört (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.4.1984, BVerwGE 69, 137, juris Rn. 22 ff.; OVG Hamburg, Beschl. v. 22.9.2009, 3 Bf 7/06, juris Rn. 8), nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden. Eine solche Eintragung existiert hier nicht. Eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 1 BZRG kommt nicht in Betracht, da für eine planwidrige Regelungslücke nichts ersichtlich ist. Ist eine strafrechtliche Verurteilung nicht erfolgt, fehlt es an dem Strafmakel einer Verurteilung, der durch das Verwertungsverbot des § 51 BZRG beseitigt werden soll (vgl. zum Waffenrecht: BVerwG, Urt. v. 26.3.1996, 1 C 12/95, BVerwGE 101, 24, juris Rn. 19; vgl. BVerwG, Urt. v. 22.1.2002, 1 C 6.01, BVerwGE 115, 352, juris Rn. 22; OVG Hamburg, Urt. v. 20.3.2015, 1 Bf 231/13, DVBl. 2015, 859, juris Rn. 39, ausführl.: Beschl. v. 18.6.2010, 3 Bs 2/10, InfAuslR 2011, 193, juris Rn. 36 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 7.12.2011, 11 S 897/11, DVBl. 2012, 194, juris Rn. 63 m.w.N;).

57

Auch der Eintritt der Verfolgungsverjährung führt nicht zum Wegfall des Ausweisungsinteresses. Zwar ist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB die Verfolgungsverjährung eingetreten, weil die vom Kläger begangenen Straftaten der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts inzwischen angesichts der in § 95 Abs. 1 AufenthG genannten Straferwartung (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) nach drei Jahren nicht mehr verfolgt werden können. Eine analoge Anwendung der Frist des § 78 Abs. 3 StGB im Aufenthaltsrecht kommt aber ebenfalls wegen des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber es versehentlich unterlassen hat, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, nach der verjährte Straftaten im Aufenthaltsrecht keine Beachtung mehr finden dürfen (ausführl. zum Fehlen einer Regelungslücke: OVG Hamburg, Beschl. v. 18.6.2010, 3 Bs 2/10, juris Rn. 40).

58

Allerdings kann eine Straftat, die nicht zu einer Verurteilung geführt hat, dann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn im Fall einer Verurteilung wegen des Zeitablaufs bereits nach § 46 BZRG Tilgungsreife eingetreten wäre. Ihr ist in diesem Fall kein Gewicht mehr beizumessen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 26.3.1996, 1 C 12.95, BVerwGE 101, 24, juris Rn. 20; in diesem Sinne auch: BVerwG, Urt. v. 22.1.2002, 1 C 6.00, BVerwGE 115, 352, juris Rn. 22; OVG Hamburg, Urt. v. 20.3.2015, 1 Bf 231/13, InfAuslR 2015, 859, juris Rn. 39).

59

Eine hypothetische Tilgungsreife ist hier noch nicht eingetreten. Wäre der Kläger bei einer fiktiven rechtskräftigen Verurteilung (statt der Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO) am 31. Januar 2011 wegen der begangenen Straftaten nur von einer Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen verurteilt worden, wäre von einer fiktiven Tilgungsfrist, beginnend mit dem Tag der Verurteilung (§ 36 BZRG), von 5 Jahren entsprechend § 46 Abs. 1 Nr. 1a BZRG auszugehen. Dieser Zeitraum ist zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts noch nicht abgelaufen.

60

Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob ein Fall, in dem die hypothetische Tilgungsreife bereits eingetreten ist oder in dem – wie hier - seit den Straftaten bereits mehrere Jahre verstrichen sind und die hypothetische Tilgungsreife bald zu erwarten ist, einen atypischen Sachverhalt und damit eine Ausnahme von der negativen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG begründen kann (vgl. in diesem Sinne: VGH Mannheim, Urt. v. 15.9.2007, 11 S 837/06, InfAuslR 2008, 24, juris Rn. 34; vgl. zur Atypik Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 5 (Stand 2013) Rn. 65). Dann würde es hier allerdings gleichwohl an den Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG fehlen, da sich – wie oben ausgeführt - ein solcher aus der typisierten gesetzlichen Regelung ergeben muss und Ausnahmetatbestände insoweit unberücksichtigt bleiben (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15.14, InfAuslR 2015, 135, juris Rn. 19 m.w.N; BVerwG Urt. v. 11.1.2011, a.a.O., Rn. 25).

II.

61

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

III.

62

Gründe, gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Urteilsbesprechung zu Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 17. Dez. 2015 - 4 Bf 137/13

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(1) Einem Ausländer können nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 folgende Visa erteilt werden: 1. ein Visum für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von bis zu 90 Tagen je

Bundeszentralregistergesetz - BZRG | § 51 Verwertungsverbot


(1) Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden. (

Aufenthaltsverordnung - AufenthV | § 39 Verlängerung eines Aufenthalts im Bundesgebiet für längerfristige Zwecke


Über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn1.er ein nationales Visum (§ 6 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes) oder eine Aufenthaltserlaubnis besit

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 14 Unerlaubte Einreise; Ausnahme-Visum


(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er 1. einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt,2. den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt,2a. zwar ein nach § 4 erforderliche

Bundeszentralregistergesetz - BZRG | § 46 Länge der Tilgungsfrist


(1) Die Tilgungsfrist beträgt 1. fünf Jahre bei Verurteilungen a) zu Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen, wenn keine Freiheitsstrafe, kein Strafarrest und keine Jugendstrafe im Register eingetragen ist,b) zu Freiheitsstrafe oder Strafar

Bundeszentralregistergesetz - BZRG | § 36 Beginn der Frist


Die Frist beginnt mit dem Tag des ersten Urteils (§ 5 Abs. 1 Nr. 4). Dieser Tag bleibt auch maßgebend, wenn 1. eine Gesamtstrafe oder eine einheitliche Jugendstrafe gebildet,2. nach § 30 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes auf Jugendstrafe erkannt wird

Referenzen - Urteile

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 17. Dez. 2015 - 4 Bf 137/13 zitiert oder wird zitiert von 12 Urteil(en).

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 17. Dez. 2015 - 4 Bf 137/13 zitiert 10 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 04. Sept. 2014 - 10 CS 14.1601

bei uns veröffentlicht am 04.09.2014

Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-Euro festgesetzt. Gründe

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 25. Aug. 2015 - 11 S 1500/15

bei uns veröffentlicht am 25.08.2015

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 11. Juni 2015 - 6 K 2550/13 - wird abgelehnt.Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.Der Streitwert für das Zulassungsverfa

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 27. Mai 2015 - 2 M 21/15

bei uns veröffentlicht am 27.05.2015

Gründe I. 1 Die am (…) 1973 geborene Antragstellerin ist vietnamesische Staatsangehörige. Am 16.06.2010 schloss sie in Vietnam mit dem deutschen Staatsangehörigen D. die Ehe. Am 27.05.2011 erhielt sie ein bis zum 25.08.2011 befristetes Visum fü

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 20. März 2015 - 1 Bf 231/13

bei uns veröffentlicht am 20.03.2015

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. August 2013 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Hinsichtl

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 28. Juli 2014 - 2 L 91/12

bei uns veröffentlicht am 28.07.2014

Tatbestand 1 Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung durch den Beklagten. 2 Der am … 1981 im Libanon geborene Kläger reiste am 28.06.2003 erstmals in das Bundesgebiet ein und beantragte am 30.06.2003 bei der Ausländerbehörde Berlin eine Au

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 10. Apr. 2014 - 4 Bf 19/13

bei uns veröffentlicht am 10.04.2014

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Januar 2013 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2012 ver

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 05. Juni 2013 - 2 BvR 586/13

bei uns veröffentlicht am 05.06.2013

Tenor Den Beschwerdeführern wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 07. Dez. 2011 - 11 S 897/11

bei uns veröffentlicht am 07.12.2011

Tenor Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2011 - 11 K 2424/10 - ist unwirksam, soweit dami

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 17. Mai 2011 - 2 BvR 1367/10

bei uns veröffentlicht am 17.05.2011

Tenor Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Mai 2010 - 6 B 870/10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 15. Sept. 2007 - 11 S 837/06

bei uns veröffentlicht am 15.09.2007

Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 8. Dezember 2004 - 2 K 1469/03 - geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1. April 2003 und des Widerspru
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 17. Dez. 2015 - 4 Bf 137/13.

Verwaltungsgericht Bayreuth Beschluss, 12. Apr. 2018 - B 6 E 18.269

bei uns veröffentlicht am 12.04.2018

Tenor 1. Der Antrag wird abgelehnt. 2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt. Gründe I. Der am … geborene Antragsteller, ni

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 16. Aug. 2016 - 18 B 754/16

bei uns veröffentlicht am 16.08.2016

Tenor Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 1.250,- EUR festgesetzt. 1Gründe: 2Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Grü

Referenzen

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.
Ehegatten eines Deutschen,
2.
minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,
3.
Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge
zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Dem Ausländer ist in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(3) Die §§ 31 und 34 finden mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt.

(4) Auf sonstige Familienangehörige findet § 36 entsprechende Anwendung.

(5) (weggefallen)

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

Über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn

1.
er ein nationales Visum (§ 6 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes) oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
er vom Erfordernis des Aufenthaltstitels befreit ist und die Befreiung nicht auf einen Teil des Bundesgebiets oder auf einen Aufenthalt bis zu längstens sechs Monaten beschränkt ist,
3.
er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Absatz 1 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind, es sei denn, es handelt sich um einen Anspruch nach den §§ 16b, 16e oder 19e des Aufenthaltsgesetzes,
4.
er eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzt und die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 oder 2 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,
5.
seine Abschiebung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat,
6.
er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und auf Grund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind; § 41 Abs. 3 findet Anwendung,
7.
er seit mindestens 18 Monaten eine Blaue Karte EU besitzt, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellt wurde, und er für die Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung eine Blaue Karte EU beantragt. Gleiches gilt für seine Familienangehörigen, die im Besitz eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug sind, der von demselben Staat ausgestellt wurde wie die Blaue Karte EU des Ausländers. Die Anträge auf die Blaue Karte EU sowie auf die Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug sind innerhalb eines Monats nach Einreise in das Bundesgebiet zu stellen,
8.
er die Verlängerung einer ICT-Karte nach § 19 des Aufenthaltsgesetzes beantragt,
9.
er
a)
einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie 2014/66/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers (ABl. L 157 vom 27.5.2014, S. 1), und
b)
eine Mobiler-ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Mobiler-ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt,
10.
er
a)
einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit (ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 21), und
b)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18f des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18f des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder
11.
er vor Ablauf der Arbeitserlaubnis oder der Arbeitserlaubnisse zum Zweck der Saisonbeschäftigung, die ihm nach § 15a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 der Beschäftigungsverordnung erteilt wurde oder wurden, einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Saisonbeschäftigung bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber beantragt; dieser Aufenthaltstitel gilt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erteilt.
Satz 1 gilt nicht, wenn eine ICT-Karte nach § 19 des Aufenthaltsgesetzes beantragt wird.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Dem Ehegatten eines Ausländers ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben,
2.
der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann und
3.
der Ausländer
a)
eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
b)
eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt,
c)
eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18d, 18f oder § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative besitzt,
d)
seit zwei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und die Aufenthaltserlaubnis nicht mit einer Nebenbestimmung nach § 8 Abs. 2 versehen oder die spätere Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht auf Grund einer Rechtsnorm ausgeschlossen ist; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
e)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Absatz 1 Satz 3 oder nach den Abschnitten 3, 4, 5 oder 6 oder § 37 oder § 38 besitzt, die Ehe bei deren Erteilung bereits bestand und die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet voraussichtlich über ein Jahr betragen wird; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
f)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a besitzt und die eheliche Lebensgemeinschaft bereits in dem Mitgliedstaat der Europäischen Union bestand, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat, oder
g)
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzt.
Satz 1 Nummer 1 und 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 3 Buchstabe f vorliegen. Satz 1 Nummer 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn
1.
der Ausländer, der einen Aufenthaltstitel nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder 2, § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 4 besitzt und die Ehe bereits bestand, als der Ausländer seinen Lebensmittelpunkt in das Bundesgebiet verlegt hat,
2.
der Ehegatte wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen,
3.
bei dem Ehegatten ein erkennbar geringer Integrationsbedarf im Sinne einer nach § 43 Absatz 4 erlassenen Rechtsverordnung besteht oder dieser aus anderen Gründen nach der Einreise keinen Anspruch nach § 44 auf Teilnahme am Integrationskurs hätte,
4.
der Ausländer wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf,
5.
der Ausländer im Besitz einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte oder eines Aufenthaltstitels nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, § 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 ist,
6.
es dem Ehegatten auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen, oder
7.
der Ausländer unmittelbar vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU Inhaber einer Blauen Karte EU oder einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, den §§ 18d, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 war.

(2) Die Aufenthaltserlaubnis kann zur Vermeidung einer besonderen Härte abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 erteilt werden. Besitzt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis, kann von den anderen Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe e abgesehen werden; Gleiches gilt, wenn der Ausländer ein nationales Visum besitzt.

(3) Die Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 verlängert werden, solange die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(4) Ist ein Ausländer gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet und lebt er gemeinsam mit einem Ehegatten im Bundesgebiet, wird keinem weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 oder Absatz 3 erteilt.

(5) Hält sich der Ausländer gemäß § 18e berechtigt im Bundesgebiet auf, so bedarf der Ehegatte keines Aufenthaltstitels, wenn nachgewiesen wird, dass sich der Ehegatte in dem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig als Angehöriger des Ausländers aufgehalten hat. Die Voraussetzungen nach § 18e Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 und 4 und Absatz 6 Satz 1 und die Ablehnungsgründe nach § 19f gelten für den Ehegatten entsprechend.

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Dem Ehegatten eines Ausländers ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben,
2.
der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann und
3.
der Ausländer
a)
eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
b)
eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt,
c)
eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18d, 18f oder § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative besitzt,
d)
seit zwei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und die Aufenthaltserlaubnis nicht mit einer Nebenbestimmung nach § 8 Abs. 2 versehen oder die spätere Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht auf Grund einer Rechtsnorm ausgeschlossen ist; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
e)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Absatz 1 Satz 3 oder nach den Abschnitten 3, 4, 5 oder 6 oder § 37 oder § 38 besitzt, die Ehe bei deren Erteilung bereits bestand und die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet voraussichtlich über ein Jahr betragen wird; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
f)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a besitzt und die eheliche Lebensgemeinschaft bereits in dem Mitgliedstaat der Europäischen Union bestand, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat, oder
g)
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzt.
Satz 1 Nummer 1 und 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 3 Buchstabe f vorliegen. Satz 1 Nummer 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn
1.
der Ausländer, der einen Aufenthaltstitel nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder 2, § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 4 besitzt und die Ehe bereits bestand, als der Ausländer seinen Lebensmittelpunkt in das Bundesgebiet verlegt hat,
2.
der Ehegatte wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen,
3.
bei dem Ehegatten ein erkennbar geringer Integrationsbedarf im Sinne einer nach § 43 Absatz 4 erlassenen Rechtsverordnung besteht oder dieser aus anderen Gründen nach der Einreise keinen Anspruch nach § 44 auf Teilnahme am Integrationskurs hätte,
4.
der Ausländer wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf,
5.
der Ausländer im Besitz einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte oder eines Aufenthaltstitels nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, § 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 ist,
6.
es dem Ehegatten auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen, oder
7.
der Ausländer unmittelbar vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU Inhaber einer Blauen Karte EU oder einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, den §§ 18d, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 war.

(2) Die Aufenthaltserlaubnis kann zur Vermeidung einer besonderen Härte abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 erteilt werden. Besitzt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis, kann von den anderen Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe e abgesehen werden; Gleiches gilt, wenn der Ausländer ein nationales Visum besitzt.

(3) Die Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 verlängert werden, solange die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(4) Ist ein Ausländer gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet und lebt er gemeinsam mit einem Ehegatten im Bundesgebiet, wird keinem weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 oder Absatz 3 erteilt.

(5) Hält sich der Ausländer gemäß § 18e berechtigt im Bundesgebiet auf, so bedarf der Ehegatte keines Aufenthaltstitels, wenn nachgewiesen wird, dass sich der Ehegatte in dem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig als Angehöriger des Ausländers aufgehalten hat. Die Voraussetzungen nach § 18e Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 und 4 und Absatz 6 Satz 1 und die Ablehnungsgründe nach § 19f gelten für den Ehegatten entsprechend.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.
Ehegatten eines Deutschen,
2.
minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,
3.
Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge
zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Dem Ausländer ist in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(3) Die §§ 31 und 34 finden mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt.

(4) Auf sonstige Familienangehörige findet § 36 entsprechende Anwendung.

(5) (weggefallen)

(1) Einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern.

(2) Ein nach der Einreise des Ausländers von der Ausländerbehörde erteilter oder verlängerter Aufenthaltstitel kann nach den Vorschriften dieses Gesetzes ungeachtet des Umstandes verlängert werden, dass der Ausländer einen Asylantrag gestellt hat.

(3) Einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nummer 1 bis 6 des Asylgesetzes abgelehnt wurde, darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Sätze 1 und 2 finden im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung; Satz 2 ist ferner nicht anzuwenden, wenn der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 erfüllt.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.
Ehegatten eines Deutschen,
2.
minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,
3.
Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge
zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Dem Ausländer ist in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(3) Die §§ 31 und 34 finden mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt.

(4) Auf sonstige Familienangehörige findet § 36 entsprechende Anwendung.

(5) (weggefallen)

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.
Ehegatten eines Deutschen,
2.
minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,
3.
Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge
zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Dem Ausländer ist in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(3) Die §§ 31 und 34 finden mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt.

(4) Auf sonstige Familienangehörige findet § 36 entsprechende Anwendung.

(5) (weggefallen)

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Einem Ausländer können nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 folgende Visa erteilt werden:

1.
ein Visum für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen (Schengen-Visum),
2.
ein Flughafentransitvisum für die Durchreise durch die internationalen Transitzonen der Flughäfen.

(2) Schengen-Visa können nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 bis zu einer Gesamtaufenthaltsdauer von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen verlängert werden. Für weitere 90 Tage innerhalb des betreffenden Zeitraums von 180 Tagen kann ein Schengen-Visum aus den in Artikel 33 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009/EG genannten Gründen, zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder aus völkerrechtlichen Gründen als nationales Visum verlängert werden.

(2a) Schengen-Visa berechtigen nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, es sei denn, sie wurden zum Zweck der Erwerbstätigkeit erteilt.

(3) Für längerfristige Aufenthalte ist ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis, die Blaue Karte EU, die ICT-Karte, die Niederlassungserlaubnis und die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU geltenden Vorschriften. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts mit einem nationalen Visum wird auf die Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis, Blauen Karte EU, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU angerechnet.

(4) Ein Ausnahme-Visum im Sinne des § 14 Absatz 2 wird als Visum im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 erteilt.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn

1.
er ein nationales Visum (§ 6 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes) oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
er vom Erfordernis des Aufenthaltstitels befreit ist und die Befreiung nicht auf einen Teil des Bundesgebiets oder auf einen Aufenthalt bis zu längstens sechs Monaten beschränkt ist,
3.
er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Absatz 1 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind, es sei denn, es handelt sich um einen Anspruch nach den §§ 16b, 16e oder 19e des Aufenthaltsgesetzes,
4.
er eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzt und die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 oder 2 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,
5.
seine Abschiebung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat,
6.
er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und auf Grund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind; § 41 Abs. 3 findet Anwendung,
7.
er seit mindestens 18 Monaten eine Blaue Karte EU besitzt, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellt wurde, und er für die Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung eine Blaue Karte EU beantragt. Gleiches gilt für seine Familienangehörigen, die im Besitz eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug sind, der von demselben Staat ausgestellt wurde wie die Blaue Karte EU des Ausländers. Die Anträge auf die Blaue Karte EU sowie auf die Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug sind innerhalb eines Monats nach Einreise in das Bundesgebiet zu stellen,
8.
er die Verlängerung einer ICT-Karte nach § 19 des Aufenthaltsgesetzes beantragt,
9.
er
a)
einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie 2014/66/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers (ABl. L 157 vom 27.5.2014, S. 1), und
b)
eine Mobiler-ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Mobiler-ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt,
10.
er
a)
einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit (ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 21), und
b)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18f des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18f des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder
11.
er vor Ablauf der Arbeitserlaubnis oder der Arbeitserlaubnisse zum Zweck der Saisonbeschäftigung, die ihm nach § 15a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 der Beschäftigungsverordnung erteilt wurde oder wurden, einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Saisonbeschäftigung bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber beantragt; dieser Aufenthaltstitel gilt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erteilt.
Satz 1 gilt nicht, wenn eine ICT-Karte nach § 19 des Aufenthaltsgesetzes beantragt wird.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn

1.
er ein nationales Visum (§ 6 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes) oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
er vom Erfordernis des Aufenthaltstitels befreit ist und die Befreiung nicht auf einen Teil des Bundesgebiets oder auf einen Aufenthalt bis zu längstens sechs Monaten beschränkt ist,
3.
er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Absatz 1 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind, es sei denn, es handelt sich um einen Anspruch nach den §§ 16b, 16e oder 19e des Aufenthaltsgesetzes,
4.
er eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzt und die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 oder 2 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,
5.
seine Abschiebung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat,
6.
er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und auf Grund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind; § 41 Abs. 3 findet Anwendung,
7.
er seit mindestens 18 Monaten eine Blaue Karte EU besitzt, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellt wurde, und er für die Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung eine Blaue Karte EU beantragt. Gleiches gilt für seine Familienangehörigen, die im Besitz eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug sind, der von demselben Staat ausgestellt wurde wie die Blaue Karte EU des Ausländers. Die Anträge auf die Blaue Karte EU sowie auf die Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug sind innerhalb eines Monats nach Einreise in das Bundesgebiet zu stellen,
8.
er die Verlängerung einer ICT-Karte nach § 19 des Aufenthaltsgesetzes beantragt,
9.
er
a)
einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie 2014/66/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers (ABl. L 157 vom 27.5.2014, S. 1), und
b)
eine Mobiler-ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Mobiler-ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt,
10.
er
a)
einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit (ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 21), und
b)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18f des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18f des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder
11.
er vor Ablauf der Arbeitserlaubnis oder der Arbeitserlaubnisse zum Zweck der Saisonbeschäftigung, die ihm nach § 15a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 der Beschäftigungsverordnung erteilt wurde oder wurden, einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Saisonbeschäftigung bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber beantragt; dieser Aufenthaltstitel gilt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erteilt.
Satz 1 gilt nicht, wenn eine ICT-Karte nach § 19 des Aufenthaltsgesetzes beantragt wird.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Tenor

Den Beschwerdeführern wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 6. November 2012 - VG 5 K 23/11.A - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht Cottbus zurückverwiesen.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Januar 2013 - OVG 3 N 5.13 - wird damit gegenstandslos.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000,- € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG zugunsten einer afghanischen Familie.

2

1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Der 1981 geborene Beschwerdeführer zu 1. und die 1987 geborene Beschwerdeführerin zu 2. reisten im Jahr 2009 in das Bundesgebiet ein, die im März 2011 geborene Beschwerdeführerin zu 3. ist ihr gemeinsames Kind. Die Asylanträge der miteinander verheirateten Beschwerdeführer zu 1. und 2. wurden als unbegründet abgelehnt.

3

2. Mit ihren hiergegen gerichteten Klagen machten die Beschwerdeführer zu 1. und 2. geltend, in Kandahar von den Taliban mit dem Tode bedroht worden zu sein. Weder in ihrer Heimatregion Kandahar noch in einer sonstigen Provinz Afghanistans könne derzeit eine Familie mit Kleinkind ihre Existenz sichern, wenn sie nicht durch einen Familienverband abgesichert und aufgefangen werde. Auch litten die Beschwerdeführer zu 1. und 2. an Erkrankungen, die in Deutschland behandelt werden müssten.

4

3. Das Verwaltungsgericht Cottbus wies die Klagen durch Urteil vom 6. November 2012 zurück. Die Beschwerdeführer zu 1. und 2. hätten keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Der Beschwerdeführer zu 1. könne hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgung durch die Taliban auf Kabul als inländische Fluchtalternative verwiesen werden. Von ihm könne vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in Kabul aufhalte, da davon auszugehen sei, dass er dort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde und insbesondere das Existenzminimum gesichert sei. Für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche afghanische Staatsangehörige bestehe auch ohne familiären Rückhalt die Möglichkeit, als Tagelöhner mit Aushilfsjobs ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Der Beschwerdeführer zu 1. gehöre zu dieser Personengruppe, da er sich um den Lebensunterhalt der Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. nicht kümmern müsse. Diese könnten in die Heimatregion Kandahar zurückkehren, da ihnen dort keine Verfolgung oder sonst zu berücksichtigende Gefahr drohe. Denn die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. verfügten in Kandahar über familiären Rückhalt, der insoweit an die Stelle des Beschwerdeführers zu 1. treten könne. Es sei auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass sich die vorgetragenen Erkrankungen der Beschwerdeführer zu 1. und 2. im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund zielstaatsbezogener Umstände wesentlich verschlimmern würden.

5

4. Im Berufungszulassungsverfahren rügten die Beschwerdeführer zu 1. und 2., das Verwaltungsgericht habe gegen den in Art. 23 der so genannten Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) niedergelegten Grundsatz der Wahrung des Familienverbandes verstoßen, indem es den Beschwerdeführern zumute, dauerhaft voneinander getrennt in Kabul und Kandahar leben zu müssen. Auch habe das Verwaltungsgericht seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts verletzt, indem es unterstellt habe, die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. könnten ohne Probleme nach Kandahar zurückkehren und würden dort von den Eltern der Beschwerdeführerin zu 2. aufgenommen. Weder habe das Verwaltungsgericht entsprechende Fragen an die Beschwerdeführer gerichtet, noch hätten diese von sich aus darauf eingehen müssen, da die vom Verwaltungsgericht im Urteil zugrundegelegte Trennung der Beschwerdeführer überraschend gewesen sei. Auch die Ablehnung der Beweisanträge hinsichtlich der geltend gemachten Erkrankungen verstoße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör.

6

5. Mit Beschluss vom 24. Januar 2013 lehnte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Dass das Verwaltungsgericht Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie nicht berücksichtigt habe, weise höchstens auf eine materiell unrichtige Entscheidung hin, lasse jedoch nicht erkennen, warum die Vorschrift bei der Entscheidung über ein Abschiebungsverbot für eine Familie mit Kleinkind über den Einzelfall hinaus bedeutsam sei und ihre Reichweite im Interesse der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfe. Der von den Beschwerdeführern erhobene Vorwurf der ungenügenden Aufklärung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht werde vom Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG nicht erfasst. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Beschwerdeführer könnten sich trennen, sei keine unzulässige Überraschungsentscheidung. Es gebe auch keine Anhaltspunkte, dass die Ablehnung der erstinstanzlich gestellten Beweisanträge nicht vom Prozessrecht gedeckt sei.

7

6. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde machen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG geltend, weil das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Gründe für die Zulassung der Berufung überspannt habe. Es stelle sowohl im Hinblick auf Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie als auch hinsichtlich Art. 6 GG und Art. 8 EMRK eine abstrakte Frage dar, ob eine aufenthaltsbeendende Entscheidung in Kauf nehmen dürfe, dass eine Familie dauerhaft getrennt leben müsse. Das Verwaltungsgericht habe gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen, indem es in seinem Urteil von der Zumutbarkeit einer Trennung der Beschwerdeführer ausgegangen sei, ohne vorab auf diese Rechtsansicht hinzuweisen. Dadurch hätten die Beschwerdeführer keine Gelegenheit gehabt, eingehender zu ihrer familiären Situation vorzutragen und gegebenenfalls Beweisanträge zu einzelnen Fragen des Überlebens alleinstehender Frauen in Kandahar zu stellen. Mit ihren Entscheidungen verstießen die Gerichte schließlich gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Bei einer Abschiebung, die eine dauerhafte Trennung der Beschwerdeführer zur Folge habe, hätte eine Abwägung mit ihren familiären Belangen stattfinden müssen. Daran fehle es.

8

7. Das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

9

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

10

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, obwohl sie nicht innerhalb der in § 93 Abs. 1 BVerfGG geregelten Monatsfrist eingelegt und begründet worden ist. Den Beschwerdeführern war insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu gewähren. Sie haben innerhalb der Frist des § 93 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG glaubhaft gemacht, dass sie das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post gegeben haben, dass es bei normalem Verlauf der Dinge das Bundesverfassungsgericht fristgerecht hätte erreichen können. Die Verzögerung der Briefbeförderung durch die Deutsche Post AG darf den Beschwerdeführern nicht als Verschulden zugerechnet werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Januar 2003 - 2 BvR 447/02 -, NJW 2003, S. 1516).

11

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG.

12

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerfGE 51, 386 <396 f.>; 76, 1 <47>; 80, 81 <93>). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; 80, 81 <93>). Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Be-schluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, S. 171 <173>; BVerfGK 2, 190 <194>), auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, S. 67 <68>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>).

13

Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (vgl. BVerfGK 7, 49 <56>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>).

14

Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen (vgl. BVerfGE 56, 363 <384>; 79, 51 <63 f.>). Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfGK 14, 458 <465>).

15

b) Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts wird den dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Bei der nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu erstellenden Gefahrenprognose ist das Verwaltungsgericht von getrennten Aufenthaltsorten der Beschwerdeführer in Afghanistan ausgegangen. Es hat den Beschwerdeführer zu 1. der Personengruppe der alleinstehenden, arbeitsfähigen Männer zugeordnet, denen Kabul als inländische Fluchtalternative offensteht, während es für die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. eine Rückkehr in die Heimatprovinz Kandahar als zumutbar erachtet hat. Obwohl das Verwaltungsgericht damit seiner Entscheidung zugrunde legt, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan ihr künftiges Leben getrennt voneinander führen müssen, fehlt in dem Urteil jede Auseinandersetzung mit den aus Art. 6 GG folgenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an staatliche Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung. Dies zeigt, dass sich das Verwaltungsgericht des Einflusses des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie auf die Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 1 AufenthG (vgl. BVerwGE 90, 364 <369 f.>, zur vergleichbaren früheren Rechtslage) nicht bewusst gewesen ist.

16

c) Das angegriffene Urteil beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 6 GG ergebenden Vorgaben zu einer anderen, den Beschwerdeführern günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG das angegriffene Urteil auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zurück. Damit wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts gegenstandslos. Seiner Aufhebung bedarf es nicht, weil von ihm insoweit keine selbstständige Beschwer ausgeht (vgl. BVerfGE 14, 320 <324>; 76, 143 <170>). Auf das Vorliegen der weiteren gerügten Verfassungsverstöße kommt es nicht an.

III.

17

Mit dieser Entscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

IV.

18

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Tenor

Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Mai 2010 - 6 B 870/10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 4.000 € (in Worten: viertausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

2

1. Der 31jährige Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger. Seit August 2006 ist er mit der in Deutschland bei ihren Eltern lebenden G. verheiratet. Seine Ehefrau, seit Juli 2008 deutsche Staatsangehörige, ist wegen verschiedener körperlicher und psychischer Erkrankungen auf die dauernde Hilfe von Dritten angewiesen. Sie ist als schwerbehindert anerkannt; ihre Mutter wurde für sie zur Betreuerin bestellt. Zwei Anträge des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung wurden 2007 und 2008 abgelehnt. Nachdem er im September 2009 mit einem Schengen-Visum in das Bundesgebiet eingereist war, beantragte er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

3

2. Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3. Dezember 2009 ab und drohte die Abschiebung an. Die Aufenthaltserlaubnis sei nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu versagen, weil der Beschwerdeführer bei der Einreise nicht im Besitz des notwendigen Visums für den von Anfang an beabsichtigten Daueraufenthalt gewesen sei. Von der Einhaltung des Visumverfahrens könne nicht abgesehen werden. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe dem Beschwerdeführer nicht zu, weil er durch falsche Angaben gegenüber der Auslandsvertretung die Einreisebestimmungen gezielt umgangen habe. Es sei auch nicht erkennbar, dass ihm die Visumnachholung nicht zumutbar wäre. Sein Verhalten könne schon aus generalpräventiven Gründen nicht hingenommen werden. Zudem bestünden Zweifel, ob die geschlossene Ehe rechtsgültig sei und ob eine eheliche Lebensgemeinschaft vorliege.

4

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Klage, über die noch nicht entschieden worden ist. Gleichzeitig beantragte er die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Die Nachholung des Visumverfahrens zum Zwecke der Familienzusammenführung sei ihm nicht zumutbar. Weil die schwere Erkrankung seiner Ehefrau seine ununterbrochene Anwesenheit verlange, sei das Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert. Im Visumverfahren habe er keine falschen Angaben zu Zweck und Dauer des beabsichtigten Aufenthalts gemacht. Damals sei er von einer akut lebensbedrohlichen Erkrankung seiner Ehefrau ausgegangen und habe nicht mit einem längerfristigen Aufenthalt gerechnet. Die Ehe sei rechtswirksam und werde in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.

5

4. Mit Beschluss vom 15. März 2010 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab, da sich der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweise. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis werde jeweils selbständig durch das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer habe zum einen Falschangaben zur Erlangung des Visums gemacht. Zum anderen lägen die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht vor. Einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe der Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a AufenthG entgegen. Die Nachholung des Visumverfahrens sei dem Beschwerdeführer zumutbar, selbst wenn seine Anwesenheit zu einer besseren psychischen Stabilität seiner Ehefrau geführt haben sollte. Schließlich greife der allgemeine Versagungsgrund nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG ein.

6

5. Mit seiner Beschwerde gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer geltend, dass die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sein müsse, weil ein Fall des § 39 Nr. 3 AufenthV vorliege. Zudem sei, weil seine Ehefrau seines Beistandes bedürfe, das Ermessen der Behörde nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert. Der Regelversagungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liege nicht vor. Der Beschwerdeführer habe im Visumverfahren weder Falschangaben gemacht noch sei er auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen worden. Schließlich führe er mit seiner Frau eine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG, was die Annahme eines Versagungsgrundes nach § 27 Abs. 1a AufenthG ausschließe; insoweit komme es auf die gegenwärtigen Verhältnisse an.

7

6. Mit Beschluss vom 21. Mai 2010 wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde zurück: Die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis rechtfertige sich jedenfalls daraus, dass die Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sei. Der Beschwerdeführer sei vom Visumerfordernis nicht durch die Ausnahmeregelung des § 39 Nr. 3 AufenthV befreit. Die Entscheidung der Ausländerbehörde, von ihrem Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG keinen Gebrauch zu machen, lasse keine Ermessensfehler erkennen. Insbesondere sei bei der Abwägung die Bedeutung des grundrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie nicht verkannt worden. Besondere individuelle Gründe, die es für den Beschwerdeführer unzumutbar machen würden, das Visumverfahren nachzuholen, seien von ihm nicht dargetan worden. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe bis zu dessen Einreise unter der Obhut ihrer Familie gestanden. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass ihre Betreuung nicht wenigstens vorübergehend durch ihre hier lebenden Familienangehörigen sichergestellt werden könne. Auch unter Berücksichtigung ihrer schwierigen gesundheitlichen Situation sei sie deshalb offenbar nicht auf die ununterbrochene Anwesenheit des Beschwerdeführers angewiesen. Ob die (Regel-) Versagungsgründe nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG oder nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorlägen, könne folglich dahingestellt bleiben.

8

7. Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer Verletzungen in Art. 6 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Aus Art. 6 Abs. 1 GG folge, dass das Ermessen der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert sei. Die schwere Erkrankung der Ehefrau des Beschwerdeführers und die voraussichtlich unabsehbar lange Dauer des Visumverfahrens ließen keine andere Beurteilung zu. Der Verwaltungsgerichtshof entwerte die Ehe und die eheliche Lebensgemeinschaft, indem er diese auf eine Stufe mit Betreuungs- und Beistandsleistungen beliebiger sonstiger Verwandter stelle und damit den Ehepartner zum beliebig austauschbaren Gesellschafter degradiere. Auch verkenne er die Notwendigkeit festzustellen, welcher Trennungszeitraum den Eheleuten unter den gegebenen Umständen überhaupt zuzumuten sei. Art. 19 Abs. 4 GG gebiete, durch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vollendete Tatsachen zu verhindern, wenn diese auch für die Entscheidung in der Hauptsache Bedeutung gewinnen können.

9

8. Das Bundesverfassungsgericht untersagte im Wege der einstweiligen Anordnung der Ausländerbehörde, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde die angedrohte Abschiebung zu vollziehen (Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juni 2010 - 2 BvR 1367/10 -).

10

9. Dem Hessischen Ministerium der Justiz wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.


II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG.

12

1. Der Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Die geltend gemachten Grundrechtsverstöße beruhen gerade auf der Versagung von Eilrechtsschutz (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfGE 35, 382 <397 f.>; 53, 30 <53 f.>; 59, 63 <83 f.>; 76, 1 <40>). Bereits die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hat die Möglichkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers und damit die Vereitelung des von ihm beanspruchten Rechts auf ein ununterbrochenes eheliches Zusammenleben zur Folge, weshalb er nicht auf die noch ausstehende Entscheidung im Hauptsacheverfahren verwiesen werden kann.

13

2. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG.

14

a) Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren, die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; 80, 81 <93>; BVerfGK 2, 190 <193 f.>). Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (vgl. BVerfGK 13, 26 <27>).

15

Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BVerfGK 13, 26 <27 f.>). Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Das Aufenthaltsgesetz trägt dabei dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung, indem es unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt, von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Einreise mit dem erforderlichen Visum (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) abzusehen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfGK 13, 562 <567>).

16

Erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist, und kann dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen Deutschlands nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfGE 80, 81 <95> zur Erwachsenenadoption). Dies kann selbst dann gelten, wenn der Ausländer vor Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat (vgl. BVerfGK 13, 562 <567> m.w.N.). Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die Beistandsgemeinschaft als Hausgemeinschaft gelebt wird oder ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe von anderen Personen erbracht werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 1995 - 2 BvR 901/95 -, juris Rn. 8; BVerfGK 7, 49 <56> m.w.N.).

17

b) Diesen Grundsätzen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs nicht gerecht. Die darin vorgenommene Überprüfung der ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verkennt die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen einer ehelichen Beistandsgemeinschaft.

18

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ablehnung von Eilrechtsschutz maßgeblich darauf gestützt, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Einreise des Beschwerdeführers ohne das nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für Daueraufenthalte erforderliche nationale Visum entgegenstehe und die Entscheidung der Ausländerbehörde, von diesem Erfordernis nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht abzusehen, nicht zu beanstanden sei. Hingegen hat er die Rechtswirksamkeit der Ehe nicht angezweifelt und die weiteren von der Ausländerbehörde und vom Verwaltungsgericht angeführten Ablehnungsgründe ausdrücklich dahinstehen lassen. Bei der Überprüfung der von der Ausländerbehörde getroffenen Ermessensentscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof zwar die einschlägige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung genannt. Die anschließende Verneinung besonderer Gründe für das Absehen vom Visumerfordernis steht indes mit den sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Vorgaben nicht in Einklang.

19

Der Beschwerdeführer hatte bereits gegenüber der Ausländerbehörde angegeben, dass seine Ehefrau wegen ihrer Erkrankung auf seinen Beistand dringend angewiesen sei. Im Beschwerdeverfahren hatte er dargelegt, dass beide Ehepartner in einem gemeinsamen Haushalt lebten und er Verantwortung für seine Ehefrau übernehme, indem er sie im Krankenhaus besuche und Versorgungs- und Pflegeleistungen erbringe. Der Verwaltungsgerichthof hat dieses Vorbringen nicht in Zweifel gezogen, sondern allein darauf abgestellt, die Ehefrau des Beschwerdeführers sei auf dessen ununterbrochene Lebenshilfe nicht angewiesen, weil ihre Betreuung wenigstens vorübergehend durch ihre in Deutschland lebenden Familienangehörigen sichergestellt werden könne. Mit dieser Erwägung lässt der Verwaltungsgerichtshof den verfassungsrechtlichen Schutz, der der ehelichen Lebensgemeinschaft gemäß Art. 6 Abs. 1 GG zukommt, außer Acht. Selbst wenn er, was dem angegriffenen Beschluss nicht zweifelsfrei zu entnehmen ist, das Bestehen einer aufenthaltsrechtlich schützenswerten Beistandsgemeinschaft nicht in Abrede stellen wollte, verfehlt der Verwaltungsgerichtshof jedenfalls die daraus zu ziehenden Konsequenzen.

20

Der verfassungsrechtliche Schutz der ehelichen Beistandsgemeinschaft beruht zum einen darauf, dass Art. 6 Abs. 1 GG den Staat verpflichtet, die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich als eigenständig und selbstverantwortlich zu respektieren (vgl. BVerfGE 53, 257 <296>; 61, 319 <346 f.>). Die Ehegatten bestimmen in gleichberechtigter Partnerschaft ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung. Die Aufgabenverteilung in der Ehe unterliegt ihrer freien Entscheidung (BVerfGE 61, 319 <347> m.w.N.). Zum anderen gewährleistet die Verfassung Ehe und Familie nicht abstrakt, sondern in der verfassungsgeleiteten Ausgestaltung, wie sie den herrschenden, in der gesetzlichen Regelung maßgebend zum Ausdruck gelangten Anschauungen entspricht (vgl. BVerfGE 15, 328 <332>; 31, 58 <82 f.>; 53, 224 <245>). Die Reichweite der Schutzwirkungen des Art. 6 GG wird insoweit von den das verfassungsrechtliche Bild von Ehe und Familie auch im Allgemeinen prägenden Regelungen der § 1353 Abs. 1 Satz 2, §§ 1626 ff. BGB mitbestimmt (vgl. BVerfGE 76, 1 <43>; BVerfGK 7, 49 <57>). § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB hält die Ehegatten an, füreinander Verantwortung zu tragen. Diese Pflicht beinhaltet wechselseitigen Beistand in Zeiten der Bedrängnis und insbesondere in Zeiten besonderer körperlicher und seelischer Belastungen. Der Gesetzgeber hat diese Beistandspflicht als Rechtspflicht ausgestaltet, deren näherer Inhalt von der jeweiligen konkreten Situation abhängig ist (vgl. BVerfGE 117, 316 <327>). In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Ehegatten im Rahmen dieser Beistandspflicht grundsätzlich einander auch Krankenpflege schulden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. Februar 1998 - 1 UF 207/97 -, juris Rn. 32).

21

Das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten hinsichtlich der persönlichen Lebensführung und die Bestimmung des grundrechtlichen Schutzes auch anhand § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB sind für § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auslegungsleitend. Kommt es für die aufenthaltsrechtliche Erheblichkeit der ehelichen Beistandsgemeinschaft nicht darauf an, ob die von dem ausländischen Ehegatten tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden kann, so wird in der Regel davon auszugehen sein, dass die Nachholung des Visumverfahrens nicht zumutbar im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist. Dementsprechend werden auch in der aufenthaltsrechtlichen Kommentarliteratur und der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte Krankheit und Pflegebedürftigkeit des Ehepartners, die diesen mehr als im Regelfall auf persönlichen Beistand angewiesen sein lassen, als verfassungsrechtlich gebotene Anwendungsfälle von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG genannt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. September 2008 - 2 M 184/08 -, juris Rn. 4; Bäuerle, in: GK-AufenthG, § 5 Rn. 174 , jeweils m.w.N.). Der Verwaltungsgerichtshof hätte sich angesichts dessen mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob im Falle des Beschwerdeführers für die Entscheidung der Ausländerbehörde, vom Visumverfahren nicht abzusehen, überhaupt Raum bleibt, und diese Frage nur dann bejahen dürfen, wenn besondere Umstände dafür sprechen, dass den Ehegatten eine vorübergehende Trennung zuzumuten ist.

22

3. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs beruht auf der Grundrechtsverletzung. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG den Beschluss auf und verweist die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Auf das Vorliegen des weiter gerügten Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG kommt es nicht an.

III.

23

Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen wird nicht zur Entscheidung angenommen; insoweit wird von einer Begründung abgesehen (§ 93a Abs. 2, § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).


IV.

24

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Mai 2010 - 6 B 870/10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 4.000 € (in Worten: viertausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

2

1. Der 31jährige Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger. Seit August 2006 ist er mit der in Deutschland bei ihren Eltern lebenden G. verheiratet. Seine Ehefrau, seit Juli 2008 deutsche Staatsangehörige, ist wegen verschiedener körperlicher und psychischer Erkrankungen auf die dauernde Hilfe von Dritten angewiesen. Sie ist als schwerbehindert anerkannt; ihre Mutter wurde für sie zur Betreuerin bestellt. Zwei Anträge des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung wurden 2007 und 2008 abgelehnt. Nachdem er im September 2009 mit einem Schengen-Visum in das Bundesgebiet eingereist war, beantragte er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

3

2. Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3. Dezember 2009 ab und drohte die Abschiebung an. Die Aufenthaltserlaubnis sei nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu versagen, weil der Beschwerdeführer bei der Einreise nicht im Besitz des notwendigen Visums für den von Anfang an beabsichtigten Daueraufenthalt gewesen sei. Von der Einhaltung des Visumverfahrens könne nicht abgesehen werden. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe dem Beschwerdeführer nicht zu, weil er durch falsche Angaben gegenüber der Auslandsvertretung die Einreisebestimmungen gezielt umgangen habe. Es sei auch nicht erkennbar, dass ihm die Visumnachholung nicht zumutbar wäre. Sein Verhalten könne schon aus generalpräventiven Gründen nicht hingenommen werden. Zudem bestünden Zweifel, ob die geschlossene Ehe rechtsgültig sei und ob eine eheliche Lebensgemeinschaft vorliege.

4

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Klage, über die noch nicht entschieden worden ist. Gleichzeitig beantragte er die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Die Nachholung des Visumverfahrens zum Zwecke der Familienzusammenführung sei ihm nicht zumutbar. Weil die schwere Erkrankung seiner Ehefrau seine ununterbrochene Anwesenheit verlange, sei das Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert. Im Visumverfahren habe er keine falschen Angaben zu Zweck und Dauer des beabsichtigten Aufenthalts gemacht. Damals sei er von einer akut lebensbedrohlichen Erkrankung seiner Ehefrau ausgegangen und habe nicht mit einem längerfristigen Aufenthalt gerechnet. Die Ehe sei rechtswirksam und werde in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.

5

4. Mit Beschluss vom 15. März 2010 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab, da sich der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweise. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis werde jeweils selbständig durch das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer habe zum einen Falschangaben zur Erlangung des Visums gemacht. Zum anderen lägen die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht vor. Einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe der Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a AufenthG entgegen. Die Nachholung des Visumverfahrens sei dem Beschwerdeführer zumutbar, selbst wenn seine Anwesenheit zu einer besseren psychischen Stabilität seiner Ehefrau geführt haben sollte. Schließlich greife der allgemeine Versagungsgrund nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG ein.

6

5. Mit seiner Beschwerde gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer geltend, dass die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sein müsse, weil ein Fall des § 39 Nr. 3 AufenthV vorliege. Zudem sei, weil seine Ehefrau seines Beistandes bedürfe, das Ermessen der Behörde nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert. Der Regelversagungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liege nicht vor. Der Beschwerdeführer habe im Visumverfahren weder Falschangaben gemacht noch sei er auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen worden. Schließlich führe er mit seiner Frau eine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG, was die Annahme eines Versagungsgrundes nach § 27 Abs. 1a AufenthG ausschließe; insoweit komme es auf die gegenwärtigen Verhältnisse an.

7

6. Mit Beschluss vom 21. Mai 2010 wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde zurück: Die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis rechtfertige sich jedenfalls daraus, dass die Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sei. Der Beschwerdeführer sei vom Visumerfordernis nicht durch die Ausnahmeregelung des § 39 Nr. 3 AufenthV befreit. Die Entscheidung der Ausländerbehörde, von ihrem Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG keinen Gebrauch zu machen, lasse keine Ermessensfehler erkennen. Insbesondere sei bei der Abwägung die Bedeutung des grundrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie nicht verkannt worden. Besondere individuelle Gründe, die es für den Beschwerdeführer unzumutbar machen würden, das Visumverfahren nachzuholen, seien von ihm nicht dargetan worden. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe bis zu dessen Einreise unter der Obhut ihrer Familie gestanden. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass ihre Betreuung nicht wenigstens vorübergehend durch ihre hier lebenden Familienangehörigen sichergestellt werden könne. Auch unter Berücksichtigung ihrer schwierigen gesundheitlichen Situation sei sie deshalb offenbar nicht auf die ununterbrochene Anwesenheit des Beschwerdeführers angewiesen. Ob die (Regel-) Versagungsgründe nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG oder nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorlägen, könne folglich dahingestellt bleiben.

8

7. Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer Verletzungen in Art. 6 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Aus Art. 6 Abs. 1 GG folge, dass das Ermessen der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert sei. Die schwere Erkrankung der Ehefrau des Beschwerdeführers und die voraussichtlich unabsehbar lange Dauer des Visumverfahrens ließen keine andere Beurteilung zu. Der Verwaltungsgerichtshof entwerte die Ehe und die eheliche Lebensgemeinschaft, indem er diese auf eine Stufe mit Betreuungs- und Beistandsleistungen beliebiger sonstiger Verwandter stelle und damit den Ehepartner zum beliebig austauschbaren Gesellschafter degradiere. Auch verkenne er die Notwendigkeit festzustellen, welcher Trennungszeitraum den Eheleuten unter den gegebenen Umständen überhaupt zuzumuten sei. Art. 19 Abs. 4 GG gebiete, durch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vollendete Tatsachen zu verhindern, wenn diese auch für die Entscheidung in der Hauptsache Bedeutung gewinnen können.

9

8. Das Bundesverfassungsgericht untersagte im Wege der einstweiligen Anordnung der Ausländerbehörde, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde die angedrohte Abschiebung zu vollziehen (Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juni 2010 - 2 BvR 1367/10 -).

10

9. Dem Hessischen Ministerium der Justiz wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.


II.

11

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG.

12

1. Der Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Die geltend gemachten Grundrechtsverstöße beruhen gerade auf der Versagung von Eilrechtsschutz (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfGE 35, 382 <397 f.>; 53, 30 <53 f.>; 59, 63 <83 f.>; 76, 1 <40>). Bereits die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hat die Möglichkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers und damit die Vereitelung des von ihm beanspruchten Rechts auf ein ununterbrochenes eheliches Zusammenleben zur Folge, weshalb er nicht auf die noch ausstehende Entscheidung im Hauptsacheverfahren verwiesen werden kann.

13

2. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG.

14

a) Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren, die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; 80, 81 <93>; BVerfGK 2, 190 <193 f.>). Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (vgl. BVerfGK 13, 26 <27>).

15

Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BVerfGK 13, 26 <27 f.>). Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Das Aufenthaltsgesetz trägt dabei dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung, indem es unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt, von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Einreise mit dem erforderlichen Visum (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) abzusehen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfGK 13, 562 <567>).

16

Erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft, weil ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe eines anderen Familienmitglieds angewiesen ist, und kann dieser Beistand nur in Deutschland erbracht werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen Deutschlands nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfGE 80, 81 <95> zur Erwachsenenadoption). Dies kann selbst dann gelten, wenn der Ausländer vor Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat (vgl. BVerfGK 13, 562 <567> m.w.N.). Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die Beistandsgemeinschaft als Hausgemeinschaft gelebt wird oder ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe von anderen Personen erbracht werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 1995 - 2 BvR 901/95 -, juris Rn. 8; BVerfGK 7, 49 <56> m.w.N.).

17

b) Diesen Grundsätzen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs nicht gerecht. Die darin vorgenommene Überprüfung der ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verkennt die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen einer ehelichen Beistandsgemeinschaft.

18

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ablehnung von Eilrechtsschutz maßgeblich darauf gestützt, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Einreise des Beschwerdeführers ohne das nach § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für Daueraufenthalte erforderliche nationale Visum entgegenstehe und die Entscheidung der Ausländerbehörde, von diesem Erfordernis nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht abzusehen, nicht zu beanstanden sei. Hingegen hat er die Rechtswirksamkeit der Ehe nicht angezweifelt und die weiteren von der Ausländerbehörde und vom Verwaltungsgericht angeführten Ablehnungsgründe ausdrücklich dahinstehen lassen. Bei der Überprüfung der von der Ausländerbehörde getroffenen Ermessensentscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof zwar die einschlägige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung genannt. Die anschließende Verneinung besonderer Gründe für das Absehen vom Visumerfordernis steht indes mit den sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Vorgaben nicht in Einklang.

19

Der Beschwerdeführer hatte bereits gegenüber der Ausländerbehörde angegeben, dass seine Ehefrau wegen ihrer Erkrankung auf seinen Beistand dringend angewiesen sei. Im Beschwerdeverfahren hatte er dargelegt, dass beide Ehepartner in einem gemeinsamen Haushalt lebten und er Verantwortung für seine Ehefrau übernehme, indem er sie im Krankenhaus besuche und Versorgungs- und Pflegeleistungen erbringe. Der Verwaltungsgerichthof hat dieses Vorbringen nicht in Zweifel gezogen, sondern allein darauf abgestellt, die Ehefrau des Beschwerdeführers sei auf dessen ununterbrochene Lebenshilfe nicht angewiesen, weil ihre Betreuung wenigstens vorübergehend durch ihre in Deutschland lebenden Familienangehörigen sichergestellt werden könne. Mit dieser Erwägung lässt der Verwaltungsgerichtshof den verfassungsrechtlichen Schutz, der der ehelichen Lebensgemeinschaft gemäß Art. 6 Abs. 1 GG zukommt, außer Acht. Selbst wenn er, was dem angegriffenen Beschluss nicht zweifelsfrei zu entnehmen ist, das Bestehen einer aufenthaltsrechtlich schützenswerten Beistandsgemeinschaft nicht in Abrede stellen wollte, verfehlt der Verwaltungsgerichtshof jedenfalls die daraus zu ziehenden Konsequenzen.

20

Der verfassungsrechtliche Schutz der ehelichen Beistandsgemeinschaft beruht zum einen darauf, dass Art. 6 Abs. 1 GG den Staat verpflichtet, die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich als eigenständig und selbstverantwortlich zu respektieren (vgl. BVerfGE 53, 257 <296>; 61, 319 <346 f.>). Die Ehegatten bestimmen in gleichberechtigter Partnerschaft ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung. Die Aufgabenverteilung in der Ehe unterliegt ihrer freien Entscheidung (BVerfGE 61, 319 <347> m.w.N.). Zum anderen gewährleistet die Verfassung Ehe und Familie nicht abstrakt, sondern in der verfassungsgeleiteten Ausgestaltung, wie sie den herrschenden, in der gesetzlichen Regelung maßgebend zum Ausdruck gelangten Anschauungen entspricht (vgl. BVerfGE 15, 328 <332>; 31, 58 <82 f.>; 53, 224 <245>). Die Reichweite der Schutzwirkungen des Art. 6 GG wird insoweit von den das verfassungsrechtliche Bild von Ehe und Familie auch im Allgemeinen prägenden Regelungen der § 1353 Abs. 1 Satz 2, §§ 1626 ff. BGB mitbestimmt (vgl. BVerfGE 76, 1 <43>; BVerfGK 7, 49 <57>). § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB hält die Ehegatten an, füreinander Verantwortung zu tragen. Diese Pflicht beinhaltet wechselseitigen Beistand in Zeiten der Bedrängnis und insbesondere in Zeiten besonderer körperlicher und seelischer Belastungen. Der Gesetzgeber hat diese Beistandspflicht als Rechtspflicht ausgestaltet, deren näherer Inhalt von der jeweiligen konkreten Situation abhängig ist (vgl. BVerfGE 117, 316 <327>). In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Ehegatten im Rahmen dieser Beistandspflicht grundsätzlich einander auch Krankenpflege schulden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. Februar 1998 - 1 UF 207/97 -, juris Rn. 32).

21

Das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten hinsichtlich der persönlichen Lebensführung und die Bestimmung des grundrechtlichen Schutzes auch anhand § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB sind für § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auslegungsleitend. Kommt es für die aufenthaltsrechtliche Erheblichkeit der ehelichen Beistandsgemeinschaft nicht darauf an, ob die von dem ausländischen Ehegatten tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden kann, so wird in der Regel davon auszugehen sein, dass die Nachholung des Visumverfahrens nicht zumutbar im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist. Dementsprechend werden auch in der aufenthaltsrechtlichen Kommentarliteratur und der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte Krankheit und Pflegebedürftigkeit des Ehepartners, die diesen mehr als im Regelfall auf persönlichen Beistand angewiesen sein lassen, als verfassungsrechtlich gebotene Anwendungsfälle von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG genannt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. September 2008 - 2 M 184/08 -, juris Rn. 4; Bäuerle, in: GK-AufenthG, § 5 Rn. 174 , jeweils m.w.N.). Der Verwaltungsgerichtshof hätte sich angesichts dessen mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob im Falle des Beschwerdeführers für die Entscheidung der Ausländerbehörde, vom Visumverfahren nicht abzusehen, überhaupt Raum bleibt, und diese Frage nur dann bejahen dürfen, wenn besondere Umstände dafür sprechen, dass den Ehegatten eine vorübergehende Trennung zuzumuten ist.

22

3. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs beruht auf der Grundrechtsverletzung. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG den Beschluss auf und verweist die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurück. Auf das Vorliegen des weiter gerügten Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG kommt es nicht an.

III.

23

Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen wird nicht zur Entscheidung angenommen; insoweit wird von einer Begründung abgesehen (§ 93a Abs. 2, § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).


IV.

24

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Dem Ehegatten eines Ausländers ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben,
2.
der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann und
3.
der Ausländer
a)
eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
b)
eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt,
c)
eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18d, 18f oder § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative besitzt,
d)
seit zwei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und die Aufenthaltserlaubnis nicht mit einer Nebenbestimmung nach § 8 Abs. 2 versehen oder die spätere Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht auf Grund einer Rechtsnorm ausgeschlossen ist; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
e)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Absatz 1 Satz 3 oder nach den Abschnitten 3, 4, 5 oder 6 oder § 37 oder § 38 besitzt, die Ehe bei deren Erteilung bereits bestand und die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet voraussichtlich über ein Jahr betragen wird; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
f)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a besitzt und die eheliche Lebensgemeinschaft bereits in dem Mitgliedstaat der Europäischen Union bestand, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat, oder
g)
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzt.
Satz 1 Nummer 1 und 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 3 Buchstabe f vorliegen. Satz 1 Nummer 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn
1.
der Ausländer, der einen Aufenthaltstitel nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder 2, § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 4 besitzt und die Ehe bereits bestand, als der Ausländer seinen Lebensmittelpunkt in das Bundesgebiet verlegt hat,
2.
der Ehegatte wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen,
3.
bei dem Ehegatten ein erkennbar geringer Integrationsbedarf im Sinne einer nach § 43 Absatz 4 erlassenen Rechtsverordnung besteht oder dieser aus anderen Gründen nach der Einreise keinen Anspruch nach § 44 auf Teilnahme am Integrationskurs hätte,
4.
der Ausländer wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf,
5.
der Ausländer im Besitz einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte oder eines Aufenthaltstitels nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, § 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 ist,
6.
es dem Ehegatten auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen, oder
7.
der Ausländer unmittelbar vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU Inhaber einer Blauen Karte EU oder einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, den §§ 18d, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 war.

(2) Die Aufenthaltserlaubnis kann zur Vermeidung einer besonderen Härte abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 erteilt werden. Besitzt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis, kann von den anderen Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe e abgesehen werden; Gleiches gilt, wenn der Ausländer ein nationales Visum besitzt.

(3) Die Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 verlängert werden, solange die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(4) Ist ein Ausländer gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet und lebt er gemeinsam mit einem Ehegatten im Bundesgebiet, wird keinem weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 oder Absatz 3 erteilt.

(5) Hält sich der Ausländer gemäß § 18e berechtigt im Bundesgebiet auf, so bedarf der Ehegatte keines Aufenthaltstitels, wenn nachgewiesen wird, dass sich der Ehegatte in dem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig als Angehöriger des Ausländers aufgehalten hat. Die Voraussetzungen nach § 18e Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 und 4 und Absatz 6 Satz 1 und die Ablehnungsgründe nach § 19f gelten für den Ehegatten entsprechend.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Dem Ehegatten eines Ausländers ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben,
2.
der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann und
3.
der Ausländer
a)
eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
b)
eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt,
c)
eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18d, 18f oder § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative besitzt,
d)
seit zwei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und die Aufenthaltserlaubnis nicht mit einer Nebenbestimmung nach § 8 Abs. 2 versehen oder die spätere Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht auf Grund einer Rechtsnorm ausgeschlossen ist; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
e)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Absatz 1 Satz 3 oder nach den Abschnitten 3, 4, 5 oder 6 oder § 37 oder § 38 besitzt, die Ehe bei deren Erteilung bereits bestand und die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet voraussichtlich über ein Jahr betragen wird; dies gilt nicht für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative,
f)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38a besitzt und die eheliche Lebensgemeinschaft bereits in dem Mitgliedstaat der Europäischen Union bestand, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehat, oder
g)
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte oder eine Mobiler-ICT-Karte besitzt.
Satz 1 Nummer 1 und 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn die Voraussetzungen des Satzes 1 Nummer 3 Buchstabe f vorliegen. Satz 1 Nummer 2 ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis unbeachtlich, wenn
1.
der Ausländer, der einen Aufenthaltstitel nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder 2, § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 4 besitzt und die Ehe bereits bestand, als der Ausländer seinen Lebensmittelpunkt in das Bundesgebiet verlegt hat,
2.
der Ehegatte wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen,
3.
bei dem Ehegatten ein erkennbar geringer Integrationsbedarf im Sinne einer nach § 43 Absatz 4 erlassenen Rechtsverordnung besteht oder dieser aus anderen Gründen nach der Einreise keinen Anspruch nach § 44 auf Teilnahme am Integrationskurs hätte,
4.
der Ausländer wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf,
5.
der Ausländer im Besitz einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte oder eines Aufenthaltstitels nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, § 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 ist,
6.
es dem Ehegatten auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor der Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache zu unternehmen, oder
7.
der Ausländer unmittelbar vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU Inhaber einer Blauen Karte EU oder einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18a, 18b Absatz 1, den §§ 18d, 19c Absatz 1 für eine Beschäftigung als leitender Angestellter, als Führungskraft, als Unternehmensspezialist, als Wissenschaftler, als Gastwissenschaftler, als Ingenieur oder Techniker im Forschungsteam eines Gastwissenschaftlers oder als Lehrkraft, § 19c Absatz 2 oder 4 Satz 1 oder § 21 war.

(2) Die Aufenthaltserlaubnis kann zur Vermeidung einer besonderen Härte abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 erteilt werden. Besitzt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis, kann von den anderen Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe e abgesehen werden; Gleiches gilt, wenn der Ausländer ein nationales Visum besitzt.

(3) Die Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 verlängert werden, solange die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(4) Ist ein Ausländer gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet und lebt er gemeinsam mit einem Ehegatten im Bundesgebiet, wird keinem weiteren Ehegatten eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 oder Absatz 3 erteilt.

(5) Hält sich der Ausländer gemäß § 18e berechtigt im Bundesgebiet auf, so bedarf der Ehegatte keines Aufenthaltstitels, wenn nachgewiesen wird, dass sich der Ehegatte in dem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig als Angehöriger des Ausländers aufgehalten hat. Die Voraussetzungen nach § 18e Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 und 4 und Absatz 6 Satz 1 und die Ablehnungsgründe nach § 19f gelten für den Ehegatten entsprechend.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Januar 2013 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2012 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau.

2

Der … 1983 in … /Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Im Dezember 2002 wurde er während seines illegalen Aufenthalts in Hamburg vorläufig festgenommen und mit Bescheid vom 20. Februar 2003 wegen illegalen Aufenthalts ausgewiesen. Der Bescheid wurde öffentlich zugestellt.

3

Am 14. April 2011 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung und eine Duldung, um seine Verlobte, die deutsche Staatsangehörige M., heiraten zu können. Er teilte mit, er sei am 6. März 2010 mit Hilfe eines Schleppers auf dem Landweg in die Bundesrepublik eingereist und habe hier Arbeit gesucht. Im Mai 2010 habe er seine Verlobte kennengelernt, bei der er seit September 2010 wohne. Wehrdienst habe er in der Türkei noch nicht geleistet. Die Beklagte erteilte dem Kläger am 18. April 2011 eine Duldung, die fortwährend verlängert wurde. Gegen die Ausweisung erhob der Kläger Widerspruch und machte u.a. geltend, sie sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.

4

Am … 2011 heiratete der Kläger seine Verlobte.

5

Durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 11. August 2011 wurde der Kläger wegen illegaler Einreise in Tateinheit mit illegalem Aufenthalt zu einer Geldstrafe von 60 Tages-sätzen verurteilt.

6

Mit Bescheid vom 1. September 2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG oder § 25 Abs. 5 AufenthG ab. Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 28. September 2011 Widerspruch.

7

Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtete das Berufungsgericht mit Beschluss vom 9. Mai 2012 (4 Bs 15/12, juris) die Beklagte, die beabsichtigte Abschiebung des Klägers einstweilen auszusetzen. Mit Schreiben vom 14. Juni 2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie betrachte die Ausweisungsverfügung vom 20. Februar 2003 als obsolet und habe diese im Register gelöscht.

8

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie verwies u.a. darauf, nach der Aufhebung der Ausweisung vom 20. Februar 2003 sei die Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 AufenthG weggefallen. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe aber entgegen, dass es an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG fehle. Es liege ein Ausweisungsgrund i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil das Verhalten des Klägers den Tatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfülle. Das Vorliegen eines abstrakten Ausweisungsgrundes sei ausreichend. Eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liege nicht vor. Der Sachverhalt unterscheide sich nicht von demjenigen anderer Ausländer, die mit deutschen Staatsangehörigen die Ehe geschlossen hätten. Der Umstand, dass es familiäre Bindungen gebe, sei allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen. Dabei übe sie, die Beklagte, das Ermessen zu Ungunsten des Klägers aus. Das öffentliche Interesse an einem geregelten Visumverfahren und damit an der staatlichen Steuerung der Zuwanderung überwiege das Interesse des Klägers an der sofortigen Aufnahme bzw. Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Der Kläger sei nicht mit dem erforderlichen Visum im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eingereist. Dem Kläger könne die Aufenthaltserlaubnis auch nicht visumfrei nach § 39 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) erteilt werden. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Erfüllung der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG seien nicht erfüllt. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe nicht. Die Pflicht, das Bundesgebiet vorübergehend zu verlassen, um das Visumverfahren nachzuholen, sei für den Kläger zumutbar und verstoße nicht gegen seine Rechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK. Somit sei das Ermessen nicht eröffnet. Eine Ausnahme von der Durchführung des Visumverfahrens im Fall des Ehegattennachzugs komme im Ergebnis nur nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG und nur in den auf Seite 19 ff. der Fachanweisung der Behörde für Inneres und Sport zum Ausländerrecht Nr. 1/2012 aufgeführten Fällen in Betracht. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor.

9

Der Kläger hat am 29. Juni 2012 Klage erhoben und u.a. geltend gemacht: Ihm stehe ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufentG zu. Zwar liege die negative Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, es sei jedoch ein Ausnahmefall anzunehmen, weil er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG genieße. Von der Durchführung des Visumverfahrens hätte die Beklagte absehen müssen. Die Beklagte habe das ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Dieses Ermessen sei auf Grund ihrer Fachanweisung Nr. 1/2012 gebunden, soweit darin ausgeführt werde, dass in Fällen des Rechtsanspruchs aus familiären Gründen das öffentliche Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung des Visumverfahrens regelmäßig hinter dem durch Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gebotenen Schutz von Ehe und Familie zurücktrete.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2012 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG,
hilfsweise ihm eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.

12

Die Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Sie hat sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide bezogen.

15

Der Klage hat das Verwaltungsgericht Hamburg durch Urteil vom 24. Januar 2013 stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2012 verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, ohne vorher ausreisen und das Visumverfahren durchführen zu müssen. Er erfülle die Voraussetzungen der §§ 28 Abs. 1 Satz 1, Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Den Nachweis über deutsche Sprachkenntnisse habe er erbracht. Auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG stehe der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Zwar liege ein Ausweisungsgrund vor, weil der Kläger unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sei und sich hier illegal aufgehalten habe. In seinem Fall liege jedoch kein Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, sondern ein Ausnahmefall. Der Kläger genieße als Ehegatte einer deutschen Staatsangehörigen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Diese in § 56 AufenthG zum Ausdruck kommende Wertung sei bei § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu berücksichtigen. Auch bestehe keine Wiederholungsgefahr. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe auch § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Der Kläger erfülle wegen seiner illegalen Einreise zwar nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Er könne einen Anspruch auch nicht auf § 39 Nr. 5 AufenthV stützen. Es sei aber das Ermessen für eine Entscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG eröffnet. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lägen vor. Das Ermessen der Beklagten sei zu Gunsten des Klägers auf Null reduziert. Es sei durch die Fachanweisung Nr. 1/2012, Seite 17 ff., 20 entsprechend gebunden.

16

Mit der vom Berufungsgericht mit Beschluss vom 17. April 2013 zugelassenen und am 7. Mai 2013 begründeten Berufung macht die Beklagte u.a. geltend: Zu Unrecht gehe das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis kein Ausweisungsgrund i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegenstehe. Der Kläger habe einen Ausweisungsgrund verwirklicht. Es komme nicht darauf an, ob er im konkreten Fall – etwa wegen besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG - tatsächlich (nicht) ausgewiesen werden könne. Auch sei es unerheblich, ob die Gefahr der Begehung neuer Straftaten drohe. Es gehe hier nicht um die Durchsetzung der Ausweisung und ein längeres Fernhalten des Klägers, sondern nur um die Einhaltung des Visumverfahrens, das üblicherweise drei bis vier Monate dauere und an dessen Durchsetzung auch bei mit Deutschen verheirateten Ausländern ein öffentliches Interesse bestehe. Der aufgrund besonderer familiärer Bindungen im Bundesgebiet bestehende besondere Ausweisungsschutz sei allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen, nicht aber bei der Prüfung eines Ausnahmefalls nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei die Ausnahmeregelung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht gegeben, weil ein gesetzlicher Anspruch nicht bestehe. Bei der illegalen Einreise träfen zwei Tatbestandsmerkmale zusammen: der Ausweisungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und der Visumverstoß nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Diese Rechtsgrundlagen dürften nicht vermischt werden. Ein gesetzlicher Anspruch im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG könne nie vorliegen, wenn ein Ausländer zur Eheschließung illegal eingereist sei und sich später dauerhaft hier aufhalten wolle. Ferner sei die Annahme des Verwaltungsgerichts falsch, das Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sei im Fall eines gesetzlichen Anspruchs aufgrund der früheren und der nunmehr geltenden Fachanweisung der Behörde für Inneres und Sport zum Ausländerrecht Nr. 1/2013 auf Null reduziert. Die Ausführungen auf Seite 22 der aktuellen Fachanweisung bezögen sich auf sonstige Fälle des Rechtsanspruchs aus familiären Gründen und ausdrücklich nicht auf Fälle des Ehegattennachzugs.

17

Für den Fall, dass das Berufungsgericht weiterhin von einem gesetzlichen Anspruch i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ausgehe und damit das nach dieser Vorschrift gegebene Ermessen als eröffnet ansehe, übe sie, die Beklagte, hilfsweise dieses Ermessen wie folgt aus: Sie habe zwischen dem Interesse des Klägers an der ununterbrochenen Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet und dem öffentlichen Interesse an der Durchführung des Visumverfahrens abzuwägen. Das private Interesse des Klägers ergebe sich u.a. daraus, dass ihm Kosten für Aus- und Wiedereinreise entstünden. Außerdem wären die Eheleute etwa drei bis vier Monate getrennt. Der Kläger habe aber die Situation selbst herbeigeführt, weil er - bereits zum zweiten Mal - bewusst unerlaubt eingereist sei. Er habe gezeigt, dass er die Einreisevorschriften nicht einhalten wolle und sogar in Kauf nehme, gegen Strafvorschriften zu verstoßen. Es bestehe ein öffentliches Interesse an dem geregelten Zuzug von Ausländern, die sich auf Dauer im Bundesgebiet niederlassen wollten. Dieses öffentliche Interesse umfasse auch die staatliche Pflicht, Schaden von den berechtigt im Bundesgebiet lebenden Personen möglichst abzuhalten. Dies erfordere die Kontrolle der einreisewilligen Personen, die einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet anstrebten, vor ihrer Einreise. Das öffentliche Interesse an der Durchführung des Visumverfahrens entfalle auch dann nicht, wenn sich im konkreten Einzelfall herausstelle, dass der unerlaubt eingereiste Ausländer keine konkrete Gefahr darstelle oder sonst die öffentlichen Belange nicht beeinträchtige. Anderenfalls werde strafbares Verhalten prämiert. Die für den Kläger durch das Nachholen des Visumverfahrens entstehenden Nachteile seien gegenüber dem dargestellten öffentlichen Interesse von weitaus geringerer Bedeutung und stellten für ihn auch keine unzumutbare Belastung dar.

18

Die Beklagte beantragt,

19

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Januar 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.

20

Der Kläger beantragt,

21

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

22

Er macht u.a. geltend, die Beklagte verkenne, dass § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG alle denkbaren Ausweisungsgründe betreffe, während nur § 5 Abs. 2 die Frage der unerlaubten Einreise und Ausnahmen hiervon regle. In jedem Einzelfall, in dem ein Ausweisungsgrund vorliege, müsse geprüft werden, ob ein Ausnahmefall gegeben sei. Bei dieser Prüfung sei es aber verfehlt, auf die Rechtsfolgen abzustellen, die sich aus der Feststellung eines Ausnahmefalls im Hinblick auf die Ausnahmemöglichkeiten des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ergäben. Die Beklagte sei zu Unrecht im Hinblick auf ihr Ziel, die Visumpflicht durchzusetzen, in Fällen wie dem vorliegenden generell der Ansicht, dass eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht angenommen werden könne. Gerade wenn diese Regelerteilungsvoraussetzung mit dem Grundrecht aus Art. 6 GG und mit Art. 8 EMRK nicht zu vereinbaren sei, müsse ein Ausnahmefall anerkannt werden.

23

Im Hinblick auf das der Beklagten nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufentG eingeräumte Ermessen bestehe eine Ermessensbindung aufgrund der nunmehr geltenden Fachanweisung Nr. 1/2013. Die in der Fachanweisung für den Fall des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG beim Ehegattennachzug bindend festgelegten Ermessenserwägungen gälten auch für den Fall eines gesetzlichen Anspruchs nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG. Eine voraussichtlich lange Dauer der Trennung von Familienangehörigen aufgrund der Nachholung des Visumverfahrens rechtfertige einen ausnahmsweisen Verzicht auf die Nachholung aus familiären Gründen. Eine solch lange Trennung sei wegen des 15-monatigen Wehrdienstes zu erwarten. Die im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG von der Beklagten jetzt angestellten Ermessenserwägungen seien fehlerhaft, weil die Beklagte von einer Trennungszeit von drei bis vier Monaten für die Dauer des Visumverfahrens ausgehe, der in der Türkei bei seiner Rückkehr noch abzuleistende Militärdienst aber 15 Monate betrage. Die Ermessenerwägungen seien auch deshalb zu beanstanden, weil die Beklagte geltend mache, der Gesetzgeber halte auch in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich am Visumverfahren fest. Damit verkenne die Beklagte, dass das ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen gerade ermögliche, hiervon anzusehen.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte des Verfahrens 4 Bs 15/12, die Sachakten der Beklagten und den Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die Türkei vom 26. August 2012 Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht vollen Umfangs stattgegeben. Die zulässige Klage des Klägers hat nur insoweit Erfolg, als die Beklagte verpflichtet wird, über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden; insoweit ist das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern. Die darüber hinausgehende Berufung hat keinen Erfolg.

I.

26

Die zulässige Klage des Klägers ist teilweise begründet.

27

Der Bescheid vom 1. September 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten, soweit die Beklagte seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zum Zweck des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau abgelehnt hat (dazu unter 1.). Die Sache ist aber nicht spruchreif. Deshalb hat der Kläger lediglich einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entscheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, dazu unter 2.).

28

1. Die Beklagte hat es in rechtswidriger Weise abgelehnt, dem Kläger die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

29

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (st. Rspr., BVerwG, Urt. v. 13.6.2013, 10 C 24.12, juris Rn. 8; Urt. v. 7.4.2009, 1 C 17.08, BVerwGE 133, 329, juris Rn. 10). Daher ist dem Begehren des Klägers das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Änderungsgesetzes vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3556), zu Grunde zu legen.

30

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG steht nicht bereits § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entgegen. Denn aus dem Schreiben der Beklagten vom 14. Juni 2012 ergibt sich, dass sie die Ausweisungsverfügung vom 20. März 2012 aufgehoben hat. Dies hat sie im Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 bestätigt.

31

Die für die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis erforderlichen besonderen Erteilungsvoraussetzungen (hierzu unter a) sowie die für jeden Aufenthaltstitel erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG liegen vor (hierzu unter b). Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht auch nicht zwingend entgegen, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist ist, da der Beklagten Ermessen eingeräumt ist, von dieser Anforderung abzusehen (hierzu unter c). Die Beklagte hat von diesem Ermessen allerdings nicht bzw. fehlerhaft Gebrauch gemacht (hierzu unter d).

32

a) Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für die beantragte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung liegen vor.

33

Der Kläger hat für einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nachgewiesen, dass er den Aufenthaltstitel als Ehegatte seiner deutschen Ehefrau erstrebt, um mit ihr in der Bundesrepublik zusammenzuleben. Zweifel daran, dass der Kläger mit seiner Ehefrau eine eheliche Lebensgemeinschaft führt, bestehen nicht.

34

Der Kläger erfüllt zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch die in §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vorgesehene Voraussetzung, sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können. Er hat bereits im Verwaltungsverfahren einen Nachweis darüber vorgelegt, dass er die deutsche Sprache auf dem Niveau A1 beherrscht (Bescheinigung des Diakonie – Cafes „Why Not“ vom 23.1.2012). Unerheblich ist, dass der Kläger die deutschen Sprachkenntnisse erst in der Bundesrepublik erworben und nachgewiesen hat (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 12.9.2011, 4 Bs 153/11, m.w.N., n.v.). Weder dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG noch der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 173 f.) lässt sich entnehmen, dass der Nachweis über deutsche Sprachkenntnisse zwingend vor der Einreise erbracht werden muss. Deshalb besteht kein Grund, von dem allgemeinen Grundsatz für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzuweichen und nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 12.9.2011, 4 Bs 153/11; Beschl. v. 27.9.2010, 2 Bs 183/10, NordÖR 2011, 250). Dies wird auch von der Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen.

35

b) Die für jeden Aufenthaltstitel erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG sind ebenfalls erfüllt.

36

aa) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dahinstehen kann, ob eine Berechnung des Einkommens der Eheleute ergeben würde, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichern kann. Denn auch ein möglicher Anspruch des Klägers auf öffentliche Leistungen stünde der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Die Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung mit einem deutschen Ehepartner soll nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufentG in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Besondere Umstände, die es gebieten, ausnahmsweise entgegen der gesetzlichen Regel den Ehegattennachzug von einer Sicherung des Lebensunterhalts abhängig zu machen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 4.9.2012, 10 C 12.12, BVerwGE 144, 141, juris Rn. 30), liegen nicht vor.

37

bb) Der Kläger ist im Besitz eines gültigen Nationalpasses (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG).

38

cc) Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist ebenfalls gegeben. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt danach in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Ein Ausweisungsgrund liegt zwar vor, allerdings steht dieser der Erteilung nicht entgegen, da eine Ausnahme von der Regel anzunehmen ist.

39

(1) Ein Ausweisungsgrund liegt vor. Der Kläger, der nach eigenen Angaben am 6. März 2010 illegal in die Bundesrepublik eingereist ist, hat durch diese illegale Einreise und durch seinen anschließenden (nach eigenem Vortrag) 13-monatigen illegalen Aufenthalt einen Ausweisungsgrund verwirklicht.

40

Ein Ausweisungsgrund i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liegt dann vor, wenn einer der Tatbestände der §§ 53 bis 55 AufenthG erfüllt ist. Das ist der Fall. Der Kläger hat einen nicht geringfügigen Rechtsverstoß im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG begangen. Er hat durch seine illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt bis April 2011 gegen §§ 4, 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verstoßen und damit den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG vorsätzlich verwirklicht. Vorsätzlich begangene Straftaten stellen grundsätzlich keinen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 2 AufenthG dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.6.1998, 1 C 27.96, BVerwGE 107, 58, juris Rn. 27). Die hier begangenen Verstöße rechtfertigen nicht ausnahmsweise eine andere Bewertung.

41

Für das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes ist die Verwirklichung des Tatbestandes des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ausreichend, ohne dass es in diesem Zusammenhang auf die Zulässigkeit der Ausweisung im Einzelfall und das Eingreifen eines besonderen Ausweisungsschutzes ankommt (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Juli 2013, § 5 Rn. 55 f.). Es ist somit nicht erforderlich, dass der Ausländer ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.7.2002, 1 C 8/02, BVerwGE 116, 378, juris Rn. 20; OVG Hamburg, Beschl. v. 26.10.2011, 5 Bs 158/11, AuAS 2012, 2, juris Rn. 18; Beschl. v. 21.7.2010, 3 Bs 58/10, AuAS 2010, 256, juris Rn. 14; BayVGH, Beschl. v. 3.1.2007, 24 CS 06.2634, juris Rn. 13).

42

Der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG geht nicht § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als speziellere Regelung im – hier vorliegenden - Fall eines Verstoßes gegen Einreisevorschriften vor. Diese weitere allgemeine Erteilungsvoraussetzung verlangt die Einreise mit dem erforderlichen Visum und regelt damit die Verletzung von Einreisevorschriften ausdrücklich als einen der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegenstehenden Tatbestand; sie sieht ein eigenständiges Prüfungs- und Entscheidungsprogramm vor. Der Verstoß gegen Visumvorschriften hindert aber nicht die Prüfung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Zwar könnte die innere Systematik des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG darauf hindeuten, dass solche Ausweisungsgründe von der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausgeschlossen sind, die Gegenstand der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind. Allerdings ist § 5 Abs. 2 AufenthG nicht als in diesem Sinne speziellere Regelung zu verstehen. Die Vorschrift steht ausdrücklich neben dem allgemein und umfassend formulierten Abs. 1 mit der Folge, dass der konkrete Sachverhalt sowohl an der (negativen) Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG als auch an der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu messen ist (so im Ergebnis: BVerwG, Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15.12, BVerwGE 147, 278, juris Rn. 21, 23, 24; Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24, 27).

43

(2) Im Fall des Klägers liegt nicht der Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Vielmehr ist ein Ausnahmefall gegeben mit der Folge, dass der bestehende Ausweisungsgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegensteht.

44

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG hindert ein Ausweisungsgrund die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel, d.h. nur dann, wenn nicht ein Ausnahmefall anzunehmen ist. Dieser ist für jede einzelne Norm und für jeden Einzelfall zu prüfen. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn ein atypischer Sachverhalt gegeben ist, der sich von der Menge gleich liegender Fälle durch besondere Umstände unterscheidet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der Regelerteilungsvoraussetzung zugrunde liegenden öffentlichen Interesses beseitigen. Auch Rechtsgründe, etwa verfassungsrechtliche Wertentscheidungen, insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 GG, können die Annahme eines Ausnahmefalles gebieten (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.6.2013, 10 C 16.12, InfAuslR 2013, 364, juris Rn. 16; Urt. v. 22.5.2012, 1 C 6.11, BVerwGE 143, 150, juris Rn. 11; Urt. v. 26.8.2008, 1 C 32.07, BVerwGE 131, 370, juris Rn. 27; OVG Bautzen, Beschl. v. 7.3.2013, 3 A 132/12, juris Rn. 56; OVG Hamburg, Beschl. v. 16.6.2011, 3 Bf 361/06, BA S. 4 f.; OVG Bremen, Beschl. v. 27.10.2009, 1 B 224/09, ZAR 2010, 32, juris Rn. 25; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand Juli 2013, § 5 Rn. 22, 62; Hailbronner, AuslR, Stand April 2013/Juni 2011, § 5 Rn. 6). Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist gerichtlich voll überprüfbar (BVerwG, Urt. v. 22.5.2012, 1 C 6.11, BVerwGE 143, 150, juris Rn. 11 m.w.N.). Nach diesem Maßstab liegt im Fall des Klägers ein Sachverhalt vor, der im Hinblick auf den Regelungszweck der Norm vom Regelfall abweichende besondere Umstände aufweist.

45

Die Annahme eines Ausnahmefalls scheidet entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits deshalb aus, weil sich - wie die Beklagte meint - der Kläger nicht von anderen deutschverheirateten Ausländern unterscheide. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist nicht auf eine bestimmte Gruppe von Ausländern ausgerichtet. Sie betrifft alle Ausländer und nicht nur diejenigen, die mit deutschen Staatsangehörigen verheiratet sind. Die Regelung betrifft auch keineswegs nur Ausweisungsgründe, die auf Verstößen gegen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beruhen, sondern alle denkbaren Ausweisungsgründe, insbesondere auch solche, die so gewichtig sind, dass sie zwingend oder regelhaft zur Ausweisung führen würden. In jeder denkbaren Konstellation kann daher ein Ausnahmefall vorliegen.

46

Die besonderen, einen atypischen Sachverhalt begründenden Umstände beruhen darauf, dass der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebt und dass der Ausweisungsgrund allein in der Einreise ohne das erforderliche Visum und dem anschließenden Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen besteht. Im Hinblick auf den Regelungszweck des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bedarf es bei deutschverheirateten Ausländern, bei denen der Ausweisungsgrund allein in dem oben genannten Verstoß gegen die Einreise- und Aufenthaltsvorschriften besteht, einer besonderen Bewertung. Auf sie lassen sich die Rechtsfolgen, die für den Regelfall gelten, nicht ohne Weiteres übertragen. Bereits die Bewertung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit deutschen Staatsangehörigen im Ausländerrecht zeigt, dass hier gegenüber dem Regelfall eine differenzierende Betrachtung angezeigt ist. Eine differenzierende Betrachtung ist zudem angezeigt, wenn es um das Gewicht geht, das dem oben genannten Verstoß gegen die Einreise- und Aufenthaltsvorschriften durch deutschverheiratete Ausländer zukommt. Im Einzelnen:

47

Regelungszweck des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist es, solchen Personen den Aufenthalt zu verwehren, deren Aufenthalt die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder sonstige Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 55 Abs. 1 AufenthG beeinträchtigt (vgl. Funke-Kaiser, in GK-AufenthG, Stand August 2013, § 5 Rn. 63, m.w.N.). Soweit der Ausweisungsgrund darin besteht, dass der Ausländer gegen Rechtsvorschriften verstoßen und möglicherweise sogar Straftaten begangen hat, liegt dem ein (auch) spezialpräventiver Ansatz zugrunde; es sollen gegenwärtige bzw. in absehbarer Zukunft zu befürchtende Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit durch Versagung eines Aufenthaltsrechts abgewendet werden (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 10.12.2010, 18 B 1598/10, juris Rn. 3). Dieser Zweck verliert an Gewicht, wenn es - wie es hier der Fall ist - um Ausländer geht, die mit deutschen Staatsangehörigen verheiratet sind, und wenn deren Verstoß gegen die Rechtsordnung allein in dem oben genannten Verstoß gegen die Einreise- und Aufenthaltsvorschriften besteht. Denn nach den Wertungen des Aufenthaltsgesetzes soll in einem derartigen Fall ein Aufenthalt in Deutschland nicht zwingend verwehrt werden.

48

Die deutschverheiratete Ausländer betreffenden aufenthaltsrechtlichen Regelungen sind wegen der Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK grundsätzlich auf die Gewährleistung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ausgerichtet. Für die ausländischen Ehepartner Deutscher gelten erleichterte Anforderungen an die Erteilung eines Aufenthaltstitels (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 AufenthG) und an die Aufrechterhaltung des Aufenthalts sowie höhere rechtliche Hürden bei der Beendigung des Aufenthalts. Ehegatten deutscher Staatsangehöriger genießen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz und können deshalb jedenfalls hinsichtlich der hier relevanten Straftaten wegen illegaler Einreise und illegalen Aufenthalts nicht ausgewiesen werden; dies wäre nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung möglich, an denen es hier fehlt. Der Einbeziehung von ausländischen Ehegatten deutscher Staatsangehöriger in den besonderen Ausweisungsschutz trägt Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung. Auch aus Art. 8 EMRK folgt, dass jedenfalls dann, wenn eine Ausweisung zur Trennung der Ehegatten führt, ein qualifizierter Ausweisungsgrund gegeben sein muss (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 27.10.2009, 1 B 224/09, ZAR 2010, 32, juris Rn. 30, m.w.N.). Der hier verwirklichte Ausweisungsgrund würde somit nicht zu einer Beendigung des Aufenthaltes führen; ein bestehender Aufenthaltstitel würde nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch Ausweisung erlöschen (gegen die Berücksichtigung einer solchen Wertung im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG: OVG Hamburg, Beschl. v. 19.6.2013, 3 Bs 163/13, n.v.).

49

Diese aufenthaltsrechtliche Bewertung bestehender ehelicher Lebensgemeinschaften mit deutschen Staatsangehörigen schlägt auch auf das Gewicht durch, das dem Ausweisungsgrund für die Frage zukommt, ob eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Beruht der von einem deutschverheirateten Ausländer verwirklichte Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausschließlich auf Rechtsverstößen, die unmittelbar durch die Einreise selbst und den anschließenden illegalen Aufenthalt begründet sind, und bestehen keine Begleit- oder Folgedelikte wie z.B. die Fälschung eines Visums oder vorsätzlich falsche Angaben gegenüber der Botschaft zur Erlangung des Visums (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 135; juris Rn. 24 f.), kommt dem Ausweisungsgrund seine vertypte Gefahrenabwehrfunktion nicht mehr zu. Der spezialpräventive Zweck der (negativen) Erteilungsvoraussetzung geht ins Leere. In diesem Fall ist der Ausweisungsgrund nicht beachtlich, da die öffentliche Sicherheit und Ordnung aktuell nicht mehr beeinträchtigt wird (zu diesem Maßstab vgl. auch Nr. 5.1.2.2 der Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009, GMBl. S. 877, 918). Denn eine zukünftige Wiederholung der Verstöße gegen die Einreisevorschriften ist grundsätzlich ausgeschlossen. Ein Ausländer, der mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist, hat - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – regelmäßig ein Aufenthaltsrecht und kann einen Aufenthaltstitel nach §§ 4 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG beanspruchen. Damit sind bezogen auf den Aufenthaltszweck der ehelichen Lebensgemeinschaft ein erneuter Verstoß gegen Visumbestimmungen sowie ein illegaler Aufenthalt und damit eine erneute Verletzung der einschlägigen Strafvorschriften (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG) nicht zu erwarten (in diesem Sinne auch: VGH Mannheim, Beschl. v. 20.9.2012, 11 S 1608/12, InfAuslR 2013, 30, juris Rn. 5).

50

(3) Das Regel- / Ausnahmeverhältnis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wird in dem - hier vorliegenden - Fall, dass familiäre Bindungen zu berücksichtigen sind, nicht durch die Vorschrift des § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG verdrängt.

51

Familiäre Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet sind bereits bei der Frage zu berücksichtigen, ob im konkreten Fall eine Ausnahme von der (negativen) Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegeben ist, und sie können zur Annahme einer Ausnahme führen. Familiäre Bindungen sind entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erst und ausschließlich im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen. Denn § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden kann, steht zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht in einem Verhältnis der Spezialität (a.A. OVG Magdeburg, Beschl. v. 9.2.2009, 2 M 276/08, juris Rn. 25; OVG Lüneburg, Urt. v. 27.4.2006, 5 LC 110/05, NVwZ-RR 2007, 62, juris Rn. 50; diese Frage nicht ansprechend: BVerwG, Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15.12, BVerwGE 147, 292, juris Rn. 23).

52

Der Gesetzesbegründung zu § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (BT-Drs. 15/420, S. 81) lässt sich zwar entnehmen, dass der Gesetzgeber die Vorstellung hatte, bei Vorliegen von Ausweisungsgründen sei wie im bisherigen Recht (§ 17 Abs. 5 AuslG) eine Ermessensentscheidung zu treffen. Weder die Gesetzessystematik noch der Wortlaut oder Sinn und Zweck der Vorschrift lassen aber den Schluss zu, dass sie darauf gerichtet ist, die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dahingehend einzuschränken, dass bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes familiäre Umstände keinen Ausnahmefall begründen, sondern nur im Rahmen der Ermessensbetätigung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG berücksichtigt werden können (vgl. auch OVG Bautzen, Beschl. v. 7.3.2013, 3 A 132/12, juris Rn. 54; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 5 Rn. 72). § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG regelt allein die Möglichkeit, von einem sonst zwingend der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehenden Ausweisungsgrund abzusehen. Die Ermessenseröffnung knüpft damit an § 5 Abs. 1 AufenthG und das dieser Vorschrift zugrunde liegende System von Regel und Ausnahme an. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG setzt voraus, dass ein Regelfall vorliegt. Denn im Falle einer Ausnahme stünde der Ausweisungsgrund der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ohnehin nicht entgegen; einer Ermessensentscheidung bedürfte es nicht. Die Vorschrift trifft hingegen keinerlei Aussagen zum Gegenstand möglicher Ausweisungsgründe. Sie regelt insbesondere nicht, wann die (negative) Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliegt und unter welchen Umständen ein Ausnahmefall anzunehmen ist.

53

Zur Auslegung des § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und damit auch des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kann im Übrigen nicht auf die zum früheren § 7 Abs. 2 AuslG ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 29.7.1993, 1 C 25.93, BVerwGE 94, 35, juris Rn. 36) zurückgegriffen werden. Nach dieser Norm war im Falle einer Ausnahme vom Regelfall Ermessen eröffnet. Das ist nach dem heutigen System des § 5 Abs. 1 AufenthG nicht der Fall. Vielmehr steht im Falle einer Ausnahme der Ausweisungsgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis generell nicht entgegen. Deshalb lässt sich die zum früheren Recht ergangene Rechtsprechung auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht übertragen (vgl. zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: BVerwG, Urt. v. 30.4.2009, 1 C 3.08, InfAuslR 2009, 333, juris Rn. 15).

54

(4) Liegt somit ein Ausnahmefall vor, ist die (negative) Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, dass kein Ausweisungsgrund bestehen darf, erfüllt. Der gleichwohl vorliegende Ausweisungsgrund steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Insoweit folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15.12, BVerwGE 147, 278, juris Rn. 23; Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 23) nichts anderes. Denn dort ist das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis von einem der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegenstehenden Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausgegangen.

55

c) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitert nicht daran, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist ist. Zwar erfüllt der Kläger die weitere Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht (hierzu unter aa). Doch sind die Voraussetzungen gegeben, unter denen hiervon nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden kann (hierzu unter bb).

56

aa) Der Kläger erfüllt nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.

57

(1) Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Daran fehlt es. Der Kläger ist als türkischer Staatsangehöriger für die Einreise und den Aufenthalt zum Zweck der der Arbeitsaufnahme bzw. der Familienzusammenführung nach §§ 4, 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABl. EG Nr. L 81 S. 1) und deren Anhang I visumpflichtig. Ein solches Visum hat der Kläger vor seiner Einreise nicht eingeholt.

58

(2) Die Möglichkeit zur visumfreien Einreise folgt nicht aus dem Verschlechterungsverbot des Art. 13 ARB 1/80.

59

Der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ANBA 1981 S. 4) - ARB 1/80 - berührt nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, Vorschriften über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet und über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen (vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.1992, Rs. C-237/91 [Kus], Slg. 1992, I-06781, Rn. 25). Selbst wenn Art. 13 ARB 1/80 auch in Bezug auf die erstmalige Aufnahme türkischer Staatsangehöriger im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaats der Einführung neuer Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit entgegenstehen sollte, kann sich dies nur auf solche Personen beziehen, die von dieser Freizügigkeit Gebrauch machen wollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.2010, 1 C 8.09, BVerwGE 136, 231, juris Rn. 20). Der Kläger als Ehemann einer deutschen Staatsangehörigen begehrt aber einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Familienzusammenführung. Im Übrigen wäre eine Verschlechterung seiner Rechtsposition, der die Stillhalteklausel entgegenwirken könnte, jedenfalls nicht festzustellen. Er wäre weder im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art. 13 ARB 1/80 am 1. Dezember 1980 (vgl. Art. 16 Abs. 1 ARB 1/80) noch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt berechtigt gewesen, ohne das erforderliche Visum in das Bundesgebiet einzureisen. Nach § 5 Abs. 2 AuslG 1965 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 DV AuslG in der Fassung der 11. Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 1. Juli 1980 (BGBl. I 1980, 782), in Kraft getreten am 5. Oktober 1980, galt das Erfordernis einer vor der Einreise in der Form eines Sichtvermerks einzuholenden Aufenthaltserlaubnis für einen geplanten Daueraufenthalt u.a. für die Staatsangehörigen eines Staates, der - wie die Türkei - in der Anlage zur Verordnung nicht aufgeführt war. Entsprechendes galt für den Kläger nach § 3 Abs. 3 AuslG 1990 i.V.m. §§ 2, 9 f. DVAuslG vom 18. Dezember 1990 (BGBl. I 2983). Soweit der Kläger auch beabsichtigt, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, folgt für ihn aus der Stillhalteklausel ebenfalls keine Befreiung von der Visumpflicht. Denn schon vor Inkrafttreten des Art. 7 ARB 2/76 und des Art. 6 ARB 1/80 bestand für den Aufenthaltszweck der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach § 5 Abs. 2 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353 - AuslG 1965) i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes 1965 (hier in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juni 1976, BGBl. I S. 1717) das Erfordernis, vor der Einreise eine Aufenthaltserlaubnis in Form eines Sichtvermerks (Visum) einzuholen (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 16.7.2013, 4 Bs 162/13, n.v.; OVG Saarlouis, Beschl. v. 2.5.2012, 2 B 47/12, juris Rn. 15).

60

(3) Die Visumpflicht entfällt auch nicht wegen Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl. 1972 II S. 385) - ZP-. Nach dem am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Art. 41 Abs. 1 ZP verpflichten sich die Vertragsparteien, untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen. Es fehlt bereits an einer neuen Beschränkung, soweit türkische Staatsangehörige – wie möglicherweise der Kläger bei seiner Einreise – im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben wollen. Denn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art. 41 ZP bestand für diese die Visumpflicht (s.o.). In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Vorschriften über die Assoziation EWG-Türkei nicht die Befugnis der Mitgliedsstaaten berühren, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen, und lediglich die Stellung türkischer Arbeitnehmer regeln, die bereits ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten eingegliedert sind (vgl. EuGH, Urt. v. 11.5.2000, Rs. C-37/98 [Savas], Slg. 2000, I-20927 Rn. 58). Mit dem Familiennachzug strebt der Kläger einen dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet an; dieser unterfällt weder der Niederlassungs- noch der Dienstleistungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.2010, 1 C 8.09, BVerwGE 136, 231, juris Rn. 19; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.2.2013, 4 Bs 162/12, S. 12 f. BA, n.v.; OVG Münster, Beschl. v. 11.7.2012, 18 B 562/12, juris Rn. 4 ff.; OVG Saarlouis, Beschl. v. 2.5.2012, 2 B 47/12, juris Rn. 13). Die Stillhalteklausel ist im Übrigen auch nicht geeignet, türkischen Staatsangehörigen, die nur Dienstleistungen in einem Mitgliedsstaat empfangen wollen, allein auf der Grundlage des Unionsrechts ein Niederlassungsrecht und ein damit einhergehendes Aufenthaltsrecht zu verleihen oder ein Recht auf visumfreie Einreise zu verschaffen. Denn der dort verwendete Begriff des freien Dienstleistungsverkehrs umfasst nicht die Freiheit türkischer Staatsangehöriger, sich als Dienstleistungsempfänger in einen Mitgliedstaat zu begeben, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH, Urt. v. 24.9.2013, Rs. C-221/11 [Demirkan], NVwZ 2013, 1465).

61

(4) Der Kläger kann die Aufenthaltserlaubnis auch nicht abweichend von § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nach § 39 Nr. 5 AufenthV ohne vorherige Ausreise einholen.

62

Gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung im Bundesgebiet während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Der Kläger war weder zum Zeitpunkt der Antragstellung oder der letzten Behördenentscheidung noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Besitz einer Duldung, wie sie § 39 Nr. 5 AufenthV voraussetzt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung besaß der Kläger noch keine Duldung und auf die Duldungen, die ihm nach der Eheschließung bis jetzt erteilt wurden, kann sich der Kläger nicht berufen. Diese Duldungen dienten dem Zweck, ihm die Vorbereitung einer freiwilligen Ausreise zu ermöglichen und anschließend seine Abschiebung vorzubereiten bzw. gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Es widerspräche dem Sinn der Regelung in § 39 Nr. 5 AufenthV, wenn eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift auch dann in zulässiger Weise im Bundesgebiet eingeholt werden dürfte, wenn gerade über diese – von der Behörde verneinte – Berechtigung Streit besteht und die Duldungserteilung im Hinblick auf eine von der Behörde betriebene baldige Aufenthaltsbeendigung erfolgt (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 9.5.2012, 4 Bs 15/12, juris Rn. 37; Beschl. v. 16.11.2010, 4 Bs 220/10, AuAS 2011, 65, juris Rn. 10 ff.; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.1.2012, OVG 11 S 6.12, juris Rn. 10, OVG Münster, Beschl. v. 30.4.2010, 18 B 180/10, juris Rn. 10).

63

bb) Die Tatbestandsvoraussetzungen, unter denen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG Ermessen eröffnet ist, von der Einhaltung des Visumverfahrens abzusehen, liegen vor. Das ist der Fall, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind (1. Altern.) oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen (2. Altern.). Zwar ist das Ermessen nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG eröffnet (hierzu unter (1)). Der Kläger hat aber einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sodass die Beklagte Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG auszuüben hat (hierzu unter (2)).

64

(1) Für den Kläger ist es nicht auf Grund besonderer Umstände unzumutbar im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG, das Visumverfahren nachzuholen. Gründe, die eine zeitweise Trennung der Eheleute als unzumutbar erscheinen lassen, liegen nicht vor.

65

Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.8.2013, 2 BvR 586/13, juris Rn. 12; Beschl. v. 12.5.1987, 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 32 BvR 313/84, BVerfGE 76, 1, 49 ff., juris Rn. 103). Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2011, 2 BvR 1367/10, NVwZ-RR 2011, 585, juris Rn. 14 m.w.N.).

66

Dass die zeitweise Trennung der Eheleute aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar und deshalb unverhältnismäßig sein könnte, hat der Kläger nicht vorgetragen und dies ist auch nicht ersichtlich. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der wehrpflichtige Kläger nach seiner Rückkehr in die Türkei den Wehrdienst ableisten muss, der grundsätzlich 15 Monate andauert (vgl. zu den altersmäßigen Anforderungen und zur Dauer des obligatorischen Wehrdienstes: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 26.8.2012, S. 17 f.). Eine Trennung von seiner Ehefrau für diese Zeit erscheint allerdings auch unter Berücksichtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten privaten Interessen der Eheleute nicht unverhältnismäßig.

67

Nachzugshindernisse von begrenzter Zeitdauer, wie es das Visumverfahren darstellt, sind auch beim Ehegattennachzug zu deutschen Staatsangehörigen nicht von vornherein verfassungswidrig (vgl. zum Visumverfahren: BVerfG, Beschl. v. 17.5.2011, 2 BvR 1367/10, juris Rn. 15; Beschl. v. 4.12.2007, 2 BvR 2341/06, InfAuslR 2008, 239 f., juris Rn. 6; BVerwG, Urt. v. 11.1.2011, 1 C 23.09, BVerwGE 138, 353, juris Rn. 34). Ob eine Warte- und Trennungszeit für Eheleute unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Ziele mit der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, bedarf vielmehr der Bewertung des Einzelfalls.

68

Danach erweist sich die Trennungszeit von 15 Monaten, die - wenn der Kläger das Visumverfahren nachholt - wegen des noch zu leistenden Wehrdienstes zu erwarten ist, nicht als unverhältnismäßig. Zwar kann z.B. das gesetzlich verlangte Spracherfordernis nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz Nr. 2 AufenthG als Nachzugsvoraussetzung im Visumverfahren das zumutbare Ausmaß der Beeinträchtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG qualifiziert geschützten Belange des ausländischen und des deutschen Ehegatten übersteigen und damit unzumutbar sein, wenn es dem ausländischen Ehegatten aus besonderen persönlichen Gründen oder wegen der besonderen Umstände in seinem Heimatland nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die deutsche Sprache in seinem Heimatland zu erlernen. In einem solchen Fall schlägt die grundsätzlich verhältnismäßige Nachzugsvoraussetzung im Fall zumutbarer Bemühungen spätestens nach einem Jahr in ein unverhältnismäßiges dauerhaftes Nachzugshindernis um (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.9.2012, 10 C 12.12, BVerwGE 144, 141, juris Rn. 26 ff.). Diese bezogen auf den Spracherwerb geltenden Wertungen lassen sich aber auf den Wehrdienst nicht übertragen. Der Wehrdienst ist nicht ein durch nationale Regelungen des deutschen Gesetzgebers bestimmtes Nachzugserfordernis, sondern beruht auf den gesetzlichen Bestimmungen und öffentlichen Interessen eines anderen Staates, denen der Kläger als türkischer Staatsangehöriger unterliegt. Dass es wegen des noch nicht geleisteten Wehrdienstes zu einer Trennung kommen könnte, war beiden Eheleuten bei Eingehung der Beziehung bekannt. Diese Trennung stellt einen von vornherein zeitlich beschränkten Zeitraum dar, der die Zeitdauer von einem Jahr nur geringfügig übersteigt. Das zeitweise Nachzugshindernis der Wehrpflicht kann nicht in ein der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet auf unabsehbare Zeit oder dauerhaft entgegenstehendes Nachzugshindernis umschlagen. Denn die Ableistung des zeitlich begrenzten Wehrdienstes ist - anders als der erfolgreiche Erwerb von Sprachkenntnissen - unabhängig von persönlichen Fähigkeiten des Wehrpflichtigen. Die durch die Ableistung des Wehrdienstes im Heimatland des Antragstellers bedingte Trennung wird im Übrigen dadurch gemildert, dass während dieser Zeit die Möglichkeit der Kommunikation mit seiner Ehefrau sowie von Besuchen besteht (vgl. auch OVG Hamburg, Beschl. v. 11.2.2013, 4 Bs 269/12, n.v., S. 16 BA; Beschl. v. 16.11.2010, 4 Bs 220/10, juris Rn. 14; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.1.2011, OVG 11 S 51.10, juris Rn. 14).

69

(2) Die Beklagte kann von der Einhaltung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG absehen, weil im Fall des Klägers die Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliegen.

70

Unter einem „Anspruch“ ist grundsätzlich ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen, der nur vorliegt, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. zu § 39 Abs. 3 AufenthV: BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24, 27; vgl. zu § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG: BVerwG, Urt. v. 16.12.2008, 1 C 37.07, BVerwGE 132, 382, juris Rn. 24 m.w.N.). Die Voraussetzungen eines Anspruchs i.S. d. § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG sind auch dann erfüllt, wenn zwar eine regelhaft zu erfüllende Anspruchsvoraussetzung – vorliegend aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG – nicht vorliegt, dies jedoch unschädlich ist, weil ein Ausnahmefall gegeben ist (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 9.5.2012, 4 Bs 15/12, juris Rn. 38; Beschl. v. 26.10.2011, 5 Bs 158/11, AuAS 2012, 2, juris Rn. 24). Denn in einem solchen Fall steht § 5 Abs. 1 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen.

71

Dem Anspruch auf Erteilung steht entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht entgegen, dass hier die Voraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht vorliegt und daher Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 VwGO eröffnet ist. Der Tatbestand des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG kann nur so verstanden werden, dass außer den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1im Übrigen die Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs vorliegen müssen. Denn § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG setzt tatbestandlich für die Eröffnung des Ermessens und damit für ein mögliches Absehen von einer Voraussetzung des Satzes 1 gerade voraus, dass es an einer solchen Voraussetzung des Satzes 1 fehlt, ansonsten aber alle allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen. Anderenfalls würde die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG leerlaufen. Der Begriff des gesetzlichen Anspruchs bzw. des Rechtsanspruchs ist vor dem Hintergrund des jeweiligen Regelungskontexts zu verstehen (vgl. zu § 39 Abs. 3 AufenthV: BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24, 25; vgl. zum „strikten Rechtsanspruch“ i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG: BVerwG, Beschl. v. 16.2.2012, 1 B 22.11, juris Rn. 4; Urt. v. 16.12.2008, 1 C 37.07, BVerwGE 132, 382, Rn. 21 ff.; OVG Hamburg, Beschl. 16.1.2013, 4 Bs 185/12, n.v.; Beschl. v. 10.1.2013, 3 Bs 38/13, n.v.).

72

d) Die Entscheidung der Beklagten, von der Einhaltung des Visumverfahrens nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG abzusehen, ist fehlerhaft.

73

aa) In den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG eröffnetes Ermessen nicht ausgeübt.

74

Im maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 hat die Beklagte die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. und 2. Altern. AufenthG geprüft und ihr Vorliegen verneint. Auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung konsequent, hat die Beklagte sodann Ermessen im Hinblick auf § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgeübt (S. 4 des Widerspruchsbescheids). Ferner hat sie - unter Bezugnahme auf die Fachanweisung 1/2012 – lediglich (hilfsweise) Erwägungen in Bezug auf § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG angestellt (S. 6, Absatz 1 bis 3 des Widerspruchsbescheids).

75

Die zu § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG angestellten Ermessenserwägungen sind für die erforderliche Ausübung des Ermessens entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung nicht maßgeblich. Es bedurfte eigenständiger Ermessenserwägungen zu § 5 Abs. 2 Satz 1 1. Altern. AufenthG. Denn die 1. Tatbestandsalternative des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG besitzt einen eigenständigen Regelungsgehalt. Die Tatbestandsalternativen „gesetzlicher Anspruch“ und „Unzumutbarkeit“ weisen unterschiedliche Zweckrichtungen auf, denen die Ermessensbetätigung Rechnung tragen muss. Mit der 1. Alternative soll verhindert werden, dass das für die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung grundsätzlich unverzichtbare Visumverfahren im Einzelfall lediglich als eine bloße (für den Ausländer teure und auch für die Behörde zeit- und ressourcenaufwändige) Förmelei durchgeführt werden muss, wenn die materielle Prüfung schon zugunsten des Ausländers abgeschlossen ist (BT-Drs. 15/470, S. 70; vgl. auch Nr. 5.2.2.1 AVwV-AufenthG). Die 2. Alternative dient hingegen der Vermeidung von unzumutbaren Härten, die mit der (grundsätzlich erforderlichen) Nachholung des Visumverfahrens einhergehen (vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, a.a.O., § 5 Rn. 121). Hier stehen insbesondere individuelle Belastungen des Ausländers und/oder seiner Familienangehörigen durch seine Ausreise im Vordergrund, die im Fall der Nachholung des Visumverfahrens zu unverhältnismäßigen Eingriffen in geschützte Rechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 2 Abs. 1 GG führen können. Die Ausführungen der Beklagten zur (Un-)Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens (S. 6 des Widerspruchsbescheides) für die Eheleute tragen dem Regelungszweck der 1. Tatbestandsalternative „Anspruch auf Erteilung“ nicht Rechnung.

76

Die im Widerspruchsbescheid zu § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG angestellten Ermessenserwägungen können ebenfalls nicht als Ermessensentscheidung (auch) zu § 5 Abs. 2 Satz 1 1. Altern. AufenthG angesehen werden. Mit diesen Erwägungen hat die Beklagte das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens mit dem Interesse an der sofortigen Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft abgewogen und dabei die Zumutbarkeit der vorübergehenden Trennung bewertet. Dabei hat sie die Dauer der Trennung, fehlende die Ehe betreffende besondere Umstände und die Einbeziehung der Trennung in die Lebensplanung der Eheleute berücksichtigt. Den für die Ausübung des Ermessens im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG relevanten Gesichtspunkt, dass im Fall des Klägers ein Anspruch auf Erteilung besteht und dass sich das Visumverfahren deshalb als eine bloße Förmelei erweisen könnte, hat die Beklagte bei ihrer Ermessensbetätigung nicht berücksichtigt.

77

bb) Einschlägige Regelungen zur Ermessensausübung ergeben sich weder aus der Fachanweisung Nr. 1/2012, die die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens nach den Ausführungen im Widerspruchsbescheid zur Grundlage ihrer Verwaltungsübung gemacht hat, noch aus der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht geltenden Fachanweisung Nr. 1/2013. Darin hat die Beklagte Anordnungen für eine regelmäßige Ermessensausübung für den Fall des Ehegattennachzugs bei einem bestehenden gesetzlichen Anspruch (§ 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG) nicht getroffen. Wie die Beklagte inzwischen klargestellt hat, beziehen sich die Ausführungen unter Abschnitt A.VI. (S. 20 ff.), denen der Senat in seiner früheren Rechtsprechung eine einschlägige Ermessensbindung entnommen hat (Beschl. v. 9.5.2012, 4 Bs 15/12, juris Rn. 39), zunächst nur auf den Fall des Ehegattennachzugs nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG und die weiteren Ausführungen - in Abgrenzung zum geregelten Ehegattennachzug im Fall der 2. Alternative des § 5 Abs. 2 Satz 2 - allein auf sonstige Fälle eines Rechtsanspruchs aus familiären Gründen, nicht jedoch auf Fälle des Ehegattennachzugs. Ob dieses Verständnis der Verwaltungsvorschrift zwingend ist, kann dahingestellt bleiben. Entscheidend ist allein, dass die Beklagte sie in dieser Weise versteht und anwendet. An seiner in der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geäußerten Rechtsansicht hält das Berufungsgericht deshalb nicht mehr fest.

78

cc) Die von der Beklagten nachgeholte Ermessensentscheidung ist fehlerhaft.

79

Die Beklagte hat Ermessenserwägungen zu § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG erstmals im Berufungsverfahren (hilfsweise) angestellt. Es bedarf keiner Entscheidung, ob eine Nachholung von Ermessenserwägungen im Fall des Ermessensausfalls auch dann zulässig ist, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat und sich nicht erst wegen Umständen, die während des Klageverfahrens entstanden sind, die Notwendigkeit einer Ermessensausübung ergibt (ausdrücklich offenlassend im Fall einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme: BVerwG, Urt. v. 13.12.2011, 1 C 14.10, BVerwGE 141, 253, juris Rn. 13). Denn die nachgeholten Ermessenserwägungen der Beklagten sind nach dem Prüfungsmaßstab des § 114 Satz 1 VwGO fehlerhaft. Die Beklagte ist im Hinblick auf die nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG in ihrem Ermessen stehende Entscheidung, im Fall eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung von den Anforderungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen, teilweise von einem falschen Sachverhalt ausgegangen und hat zudem eine fehlerhafte Gewichtung der privaten und öffentlichen Belange zu Lasten des Klägers vorgenommen.

80

Die Beklagte hat die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der Visumpflicht im Fall des beabsichtigten Ehegattennachzugs, bei dem sich der Ehegatte bereits im Bundesgebiet aufhält, und die privaten und wirtschaftlichen Interessen des Klägers nicht vollständig und zutreffend ermittelt und in ihre Abwägung eingestellt. Ein Ermessensfehler liegt darin, dass sie bei ihrer Abwägung teilweise von falschen Tatsachen ausgegangen ist. Sie hat nicht berücksichtigt, dass das (private) Interesse des Klägers an der ununterbrochenen Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet im Fall der Nachholung des Visumverfahrens nicht nur durch die aus Sicht der Beklagten zumutbare Trennungszeit von drei bis vier Monaten während der Dauer des Visumverfahrens beeinträchtigt wird, sondern dass bei einer Rückkehr des Klägers in die Türkei eine durch die erforderliche Ableistung des Wehrdienstes bedingte Trennungszeit der Ehepartner von mindestens 15 Monaten zu erwarten ist. Dieser vom Kläger vorgetragene und in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erörterte Sachverhalt war der Beklagten bekannt. Ihre Ermessenserwägungen hat sie trotz des Hinweises des Klägers in seiner Berufungserwiderung und deren Darstellung in der mündlichen Verhandlung nicht korrigiert oder ergänzt.

81

Zudem besteht ein Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO darin, dass die Beklagte dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG nicht hinreichend Rechnung getragen und die in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet hat. Eine solche fehlerhafte Gewichtung kann z.B. dann vorliegen, wenn die Behörde einzelnen Tatsachen ein Gewicht beimisst, das objektiven Wertungsmaßstäben nicht entspricht (vgl. zur Überprüfung der einzustellenden Belange: BVerwG, Urt. v. 19.11.1996, 1 C 6.95, BVerwGE 102, 249, juris Rn. 24 ff.). Ein solcher bei der Abwägung relevanter Maßstab für die Gewichtung der einander gegenüberstehenden Belange kann sich aus der einfachrechtlichen Wertung des Gesetzes und insbesondere aus den durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten privaten Belangen des Ausländers ergeben, die entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen sind (vgl. zum Maßstab Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2010, § 114 Rn. 181, 184; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 114 Rn. 7, 39-41).

82

Daran gemessen hat die Beklagte die auch durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Klägers zu gering gewichtet. Die Beklagte hat ein Übergewicht der öffentlichen Interessen mit der Begründung angenommen, das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Einreisevorschriften zum Zweck der Kontrolle von einreisewilligen Personen, die sich auf Dauer im Bundesgebiet niederlassen wollten, sowie am geregelten Zuzug von Ausländern überwiege deutlich die privaten Interessen des Klägers. Der Staat führe die gesetzliche Regelung ad absurdum, wenn er die Visumpflicht einführe, aber nicht dafür sorge, dass diese eingehalten werde. Sehe er trotz illegaler Einreise des Ausländers – wie im Fall des Klägers – von der Durchführung des Visumverfahrens ab, prämiere er damit strafbares Verhalten. Demgegenüber stelle die Nachholung für den Kläger – auch unter Berücksichtigung der Kosten für die Aus- und Wiedereinreise und der zeitweisen Trennung - keine unzumutbare Belastung dar.

83

Mit dieser Gewichtung verkennt die Beklagte die Reichweite und den Zweck der gesetzlichen Ermächtigung in § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG. Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte generalpräventive Gesichtspunkte wie die Bedeutung und Wirksamkeit des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung (vgl. BT-Drs 15/420 S. 70) in ihre Ermessensbetätigung einstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.1.2011, 1 C 23.09, BVerwGE 138, 353, juris Rn. 34; Urt. v. 4.9.1986, 1 C 19.86, BVerwGE 75, 20, juris Rn. 14). Die Beklagte hat aber auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die Eröffnung des Ermessens in § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gerade ermöglichen will, im Einzelfall zu Gunsten des Ausländers von der Nachholung des Visumverfahrens abzusehen, und zwar nicht nur bei der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens, sondern auch dann, wenn ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Dem hat die Beklagte nicht ausreichend Rechnung getragen. Die Beklagte hat trotz des gesetzlichen Anspruchs des Klägers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels beim Ehegattennachzug generell dem – bereits die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG begründenden - öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Visumpflicht und an der Einholung des für den jeweiligen Aufenthaltszweck erforderlichen Aufenthaltstitels vom Ausland aus entscheidendes Gewicht beigemessen. Damit hat sie den vom Gesetzgeber eröffneten Ermessensspielraum faktisch nicht ausgenutzt und eine dem Einzelfall des Klägers Rechnung tragende Entscheidung nicht getroffen. Auch die weiteren Erwägungen tragen der Tatsache, dass im Fall des Klägers ein gesetzlicher Anspruch im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG vorliegt, nicht ausreichend Rechnung. Da bereits feststeht, dass dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen sein wird, ist die von der Beklagten generell für erforderlich gehaltene Kontrolle von einreisewilligen Personen zum Schutz vor Gefahren für die im Bundesgebiet lebenden Menschen nicht mehr notwendig. Damit steigt das Gewicht der privaten Belange, eine Trennung von seiner Ehefrau zu vermeiden und die Kosten für die Reise in die Türkei sowie die Rückreise zu ersparen. Inwieweit der Kläger in der Lage ist, diese Kosten aufzubringen, hat die Beklagte noch nicht einmal geprüft. Die generalpräventiv motivierte Erwägung der Beklagten, es dürften keine Anreize für eine Einreise unter Verstoß gegen die Einreisevorschriften geschaffen werden, verkennt, dass es eine zwangsläufige Folge der Eröffnung des Ermessens (im Fall eines gesetzlichen Anspruchs) ist, dass im Einzelfall von den Einreisevorschriften abgesehen werden kann. Mit der von der Beklagten gegebenen Begründung läuft der vom Gesetzgeber eingeräumte Ermessensspielraum leer.

84

Weiter hat die Beklagte bei ihrer Gewichtung der einander gegenüberstehenden Interessen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht berücksichtigt. Auf der Grundlage ihrer Fachanweisung 1/2013 (Seite 22) lässt die Beklagte in sonstigen Fällen eines Rechtsanspruchs aus familiären Gründen (Nachzug von Kindern oder Eltern) das öffentliche Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung des Visumverfahrens als wichtigem Steuerungsinstrument der Zuwanderung regelmäßig hinter dem gemäß Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gebotenen Schutz von Ehe und Familie zurücktreten. Hierzu heißt es in der Fachanweisung weiter: „… Denn steht wegen des Vorliegens eines Rechtsanspruchs von vornherein fest, dass das Visum umgehend nach der Ausreise zu erteilen wäre, kommt der Nachholung des Visumverfahrens eine wesentliche Steuerungsfunktion, die eine Beeinträchtigung des gemäß Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gebotenen Schutzes von Ehe und Familie durch – vorübergehende – Trennung der Familienangehörigen rechtfertigen könnte, nicht mehr zu. Das Bestehen auf der Durchführung eines Visumverfahrens würde in solchen Fällen allein zu Arbeitsaufwand für die beteiligten Behörden sowie zu wirtschaftlichem Aufwand für die Betroffenen führen, ohne eine echte Funktion in der Steuerung der Zuwanderung zu erfüllen.“ Diese Gründe gelten grundsätzlich gleichermaßen im Fall des hier vorliegenden Ehegattennachzugs, bei dem der ausländische Ehepartner sich bereits im Bundesgebiet aufhält und einen Anspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Familienzusammenführung hat. Die Beklagte hat keine Gründe angeführt und ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, aus denen sich ergeben könnte, dass im Fall des Ehegattennachzugs der Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis weniger wiegt und die öffentlichen Interessen an der Einhaltung des Visumverfahrens ein höheres Gewicht haben als im Falle des Nachzugs von anderen Familienangehörigen.

85

2. Die Beklagte kann nicht zur Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis verpflichtet werden, da die Sache nicht spruchreif ist. Der Kläger hat keinen Rechtsanspruch darauf, dass die Beklagte ihr Ermessen dahin ausübt, dass von der Durchführung des Visumverfahrens abgesehen wird.

86

Eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Klägers ist vorliegend nicht gegeben. Auch unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen ist nicht ersichtlich, dass trotz des der Beklagten zukommenden Ermessensspielraums angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls nur die Erteilung des Aufenthaltstitels ermessensfehlerfrei wäre. Der mit der Nachholung des Visumverfahrens verbundene Eingriff in die durch Art. 6 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützte Rechtsposition des Klägers ist nicht so schwerwiegend, dass zwingend sogleich eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen wäre. Wie ausgeführt, ergibt sich aus der Fachanweisung 1/2013 keine Bindung des Ermessens für den Fall des Ehegattennachzugs im Fall eines bestehenden Rechtsanspruchs auf eine Aufenthaltserlaubnis; dieser Fall ist nach der Verwaltungspraxis von der Fachanweisung nicht erfasst. Auch scheidet ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit den in der Fachanweisung 1/2013 geregelten Fällen des Familiennachzugs aus, da es der Beklagten grundsätzlich unbenommen ist, eine etwa erforderliche Gleichbehandlung auf andere Weise, ggf. auch durch eine Änderung ihrer derzeitigen Entscheidungspraxis in Fällen des sonstigen Familiennachzugs, herzustellen.

87

Im Übrigen ist für das Berufungsgericht nicht abschätzbar, ob es über die von der Beklagten herangezogenen hinaus weitere Gründe gibt, trotz des bestehenden Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis den Kläger noch auf das Visumverfahren zu verweisen. Dass es derartige Gründe gibt, welche die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens berücksichtigen und zu den persönlichen Belangen des Klägers in ein angemessenes Verhältnis bringen dürfte, ist jedenfalls nicht auszuschließen.

88

Die Beklagte hat daher unter Beachtung der oben dargestellten Rechtsauffassung des Berufungsgerichts über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erneut zu entscheiden und dabei das ihr bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zustehende Ermessen (erneut) auszuüben.

II.

89

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

III.

90

Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil der Rechtssache wegen der höchstrichterlich nicht geklärten und in der Rechtsprechung umstrittenen Voraussetzungen für die Annahme eines Ausnahmefalls im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Fall des Ehegattennachzugs zu einem deutschen Ehepartner grundsätzliche Bedeutung zukommt.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern.

(2) Ein nach der Einreise des Ausländers von der Ausländerbehörde erteilter oder verlängerter Aufenthaltstitel kann nach den Vorschriften dieses Gesetzes ungeachtet des Umstandes verlängert werden, dass der Ausländer einen Asylantrag gestellt hat.

(3) Einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nummer 1 bis 6 des Asylgesetzes abgelehnt wurde, darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Sätze 1 und 2 finden im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung; Satz 2 ist ferner nicht anzuwenden, wenn der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 erfüllt.

Über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn

1.
er ein nationales Visum (§ 6 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes) oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
er vom Erfordernis des Aufenthaltstitels befreit ist und die Befreiung nicht auf einen Teil des Bundesgebiets oder auf einen Aufenthalt bis zu längstens sechs Monaten beschränkt ist,
3.
er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Absatz 1 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind, es sei denn, es handelt sich um einen Anspruch nach den §§ 16b, 16e oder 19e des Aufenthaltsgesetzes,
4.
er eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzt und die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 oder 2 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,
5.
seine Abschiebung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat,
6.
er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und auf Grund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind; § 41 Abs. 3 findet Anwendung,
7.
er seit mindestens 18 Monaten eine Blaue Karte EU besitzt, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellt wurde, und er für die Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung eine Blaue Karte EU beantragt. Gleiches gilt für seine Familienangehörigen, die im Besitz eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug sind, der von demselben Staat ausgestellt wurde wie die Blaue Karte EU des Ausländers. Die Anträge auf die Blaue Karte EU sowie auf die Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug sind innerhalb eines Monats nach Einreise in das Bundesgebiet zu stellen,
8.
er die Verlängerung einer ICT-Karte nach § 19 des Aufenthaltsgesetzes beantragt,
9.
er
a)
einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie 2014/66/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers (ABl. L 157 vom 27.5.2014, S. 1), und
b)
eine Mobiler-ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Mobiler-ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt,
10.
er
a)
einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit (ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 21), und
b)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18f des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18f des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder
11.
er vor Ablauf der Arbeitserlaubnis oder der Arbeitserlaubnisse zum Zweck der Saisonbeschäftigung, die ihm nach § 15a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 der Beschäftigungsverordnung erteilt wurde oder wurden, einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Saisonbeschäftigung bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber beantragt; dieser Aufenthaltstitel gilt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erteilt.
Satz 1 gilt nicht, wenn eine ICT-Karte nach § 19 des Aufenthaltsgesetzes beantragt wird.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er

1.
einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt,
2.
den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt,
2a.
zwar ein nach § 4 erforderliches Visum bei Einreise besitzt, dieses aber durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkt oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen wurde und deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder annulliert wird, oder
3.
nach § 11 Absatz 1, 6 oder 7 nicht einreisen darf, es sei denn, er besitzt eine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8.

(2) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden können Ausnahme-Visa und Passersatzpapiere ausstellen.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 11. Juni 2015 - 6 K 2550/13 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der nach § 124a Abs. 4 Sätze 1 und 4 VwGO rechtzeitig gestellte und begründete, auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
Es kann offen bleiben, ob der Antrag auf Zulassung der Berufung rechtzeitig gestellt wurde bzw. ob dem Kläger insoweit Wiedereinsetzung hätte gewährt werden müssen. Denn der Antrag ist jedenfalls in der Sache nicht begründet.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.03.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl. 2004, 838, vom 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744, vom 12.11.2002 - 7 AV 4.02 - juris, vom 11.11.2002 - 7 AV 3.02 - DVBl. 2003, 401, und vom 14.06.2002 - 7 AV 1.02 - DVBl. 2002, 1556). Mit anderen Worten: Sie sind immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - NJW 2004, 2510, Kammerbeschluss vom 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546). Dabei ist davon auszugehen, dass das Zulassungsverfahren das Berufungsverfahren nicht vorwegnehmen soll (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.2009 - 1 BvR 812/09 - NJW 2010, 1062), es sei denn, es lässt sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2004, a.a.O.), sofern nicht seinerseits andere Gründe wiederum auf einen anderen Zulassungsgrund hinführen würden (vgl. hierzu Bader u.a., VwGO, 5. Aufl. 2011, § 124 Rdn. 22). Dabei sind auch nach Erlass der angegriffenen Entscheidung und bis zum Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) neu eingetretene Tatsachen sowie erhebliche Änderungen des maßgeblichen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.06.2002 und vom 15.12.2003, jew. a.a.O.).
Zur Darlegung ernstlicher Zweifel ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erforderlich. Der Streitstoff muss dabei unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil gesichtet, rechtlich durchdrungen und aufbereitet werden; erforderlich ist eine fallbezogene Begründung, die dem Berufungsgericht eine Beurteilung der Zulassungsfrage ohne weitere eigene aufwendige Ermittlungen ermöglicht. Das Maß der zu leistenden Substantiierung kann dabei von der jeweiligen Begründungsdichte und dem Begründungsaufwand der Entscheidung abhängig sein.
Gemessen hieran zeigt die Antragsbegründung nicht auf, dass das angegriffene Urteil ernstlich zweifelhaft sein könnte. Sie geht schon nicht in dem gebotenen Maße auf die konkrete, die Entscheidung tragende Argumentation des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil ein, das ausgeführt hat, dass der Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel zwingend die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenstehe und auch keine Ausnahmemöglichkeit nach Absatz 3 Satz 2 gegeben ist. Das Verwaltungsgericht stellt gerade nicht infrage und übersieht - entgegen dem Vorbringen des Klägers - nicht, dass nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bzw. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom entgegenstehenden Ausweisungsgrund bzw. Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden kann; es weist insbesondere darauf hin, dass hier auch in Betracht zu ziehen sei, von einer Ermessensreduzierung auf null auszugehen (vgl. UA S. 9 unten), weshalb auch die Ausländerbehörde die Erteilung einer Vorabzustimmung in Aussicht gestellt habe. Das Verwaltungsgericht hat aber ebenfalls in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (zu Recht) ausgeführt, dass eine Ermessensreduzierung nicht auf einen Anspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG hinführen könne. Mit alledem setzt sich die Antragsbegründung nicht hinreichend auseinander.
Dem angegriffenen Urteil lässt sich entgegen dem Vorbringen des Klägers auch nicht entnehmen, dass es - in unzulässiger Weise - allein auf die Sichtweise des Vaters und nicht auch auf die des Kindes abgestellt haben könnte, wenn es um die Beurteilung einer Unzumutbarkeit der vorübergehenden Trennung geht. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die Trennung nicht unverhältnismäßig lang sein werde, weil zum einen die Ausländerbehörde eine Vorabzustimmung konkret in Aussicht gestellt und, wie bereits oben angesprochen, den familiären Belangen mit hohem Gewicht von der Auslandsvertretung Rechnung getragen werden müsse. Diese Einschätzung ist weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht vom Kläger erschüttert worden.
Sollen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gerade hinsichtlich einer Tatsachen- oder Beweiswürdigung – wie sie auch im vorliegenden Fall erfolgt ist – geltend gemacht werden, sind besondere Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe zu stellen (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.04.2008 - 13 S 171/08 - AuAS 2008, 150; BayVGH, Beschlüsse vom 29.07.2009 - 11 ZB 07.1043 - juris und vom 21.01.2013 - 8 ZB 11.2030 - juris; NiedersOVG, Beschlüsse vom 18.01.2001 - 4 L 2401/00 - juris und vom 23.01.2013 - 8 LA 226/12 - juris; SächsOVG, Beschluss vom 08.01.2010 - 3 B 197/07 - juris). Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Verwaltungsgericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es ist bei der Würdigung aller erheblichen Tatsachen - nicht nur des Ergebnisses einer gegebenenfalls durchgeführten förmlichen Beweisaufnahme, sondern auch des Inhalts der Akten, des Vortrags der Beteiligten, eingeholter Auskünfte usw. - frei, d.h. nur an die innere Überzeugungskraft der in Betracht kommenden Gesichtspunkte und Argumente, an die Denkgesetze, anerkannten Erfahrungssätze und Auslegungsgrundsätze gebunden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., 2014, § 108 Rdn. 4 m.w.N.). Ist das Gericht unter umfassender Würdigung des Akteninhalts und der Angaben der Beteiligten (sowie gegebenenfalls des Ergebnisses einer Beweisaufnahme) zu der Überzeugung gelangt, dass entscheidungserhebliche Tatsachen vorliegen oder nicht, können ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Beweiswürdigung nicht schon durch die Darlegung von Tatsachen hervorgerufen werden, die lediglich belegen, dass auch eine inhaltlich andere Überzeugung möglich gewesen wäre oder dass das Berufungsgericht bei einer Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach Aktenlage zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte; für die umfassende Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Verwaltungsgericht fehlt dem Berufungsgericht im Zulassungsverfahren ohnehin regelmäßig der im Einzelfall wesentliche persönliche Eindruck von den Beteiligten und Zeugen. Vielmehr bedarf es der Darlegung erheblicher Fehler bei der Tatsachen- oder Beweiswürdigung, die etwa dann vorliegen können, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, gegen Denkgesetze verstoßen, gesetzliche Beweisregeln missachtet hat oder die entscheidungstragenden Erwägungen nicht nachvollzogen werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - InfAuslR 1994, 424; Beschluss vom 28.03.2012 - 8 B 76.11 - juris m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 12.07.2012 - 2 S 1265/12 - NVwZ-RR 2012, 778, vom 27.03.2008 - 11 S 2194/07 und vom 02.04.2008 - 13 S 171/08 - a.a.O.; Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 124 Rdn. 18 und 20). Derartige Mängel zeigt die Begründung des Zulassungsantrags nicht auf. Auch sieht der Senat keinen ausreichenden Ansatz dafür, dass eine hier nur kurzfristige Trennung mit den verfassungsrechtlichen Erfordernissen des Ehe- und Familienschutzes nicht mehr zu vereinbaren sein könnte. Eine Ausnahmesituation derart, dass im konkreten Fall eine ständige Anwesenheit des Klägers erforderlich wäre, ist nicht substantiiert dargelegt.
Wenn die Richtigkeit der amtsgerichtlichen Verurteilung unter Berufung auf die Auskunft des Generalkonsulats Lagos vom 01.08.2012 infrage gestellt wird, so liegt dieser Einwand offensichtlich neben der Sache. Der Kläger trat zunächst unter dem Namen „Emeka Nduka MADUABUCHI, geb. 10.04.1971 in Nnewi auf. Das Generalkonsulat bestätigte später die Personalien mit „Mmaduabuchukwu Chukwuemeka NDUKA, geb. 17.06.1982 in Nnewi“. Selbst unter Berücksichtigung gewisser phonetischer Verschiebungen kann auch mit Blick auf die unterschiedlichen Geburtsdaten offensichtlich von keiner Identität ausgegangen werden.
Aus den Ausführungen im Zulassungsantrag ergibt sich auch nicht hinreichend deutlich, dass dieses im Hinblick auf die Änderung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.7.2015 (BGBl. I, S. 1386) nunmehr ernstlichen Zweifeln ausgesetzt sein könnte. Zwar wurde insoweit der Begriff des „Ausweisungsgrundes“ durch den des „Ausweisungsinteresses“ ersetzt. Es ist jedoch nicht - auch nicht aufgrund der Ausführungen im Zulassungsverfahren - ersichtlich, dass damit eine materielle Änderung verbunden sein sollte. Denn es entsprach bislang allgemeinem Konsens, dass die Bejahung eines Ausweisungsgrundes nicht voraussetzt, dass etwa auch im konkreten Fall eine Ausweisungsverfügung rechtmäßig und ermessensfehlerfrei hätte erlassen werden dürfen (vgl. GK-AufenthG § 5 Rn. 56 m.w.N.). Dass nunmehr etwa ein Ausweisungsinteresse nur dann bejaht werden dürfte, wenn auch eine Ausweisung im konkreten Fall zulässig wäre, ist nicht ausreichend dargetan und auch nicht ersichtlich. In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es nämlich lapidar, „es handelt sich um eine Folgeänderung zur Neuordnung des Ausweisungsrechts in den §§ 53 ff.“ (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 35). Es liegt daher nahe, wie bisher von einem Ausweisungsinteresse dann auszugehen und dieses zu bejahen, wenn der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (vgl. § 53 Abs. 1 AufenthG n.F.). Die Ausführungen im Zulassungsverfahren lassen keinen ausreichend tragfähigen Ansatz für eine andere Interpretation erkennen. Der aktuellen Anwendbarkeit der Vorschrift des neuen § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG steht auch nicht entgegen, dass gem. Art. 9 des Gesetzes vom 27.07.2015 die §§ 53 ff. erst zum 01.01.2016 in Kraft treten werden. Denn hieraus folgt nur, dass auf der Grundlage der neuen §§ 53 ff. vor dem 01.01.2016 noch keine Ausweisungsentscheidung ergehen darf (vgl. auch Zühlcke, in: HTK-AuslR, zu § 25 b Abs. 2 Ziff. 3).
10 
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 3 VwGO).
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
12 
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
13 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 11. Juni 2015 - 6 K 2550/13 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der nach § 124a Abs. 4 Sätze 1 und 4 VwGO rechtzeitig gestellte und begründete, auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
Es kann offen bleiben, ob der Antrag auf Zulassung der Berufung rechtzeitig gestellt wurde bzw. ob dem Kläger insoweit Wiedereinsetzung hätte gewährt werden müssen. Denn der Antrag ist jedenfalls in der Sache nicht begründet.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.03.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl. 2004, 838, vom 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744, vom 12.11.2002 - 7 AV 4.02 - juris, vom 11.11.2002 - 7 AV 3.02 - DVBl. 2003, 401, und vom 14.06.2002 - 7 AV 1.02 - DVBl. 2002, 1556). Mit anderen Worten: Sie sind immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 - NJW 2004, 2510, Kammerbeschluss vom 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546). Dabei ist davon auszugehen, dass das Zulassungsverfahren das Berufungsverfahren nicht vorwegnehmen soll (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.2009 - 1 BvR 812/09 - NJW 2010, 1062), es sei denn, es lässt sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2004, a.a.O.), sofern nicht seinerseits andere Gründe wiederum auf einen anderen Zulassungsgrund hinführen würden (vgl. hierzu Bader u.a., VwGO, 5. Aufl. 2011, § 124 Rdn. 22). Dabei sind auch nach Erlass der angegriffenen Entscheidung und bis zum Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) neu eingetretene Tatsachen sowie erhebliche Änderungen des maßgeblichen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.06.2002 und vom 15.12.2003, jew. a.a.O.).
Zur Darlegung ernstlicher Zweifel ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erforderlich. Der Streitstoff muss dabei unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil gesichtet, rechtlich durchdrungen und aufbereitet werden; erforderlich ist eine fallbezogene Begründung, die dem Berufungsgericht eine Beurteilung der Zulassungsfrage ohne weitere eigene aufwendige Ermittlungen ermöglicht. Das Maß der zu leistenden Substantiierung kann dabei von der jeweiligen Begründungsdichte und dem Begründungsaufwand der Entscheidung abhängig sein.
Gemessen hieran zeigt die Antragsbegründung nicht auf, dass das angegriffene Urteil ernstlich zweifelhaft sein könnte. Sie geht schon nicht in dem gebotenen Maße auf die konkrete, die Entscheidung tragende Argumentation des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Urteil ein, das ausgeführt hat, dass der Erteilung der begehrten Aufenthaltstitel zwingend die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenstehe und auch keine Ausnahmemöglichkeit nach Absatz 3 Satz 2 gegeben ist. Das Verwaltungsgericht stellt gerade nicht infrage und übersieht - entgegen dem Vorbringen des Klägers - nicht, dass nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bzw. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom entgegenstehenden Ausweisungsgrund bzw. Ausweisungsinteresse im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Ermessenswege abgesehen werden kann; es weist insbesondere darauf hin, dass hier auch in Betracht zu ziehen sei, von einer Ermessensreduzierung auf null auszugehen (vgl. UA S. 9 unten), weshalb auch die Ausländerbehörde die Erteilung einer Vorabzustimmung in Aussicht gestellt habe. Das Verwaltungsgericht hat aber ebenfalls in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (zu Recht) ausgeführt, dass eine Ermessensreduzierung nicht auf einen Anspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG hinführen könne. Mit alledem setzt sich die Antragsbegründung nicht hinreichend auseinander.
Dem angegriffenen Urteil lässt sich entgegen dem Vorbringen des Klägers auch nicht entnehmen, dass es - in unzulässiger Weise - allein auf die Sichtweise des Vaters und nicht auch auf die des Kindes abgestellt haben könnte, wenn es um die Beurteilung einer Unzumutbarkeit der vorübergehenden Trennung geht. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die Trennung nicht unverhältnismäßig lang sein werde, weil zum einen die Ausländerbehörde eine Vorabzustimmung konkret in Aussicht gestellt und, wie bereits oben angesprochen, den familiären Belangen mit hohem Gewicht von der Auslandsvertretung Rechnung getragen werden müsse. Diese Einschätzung ist weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht vom Kläger erschüttert worden.
Sollen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gerade hinsichtlich einer Tatsachen- oder Beweiswürdigung – wie sie auch im vorliegenden Fall erfolgt ist – geltend gemacht werden, sind besondere Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe zu stellen (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.04.2008 - 13 S 171/08 - AuAS 2008, 150; BayVGH, Beschlüsse vom 29.07.2009 - 11 ZB 07.1043 - juris und vom 21.01.2013 - 8 ZB 11.2030 - juris; NiedersOVG, Beschlüsse vom 18.01.2001 - 4 L 2401/00 - juris und vom 23.01.2013 - 8 LA 226/12 - juris; SächsOVG, Beschluss vom 08.01.2010 - 3 B 197/07 - juris). Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Verwaltungsgericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es ist bei der Würdigung aller erheblichen Tatsachen - nicht nur des Ergebnisses einer gegebenenfalls durchgeführten förmlichen Beweisaufnahme, sondern auch des Inhalts der Akten, des Vortrags der Beteiligten, eingeholter Auskünfte usw. - frei, d.h. nur an die innere Überzeugungskraft der in Betracht kommenden Gesichtspunkte und Argumente, an die Denkgesetze, anerkannten Erfahrungssätze und Auslegungsgrundsätze gebunden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., 2014, § 108 Rdn. 4 m.w.N.). Ist das Gericht unter umfassender Würdigung des Akteninhalts und der Angaben der Beteiligten (sowie gegebenenfalls des Ergebnisses einer Beweisaufnahme) zu der Überzeugung gelangt, dass entscheidungserhebliche Tatsachen vorliegen oder nicht, können ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Beweiswürdigung nicht schon durch die Darlegung von Tatsachen hervorgerufen werden, die lediglich belegen, dass auch eine inhaltlich andere Überzeugung möglich gewesen wäre oder dass das Berufungsgericht bei einer Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach Aktenlage zu einem anderen Ergebnis gelangen könnte; für die umfassende Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Verwaltungsgericht fehlt dem Berufungsgericht im Zulassungsverfahren ohnehin regelmäßig der im Einzelfall wesentliche persönliche Eindruck von den Beteiligten und Zeugen. Vielmehr bedarf es der Darlegung erheblicher Fehler bei der Tatsachen- oder Beweiswürdigung, die etwa dann vorliegen können, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, gegen Denkgesetze verstoßen, gesetzliche Beweisregeln missachtet hat oder die entscheidungstragenden Erwägungen nicht nachvollzogen werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - InfAuslR 1994, 424; Beschluss vom 28.03.2012 - 8 B 76.11 - juris m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 12.07.2012 - 2 S 1265/12 - NVwZ-RR 2012, 778, vom 27.03.2008 - 11 S 2194/07 und vom 02.04.2008 - 13 S 171/08 - a.a.O.; Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 124 Rdn. 18 und 20). Derartige Mängel zeigt die Begründung des Zulassungsantrags nicht auf. Auch sieht der Senat keinen ausreichenden Ansatz dafür, dass eine hier nur kurzfristige Trennung mit den verfassungsrechtlichen Erfordernissen des Ehe- und Familienschutzes nicht mehr zu vereinbaren sein könnte. Eine Ausnahmesituation derart, dass im konkreten Fall eine ständige Anwesenheit des Klägers erforderlich wäre, ist nicht substantiiert dargelegt.
Wenn die Richtigkeit der amtsgerichtlichen Verurteilung unter Berufung auf die Auskunft des Generalkonsulats Lagos vom 01.08.2012 infrage gestellt wird, so liegt dieser Einwand offensichtlich neben der Sache. Der Kläger trat zunächst unter dem Namen „Emeka Nduka MADUABUCHI, geb. 10.04.1971 in Nnewi auf. Das Generalkonsulat bestätigte später die Personalien mit „Mmaduabuchukwu Chukwuemeka NDUKA, geb. 17.06.1982 in Nnewi“. Selbst unter Berücksichtigung gewisser phonetischer Verschiebungen kann auch mit Blick auf die unterschiedlichen Geburtsdaten offensichtlich von keiner Identität ausgegangen werden.
Aus den Ausführungen im Zulassungsantrag ergibt sich auch nicht hinreichend deutlich, dass dieses im Hinblick auf die Änderung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.7.2015 (BGBl. I, S. 1386) nunmehr ernstlichen Zweifeln ausgesetzt sein könnte. Zwar wurde insoweit der Begriff des „Ausweisungsgrundes“ durch den des „Ausweisungsinteresses“ ersetzt. Es ist jedoch nicht - auch nicht aufgrund der Ausführungen im Zulassungsverfahren - ersichtlich, dass damit eine materielle Änderung verbunden sein sollte. Denn es entsprach bislang allgemeinem Konsens, dass die Bejahung eines Ausweisungsgrundes nicht voraussetzt, dass etwa auch im konkreten Fall eine Ausweisungsverfügung rechtmäßig und ermessensfehlerfrei hätte erlassen werden dürfen (vgl. GK-AufenthG § 5 Rn. 56 m.w.N.). Dass nunmehr etwa ein Ausweisungsinteresse nur dann bejaht werden dürfte, wenn auch eine Ausweisung im konkreten Fall zulässig wäre, ist nicht ausreichend dargetan und auch nicht ersichtlich. In der Begründung des Gesetzentwurfes heißt es nämlich lapidar, „es handelt sich um eine Folgeänderung zur Neuordnung des Ausweisungsrechts in den §§ 53 ff.“ (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 35). Es liegt daher nahe, wie bisher von einem Ausweisungsinteresse dann auszugehen und dieses zu bejahen, wenn der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (vgl. § 53 Abs. 1 AufenthG n.F.). Die Ausführungen im Zulassungsverfahren lassen keinen ausreichend tragfähigen Ansatz für eine andere Interpretation erkennen. Der aktuellen Anwendbarkeit der Vorschrift des neuen § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG steht auch nicht entgegen, dass gem. Art. 9 des Gesetzes vom 27.07.2015 die §§ 53 ff. erst zum 01.01.2016 in Kraft treten werden. Denn hieraus folgt nur, dass auf der Grundlage der neuen §§ 53 ff. vor dem 01.01.2016 noch keine Ausweisungsentscheidung ergehen darf (vgl. auch Zühlcke, in: HTK-AuslR, zu § 25 b Abs. 2 Ziff. 3).
10 
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 3 VwGO).
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
12 
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
13 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Januar 2013 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2012 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau.

2

Der … 1983 in … /Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Im Dezember 2002 wurde er während seines illegalen Aufenthalts in Hamburg vorläufig festgenommen und mit Bescheid vom 20. Februar 2003 wegen illegalen Aufenthalts ausgewiesen. Der Bescheid wurde öffentlich zugestellt.

3

Am 14. April 2011 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung und eine Duldung, um seine Verlobte, die deutsche Staatsangehörige M., heiraten zu können. Er teilte mit, er sei am 6. März 2010 mit Hilfe eines Schleppers auf dem Landweg in die Bundesrepublik eingereist und habe hier Arbeit gesucht. Im Mai 2010 habe er seine Verlobte kennengelernt, bei der er seit September 2010 wohne. Wehrdienst habe er in der Türkei noch nicht geleistet. Die Beklagte erteilte dem Kläger am 18. April 2011 eine Duldung, die fortwährend verlängert wurde. Gegen die Ausweisung erhob der Kläger Widerspruch und machte u.a. geltend, sie sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.

4

Am … 2011 heiratete der Kläger seine Verlobte.

5

Durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 11. August 2011 wurde der Kläger wegen illegaler Einreise in Tateinheit mit illegalem Aufenthalt zu einer Geldstrafe von 60 Tages-sätzen verurteilt.

6

Mit Bescheid vom 1. September 2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG oder § 25 Abs. 5 AufenthG ab. Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 28. September 2011 Widerspruch.

7

Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtete das Berufungsgericht mit Beschluss vom 9. Mai 2012 (4 Bs 15/12, juris) die Beklagte, die beabsichtigte Abschiebung des Klägers einstweilen auszusetzen. Mit Schreiben vom 14. Juni 2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie betrachte die Ausweisungsverfügung vom 20. Februar 2003 als obsolet und habe diese im Register gelöscht.

8

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie verwies u.a. darauf, nach der Aufhebung der Ausweisung vom 20. Februar 2003 sei die Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 AufenthG weggefallen. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe aber entgegen, dass es an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG fehle. Es liege ein Ausweisungsgrund i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil das Verhalten des Klägers den Tatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfülle. Das Vorliegen eines abstrakten Ausweisungsgrundes sei ausreichend. Eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liege nicht vor. Der Sachverhalt unterscheide sich nicht von demjenigen anderer Ausländer, die mit deutschen Staatsangehörigen die Ehe geschlossen hätten. Der Umstand, dass es familiäre Bindungen gebe, sei allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen. Dabei übe sie, die Beklagte, das Ermessen zu Ungunsten des Klägers aus. Das öffentliche Interesse an einem geregelten Visumverfahren und damit an der staatlichen Steuerung der Zuwanderung überwiege das Interesse des Klägers an der sofortigen Aufnahme bzw. Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Der Kläger sei nicht mit dem erforderlichen Visum im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eingereist. Dem Kläger könne die Aufenthaltserlaubnis auch nicht visumfrei nach § 39 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) erteilt werden. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Erfüllung der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG seien nicht erfüllt. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe nicht. Die Pflicht, das Bundesgebiet vorübergehend zu verlassen, um das Visumverfahren nachzuholen, sei für den Kläger zumutbar und verstoße nicht gegen seine Rechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK. Somit sei das Ermessen nicht eröffnet. Eine Ausnahme von der Durchführung des Visumverfahrens im Fall des Ehegattennachzugs komme im Ergebnis nur nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG und nur in den auf Seite 19 ff. der Fachanweisung der Behörde für Inneres und Sport zum Ausländerrecht Nr. 1/2012 aufgeführten Fällen in Betracht. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor.

9

Der Kläger hat am 29. Juni 2012 Klage erhoben und u.a. geltend gemacht: Ihm stehe ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufentG zu. Zwar liege die negative Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, es sei jedoch ein Ausnahmefall anzunehmen, weil er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG genieße. Von der Durchführung des Visumverfahrens hätte die Beklagte absehen müssen. Die Beklagte habe das ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Dieses Ermessen sei auf Grund ihrer Fachanweisung Nr. 1/2012 gebunden, soweit darin ausgeführt werde, dass in Fällen des Rechtsanspruchs aus familiären Gründen das öffentliche Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung des Visumverfahrens regelmäßig hinter dem durch Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gebotenen Schutz von Ehe und Familie zurücktrete.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2012 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG,
hilfsweise ihm eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.

12

Die Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Sie hat sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide bezogen.

15

Der Klage hat das Verwaltungsgericht Hamburg durch Urteil vom 24. Januar 2013 stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2012 verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, ohne vorher ausreisen und das Visumverfahren durchführen zu müssen. Er erfülle die Voraussetzungen der §§ 28 Abs. 1 Satz 1, Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Den Nachweis über deutsche Sprachkenntnisse habe er erbracht. Auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG stehe der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Zwar liege ein Ausweisungsgrund vor, weil der Kläger unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sei und sich hier illegal aufgehalten habe. In seinem Fall liege jedoch kein Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, sondern ein Ausnahmefall. Der Kläger genieße als Ehegatte einer deutschen Staatsangehörigen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Diese in § 56 AufenthG zum Ausdruck kommende Wertung sei bei § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu berücksichtigen. Auch bestehe keine Wiederholungsgefahr. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe auch § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Der Kläger erfülle wegen seiner illegalen Einreise zwar nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Er könne einen Anspruch auch nicht auf § 39 Nr. 5 AufenthV stützen. Es sei aber das Ermessen für eine Entscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG eröffnet. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lägen vor. Das Ermessen der Beklagten sei zu Gunsten des Klägers auf Null reduziert. Es sei durch die Fachanweisung Nr. 1/2012, Seite 17 ff., 20 entsprechend gebunden.

16

Mit der vom Berufungsgericht mit Beschluss vom 17. April 2013 zugelassenen und am 7. Mai 2013 begründeten Berufung macht die Beklagte u.a. geltend: Zu Unrecht gehe das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis kein Ausweisungsgrund i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegenstehe. Der Kläger habe einen Ausweisungsgrund verwirklicht. Es komme nicht darauf an, ob er im konkreten Fall – etwa wegen besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG - tatsächlich (nicht) ausgewiesen werden könne. Auch sei es unerheblich, ob die Gefahr der Begehung neuer Straftaten drohe. Es gehe hier nicht um die Durchsetzung der Ausweisung und ein längeres Fernhalten des Klägers, sondern nur um die Einhaltung des Visumverfahrens, das üblicherweise drei bis vier Monate dauere und an dessen Durchsetzung auch bei mit Deutschen verheirateten Ausländern ein öffentliches Interesse bestehe. Der aufgrund besonderer familiärer Bindungen im Bundesgebiet bestehende besondere Ausweisungsschutz sei allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen, nicht aber bei der Prüfung eines Ausnahmefalls nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei die Ausnahmeregelung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht gegeben, weil ein gesetzlicher Anspruch nicht bestehe. Bei der illegalen Einreise träfen zwei Tatbestandsmerkmale zusammen: der Ausweisungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und der Visumverstoß nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Diese Rechtsgrundlagen dürften nicht vermischt werden. Ein gesetzlicher Anspruch im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG könne nie vorliegen, wenn ein Ausländer zur Eheschließung illegal eingereist sei und sich später dauerhaft hier aufhalten wolle. Ferner sei die Annahme des Verwaltungsgerichts falsch, das Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sei im Fall eines gesetzlichen Anspruchs aufgrund der früheren und der nunmehr geltenden Fachanweisung der Behörde für Inneres und Sport zum Ausländerrecht Nr. 1/2013 auf Null reduziert. Die Ausführungen auf Seite 22 der aktuellen Fachanweisung bezögen sich auf sonstige Fälle des Rechtsanspruchs aus familiären Gründen und ausdrücklich nicht auf Fälle des Ehegattennachzugs.

17

Für den Fall, dass das Berufungsgericht weiterhin von einem gesetzlichen Anspruch i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ausgehe und damit das nach dieser Vorschrift gegebene Ermessen als eröffnet ansehe, übe sie, die Beklagte, hilfsweise dieses Ermessen wie folgt aus: Sie habe zwischen dem Interesse des Klägers an der ununterbrochenen Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet und dem öffentlichen Interesse an der Durchführung des Visumverfahrens abzuwägen. Das private Interesse des Klägers ergebe sich u.a. daraus, dass ihm Kosten für Aus- und Wiedereinreise entstünden. Außerdem wären die Eheleute etwa drei bis vier Monate getrennt. Der Kläger habe aber die Situation selbst herbeigeführt, weil er - bereits zum zweiten Mal - bewusst unerlaubt eingereist sei. Er habe gezeigt, dass er die Einreisevorschriften nicht einhalten wolle und sogar in Kauf nehme, gegen Strafvorschriften zu verstoßen. Es bestehe ein öffentliches Interesse an dem geregelten Zuzug von Ausländern, die sich auf Dauer im Bundesgebiet niederlassen wollten. Dieses öffentliche Interesse umfasse auch die staatliche Pflicht, Schaden von den berechtigt im Bundesgebiet lebenden Personen möglichst abzuhalten. Dies erfordere die Kontrolle der einreisewilligen Personen, die einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet anstrebten, vor ihrer Einreise. Das öffentliche Interesse an der Durchführung des Visumverfahrens entfalle auch dann nicht, wenn sich im konkreten Einzelfall herausstelle, dass der unerlaubt eingereiste Ausländer keine konkrete Gefahr darstelle oder sonst die öffentlichen Belange nicht beeinträchtige. Anderenfalls werde strafbares Verhalten prämiert. Die für den Kläger durch das Nachholen des Visumverfahrens entstehenden Nachteile seien gegenüber dem dargestellten öffentlichen Interesse von weitaus geringerer Bedeutung und stellten für ihn auch keine unzumutbare Belastung dar.

18

Die Beklagte beantragt,

19

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Januar 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.

20

Der Kläger beantragt,

21

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

22

Er macht u.a. geltend, die Beklagte verkenne, dass § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG alle denkbaren Ausweisungsgründe betreffe, während nur § 5 Abs. 2 die Frage der unerlaubten Einreise und Ausnahmen hiervon regle. In jedem Einzelfall, in dem ein Ausweisungsgrund vorliege, müsse geprüft werden, ob ein Ausnahmefall gegeben sei. Bei dieser Prüfung sei es aber verfehlt, auf die Rechtsfolgen abzustellen, die sich aus der Feststellung eines Ausnahmefalls im Hinblick auf die Ausnahmemöglichkeiten des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ergäben. Die Beklagte sei zu Unrecht im Hinblick auf ihr Ziel, die Visumpflicht durchzusetzen, in Fällen wie dem vorliegenden generell der Ansicht, dass eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht angenommen werden könne. Gerade wenn diese Regelerteilungsvoraussetzung mit dem Grundrecht aus Art. 6 GG und mit Art. 8 EMRK nicht zu vereinbaren sei, müsse ein Ausnahmefall anerkannt werden.

23

Im Hinblick auf das der Beklagten nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufentG eingeräumte Ermessen bestehe eine Ermessensbindung aufgrund der nunmehr geltenden Fachanweisung Nr. 1/2013. Die in der Fachanweisung für den Fall des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG beim Ehegattennachzug bindend festgelegten Ermessenserwägungen gälten auch für den Fall eines gesetzlichen Anspruchs nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG. Eine voraussichtlich lange Dauer der Trennung von Familienangehörigen aufgrund der Nachholung des Visumverfahrens rechtfertige einen ausnahmsweisen Verzicht auf die Nachholung aus familiären Gründen. Eine solch lange Trennung sei wegen des 15-monatigen Wehrdienstes zu erwarten. Die im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG von der Beklagten jetzt angestellten Ermessenserwägungen seien fehlerhaft, weil die Beklagte von einer Trennungszeit von drei bis vier Monaten für die Dauer des Visumverfahrens ausgehe, der in der Türkei bei seiner Rückkehr noch abzuleistende Militärdienst aber 15 Monate betrage. Die Ermessenerwägungen seien auch deshalb zu beanstanden, weil die Beklagte geltend mache, der Gesetzgeber halte auch in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich am Visumverfahren fest. Damit verkenne die Beklagte, dass das ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen gerade ermögliche, hiervon anzusehen.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte des Verfahrens 4 Bs 15/12, die Sachakten der Beklagten und den Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die Türkei vom 26. August 2012 Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht vollen Umfangs stattgegeben. Die zulässige Klage des Klägers hat nur insoweit Erfolg, als die Beklagte verpflichtet wird, über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden; insoweit ist das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern. Die darüber hinausgehende Berufung hat keinen Erfolg.

I.

26

Die zulässige Klage des Klägers ist teilweise begründet.

27

Der Bescheid vom 1. September 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten, soweit die Beklagte seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zum Zweck des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau abgelehnt hat (dazu unter 1.). Die Sache ist aber nicht spruchreif. Deshalb hat der Kläger lediglich einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entscheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, dazu unter 2.).

28

1. Die Beklagte hat es in rechtswidriger Weise abgelehnt, dem Kläger die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

29

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (st. Rspr., BVerwG, Urt. v. 13.6.2013, 10 C 24.12, juris Rn. 8; Urt. v. 7.4.2009, 1 C 17.08, BVerwGE 133, 329, juris Rn. 10). Daher ist dem Begehren des Klägers das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Änderungsgesetzes vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3556), zu Grunde zu legen.

30

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG steht nicht bereits § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entgegen. Denn aus dem Schreiben der Beklagten vom 14. Juni 2012 ergibt sich, dass sie die Ausweisungsverfügung vom 20. März 2012 aufgehoben hat. Dies hat sie im Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 bestätigt.

31

Die für die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis erforderlichen besonderen Erteilungsvoraussetzungen (hierzu unter a) sowie die für jeden Aufenthaltstitel erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG liegen vor (hierzu unter b). Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht auch nicht zwingend entgegen, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist ist, da der Beklagten Ermessen eingeräumt ist, von dieser Anforderung abzusehen (hierzu unter c). Die Beklagte hat von diesem Ermessen allerdings nicht bzw. fehlerhaft Gebrauch gemacht (hierzu unter d).

32

a) Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für die beantragte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung liegen vor.

33

Der Kläger hat für einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nachgewiesen, dass er den Aufenthaltstitel als Ehegatte seiner deutschen Ehefrau erstrebt, um mit ihr in der Bundesrepublik zusammenzuleben. Zweifel daran, dass der Kläger mit seiner Ehefrau eine eheliche Lebensgemeinschaft führt, bestehen nicht.

34

Der Kläger erfüllt zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch die in §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vorgesehene Voraussetzung, sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können. Er hat bereits im Verwaltungsverfahren einen Nachweis darüber vorgelegt, dass er die deutsche Sprache auf dem Niveau A1 beherrscht (Bescheinigung des Diakonie – Cafes „Why Not“ vom 23.1.2012). Unerheblich ist, dass der Kläger die deutschen Sprachkenntnisse erst in der Bundesrepublik erworben und nachgewiesen hat (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 12.9.2011, 4 Bs 153/11, m.w.N., n.v.). Weder dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG noch der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 173 f.) lässt sich entnehmen, dass der Nachweis über deutsche Sprachkenntnisse zwingend vor der Einreise erbracht werden muss. Deshalb besteht kein Grund, von dem allgemeinen Grundsatz für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzuweichen und nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 12.9.2011, 4 Bs 153/11; Beschl. v. 27.9.2010, 2 Bs 183/10, NordÖR 2011, 250). Dies wird auch von der Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen.

35

b) Die für jeden Aufenthaltstitel erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG sind ebenfalls erfüllt.

36

aa) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dahinstehen kann, ob eine Berechnung des Einkommens der Eheleute ergeben würde, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichern kann. Denn auch ein möglicher Anspruch des Klägers auf öffentliche Leistungen stünde der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Die Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung mit einem deutschen Ehepartner soll nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufentG in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Besondere Umstände, die es gebieten, ausnahmsweise entgegen der gesetzlichen Regel den Ehegattennachzug von einer Sicherung des Lebensunterhalts abhängig zu machen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 4.9.2012, 10 C 12.12, BVerwGE 144, 141, juris Rn. 30), liegen nicht vor.

37

bb) Der Kläger ist im Besitz eines gültigen Nationalpasses (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG).

38

cc) Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist ebenfalls gegeben. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt danach in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Ein Ausweisungsgrund liegt zwar vor, allerdings steht dieser der Erteilung nicht entgegen, da eine Ausnahme von der Regel anzunehmen ist.

39

(1) Ein Ausweisungsgrund liegt vor. Der Kläger, der nach eigenen Angaben am 6. März 2010 illegal in die Bundesrepublik eingereist ist, hat durch diese illegale Einreise und durch seinen anschließenden (nach eigenem Vortrag) 13-monatigen illegalen Aufenthalt einen Ausweisungsgrund verwirklicht.

40

Ein Ausweisungsgrund i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liegt dann vor, wenn einer der Tatbestände der §§ 53 bis 55 AufenthG erfüllt ist. Das ist der Fall. Der Kläger hat einen nicht geringfügigen Rechtsverstoß im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG begangen. Er hat durch seine illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt bis April 2011 gegen §§ 4, 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verstoßen und damit den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG vorsätzlich verwirklicht. Vorsätzlich begangene Straftaten stellen grundsätzlich keinen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 2 AufenthG dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.6.1998, 1 C 27.96, BVerwGE 107, 58, juris Rn. 27). Die hier begangenen Verstöße rechtfertigen nicht ausnahmsweise eine andere Bewertung.

41

Für das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes ist die Verwirklichung des Tatbestandes des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ausreichend, ohne dass es in diesem Zusammenhang auf die Zulässigkeit der Ausweisung im Einzelfall und das Eingreifen eines besonderen Ausweisungsschutzes ankommt (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Juli 2013, § 5 Rn. 55 f.). Es ist somit nicht erforderlich, dass der Ausländer ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.7.2002, 1 C 8/02, BVerwGE 116, 378, juris Rn. 20; OVG Hamburg, Beschl. v. 26.10.2011, 5 Bs 158/11, AuAS 2012, 2, juris Rn. 18; Beschl. v. 21.7.2010, 3 Bs 58/10, AuAS 2010, 256, juris Rn. 14; BayVGH, Beschl. v. 3.1.2007, 24 CS 06.2634, juris Rn. 13).

42

Der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG geht nicht § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als speziellere Regelung im – hier vorliegenden - Fall eines Verstoßes gegen Einreisevorschriften vor. Diese weitere allgemeine Erteilungsvoraussetzung verlangt die Einreise mit dem erforderlichen Visum und regelt damit die Verletzung von Einreisevorschriften ausdrücklich als einen der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegenstehenden Tatbestand; sie sieht ein eigenständiges Prüfungs- und Entscheidungsprogramm vor. Der Verstoß gegen Visumvorschriften hindert aber nicht die Prüfung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Zwar könnte die innere Systematik des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG darauf hindeuten, dass solche Ausweisungsgründe von der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausgeschlossen sind, die Gegenstand der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind. Allerdings ist § 5 Abs. 2 AufenthG nicht als in diesem Sinne speziellere Regelung zu verstehen. Die Vorschrift steht ausdrücklich neben dem allgemein und umfassend formulierten Abs. 1 mit der Folge, dass der konkrete Sachverhalt sowohl an der (negativen) Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG als auch an der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu messen ist (so im Ergebnis: BVerwG, Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15.12, BVerwGE 147, 278, juris Rn. 21, 23, 24; Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24, 27).

43

(2) Im Fall des Klägers liegt nicht der Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Vielmehr ist ein Ausnahmefall gegeben mit der Folge, dass der bestehende Ausweisungsgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegensteht.

44

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG hindert ein Ausweisungsgrund die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel, d.h. nur dann, wenn nicht ein Ausnahmefall anzunehmen ist. Dieser ist für jede einzelne Norm und für jeden Einzelfall zu prüfen. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn ein atypischer Sachverhalt gegeben ist, der sich von der Menge gleich liegender Fälle durch besondere Umstände unterscheidet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der Regelerteilungsvoraussetzung zugrunde liegenden öffentlichen Interesses beseitigen. Auch Rechtsgründe, etwa verfassungsrechtliche Wertentscheidungen, insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 GG, können die Annahme eines Ausnahmefalles gebieten (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.6.2013, 10 C 16.12, InfAuslR 2013, 364, juris Rn. 16; Urt. v. 22.5.2012, 1 C 6.11, BVerwGE 143, 150, juris Rn. 11; Urt. v. 26.8.2008, 1 C 32.07, BVerwGE 131, 370, juris Rn. 27; OVG Bautzen, Beschl. v. 7.3.2013, 3 A 132/12, juris Rn. 56; OVG Hamburg, Beschl. v. 16.6.2011, 3 Bf 361/06, BA S. 4 f.; OVG Bremen, Beschl. v. 27.10.2009, 1 B 224/09, ZAR 2010, 32, juris Rn. 25; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand Juli 2013, § 5 Rn. 22, 62; Hailbronner, AuslR, Stand April 2013/Juni 2011, § 5 Rn. 6). Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist gerichtlich voll überprüfbar (BVerwG, Urt. v. 22.5.2012, 1 C 6.11, BVerwGE 143, 150, juris Rn. 11 m.w.N.). Nach diesem Maßstab liegt im Fall des Klägers ein Sachverhalt vor, der im Hinblick auf den Regelungszweck der Norm vom Regelfall abweichende besondere Umstände aufweist.

45

Die Annahme eines Ausnahmefalls scheidet entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits deshalb aus, weil sich - wie die Beklagte meint - der Kläger nicht von anderen deutschverheirateten Ausländern unterscheide. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist nicht auf eine bestimmte Gruppe von Ausländern ausgerichtet. Sie betrifft alle Ausländer und nicht nur diejenigen, die mit deutschen Staatsangehörigen verheiratet sind. Die Regelung betrifft auch keineswegs nur Ausweisungsgründe, die auf Verstößen gegen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beruhen, sondern alle denkbaren Ausweisungsgründe, insbesondere auch solche, die so gewichtig sind, dass sie zwingend oder regelhaft zur Ausweisung führen würden. In jeder denkbaren Konstellation kann daher ein Ausnahmefall vorliegen.

46

Die besonderen, einen atypischen Sachverhalt begründenden Umstände beruhen darauf, dass der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebt und dass der Ausweisungsgrund allein in der Einreise ohne das erforderliche Visum und dem anschließenden Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen besteht. Im Hinblick auf den Regelungszweck des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bedarf es bei deutschverheirateten Ausländern, bei denen der Ausweisungsgrund allein in dem oben genannten Verstoß gegen die Einreise- und Aufenthaltsvorschriften besteht, einer besonderen Bewertung. Auf sie lassen sich die Rechtsfolgen, die für den Regelfall gelten, nicht ohne Weiteres übertragen. Bereits die Bewertung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit deutschen Staatsangehörigen im Ausländerrecht zeigt, dass hier gegenüber dem Regelfall eine differenzierende Betrachtung angezeigt ist. Eine differenzierende Betrachtung ist zudem angezeigt, wenn es um das Gewicht geht, das dem oben genannten Verstoß gegen die Einreise- und Aufenthaltsvorschriften durch deutschverheiratete Ausländer zukommt. Im Einzelnen:

47

Regelungszweck des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist es, solchen Personen den Aufenthalt zu verwehren, deren Aufenthalt die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder sonstige Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 55 Abs. 1 AufenthG beeinträchtigt (vgl. Funke-Kaiser, in GK-AufenthG, Stand August 2013, § 5 Rn. 63, m.w.N.). Soweit der Ausweisungsgrund darin besteht, dass der Ausländer gegen Rechtsvorschriften verstoßen und möglicherweise sogar Straftaten begangen hat, liegt dem ein (auch) spezialpräventiver Ansatz zugrunde; es sollen gegenwärtige bzw. in absehbarer Zukunft zu befürchtende Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit durch Versagung eines Aufenthaltsrechts abgewendet werden (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 10.12.2010, 18 B 1598/10, juris Rn. 3). Dieser Zweck verliert an Gewicht, wenn es - wie es hier der Fall ist - um Ausländer geht, die mit deutschen Staatsangehörigen verheiratet sind, und wenn deren Verstoß gegen die Rechtsordnung allein in dem oben genannten Verstoß gegen die Einreise- und Aufenthaltsvorschriften besteht. Denn nach den Wertungen des Aufenthaltsgesetzes soll in einem derartigen Fall ein Aufenthalt in Deutschland nicht zwingend verwehrt werden.

48

Die deutschverheiratete Ausländer betreffenden aufenthaltsrechtlichen Regelungen sind wegen der Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK grundsätzlich auf die Gewährleistung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ausgerichtet. Für die ausländischen Ehepartner Deutscher gelten erleichterte Anforderungen an die Erteilung eines Aufenthaltstitels (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 AufenthG) und an die Aufrechterhaltung des Aufenthalts sowie höhere rechtliche Hürden bei der Beendigung des Aufenthalts. Ehegatten deutscher Staatsangehöriger genießen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz und können deshalb jedenfalls hinsichtlich der hier relevanten Straftaten wegen illegaler Einreise und illegalen Aufenthalts nicht ausgewiesen werden; dies wäre nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung möglich, an denen es hier fehlt. Der Einbeziehung von ausländischen Ehegatten deutscher Staatsangehöriger in den besonderen Ausweisungsschutz trägt Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung. Auch aus Art. 8 EMRK folgt, dass jedenfalls dann, wenn eine Ausweisung zur Trennung der Ehegatten führt, ein qualifizierter Ausweisungsgrund gegeben sein muss (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 27.10.2009, 1 B 224/09, ZAR 2010, 32, juris Rn. 30, m.w.N.). Der hier verwirklichte Ausweisungsgrund würde somit nicht zu einer Beendigung des Aufenthaltes führen; ein bestehender Aufenthaltstitel würde nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch Ausweisung erlöschen (gegen die Berücksichtigung einer solchen Wertung im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG: OVG Hamburg, Beschl. v. 19.6.2013, 3 Bs 163/13, n.v.).

49

Diese aufenthaltsrechtliche Bewertung bestehender ehelicher Lebensgemeinschaften mit deutschen Staatsangehörigen schlägt auch auf das Gewicht durch, das dem Ausweisungsgrund für die Frage zukommt, ob eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Beruht der von einem deutschverheirateten Ausländer verwirklichte Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausschließlich auf Rechtsverstößen, die unmittelbar durch die Einreise selbst und den anschließenden illegalen Aufenthalt begründet sind, und bestehen keine Begleit- oder Folgedelikte wie z.B. die Fälschung eines Visums oder vorsätzlich falsche Angaben gegenüber der Botschaft zur Erlangung des Visums (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 135; juris Rn. 24 f.), kommt dem Ausweisungsgrund seine vertypte Gefahrenabwehrfunktion nicht mehr zu. Der spezialpräventive Zweck der (negativen) Erteilungsvoraussetzung geht ins Leere. In diesem Fall ist der Ausweisungsgrund nicht beachtlich, da die öffentliche Sicherheit und Ordnung aktuell nicht mehr beeinträchtigt wird (zu diesem Maßstab vgl. auch Nr. 5.1.2.2 der Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009, GMBl. S. 877, 918). Denn eine zukünftige Wiederholung der Verstöße gegen die Einreisevorschriften ist grundsätzlich ausgeschlossen. Ein Ausländer, der mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist, hat - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – regelmäßig ein Aufenthaltsrecht und kann einen Aufenthaltstitel nach §§ 4 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG beanspruchen. Damit sind bezogen auf den Aufenthaltszweck der ehelichen Lebensgemeinschaft ein erneuter Verstoß gegen Visumbestimmungen sowie ein illegaler Aufenthalt und damit eine erneute Verletzung der einschlägigen Strafvorschriften (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG) nicht zu erwarten (in diesem Sinne auch: VGH Mannheim, Beschl. v. 20.9.2012, 11 S 1608/12, InfAuslR 2013, 30, juris Rn. 5).

50

(3) Das Regel- / Ausnahmeverhältnis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wird in dem - hier vorliegenden - Fall, dass familiäre Bindungen zu berücksichtigen sind, nicht durch die Vorschrift des § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG verdrängt.

51

Familiäre Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet sind bereits bei der Frage zu berücksichtigen, ob im konkreten Fall eine Ausnahme von der (negativen) Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegeben ist, und sie können zur Annahme einer Ausnahme führen. Familiäre Bindungen sind entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erst und ausschließlich im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen. Denn § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden kann, steht zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht in einem Verhältnis der Spezialität (a.A. OVG Magdeburg, Beschl. v. 9.2.2009, 2 M 276/08, juris Rn. 25; OVG Lüneburg, Urt. v. 27.4.2006, 5 LC 110/05, NVwZ-RR 2007, 62, juris Rn. 50; diese Frage nicht ansprechend: BVerwG, Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15.12, BVerwGE 147, 292, juris Rn. 23).

52

Der Gesetzesbegründung zu § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (BT-Drs. 15/420, S. 81) lässt sich zwar entnehmen, dass der Gesetzgeber die Vorstellung hatte, bei Vorliegen von Ausweisungsgründen sei wie im bisherigen Recht (§ 17 Abs. 5 AuslG) eine Ermessensentscheidung zu treffen. Weder die Gesetzessystematik noch der Wortlaut oder Sinn und Zweck der Vorschrift lassen aber den Schluss zu, dass sie darauf gerichtet ist, die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dahingehend einzuschränken, dass bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes familiäre Umstände keinen Ausnahmefall begründen, sondern nur im Rahmen der Ermessensbetätigung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG berücksichtigt werden können (vgl. auch OVG Bautzen, Beschl. v. 7.3.2013, 3 A 132/12, juris Rn. 54; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 5 Rn. 72). § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG regelt allein die Möglichkeit, von einem sonst zwingend der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehenden Ausweisungsgrund abzusehen. Die Ermessenseröffnung knüpft damit an § 5 Abs. 1 AufenthG und das dieser Vorschrift zugrunde liegende System von Regel und Ausnahme an. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG setzt voraus, dass ein Regelfall vorliegt. Denn im Falle einer Ausnahme stünde der Ausweisungsgrund der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ohnehin nicht entgegen; einer Ermessensentscheidung bedürfte es nicht. Die Vorschrift trifft hingegen keinerlei Aussagen zum Gegenstand möglicher Ausweisungsgründe. Sie regelt insbesondere nicht, wann die (negative) Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliegt und unter welchen Umständen ein Ausnahmefall anzunehmen ist.

53

Zur Auslegung des § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und damit auch des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kann im Übrigen nicht auf die zum früheren § 7 Abs. 2 AuslG ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 29.7.1993, 1 C 25.93, BVerwGE 94, 35, juris Rn. 36) zurückgegriffen werden. Nach dieser Norm war im Falle einer Ausnahme vom Regelfall Ermessen eröffnet. Das ist nach dem heutigen System des § 5 Abs. 1 AufenthG nicht der Fall. Vielmehr steht im Falle einer Ausnahme der Ausweisungsgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis generell nicht entgegen. Deshalb lässt sich die zum früheren Recht ergangene Rechtsprechung auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht übertragen (vgl. zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: BVerwG, Urt. v. 30.4.2009, 1 C 3.08, InfAuslR 2009, 333, juris Rn. 15).

54

(4) Liegt somit ein Ausnahmefall vor, ist die (negative) Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, dass kein Ausweisungsgrund bestehen darf, erfüllt. Der gleichwohl vorliegende Ausweisungsgrund steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Insoweit folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15.12, BVerwGE 147, 278, juris Rn. 23; Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 23) nichts anderes. Denn dort ist das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis von einem der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegenstehenden Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausgegangen.

55

c) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitert nicht daran, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist ist. Zwar erfüllt der Kläger die weitere Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht (hierzu unter aa). Doch sind die Voraussetzungen gegeben, unter denen hiervon nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden kann (hierzu unter bb).

56

aa) Der Kläger erfüllt nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.

57

(1) Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Daran fehlt es. Der Kläger ist als türkischer Staatsangehöriger für die Einreise und den Aufenthalt zum Zweck der der Arbeitsaufnahme bzw. der Familienzusammenführung nach §§ 4, 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABl. EG Nr. L 81 S. 1) und deren Anhang I visumpflichtig. Ein solches Visum hat der Kläger vor seiner Einreise nicht eingeholt.

58

(2) Die Möglichkeit zur visumfreien Einreise folgt nicht aus dem Verschlechterungsverbot des Art. 13 ARB 1/80.

59

Der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ANBA 1981 S. 4) - ARB 1/80 - berührt nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, Vorschriften über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet und über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen (vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.1992, Rs. C-237/91 [Kus], Slg. 1992, I-06781, Rn. 25). Selbst wenn Art. 13 ARB 1/80 auch in Bezug auf die erstmalige Aufnahme türkischer Staatsangehöriger im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaats der Einführung neuer Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit entgegenstehen sollte, kann sich dies nur auf solche Personen beziehen, die von dieser Freizügigkeit Gebrauch machen wollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.2010, 1 C 8.09, BVerwGE 136, 231, juris Rn. 20). Der Kläger als Ehemann einer deutschen Staatsangehörigen begehrt aber einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Familienzusammenführung. Im Übrigen wäre eine Verschlechterung seiner Rechtsposition, der die Stillhalteklausel entgegenwirken könnte, jedenfalls nicht festzustellen. Er wäre weder im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art. 13 ARB 1/80 am 1. Dezember 1980 (vgl. Art. 16 Abs. 1 ARB 1/80) noch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt berechtigt gewesen, ohne das erforderliche Visum in das Bundesgebiet einzureisen. Nach § 5 Abs. 2 AuslG 1965 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 DV AuslG in der Fassung der 11. Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 1. Juli 1980 (BGBl. I 1980, 782), in Kraft getreten am 5. Oktober 1980, galt das Erfordernis einer vor der Einreise in der Form eines Sichtvermerks einzuholenden Aufenthaltserlaubnis für einen geplanten Daueraufenthalt u.a. für die Staatsangehörigen eines Staates, der - wie die Türkei - in der Anlage zur Verordnung nicht aufgeführt war. Entsprechendes galt für den Kläger nach § 3 Abs. 3 AuslG 1990 i.V.m. §§ 2, 9 f. DVAuslG vom 18. Dezember 1990 (BGBl. I 2983). Soweit der Kläger auch beabsichtigt, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, folgt für ihn aus der Stillhalteklausel ebenfalls keine Befreiung von der Visumpflicht. Denn schon vor Inkrafttreten des Art. 7 ARB 2/76 und des Art. 6 ARB 1/80 bestand für den Aufenthaltszweck der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach § 5 Abs. 2 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353 - AuslG 1965) i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes 1965 (hier in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juni 1976, BGBl. I S. 1717) das Erfordernis, vor der Einreise eine Aufenthaltserlaubnis in Form eines Sichtvermerks (Visum) einzuholen (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 16.7.2013, 4 Bs 162/13, n.v.; OVG Saarlouis, Beschl. v. 2.5.2012, 2 B 47/12, juris Rn. 15).

60

(3) Die Visumpflicht entfällt auch nicht wegen Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl. 1972 II S. 385) - ZP-. Nach dem am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Art. 41 Abs. 1 ZP verpflichten sich die Vertragsparteien, untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen. Es fehlt bereits an einer neuen Beschränkung, soweit türkische Staatsangehörige – wie möglicherweise der Kläger bei seiner Einreise – im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben wollen. Denn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art. 41 ZP bestand für diese die Visumpflicht (s.o.). In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Vorschriften über die Assoziation EWG-Türkei nicht die Befugnis der Mitgliedsstaaten berühren, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen, und lediglich die Stellung türkischer Arbeitnehmer regeln, die bereits ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten eingegliedert sind (vgl. EuGH, Urt. v. 11.5.2000, Rs. C-37/98 [Savas], Slg. 2000, I-20927 Rn. 58). Mit dem Familiennachzug strebt der Kläger einen dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet an; dieser unterfällt weder der Niederlassungs- noch der Dienstleistungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.2010, 1 C 8.09, BVerwGE 136, 231, juris Rn. 19; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.2.2013, 4 Bs 162/12, S. 12 f. BA, n.v.; OVG Münster, Beschl. v. 11.7.2012, 18 B 562/12, juris Rn. 4 ff.; OVG Saarlouis, Beschl. v. 2.5.2012, 2 B 47/12, juris Rn. 13). Die Stillhalteklausel ist im Übrigen auch nicht geeignet, türkischen Staatsangehörigen, die nur Dienstleistungen in einem Mitgliedsstaat empfangen wollen, allein auf der Grundlage des Unionsrechts ein Niederlassungsrecht und ein damit einhergehendes Aufenthaltsrecht zu verleihen oder ein Recht auf visumfreie Einreise zu verschaffen. Denn der dort verwendete Begriff des freien Dienstleistungsverkehrs umfasst nicht die Freiheit türkischer Staatsangehöriger, sich als Dienstleistungsempfänger in einen Mitgliedstaat zu begeben, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH, Urt. v. 24.9.2013, Rs. C-221/11 [Demirkan], NVwZ 2013, 1465).

61

(4) Der Kläger kann die Aufenthaltserlaubnis auch nicht abweichend von § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nach § 39 Nr. 5 AufenthV ohne vorherige Ausreise einholen.

62

Gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung im Bundesgebiet während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Der Kläger war weder zum Zeitpunkt der Antragstellung oder der letzten Behördenentscheidung noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Besitz einer Duldung, wie sie § 39 Nr. 5 AufenthV voraussetzt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung besaß der Kläger noch keine Duldung und auf die Duldungen, die ihm nach der Eheschließung bis jetzt erteilt wurden, kann sich der Kläger nicht berufen. Diese Duldungen dienten dem Zweck, ihm die Vorbereitung einer freiwilligen Ausreise zu ermöglichen und anschließend seine Abschiebung vorzubereiten bzw. gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Es widerspräche dem Sinn der Regelung in § 39 Nr. 5 AufenthV, wenn eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift auch dann in zulässiger Weise im Bundesgebiet eingeholt werden dürfte, wenn gerade über diese – von der Behörde verneinte – Berechtigung Streit besteht und die Duldungserteilung im Hinblick auf eine von der Behörde betriebene baldige Aufenthaltsbeendigung erfolgt (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 9.5.2012, 4 Bs 15/12, juris Rn. 37; Beschl. v. 16.11.2010, 4 Bs 220/10, AuAS 2011, 65, juris Rn. 10 ff.; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.1.2012, OVG 11 S 6.12, juris Rn. 10, OVG Münster, Beschl. v. 30.4.2010, 18 B 180/10, juris Rn. 10).

63

bb) Die Tatbestandsvoraussetzungen, unter denen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG Ermessen eröffnet ist, von der Einhaltung des Visumverfahrens abzusehen, liegen vor. Das ist der Fall, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind (1. Altern.) oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen (2. Altern.). Zwar ist das Ermessen nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG eröffnet (hierzu unter (1)). Der Kläger hat aber einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sodass die Beklagte Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG auszuüben hat (hierzu unter (2)).

64

(1) Für den Kläger ist es nicht auf Grund besonderer Umstände unzumutbar im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG, das Visumverfahren nachzuholen. Gründe, die eine zeitweise Trennung der Eheleute als unzumutbar erscheinen lassen, liegen nicht vor.

65

Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.8.2013, 2 BvR 586/13, juris Rn. 12; Beschl. v. 12.5.1987, 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 32 BvR 313/84, BVerfGE 76, 1, 49 ff., juris Rn. 103). Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2011, 2 BvR 1367/10, NVwZ-RR 2011, 585, juris Rn. 14 m.w.N.).

66

Dass die zeitweise Trennung der Eheleute aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar und deshalb unverhältnismäßig sein könnte, hat der Kläger nicht vorgetragen und dies ist auch nicht ersichtlich. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der wehrpflichtige Kläger nach seiner Rückkehr in die Türkei den Wehrdienst ableisten muss, der grundsätzlich 15 Monate andauert (vgl. zu den altersmäßigen Anforderungen und zur Dauer des obligatorischen Wehrdienstes: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 26.8.2012, S. 17 f.). Eine Trennung von seiner Ehefrau für diese Zeit erscheint allerdings auch unter Berücksichtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten privaten Interessen der Eheleute nicht unverhältnismäßig.

67

Nachzugshindernisse von begrenzter Zeitdauer, wie es das Visumverfahren darstellt, sind auch beim Ehegattennachzug zu deutschen Staatsangehörigen nicht von vornherein verfassungswidrig (vgl. zum Visumverfahren: BVerfG, Beschl. v. 17.5.2011, 2 BvR 1367/10, juris Rn. 15; Beschl. v. 4.12.2007, 2 BvR 2341/06, InfAuslR 2008, 239 f., juris Rn. 6; BVerwG, Urt. v. 11.1.2011, 1 C 23.09, BVerwGE 138, 353, juris Rn. 34). Ob eine Warte- und Trennungszeit für Eheleute unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Ziele mit der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, bedarf vielmehr der Bewertung des Einzelfalls.

68

Danach erweist sich die Trennungszeit von 15 Monaten, die - wenn der Kläger das Visumverfahren nachholt - wegen des noch zu leistenden Wehrdienstes zu erwarten ist, nicht als unverhältnismäßig. Zwar kann z.B. das gesetzlich verlangte Spracherfordernis nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz Nr. 2 AufenthG als Nachzugsvoraussetzung im Visumverfahren das zumutbare Ausmaß der Beeinträchtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG qualifiziert geschützten Belange des ausländischen und des deutschen Ehegatten übersteigen und damit unzumutbar sein, wenn es dem ausländischen Ehegatten aus besonderen persönlichen Gründen oder wegen der besonderen Umstände in seinem Heimatland nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die deutsche Sprache in seinem Heimatland zu erlernen. In einem solchen Fall schlägt die grundsätzlich verhältnismäßige Nachzugsvoraussetzung im Fall zumutbarer Bemühungen spätestens nach einem Jahr in ein unverhältnismäßiges dauerhaftes Nachzugshindernis um (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.9.2012, 10 C 12.12, BVerwGE 144, 141, juris Rn. 26 ff.). Diese bezogen auf den Spracherwerb geltenden Wertungen lassen sich aber auf den Wehrdienst nicht übertragen. Der Wehrdienst ist nicht ein durch nationale Regelungen des deutschen Gesetzgebers bestimmtes Nachzugserfordernis, sondern beruht auf den gesetzlichen Bestimmungen und öffentlichen Interessen eines anderen Staates, denen der Kläger als türkischer Staatsangehöriger unterliegt. Dass es wegen des noch nicht geleisteten Wehrdienstes zu einer Trennung kommen könnte, war beiden Eheleuten bei Eingehung der Beziehung bekannt. Diese Trennung stellt einen von vornherein zeitlich beschränkten Zeitraum dar, der die Zeitdauer von einem Jahr nur geringfügig übersteigt. Das zeitweise Nachzugshindernis der Wehrpflicht kann nicht in ein der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet auf unabsehbare Zeit oder dauerhaft entgegenstehendes Nachzugshindernis umschlagen. Denn die Ableistung des zeitlich begrenzten Wehrdienstes ist - anders als der erfolgreiche Erwerb von Sprachkenntnissen - unabhängig von persönlichen Fähigkeiten des Wehrpflichtigen. Die durch die Ableistung des Wehrdienstes im Heimatland des Antragstellers bedingte Trennung wird im Übrigen dadurch gemildert, dass während dieser Zeit die Möglichkeit der Kommunikation mit seiner Ehefrau sowie von Besuchen besteht (vgl. auch OVG Hamburg, Beschl. v. 11.2.2013, 4 Bs 269/12, n.v., S. 16 BA; Beschl. v. 16.11.2010, 4 Bs 220/10, juris Rn. 14; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.1.2011, OVG 11 S 51.10, juris Rn. 14).

69

(2) Die Beklagte kann von der Einhaltung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG absehen, weil im Fall des Klägers die Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliegen.

70

Unter einem „Anspruch“ ist grundsätzlich ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen, der nur vorliegt, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. zu § 39 Abs. 3 AufenthV: BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24, 27; vgl. zu § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG: BVerwG, Urt. v. 16.12.2008, 1 C 37.07, BVerwGE 132, 382, juris Rn. 24 m.w.N.). Die Voraussetzungen eines Anspruchs i.S. d. § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG sind auch dann erfüllt, wenn zwar eine regelhaft zu erfüllende Anspruchsvoraussetzung – vorliegend aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG – nicht vorliegt, dies jedoch unschädlich ist, weil ein Ausnahmefall gegeben ist (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 9.5.2012, 4 Bs 15/12, juris Rn. 38; Beschl. v. 26.10.2011, 5 Bs 158/11, AuAS 2012, 2, juris Rn. 24). Denn in einem solchen Fall steht § 5 Abs. 1 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen.

71

Dem Anspruch auf Erteilung steht entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht entgegen, dass hier die Voraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht vorliegt und daher Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 VwGO eröffnet ist. Der Tatbestand des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG kann nur so verstanden werden, dass außer den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1im Übrigen die Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs vorliegen müssen. Denn § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG setzt tatbestandlich für die Eröffnung des Ermessens und damit für ein mögliches Absehen von einer Voraussetzung des Satzes 1 gerade voraus, dass es an einer solchen Voraussetzung des Satzes 1 fehlt, ansonsten aber alle allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen. Anderenfalls würde die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG leerlaufen. Der Begriff des gesetzlichen Anspruchs bzw. des Rechtsanspruchs ist vor dem Hintergrund des jeweiligen Regelungskontexts zu verstehen (vgl. zu § 39 Abs. 3 AufenthV: BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24, 25; vgl. zum „strikten Rechtsanspruch“ i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG: BVerwG, Beschl. v. 16.2.2012, 1 B 22.11, juris Rn. 4; Urt. v. 16.12.2008, 1 C 37.07, BVerwGE 132, 382, Rn. 21 ff.; OVG Hamburg, Beschl. 16.1.2013, 4 Bs 185/12, n.v.; Beschl. v. 10.1.2013, 3 Bs 38/13, n.v.).

72

d) Die Entscheidung der Beklagten, von der Einhaltung des Visumverfahrens nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG abzusehen, ist fehlerhaft.

73

aa) In den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG eröffnetes Ermessen nicht ausgeübt.

74

Im maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 hat die Beklagte die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. und 2. Altern. AufenthG geprüft und ihr Vorliegen verneint. Auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung konsequent, hat die Beklagte sodann Ermessen im Hinblick auf § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgeübt (S. 4 des Widerspruchsbescheids). Ferner hat sie - unter Bezugnahme auf die Fachanweisung 1/2012 – lediglich (hilfsweise) Erwägungen in Bezug auf § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG angestellt (S. 6, Absatz 1 bis 3 des Widerspruchsbescheids).

75

Die zu § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG angestellten Ermessenserwägungen sind für die erforderliche Ausübung des Ermessens entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung nicht maßgeblich. Es bedurfte eigenständiger Ermessenserwägungen zu § 5 Abs. 2 Satz 1 1. Altern. AufenthG. Denn die 1. Tatbestandsalternative des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG besitzt einen eigenständigen Regelungsgehalt. Die Tatbestandsalternativen „gesetzlicher Anspruch“ und „Unzumutbarkeit“ weisen unterschiedliche Zweckrichtungen auf, denen die Ermessensbetätigung Rechnung tragen muss. Mit der 1. Alternative soll verhindert werden, dass das für die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung grundsätzlich unverzichtbare Visumverfahren im Einzelfall lediglich als eine bloße (für den Ausländer teure und auch für die Behörde zeit- und ressourcenaufwändige) Förmelei durchgeführt werden muss, wenn die materielle Prüfung schon zugunsten des Ausländers abgeschlossen ist (BT-Drs. 15/470, S. 70; vgl. auch Nr. 5.2.2.1 AVwV-AufenthG). Die 2. Alternative dient hingegen der Vermeidung von unzumutbaren Härten, die mit der (grundsätzlich erforderlichen) Nachholung des Visumverfahrens einhergehen (vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, a.a.O., § 5 Rn. 121). Hier stehen insbesondere individuelle Belastungen des Ausländers und/oder seiner Familienangehörigen durch seine Ausreise im Vordergrund, die im Fall der Nachholung des Visumverfahrens zu unverhältnismäßigen Eingriffen in geschützte Rechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 2 Abs. 1 GG führen können. Die Ausführungen der Beklagten zur (Un-)Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens (S. 6 des Widerspruchsbescheides) für die Eheleute tragen dem Regelungszweck der 1. Tatbestandsalternative „Anspruch auf Erteilung“ nicht Rechnung.

76

Die im Widerspruchsbescheid zu § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG angestellten Ermessenserwägungen können ebenfalls nicht als Ermessensentscheidung (auch) zu § 5 Abs. 2 Satz 1 1. Altern. AufenthG angesehen werden. Mit diesen Erwägungen hat die Beklagte das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens mit dem Interesse an der sofortigen Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft abgewogen und dabei die Zumutbarkeit der vorübergehenden Trennung bewertet. Dabei hat sie die Dauer der Trennung, fehlende die Ehe betreffende besondere Umstände und die Einbeziehung der Trennung in die Lebensplanung der Eheleute berücksichtigt. Den für die Ausübung des Ermessens im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG relevanten Gesichtspunkt, dass im Fall des Klägers ein Anspruch auf Erteilung besteht und dass sich das Visumverfahren deshalb als eine bloße Förmelei erweisen könnte, hat die Beklagte bei ihrer Ermessensbetätigung nicht berücksichtigt.

77

bb) Einschlägige Regelungen zur Ermessensausübung ergeben sich weder aus der Fachanweisung Nr. 1/2012, die die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens nach den Ausführungen im Widerspruchsbescheid zur Grundlage ihrer Verwaltungsübung gemacht hat, noch aus der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht geltenden Fachanweisung Nr. 1/2013. Darin hat die Beklagte Anordnungen für eine regelmäßige Ermessensausübung für den Fall des Ehegattennachzugs bei einem bestehenden gesetzlichen Anspruch (§ 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG) nicht getroffen. Wie die Beklagte inzwischen klargestellt hat, beziehen sich die Ausführungen unter Abschnitt A.VI. (S. 20 ff.), denen der Senat in seiner früheren Rechtsprechung eine einschlägige Ermessensbindung entnommen hat (Beschl. v. 9.5.2012, 4 Bs 15/12, juris Rn. 39), zunächst nur auf den Fall des Ehegattennachzugs nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG und die weiteren Ausführungen - in Abgrenzung zum geregelten Ehegattennachzug im Fall der 2. Alternative des § 5 Abs. 2 Satz 2 - allein auf sonstige Fälle eines Rechtsanspruchs aus familiären Gründen, nicht jedoch auf Fälle des Ehegattennachzugs. Ob dieses Verständnis der Verwaltungsvorschrift zwingend ist, kann dahingestellt bleiben. Entscheidend ist allein, dass die Beklagte sie in dieser Weise versteht und anwendet. An seiner in der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geäußerten Rechtsansicht hält das Berufungsgericht deshalb nicht mehr fest.

78

cc) Die von der Beklagten nachgeholte Ermessensentscheidung ist fehlerhaft.

79

Die Beklagte hat Ermessenserwägungen zu § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG erstmals im Berufungsverfahren (hilfsweise) angestellt. Es bedarf keiner Entscheidung, ob eine Nachholung von Ermessenserwägungen im Fall des Ermessensausfalls auch dann zulässig ist, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat und sich nicht erst wegen Umständen, die während des Klageverfahrens entstanden sind, die Notwendigkeit einer Ermessensausübung ergibt (ausdrücklich offenlassend im Fall einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme: BVerwG, Urt. v. 13.12.2011, 1 C 14.10, BVerwGE 141, 253, juris Rn. 13). Denn die nachgeholten Ermessenserwägungen der Beklagten sind nach dem Prüfungsmaßstab des § 114 Satz 1 VwGO fehlerhaft. Die Beklagte ist im Hinblick auf die nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG in ihrem Ermessen stehende Entscheidung, im Fall eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung von den Anforderungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen, teilweise von einem falschen Sachverhalt ausgegangen und hat zudem eine fehlerhafte Gewichtung der privaten und öffentlichen Belange zu Lasten des Klägers vorgenommen.

80

Die Beklagte hat die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der Visumpflicht im Fall des beabsichtigten Ehegattennachzugs, bei dem sich der Ehegatte bereits im Bundesgebiet aufhält, und die privaten und wirtschaftlichen Interessen des Klägers nicht vollständig und zutreffend ermittelt und in ihre Abwägung eingestellt. Ein Ermessensfehler liegt darin, dass sie bei ihrer Abwägung teilweise von falschen Tatsachen ausgegangen ist. Sie hat nicht berücksichtigt, dass das (private) Interesse des Klägers an der ununterbrochenen Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet im Fall der Nachholung des Visumverfahrens nicht nur durch die aus Sicht der Beklagten zumutbare Trennungszeit von drei bis vier Monaten während der Dauer des Visumverfahrens beeinträchtigt wird, sondern dass bei einer Rückkehr des Klägers in die Türkei eine durch die erforderliche Ableistung des Wehrdienstes bedingte Trennungszeit der Ehepartner von mindestens 15 Monaten zu erwarten ist. Dieser vom Kläger vorgetragene und in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erörterte Sachverhalt war der Beklagten bekannt. Ihre Ermessenserwägungen hat sie trotz des Hinweises des Klägers in seiner Berufungserwiderung und deren Darstellung in der mündlichen Verhandlung nicht korrigiert oder ergänzt.

81

Zudem besteht ein Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO darin, dass die Beklagte dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG nicht hinreichend Rechnung getragen und die in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet hat. Eine solche fehlerhafte Gewichtung kann z.B. dann vorliegen, wenn die Behörde einzelnen Tatsachen ein Gewicht beimisst, das objektiven Wertungsmaßstäben nicht entspricht (vgl. zur Überprüfung der einzustellenden Belange: BVerwG, Urt. v. 19.11.1996, 1 C 6.95, BVerwGE 102, 249, juris Rn. 24 ff.). Ein solcher bei der Abwägung relevanter Maßstab für die Gewichtung der einander gegenüberstehenden Belange kann sich aus der einfachrechtlichen Wertung des Gesetzes und insbesondere aus den durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten privaten Belangen des Ausländers ergeben, die entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen sind (vgl. zum Maßstab Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2010, § 114 Rn. 181, 184; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 114 Rn. 7, 39-41).

82

Daran gemessen hat die Beklagte die auch durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Klägers zu gering gewichtet. Die Beklagte hat ein Übergewicht der öffentlichen Interessen mit der Begründung angenommen, das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Einreisevorschriften zum Zweck der Kontrolle von einreisewilligen Personen, die sich auf Dauer im Bundesgebiet niederlassen wollten, sowie am geregelten Zuzug von Ausländern überwiege deutlich die privaten Interessen des Klägers. Der Staat führe die gesetzliche Regelung ad absurdum, wenn er die Visumpflicht einführe, aber nicht dafür sorge, dass diese eingehalten werde. Sehe er trotz illegaler Einreise des Ausländers – wie im Fall des Klägers – von der Durchführung des Visumverfahrens ab, prämiere er damit strafbares Verhalten. Demgegenüber stelle die Nachholung für den Kläger – auch unter Berücksichtigung der Kosten für die Aus- und Wiedereinreise und der zeitweisen Trennung - keine unzumutbare Belastung dar.

83

Mit dieser Gewichtung verkennt die Beklagte die Reichweite und den Zweck der gesetzlichen Ermächtigung in § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG. Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte generalpräventive Gesichtspunkte wie die Bedeutung und Wirksamkeit des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung (vgl. BT-Drs 15/420 S. 70) in ihre Ermessensbetätigung einstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.1.2011, 1 C 23.09, BVerwGE 138, 353, juris Rn. 34; Urt. v. 4.9.1986, 1 C 19.86, BVerwGE 75, 20, juris Rn. 14). Die Beklagte hat aber auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die Eröffnung des Ermessens in § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gerade ermöglichen will, im Einzelfall zu Gunsten des Ausländers von der Nachholung des Visumverfahrens abzusehen, und zwar nicht nur bei der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens, sondern auch dann, wenn ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Dem hat die Beklagte nicht ausreichend Rechnung getragen. Die Beklagte hat trotz des gesetzlichen Anspruchs des Klägers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels beim Ehegattennachzug generell dem – bereits die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG begründenden - öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Visumpflicht und an der Einholung des für den jeweiligen Aufenthaltszweck erforderlichen Aufenthaltstitels vom Ausland aus entscheidendes Gewicht beigemessen. Damit hat sie den vom Gesetzgeber eröffneten Ermessensspielraum faktisch nicht ausgenutzt und eine dem Einzelfall des Klägers Rechnung tragende Entscheidung nicht getroffen. Auch die weiteren Erwägungen tragen der Tatsache, dass im Fall des Klägers ein gesetzlicher Anspruch im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG vorliegt, nicht ausreichend Rechnung. Da bereits feststeht, dass dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen sein wird, ist die von der Beklagten generell für erforderlich gehaltene Kontrolle von einreisewilligen Personen zum Schutz vor Gefahren für die im Bundesgebiet lebenden Menschen nicht mehr notwendig. Damit steigt das Gewicht der privaten Belange, eine Trennung von seiner Ehefrau zu vermeiden und die Kosten für die Reise in die Türkei sowie die Rückreise zu ersparen. Inwieweit der Kläger in der Lage ist, diese Kosten aufzubringen, hat die Beklagte noch nicht einmal geprüft. Die generalpräventiv motivierte Erwägung der Beklagten, es dürften keine Anreize für eine Einreise unter Verstoß gegen die Einreisevorschriften geschaffen werden, verkennt, dass es eine zwangsläufige Folge der Eröffnung des Ermessens (im Fall eines gesetzlichen Anspruchs) ist, dass im Einzelfall von den Einreisevorschriften abgesehen werden kann. Mit der von der Beklagten gegebenen Begründung läuft der vom Gesetzgeber eingeräumte Ermessensspielraum leer.

84

Weiter hat die Beklagte bei ihrer Gewichtung der einander gegenüberstehenden Interessen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht berücksichtigt. Auf der Grundlage ihrer Fachanweisung 1/2013 (Seite 22) lässt die Beklagte in sonstigen Fällen eines Rechtsanspruchs aus familiären Gründen (Nachzug von Kindern oder Eltern) das öffentliche Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung des Visumverfahrens als wichtigem Steuerungsinstrument der Zuwanderung regelmäßig hinter dem gemäß Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gebotenen Schutz von Ehe und Familie zurücktreten. Hierzu heißt es in der Fachanweisung weiter: „… Denn steht wegen des Vorliegens eines Rechtsanspruchs von vornherein fest, dass das Visum umgehend nach der Ausreise zu erteilen wäre, kommt der Nachholung des Visumverfahrens eine wesentliche Steuerungsfunktion, die eine Beeinträchtigung des gemäß Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gebotenen Schutzes von Ehe und Familie durch – vorübergehende – Trennung der Familienangehörigen rechtfertigen könnte, nicht mehr zu. Das Bestehen auf der Durchführung eines Visumverfahrens würde in solchen Fällen allein zu Arbeitsaufwand für die beteiligten Behörden sowie zu wirtschaftlichem Aufwand für die Betroffenen führen, ohne eine echte Funktion in der Steuerung der Zuwanderung zu erfüllen.“ Diese Gründe gelten grundsätzlich gleichermaßen im Fall des hier vorliegenden Ehegattennachzugs, bei dem der ausländische Ehepartner sich bereits im Bundesgebiet aufhält und einen Anspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Familienzusammenführung hat. Die Beklagte hat keine Gründe angeführt und ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, aus denen sich ergeben könnte, dass im Fall des Ehegattennachzugs der Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis weniger wiegt und die öffentlichen Interessen an der Einhaltung des Visumverfahrens ein höheres Gewicht haben als im Falle des Nachzugs von anderen Familienangehörigen.

85

2. Die Beklagte kann nicht zur Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis verpflichtet werden, da die Sache nicht spruchreif ist. Der Kläger hat keinen Rechtsanspruch darauf, dass die Beklagte ihr Ermessen dahin ausübt, dass von der Durchführung des Visumverfahrens abgesehen wird.

86

Eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Klägers ist vorliegend nicht gegeben. Auch unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen ist nicht ersichtlich, dass trotz des der Beklagten zukommenden Ermessensspielraums angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls nur die Erteilung des Aufenthaltstitels ermessensfehlerfrei wäre. Der mit der Nachholung des Visumverfahrens verbundene Eingriff in die durch Art. 6 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützte Rechtsposition des Klägers ist nicht so schwerwiegend, dass zwingend sogleich eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen wäre. Wie ausgeführt, ergibt sich aus der Fachanweisung 1/2013 keine Bindung des Ermessens für den Fall des Ehegattennachzugs im Fall eines bestehenden Rechtsanspruchs auf eine Aufenthaltserlaubnis; dieser Fall ist nach der Verwaltungspraxis von der Fachanweisung nicht erfasst. Auch scheidet ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit den in der Fachanweisung 1/2013 geregelten Fällen des Familiennachzugs aus, da es der Beklagten grundsätzlich unbenommen ist, eine etwa erforderliche Gleichbehandlung auf andere Weise, ggf. auch durch eine Änderung ihrer derzeitigen Entscheidungspraxis in Fällen des sonstigen Familiennachzugs, herzustellen.

87

Im Übrigen ist für das Berufungsgericht nicht abschätzbar, ob es über die von der Beklagten herangezogenen hinaus weitere Gründe gibt, trotz des bestehenden Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis den Kläger noch auf das Visumverfahren zu verweisen. Dass es derartige Gründe gibt, welche die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens berücksichtigen und zu den persönlichen Belangen des Klägers in ein angemessenes Verhältnis bringen dürfte, ist jedenfalls nicht auszuschließen.

88

Die Beklagte hat daher unter Beachtung der oben dargestellten Rechtsauffassung des Berufungsgerichts über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erneut zu entscheiden und dabei das ihr bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zustehende Ermessen (erneut) auszuüben.

II.

89

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

III.

90

Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil der Rechtssache wegen der höchstrichterlich nicht geklärten und in der Rechtsprechung umstrittenen Voraussetzungen für die Annahme eines Ausnahmefalls im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Fall des Ehegattennachzugs zu einem deutschen Ehepartner grundsätzliche Bedeutung zukommt.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er

1.
einen erforderlichen Pass oder Passersatz gemäß § 3 Abs. 1 nicht besitzt,
2.
den nach § 4 erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt,
2a.
zwar ein nach § 4 erforderliches Visum bei Einreise besitzt, dieses aber durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkt oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichen wurde und deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder annulliert wird, oder
3.
nach § 11 Absatz 1, 6 oder 7 nicht einreisen darf, es sei denn, er besitzt eine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8.

(2) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden können Ausnahme-Visa und Passersatzpapiere ausstellen.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist kosovarische Staatsangehörige. Sie heirate am 5. Juni 2008 im Kosovo einen in Deutschland lebenden kosovarischen Staatsangehörigen, der Inhaber einer Niederlassungserlaubnis ist.

Der Antragstellerin wurde am 23. September 2013 ein italienisches Schengen-Visum erteilt, das im Zeitraum vom 24. September 2013 bis zum 24. März 2014 gültig war und als Höchstaufenthaltsdauer 30 Tage festlegte. Laut Einreisestempel in ihrem Pass reiste sie am 28. September 2013 nach Ungarn ein. Mit Antrag vom 20. März 2014, beim Antragsgegner eingegangen am 21. März 2014, beantragte die Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu ihrem Ehemann. Im Antrag gab sie an, am 17. Dezember 2013 in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Sie legte zudem ein Zertifikat vor, wonach sie am 22. Januar 2014 die Sprachprüfung für das Niveau A1 des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen bestanden hatte.

Mit Bescheid vom 4. April 2014 lehnte die Ausländerbehörde des Antragsgegners den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug ab, die Antragstellerin wurde zur Ausreise aufgefordert, für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihr die Abschiebung in die Republik Kosovo angedroht. Das Visum habe lediglich eine Gültigkeit von 30 Tagen nach der Einreise in den Schengenraum gehabt. Der rechtmäßige Aufenthalt habe am 27. Oktober 2013 geendet. Für die Einreise am 17. Dezember 2013 in das Bundesgebiet hätte die Antragstellerin eines erneuten Aufenthaltstitels bedurft. Sie halte sich seither nicht rechtmäßig hier auf. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG komme nicht in Betracht, da die Sicherung des Lebensunterhalts nicht nachgewiesen sei, der Straftatbestand der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AufenthG erfüllt sei und die Einreise nicht mit dem erforderlichen Visum erfolgt sei. Der Antragstellerin sei die Nachholung des Visumverfahrens zumutbar. Ein Fall des § 39 Nr. 3 AufenthV liege nicht vor. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG oder § 36 Abs. 2 AufenthG scheide aus.

Am 8. Mai 2014 erhob die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners von 4. April 2014 mit dem Antrag, der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis nach Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen. Zugleich beantragte sie, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, von Abschiebungsmaßnahmen bis zur endgültigen Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzusehen und ihr eine Fiktionsbescheinigung auszustellen.

Mit Beschluss vom 3. Juli 2014 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die Anträge ab. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei bereits unzulässig, weil der am 20. März 2014 gestellte Antrag weder eine Erlaubnis- noch eine Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG ausgelöst habe. Das der Antragstellerin ausgestellte Schengen-Visum habe nach der am 28. September 2013 erfolgten Einreise nur bis 28. Oktober 2013 Gültigkeit besessen. Selbst wenn es zuträfe, dass die Antragstellerin erst am 17. Dezember 2013 aus dem Kosovo in das Bundesgebiet eingereist sei, wofür aber jeglicher Nachweis fehle, sei zum Zeitpunkt der Antragstellung für die Aufenthaltserlaubnis die Gültigkeitsdauer des Visums abgelaufen gewesen. Ein Antrag nach § 123 VwGO habe keinen Erfolg, weil die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besitze und auch sonst keine Gründe ersichtlich seien, aus denen ihre Abschiebung tatsächlich oder rechtlich unmöglich sei. Die Antragstellerin sei zur Ausreise verpflichtet, weil sie keine Aufenthaltserlaubnis besitze, der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht gemäß § 81 Abs. 3 AufenthG eine Erlaubnisfiktion ausgelöst habe und das Schengen-Visum nicht gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend gelte. Einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG besitze die Antragstellerin nicht, weil die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 5 Abs. 2 AufenthG nicht vorlägen. Die Antragstellerin halte sich seit 28. Oktober 2013 ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf und habe daher den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwirklicht. Die Antragstellerin sei nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist, die Voraussetzungen für ein Absehen von der Visumpflicht lägen nicht vor.

Gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 3. Juli 2014 erhob die Antragstellerin Beschwerde. Sie beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 3. Juli 2014 aufzuheben, die aufschiebende Wirkung der am 8. Mai 2014 erhobenen Klage wiederherzustellen, den Antragsgegner zu verpflichten bis zur endgültigen Entscheidung über die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von Abschiebungsmaßnahmen abzusehen und den Antragsgegner anzuweisen, der Antragstellerin eine Fiktionsbescheinigung auszustellen.

Zur Begründung bringt sie vor, dass der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Schengen-Visums die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst habe. Das Schengen-Visum stelle einen Aufenthaltstitel dar. Die Antragstellerin halte sich nicht seit 28. September 2013 ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Sie habe jeweils innerhalb der 30-Tagesfrist das Bundesgebiet wieder verlassen. Ein Verstoß gegen § 95 AufenthG liege nicht vor, weil die Antragstellerin im Besitz eines gültigen Schengen-Visums gewesen sei. Von der Einhaltung des Visumverfahrens könne nach § 39 Nr. 3 AufenthV abgesehen werden. Die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Sprachkenntnisse habe die Antragstellerin während der Gültigkeitsdauer des Visums erworben. Eine Rückkehr in den Kosovo zu den mittlerweile verheirateten Töchtern sei kulturbedingt nicht möglich. Außerdem leide die Antragstellerin an Bluthochdruck, Zucker und starken Kopfschmerzen und sei auf die Hilfe ihres Ehemanns, ihrer Söhne und Schwiegertöchter in Deutschland angewiesen.

Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.

II.

Die Beschwerde, mit der die Antragstellerin ihre in erster Instanz erfolglosen Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. April 2014 sowie auf Abschiebungsschutz und Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung weiterverfolgt, bleibt ohne Erfolg.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, soweit dieses ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits als unzulässig abgelehnt hat, ist zurückzuweisen, weil der Sachvortrag im Beschwerdeverfahren insoweit weder eine Abänderung noch eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses rechtfertigt, wobei sich die Prüfung auf die dargelegten Gründe zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Das Verwaltungsgerecht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der in erster Instanz gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zulässig war, weil der Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 20. März 2014 weder die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG noch die Erlaubnis- oder Duldungsfiktion des § 81 Abs. 3 AufenthG ausgelöst hat. Denn die bislang gesetzlich vorgesehene Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, die auch bei vorangegangenem Besitz eines Schengen-Visums eintrat, ist infolge des Art. 1 Nr. 27a des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern vom 29. August 2013 (BGBl I, 3484) weggefallen. § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG in der nunmehr gültigen Fassung bestimmt ausdrücklich, dass die Fortgeltungsfiktion nicht für ein Visum nach § 6 Abs. 1 AufenthG und damit nicht für ein Schengen-Visum (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) besteht (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: April 2014, § 81 AufenthG Rn. 33).

Aber auch die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG und die Duldungsfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sind nicht eingetreten. Die Antragstellerin hielt sich, als sie die Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug beantragte, nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen. Als kosovarische Staatsangehörige unterliegt sie gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Anhang I Nr. 2 EG-Visa VO der Visumpflicht. Sie kann sich folglich auch nicht ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten (vgl. hierzu ausführlich BayVGH, B. v. 21.2.2013 - 10 CS 12.2679 - juris Rn. 6 ff.). Insoweit kommt es nicht darauf an, ob das der Antragstellerin ausgestellte Schengen-Visum im Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis am 21. März 2014 noch Gültigkeit besaß.

Da der Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis also keine Fiktionswirkung ausgelöst hat, hat sie auch keinen Anspruch auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung.

Das Verwaltungsgericht ist im angegriffenen Beschluss weiter zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, die den Antragsgegner verpflichtet, die Abschiebung der Antragstellerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auszusetzen, nicht vorliegen. Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren führt zu keiner anderen Beurteilung der Rechtslage.

Die Antragstellerin hat auch im Beschwerdeverfahren nicht mit der für die Glaubhaftmachung überwiegenden Wahrscheinlichkeit dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug hat.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht vorliegt. Die Antragstellerin ist unstreitig mit einem Schengen-Visum (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) zum Zwecke des Besuchs bei ihrer Familie in das Bundesgebiet eingereist, das lediglich für 30 Tage im Zeitraum vom 24. September 2013 bis 24. März 2014 Gültigkeit besaß. Für eine Einreise zu einem Daueraufenthalt, hier zum Nachzug zu ihrem Ehemann, hätte sie jedoch ein nationales Visum nach § 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG benötigt, das vor der Einreise erteilt wird.

Im Beschwerdeverfahren wird vorgebracht, die Antragstellerin könne gemäß § 39 Nr. 3 AufenthV das erforderliche Visum nach der Einreise einholen bzw. die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG seien erfüllt. Dies trifft aber nicht zu. Die Einholung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet gemäß § 39 Nr. 3 AufenthV setzt voraus, dass der Ausländer Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt und zudem die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Unabhängig von der Frage, ob ein solcher Fall der Befreiung von der Visumpflicht nach § 39 Nr. 3 AufenthV hier wegen des von vornherein beabsichtigten Wechsels des angegebenen Aufenthaltszwecks nicht gegeben ist (vgl. hierzu BayVGH, B. v. 24.7.2008 - 19 CS 08.1940 - juris Rn. 4; BVerwG, U. v. 16.11.2010 - 1 C 17/09 - juris Rn. 25), ist diese Vorschrift schon deshalb nicht anwendbar, weil die Voraussetzungen für einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG nicht erst nach der Einreise entstanden sind. Die Ehe zwischen der Antragstellerin und ihrem Ehemann wurde bereits im Jahr 2008 im Kosovo geschlossen. Entgegen dem Beschwerdevorbringen kommt es im Rahmen des § 39 Nr. 3 AufenthV nicht darauf an, wann die Antragstellerin die nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Sprachkenntnisse erworben hat. Für die Beurteilung, wann die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis i. S. d. § 39 Nr. 3 AufenthV entstanden sind, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das zentrale, den Aufenthaltszweck kennzeichnende Merkmal der jeweiligen Anspruchsnorm erfüllt worden ist (BVerwG; U. v. 11.1.2011 - 1 C 23.09 - juris Rn. 26 m. w. N.). Das den Anspruchszweck kennzeichnende Tatbestandsmerkmal für eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung ist aber die Eheschließung und nicht der Erwerb von Sprachkenntnissen.

Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen, nach denen der Antragsgegner von dem Erfordernis der Einreise mit dem erforderlichen Visum absehen kann, nicht vorliegen. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besteht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht, weil die Antragstellerin den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt hat und damit ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vorliegt. Selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin unterstellt, dass sie entsprechend den Angaben im Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis am 17. Dezember 2013 eingereist ist und nicht bereits am 28. September 2013 (wofür der Einreisestempel in ihrem Pass spricht), so hielt sie sich am 21. März 2014, als der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beim Antragsgegner einging, über drei Monate im Bundesgebiet auf. Ihr Schengen-Visum gestattete allenfalls einen ununterbrochenen Höchstaufenthalt von 30 Tagen. Die Antragstellerin hat zwar behauptet, im Zeitraum vom 17. Dezember 2013 bis zum 21. März 2014 mehrfach ausgereist und wieder eingereist zu sein, hat aber weder die Einreise- und Ausreisedaten genannt noch Nachweise für eine Ausreise und das Nichtüberschreiten der 30-Tagefrist vorgelegt. Auch erklärt sich aus diesem Vorbringen nicht, warum sie im Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis als Datum der letzten Einreise den 17. Dezember 2013 angegeben hat, wenn dieses Datum nicht den Tatsachen entsprochen haben sollte. Der damit bestehende unerlaubte Aufenthalt von über zwei Monaten stellt keinen geringfügigen oder nur vereinzelten Verstoß gegen Rechtsvorschriften dar.

Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren darauf hinweist, dass es ihr nicht zumutbar sei, das Visumverfahren nachzuholen, fehlt eine stichhaltige Begründung. Soweit vorgebracht wird, sie könne kulturbedingt nicht zu den Schwiegereltern der Töchter zurückkehren und benötige wegen ihrer Erkrankungen den Beistand ihrer Familie, sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin nicht für die Dauer des Visumverfahrens in ihr Heimatland zurückkehren und dort von ihren Töchtern unterstützt werden könnte, ohne sich bei den Töchtern aufzuhalten. Eine Reiseunfähigkeit, die die Durchführung des Visumverfahrens unmöglich machen würde, ist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.

Im Übrigen eröffnet § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG der Ausländerbehörde des Antragsgegners nur ein Ermessen, ob sie bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen vom Erfordernis der Einreise mit dem erforderlichen Visum absehen will.

Das Vorbringen der Antragstellerin zur fehlenden Rückkehrmöglichkeit in den Kosovo und zu ihren Erkrankungen ist auch nicht geeignet, einen Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu begründen. Der Antragstellerin ist es ohne weiteres möglich, auch ohne ihre Töchter in ihrer Heimat ein eigenständiges Leben zu führen. Sie hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, aus welchen Gründen sie daran gehindert sein sollte. Es ist weiterhin nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin tatsächlich an den angeführten Krankheiten leidet und sie deshalb nicht ohne den Beistand ihrer Söhne und ihres Ehemanns leben kann. Auch sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Erkrankungen im Kosovo nicht behandelbar sind.

Die Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

I.

1

Die am (…) 1973 geborene Antragstellerin ist vietnamesische Staatsangehörige. Am 16.06.2010 schloss sie in Vietnam mit dem deutschen Staatsangehörigen D. die Ehe. Am 27.05.2011 erhielt sie ein bis zum 25.08.2011 befristetes Visum für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zum Zweck der Familienzusammenführung. Am 13.06.2011 reiste sie in das Bundesgebiet ein. Ihre beiden am (…) 1997 und (…) 2004 geborenen Kinder, für die sie nach ihrer Scheidung von ihren vietnamesischen Ehemann das alleinige Sorgerecht erhalten hatte, ließ sie in Vietnam zurück. Am 26.07.2011 beantragte sie bei dem Landkreis (...) die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Hierauf wurde ihr eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG ausgestellt, die zuletzt bis zum 01.12.2014 verlängert wurde.

2

Am 20.07.2012 erhielt der Landkreis (...) eine Mitteilung der Bundespolizei, wonach bei der Antragstellerin der Verdacht einer Scheinehe bestehe. Mit Anklageschrift vom 01.03.2013 erhob die Staatsanwaltschaft (...) gegen die Antragstellerin und ihren damaligen Ehemann Anklage wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz. Der damalige Ehemann der Antragstellerin verstarb zwischen dem 23.06.2013 und dem 30.06.2013. Mit Beschluss vom 24.07.2013 – 21 Ds 309 Js (...)/12 – stellte das Amtsgericht (...) das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO vorläufig ein. Am 29.07.2013 zog die Antragstellerin nach A-Stadt.

3

Mit Bescheid vom 29.09.2014 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Nach § 31 AufenthG könne eine Aufenthaltserlaubnis nur verlängert, nicht aber – wie hier beantragt – erstmalig erteilt werden. Auch eine (rückwirkende) Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG komme nicht in Betracht, da die Antragstellerin mit ihrem verstorbenen Ehemann eine Scheinehe geführt habe. Dies ergebe sich aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft (...). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, das Bundesgebiet bis zum 15.12.2014 zu verlassen. Für den Fall der Nichtausreise wurde ihr die Abschiebung nach Vietnam angedroht. Der Bescheid ist bestandskräftig.

4

Mit Schreiben vom 10.12.2014 beantragte die Antragstellerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Sie sei nicht im Besitz eines gültigen vietnamesischen Reisepasses und könne die Kosten für ein Flugticket nach Vietnam nicht aufbringen.

5

Mit Schreiben vom 18.12.2014 wurde der Antragstellerin ihre Abschiebung nach Vietnam für den 17.02.2015 angekündigt.

6

Mit Schreiben vom 12.01.2015 kündigte die Antragstellerin an, freiwillig ausreisen zu wollen. Unter Vorlage eines ärztlichen Attestes von Dr. med. (...), B-Stadt, vom 08.01.2015 trug sie vor, bis zum 23.01.2015 reiseunfähig zu sein.

7

Am (…) 2015 heiratete die Antragstellerin in der Botschaft der Republik Vietnam in Berlin den vietnamesischen Staatsangehörigen (...). Am (…) 2015 schlossen die Antragstellerin als Arbeitnehmer und ihr neuer Ehemann als Arbeitgeber einen "Arbeitsvorvertrag", wonach die Antragstellerin als Verkäuferin monatlich 1.360,00 € brutto verdienen sollte. Mit Schreiben vom 26.01.2015 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a AufenthG.

8

Mit Schreiben vom 27.01.2015 wies die Antragsgegnerin die Antragstellerin darauf hin, dass sie nach wie vor vollziehbar ausreisepflichtig sei.

9

Am 05.02.2015 beantragte die Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren legte sie ein ärztliches Attest von Dr. med. (...), B-Stadt, vom 11.02.2015 vor, wonach sie bis zum 06.03.2015 reiseunfähig sei.

10

Mit Beschluss vom 13.02.2015 – 4 B 220/15 MD – lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab und führte zur Begründung aus, der Erlass einer einstweiligen Anordnung komme nicht in Betracht, weil es an einem Anordnungsanspruch fehle. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Es spreche Überwiegendes dafür, dass die Antragstellerin und Herr (...) nicht die Absicht einer ehelichen Lebensgemeinschaft hätten und es sich bei der am (…) 2015 geschlossenen Ehe um eine Scheinehe handele. Hierfür spreche, dass es sich auch bei der am (…) 2010 geschlossenen Ehe mit Herrn (…) um eine Scheinehe gehandelt habe. Zudem dränge sich angesichts des zeitlichen Zusammenhangs mit der geplanten Rückführung der Antragstellerin die Annahme einer Scheinehe geradezu auf. Die Antragstellerin habe auch nicht plausibel erklärt, in welcher Wohnung sie gemeinsam mit ihrem neuen Ehemann lebe, zumal es Anhaltspunkte dafür gebe, dass sie bereits seit November 2013 nicht mehr an dem von ihr angegebenen Wohnsitz wohne. Darüber hinaus seien die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt. Gegen die Antragstellerin liege ein Ausweisungsgrund vor, da sie bei ihrem Visumsantrag unrichtige Angaben über die angeblich beabsichtigte eheliche Lebensgemeinschaft gemacht habe. Es sei auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihr Lebensunterhalt gesichert sei. Es fehle jeder plausible Beleg dazu, dass ihr Ehemann in der Lage sei, ihr den versprochenen Lohn auszuzahlen. Schließlich sei die Abschiebung auch nicht wegen (vorübergehender) Reiseunfähigkeit auszusetzen. Mit der vorliegenden ärztlichen Bescheinigung vom 11.02.2015 habe die Antragstellerin eine Gefahr, dass sich ihr Gesundheitszustand durch die und während der Rückreise nach Vietnam wesentlich verschlechtere, nicht glaubhaft gemacht.

II.

11

Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen einstweilen zu untersagen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG zu erteilen, zu Recht abgelehnt.

12

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hat. Hierbei kann offen bleiben, ob die Antragstellerin die gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG erforderliche Absicht hat, mit ihrem neuen Ehemann (...) eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zu führen. Die Beweislast hierfür trägt auch nach Einfügung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG der ausländische Ehegatte (BVerwG, Urt. v. 30.03.2010 – BVerwG 1 C 7.09 –, juris RdNr. 18). Es bedarf insbesondere keiner Vertiefung, ob die Antragstellerin – wie sie behauptet – tatsächlich mit ihrem neuen Ehemann (...) in ihrer alten Wohnung unter der Anschrift A-Straße, A-Stadt, wohnt; denn unabhängig davon liegen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG nicht vor.

13

1. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr Lebensunterhalt gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Das ist gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nur dann der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass plausible Belege dafür fehlen, dass der Ehemann der Antragstellerin in der Lage ist, den der Antragstellerin nach dem "Arbeitsvorvertrag" vom (…) 2015 versprochenen Lohn von 1.360,00 € brutto monatlich zu zahlen. Der Hinweis darauf, dass ihr Ehemann Textilgroßhändler sei und Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit soweit einen Lohn von monatlich 850,00 € aus einer Aushilfstätigkeit für einen Versicherungsvertreter habe, reicht hierzu nicht aus. Die bereits in der Antragsschrift vom 05.02.2015 angekündigte Vorlage von Nachweisen für die Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit erfolgte auch im Beschwerdeverfahren nicht.

14

2. Einem Anspruch der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gemäß § 30 AufenthG steht zudem die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen, denn in ihrer Person liegt ein Ausweisungsgrund vor. Die Antragstellerin hat bei ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unrichtige Angaben gemacht, um sich einen Aufenthaltstitel zu beschaffen, indem sie die Ausländerbehörde über ihre (fehlende) Absicht, mit ihrem damaligen Ehemann D. eine eheliche Lebensgemeinschaft führen zu wollen, getäuscht hat. Hiermit hat sie sich gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar gemacht. Dies stellt einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften und damit einen Ausweisungsgrund im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG dar (vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 21.08.2013 – 3 B 1684/13 –, juris RdNr. 7). Die Einstellung des Verfahrens durch das Amtsgericht (...) gemäß § 153a StPO steht dem nicht entgegen (vgl. VG Gießen, Urt. v. 16.04.2013 – 7 K 4111/11.GI –, juris RdNr. 22). Der Sachverhalt ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den im Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.09.2014 auf den Seiten 4 – 8 ausführlich wiedergegebenen Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft (...), auf die auch das Verwaltungsgericht Bezug genommen hat. Dem ist die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht substantiiert entgegengetreten. Ein Anlass, gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen, ist nicht ersichtlich.

15

3. Die Antragstellerin kann auch deswegen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nicht beanspruchen, weil sie entgegen § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 – BVerwG 1 C 17.09 –, juris RdNr. 19 und Urt. v. 11.01.2011 – BVerwG 1 C 23.09 –, juris RdNr. 20). Hiernach benötigt die Antragstellerin ein Visum für den Ehegattennachzug nach § 30 AufenthG zu ihrem neuen Ehemann (...). Ein derartiges Visum besitzt sie nicht.

16

Die Voraussetzungen für einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne vorheriges Visumverfahren nach § 39 Nr. 5 AufenthV liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Es kann offenbleiben, ob die Antragstellerin die Voraussetzungen des § 60a AufenthG erfüllt, denn sie hat während ihres Aufenthalts in Deutschland keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben, wie dies § 39 Nr. 5 AufenthV voraussetzt. Denn unter einem "Anspruch" im Sinne von § 39 Nr. 5 AufenthV ist grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (BVerwG, Urt. v. 10.12.2014 – BVerwG 1 C 15.14 –, juris RdNr. 15). Einen solchen Anspruch hat die Antragstellerin jedoch nicht erworben, da sie die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt (dazu 2) und die Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht glaubhaft gemacht hat (dazu 1).

17

Ein Absehen vom Visumserfordernis gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann vom Visumserfordernis abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

18

Unter einem "Anspruch" im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG ist ebenso wie bei vergleichbaren Formulierungen im Aufenthaltsrecht grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen (BVerwG, Urt. v. 10.12.2014 – BVerwG 1 C 15.14 – a.a.O. RdNr. 19). Einen solchen Anspruch hat die Antragstellerin – wie bereits ausgeführt – nicht erworben.

19

Die Nachholung des Visumverfahrens ist für die Antragstellerin auch nicht im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG unzumutbar. Allein der Umstand, dass die Eheleute möglicherweise eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht hierfür auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht aus (BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 – BVerwG 1 C 17.09 – a.a.O. RdNr. 27 und Urt. v. 11.01.2011 – BVerwG 1 C 23.09 – a.a.O. RdNr. 34). Einem Ausländer, der ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und keinen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat, kann es auch dann grundsätzlich zugemutet werden, das Visumverfahren nachzuholen, wenn er mit einem Ausländer verheiratet ist, der eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Eine auch nur vorübergehende Trennung von dem Ehegatten ist nur dann unzumutbar, wenn weitere besonderer Umstände im Einzelfall vorliegen, etwa wenn einer der Ehegatten auf Grund individueller Besonderheiten, etwa infolge einer Krankheit, mehr als im Regelfall auf persönlichen Beistand angewiesen ist (vgl. Beschl. d. Senats v. 25.09.2008 – 2 M 184/08 –, juris RdNr. 4 und Beschl. v. 09.02.2009 – 2 M 276/08 –, juris RdNr. 18).

20

Gemessen daran hat die Antragstellerin auch in der Beschwerdebegründung keine besonderen Umstände dargelegt, die eine Nachholung des Visumverfahrens als unzumutbar erscheinen lassen, insbesondere zu einer mit Art. 6 GG nicht zu vereinbarenden Trennung von ihrem Ehemann führen würde. Insoweit kann sie sich nicht darauf berufen, dass sie die Kosten für ein Flugticket nach Vietnam nicht aufbringen könne. Besondere Umstände des Einzelfall im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG liegen nur dann vor, wenn sich der Ausländer in einer Sondersituation befindet, die sich deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet. Die Kosten der Reise für die Nachholung des Visumverfahrens im Herkunftsland begründen für sich allein regelmäßig keine solchen besonderen Umstände. Sie gehören zu dem normalen Risiko der nicht ordnungsgemäßen Einreise; als unzumutbar können sie nur dann angesehen werden, wenn sie eine außergewöhnliche Höhe erreichen (vgl. Beschl. d. Senats v. 25.09.2008 – 2 M 184/08 – a.a.O. RdNr. 8). Die Situation der Antragstellerin hebt sich jedoch, was die mit der Nachholung des Visumverfahrens verbundenen Kosten anbetrifft, nicht von den vom Gesetzgeber als zumutbar vorausgesetzten Unannehmlichkeiten ab.

21

4. Auch die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG sind nicht gegeben. Die Ausreise der Antragstellerin ist weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht unmöglich. Die Antragstellerin verfügt über einen gültigen Reisepass. Die Ausreise ist ihr auch zuzumuten. Eine unzumutbare Härte liegt hier nicht vor. Eine rechtliche Unmöglichkeit ergibt sich entgegen der Annahme der Antragstellerin insbesondere nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG. Wie bereits dargelegt, wird Art. 6 GG nicht verletzt, wenn der Ehefrau eine nur vorübergehende Trennung von dem Ehemann zur Nachholung des Visumverfahrens abverlangt wird (vgl. Beschl. d. Senats v. 09.02.2009 – 2 M 276/08 – a.a.O. RdNr. 26). Nach diesen Grundsätzen ist es der Antragstellerin, die sich ihrer für den 17.02.2015 geplanten Abschiebung durch "Untertauchen" entzogen hat und sich illegal im Bundesgebiet aufhält, zuzumuten, sich für einen überschaubaren Zeitraum von ihrem Ehemann zu trennen und das für den Ehegattennachzug erforderliche Visum einzuholen.

22

Die Unzumutbarkeit ihrer Ausreise lässt sich entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch nicht aus dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.02.2015 herleiten, mit dem die Wirkung der Abschiebung auf 3 Jahre nach erfolgter Ausreise befristet wurde. Die Antragstellerin verkennt offenbar, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 AufenthG nur mit einer Abschiebung, nicht aber mit einer freiwilligen Ausreise verbunden ist.

23

6. Ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin lässt sich auch nicht aus der geplanten Regelung des § 25b AufenthG-E (vgl. BT-Drs. 18/4097 vom 25.02.2015) herleiten, denn diese Regelung ist bislang noch nicht in Kraft getreten.

24

7. Für eine Aussetzung der Abschiebung wegen Reiseunfähigkeit gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist – jedenfalls derzeit – kein Grund ersichtlich, zumal das von der Antragstellerin vorgelegte Attest vom 11.02.2015 nur eine Reiseuntauglichkeit bis zum 06.03.2015 bescheinigte.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.


Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung durch den Beklagten.

2

Der am … 1981 im Libanon geborene Kläger reiste am 28.06.2003 erstmals in das Bundesgebiet ein und beantragte am 30.06.2003 bei der Ausländerbehörde Berlin eine Aufenthaltserlaubnis. Hierbei legte er eine im Libanon ausgestellte Identitätskarte der palästinensischen Flüchtlinge vor.

3

Der Kläger erhielt von der Ausländerbehörde Berlin am 30.06.2003 zunächst eine befristete Duldung, die mehrfach verlängert wurde. Nachdem er ein am 04.07.2006 von der Republik Libanon ausgestelltes „Document de Voyage“ vorlegen konnte, erteilte die Ausländerbehörde Berlin ihm am 10.07.2006 eine befristete Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, die ebenfalls mehrfach verlängert wurde, zuletzt am 08.01.2008 bis zum 07.01.2011. Die Aufenthaltserlaubnis enthielt die Nebenbestimmung „erlischt bei Ausreise in den Libanon“.

4

Im November 2009 reiste der Kläger zu seiner Familie nach S. (Südlibanon), wo er im April 2010 seine Frau ... nach islamischem Recht heiratete. Im August 2010 reisten er und seine Frau wieder in das Bundesgebiet ein, ohne im Besitz eines Passes oder Passersatzes zu sein. Im September 2010 wurde der Kläger dem Beklagten zur Unterbringung zugewiesen.

5

Mit Bescheid vom 11.11.2010 wies der Beklagte den Kläger nach vorheriger Anhörung aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Zugleich wurde ihm die Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland unbefristet untersagt und die Abschiebung in den Libanon angedroht. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Ausweisung beruhe auf § 55 Abs. 1 AufenthG. Der Kläger verstoße gegen die Passpflicht des § 3 Abs. 1 AufenthG und sei nicht im Besitz des gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitels. Zudem sei er gemäß § 14 Abs. 1 AufenthG illegal in das Bundesgebiet eingereist. Dieses Verhalten sei gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AufenthG strafbar, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vorlägen. Es liege im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, eine Ausweisung zu verfügen. Hierbei sei erheblich, dass ein berechtigtes Interesse daran bestehe, dass sich Einreise und Aufenthalt von Ausländern nach den gesetzlichen Vorgaben vollzögen. Illegalen Einreisen und Aufenthalten sei wirksam entgegenzutreten. Es sei aus generalpräventiven Gründen nicht zu gestatten, trotz rechtswidrigen Verhaltens einen Aufenthalt im Bundesgebiet zu begründen. Es bestehe insoweit ein beachtlicher öffentlicher Belang, dem Eindruck bei anderen Ausländern entgegenzuwirken, man könne durch eine Einreise stets vollendete Tatsachen schaffen. Nur durch eine konsequente Gesetzeshandhabung sei es möglich, künftig andere Ausländer wegen des damit verbundenen Ausweisungsrisikos von derartigen Verstößen abzuhalten. Die Ausweisung werde auch angesichts der schützenswerten Belange und persönlichen Interessen des Klägers als verhältnismäßig erachtet. Zwar habe sich der Kläger bereits in der Zeit von Juni 2003 bis Ende 2009 im Bundesgebiet aufgehalten, rechtmäßig jedoch erst seit Juli 2006. Seit seiner erneuten Einreise im August 2010 sei der Aufenthalt des Klägers zu keiner Zeit rechtmäßig gewesen. Eine Wertung zugunsten des Klägers scheide daher aus. Besondere Bindungen des Klägers, die seine Anwesenheit im Bundesgebiet erforderten, seien weder vorgetragen noch sonst zu erkennen. Ein Absehen von einer Ausweisung komme auch nicht deshalb in Betracht, weil eine Abschiebung gegenwärtig daran scheitere, dass der Kläger nicht über die erforderlichen Ausreisedokumente, insbesondere über einen Pass, verfüge.

6

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 08.12.2010 Widerspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden wurde.

7

Am … 2011 wurde die Tochter des Klägers und seiner Ehefrau ..., H. …, geboren. Sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau und das Kind leben derzeit in A-Stadt und sind lediglich im Besitz einer Duldung.

8

Bereits am 09.12.2010 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, er sei nicht illegal in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, denn sein Aufenthaltstitel sei noch bis zum 07.01.2011 gültig. Die Ausweisung sei ermessensfehlerhaft, denn bei allen ausländerrechtlichen Entscheidungen sei das Kindeswohl der betroffenen Kinder zu berücksichtigen.

9

Der Kläger hat beantragt,

10

den Bescheid des Beklagten vom 11.11.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, neu zu bescheiden bzw. ihm ein Aufenthaltsrecht, hilfsweise eine Duldung zu erteilen.

11

Der Beklagte hat beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Er hat vorgetragen, der Aufenthaltstitel des Klägers sei durch dessen Ausreise in den Libanon ungültig geworden.

14

Mit Urteil vom 17.04.2012 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und sein Urteil wie folgt begründet: Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels noch einer Duldung. Der Kläger erfülle die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Er habe einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen, denn er sei illegal in das Bundesgebiet eingereist, da er weder im Besitz des erforderlichen Passes oder Passersatzes noch des erforderlichen Aufenthaltstitels sei. Der vom Land Berlin am 08.01.2008 ausgestellte Aufenthaltstitel sei mit der Bestimmung „erlischt mit Ausreise in den Libanon“ versehen gewesen, so dass er mit der Rückreise des Klägers in den Libanon Ende 2009 erloschen sei. Eine bestimmte Dauer des dortigen Aufenthalts oder die Absicht der endgültigen Niederlassung seien nicht erforderlich; ausreichend sei, dass der Kläger die Ausreise in sein Herkunftsland vollzogen habe. Gründe für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels oder einer Duldung seien nicht erkennbar. Der Kläger sei in Deutschland nicht integriert. Frau und Kind des Klägers leiteten ihren Aufenthaltsstatus von ihm ab, so dass sie nicht bessergestellt sein könnten. Die Ermessensentscheidung des Beklagten sei auch unter diesem weiteren Aspekt nicht zu beanstanden.

15

Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil trägt der Kläger vor: Von der Ausweisung sei unter Berücksichtigung des Kindeswohls im Ermessenswege abzusehen gewesen, zumal er eine enge Bindung zu seiner Tochter habe und sich liebevoll um sie kümmere. Zudem sei die Ausweisung auch deshalb aufzuheben, weil er gemäß § 11 AufenthG einen Anspruch darauf habe, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befriste.

16

Der Kläger beantragt sinngemäß,

17

das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 17.04.2012 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 11.11.2010 aufzuheben.

18

Der Beklagte beantragt,

19

die Berufung zurückzuweisen.

20

Der Beklagte trägt zur Begründung vor: Aufgrund der Wohnsitzänderung des Klägers sei seine fortgesetzte Prozessbeteiligung in Frage zu stellen. Die vom Kläger angeführte enge Bindung zu seiner erst im April 2011 geborenen Tochter gebe keine Veranlassung, von einer Ausweisung abzusehen. Auch habe im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 11.11.2010 die Notwendigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK noch nicht vorgelegen. Die fehlende Befristung habe nicht zur Folge, dass die als solche rechtmäßige Ausweisung aufzuheben sei. Es sei dem Kläger vielmehr unbenommen, zugleich mit der Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkung der Ausweisung gerichtlich durchzusetzen.

21

Zur beabsichtigten Entscheidungsform sind die Beteiligten angehört worden.

22

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens im Einzelnen wird auf die Schriftsätze in beiden Rechtszügen und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

23

Über die Berufung kann durch Beschluss entschieden werden, da der Senat das Rechtsmittel einstimmig in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang für begründet und im Übrigen für unbegründet sowie eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a VwGO).

24

1. Die Klage ist als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zulässig. Nach § 75 Satz 1 VwGO ist die Klage abweichend von § 68 zulässig, wenn über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Das ist hier - im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.01.1966 - BVerwG 1 C 24.63 -, Juris RdNr. 15) - der Fall. Der Kläger hat mit Schreiben vom 08.12.2010 gegen den Bescheid des Beklagten vom 11.11.2010 Widerspruch eingelegt. Ein zureichender Grund, weshalb über diesen Widerspruch noch nicht entschieden worden ist, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

25

2. Der Beklagte ist nach wie vor richtiger Klagegegner. Ohne Belang ist, dass der Kläger während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens seinen Wohnsitz nach A-Stadt verlegt hat. In prozessualer Hinsicht folgt dies aus § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, wonach die Klage gegen die Körperschaft zu richten ist, deren Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Dies war hier der Beklagte. Auch die materiell-rechtliche Streitgegnerschaft, d. h. die Passivlegitimation, ist dem Beklagten durch den Wohnsitzwechsel des Klägers nicht entzogen worden. Der Beklagte war im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisung gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG LSA i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG örtlich zuständig. Die einmal begründete Zuständigkeit für den Erlass einer Ausweisungsverfügung bleibt nach deren Erlass trotz des Umzugs des Ausländers bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erhalten. Ein Fall des § 3 Abs. 3 VwVfG liegt nicht vor, denn die die Zuständigkeit begründenden Umstände haben sich nicht im Lauf des Verwaltungsverfahrens, sondern erst nach seinem Abschluss (vgl. § 9 VwVfG) geändert (OVG NW, Beschl. v. 31.03.1992 - 18 B 299/92 -, Juris RdNr. 2 und Beschl. v. 01.04.2004 - 18 B 1521/03 -, Juris RdNr. 5).

26

3. Die Klage ist unbegründet, soweit sich der Kläger gegen seine Ausweisung wendet. Der Bescheid des Beklagten vom 11.11.2010 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Maßgeblich für die Beurteilung der Ausweisung ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.2007 - BVerwG 1 C 45.06 -, Juris RdNr. 12).

27

Rechtliche Grundlage der Ausweisung ist § 55 Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG kann ein Ausländer insbesondere nach Absatz 1 ausgewiesen werden, wenn er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Diese Vorschrift ist dahin zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, andererseits aber immer dann beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1996 - BVerwG 1 C 9.94 -, Juris RdNr. 19). Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich nicht geringfügig (BVerwG, Urt. v. 24.09.1996 - BVerwG 1 C 9.94 -, a.a.O. RdNr. 20). Nur unter engen Voraussetzungen kann es bei vorsätzlich begangenen Straftaten Ausnahmefälle geben, in denen der Rechtsverstoß als geringfügig zu bewerten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2004 - BVerwG 1 C 23.03 -, Juris RdNr. 22; OVG LSA, Beschl. v. 09.02.2009 - 2 M 276/08 -, Juris RdNr. 22 und Beschl. v. 07.07.2011 - 2 M 77/11 - n.v.). Die unerlaubte Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet unter Verstoß gegen die Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ist kein derartiger geringfügiger Rechtsverstoß, sondern erfüllt die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (vgl. HambOVG, Beschl. v. 06.03.2002 - 3 Bf 205/01 -, Juris; SächsOVG, Beschl. v. 17.08.2006 - 3 BS 130/06 -, Juris; VG Münster, Urt. v. 08.07.2010 - 8 K 1600/08 -, Juris). Nach diesen Grundsätzen sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des Ausweisungsgrundes des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gegeben. Der Kläger ist gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist, da er im Zeitpunkt seiner Einreise im August 2010 weder im Besitz eines Passes oder Passersatzes noch eines Aufenthaltstitels war. Insbesondere war seine von der Ausländerbehörde Berlin erteilte Aufenthaltserlaubnis vom 08.01.2008 nicht mehr gültig, da sie auf Grund der beigefügten auflösenden Bedingung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG) mit der Ausreise des Klägers in den Libanon im August 2009 erloschen ist.

28

Die Ausweisung des Klägers ist auch frei von Ermessensfehlern. Gemäß § 55 Abs. 3 AufenthG sind bei der Entscheidung über die Ausweisung die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet (Nr. 1), die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen oder Lebenspartner des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft leben (Nr. 2) und die in § 60a Abs. 2 und 2b genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung (Nr. 3) zu berücksichtigen. Insbesondere bei einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen - wie hier - setzt eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Entscheidung voraus, dass die Ausländerbehörde das Gewicht der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Interessen und die gegen die Ausweisung sprechenden privaten Belange des Betroffenen im Einzelnen ermittelt und individuell würdigt, um sie dann gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.02.2012 - BVerwG 1 C 7.11 -, Juris RdNr. 21). Diesen Anforderungen wird die Ermessensentscheidung des Beklagten gerecht.

29

Ohne Belang ist, dass sich der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 11.11.2010 noch nicht mit dem Gesichtspunkt des Kindeswohls der erst am … 2011 geborenen Tochter des Klägers befasst hat. Gemäß § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Diese Vorschrift schließt es jedenfalls in den Fällen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, für deren Rechtmäßigkeit es - wie hier - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt, nicht aus, dass die Behörde eine Ermessensentscheidung erstmals im gerichtlichen Verfahren trifft und zur gerichtlichen Prüfung stellt. Dies gilt zumindest dann, wenn sich - wie hier - aufgrund neuer Umstände die Notwendigkeit einer Ermessensausübung erst nach Klageerhebung ergibt (BVerwG, Urt. v. 13.12.2011 - BVerwG 1 C 14.10 -, Juris RdNr. 8). Nach diesen Grundsätzen konnte der Beklagte seine Ermessenserwägungen insoweit noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen, da die Tochter des Klägers erst nach Erlass des angefochtenen Bescheides und nach Klageerhebung geboren wurde. Dies hat er auch durch seine Stellungnahmen vom 17.07.2012 und 21.01.2014 getan, in denen er zum Ausdruck gebracht hat, dass die Bindung des Klägers zu seiner im April 2011 geborenen Tochter keine Veranlassung biete, von einer Ausweisung abzusehen. Hiermit hat der Beklagte die maßgeblichen Umstände vollständig gewürdigt und den für die Ausweisung des Klägers sprechenden generalpräventiven Gesichtspunkten in rechtlich nicht zu beanstandender Weise den Vorrang vor dessen Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet gegeben.

30

Die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG stehen einer Ausweisung des Klägers nicht entgegen. Die Ausländerbehörde hat bei der Entscheidung darüber, ob eine Ausweisung vorzunehmen ist, stets auch zu prüfen, ob der Schutz von Ehe und Familie des Ausländers, gegen den ein Ausweisungsgrund vorliegt, Vorrang vor dem Interesse an seiner Ausweisung beansprucht (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.06.1975 - BVerwG 1 C 8.71 -, Juris RdNr. 18). Ein mit einem deutschen Staatsangehörigen verheirateter Ausländer darf bei in der Bundesrepublik Deutschland geführter Ehe nur ausgewiesen werden, wenn die Ausweisungsgründe im Einzelfall schwer wiegen und die Anwesenheit des Ausländers trotz der bestehenden Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen nicht weiter hingenommen werden kann. Ist aus einer solchen Ehe ein Kind deutscher Staatsangehörigkeit (u. U. neben einer anderen Staatsangehörigkeit) hervorgegangen, so kann das die gegen eine Ausweisung sprechenden Gründe um des gebotenen Familienschutzes willen noch verstärken. Teilen der Ehegatte und ein etwaiges minderjähriges Kind dagegen die Staatsangehörigkeit des Ausländers, ohne zugleich deutsche Staatsangehörige zu sein, so kann die Berücksichtigung des Schutzes von Ehe und Familie nur geringeres Gewicht beanspruchen. In diesen Fällen hat die Ausweisung für den anderen Eheteil und das Kind nicht die gleichen schwerwiegenden Folgen. Sie erschüttert die bestehende Lebensgemeinschaft nicht in jener besonderen Weise, wie dies für die Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen gilt, und ist grundsätzlich weniger geeignet, den Fortbestand von Ehe und Familie zu gefährden. Sie zerstört in aller Regel keine gemeinsamen Zukunftsvorstellungen und Erwartungen, die für die Eheleute bei Schließung der Ehe grundlegend gewesen sind. Eine Rückkehr in das Land gemeinsamer Staatsangehörigkeit ist, wenn nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen, dem anderen Ehegatten im Interesse der Fortsetzung der ehelichen und ggf. familiären Lebensgemeinschaft zuzumuten, wenn der eine ausgewiesen wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.06.1975 - BVerwG 1 C 8.71 -, a.a.O. RdNr. 20). Auch bei rein ausländischen Ehen und Familien muss die Ausweisung jedoch durch ein entsprechend gewichtiges öffentliches Interesse gerechtfertigt sein (BVerwG, Urt. v. 16.09.1980 - BVerwG 1 C 28.78 -, Juris RdNr. 16). Die Ausweisung ist aufgrund des Schutzgebotes des Art. 6 Abs. 1 GG rechtswidrig, wenn ihre Folgen für den Betroffenen mit Rücksicht auf seinen Ehegatten und seine Kinder unverhältnismäßig hart sind (BVerfG, Beschl. v. 19.08.1983 - 2 BvR 1284/83 - Juris RdNr. 4). Ob den Familienangehörigen die mit der (u. U. vorübergehenden) Trennung oder der gemeinsamen Rückkehr in das Heimatland verbundenen Folgen zuzumuten sind, beurteilt sich nach dem Grad der durch die Ausweisung verursachten Härten und dem Gewicht des öffentlichen Interesses an der Verwirklichung der Ausweisungszwecke nach Maßgabe der besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls (BVerwG, Beschl. v. 17.10.1984 - BVerwG 1 B 61.94 -, Juris RdNr. 12). Maßgeblich sind u.a. die Aufenthaltsdauer und die etwa eingetretene Aufenthaltsverfestigung des Ehegatten (HambOVG, Beschl. v. 04.12.1989 - Bs IV 536/89 -, Juris RdNr. 6). Ferner sind das besondere Gewicht der familiären Bindungen und insbesondere das Kindeswohl minderjähriger Kinder zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v. 10.02.2011 - BVerwG 1 B 22.10 -, Juris RdNr. 4).

31

Nach diesen Grundsätzen stellt die Ausweisung des Klägers auch unter Beachtung des Schutzgebots des Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG keine unverhältnismäßige Maßnahme dar. Dem vom Beklagten mit der Ausweisung verfolgten generalpräventiven Ziel, anderen Ausländern durch die Maßnahme vor Augen zu führen, dass eine illegale Einreise in das Bundesgebiet nicht folgenlos bleibt, ist erhebliches Gewicht beizumessen. Demgegenüber sind die Folgen der Ausweisung für den Kläger auch mit Rücksicht auf seine Ehefrau und seine Tochter nicht unverhältnismäßig hart. Weder der Kläger noch seine Ehefrau oder seine Tochter sind in Deutschland verwurzelt. Sie verfügen über kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet und sind vollziehbar ausreisepflichtig. Der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet war nur für etwa drei Jahre, von Juli 2006 bis Ende 2009, rechtmäßig. Seit seiner erneuten Einreise im August 2010 war sein Aufenthalt durchgängig rechtswidrig. Seine Ehefrau hält sich erst seit August 2010 und damit erst relativ kurze Zeit im Bundesgebiet auf. Zudem war ihr Aufenthalt zu keinem Zeitpunkt rechtmäßig. Der Kläger und seine Ehefrau sind im Libanon geboren und aufgewachsen. Der Kläger ist erst im Alter von 21 Jahren erstmals in das Bundesgebiet eingereist. Er spricht nur wenig Deutsch und ist zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel angewiesen. Die Tatsache, dass er Ende 2009 freiwillig in den Libanon zu seiner Familie gereist ist, um dort im Frühjahr 2010 nach islamischem Recht zu heiraten, zeigt, dass er noch über starke Bindungen in sein Heimatland verfügt. Vor diesem Hintergrund werden durch eine Rückkehr des Klägers in den Libanon keine erheblichen Gefahren für seine Ehe oder das Wohl seiner Tochter hervorgerufen; denn eine Rückkehr in ihr Heimatland ist dem Kläger und seiner Familie zuzumuten.

32

Auch aus Art. 8 EMRK ergibt sich keine Verpflichtung des Beklagten, von einer Ausweisung des Klägers abzusehen. Bei der im Rahmen der Ermessensentscheidung zu prüfenden Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung bedarf es auch der Beachtung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien (BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, Juris RdNr. 32; BVerwG, Beschl. v. 10.02.2011 - BVerwG 1 B 22.10 -, a.a.O. RdNr. 4). Art. 8 EMRK schützt das Recht auf Achtung des Familien- und des Privatlebens. In diese Rechte können die Vertragsstaaten nach Art. 8 Abs. 2 EMRK eingreifen, soweit die gewählte Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, also durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt wird und mit Blick auf die verfolgten legitimen Ziele auch im engeren Sinn verhältnismäßig ist (BVerfG, Beschl. v. 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, a.a.O. RdNr. 33). Ob ein Ausländer hiernach ausgewiesen werden kann, ist anhand einer einzelfallbezogenen Würdigung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers und deren Abwägung gegeneinander zu ermitteln. Dabei sind die vom EGMR entwickelten Kriterien zu beachten (BVerwG, Urt. v. 22.10.2009 - BVerwG 1 C 26.08 -, Juris RdNr. 28). Bei der Prüfung der Frage, ob eine Ausweisungsmaßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und gegenüber dem verfolgten Ziel verhältnismäßig ist, sind dabei insbesondere folgende Kriterien heranzuziehen:

33
die Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat;
34
die Dauer des Aufenthalts des Ausländers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll;
35
die seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und das Verhalten des Ausländers in dieser Zeit;
36
die Staatsangehörigkeit der einzelnen Betroffenen;
37
die familiäre Situation des Ausländers und insbesondere gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe und andere Faktoren, welche die Effektivität eines Familienlebens bei einem Paar belegen;
38
die Frage, ob der Ehegatte von der Straftat wusste, als die familiäre Beziehung aufgenommen wurde;
39
die Frage, ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und wenn ja, welches Alter sie haben;
40
das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte in dem Land unter Umständen begegnet, in das der Ausländer auszuweisen ist;
41
die Belange und das Wohl der Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen die Kinder des Ausländers in dem Land begegnen können, in das der Betroffene auszuweisen ist und
42
die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gaststaat und zum Bestimmungsland (vgl. EGMR, Urt. v. 18.10.2006 - 46410/99 - <Üner>, Juris RdNr. 57-58).
43

Hierbei ist in der Rechtsprechung des EGMR anerkannt, dass eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeutet, wenn ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst war. Das gilt auch in Bezug auf die Geburt eines Kindes, die für sich allein keinen Grund für ein Bleiberecht darstellt (EGMR, Urt. v. 31.07.2008 - 265/07 - <Omoregie>, InfAuslR 2008, 421 <422>).

44

Nach diesen Grundsätzen ist die Ausweisung des Klägers auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig. Auch insoweit ist entscheidend, dass die Ausweisung aus generalpräventiven Gründen einem legitimen Zweck dient und dass andererseits der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet wenig verfestigt, seine Bindungen zu seinem Heimatland demgegenüber noch stark sind. Besondere Schwierigkeiten bei der Reintegration in sein Heimatland sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch war der Aufenthalt des Klägers und seiner Ehefrau im Bundesgebiet seit ihrer Einreise im August 2010 von Anfang an rechtswidrig und ihr Status damit ungewiss, was ihnen bewusst war. Auch die Geburt seiner Tochter im April 2011 führt nach Maßgabe des Art. 8 EMRK nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung, denn allein hieraus lässt sich ein Bleiberecht des Klägers nicht ableiten.

45

4. Die Klage ist begründet, soweit der Kläger die Befristung der Wirkungen der Ausweisung begehrt. Der Bescheid vom 11.11.2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit ihm die Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland unbefristet untersagt wird. Der Kläger hat gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG einen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung.

46

Dieser Anspruch ist vom Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens mit umfasst, da in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen ist, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.07.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, Juris RdNr. 39 und Urt. v. 13.12.2012 - BVerwG 1 C 20.11 -, Juris RdNr. 38).

47

Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 22.11.2011 (BGBl. I S. 2258) haben Ausländer grundsätzlich - vorbehaltlich der Ausnahmen in § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG - einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (BVerwG, Urt. v. 10.07.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, a.a.O. RdNr. 30). Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gerichtlich durchsetzen. Das Prozessrecht muss gewährleisten, dass der Ausländer gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen wird. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen. Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde - wie hier - keine Befristung vorgenommen, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (BVerwG, Urt. v. 10.07.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, a.a.O. RdNr. 40).

48

Aus § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. folgt ein uneingeschränkter, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegender Befristungsanspruch (BVerwG, Urt. v. 10.07.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, a.a.O. RdNr. 34). Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer aus generalpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung kommt es darauf an, wie lange von ihr eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer ausgeht. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Oberverwaltungsgerichts zu treffen (BVerwG, Urt. v. 06.03.2014 - BVerwG 1 C 2.13 -, Juris RdNr. 12).

49

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf ein Jahr erforderlich, aber auch ausreichend. Die Voraussetzungen eines Befristungsanspruchs auf Null (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.03.2014 - BVerwG 1 C 2.13 - a.a.O. RdNr. 13) liegen nicht vor. Von der Ausweisung geht nach wie vor eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer aus. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass von dem Kläger selbst nur die Gefahr einer erneuten illegalen Einreise in das Bundesgebiet ausgeht, sind die Wirkungen der Ausweisung auf ein Jahr zu befristen.

50

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

51

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

52

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden.

(2) Aus der Tat oder der Verurteilung entstandene Rechte Dritter, gesetzliche Rechtsfolgen der Tat oder der Verurteilung und Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die im Zusammenhang mit der Tat oder der Verurteilung ergangen sind, bleiben unberührt.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. August 2013 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der jeweils zu vollstreckenden Kosten leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

2

Der am ... 1970 geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben im November 2005 ohne Reisepass und ohne Visum in das Bundesgebiet ein und gab sich zunächst als sudanesischer Staatsangehöriger aus. Das Amtsgericht Hamburg verurteilte den Kläger am 15. März 2006 wegen illegalen Aufenthalts zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen (243 Ds 81/06).

3

Mit Bescheid vom 16. März 2006 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG ab und drohte dem Kläger die Abschiebung in den Sudan an. Die hiergegen erhobene Klage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg blieb erfolglos. Seit dem 6. Juli 2006 wird der Kläger im Bundesgebiet geduldet.

4

Der Kläger hat sich im Rahmen des Asylverfahrens als sudanesischer Staatsangehöriger mit dem Namen B... ausgegeben (vgl. Bl. 229 d. Sachakte -SA-). Nachdem das Verwaltungsgericht Hamburg im April 2006 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge abgelehnt hatte, wurde die Abschiebung des Klägers vorbereitet. Im Mai 2006 (Bl. 237 f. d. SA) füllte der Kläger einen Antrag auf Ausstellung von Passersatzpapieren unter der falschen sudanesischen Identität aus, die er auch im Rahmen des Asylverfahrens angegeben hatte. Die Botschaft des Sudan schloss nach Vorführung des Klägers im Juni 2006 eine sudanesische Staatsangehörigkeit aus (Bl. 13 f. d. SA) und vermutete eine nigerianische Staatsangehörigkeit des Klägers (vgl. auch Bl. 6 f. d. SA). Der Kläger behauptete weiterhin gegenüber der Beklagten eine sudanesische Staatsangehörigkeit und stritt die nigerianische Staatsangehörigkeit ab (Bl. 4 f. d. SA). Eine Vorführung vor der nigerianischen Botschaft im Januar 2007 blieb ergebnislos, weil der Kläger auf seiner sudanesischen Staatsangehörigkeit bestand und die Beklagte keine weiteren Sachbeweise für eine nigerianische Staatsangehörigkeit vorlegen konnte, die die Ausstellung der nigerianischen Passersatzpapiere hätte begründen können (Bl. 30 d. SA); der Aufforderung, einen Reise- oder Nationalpass bei der Vorführung mitzubringen, kam der Kläger nicht nach (Bl. 22 d. SA). Mit Verfügung vom 4. September 2007 (Bl. 37 d. SA) wurde der Kläger aufgefordert, seinen Pass oder einen Passersatz bei der Beklagten zu hinterlegen, und auf seine Verpflichtungen nach § 3 AufenthG sowie seine Mitwirkungspflichten nach § 48 Abs. 3 AufenthG hingewiesen, denen der Kläger nicht fristgerecht nachkam. Im Hinblick auf die fehlende Mitwirkung des Klägers wurde zudem die Kürzung der Sozialleistungen eingeleitet (vgl. Bl. 34, 39 d. SA). Im Januar 2008 wurde der Kläger erneut auf seine Mitwirkungspflichten aus § 82 Abs. 1 AufenthG hingewiesen (Bl. 41 d. SA); der Pflicht zur Vorlage von Ausweispapieren kam er nicht fristgerecht nach. Sämtliche Duldungsverfügungen der Beklagten im Zeitraum vom 6. Juli 2006 bis zum 28. Januar 2008 enthalten den Vermerk „Personalien sind nicht nachgewiesen, sondern beruhen lediglich auf den Angaben des/der Betroffenen“ (vgl. Bl. 3, 17, 31, 39, 43 d.SA).

5

Am 23. Juni 2008 erkannte der Kläger unter dem derzeitigen Namen als nigerianischer Staatsangehöriger die Vaterschaft für die am 21. Mai 2008 geborene ghanaische Staatsangehörige K. ... an und erklärte, die elterliche Sorge gemeinsam mit der Kindesmutter, Frau X.K. ..., ausüben zu wollen. Frau X.K. ... ist außerdem Mutter des am ... 2007 geborenen deutschen Staatsangehörigen Y.K. ...

6

Mit Schreiben vom 9. Juli 2008 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Hinblick auf die familiäre Lebensgemeinschaft zu seiner Tochter K. ..., mit der er zwar nicht in einer Haushaltsgemeinschaft lebe, um die er sich jedoch kümmere. Wegen der familiären Bindung der Kindesmutter an deren deutsches Kind sei eine gemeinsame Ausreise nach Nigeria nicht zumutbar. Die Kindesmutter, die die ghanaische Staatsangehörigkeit besitze, sei zu einem solchen Schritt zudem nicht bereit. Auch stimme sie der Ausreise der gemeinsamen Tochter nach Nigeria nicht zu. Die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen ihm und seiner Tochter könne daher nur im Bundesgebiet aufrechterhalten werden. Im September 2008 legte der Kläger seinen nigerianischen Pass vor, ausgestellt am 4. September 2008.

7

Mit Verfügung vom 29. August 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Hiergegen legte der Kläger am 28. September 2012 Widerspruch ein. Ein beachtlicher Ausweisungsgrund sei nicht gegeben. Die Verurteilung wegen einer Straftat dürfe ihm nicht mehr entgegen gehalten werden, weil die fünfjährige Tilgungsfrist der Verurteilung nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 BZRG abgelaufen sei. Er sei berechtigt, den Aufenthaltstitel nach § 39 Nr. 5 AufenthV im Inland einzuholen. Auch stehe ihm ein hinreichender Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu.

8

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2012 zurück. Da der Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG abgelehnt worden sei, könne ihm eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn er einen Rechtsanspruch auf diese habe, § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 AufenthG lägen ersichtlich nicht vor. Zudem seien die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt, da wegen seiner illegalen Einreise und der Täuschung der Behörden über die wahre Identität Ausweisungsgründe nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vorlägen. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG sowie § 25 Abs. 5 AufenthG komme nicht in Betracht, da deren Erteilung jeweils im Ermessen der Ausländerbehörde stehe.

9

Der Kläger hat am 17. Dezember 2012 Klage erhoben und sein Begehren weiter verfolgt.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2012 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

12

Die Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Die angefochtenen Bescheide seien aus den darin dargelegten Gründen rechtmäßig.

15

Mit Urteil vom 20. August 2013 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die im Ermessen stehende Erteilung eines Aufenthaltstitels sei nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ausgeschlossen. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG erfülle. Denn der Kläger sei ohne das erforderliche Visum in das Bundesgebiet eingereist und auch nicht nach § 39 AufenthV berechtigt, die Aufenthaltserlaubnis im Inland einzuholen. Die somit nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG im Ermessen der Beklagten stehende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis genüge nicht den Anforderungen des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG.

16

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat mit dem Kläger am 25. März 2014 zugestelltem Beschluss die Berufung zugelassen. Mit am 25. April 2014 beim Hamburgischen Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Berufung begründet. Er habe seit der Geburt seiner Tochter einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 20 AEUV. Das Abschiebungshindernis ergebe sich aus der schutzwürdigen familiären Lebensgemeinschaft zu seiner Tochter. Mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses sei in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Es sei auch unverschuldet. Er sei gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV berechtigt, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen, da seine Abschiebung im Hinblick auf das bestehende Abschiebungshindernis nach § 60a AufenthG ausgesetzt sei und er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grund der Geburt seiner Tochter während seines Aufenthalts im Bundesgebiet erworben habe. Es spreche viel dafür, dass der „Soll“-Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG bzw. § 39 Nr. 5 AufenthV darstelle. Von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG sei - soweit diese nicht vorlägen - im Hinblick auf die zu schützende familiäre Lebensgemeinschaft abzusehen. Seine wirtschaftliche Situation habe sich im Laufe des Berufungsverfahrens deutlich verbessert. Er wohne für 200,00 Euro monatlich zur Miete bei Frau O. ... und beziehe keine Sozialleistungen. Nach Angaben des Klägers wohnen neben Frau O. ... auch deren vier Kinder in der Wohnung.

17

Der Kläger beantragt,

18

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 20. August 2013 sowie der Verfügung vom 29. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. November 2012 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

19

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

21

Zur Begründung führt sie u.a. aus, dem Kläger stehe kein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu, der die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG überwinden könne. Der Kläger dürfe nicht nach § 39 Nr. 5 AufenthV eine Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einholen, weil auch diese Rechtsvorschrift einen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraussetze. Ein solcher liege bereits deshalb nicht vor, weil § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 AufenthG nicht erfüllt seien, da der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert sei und der Kläger mit seiner illegalen Einreise, der Arbeit ohne Arbeitserlaubnis und der Angabe von falschen Personalien Ausweisungsgründe verwirklicht habe. Ob eine Ausnahme von dieser Regel gemacht werden könne, sei nicht zu prüfen, da eine solche Prüfung der Umstände des Einzelfalles mit dem Erfordernis eines unmittelbar aus dem Gesetz folgenden strikten Rechtsanspruchs nicht zu vereinbaren sei. Die vorgelegten befristeten Arbeitsverträge ließen vor dem Hintergrund der bisherigen Erwerbsbiographie des Klägers nicht die Prognose einer dauerhaften Sicherung des Lebensunterhalts zu.

22

Der Kläger hat unter dem 20. Juni 2014 erneut die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Zusammenlebens mit seiner Tochter beantragt. Dort hat er angegeben, einen nunmehr bis zum 4. September 2018 gültigen Pass zu besitzen.

23

Ausweislich eines Auszuges aus dem Bundeszentralregister vom 4. März 2015 sind dort keine Einträge enthalten. Nach Auskunft des Grundsicherungs- und Sozialamts Harburg vom 4. März 2015, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (vgl. Bl. 326 f. d.A.), hat der Kläger vom 11. Juli 2006 bis zum 30. September 2014 - mit Ausnahme der Monate Februar und März 2014 - Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in unterschiedlicher Höhe bezogen.

24

Der vom Kläger vorgelegte Arbeitsvertrag mit der Firma A. ... Gebäudeservice vom 25. September 2014 ist bis zum 24. September 2015 befristet. Aus dem Arbeitsverhältnis hat der Kläger im Zeitraum Oktober 2014 bis Januar 2015 monatliche Nettoeinkünfte zwischen 249,85 Euro und 411,81 Euro bezogen. Der Kläger hat weiterhin einen Arbeitsvertrag mit der Firma B. ... GmbH vom 29. September 2014 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,75 Stunden vorgelegt und hieraus in dem genannten Zeitraum monatliche Nettoeinkünfte zwischen 1.071,16 Euro und 1.193,16 Euro bezogen. Der Arbeitsvertrag war zunächst bis zum 20. Januar 2015 befristet und wurde am 21. Januar 2015 bis zum 21. Juli 2015 verlängert.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Sachakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, dass derzeit prognostisch der Lebensunterhalt des Klägers noch nicht als gesichert angesehen werden könne, da der Kläger seinen Lebensunterhalt erst seit Oktober 2014 vollständig aus eigenen Mitteln bestreite und der Arbeitsvertrag mit der Firma B. ... GmbH bis Juli 2015 befristet sei.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem insoweit allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG zu; das Verwaltungsgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen, vgl. § 113 Abs. 5 VwGO.

27

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG steht die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (I.) entgegen; der Kläger erfüllt jedenfalls nicht alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1, 2 AufenthG, so dass die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG schon deswegen nicht nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG überwunden werden kann (II.). Es kann daher offen bleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorliegen - insbesondere ein Abschiebungshindernis besteht - und ob ein „Soll“-Anspruch nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG einen strikten Rechtsanspruch i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG darstellt (vgl. insoweit zum Streitstand: VGH Kassel, Urt. v. 1.10.2014, 6 A 2206/13, Asylmagazin 2015, 41, juris Rn. 38 ff.).

I.

28

Dem Kläger darf gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Satz 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn ihm im Sinne der Vorschrift ein „Anspruch“ auf deren Erteilung zusteht. Denn der Asylantrag des Klägers ist nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. März 2006 - und somit nach In-Kraft-Treten der genannten Regelung zum 1. Januar 2005 (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. v. 25.8.2009, 1 C 30/08, BVerwGE 134, 335, juris) - bestandskräftig als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Vor seiner Ausreise darf dem Kläger daher ein Aufenthaltstitel nicht erteilt werden (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), es sei denn ihm steht ein Anspruch auf dessen Erteilung zu (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Unter einem Anspruch i.S.v. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein solcher liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt: BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15/14, juris Rn. 15, 19), der sich das Berufungsgericht anschließt, nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat. Eine Ermessensreduzierung „auf Null“ im Einzelfall sowie das Vorliegen eines Ausnahmefalls bezüglich einer regelhaft zu erfüllenden Tatbestandsvoraussetzung erfüllen diese Anforderungen nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15/14, juris Rn. 15, 19; Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17/09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24; Urt. v. 16.12.2008, 1 C 37/07, BVerwGE 132, 382, juris Rn. 21 ff.).

II.

29

Gemessen an diesem Maßstab steht dem Kläger kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG zu. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15/14, juris Rn. 11), vorliegend der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 20. März 2015. Zu diesem Zeitpunkt sind nicht alle regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1, 2 AufenthG erfüllt, denn der Lebensunterhalt des Klägers ist nicht i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert (1.) und der Kläger erfüllt nicht die Visumspflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (2.). Es kann offen bleiben, ob ein noch aktueller Ausweisungsgrund i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliegt (3.).

30

1. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist der Lebensunterhalt des Klägers nicht i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt gesichert, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, richten sich seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II. Unerheblich ist, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.4.2013, 10 C 10/12, BVerwGE 146, 198, juris Rn. 13; Urt. v. 7.4.2009, 1 C 17/08, BVerwGE 133, 329, juris Rn. 29; OVG Magdeburg, Beschl. v. 27.11.2014, 2 M 98/14, juris Rn. 10; VGH München, Beschl. v. 28.10.2014, 10 C 14.2002, juris Rn. 20; VGH München, Beschl. v. 24.4.2014, 10 ZB 14.524, juris Rn. 6; OVG Lüneburg, Beschl. v. 2.2.2011, 11 ME 441/10, juris Rn. 14 f.; OVG Bremen, Beschl. v. 15.10.2010, 1 B 172/10, juris Rn. 15; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.2.2010, juris Rn. 3; vgl. auch: Dienelt in Renner/Bergmann/ Dienelt, AuslR, 10. Auflage 2013, § 5 AufenthG Rn. 25).

31

Zwar deckt das vom Kläger von Oktober 2014 bis Januar 2015 durchschnittlich erzielte monatliche Nettoeinkommen in Höhe von 1.520,86 Euro seinen sozialrechtlichen Unterhaltsbedarf - auch unter Einbeziehung eines ggf. höheren Mietanteils sowie der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Tochter K. ... -, so dass er in diesem Zeitraum nicht auf die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel i.S.v. § 2 Abs. 3 AufenthG angewiesen war. Das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau O. ... hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestritten und dargelegt, dass er bei Frau O. ... lediglich zur Untermiete wohne, sie jedoch nicht seine Lebenspartnerin sei. Hiervon geht das Gericht aus.

32

Zur Überzeugung des Gerichts ist derzeit jedoch (noch) nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt nachhaltig wird sichern können. Insoweit ist eine prognostische Beurteilung erforderlich, ob unter Berücksichtigung der bisherigen Erwerbsbiographie des Klägers ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt nachhaltig ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichern kann. Die nachhaltige Sicherung des Lebensunterhalts ist danach nicht gegeben:

33

Aus dem bis zum 24. September 2015 befristeten Arbeitsverhältnis bei der Firma A. ...Gebäudeservice erzielt der Kläger monatliche Einkünfte in Höhe von ca. 400,00 Euro, die allein zur Deckung seines Lebensunterhalts nicht hinreichend sind. Das (Haupt-)Arbeitsverhältnis mit der Firma B. ... GmbH vom 29. September 2014 - auf das hieraus erzielte Einkommen ist der Kläger zur Sicherung seines Lebensunterhalts angewiesen - war zunächst bis zum 20. Januar 2015 befristet und wurde am 21. Januar 2015 bis zum 21. Juli 2015 verlängert. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sein Arbeitgeber die Dauer der Befristung auf die Dauer der dem Kläger erteilten Duldungen abgestimmt habe und durchaus bereit wäre, ihm einen längerfristigen Vertrag zu geben, wenn er einen entsprechenden Aufenthaltsstatus hätte. Diese Angaben hat der Kläger jedoch nicht durch eine entsprechende schriftliche Mitteilung seines Arbeitgebers belegt.

34

Selbst wenn eine solche Bestätigung des Arbeitgebers vorläge, könnte vor dem Hintergrund der bisherigen Erwerbsbiographie des Klägers prognostisch nicht angenommen werden, dass sein Lebensunterhalt hinreichend sicher ist. Aus der vom Grundsicherungs- und Sozialamt Harburg dem Berufungsgericht am 4. März 2015 übermittelten Übersicht (Bl. 326 d.A.) geht hervor, dass der Kläger mit Ausnahme der Monate Februar und März 2014 von Juli 2006 bis September 2014 durchgängig Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in unterschiedlicher Höhe bezogen hat. Jedenfalls seit Ende August 2011 war dem Kläger die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet (vgl. Duldung vom 30.8.2011, Bl. 302 d. SA). Dem Kläger ist es demnach bis einschließlich September 2014 nicht möglich gewesen, seinen Lebensunterhalt nachhaltig zu sichern, obwohl ihm seit September 2011 die Aufnahme von Erwerbstätigkeit gestattet war. Demnach war der Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach mehreren Jahren der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel - mit Ausnahme der Monate Februar und März 2014 - erst seit lediglich 6 Monaten befristet in hinreichendem Umfang beschäftigt. Die derzeitige Befristung des Arbeitsverhältnisses bei der Firma B. GmbH wird bereits im Juli 2015 - und somit während der Dauer der von ihm begehrten Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) - auslaufen. Auf der Grundlage der Erklärung des Klägers kann nicht sicher angenommen werden, dass das Arbeitsverhältnis verlängert werden wird. Der Erklärung ist zu entnehmen, dass der Arbeitgeber es als notwendig ansieht, dass der Kläger für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses eine Duldung bzw. einen Aufenthaltstitel nachweist. Eine rechtlich verbindliche Zusage über die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bei Vorliegen eines entsprechenden Aufenthaltsstatus ist darin nicht enthalten. Gerade im Bereich der befristeten, vielfach nachgefragten Beschäftigungen, die eine geringe berufliche Qualifikation erfordern - wie die Tätigkeit als Reinigungskraft, die der Kläger ausübt -, ist der schnelle Wechsel von Arbeitskräften üblich.

35

Auch vor dem Hintergrund der bisherigen Erwerbsbiographie des Klägers ist eine nachhaltige Sicherung des Lebensunterhalts noch nicht gegeben. Denn selbst unter Berücksichtigung der derzeitigen Vertragslaufzeit bis Ende Juli 2015 würde die Dauer des Arbeitsverhältnisses noch nicht einmal ein Jahr umfassen. Diese Zeitspanne der Erwerbstätigkeit ist angesichts des Umstands, dass der Kläger zuvor mehr als 3 Jahre öffentliche Mittel in Anspruch genommen hat, obwohl ihm eine Arbeitsaufnahme möglich war, nicht hinreichend verlässlich. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Ausländer ein zentrales Anliegen der aufenthaltsrechtlichen Regelungen ist. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Beschäftigungsdauer auch nicht den Anforderungen der Beklagten aus der Fachanweisung Nr. 1/2014 [dort unter A. I. 1.a)aa) Seite 5] entspricht, wonach eine positive Prognose der Sicherung des Lebensunterhalts nur getroffen werden kann, wenn das (befristete) Beschäftigungsverhältnis „seit mindestens einem Jahr bei demselben Arbeitgeber besteht und fortdauert“.

36

2. Der Kläger erfüllt auch nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da er ohne Visum eingereist ist. Soweit hiervon im Ermessenswege nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden kann, liegt kein Anspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vor.

37

Der Kläger ist nicht nach § 39 Nr. 5 AufenthV unter Absehen vom Visumserfordernis des § 5 Abs. 2 AufenthG berechtigt, die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einzuholen. § 39 Nr. 5 AufenthV setzt u.a. voraus, dass der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Ebenso wie im Rahmen des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist ein „Anspruch“ i.S.v. § 39 Nr. 5 AufenthV grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch, der nur dann vorliegt, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15/14, juris Rn. 15). Diese Voraussetzung ist jedenfalls im Hinblick auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts nicht erfüllt; insoweit wird auf die Ausführungen unter II. 1. Bezug genommen. Daher kann offen bleiben, ob der Kläger die weiteren Voraussetzungen des § 39 Nr. 5 AufenthV erfüllt.

38

3. Es bedarf danach keiner abschließenden Klärung mehr, ob auch die regelhafte Tatbestandsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - Nichtvorliegen eines Ausweisungsgrundes - nicht erfüllt ist, wofür vieles spricht. Zwar darf die der Verurteilung des Amtsgerichts Hamburg vom März 2006 zugrunde liegende Straftat gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 BZRG nicht mehr als Ausweisungsgrund berücksichtigt werden. Der Kläger hat aber darüber hinaus von April 2006 bis September 2008 jedenfalls gegen seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten aus §§ 48 Abs. 3 und 49 Abs. 2 AufenthG verstoßen, indem er die Ausstellung von Passersatzpapieren auf eine falsche Identität und Nationalität beantragte, gegenüber der sudanesischen und nigerianischen Botschaft sich auf eine falsche Identität und Nationalität berief und trotz mehrfacher Aufforderung durch die Beklagte keinen Pass bzw. keine Passersatzpapiere vorlegte, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, jedenfalls einen Pass zu erlangen. Zugleich hat der Kläger damit zu seiner Identität und Staatsangehörigkeit bis zum Juli 2008 vorsätzlich unrichtige und unvollständige Angaben gemacht, um eine Duldung zu erhalten, wodurch er den Straftatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht haben dürfte.

39

Allerdings ist erforderlich, dass der Ausweisungsgrund aktuell noch vorliegt und verwertbar ist; es muss gegenwärtig noch eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland vorliegen. Es spricht einiges dafür, dass dies hier noch der Fall ist, obwohl die Vorlage des Passes im September 2008 nunmehr 6 ½ Jahre zurückliegt und die Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG inzwischen nicht mehr verfolgt werden kann, weil die fünfjährige (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) Verfolgungsverjährungsfrist abgelaufen ist. Insoweit verbietet sich eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 1 BZRG (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.1.2002, 1 C 6/01, BVerwGE 115, 352, juris Rn. 22; VGH Mannheim, Urt. v. 7.12.2011, 11 S 897/11, DVBl. 2012, 194, juris Rn. 62 ff.; OVG Hamburg, Beschl. v. 18.6.2010, 3 Bs 2/10, InfAuslR 2011, 193, juris Rn. 36 ff.; vgl. auch zum Waffenrecht: BVerwG, Urt. v. 26.3.1996, 1 C 12/95, BVerwGE 101, 24, juris Rn. 19). Hieraus folgt jedoch nicht, dass eine nicht abgeurteilte Straftat zeitlich unbegrenzt einen Ausweisungsgrund i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG darstellt. Vielmehr ist die gesetzliche Wertung des § 51 Abs. 1 BZRG, nach einem gewissen Zeitablauf die Eingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen, zu berücksichtigen, so dass eine nicht abgeurteilte Straftat jedenfalls dann nicht mehr als Ausweisungsrund zu berücksichtigen sein dürfte, wenn im Falle einer Verurteilung bereits die Tilgungsreife eingetreten wäre (vgl. zum Waffenrecht: BVerwG, Urt. v. 26.3.1996, 1 C 12/95, BVerwGE 101, 24, juris Rn. 20). Im Rahmen der demnach vorzunehmenden Wertung dürften vorliegend die Dauer und das Gewicht der Straftat zu berücksichtigen sein. Das Gewicht der general- bzw. spezialpräventiven Gründe einer Ausweisung wegen der Verwirklichung einer Straftat kann zudem durch eine gelungene Integration des Ausländers in das Bundesgebiet gemindert werden. Es spricht einiges dafür, dass nach diesen Maßstäben der Ausweisungsgrund vorliegend als noch aktuell anzusehen ist. Das bedarf aber – wie ausgeführt – keiner abschließenden Klärung.

III.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Ein Grund, die Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO zuzulassen, besteht nicht.

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2011 - 11 K 2424/10 - ist unwirksam, soweit damit Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10. Juni 2010 aufgehoben worden ist.

Im Übrigen wird auf die Berufung des beklagten Landes das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2011 - 11 K 2424/10 - geändert. Die Klage gegen Ziffern 1 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10. Juni 2010 wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung sowie gegen eine ihm auferlegte räumliche Aufenthaltsbeschränkung und eine Meldeauflage.
Der am ... in .../Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 19.12.1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung trug er unter anderem vor, er und seine Ehefrau hätten in der Türkei die PKK unterstützt. So hätten sie z.B. Uniformen gewaschen und den Guerillas ab und zu Lebensmittel gegeben. Sie seien deshalb verfolgt worden. Auf die vom Kläger gegen den seinen Asylantrag ablehnenden Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge – heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – (im Folgenden: Bundesamt) vom 21.03.1996 erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 01.07.1998 die Bundesrepublik Deutschland festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. In der Folge erhielt der Kläger befristete Aufenthaltsbefugnisse bzw. Aufenthaltserlaubnisse, erstmals zum 01.09.1998. Zuletzt wurde ihm am 13.09.2006 eine bis zum 12.09.2007 geltende Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt.
Der Kläger ist mit der am ... geborenen M... A..., geb. G..., verheiratet. Sie haben sieben gemeinsame Kinder: B... (* ...1988), Ex ... (* ...1990), C... (* ...1992), K... (* ...1993), E... (* ...1996), M... (* ...1998) und A... A... (* ...2005). Mit Bescheid des Bundesamts vom 09.07.1996 wurden die Ehefrau des Klägers und die fünf älteren Kinder, mit denen diese am 28.05.1996 nach Deutschland eingereist war, als Asylberechtigte anerkannt. Bezüglich M..., C..., K... ... und E... wurden die Asylanerkennungen mit Bescheid des Bundesamts vom 02.03.2007 widerrufen. Die Ehefrau und die fünf älteren Kinder sind im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, M... ist Inhaber einer bis zum 07.01.2014 befristeten Aufenthaltserlaubnis. Der jüngste Sohn A... ist deutscher Staatsangehöriger.
Bis auf einen Zeitraum vom 24.04.2006 bis zum 01.03.2007, in welchem der Kläger in L... gewohnt hatte, war er durchgehend mit Hauptwohnsitz in H... gemeldet. Er und seine Familie bezogen zunächst (ergänzende) Sozialleistungen. In den ersten Jahren war er gelegentlich geringfügig beschäftigt, danach bei wechselnden Arbeitgebern, überwiegend in H... Er war wie folgt tätig: vom 01.07.2002 bis zum 30.11.2002 bei einer Gebäudereinigung, vom 13.03.2004 bis zum 31.03.2005 bei C.M.A. Télécafé, vom 01.04.2005 bis zum 31.01.2006 bei M.S.A. Télécafé, dann - nach Bezug von Arbeitslosengeld II in der Zeit vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2006 - vom 01.04.2006 bis zum 15.06.2006 bei einer Vertriebs GmbH in W..., vom 17.07.2006 bis zum 31.07.2006 bei B... K., Abbruch und Demontage, vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 bei M... K., Abbruch und Demontage, beide in L... und vom 01.04.2007 bis zum 31.05.2009 als Fahrer bei Ü.S. Paletten-Depot in H... Seit dem 01.07.2009 ist der Kläger bei einer Gebäudereinigung tätig.
Am 25.01.1997 wurde der Kläger in einer Sitzung der Mitglieder des Vereins „Kurd... V... e.V.“, H..., - als Zuständiger für die Bücherei - in den Vorstand gewählt. Die Mitglieder des Vereins „Gebetshaus E... ... ...“, H..., wählten ihn am 12.12.1998 als zweiten Vertreter für den Bereich Sport und am 19.05.2002 als zweiten Vorsitzenden in den Vorstand. Mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 05.03.1998 - KLs 71 Js 1603/96 - wurde der Kläger wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu einer Geldstrafe von 35 Tagesätzen zu je 15,-- DM verurteilt. Am 16.02.1999 wurde er aus Anlass der Besetzung des griechischen Generalkonsulats in Stuttgart (nach der Festnahme von Öcalan) gemeinsam mit 176 anderen Kurden einen Tag lang in „Vorbeugewahrsam“ nach § 28 PolG genommen. In einem gegen ihn wegen der Selbsterklärung „Auch ich bin ein PKK´ler“ eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 30.05.2003 von der Verfolgung abgesehen (§ 153 Abs. 1 Satz 2 StPO).
Mit Bescheid vom 16.04.2007 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 27.08.1998 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Die dagegen vom Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage - A 17 K 480/07 - wurde von ihm am 25.09.2007 zurückgenommen.
Bereits am 17.07.2007 hatte der Kläger (zum wiederholten Mal) die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beantragt. Unter anderem im Hinblick auf ein Schreiben des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz vom 13.11.2006, mit welchem die damals zuständige Ausländerbehörde der Stadt L... über die Wahl des Klägers in den Vorstand des Kurd... V... e.V. am 25.01.1997 und zum stellvertretenden Vorstandsmitglied des Gebetshauses „E... ...“ am 12.12.1998 sowie über diverse exilpolitische Aktivitäten des Klägers informiert worden war, forderte die Ausländerbehörde der Stadt H... den Kläger auf, an einer sog. Sicherheitsbefragung gemäß §§ 54 Nr. 6 i.V.m. § 82 Abs. 4 AufenthG teilzunehmen. Bei der daraufhin am 08.08.2007 durchgeführten Befragung verneinte der Kläger die Frage, ob er bestimmte Gruppen oder Organisationen, darunter die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) alias KADEK alias KONGRA-GEL, unterstütze oder für diese tätig geworden sei. Die Zusatzfrage, welcher Art diese Unterstützungshandlungen oder Tätigkeiten (z.B. Spenden) gewesen seien, beantwortete er sinngemäß wie folgt: Er sei nur Kurde; die PKK und die KONGRA-GEL interessierten ihn nicht. Er sei auch nicht Mitglied in einem kurdischen Verein.
Mit Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg an das Innenministerium Baden-Württemberg vom 26.02.2008 und an das Regierungspräsidium Stuttgart vom 18.11.2008 wurde mitgeteilt, dass der Kläger dem Landesamt im Zusammenhang mit der im November 1993 verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – welche 2002 in „Freiheit- und Demokratiekongress Kurdistans“ (KADEK) und 2003 in „Volkskongress Kurdistans“ (KONGRA-GEL) umbenannt worden sei – bekannt geworden sei. Neben den Vorstandstätigkeiten in den PKK-nahen Vereinen „Kurd... V...“ und „E... ... - ...“ in H... lägen folgende Erkenntnisse vor: Der Kläger habe an einer Vielzahl von Versammlungen, Demonstrationen oder Feiern von KADEK bzw. KONRAG-GEL-Anhängern teilgenommen, so am 06.04.2003 in H... an einer Versammlung anlässlich des Geburtstags von Abdullah Öcalan, am 05.02.2005 an einer Solidaritätsdemonstration für den am 22.01.2005 in Nürnberg festgenommenen stellvertretenden Vorsitzenden dieser Organisation, R... K..., am 03.04.2005 an einer Versammlung anlässlich des Geburtstags von Öcalan, am 27.11.2005 in I... (bei H...) an einer Veranstaltung zum 27. Gründungsjahrestag der PKK, am 17.12.2005 an einer Versammlung in H..., am 28.01.2006 an einer Demonstration in Mannheim, am 11.02.2006 an einer Demonstration von KONGRA-GEL-Anhängern anlässlich des 7. Jahrestages der Festnahme Öcalans in Straßburg/Frankreich, am 16.02.2007 an einer Demonstration zu den Haftbedingungen Öcalans sowie zuvor stattgefundenen Exekutivmaßnahmen der deutschen und französischen Behörden gegen mutmaßliche KONGRA-GEL-Strukturen in H..., am 27.10.2007 an einer weiteren Demonstration in H..., am 24.11.2007 an einer Versammlung anlässlich einer Feier zum Parteigründungstag der PKK in H..., am 30.03.2008 an einer weiteren Versammlung von KONGRA-GEL-Anhängern und am 18.05.2008 an einer Märtyrer-Veranstaltung in H...
Nachdem das Regierungspräsidiums Stuttgart den Kläger mit Schreiben vom 20.08.2008 unter anderem auf die Möglichkeit einer Ausweisung hingewiesen hatte, erklärte der Kläger in einem Schreiben vom 26.08.2008, er wolle zunächst feststellen, dass er kein Terrorist und kein Verbrecher sei, sondern ein einfacher Arbeiter. Jede Veranstaltung und Demonstration, an der er teilgenommen habe, sei bei den Behörden angemeldet und genehmigt gewesen. Die Vereine, in deren Vorstand er gewählt worden sei, seien Kulturvereine von Kurden für Kurden. Sicher habe auch er, als er noch in der Türkei gelebt habe, die PKK unterstützt, aber eher mit humanitären als mit militärischen Mitteln. Seit die PKK als terroristische Vereinigung gelte, habe er diese Hilfe komplett eingestellt. Er unterstütze als Kurde die kurdische Sache. Er distanziere sich aber von jeder kriminellen Handlung, die im Namen des kurdischen Volkes begangen werde, somit auch von der PKK als terroristischer Vereinigung.
10 
Am 10.02.2009 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart (Untätigkeits-) Klage gegen die Stadt H... mit dem Antrag, diese zu verpflichten, ihm eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen (8 K 487/09). Diese Klage wurde 25.05.2009 zurückgenommen; stattdessen erhob er Klage gegen das Land Baden-Württemberg (11 K 2004/09).
11 
Mit Schreiben vom 09.04.2009 und vom 01.02.2010 berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz, es seien noch die folgenden gerichtsverwertbaren Erkenntnisse angefallen: Ausweislich eines Fotos und eines Zeitungsartikels in der der KONGRA-GEL nahestehenden türkischen Tageszeitung „Yeni Özgür Politika“ vom ...2008 habe er am ...2008 an einer Märtyrer-Gedenkveranstaltung von KONGRA-GEL-Anhängern in H... und außerdem am 17.08.2008 anlässlich des 24. Jahrestags der Gründung des militärischen Arms der PKK an einem Grillfest von KONGRA-GEL-Anhängern bei Bad Wimpfen sowie am 25.10.2008 an einer Demonstration gegen die angebliche Misshandlung von Öcalan in H... teilgenommen. Am 23.11.2008 und am 27.11.2009 sei der Kläger in I... (bei H...) Teilnehmer von Versammlungen zur Feier des 30. bzw. 31. Gründungsjahrestages der PKK gewesen, am 20.03.2009 habe er an der „Newroz“-Veranstaltung in H... teilgenommen.
12 
Mit Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Er wurde außerdem aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland spätestens innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise innerhalb der Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Ziff. 2). Außerdem wurde sein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis abgelehnt (Ziff. 3). Der Kläger wurde verpflichtet, sich einmal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei dem Polizeirevier H... zu melden. Sein Aufenthalt sei bis zu seiner Ausreise bzw. Abschiebung auf das Stadtgebiet des Stadtkreises H... beschränkt (Ziff. 4). Die sofortige Vollziehung der Ausweisung unter Ziffer 1 des Bescheids und der Meldeauflage sowie der Aufenthaltsbeschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids wurde angeordnet (Ziff. 5). In den Gründen des Bescheids wurde im Wesentlichen dargelegt: Die Voraussetzungen der Ausweisungstatbestände des § 55 AufenthG i.V.m. §§ 54 Nr. 5, Nr. 5a und Nr. 6 AufenthG seien gegeben. Der Kläger sei nicht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats/EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) privilegiert. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 und/oder des Art. 7 ARB 1/80 lägen nicht vor. Der Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG sei erfüllt. Die PKK sei als eine terroristische Vereinigung zu qualifizieren. Der Kläger habe diese tatbestandsmäßig im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützt. Er sei bereits vor seiner Einreise ins Bundesgebiet 1995 fünf bis sechs Jahre in der Türkei für die PKK tätig gewesen. Bereits Anfang 1996 habe er an einer verbotenen und gewalttätigen PKK-Demonstration in Dortmund teilgenommen und sei deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Außerdem habe er im Jahr 1999 an der Besetzung des griechischen Generalkonsulats in Stuttgart anlässlich der Gefangennahme des PKK-Führers Öcalan teilgenommen und zudem im Jahr 2001 die PKK-Selbsterklärung unterzeichnet. Hinzu kämen die ab 1997 bis zumindest 2002 ausgeübten Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen. In der Folge habe er kontinuierlich ab dem Jahr 2003 bis Ende des Jahres 2009 an zahlreichen politisch-extremistischen und auch gewaltbereiten Veranstaltungen der PKK alias KADEK alias KONGRA-GEL aktiv teilgenommen. Die vorliegenden Erkenntnisse und Tatsachen rechtfertigten in ihrer wertenden Gesamtbetrachtung die Schlussfolgerung, dass er der PKK „angehöre“. Zudem seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5a und 6 AufenthG erfüllt. Da der Kläger und seine Ehefrau mit ihrem minderjährigen deutschen Kind A... A... in familiärer Lebensgemeinschaft lebten, genieße er allerdings besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Seine Ausweisung sei daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulässig. Solche lägen jedoch in den Fällen des § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG, also auch hier, vor. Im vorliegenden Fall seien auch keine besonderen Umstände gegeben, die zur Annahme eines Ausnahmefalls führen könnten. Nach dem Grundsatz der Herabstufung sei daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden. Hierbei seien nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sämtliche für und gegen die Ausweisung sprechenden Gründe in die Entscheidung einzubeziehen, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen und zu prüfen, ob die Ausweisung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sei. Im Ergebnis überwiege das öffentliche Interesse an der Ausweisung das private Interesse des Klägers an einem weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Es bestehe ein gewichtiges öffentliches Sicherheitsinteresse, die vom Kläger persönlich ausgehende nicht unerhebliche und extremistische Gefahr für höchste Rechtsgüter durch seine Ausweisung mit dem Entzug seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet abzuwehren. Zudem verfolge die Ausweisung general- und spezialpräventive Zwecke. Außerdem sei von einer gesteigerten Wiederholungsgefahr auszugehen. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und schutzwürdige persönliche, wirtschaftliche und sonstige Bindungen des Klägers im Bundesgebiet hätten Berücksichtigung gefunden. Auch seien die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Klägers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebten, gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG bedacht worden. Es handle sich um eine schutzwürdige Ehe im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG. Auch seien die Interessen der Kinder, insbesondere des jüngsten deutschen Kindes, an der Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft in Deutschland zu berücksichtigen. Bei der Gewichtung und Abwägung des jeweiligen Interesses habe jedoch der Schutz der Ehe und Familie hinter das höher einzuschätzende Sicherheitsinteresse des Staates und seiner Bevölkerung vor Unterstützungshandlungen für terroristische Vereinigungen zurückzutreten. Die Ausweisungsentscheidung stehe auch mit Art. 8 EMRK im Einklang. Der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sei abzulehnen, weil dieser bereits die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG entgegenstehe. Aufgrund der Ausweisungsverfügung, deren sofortige Vollziehung angeordnet worden sei, sei der Kläger nach §§ 50 Abs. 1 und 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Gemäß § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliege er der gesetzlichen Verpflichtung, sich einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden. Gemäß § 54a Abs. 2 AufenthG sei sein Aufenthalt kraft Gesetzes auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt.
13 
Mit am 01.07.2010 beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingegangenem Schriftsatz vom 28.06.2010 machte der Kläger den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 im Wege der Klageänderung bzw. -erweiterung zum Gegenstand des bereits anhängigen Verfahrens 11 K 2004/09. In der mündlichen Verhandlung vom 01.07.2010 wurde die Klage insoweit abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 11 K 2424/10 fortgesetzt, als sie auf Anfechtung von Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidium Stuttgart vom 10.06.2010 gerichtet ist. Im Übrigen (bezüglich der Niederlassungserlaubnis) ist nach entsprechenden Anträgen der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden.
14 
Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen vorgetragen: Obwohl der Kläger offensichtlich seit Jahren intensiv und engmaschig vom Verfassungsschutz beobachtet werde, könne das beklagte Land nicht einen konkreten Anhaltspunkt für eine objektive oder subjektive Unterstützungsleistung des Klägers benennen außer der schlichten Teilnahme an diversen, wohl gemerkt angemeldeten und erlaubten Versammlungen. Weder aus der Tatsache, dass er an diversen Kundgebungen teilnehme, noch daraus, dass er eine Zeitlang und bis 2002 in kurdischen Kulturvereinen in den Vorstand gewählt worden sei, habe er jemals einen Hehl gemacht. Er könne nicht für die Äußerungen irgendwelcher Redner auf irgendwelchen Veranstaltungen im Sinne einer Sippenhaft verantwortlich gemacht werden. Insgesamt bemühe sich das Land geradezu krampfhaft, eine über ein Jahrzehnt zurückliegende strafrechtliche Verurteilung und sogar ein von der Staatsanwaltschaft eingestelltes Ermittlungsverfahren, welches ebenfalls Jahre zurückliege, zur Begründung eines vermeintlichen Versagungsgrundes heranzuziehen. Tatsache sei, dass er weder Mitglied einer terroristischen Vereinigung sei noch eine solche unterstützt habe. Insoweit werde auf seine Erklärung vom 26.08.2008 Bezug genommen. Obwohl es nicht darauf ankomme, werde bestritten, dass die PKK eine terroristische Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG sei. Die Aufnahme einer Vereinigung in die EU-Terrorliste entbinde weder Behörden noch Gerichte von der eigenständigen Prüfung. Eine Ausweisung könne zudem nur erfolgen, wenn vom Ausländer persönlich eine Gefahr für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Er habe lediglich sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Information wahrgenommen. Dass er sich einen eigenen Staat wünsche und auch das Recht habe, als Kurde seine Auffassung kundzutun, dürfte auf der Hand liegen. Die Entscheidung verstoße im Übrigen gegen Art. 6 GG.
15 
Das Regierungspräsidium Stuttgart trat der Klage entgegen. Zur Begründung verwies es auf den angefochtenen Bescheid. Entgegen dem Vortrag des Klägers habe dieser nachweisbar im dargelegten Umfang an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen. Seine Teilnahme an den Veranstaltungen der PKK alias KONGRA-GEL vom 06.04.2003 bis zum 27.11.2009 sei durch offene und gerichtsverwertbare Tatsachen des Landesamts für Verfassungsschutz belegt, die vor Gericht durch einen Zeugen vom Hörensagen nachgewiesen werden könnten. Die PKK/KADEK/KONGRA-GEL sei auch als terroristische Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG einzustufen. Dass das „Gebetshaus E... ... - ... e.V.“ in H..., in dessen Vorstand der Kläger in den Jahren 1998 und 2002 gewählt worden sei, der PKK nahestehe, folge aus einem beigefügten Bericht des Bundeskriminalamts, Stand 11/2006. Die PKK-Nähe des Vereins Kurdx ... V... e.V.“ in H..., in dessen Vorstand der Kläger 1997 gewählt worden sei, ergebe sich aus Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz. Unerheblich sei, dass die Wahl des Klägers in den Vorstand der genannten Vereinigungen bereits 1997, 1998 und 2002 erfolgt sei, da die Annahme einer Unterstützung der PKK durch den Kläger auf einer wertenden Gesamtbetrachtung beruhe und maßgeblich auch auf die bereits zu Beginn seines Aufenthalts in der Bundesrepublik erfolgten Tätigkeiten im Funktionärsstatus abzustellen sei, denen sich in den folgenden Jahren weitere politische Aktivitäten für die PKK angeschlossen hätten, und die sich bis in die Gegenwart fortsetzten. Selbst wenn es nur um die „bloße Teilnahme“ an Veranstaltungen und Demonstrationen gehen würde, könnte auch diese unter bestimmten Voraussetzungen eine Vorfeldunterstützung des Internationalen Terrorismus darstellen. Die Versammlungen und Demonstrationen, an denen der Kläger teilgenommen habe, hätten entgegen seinem Vorbringen auch keinen „legalen und friedlichen“, sondern einen politisch-militanten Grundcharakter. Die Ausweisung verstoße auch nicht im Hinblick auf die eheliche Lebensgemeinschaft mit der Ehefrau des Klägers und mit den minderjährigen Kindern gegen Art. 6 GG. An dem Übergewicht des öffentlichen Interesses vermöge ein mögliches Abschiebungshindernis aufgrund familiärer Belange nichts zu ändern. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei nicht ausgeschlossen, dass auch unter Berücksichtigung selbst eines strikten Abschiebungsverbotes - nach § 60 Abs. 1 AufenthG - und bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Duldung eine Ausweisung ermessensfehlerfrei ausgesprochen werden könne. Die Behörde habe dann das Abschiebungsverbot in die Ermessenserwägungen einzustellen. In Anwendung dieser Grundsätze werde ergänzend vorgetragen, dass zwar die Familienschutzvorschriften des Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gewähren und einer Abschiebung entgegenstehen könnten. Selbst wenn von einem solchen Abschiebungshindernis ausgegangen werde, führe dies aber nicht zur Unzulässigkeit der Ausweisung, sondern sei gemäß seiner Bedeutung zu werten und in die Ermessenserwägungen einzustellen. Im Ergebnis könne von einem Überwiegen des staatlichen Sicherheitsinteresses ausgegangen werden, so dass die Ausweisung des Klägers trotz eines - möglichen - Abschiebungshindernisses nicht unverhältnismäßig sei.
16 
Auf einen am 01.07.2010 vom Kläger gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO stellte das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 19.11.2010 - 11 K 2430/10 - die aufschiebende Wirkung der Klage - 11 K 2424/10 - gegen die Ziffern 1, 2 und 3 im Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 wieder her. Bezüglich Ziffer 4 des Bescheids wurde der Antrag abgelehnt.
17 
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 - 11 K 2424/10 - wurden die Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen wird im Wesentlichen dargelegt: Alle Vorgänge vor 2002 lägen derart weit in der Vergangenheit, dass sich aus ihnen eine gegenwärtige Gefährlichkeit nicht ablesen lasse. In der Zeit nach 2002 habe der Kläger lediglich an 13 Versammlungen, Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen - was er auch nicht bestritten habe. Im angefochtenen Bescheid seien allerdings keinerlei Ausführungen dazu enthalten, was der Kläger bei den Veranstaltungen konkret gemacht haben solle. Allein seine Anwesenheit könne noch nicht als Unterstützungshandlung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG gewertet werden, von der auf eine gegenwärtige Gefährlichkeit des Klägers geschlossen werden dürfe. Der Kläger erfülle aber auch nicht den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 6 AufenthG. Zwar dürfte die Beantwortung zahlreicher Fragen zur Nähe zur PKK durch den Kläger anlässlich des mit ihm durchgeführten Sicherheitsgesprächs am 08.08.2007 falsch gewesen sein. Es gebe keine gesetzlich angeordnete Rechtspflicht, an einer Sicherheitsbefragung aktiv teilzunehmen. Der Kläger hätte daher vor Beginn des Sicherheitsgesprächs auf diese Freiwilligkeit hingewiesen werden müssen. Da dies nicht geschehen sei, sei das Ergebnis rechtlich nicht verwertbar. Damit erwiesen sich auch die Abschiebungsandrohung und die unter Ziffer 4 des Bescheids angeordneten Überwachungsmaßnahmen als rechtswidrig.
18 
Am 14.03.2011 hat das beklagte Land die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung gegen das am 21.02.2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegt und diese mit am 19.04.2011 eingegangenem Schriftsatz begründet. Ergänzend wird unter anderem dargelegt: Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2005 für die Annahme einer Unterstützungshandlung nach § 54 Nr. 5 AufenthG genügen könne, wenn der Betreffende an einschlägigen Versammlungen und Kundgebungen teilnehme. In diesem Zusammenhang sei vorab richtig zu stellen, dass der Kläger ab dem Jahr 2002 nicht lediglich an 13, sondern an 18 bzw. 19 Versammlungen, Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen habe. Die jeweiligen Veranstaltungen seien terrorgeneigt und politisch-militant orientiert gewesen, woraus sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts das objektiv Vorteilhafte der Teilnahme des Klägers an den Veranstaltungen ohne weiteres ergebe. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Aufteilung der Gesamtaktivitäten des Klägers in solche vor und solche nach dem Jahr 2002 unter Außerachtlassung der älteren Aktivitäten sei rechtlich nicht haltbar. Im Übrigen habe der Kläger nach den aktuellen sicherheitsrelevanten Stellungnahmen des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.12.2010 und vom 18.04.2011 noch am 28.02.2010 an einer „Volksversammlung“ mit qualitativ hochstehendem Gefährdungspotential teilgenommen. Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a und Nr. 6 AufenthG seien ebenfalls gegeben. Die Ausweisungsentscheidung sei auch ermessensfehlerfrei erfolgt. Die familiären Bindungen des Klägers seien im Rahmen der Ermessensausübung vollständig berücksichtigt worden. Im Falle des Klägers sei davon auszugehen, dass aus familiären Gründen ein Abschiebungsverbot bestehe, weshalb es bei ihm nicht um eine Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik gehe. Eine Ausweisung sei gleichwohl möglich.
19 
Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2 des Bescheids vom 10.06.2010 aufgehoben hat, haben die Beteiligten den Rechtstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
20 
Das beklagte Land beantragt,
21 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 - 11 K 2424/10 - zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen Ziffern 1 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 richtet.
22 
Der Kläger beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Zur Begründung wird auf das bisherige Vorbringen Bezug genommen und ergänzend unter anderem vorgetragen: Er habe eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 inne. In der Zeit vom 01.04.2007 bis einschließlich Mai 2009 sei er durchgehend bei demselben Arbeitgeber in L... tätig gewesen. M... K. habe den Betrieb von B... K. übernommen. Nach einmonatiger Arbeitslosigkeit habe er dann zum 01.07.2009 seine Tätigkeit bei einer Gebäudereinigungsfirma angetreten, bei der er heute noch beschäftigt sei. Er lebe weiter mit seiner Ehefrau und seinen Kindern zusammen, auch mit den volljährigen. Die minderjährigen Kinder befänden sich noch in der allgemeinen Schulausbildung. Die Tochter K... nehme seit dem 22.11.2011 an einem Berufsvorbereitungslehrgang teil. C... habe eine Ausbildungsstelle zur Kauffrau im Einzelhandel und arbeite seit einigen Jahren in Nebentätigkeit bei einem Schnellimbiss.
25 
In weiteren Stellungnahmen des Landesamts für Verfassungsschutz an das Regierungspräsidium vom 17.12.2010, vom 18.04.2011 und vom 12.09.2011 wird mitgeteilt: Wie bereits am 17.12.2005 und am 30.03.2008 habe der Kläger auch am 28.02.2010 an einer „Volksversammlung“ in den Räumlichkeiten des PKK-nahen Vereins „Kurd... G...“ H... – dem Nachfolgeverein des „Kurd... V...“ – teilgenommen. Volksversammlungen gehörten zum organisatorischen Rahmen der PKK. Dabei bestehe der Teilnehmerkreis zu annähernd 100 % aus PKK-Anhängern. Sie dienten in erster Linie der Information und Mobilisierung der Basis durch Funktionäre der PKK. Am 20.11.2010 habe sich der Kläger außerdem an einer „Kurdistan Solidaritätsdemonstration“ in H... beteiligt, bei der Transparente/Plakate mit den Aufschriften „Freiheit für Öcalan - Frieden für Kurdistan“ u.ä. skandiert worden seien.
26 
In der mündlichen Verhandlung sind der Kläger und – informatorisch – Herr I.V. vom Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg angehört worden. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Vertreterin des beklagten Landes hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 02.12.2011 übergeben, in welchem erklärt wird, dass der Kläger bis auf Weiteres eine Duldung aus familiären Gründen erhalte.
27 
Dem Senat liegen die ausländerrechtlichen Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (5 Hefte) und der Stadt H... (2 Hefte), die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart über Asylverfahren des Klägers (A 3 K 12680/98 und A 17 K 480/07), bezüglich Klagen wegen Niederlassungserlaubnis gegen die Stadt H... (8 K 487/09), wegen Niederlassungserlaubnis u.a. gegen das beklagte Land (11 K 2004/09, mit Beiakte) und wegen Ausweisung u.a. gegen das beklagte Land (11 K 2424/10, 2 Bände) sowie über das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 (11 K 2430/10) vor. Der Inhalt dieser Akten ist ebenso wie der Inhalt der Gerichtsakten zum vorliegenden Verfahren (11 S 897/11) Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
28 
Soweit die Beteiligten - nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2 des Bescheids vom 10.06.2010 in der mündlichen Verhandlung - den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; das Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit unwirksam (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entspr.).
29 
Im Übrigen ist die aufgrund der Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer 1 (dazu unter A) und die Meldeauflage sowie die Aufenthaltsbeschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 (B) abweisen müssen. Denn diese Verfügungen sind zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
A.
30 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 55 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG (I.). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG liegen vor (II.), die Ausweisungsentscheidung lässt sich auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden (III.).
I.
31 
Das Regierungspräsidium hat diese rechtsfehlerfrei auf § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob als Rechtsgrundlage daneben § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5a oder Nr. 6 AufenthG herangezogen werden könnten.
32 
Diese Regelungen sind hier uneingeschränkt anwendbar.
33 
1. Aus der Tatsache, dass der Kläger Vater eines minderjährigen deutschen Kindes – dem am ...2005 geborenen A... A... – ist, folgt nicht, dass er wie ein Unionsbürger oder nach unionsrechtlichen Grundsätzen zu behandeln wäre.
34 
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache Ruiz Zambrano (C-34/09 - InfAuslR 2011, 179) entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines minderjährigen Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann. Ausschlaggebend war ausweislich der Gründe der Umstand, dass die Kinder, welche Unionsbürger waren, bei einer „Verweigerung von Aufenthalt und Arbeitserlaubnis“ ihrer drittstaatsangehörigen Eltern gezwungen gewesen wären, das Unionsgebiet zu verlassen. Art. 20 AEUV sei daher dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehre, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, den Aufenthalt im Wohnsitzstaat und eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleihe, verwehren würden. Folge eines entsprechenden Aufenthaltsrechts wäre eine allenfalls eingeschränkte Anwendbarkeit der Ausweisungsvorschriften der §§ 53 ff. AufenthG (vgl. dazu Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; allgemein zum Urteil des EuGH vom 08.03.2011: OVG NRW, Beschluss vom 29.04.2011 - 18 B 377/11 -; Hess. VGH, Beschluss vom 27.10.2011 - 6 D 1633/11 - juris). Wie auch inzwischen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 05.05.2011 in der Rechtssache McCarthy (C-434/09 - InfAuslR 2011, 268) und vom 15.11.2011 in der Rechtssache Dereci (C-256/11 - juris) deutlich machen, ist ein Aufenthaltsanspruch des Drittstaatsangehörigen aus der Unionsbürgerschaft seines Kindes – oder auch seines Ehepartners – aber nur abzuleiten, wenn der betreffende Unionsbürger andernfalls zwingend das Unionsgebiet verlassen müsste (weitergehend noch Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - a.a.O., und Beschluss des Senats vom 12.05.2011 - 11 S 765/11 - NVwZ 2011, 1213). Vorliegend kann aber das jüngste deutsche Kind des Klägers zusammen mit dessen Ehefrau, welche im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, in Deutschland bleiben und wäre daher nicht gezwungen, das Unionsgebiet zu verlassen. Ob gegebenenfalls eine Trennung des Klägers von seiner Familie, insbesondere seinem minderjährigen deutschen Kind zulässig ist, ist somit keine unionsrechtliche Fragestellung, sondern nach den allgemeinen Maßstäben (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK) zu beantworten.
35 
2. Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Der Kläger verfügt über kein Aufenthaltsrecht gemäß der - hier allein in Betracht kommenden - Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80.
36 
Nach dem gestuften Regelungssystem des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 kann im Rahmen der ersten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 1) ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht bei einjähriger Beschäftigung nur zum Zwecke der Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses bei dem gleichen Arbeitgeber erworben werden. Im Rahmen der zweiten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 2) wird nach dreijähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung das Recht erworben, Stellenangebote eines anderen Arbeitgebers im gleichen Beruf zu akzeptieren. Erst im Rahmen der dritten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 3), d.h. nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung, erwirbt der türkische Arbeitnehmer gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht nur das Recht, auf ein bereits existierendes Stellenangebot einzugehen, sondern auch das unbedingte Recht, Arbeit zu suchen und jede beliebige Beschäftigung aufzunehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 23.01.1997 - C-171/95 - [Tetik] InfAuslR 1997, 146). Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 berühren Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche. Entsprechendes gilt auch bei einem „unverschuldeten Arbeitgeberwechsel“ (vgl. Renner, AufenthG, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 124 f.), und zwar selbst dann, wenn keine Unterbrechung der Beschäftigung eingetreten ist. Voraussetzung ist nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 allerdings, dass die Zeiten der unverschuldeten Arbeitslosigkeit „von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind“, das bedeutet, dass sich der Betreffende arbeitslos gemeldet und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestanden hat.
37 
Nach diesen Grundsätzen verfügt der Kläger nicht über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht. Seine Arbeitstätigkeit in einer Gebäudereinigung im Jahr 2002 war zu kurz, um zum Erwerb von Ansprüchen nach dem ARB 1/80 zu führen. Selbst wenn man die sozialversicherungsfreien (Neben-)Tätigkeiten in einem Internetcafé in H... vom 13.03.2004 bis zum 31.01.2006 und die Tätigkeit bei einer Vertriebs GmbH vom 01.04.2006 bis zum 15.06.2006 insgesamt anerkennen und die damaligen Unterbrechungen durch – ordnungsgemäß festgestellte – Arbeitslosigkeit sowie den Wechsel der Arbeitgeber wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit als unschädlich ansehen würde, wäre der Kläger danach zum 15.06.2006 maximal 2 Jahre 3 Monate und 2 Tage ordnungsgemäß beschäftigt gewesen. Die damit allenfalls erreichte Rechtsposition nach dem ersten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wäre durch die anschließende beschäftigungslose Zeit bis zur Aufnahme einer Arbeit bei einem Abbruchunternehmen in L... unterbrochen gewesen. Denn ausweislich der vorliegenden Auskünfte der Deutschen Rentenversicherung (vgl. den vom Kläger mit Schriftsatz vom 30.06.2011 vorgelegten Versicherungsverlauf vom 06.06.2011) war er in dieser Zeit nicht arbeitslos gemeldet. Letztlich kommt es aber darauf nicht an. Selbst wenn man – trotz des Betriebsinhaberwechsels – die anschließende Beschäftigung bei den Abbruchunternehmen in L... vom 17.07.2006 bis zum 31.01.2007 hinzurechnen würde, wäre der Kläger seit dem 13.03.2004 noch keine drei Jahre beschäftigt gewesen, hätte also nur die Rechtsposition der ersten Stufe des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht gehabt. Diese hätte er durch die anschließende Kündigung und die folgende zweimonatige Arbeitslosigkeit aber wieder verloren gehabt. Denn diese Kündigung erfolgte nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung durch ihn. Da seine Kinder sich geweigert hätten, zu ihm nach L... zu ziehen, habe er wieder zu seiner Familie ziehen wollen.
38 
Im Anschluss war der Kläger zwar noch vom 02.04.2007 bis zum 31.05.2009 als Fahrer bei einer Firma in H... beschäftigt und ist seit dem 01.07.2009 bei einer Gebäudereinigung angestellt. Die Beschäftigungszeiten als Fahrer können aber schon deshalb nicht mehr zum Erreichen eines Rechts nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 führen, weil der Kläger seinen Angaben nach zwar entlassen wurde, sich aber nicht unmittelbar anschließend bei der Arbeitsverwaltung gemeldet hat. Abgesehen davon war er seit dem 13.09.2007 nicht mehr „ordnungsgemäß beschäftigt“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Denn seine letzte Aufenthaltserlaubnis lief am 12.09.2007 aus und galt lediglich aufgrund seines Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Grundsätzlich setzt aber eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt voraus (vgl. nur EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], NVwZ 1991, 255). Keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige verfahrenssichernde Rechtsstellung hat ein türkischer Arbeitnehmer während des Zeitraums, in dem sein Widerspruch oder seine Klage aufschiebende Wirkung gegen eine die Erteilung oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels ablehnende behördliche Entscheidung entfaltet (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - C-237/91 - [Kus], InfAuslR 1993, 41). Dies gilt auch in Bezug auf die Titelfunktion des § 81 Abs. 4 AufenthG (vgl. Renner, a.a.O., § 4 AufenthG, Rn. 117 m.w.N.). Etwas anderes folgt hier auch nicht daraus, dass über die am 25.05.2009 gegen das Land Baden-Württemberg erhobene Klage des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (11 K 2004/09) noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Zwar können Zeiten der Arbeitstätigkeit, in denen der Betreffende lediglich über ein fiktives Aufenthaltsrecht verfügt hat, später - rückwirkend - doch wieder als Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zu berücksichtigen sein, wenn in der Folge eine positive behördliche oder gerichtliche Entscheidung getroffen wird. Denn dann werden die zurückliegenden Beschäftigungszeiten anrechnungsfähig (EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], a.a.O.), und zwar gegebenenfalls selbst dann, wenn während kurzer Zeiträume kein Aufenthaltstitel und auch keine Fiktionswirkung bestand, etwa weil der Betreffende eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erst kurz nach Ablauf der geltenden Aufenthaltserlaubnis beantragt hatte (EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - [Ergat], InfAuslR 2000, 217). Diese Fragen können hier jedoch dahingestellt bleiben. Denn es ist wegen des vom Kläger verwirklichten Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 5 AufenthG (dazu unten) offensichtlich, dass er keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis oder auf Verlängerung der früher bestehenden Aufenthaltserlaubnis hat (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG). Abgesehen davon kommt es darauf auch deshalb nicht an, weil die Fiktionswirkung entsprechend § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG jedenfalls mit Bekanntgabe der Ausweisung vom 10.06.2010 – und damit vor Ablauf eines Jahres seit Beginn der Tätigkeit am 01.07.2009 und Erreichen einer Position nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 – erloschen ist. Zwar kommt der vom Kläger gegen die Ausweisung erhobenen Klage aufschiebende Wirkung zu, weil das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19.11.2010 - 11 K 2430/10 - auch insoweit die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt hat. Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lassen jedoch Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit unter anderem der Ausweisung unberührt, solange diese nicht unanfechtbar aufgehoben worden ist.
II.
39 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG sind erfüllt.
40 
Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, wobei die Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Die Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Vereinigung oder ihre Unterstützung muss danach nicht erwiesen sein, es genügt das Vorliegen von Tatsachen, die die entsprechende Schlussfolgerung rechtfertigen. Dass es sich dabei um eine Vereinigung handelt, die den Terrorismus unterstützt, muss hingegen feststehen (Bay.VGH, Urteil vom 22.02.2010 - 19 B 09.929 - juris, bestätigt mit Urteil des BVerwG vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -).
41 
1. Zunächst sind das Verwaltungsgericht und das Regierungspräsidium Stuttgart zu Recht davon ausgegangen, dass die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und ihre Nachfolgeorganisationen KADEK (Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans), KONGRA-GEL (Volkskongress Kurdistans), KKK (Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans) oder KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) - im Folgenden PKK - dem Terrorismus zuzurechnen und damit jedenfalls als eine den Terrorismus im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützende Vereinigung anzusehen sind (vgl. hierzu Urteile des Senats vom 29.09.2010 - 11 S 597/10 - VBlBW 2011, 478, und vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - juris sowie Beschlüsse des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vom 16.12.2010 - 11 S 2374/10 - und vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - InfAuslRAuslR 2011, 105). Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus, wenn sie selbst ihre Ziele auch mit terroristischen Mitteln – wie dem Einsatz gemeingefährlicher Waffen und mit Angriffen auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele – verfolgt (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - juris, m.w.N.; vgl. im Einzelnen zum Begriff des Terrorismus GK-AufenthG, Stand: Sept. 2011, § 54 Rn. 436 ff.). Das ist bei der PKK in dem hier maßgeblichen Zeitraum von 1997 bis heute der Fall. Insbesondere verzichtete die PKK auch während der Phase des 1999 ausgerufenen und 2004 wieder beendeten „Friedenskurses“ nicht auf Gewalt. Das seit vielen Jahren weitgehend friedliche Auftreten der PKK in Europa ist Teil einer „Doppelstrategie“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 53; OVG Bremen, Beschluss vom 26.10.2010 - 1 A 111/09 - InfAuslR 2011, 37) und ändert nichts an deren grundsätzlich bestehender Gewaltbereitschaft und der Anwendung von terroristischen Mitteln, etwa bei Anschlägen in der Türkei (so etwa am 22.06.2010 in Istanbul, vgl. ZEIT-ONLINE vom 23.06.2010: www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/kurden-tuerkei-politik; WELT ONLINE vom 22.06.2010 www.welt.de/politik/ausland/ article8142791/Tuerkei-Touristen-im-Fadenkreuz-kurdischen-Terrors.html; am 27. und 28.08 2006 in Marmaris, Istanbul und Antalya, vgl. SPIEGEL ONLINE vom 28.08.2006 www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,434039,00.html) oder der Entführung Unbeteiligter (vgl. zur Entführung von drei deutschen Staatsangehörigen am Berg Ararat am 08.07.2008 SPIEGEL ONLINE vom 09.07.2011: www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,564783,00.html). Insoweit wird ergänzend auf die ausführliche und zutreffende Darstellung im angefochtenen Bescheid des Regierungspräsidiums vom 10.06.2010 verwiesen (vgl. auch Landesamt für Verfassungsschutz Bad.-Württ., „Ausländerextremismus“, August 2007, S. 9 ff., sowie Bundesamt für Verfassungsschutz, „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL)“, März 2007). Abgesehen davon ist die PKK seit Mai 2002 auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Ziff. 2.9 des Anhangs zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP – ABl. L 116, S. 75). Entgegen der Auffassung des Klägers erlaubt eine solche Aufnahme die Feststellung, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 - InfAuslR 2011, 40; vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 07.12.2010 - 1 B 24.10 - juris; noch offengelassen im Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris).
42 
2. Ob der Kläger der PKK „angehört“ im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, kann hier offen bleiben. Denn aus den vorliegenden Tatsachen ist jedenfalls die Folgerung gerechtfertigt, dass er diese seit vielen Jahren in mehrfacher Weise unterstützt hat und weiter unterstützt.
43 
Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -BVerwGE 123, 114 - zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O., m.w.N.; Beschluss des Senats vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O.; Urteile des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris und vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.).
44 
Nach diesen Grundsätzen liegen hier eine Vielzahl von Tatsachen vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen (a) und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten PKK-nahen Aktionen und Veranstaltungen (b). Dabei sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch die länger zurückliegenden Tatsachen noch zu berücksichtigen (c).
45 
a) Zunächst steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die kurdischen Vereine in H..., in denen der Kläger Vorstandsmitglied war, den Terrorismus unterstützen. Dabei zu berücksichtigen, dass - wie dargelegt - bereits jede Tätigkeit als tatbestandliches Unterstützen anzusehen ist, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der betreffenden Vereinigung, hier der PKK, auswirkt.
46 
aa) Der Verein „Kurd... V...“ e.V. wurde in den 1990-er Jahren gegründet und im Jahr 2000 wieder aufgelöst. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich deutlich gemacht, dass er in dem im Anschluss gegründeten „Kurd... K...“ und in dem derzeit bestehenden Verein „Kurd... G...“ Nachfolgevereine des Vereins Kurdx ... V...“ sieht. Es handle sich um „den Verein“, in welchem er bis heute Mitglied sei und mit seinen Familienangehörigen jedes Wochenende verbringe. Er hat damit die entsprechende Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, die in der mündlichen Verhandlung von dem angehörten Mitarbeiter I.V. weiter erläutert worden ist, bestätigt. Der Kläger ist in einer Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 in den Vorstand des Vereins „K... V...“ gewählt worden und war als solcher für die Bücherei des Vereins zuständig. Darauf hat er sich auch in seinem Asylverfahren berufen und geltend gemacht, dass ihm deshalb bei einer Rückkehr in die Türkei Verfolgung drohe (Schriftsatz vom 01.07.1997 zum Verfahren A 3 K 12680/98).
47 
Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder – nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM – für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010“ im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.
48 
Hinzu kommen die Veranstaltungen, die vom Verein „Kurd... V...“ durchgeführt wurden, so zum Beispiel aus der Zeit, in der der Kläger Vorstandsmitglied war, eine Demonstration zum Newroz-Fest am 20.03.1998. In einem Bericht der Stadt H... vom 29.04.1998 über diese Demonstration wird dargelegt, dass Fahnen mit Symbolen der PKK gezeigt worden seien. Nach Einschätzung der Polizei und der Stadt H... habe nicht das Thema „Newroz-Fest“ im Vordergrund gestanden, sondern das Thema „Politische Lösung der kurdischen Frage und Aufhebung des Verbots der PKK“. Wie sich außerdem einem Bescheid der Stadt H... vom 14.05.1998 über das Verbot einer für den 17.05.1998 im Schlachthof in H... geplanten Veranstaltung entnehmen lässt, wurde zu dieser angeblichen „Folkloreveranstaltung“ mit Flugblättern der ENRK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans, eine Organisation der PKK) eingeladen. In den Räumen des Vereins wurde dafür mit einem Aushang mit dem Text „Sieg im Frieden, Freiheit im Leben, Volksversammlung wird stattfinden. Ort = Schlachthof“ geworben. Herr I.V. vom Landesamt für Verfassungsschutz hat zudem in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren überzeugend dargelegt, dass „der Verein“ in H... – derzeit die „Kurd... G...“ – seit Jahren durch regelmäßige PKK-Veranstaltungen auffalle. Er rufe immer wieder zu Veranstaltungen und zu Kundgebungen auf, die inhaltlich die PKK, Abdullah Öcalan als PKK-Führer u.ä zum Thema hätten. Insofern trete der Verein immer wieder aktiv auf und führe diese Kundgebungen durch. Bei den Veranstaltungen würden PKK-Slogans skandiert, es werde die Freilassung Öcalans und die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert und die Türkei werde als terroristischer Staat bezeichnet. Das alles seien für das Landesamt für Verfassungsschutz Indizien, um die entsprechende Veranstaltung – anders als normale kulturelle Veranstaltungen von Kurden – als „PKK-nah“ anzusehen. Schließlich existierten auch zahlreiche andere kurdische Vereine, die vom Verfassungsschutz nicht als „PKK-nah“ eingestuft würden, etwa solche, die dem Dachverband der KOMKAR (Verband der Vereine aus Kurdistan) angehörten. Es gebe also eine Alternative. Der Verein in H... wie auch andere PKK-nahe Vereine fielen dadurch auf, dass sie sich stets und immer wieder PKK-spezifischen Themen annähmen. Das ziehe sich seit den 1980er-Jahren wie ein „roter Faden“ durch die Betätigung des Vereins.
49 
bb) Dass sich auch der Verein „Gebetshaus E... ... - I... ... e.V., H...“ – in dessen Vorstand der Kläger erstmals im Dezember 1998 (als stellvertretendes Vorstandsmitglied) und erneut im Mai 2002 (als 2. Vorsitzender des Vorstands) gewählt worden war – der PKK verbunden gefühlt hat, folgt bereits aus dem Formular zur Anmeldung des Vereins am 29.04.1998 bei der Stadt H... Darin wird ausgeführt, „Wir glauben, dass die kurdische Sache unter Führung der PKK gelöst wird“ und „Abgrenzung zum Kurd... V... e.V. durch Schwerpunkt Religion“. Auch wird als Zweck des Vereins angegeben „Versammlung von allen Kurden, auch revolutionäre Kurden, unter einem Dach“. Außerdem verdeutlicht die vorliegende Stellungnahme des Bundeskriminalamts, Stand 11/2006, „Religiöse Vereinigungen innerhalb der PKK“ die Anbindung auch dieses Vereins an die PKK. Danach sei im Zuge des 4. Parteikongresses der PKK im Dezember 1990 die Gründung der Union der patriotischen Gläubigen aus Kurdistan (kurz: YOWK, ab 1991 YDK), einem Dachverband von Muslimen, beschlossen worden. 1993 sei die Umbenennung in „Islamischer Bund Kurdistans - HIK“ bzw. „Islamische Bewegung Kurdistans - KIH“ erfolgt. Die regionale Aufteilung sei in drei Funktionsbereiche, darunter eine Föderation in Süddeutschland mit Sitz in Heilbronn, erfolgt. Im Mai 2005 sei eine erneute Umbenennung, diesmal in „Islamische Gesellschaft Kurdistans - CIK“ beschlossen worden. Nach Auffassung des Bundesamts für Verfassungsschutz sei die CIK/HIK eine Massenorganisation der PKK, über die muslimische Kurden an die PKK gebunden werden sollen. In der Herbstausgabe der Baweri, dem seit 1995 erscheinenden Publikationsorgan der CIK/HIK, werde diese als eine religiös-politische Kampfesbewegung bezeichnet, die den nationalen Befreiungskampf Kurdistans unterstütze. In diesem Rahmen rufe sie regelmäßig zu Spenden oder Kampagnen auf, wie beispielsweise zur Sammlung von Spenden für kurdische Bedürftige und Waisen oder der Opferkampagne. Zu den der CIK/HIK angehörenden Moschen gehöre u.a. die „Mizgevta E... ...“ in H... ... Die Anbindung der CIK/HIK an die PKK und deren Abhängigkeit von der Organisation werde auch durch verschiedene Asservate belegt. In einem Fazit heißt es, die PKK unterhalte eine Vielzahl von Organisationen, mit deren Hilfe sie ihren Einfluss auf alle Lebensbereiche auszudehnen versuche. In ihrem Bestreben, auch die religiösen Gruppierungen der Kurden in ihren Strukturen einzubinden, habe sie die Gruppe der Muslime durch die CIK/HIK an ihre Organisation angebunden. Die Verlautbarungen führender Parteikader sowie die Organisationsbeschlüsse belegten die strukturelle Anbindung an die CDK (Nachfolgeorganisation der YDK) und damit an eine in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte Organisation.
50 
Ist danach davon auszugehen, dass beide ausländerrechtlichen Vereine, in deren Vorstand der Kläger gewählt war, die PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen unterstützt haben, so ist dem Kläger diese Unterstützung bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied zuzurechnen, ohne dass der Frage seiner tatsächlichen inneren Einstellung weiter nachgegangen werden müsste (vgl. zu § 11 StAG: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.06.2008 - 13 S 2613/03 - VBlBW 2009, 29, m.w.N). Davon abgesehen greift § 54 Nr. 5 AufenthG auch in Fällen, in denen der Betreffende einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, hier dem Verein „Kurdx... V...“ und der „E... ...“, d.h. es kommt auch deshalb nicht darauf an, ob und in welchem Umfang er persönlich Unterstützung geleistet hat.
51 
b) Hinzu kommt, dass schon allein wegen der Teilnahme des Klägers an diversen PKK-nahen Veranstaltungen davon auszugehen ist, dass er die PKK unterstützt hat und bis heute unterstützt. Denn er war bei einer Reihe von Veranstaltungen, die geeignet sind, den ideologischen und emotionalen Zusammenhalt der PKK, ihrer Nachfolgeorganisationen und Organisationen im politischen Umfeld zu stärken. Diese Teilnahmen sind daher bereits für sich genommen ohne Weiteres als selbstständige Unterstützungshandlungen zu qualifizieren, die zum Vorliegen des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG führen. Umso mehr gilt dies bei einer Gesamtschau aller festgestellten Aktivitäten des Klägers einschließlich der Vorstandstätigkeiten in den Vereinen.
52 
Zu den Veranstaltungen, deren Besuch als Unterstützung der PKK anzusehen ist, gehören insbesondere die Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK. Nach den Mitteilungen des Landesamts für Verfassungsschutz hat der Kläger in den Jahren 2005, 2007, 2008 und 2009, jeweils in I... bei H..., den 27., 29., 30. und den 31. Gründungsjahrestag der PKK mitgefeiert. Dies wurde von ihm in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt. Nach den Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz seien bei diesen Feiern Fahnen der KONGRA-GEL bzw. der KCK oder der KKK und Bilder Öcalans aufgehängt gewesen bzw. entrollt worden (27.11.2005, 23.11.2008 und 27.11.2009), Filme über das Leben des Öcalan (27.11.2005 und 23.11.2008) oder die Guerilla (27.11.2009) vorgeführt und jeweils Reden über die PKK gehalten worden – zum Beispiel mit einem Überblick über die Entwicklung der PKK seit deren Gründung (23.11.2008). Regelmäßig werde die Bedeutung der PKK für die Kurden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hervorgehoben. Zudem werde regelmäßig die PKK-Guerilla positiv herausgestellt, wenn nicht gar glorifiziert, indem zum Beispiel - wie im Jahr 2009 - ein Film über diese gezeigt werde (vgl. Bericht des LfV vom 17.12.2010). Solche Veranstaltungen haben in spezifischer Weise Propagandacharakter und dienen erkennbar der Förderung und Stärkung der PKK. Mit dem Besuch zeigt der Teilnehmer seine Anhängerschaft und fördert den Zusammenhalt der Organisation und ihrer Anhänger (vgl. Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -). Typisch für PKK-nahe Veranstaltungen ist auch der Personenkult um den in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Öcalan. Seiner Person kommt nach wie vor ein Symbolgehalt auch für den bewaffneten Kampf der PKK gegen den Staat zu (BVerwG, Beschluss vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - a.a.O.). Es ist daher auch bezeichnend, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen zu dem vom Landesamt für Verfassungsschutz geschilderten Ablauf der Veranstaltung zum 31. Gründungsjahrestag der PKK am 27.11.2009 und nach dem Hinweis darauf, dass dort auch ein Film über den Guerilla-Kampf und Öcalan vorgeführt worden sei, entgegnete: Man brauche ihm nicht zu sagen, dass in diesem Saal ein Bild von Öcalan angebracht gewesen sei; Öcalan sei in seinem Herzen.
53 
Ebenso als Unterstützung der PKK zu werten ist der Besuch einer Veranstaltung am 17.08.2008 anlässlich des 24. Jahrestages der Gründung des militärischen Arms der PKK, bei welchem in einer Rede Öcalan und die PKK gewürdigt worden seien.
54 
Besonders ins Gewicht fallen auch die vom Kläger nicht in Abrede gestellten Besuche bei so genannten Volksversammlungen in den Räumlichkeiten des „Kurd... K...“ bzw. der „Kurd... G... H...“ am 17.12.2005, 30.03.2008 und am 28.02.2010. Den vorliegenden Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz (vgl. vor allem Bericht vom 17.12.2010) lässt sich entnehmen, dass es – anders als bei Vereinsversammlungen, die sich schwerpunktmäßig mit Vereinsthemen beschäftigten – bei Volksversammlungen thematisch im Wesentlichen um den mit einem Betätigungsverbot belegten und deshalb streng konspirativ arbeitenden Teil der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen gehe. Demgemäß dienten Volksversammlungen in erster Linie der Information und Mobilisierung der Basis durch Funktionäre der PKK. Meist halte ein hochrangiger PKK-Funktionär eine „emotionalisierende“ Rede, die durchaus ein bis zwei Stunden dauern könne. Dabei würden die Zuhörer über alle Aspekte, die die PKK beträfen, ausführlich informiert, insbesondere über Verlautbarungen, Haftbedingungen und Gesundheitszustand des PKK-Führers Öcalan, Anweisungen der Organisation, Lageentwicklung in der Türkei, in Deutschland und in Europa und aktuelle Kampagnen. Sie würden außerdem unter Hinweis auf die angebliche patriotische Verpflichtung zur Teilnahme an entsprechenden Aktionen aufgerufen. Häufig legten in Volksversammlungen Frontarbeiter und Aktivisten Rechenschaft gegenüber höherrangigen Funktionären ab und übten dabei gegebenenfalls – bei Schlechterfüllung ihrer Pflichten – entsprechende Selbstkritik. Bei der Versammlung am 28.02.2010 sei nach einer Gedenkminute für die verstorbenen „PKK-Märtyrer“ die aktuelle Lage in der Türkei thematisiert und ein Bericht des Volksgebietsrats verlesen worden. Anschließend hätten die Vertreter verschiedener Kommissionen (Justiz, Außenkontakte u.ä.) des Volksgebietsrats über ihre Arbeit berichtet. Danach seien der Leiter des Volksgebietsrats und die Vertreter dieser Kommissionen neu gewählt worden. Eine Ausnahme gelte für zwei Kommissionen: Die „Vereinskommission“ bestehe „automatisch“ aus dem Vorstand der „Kurd... G...“. Die „Organisationskommission“ verfüge über 25 „Frontarbeiter“; diese Aktivisten hätten gute Arbeit geleistet.
55 
Hinzu kommt die Teilnahme des Klägers an Treffen, bei denen der gefallenen und verstorbenen PKK-Kämpfer oder -Aktivisten gedacht wird (18.05.2008 und ...2008). Wie dem Senat aus einer Reihe anderer Verfahren bekannt ist, sind gerade auch solche Märtyrergedenkveranstaltungen ein wesentliches Element zur Herstellung eines engeren ideologischen und emotionalen Zusammenhalts der PKK-Mitglieder und PKK-Sympathisanten und führen damit zur Verbreiterung und Stärkung der Basis der PKK (Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vgl. zum Märtyrerkult bei der PKK auch BVerwG, Beschluss vom 24.02.1010 - 6 A 7.08 - a.a.O.).
56 
Bezeichnend ist der Besuch von Versammlungen anlässlich des Geburtstages von Öcalan (06.04.2003, 03.04.2005). Auch hat der Kläger ausweislich der Feststellungen des Landesamts für Verfassungsschutz an mehreren Demonstrationen zu verschiedenen Anlässen (05.02.2005, 28.01.2006, 16.02.2007, 27.10.2007, 25.10.2008, 20.11.2010) teilgenommen, bei denen jeweils Rufe wie „ Es lebe Öcalan“, „Hoch leben Apo“ oder „PKK“ skandiert und „Freiheit für Öcalan“ gefordert wurde. Bei einer „Kurdistan-Solidaritätsdemonstration“ in H... am 20.11.2010 seien auch Parolen wie „Die PKK ist das Volk, das Volk ist hier“ gerufen und Plakate bzw. Transparente mit der Aufschrift „Freiheit für Öcalan – Frieden für Kurdistan“ mitgeführt worden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt, an dieser Veranstaltung vom 20.11.2010 teilgenommen zu haben, und darüber hinaus erklärt, er nehme an (allen) „offiziell genehmigten Demonstrationen“ teil. Es sei um die Freiheit der Kurden gegangen.
57 
Tatsächlich ist bei der Teilnahme an Demonstrationen besonders zu beachten, dass nicht unverhältnismäßig in das Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.; Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.). Zum einen können aber auch Aktivitäten, die dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallen, das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllen (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.). Zum anderen ging es bei diesen Demonstrationen nicht nur um Themen, die nicht ausschließlich von der PKK besetzt sind – wie die Forderung eines unabhängigen Kurdistans, die Kritik am Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegen die kurdisches Zivilbevölkerung, die Anmahnung der Einhaltung von Menschenrechten, oder auch die Kritik an Haftbedingung politischer Gefangener einschließlich Öcalans – sondern um die Bekundung der Anhängerschaft zu Öcalan und der PKK durch entsprechende Parolen und Transparente. Damit bestand eine klare politisch-ideologische Verbindung zur PKK und ihren Zielen bzw. ihren Mitteln zur Durchsetzung dieser Ziele, zu denen auch der Terror zählte und zählt. Dies war und ist auch für den Kläger erkennbar. Er hat dazu in der mündlichen Verhandlung erklärt, es sei ihm egal, welche Parolen gerufen und welche Transparente getragen würden; er selbst habe weder Parolen gerufen noch Plakate getragen. Wie ausgeführt, kommt es darauf jedoch nicht an. Auch überzeugt die Erklärung des Klägers nicht, er habe die Plakate bzw. Transparente nicht lesen können, weil er dann von vorne gegen die Demonstration hätte laufen müssen. Jedenfalls konnte ihm die Solidarisierung mit der PKK schon vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen bei ähnlichen Veranstaltungen und den offensichtlich eindeutigen Parolen nicht entgehen, so dass ihm diese zuzurechnen ist.
58 
Vor dem Hintergrund des Charakters und der Vielzahl der vom Kläger besuchten anderen Veranstaltungen, wie den Volksversammlungen, den Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK und dem Geburtstag von Öcalan sowie den Märtyrergedenkfeiern, ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil, es wären zusätzliche Erkenntnisse darüber erforderlich, was der Kläger bei den Veranstaltungen getan habe, unzutreffend. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts waren bereits zum Zeitpunkt von dessen Entscheidung mehr als 13 Beteiligungen des Klägers an Veranstaltungen bekannt. Inzwischen sind es 20, die vom Landesamt für Verfassungsschutz benannt worden sind. Wie ausgeführt, kommt es zudem auf Anlass und Charakter der betreffenden Veranstaltungen an. In Anbetracht des konkreten Falles ist jedenfalls der Hinweis des Verwaltungsgerichts unverständlich, man könne einer Versammlung oder Veranstaltung auch „kopfschüttelnd“ zu Informationszwecken beiwohnen, ohne eine „unterstützende Haltung“ durch Applaus, Rufen von Parolen, Tragen von Schildern oder Transparenten einzunehmen. Dabei wird verkannt, dass bereits die regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen wie den angeführten, welche erkennbar auch dazu dienen, die PKK einschließlich ihrer terroristischen Aktionen zu fördern, eine Unterstützung der PKK darstellt. Die durch die – auch rein passive – Teilnahme ausgedrückte innere Nähe und Verbundenheit zur PKK kann deren Stellung in der Gesellschaft, hier insbesondere unter den in Deutschland lebenden Kurden, günstig beeinflussen, ihre Aktionsmöglichkeiten und ihr Rekrutierungsfeld erweitern und dadurch insgesamt dazu beitragen, das latente Gefährdungspotential der Vereinigung zu erhöhen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.).
59 
Soweit der Kläger vorträgt, die Vereine, bei denen er Mitglied gewesen und auch heute noch Mitglied sei und in deren Vorstand er gewesen sei, seien nicht verboten gewesen, er sei doch kein Terrorist und er habe auch nur an erlaubten Veranstaltungen teilgenommen, verkennt er, dass § 54 Nr. 5 AufenthG der effektiven Bekämpfung der Vorfeldunterstützung des internationalen Terrorismus durch Herabsetzen der Eingriffsschwelle dient. Sinn und Zweck ist die präventive Gefahrenabwehr. Für die Verwirklichung des Tatbestands kommt es danach weder darauf an, dass die in Frage stehende Vereinigung verboten ist noch darauf, dass die konkrete Unterstützungshandlung strafbar wäre (vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.).
60 
In Anbetracht der bereits zur Überzeugung des Senats festgestellten Umstände kommt weiteren länger zurückliegenden Tatsachen wie etwa der Ingewahrsamnahme des Klägers anlässlich der Besetzung des griechischen Generalkonsulats nach der Festnahme von Öcalan am 16.02.1999 und der Unterzeichnung der PKK-Selbsterklärung im Jahr 2001 nur noch eine das Gesamtbild abrundende Bedeutung zu.
61 
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im Übrigen keinen Zweifel an seiner Verehrung von Abdullah Öcalan und seiner Anhängerschaft zur PKK gelassen. Er hat deutlich gemacht, dass er auf Veranstaltungen wie die angeführten, auch solche zur Feier des Gründungsjahrestages der PKK, weiter gehen werde, solange diese nicht verboten seien. Seiner Meinung nach trete die PKK – wie auch er selbst – für die Freiheit der Kurden ein und sei nicht terroristisch. Wenn man die PKK als terroristisch ansähe, wäre er auch ein Terrorist. Soweit der Kläger mehrmals darauf hingewiesen hat, dass er aber kein „Vertreter“ der PKK sei, verkennt er, dass es darauf nicht ankommt.
62 
c) Die hiernach maßgeblichen Umstände – die Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeiten in den Vereinen „Kurd... V...“ und „E... ...“ und die beschriebenen Teilnahmen an PKK-nahen Veranstaltungen – sind auch noch zu berücksichtigen, soweit sie bereits länger zurückliegen.
63 
Das Verwertungsverbot für getilgte Strafen nach § 51 Abs. 1 BZRG kann schon deshalb nicht greifen, weil der Kläger wegen der angeführten Umstände bzw. Aktivitäten nicht strafrechtlich verurteilt worden ist. Ob seine Teilnahme an einer Demonstration der PKK in Dortmund am 16.03.1996 noch berücksichtigt werden könnte, obwohl die deswegen gegen den Kläger mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 05.03.1998 wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot verhängte Geldstrafe bereits aus dem Bundeszentralregister getilgt ist, kann hier offen bleiben. Denn auf diese Tat kommt es in Anbetracht der Vielzahl von sonstigen maßgeblichen Tatsachen – wie die Teilnahme an den angeführten Veranstaltungen 2002 bis 2010 und die Vorstandstätigkeit sowie die Mitgliedschaft in den kurdischen Vereinen in H... – hier nicht an. Jedenfalls ist weder bei Unterstützungshandlungen, die strafbar gewesen wären, aber nicht zu einer Verurteilung geführt haben, noch bei den nicht mit einer Strafe bewehrten Aktivitäten eine „fiktive Tilgung“ mit der Folge eines Verwertungsverbots nach § 51 Abs. 1 BZRG vorzunehmen (ausführlich dazu OVG Hamburg, Beschluss vom 18.06.2010 - 3 Bs 2/10 - InfAuslR 2011, 193, m.w.N.; zu den Einbürgerungsvoraussetzungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.12.2010 - 19 A 1491/05 - AuAS 2011, 89; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.10.2011 - 5 N 30.08 - juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.05.2009 - 13 S 2428/08 -, juris – auch zum Fall einer möglichen Atypik im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).
64 
Die länger zurückliegenden Tätigkeiten des Klägers sowie insbesondere seine Stellung als Vorstand in den Vereinen sind auch nicht aus anderen Gründen nicht mehr „verwertbar“. Insbesondere bestehen keinerlei Anhaltspunkte für einen „Verbrauch“, etwa weil die Ausländerbehörde dem Kläger in Kenntnis der Ausweisungsgründe einen Aufenthaltstitel erteilt hätte (vgl. dazu GK-AufenthG, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 106 ff., m.w.N.). Soweit im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14.02.2011 die Aktivitäten des Klägers und seine Tätigkeiten in den Vereinsvorständen in solche bis zum Jahr 2002 und solche danach aufgeteilt und nur die neueren berücksichtigt worden sind, ist diese Aufteilung nicht nachvollziehbar. Da der Kläger noch im Mai Jahr 2002 als 2. Vorsitzender in den Vorstand des Vereins „E... ...“ gewählt wurde und diese Funktion danach mindestens ein Jahr lang - so seinen eigenen Angaben nach -, ausweislich des Vereinsregisters sogar bis zur Löschung des Vereins im Jahr 2007 innehatte, hätte diese Vorstandsmitgliedschaft ohnehin mit einbezogen werden müssen. Jedenfalls fehlt es schon in Anbetracht der bis heute andauernden Aktivitäten des Klägers in und für PKK-nahe Vereine in H... bzw. für die PKK und seiner fortdauernden Mitgliedschaft in den Nachfolgevereinen des Vereins „Kurd... V...“ an einer Zäsur, die zur Folge haben könnte, dass frühere Unterstützungshandlungen nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
65 
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die hier maßgebliche Bestimmung des § 54 Nr. 5 AufenthG (anders als die des § 54 Nr. 5a AufenthG) grundsätzlich weder vom Wortlaut noch nach deren Sinn und Zweck, aber auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine vom Betroffenen ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefährdung voraussetzt. Eine “gegenwärtige Gefährlichkeit“ muss nur dann festgestellt werden, wenn eine vergangene Mitgliedschaft des Ausländers oder zurückliegende Unterstützungshandlungen (außerhalb einer Mitgliedschaft) zu beurteilen sind (ausführlich dazu Urteile des Senats vom 25.05.2011- 11 S 308/11 - und vom 21.04.2010 - 11 S 200/11 - jew. a.a.O.). Wegen der fortdauernden Unterstützungshandlungen des Klägers und seiner ständigen Präsenz bei lokalen PKK-Veranstaltungen liegt eine solche im Übrigen hier eindeutig vor.
III.
66 
Die Entscheidung, den Kläger wegen des Vorliegens des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG auszuweisen, lässt sich rechtlich nicht beanstanden.
67 
1. Das Regierungspräsidiums ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass es nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 55 AufenthG über die Ausweisung zu entscheiden hat.
68 
a) Offen bleiben kann, ob schon deshalb Ermessen auszuüben ist, weil eine Ausnahme von der Regel des § 54 AufenthG gegeben ist. Allerdings geht das Regierungspräsidium zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst davon aus, dass der Kläger jedenfalls derzeit „aus familiären Gründen“ (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK), und zwar vor allem im Hinblick auf sein jüngstes, noch minderjähriges Kind A..., welches die deutsche Staatsangehörigkeit hat, nicht abgeschoben werden kann. Mit Schreiben vom 02.12.2011 hat das dafür zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe erklärt, dass dem Kläger daher eine Duldung erteilt werde. Das Vorliegen eines Duldungsgrundes oder eines Abschiebungsverbots führt zwar nicht zur Unzulässigkeit einer Ausweisung, kann aber atypische Umstände in Bezug auf den Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG begründen (so zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG: Beschluss des Senats vom 28.09.2010 - 11 S 1978/10 - InfAuslR 2011, 19; Urteil des Senats vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - a.a.O., m.w.N.¸ vgl. zur Atypik auch GK-AufenthG, a.a.O., § 54 AufenthG Rn. 50 ff., 124 ff.) mit der Folge, dass der Betreffende nur nach Ermessen ausgewiesen werden kann. Ob deshalb oder aus anderen Gründen von einer Atypik auszugehen ist, bedarf hier aber keiner anschließenden Klärung.
69 
b) Denn die Entscheidung über die Ausweisung des Klägers hat bereits mit Blick auf den dem Kläger zustehenden besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG nach Ermessen zu erfolgen.
70 
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unstreitig nicht vor, weil der Kläger nicht „im Besitz“ einer Niederlassungserlaubnis ist. Weil er mit seinem jüngsten, am ...2005 geborenen deutschen Sohn A... in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, kommt ihm aber nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderer Ausweisungsschutz zu. Er kann daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen solche Gründe in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist in Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 54 AufenthG vorliegen, nach Ermessen über die Ausweisung zu entscheiden.
71 
Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Sept. 2011, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine „tatbezogenen“ besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Hartnäckigkeit und Unbelehrbarkeit, mit der der Kläger trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter an PKK-nahen Veranstaltungen teilgenommen hat, und der in der mündlichen Verhandlung von ihm demonstrierten tiefen Verehrung von Öcalan und Anhängerschaft zur PKK ist damit zu rechnen, dass der Kläger weiter die PKK unterstützt.
72 
2. Die danach erforderliche Ermessensentscheidung ist vom Regierungspräsidium in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen worden (§ 114 Satz 1 VwGO).
73 
Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - juris, m.w.N.). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Im Übrigen sind bei der nach § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG zur Ermessensausweisung herabgestuften Regelausweisung die vom Ausländer ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einerseits und dessen private schutzwürdige Belange andererseits auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung umfassend zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367, Beschluss vom 21.01.2011 - 1 B 17.10, 1 PKH 8/10 - juris, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300).
74 
Danach sind hier zugunsten des Klägers in erster Linie seine Familie bzw. seine familiären Bindungen zu berücksichtigen. Seine Ehefrau und fast alle Kinder sind im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Nicht nur der jüngste Sohn A... ist deutscher Staatsgenhöriger; vielmehr hat sich nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat inzwischen auch seine älteste Tochter einbürgern lassen, bei einer anderen laufe derzeit das Einbürgerungsverfahren. Der Kläger hat berichtet, noch mit allen Kindern in einem Haushalt zu leben. Diesen Umständen, denen sicherlich eine aufenthaltsrechtlich erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, hat das Regierungspräsidium Stuttgart jedoch hinreichend Rechnung getragen. Im Rahmen der von ihm angestellten und in späteren Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen hat es auch alle anderen relevanten Belange eingestellt und zutreffend gewichtet.
75 
Zwar hat das Regierungspräsidium in der Ausgangsentscheidung noch angenommen, dass der Kläger auch tatsächlich ausreisen müsse. Es hat aber später allein darauf abgestellt, dass er mit Rücksicht auf seine familiäre Situation nicht abgeschoben werden könne. Im Hinblick darauf ist dem Kläger inzwischen die Duldung aus familiären Gründen erteilt worden. In der mündlichen Verhandlung ist zudem die im Bescheid vom 10.06.2010 verfügte Abschiebungsandrohung aufgehoben worden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger bis auf Weiteres – das bedeutet jedenfalls solange seinen familiären Belangen insbesondere im Hinblick auf das jüngste deutsche Kind keine geringere Bedeutung einzuräumen ist oder sich andere maßgebliche Umstände ändern – zumindest geduldet wird und seine Familie nicht verlassen muss. Die Ausweisung ist damit schon deshalb auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK als verhältnismäßig anzusehen.
76 
Die Entscheidung, den Kläger auszuweisen, begegnet auch nicht deshalb rechtlichen Bedenken, weil sich das in erster Linie mit einer Ausweisung verfolgte Ziel, die von dem betreffenden Ausländer ausgehende (Wiederholungs-) Gefahr mit der Ausreise zu bannen, hier bis auf Weiteres nicht verwirklichen lässt. Denn immerhin wird mit der Ausweisung zum einen konsequent jeder Aufenthaltsverfestigung entgegengewirkt, zum anderen werden dadurch die Aufenthaltsbeschränkungen des § 54a AufenthG ausgelöst bzw. der Erlass entsprechender Überwachungsmaßnahmen ermöglicht (Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.; vgl. auch Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O., ebenso Bayer. VGH, Beschluss vom 10.07.2009 - 10 ZB 09.950 - juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49).
77 
Auch die sonstigen Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Vertreterin des beklagten Landes hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Ausweisungsverfügung selbstständig tragend auf den Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt sei und dass für diese schon allein die angestellten spezialpräventiven Erwägungen ausschlaggebend seien. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Klägers und schutzwürdige persönliche wirtschaftliche und sonstige Bindungen (vgl. § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) wurden eingestellt und zutreffend gewürdigt. Dabei durfte zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden, dass dieser nur sehr schlecht Deutsch spricht, lediglich wechselnden und unqualifizierten Berufstätigkeiten nachgegangen ist und offensichtlich bis heute nur im Umfeld seiner kurdischen Landsleute und „des Vereins“ Umgang und Bekanntschaften pflegt.
78 
Beim Kläger handelt es sich zwar um keine führende Persönlichkeit in der PKK. Angesichts seiner jahrelangen Unterstützung der PKK, der beschriebenen Hartnäckigkeit, mit der er trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter einschlägige Veranstaltungen besucht hat, und der deshalb weiter bestehenden gegenwärtigen Gefährlichkeit im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erweist sich die Ausweisung aber auch in Ansehung des langjährigen Aufenthalts des Klägers und insbesondere seiner familiären Bindungen nicht als unverhältnismäßig, und zwar selbst dann, wenn der Kläger nicht weiter geduldet würde (vgl. dazu auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - 41548/06 - [Trabelsi]).
IV.
79 
Die Ausweisung ist auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil sie unbefristet erfolgt ist. Insbesondere ergibt sich solches nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/2008, S. 98 ff. – Rückführungsrichtlinie, im Folgenden RFRL), deren Art. 11 Abs. 1 grundsätzlich die Befristung des mit einer Rückkehrentscheidung einhergehenden Einreiseverbots anordnet. Denn eine Ausweisung ist keine Rückkehrentscheidung im Sinne dieser Richtlinie.
80 
Diese Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen war, soll mit dem zum 26.11.2011 in Kraft getreten „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ vom 22.11.2011 (BGBl. I, 2258) umgesetzt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet sie auf solche Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten; sie regelt die Vorgehensweise zu deren Rückführung. Art. 3 Nr. 2 RFRL definiert den illegalen Aufenthalt wie folgt: „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht odernicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet diese Mitgliedstaats“ (vgl. auch den 5. Erwägungsgrund).
81 
Der Umstand, dass eine Ausweisung gegebenenfalls erst das Aufenthaltsrecht des Ausländers zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und damit dessen „illegalen Aufenthalt“ begründet (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), macht diese nicht zu einer Rückführungsentscheidung. Daran ändert nichts, dass nach der deutschen Rechtslage häufig die Abschiebungsandrohung mit der die Illegalität des Aufenthalts herbeiführenden Verfügung verbunden ist (vgl. hierzu den ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 6 Abs. 6 RFRL). Art. 3 Nr. 4 RFRL umschreibt die Rückkehrentscheidung als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.“ Nach der Struktur des deutschen Aufenthaltsrechts stellt die Ausweisung hiernach aber keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 RFRL dar (so schon Urteile des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris ; Gutmann, InfAuslR 2011, 13; Westphal/ Stoppa, Report Ausländer- und Europarecht Nr. 24, November 2011 unter www.westphal-stoppa.de; a.A. Hörich, ZAR 2011, 281, 283 f.; Fritzsch, ZAR 2011, 297, 302 f.; Stiegeler, Asylmagazin 2011, 62, 63 ff.; vorl. Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010 zur einstweiligen Umsetzung der Richtlinie - Az.: M I 3 - 215 734/25, S. 3; vgl. auch Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2011 - 24 K 5524/10 - juris). Dass die Ausweisung selbst nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, macht auch folgende Überlegung deutlich: Die Richtlinie ist Teil des Programms der Union zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Mit ihr soll mitgliedstaatsübergreifend das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (aus dem gesamten Gebiet der Union) von solchen Drittstaatsangehörigen, die von vornherein oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erfüllen, vereinheitlicht und unter Wahrung der berechtigten Belange der Betroffenen und der Humanität effektiviert werden (vgl. etwa die 5. und 11. Begründungserwägung). Zugleich soll auch durch Einreiseverbote, die unionsweit Geltung beanspruchen, die vollzogene Aufenthaltsbeendigung für die Zukunft abgesichert werden (vgl. die 14. Begründungserwägung). Andererseits soll – gewissermaßen als Kehrseite des Einreiseverbots – durch dessen grundsätzliche Befristung unübersehbar den Betroffenen eine Perspektive der Rückkehr eröffnet werden. Der Zweck der Richtlinie geht jedoch nicht dahin, ein eigenständiges unionsrechtliches Instrumentarium zur Bekämpfung der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schaffen, die von Drittstaatsangehörigen ausgehen, namentlich von solchen, die bislang einen legalen Aufenthalt hatten. Der Aspekt der Wahrung bzw. Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat nur insoweit mittelbare, dort aber zentrale Relevanz, als es um die Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung geht, wie sie etwa in Art. 7 und 8 bzw. Art. 15 ff. RFRL bestimmt sind. Er ist jedoch nicht der eigentliche Geltungsgrund der Richtlinie. Ob gegebenenfalls nach der nationalen Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats eine Ausweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie darstellen kann, ist insoweit unerheblich (vgl. zu Italien EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - [El Dridi] InfAuslR 2011, 320, Rn. 50).
82 
Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass nach dem nationalen Ausländerrecht eine Ausweisung auch gegenüber solchen Ausländern erlassen werden kann, die sich bereits illegal im Mitgliedstaat aufhalten. Auch eine derartige Ausweisung stellt nicht die Illegalität fest und erlegt nicht dem Betroffenen die Ausreisepflicht auf. Die Feststellung der Illegalität und damit der bereits bestehenden Ausreisepflicht geschieht, da der Gesetzgeber kein eigenständiges Institut der „Rückkehrentscheidung“ eingeführt hat, nach dem nationalen Recht vielmehr typischerweise gerade durch die Abschiebungsandrohung – sofern nicht ausnahmsweise auf eine solche verzichtet werden darf (vgl. z.B. § 58a AufenthG); in diesem Fall wäre die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung enthält auch die nach Art 7 RFRL in einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist für eine freiwillige Ausreise (vgl. § 59 Abs. 1 a.F. sowie § 59 Abs. 1 AufenthG n.F.).
83 
Die Ausweisung ist nicht etwa deshalb als „Rückkehrentscheidung“ anzusehen, weil sie nach nationalem Recht als solche ausgestaltet wäre. Wie ausgeführt, verbindet allerdings nach der bisherigen, wie auch nach der aktuellen Rechtslage das nationale Recht in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit der Ausweisung ausdrücklich ein Einreiseverbot, das in Satz 2 zusätzlich um das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels erweitert wird. Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL ausdrücklich, dass auch in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen kann. Das nationale Recht kann danach vorsehen, dass selbst dann, wenn kein Fall des Absatzes Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL vorliegt (d.h. keine Fristsetzung in der Abschiebungsandrohung oder tatsächliche Abschiebung), in Folge einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot verhängt werden kann. Es muss sich jedoch immer noch um eine Rückkehrentscheidung handeln. Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, an die Ausweisung ein Einreiseverbot zu knüpfen, überschreitet die begrifflichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Daran ändert der Umstand nichts, dass der nationale Gesetzgeber der (irrigen) Auffassung war, mit der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 AufenthG spezifisch und ausschließlich für die Ausweisung von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch zu machen (vgl. ausdrücklich BTDrucks 17/5470, S. 39). Diese „Opt-Out-Klausel“ beträfe etwa den Abschiebungsfall des § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG; insoweit wurde aber in Bezug auf die Folgen einer Abschiebung gerade hiervon kein Gebrauch gemacht. Da die Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstellt, steht die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, nach wie vor an die Ausweisung selbst ein zunächst unbefristetes Einreiseverbot zu knüpfen, nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu noch im Folgenden).
84 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass demgegenüber unter dem Aspekt des Einreiseverbots die Abschiebungsandrohung sowie die Abschiebungsanordnung einer abweichenden und differenzierten Betrachtung bedürfen. Nach Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL gehen „Rückkehrentscheidungen“ mit einem Einreiseverbot einher, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Gemäß Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL kann in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Nach Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Art. 3 Nr. 6 RFRL definiert das Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Daraus folgt, dass spätestens mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eines „illegal aufhältigen“ Ausländers von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 RFRL) über das Einreiseverbot und dessen Dauer zu treffen ist (vgl. auch den 14. Erwägungsgrund). Mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben ist es bereits nicht zu vereinbaren, wenn § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Abschiebung selbst unmittelbar kraft Gesetzes ein Einreiseverbot knüpft. Es ist demnach unerlässlich, dass die zuständige Behörde entweder in der Rückkehrentscheidung (also etwa der Abschiebungsandrohung) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit für den unter Umständen noch nicht feststehenden Fall einer späteren Vollstreckung (vgl. Art. 11 Abs. 1 UA 1 lit. b) RFRL) von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung trifft. Spätestens jedoch mit der Anordnung der Abschiebung, ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht (vgl. GK-AufenthG, § 58 AufenthG Rn. 52 ff.), oder aber wiederum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit muss diese Entscheidung über ein Einreiseverbot und dessen Befristung getroffen werden, wobei nach Art. 11 Abs. 2 RFRL eine Befristung des Einreiseverbots die Regel ist und ein unbefristetes Verbot allenfalls ausnahmsweise erfolgen kann. Diesen Vorgaben genügt § 11 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG nicht (a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - a.a.O.). Mit der aktuellen Regelung, wonach erst später und nur auf Antrag eine Befristung vorzunehmen ist, würde das von der Richtlinie intendierte Regel-Ausnahme-Verhältnis „auf den Kopf gestellt“ und das unbefristete Einreiseverbot zunächst zum gesetzlichen Regelfall ausgestaltet. Dies lässt sich auch nicht mit einer dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie rechtfertigen (so aber Thym und Kluth in der Anhörung des Innenausschusses am 27.6.2011, Drs 17(A)282 F, S. 3 bzw. 17(4)282 A, S. 2). Denn der Rekurs auf eine dem Grundsatz nach richtigerweise anzuerkennende Verfahrensautonomie wäre hier unauflösbar widersprüchlich, weil mit der Konzeption der Richtlinie unvereinbar. Der Vorbehalt zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie reicht nur soweit, als Unionsrecht keine abweichenden bindenden Vorgaben enthält, was hier gerade der Fall ist. Diese Konzeption dient im Übrigen nicht nur den öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten und der Union (vgl. 14. Erwägungsgrund), sondern soll, wie bereits erwähnt, auch den Betroffenen sofort eine Rückkehrperspektive für die Zukunft eröffnen (oder ausnahmsweise auch deutlich machen, dass eine solche jedenfalls derzeit nicht besteht). Die Entscheidung der Behörde hat daher nach der Konzeption des Art. 11 RFRL auch von Amts wegen zu erfolgen. Dieses bereits von Anfang an festzusetzende Einreiseverbot unterliegt dann weitergehend nach Art. 11 Abs. 3 RFRL der Überprüfung und Korrektur. Demzufolge hat die Ausländerbehörde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG spätestens im Zuge der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eine Entscheidung darüber zu treffen, wie lange das Einreiseverbot gelten soll.
85 
Die hier vom Senat allein zu beurteilende Ausweisungsverfügung bleibt nach dem Vorgesagten aber hiervon unberührt.
B)
86 
Die Klage gegen die die Meldeauflage sowie die räumliche Beschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids vom 10.06.2010 ist vom Verwaltungsgericht zu Recht als zulässig angesehen worden. Beide Verfügungen stellen die gesetzlichen Pflichten des § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. § 54a Abs. 2 AufenthG konkretisierende Regelungen dar (ebenso Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.).
87 
Die Klage ist jedoch auch insoweit unbegründet. Zwar setzen beide Maßnahmen voraus, dass die Ausweisung sofort vollziehbar ist (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 29.11.2010 - 11 S 2481/10 - juris). Dementsprechend wurde auch unter Ziffer 5 des Bescheids vom 10.06.2011 die sofortige Vollziehung angeordnet, weshalb zum Zeitpunkt ihres Erlasses die Verfügung unter dem hier zu behandelnden Aspekt nicht zu beanstanden war. Allerdings wurde mit Beschluss des Verwaltungsgericht Stuttgart vom 19.11.2010 (11 K 2430/10 - juris) unter anderem die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung wiederhergestellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung nunmehr allein wegen der fehlenden Vollziehbarkeit der Ausweisung vorübergehend als rechtswidrig anzusehen wären. Denn mit Eintritt der Rechtskraft des Senatsurteils wäre die Erlassvoraussetzung der Vollziehbarkeit wieder erfüllt. Namentlich müsste in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden in einem von den Beteiligten angestrengten Revisionsverfahren das Bundesverwaltungsgericht, dessen Entscheidung mit ihrem Erlass notwendigerweise rechtkräftig wird, die Klage gegen die auf § 54a AufenthG gestützten Maßnahmen als unbegründet abweisen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung galt bzw. gilt lediglich vorläufig – bis zum Eintritt der Bestands- bzw. Rechtskraft der Ausweisung. Dies legt ein Verständnis der aufschiebenden Wirkung nahe, nach welchem auch die Folgemaßnahmen nach § 54a AufenthG vom Wiedereintritt der aufschiebenden Wirkung bis zur Rechtskraft der Entscheidung bezüglich der Ausweisung in ihrer Wirksamkeit nur vorläufig suspendiert sind, selbst wenn die aufschiebende Wirkung insoweit nicht ausdrücklich angeordnet wurde (ebenso zu vergleichbaren verwaltungsverfahrensrechtlichen Konstellationen Kopp/ Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 80 Rn. 31; Bader, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 80 Rn. 23). Schließlich würden die Meldepflicht und die räumliche Beschränkung nach § 54a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG auch ohne Konkretisierung durch einen Verwaltungsakt, wie sie hier erfolgt ist, unmittelbar mit der Vollziehbarkeit der Ausweisung kraft Gesetzes (wieder) eintreten. Weitergehende Rechtswirkungen müssen der aufschiebenden Wirkung im Interesse des Betroffenen, insbesondere aus Gründen effektiver Rechtsschutzgewährung, nicht beigemessen werden.
88 
In Anbetracht der Rechtmäßigkeit der Ausweisung und der aktuell bestehenden Gefahr weiterer Unterstützung der PKK durch den Kläger lassen sich die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden; sie verstoßen insbesondere nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
89 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 161 Abs. 2 VwGO.
90 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
91 
Beschluss
92 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 und 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
93 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
28 
Soweit die Beteiligten - nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2 des Bescheids vom 10.06.2010 in der mündlichen Verhandlung - den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; das Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit unwirksam (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entspr.).
29 
Im Übrigen ist die aufgrund der Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer 1 (dazu unter A) und die Meldeauflage sowie die Aufenthaltsbeschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 (B) abweisen müssen. Denn diese Verfügungen sind zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
A.
30 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 55 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG (I.). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG liegen vor (II.), die Ausweisungsentscheidung lässt sich auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden (III.).
I.
31 
Das Regierungspräsidium hat diese rechtsfehlerfrei auf § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob als Rechtsgrundlage daneben § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5a oder Nr. 6 AufenthG herangezogen werden könnten.
32 
Diese Regelungen sind hier uneingeschränkt anwendbar.
33 
1. Aus der Tatsache, dass der Kläger Vater eines minderjährigen deutschen Kindes – dem am ...2005 geborenen A... A... – ist, folgt nicht, dass er wie ein Unionsbürger oder nach unionsrechtlichen Grundsätzen zu behandeln wäre.
34 
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache Ruiz Zambrano (C-34/09 - InfAuslR 2011, 179) entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines minderjährigen Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann. Ausschlaggebend war ausweislich der Gründe der Umstand, dass die Kinder, welche Unionsbürger waren, bei einer „Verweigerung von Aufenthalt und Arbeitserlaubnis“ ihrer drittstaatsangehörigen Eltern gezwungen gewesen wären, das Unionsgebiet zu verlassen. Art. 20 AEUV sei daher dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehre, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, den Aufenthalt im Wohnsitzstaat und eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleihe, verwehren würden. Folge eines entsprechenden Aufenthaltsrechts wäre eine allenfalls eingeschränkte Anwendbarkeit der Ausweisungsvorschriften der §§ 53 ff. AufenthG (vgl. dazu Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; allgemein zum Urteil des EuGH vom 08.03.2011: OVG NRW, Beschluss vom 29.04.2011 - 18 B 377/11 -; Hess. VGH, Beschluss vom 27.10.2011 - 6 D 1633/11 - juris). Wie auch inzwischen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 05.05.2011 in der Rechtssache McCarthy (C-434/09 - InfAuslR 2011, 268) und vom 15.11.2011 in der Rechtssache Dereci (C-256/11 - juris) deutlich machen, ist ein Aufenthaltsanspruch des Drittstaatsangehörigen aus der Unionsbürgerschaft seines Kindes – oder auch seines Ehepartners – aber nur abzuleiten, wenn der betreffende Unionsbürger andernfalls zwingend das Unionsgebiet verlassen müsste (weitergehend noch Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - a.a.O., und Beschluss des Senats vom 12.05.2011 - 11 S 765/11 - NVwZ 2011, 1213). Vorliegend kann aber das jüngste deutsche Kind des Klägers zusammen mit dessen Ehefrau, welche im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, in Deutschland bleiben und wäre daher nicht gezwungen, das Unionsgebiet zu verlassen. Ob gegebenenfalls eine Trennung des Klägers von seiner Familie, insbesondere seinem minderjährigen deutschen Kind zulässig ist, ist somit keine unionsrechtliche Fragestellung, sondern nach den allgemeinen Maßstäben (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK) zu beantworten.
35 
2. Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Der Kläger verfügt über kein Aufenthaltsrecht gemäß der - hier allein in Betracht kommenden - Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80.
36 
Nach dem gestuften Regelungssystem des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 kann im Rahmen der ersten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 1) ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht bei einjähriger Beschäftigung nur zum Zwecke der Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses bei dem gleichen Arbeitgeber erworben werden. Im Rahmen der zweiten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 2) wird nach dreijähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung das Recht erworben, Stellenangebote eines anderen Arbeitgebers im gleichen Beruf zu akzeptieren. Erst im Rahmen der dritten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 3), d.h. nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung, erwirbt der türkische Arbeitnehmer gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht nur das Recht, auf ein bereits existierendes Stellenangebot einzugehen, sondern auch das unbedingte Recht, Arbeit zu suchen und jede beliebige Beschäftigung aufzunehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 23.01.1997 - C-171/95 - [Tetik] InfAuslR 1997, 146). Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 berühren Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche. Entsprechendes gilt auch bei einem „unverschuldeten Arbeitgeberwechsel“ (vgl. Renner, AufenthG, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 124 f.), und zwar selbst dann, wenn keine Unterbrechung der Beschäftigung eingetreten ist. Voraussetzung ist nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 allerdings, dass die Zeiten der unverschuldeten Arbeitslosigkeit „von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind“, das bedeutet, dass sich der Betreffende arbeitslos gemeldet und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestanden hat.
37 
Nach diesen Grundsätzen verfügt der Kläger nicht über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht. Seine Arbeitstätigkeit in einer Gebäudereinigung im Jahr 2002 war zu kurz, um zum Erwerb von Ansprüchen nach dem ARB 1/80 zu führen. Selbst wenn man die sozialversicherungsfreien (Neben-)Tätigkeiten in einem Internetcafé in H... vom 13.03.2004 bis zum 31.01.2006 und die Tätigkeit bei einer Vertriebs GmbH vom 01.04.2006 bis zum 15.06.2006 insgesamt anerkennen und die damaligen Unterbrechungen durch – ordnungsgemäß festgestellte – Arbeitslosigkeit sowie den Wechsel der Arbeitgeber wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit als unschädlich ansehen würde, wäre der Kläger danach zum 15.06.2006 maximal 2 Jahre 3 Monate und 2 Tage ordnungsgemäß beschäftigt gewesen. Die damit allenfalls erreichte Rechtsposition nach dem ersten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wäre durch die anschließende beschäftigungslose Zeit bis zur Aufnahme einer Arbeit bei einem Abbruchunternehmen in L... unterbrochen gewesen. Denn ausweislich der vorliegenden Auskünfte der Deutschen Rentenversicherung (vgl. den vom Kläger mit Schriftsatz vom 30.06.2011 vorgelegten Versicherungsverlauf vom 06.06.2011) war er in dieser Zeit nicht arbeitslos gemeldet. Letztlich kommt es aber darauf nicht an. Selbst wenn man – trotz des Betriebsinhaberwechsels – die anschließende Beschäftigung bei den Abbruchunternehmen in L... vom 17.07.2006 bis zum 31.01.2007 hinzurechnen würde, wäre der Kläger seit dem 13.03.2004 noch keine drei Jahre beschäftigt gewesen, hätte also nur die Rechtsposition der ersten Stufe des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht gehabt. Diese hätte er durch die anschließende Kündigung und die folgende zweimonatige Arbeitslosigkeit aber wieder verloren gehabt. Denn diese Kündigung erfolgte nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung durch ihn. Da seine Kinder sich geweigert hätten, zu ihm nach L... zu ziehen, habe er wieder zu seiner Familie ziehen wollen.
38 
Im Anschluss war der Kläger zwar noch vom 02.04.2007 bis zum 31.05.2009 als Fahrer bei einer Firma in H... beschäftigt und ist seit dem 01.07.2009 bei einer Gebäudereinigung angestellt. Die Beschäftigungszeiten als Fahrer können aber schon deshalb nicht mehr zum Erreichen eines Rechts nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 führen, weil der Kläger seinen Angaben nach zwar entlassen wurde, sich aber nicht unmittelbar anschließend bei der Arbeitsverwaltung gemeldet hat. Abgesehen davon war er seit dem 13.09.2007 nicht mehr „ordnungsgemäß beschäftigt“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Denn seine letzte Aufenthaltserlaubnis lief am 12.09.2007 aus und galt lediglich aufgrund seines Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Grundsätzlich setzt aber eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt voraus (vgl. nur EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], NVwZ 1991, 255). Keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige verfahrenssichernde Rechtsstellung hat ein türkischer Arbeitnehmer während des Zeitraums, in dem sein Widerspruch oder seine Klage aufschiebende Wirkung gegen eine die Erteilung oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels ablehnende behördliche Entscheidung entfaltet (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - C-237/91 - [Kus], InfAuslR 1993, 41). Dies gilt auch in Bezug auf die Titelfunktion des § 81 Abs. 4 AufenthG (vgl. Renner, a.a.O., § 4 AufenthG, Rn. 117 m.w.N.). Etwas anderes folgt hier auch nicht daraus, dass über die am 25.05.2009 gegen das Land Baden-Württemberg erhobene Klage des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (11 K 2004/09) noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Zwar können Zeiten der Arbeitstätigkeit, in denen der Betreffende lediglich über ein fiktives Aufenthaltsrecht verfügt hat, später - rückwirkend - doch wieder als Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zu berücksichtigen sein, wenn in der Folge eine positive behördliche oder gerichtliche Entscheidung getroffen wird. Denn dann werden die zurückliegenden Beschäftigungszeiten anrechnungsfähig (EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], a.a.O.), und zwar gegebenenfalls selbst dann, wenn während kurzer Zeiträume kein Aufenthaltstitel und auch keine Fiktionswirkung bestand, etwa weil der Betreffende eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erst kurz nach Ablauf der geltenden Aufenthaltserlaubnis beantragt hatte (EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - [Ergat], InfAuslR 2000, 217). Diese Fragen können hier jedoch dahingestellt bleiben. Denn es ist wegen des vom Kläger verwirklichten Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 5 AufenthG (dazu unten) offensichtlich, dass er keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis oder auf Verlängerung der früher bestehenden Aufenthaltserlaubnis hat (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG). Abgesehen davon kommt es darauf auch deshalb nicht an, weil die Fiktionswirkung entsprechend § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG jedenfalls mit Bekanntgabe der Ausweisung vom 10.06.2010 – und damit vor Ablauf eines Jahres seit Beginn der Tätigkeit am 01.07.2009 und Erreichen einer Position nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 – erloschen ist. Zwar kommt der vom Kläger gegen die Ausweisung erhobenen Klage aufschiebende Wirkung zu, weil das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19.11.2010 - 11 K 2430/10 - auch insoweit die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt hat. Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lassen jedoch Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit unter anderem der Ausweisung unberührt, solange diese nicht unanfechtbar aufgehoben worden ist.
II.
39 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG sind erfüllt.
40 
Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, wobei die Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Die Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Vereinigung oder ihre Unterstützung muss danach nicht erwiesen sein, es genügt das Vorliegen von Tatsachen, die die entsprechende Schlussfolgerung rechtfertigen. Dass es sich dabei um eine Vereinigung handelt, die den Terrorismus unterstützt, muss hingegen feststehen (Bay.VGH, Urteil vom 22.02.2010 - 19 B 09.929 - juris, bestätigt mit Urteil des BVerwG vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -).
41 
1. Zunächst sind das Verwaltungsgericht und das Regierungspräsidium Stuttgart zu Recht davon ausgegangen, dass die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und ihre Nachfolgeorganisationen KADEK (Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans), KONGRA-GEL (Volkskongress Kurdistans), KKK (Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans) oder KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) - im Folgenden PKK - dem Terrorismus zuzurechnen und damit jedenfalls als eine den Terrorismus im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützende Vereinigung anzusehen sind (vgl. hierzu Urteile des Senats vom 29.09.2010 - 11 S 597/10 - VBlBW 2011, 478, und vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - juris sowie Beschlüsse des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vom 16.12.2010 - 11 S 2374/10 - und vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - InfAuslRAuslR 2011, 105). Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus, wenn sie selbst ihre Ziele auch mit terroristischen Mitteln – wie dem Einsatz gemeingefährlicher Waffen und mit Angriffen auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele – verfolgt (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - juris, m.w.N.; vgl. im Einzelnen zum Begriff des Terrorismus GK-AufenthG, Stand: Sept. 2011, § 54 Rn. 436 ff.). Das ist bei der PKK in dem hier maßgeblichen Zeitraum von 1997 bis heute der Fall. Insbesondere verzichtete die PKK auch während der Phase des 1999 ausgerufenen und 2004 wieder beendeten „Friedenskurses“ nicht auf Gewalt. Das seit vielen Jahren weitgehend friedliche Auftreten der PKK in Europa ist Teil einer „Doppelstrategie“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 53; OVG Bremen, Beschluss vom 26.10.2010 - 1 A 111/09 - InfAuslR 2011, 37) und ändert nichts an deren grundsätzlich bestehender Gewaltbereitschaft und der Anwendung von terroristischen Mitteln, etwa bei Anschlägen in der Türkei (so etwa am 22.06.2010 in Istanbul, vgl. ZEIT-ONLINE vom 23.06.2010: www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/kurden-tuerkei-politik; WELT ONLINE vom 22.06.2010 www.welt.de/politik/ausland/ article8142791/Tuerkei-Touristen-im-Fadenkreuz-kurdischen-Terrors.html; am 27. und 28.08 2006 in Marmaris, Istanbul und Antalya, vgl. SPIEGEL ONLINE vom 28.08.2006 www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,434039,00.html) oder der Entführung Unbeteiligter (vgl. zur Entführung von drei deutschen Staatsangehörigen am Berg Ararat am 08.07.2008 SPIEGEL ONLINE vom 09.07.2011: www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,564783,00.html). Insoweit wird ergänzend auf die ausführliche und zutreffende Darstellung im angefochtenen Bescheid des Regierungspräsidiums vom 10.06.2010 verwiesen (vgl. auch Landesamt für Verfassungsschutz Bad.-Württ., „Ausländerextremismus“, August 2007, S. 9 ff., sowie Bundesamt für Verfassungsschutz, „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL)“, März 2007). Abgesehen davon ist die PKK seit Mai 2002 auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Ziff. 2.9 des Anhangs zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP – ABl. L 116, S. 75). Entgegen der Auffassung des Klägers erlaubt eine solche Aufnahme die Feststellung, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 - InfAuslR 2011, 40; vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 07.12.2010 - 1 B 24.10 - juris; noch offengelassen im Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris).
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2. Ob der Kläger der PKK „angehört“ im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, kann hier offen bleiben. Denn aus den vorliegenden Tatsachen ist jedenfalls die Folgerung gerechtfertigt, dass er diese seit vielen Jahren in mehrfacher Weise unterstützt hat und weiter unterstützt.
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Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -BVerwGE 123, 114 - zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O., m.w.N.; Beschluss des Senats vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O.; Urteile des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris und vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.).
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Nach diesen Grundsätzen liegen hier eine Vielzahl von Tatsachen vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen (a) und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten PKK-nahen Aktionen und Veranstaltungen (b). Dabei sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch die länger zurückliegenden Tatsachen noch zu berücksichtigen (c).
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a) Zunächst steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die kurdischen Vereine in H..., in denen der Kläger Vorstandsmitglied war, den Terrorismus unterstützen. Dabei zu berücksichtigen, dass - wie dargelegt - bereits jede Tätigkeit als tatbestandliches Unterstützen anzusehen ist, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der betreffenden Vereinigung, hier der PKK, auswirkt.
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aa) Der Verein „Kurd... V...“ e.V. wurde in den 1990-er Jahren gegründet und im Jahr 2000 wieder aufgelöst. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich deutlich gemacht, dass er in dem im Anschluss gegründeten „Kurd... K...“ und in dem derzeit bestehenden Verein „Kurd... G...“ Nachfolgevereine des Vereins Kurdx ... V...“ sieht. Es handle sich um „den Verein“, in welchem er bis heute Mitglied sei und mit seinen Familienangehörigen jedes Wochenende verbringe. Er hat damit die entsprechende Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, die in der mündlichen Verhandlung von dem angehörten Mitarbeiter I.V. weiter erläutert worden ist, bestätigt. Der Kläger ist in einer Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 in den Vorstand des Vereins „K... V...“ gewählt worden und war als solcher für die Bücherei des Vereins zuständig. Darauf hat er sich auch in seinem Asylverfahren berufen und geltend gemacht, dass ihm deshalb bei einer Rückkehr in die Türkei Verfolgung drohe (Schriftsatz vom 01.07.1997 zum Verfahren A 3 K 12680/98).
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Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder – nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM – für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010“ im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.
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Hinzu kommen die Veranstaltungen, die vom Verein „Kurd... V...“ durchgeführt wurden, so zum Beispiel aus der Zeit, in der der Kläger Vorstandsmitglied war, eine Demonstration zum Newroz-Fest am 20.03.1998. In einem Bericht der Stadt H... vom 29.04.1998 über diese Demonstration wird dargelegt, dass Fahnen mit Symbolen der PKK gezeigt worden seien. Nach Einschätzung der Polizei und der Stadt H... habe nicht das Thema „Newroz-Fest“ im Vordergrund gestanden, sondern das Thema „Politische Lösung der kurdischen Frage und Aufhebung des Verbots der PKK“. Wie sich außerdem einem Bescheid der Stadt H... vom 14.05.1998 über das Verbot einer für den 17.05.1998 im Schlachthof in H... geplanten Veranstaltung entnehmen lässt, wurde zu dieser angeblichen „Folkloreveranstaltung“ mit Flugblättern der ENRK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans, eine Organisation der PKK) eingeladen. In den Räumen des Vereins wurde dafür mit einem Aushang mit dem Text „Sieg im Frieden, Freiheit im Leben, Volksversammlung wird stattfinden. Ort = Schlachthof“ geworben. Herr I.V. vom Landesamt für Verfassungsschutz hat zudem in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren überzeugend dargelegt, dass „der Verein“ in H... – derzeit die „Kurd... G...“ – seit Jahren durch regelmäßige PKK-Veranstaltungen auffalle. Er rufe immer wieder zu Veranstaltungen und zu Kundgebungen auf, die inhaltlich die PKK, Abdullah Öcalan als PKK-Führer u.ä zum Thema hätten. Insofern trete der Verein immer wieder aktiv auf und führe diese Kundgebungen durch. Bei den Veranstaltungen würden PKK-Slogans skandiert, es werde die Freilassung Öcalans und die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert und die Türkei werde als terroristischer Staat bezeichnet. Das alles seien für das Landesamt für Verfassungsschutz Indizien, um die entsprechende Veranstaltung – anders als normale kulturelle Veranstaltungen von Kurden – als „PKK-nah“ anzusehen. Schließlich existierten auch zahlreiche andere kurdische Vereine, die vom Verfassungsschutz nicht als „PKK-nah“ eingestuft würden, etwa solche, die dem Dachverband der KOMKAR (Verband der Vereine aus Kurdistan) angehörten. Es gebe also eine Alternative. Der Verein in H... wie auch andere PKK-nahe Vereine fielen dadurch auf, dass sie sich stets und immer wieder PKK-spezifischen Themen annähmen. Das ziehe sich seit den 1980er-Jahren wie ein „roter Faden“ durch die Betätigung des Vereins.
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bb) Dass sich auch der Verein „Gebetshaus E... ... - I... ... e.V., H...“ – in dessen Vorstand der Kläger erstmals im Dezember 1998 (als stellvertretendes Vorstandsmitglied) und erneut im Mai 2002 (als 2. Vorsitzender des Vorstands) gewählt worden war – der PKK verbunden gefühlt hat, folgt bereits aus dem Formular zur Anmeldung des Vereins am 29.04.1998 bei der Stadt H... Darin wird ausgeführt, „Wir glauben, dass die kurdische Sache unter Führung der PKK gelöst wird“ und „Abgrenzung zum Kurd... V... e.V. durch Schwerpunkt Religion“. Auch wird als Zweck des Vereins angegeben „Versammlung von allen Kurden, auch revolutionäre Kurden, unter einem Dach“. Außerdem verdeutlicht die vorliegende Stellungnahme des Bundeskriminalamts, Stand 11/2006, „Religiöse Vereinigungen innerhalb der PKK“ die Anbindung auch dieses Vereins an die PKK. Danach sei im Zuge des 4. Parteikongresses der PKK im Dezember 1990 die Gründung der Union der patriotischen Gläubigen aus Kurdistan (kurz: YOWK, ab 1991 YDK), einem Dachverband von Muslimen, beschlossen worden. 1993 sei die Umbenennung in „Islamischer Bund Kurdistans - HIK“ bzw. „Islamische Bewegung Kurdistans - KIH“ erfolgt. Die regionale Aufteilung sei in drei Funktionsbereiche, darunter eine Föderation in Süddeutschland mit Sitz in Heilbronn, erfolgt. Im Mai 2005 sei eine erneute Umbenennung, diesmal in „Islamische Gesellschaft Kurdistans - CIK“ beschlossen worden. Nach Auffassung des Bundesamts für Verfassungsschutz sei die CIK/HIK eine Massenorganisation der PKK, über die muslimische Kurden an die PKK gebunden werden sollen. In der Herbstausgabe der Baweri, dem seit 1995 erscheinenden Publikationsorgan der CIK/HIK, werde diese als eine religiös-politische Kampfesbewegung bezeichnet, die den nationalen Befreiungskampf Kurdistans unterstütze. In diesem Rahmen rufe sie regelmäßig zu Spenden oder Kampagnen auf, wie beispielsweise zur Sammlung von Spenden für kurdische Bedürftige und Waisen oder der Opferkampagne. Zu den der CIK/HIK angehörenden Moschen gehöre u.a. die „Mizgevta E... ...“ in H... ... Die Anbindung der CIK/HIK an die PKK und deren Abhängigkeit von der Organisation werde auch durch verschiedene Asservate belegt. In einem Fazit heißt es, die PKK unterhalte eine Vielzahl von Organisationen, mit deren Hilfe sie ihren Einfluss auf alle Lebensbereiche auszudehnen versuche. In ihrem Bestreben, auch die religiösen Gruppierungen der Kurden in ihren Strukturen einzubinden, habe sie die Gruppe der Muslime durch die CIK/HIK an ihre Organisation angebunden. Die Verlautbarungen führender Parteikader sowie die Organisationsbeschlüsse belegten die strukturelle Anbindung an die CDK (Nachfolgeorganisation der YDK) und damit an eine in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte Organisation.
50 
Ist danach davon auszugehen, dass beide ausländerrechtlichen Vereine, in deren Vorstand der Kläger gewählt war, die PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen unterstützt haben, so ist dem Kläger diese Unterstützung bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied zuzurechnen, ohne dass der Frage seiner tatsächlichen inneren Einstellung weiter nachgegangen werden müsste (vgl. zu § 11 StAG: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.06.2008 - 13 S 2613/03 - VBlBW 2009, 29, m.w.N). Davon abgesehen greift § 54 Nr. 5 AufenthG auch in Fällen, in denen der Betreffende einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, hier dem Verein „Kurdx... V...“ und der „E... ...“, d.h. es kommt auch deshalb nicht darauf an, ob und in welchem Umfang er persönlich Unterstützung geleistet hat.
51 
b) Hinzu kommt, dass schon allein wegen der Teilnahme des Klägers an diversen PKK-nahen Veranstaltungen davon auszugehen ist, dass er die PKK unterstützt hat und bis heute unterstützt. Denn er war bei einer Reihe von Veranstaltungen, die geeignet sind, den ideologischen und emotionalen Zusammenhalt der PKK, ihrer Nachfolgeorganisationen und Organisationen im politischen Umfeld zu stärken. Diese Teilnahmen sind daher bereits für sich genommen ohne Weiteres als selbstständige Unterstützungshandlungen zu qualifizieren, die zum Vorliegen des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG führen. Umso mehr gilt dies bei einer Gesamtschau aller festgestellten Aktivitäten des Klägers einschließlich der Vorstandstätigkeiten in den Vereinen.
52 
Zu den Veranstaltungen, deren Besuch als Unterstützung der PKK anzusehen ist, gehören insbesondere die Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK. Nach den Mitteilungen des Landesamts für Verfassungsschutz hat der Kläger in den Jahren 2005, 2007, 2008 und 2009, jeweils in I... bei H..., den 27., 29., 30. und den 31. Gründungsjahrestag der PKK mitgefeiert. Dies wurde von ihm in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt. Nach den Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz seien bei diesen Feiern Fahnen der KONGRA-GEL bzw. der KCK oder der KKK und Bilder Öcalans aufgehängt gewesen bzw. entrollt worden (27.11.2005, 23.11.2008 und 27.11.2009), Filme über das Leben des Öcalan (27.11.2005 und 23.11.2008) oder die Guerilla (27.11.2009) vorgeführt und jeweils Reden über die PKK gehalten worden – zum Beispiel mit einem Überblick über die Entwicklung der PKK seit deren Gründung (23.11.2008). Regelmäßig werde die Bedeutung der PKK für die Kurden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hervorgehoben. Zudem werde regelmäßig die PKK-Guerilla positiv herausgestellt, wenn nicht gar glorifiziert, indem zum Beispiel - wie im Jahr 2009 - ein Film über diese gezeigt werde (vgl. Bericht des LfV vom 17.12.2010). Solche Veranstaltungen haben in spezifischer Weise Propagandacharakter und dienen erkennbar der Förderung und Stärkung der PKK. Mit dem Besuch zeigt der Teilnehmer seine Anhängerschaft und fördert den Zusammenhalt der Organisation und ihrer Anhänger (vgl. Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -). Typisch für PKK-nahe Veranstaltungen ist auch der Personenkult um den in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Öcalan. Seiner Person kommt nach wie vor ein Symbolgehalt auch für den bewaffneten Kampf der PKK gegen den Staat zu (BVerwG, Beschluss vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - a.a.O.). Es ist daher auch bezeichnend, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen zu dem vom Landesamt für Verfassungsschutz geschilderten Ablauf der Veranstaltung zum 31. Gründungsjahrestag der PKK am 27.11.2009 und nach dem Hinweis darauf, dass dort auch ein Film über den Guerilla-Kampf und Öcalan vorgeführt worden sei, entgegnete: Man brauche ihm nicht zu sagen, dass in diesem Saal ein Bild von Öcalan angebracht gewesen sei; Öcalan sei in seinem Herzen.
53 
Ebenso als Unterstützung der PKK zu werten ist der Besuch einer Veranstaltung am 17.08.2008 anlässlich des 24. Jahrestages der Gründung des militärischen Arms der PKK, bei welchem in einer Rede Öcalan und die PKK gewürdigt worden seien.
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Besonders ins Gewicht fallen auch die vom Kläger nicht in Abrede gestellten Besuche bei so genannten Volksversammlungen in den Räumlichkeiten des „Kurd... K...“ bzw. der „Kurd... G... H...“ am 17.12.2005, 30.03.2008 und am 28.02.2010. Den vorliegenden Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz (vgl. vor allem Bericht vom 17.12.2010) lässt sich entnehmen, dass es – anders als bei Vereinsversammlungen, die sich schwerpunktmäßig mit Vereinsthemen beschäftigten – bei Volksversammlungen thematisch im Wesentlichen um den mit einem Betätigungsverbot belegten und deshalb streng konspirativ arbeitenden Teil der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen gehe. Demgemäß dienten Volksversammlungen in erster Linie der Information und Mobilisierung der Basis durch Funktionäre der PKK. Meist halte ein hochrangiger PKK-Funktionär eine „emotionalisierende“ Rede, die durchaus ein bis zwei Stunden dauern könne. Dabei würden die Zuhörer über alle Aspekte, die die PKK beträfen, ausführlich informiert, insbesondere über Verlautbarungen, Haftbedingungen und Gesundheitszustand des PKK-Führers Öcalan, Anweisungen der Organisation, Lageentwicklung in der Türkei, in Deutschland und in Europa und aktuelle Kampagnen. Sie würden außerdem unter Hinweis auf die angebliche patriotische Verpflichtung zur Teilnahme an entsprechenden Aktionen aufgerufen. Häufig legten in Volksversammlungen Frontarbeiter und Aktivisten Rechenschaft gegenüber höherrangigen Funktionären ab und übten dabei gegebenenfalls – bei Schlechterfüllung ihrer Pflichten – entsprechende Selbstkritik. Bei der Versammlung am 28.02.2010 sei nach einer Gedenkminute für die verstorbenen „PKK-Märtyrer“ die aktuelle Lage in der Türkei thematisiert und ein Bericht des Volksgebietsrats verlesen worden. Anschließend hätten die Vertreter verschiedener Kommissionen (Justiz, Außenkontakte u.ä.) des Volksgebietsrats über ihre Arbeit berichtet. Danach seien der Leiter des Volksgebietsrats und die Vertreter dieser Kommissionen neu gewählt worden. Eine Ausnahme gelte für zwei Kommissionen: Die „Vereinskommission“ bestehe „automatisch“ aus dem Vorstand der „Kurd... G...“. Die „Organisationskommission“ verfüge über 25 „Frontarbeiter“; diese Aktivisten hätten gute Arbeit geleistet.
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Hinzu kommt die Teilnahme des Klägers an Treffen, bei denen der gefallenen und verstorbenen PKK-Kämpfer oder -Aktivisten gedacht wird (18.05.2008 und ...2008). Wie dem Senat aus einer Reihe anderer Verfahren bekannt ist, sind gerade auch solche Märtyrergedenkveranstaltungen ein wesentliches Element zur Herstellung eines engeren ideologischen und emotionalen Zusammenhalts der PKK-Mitglieder und PKK-Sympathisanten und führen damit zur Verbreiterung und Stärkung der Basis der PKK (Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vgl. zum Märtyrerkult bei der PKK auch BVerwG, Beschluss vom 24.02.1010 - 6 A 7.08 - a.a.O.).
56 
Bezeichnend ist der Besuch von Versammlungen anlässlich des Geburtstages von Öcalan (06.04.2003, 03.04.2005). Auch hat der Kläger ausweislich der Feststellungen des Landesamts für Verfassungsschutz an mehreren Demonstrationen zu verschiedenen Anlässen (05.02.2005, 28.01.2006, 16.02.2007, 27.10.2007, 25.10.2008, 20.11.2010) teilgenommen, bei denen jeweils Rufe wie „ Es lebe Öcalan“, „Hoch leben Apo“ oder „PKK“ skandiert und „Freiheit für Öcalan“ gefordert wurde. Bei einer „Kurdistan-Solidaritätsdemonstration“ in H... am 20.11.2010 seien auch Parolen wie „Die PKK ist das Volk, das Volk ist hier“ gerufen und Plakate bzw. Transparente mit der Aufschrift „Freiheit für Öcalan – Frieden für Kurdistan“ mitgeführt worden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt, an dieser Veranstaltung vom 20.11.2010 teilgenommen zu haben, und darüber hinaus erklärt, er nehme an (allen) „offiziell genehmigten Demonstrationen“ teil. Es sei um die Freiheit der Kurden gegangen.
57 
Tatsächlich ist bei der Teilnahme an Demonstrationen besonders zu beachten, dass nicht unverhältnismäßig in das Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.; Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.). Zum einen können aber auch Aktivitäten, die dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallen, das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllen (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.). Zum anderen ging es bei diesen Demonstrationen nicht nur um Themen, die nicht ausschließlich von der PKK besetzt sind – wie die Forderung eines unabhängigen Kurdistans, die Kritik am Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegen die kurdisches Zivilbevölkerung, die Anmahnung der Einhaltung von Menschenrechten, oder auch die Kritik an Haftbedingung politischer Gefangener einschließlich Öcalans – sondern um die Bekundung der Anhängerschaft zu Öcalan und der PKK durch entsprechende Parolen und Transparente. Damit bestand eine klare politisch-ideologische Verbindung zur PKK und ihren Zielen bzw. ihren Mitteln zur Durchsetzung dieser Ziele, zu denen auch der Terror zählte und zählt. Dies war und ist auch für den Kläger erkennbar. Er hat dazu in der mündlichen Verhandlung erklärt, es sei ihm egal, welche Parolen gerufen und welche Transparente getragen würden; er selbst habe weder Parolen gerufen noch Plakate getragen. Wie ausgeführt, kommt es darauf jedoch nicht an. Auch überzeugt die Erklärung des Klägers nicht, er habe die Plakate bzw. Transparente nicht lesen können, weil er dann von vorne gegen die Demonstration hätte laufen müssen. Jedenfalls konnte ihm die Solidarisierung mit der PKK schon vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen bei ähnlichen Veranstaltungen und den offensichtlich eindeutigen Parolen nicht entgehen, so dass ihm diese zuzurechnen ist.
58 
Vor dem Hintergrund des Charakters und der Vielzahl der vom Kläger besuchten anderen Veranstaltungen, wie den Volksversammlungen, den Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK und dem Geburtstag von Öcalan sowie den Märtyrergedenkfeiern, ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil, es wären zusätzliche Erkenntnisse darüber erforderlich, was der Kläger bei den Veranstaltungen getan habe, unzutreffend. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts waren bereits zum Zeitpunkt von dessen Entscheidung mehr als 13 Beteiligungen des Klägers an Veranstaltungen bekannt. Inzwischen sind es 20, die vom Landesamt für Verfassungsschutz benannt worden sind. Wie ausgeführt, kommt es zudem auf Anlass und Charakter der betreffenden Veranstaltungen an. In Anbetracht des konkreten Falles ist jedenfalls der Hinweis des Verwaltungsgerichts unverständlich, man könne einer Versammlung oder Veranstaltung auch „kopfschüttelnd“ zu Informationszwecken beiwohnen, ohne eine „unterstützende Haltung“ durch Applaus, Rufen von Parolen, Tragen von Schildern oder Transparenten einzunehmen. Dabei wird verkannt, dass bereits die regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen wie den angeführten, welche erkennbar auch dazu dienen, die PKK einschließlich ihrer terroristischen Aktionen zu fördern, eine Unterstützung der PKK darstellt. Die durch die – auch rein passive – Teilnahme ausgedrückte innere Nähe und Verbundenheit zur PKK kann deren Stellung in der Gesellschaft, hier insbesondere unter den in Deutschland lebenden Kurden, günstig beeinflussen, ihre Aktionsmöglichkeiten und ihr Rekrutierungsfeld erweitern und dadurch insgesamt dazu beitragen, das latente Gefährdungspotential der Vereinigung zu erhöhen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.).
59 
Soweit der Kläger vorträgt, die Vereine, bei denen er Mitglied gewesen und auch heute noch Mitglied sei und in deren Vorstand er gewesen sei, seien nicht verboten gewesen, er sei doch kein Terrorist und er habe auch nur an erlaubten Veranstaltungen teilgenommen, verkennt er, dass § 54 Nr. 5 AufenthG der effektiven Bekämpfung der Vorfeldunterstützung des internationalen Terrorismus durch Herabsetzen der Eingriffsschwelle dient. Sinn und Zweck ist die präventive Gefahrenabwehr. Für die Verwirklichung des Tatbestands kommt es danach weder darauf an, dass die in Frage stehende Vereinigung verboten ist noch darauf, dass die konkrete Unterstützungshandlung strafbar wäre (vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.).
60 
In Anbetracht der bereits zur Überzeugung des Senats festgestellten Umstände kommt weiteren länger zurückliegenden Tatsachen wie etwa der Ingewahrsamnahme des Klägers anlässlich der Besetzung des griechischen Generalkonsulats nach der Festnahme von Öcalan am 16.02.1999 und der Unterzeichnung der PKK-Selbsterklärung im Jahr 2001 nur noch eine das Gesamtbild abrundende Bedeutung zu.
61 
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im Übrigen keinen Zweifel an seiner Verehrung von Abdullah Öcalan und seiner Anhängerschaft zur PKK gelassen. Er hat deutlich gemacht, dass er auf Veranstaltungen wie die angeführten, auch solche zur Feier des Gründungsjahrestages der PKK, weiter gehen werde, solange diese nicht verboten seien. Seiner Meinung nach trete die PKK – wie auch er selbst – für die Freiheit der Kurden ein und sei nicht terroristisch. Wenn man die PKK als terroristisch ansähe, wäre er auch ein Terrorist. Soweit der Kläger mehrmals darauf hingewiesen hat, dass er aber kein „Vertreter“ der PKK sei, verkennt er, dass es darauf nicht ankommt.
62 
c) Die hiernach maßgeblichen Umstände – die Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeiten in den Vereinen „Kurd... V...“ und „E... ...“ und die beschriebenen Teilnahmen an PKK-nahen Veranstaltungen – sind auch noch zu berücksichtigen, soweit sie bereits länger zurückliegen.
63 
Das Verwertungsverbot für getilgte Strafen nach § 51 Abs. 1 BZRG kann schon deshalb nicht greifen, weil der Kläger wegen der angeführten Umstände bzw. Aktivitäten nicht strafrechtlich verurteilt worden ist. Ob seine Teilnahme an einer Demonstration der PKK in Dortmund am 16.03.1996 noch berücksichtigt werden könnte, obwohl die deswegen gegen den Kläger mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 05.03.1998 wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot verhängte Geldstrafe bereits aus dem Bundeszentralregister getilgt ist, kann hier offen bleiben. Denn auf diese Tat kommt es in Anbetracht der Vielzahl von sonstigen maßgeblichen Tatsachen – wie die Teilnahme an den angeführten Veranstaltungen 2002 bis 2010 und die Vorstandstätigkeit sowie die Mitgliedschaft in den kurdischen Vereinen in H... – hier nicht an. Jedenfalls ist weder bei Unterstützungshandlungen, die strafbar gewesen wären, aber nicht zu einer Verurteilung geführt haben, noch bei den nicht mit einer Strafe bewehrten Aktivitäten eine „fiktive Tilgung“ mit der Folge eines Verwertungsverbots nach § 51 Abs. 1 BZRG vorzunehmen (ausführlich dazu OVG Hamburg, Beschluss vom 18.06.2010 - 3 Bs 2/10 - InfAuslR 2011, 193, m.w.N.; zu den Einbürgerungsvoraussetzungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.12.2010 - 19 A 1491/05 - AuAS 2011, 89; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.10.2011 - 5 N 30.08 - juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.05.2009 - 13 S 2428/08 -, juris – auch zum Fall einer möglichen Atypik im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).
64 
Die länger zurückliegenden Tätigkeiten des Klägers sowie insbesondere seine Stellung als Vorstand in den Vereinen sind auch nicht aus anderen Gründen nicht mehr „verwertbar“. Insbesondere bestehen keinerlei Anhaltspunkte für einen „Verbrauch“, etwa weil die Ausländerbehörde dem Kläger in Kenntnis der Ausweisungsgründe einen Aufenthaltstitel erteilt hätte (vgl. dazu GK-AufenthG, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 106 ff., m.w.N.). Soweit im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14.02.2011 die Aktivitäten des Klägers und seine Tätigkeiten in den Vereinsvorständen in solche bis zum Jahr 2002 und solche danach aufgeteilt und nur die neueren berücksichtigt worden sind, ist diese Aufteilung nicht nachvollziehbar. Da der Kläger noch im Mai Jahr 2002 als 2. Vorsitzender in den Vorstand des Vereins „E... ...“ gewählt wurde und diese Funktion danach mindestens ein Jahr lang - so seinen eigenen Angaben nach -, ausweislich des Vereinsregisters sogar bis zur Löschung des Vereins im Jahr 2007 innehatte, hätte diese Vorstandsmitgliedschaft ohnehin mit einbezogen werden müssen. Jedenfalls fehlt es schon in Anbetracht der bis heute andauernden Aktivitäten des Klägers in und für PKK-nahe Vereine in H... bzw. für die PKK und seiner fortdauernden Mitgliedschaft in den Nachfolgevereinen des Vereins „Kurd... V...“ an einer Zäsur, die zur Folge haben könnte, dass frühere Unterstützungshandlungen nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
65 
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die hier maßgebliche Bestimmung des § 54 Nr. 5 AufenthG (anders als die des § 54 Nr. 5a AufenthG) grundsätzlich weder vom Wortlaut noch nach deren Sinn und Zweck, aber auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine vom Betroffenen ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefährdung voraussetzt. Eine “gegenwärtige Gefährlichkeit“ muss nur dann festgestellt werden, wenn eine vergangene Mitgliedschaft des Ausländers oder zurückliegende Unterstützungshandlungen (außerhalb einer Mitgliedschaft) zu beurteilen sind (ausführlich dazu Urteile des Senats vom 25.05.2011- 11 S 308/11 - und vom 21.04.2010 - 11 S 200/11 - jew. a.a.O.). Wegen der fortdauernden Unterstützungshandlungen des Klägers und seiner ständigen Präsenz bei lokalen PKK-Veranstaltungen liegt eine solche im Übrigen hier eindeutig vor.
III.
66 
Die Entscheidung, den Kläger wegen des Vorliegens des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG auszuweisen, lässt sich rechtlich nicht beanstanden.
67 
1. Das Regierungspräsidiums ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass es nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 55 AufenthG über die Ausweisung zu entscheiden hat.
68 
a) Offen bleiben kann, ob schon deshalb Ermessen auszuüben ist, weil eine Ausnahme von der Regel des § 54 AufenthG gegeben ist. Allerdings geht das Regierungspräsidium zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst davon aus, dass der Kläger jedenfalls derzeit „aus familiären Gründen“ (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK), und zwar vor allem im Hinblick auf sein jüngstes, noch minderjähriges Kind A..., welches die deutsche Staatsangehörigkeit hat, nicht abgeschoben werden kann. Mit Schreiben vom 02.12.2011 hat das dafür zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe erklärt, dass dem Kläger daher eine Duldung erteilt werde. Das Vorliegen eines Duldungsgrundes oder eines Abschiebungsverbots führt zwar nicht zur Unzulässigkeit einer Ausweisung, kann aber atypische Umstände in Bezug auf den Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG begründen (so zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG: Beschluss des Senats vom 28.09.2010 - 11 S 1978/10 - InfAuslR 2011, 19; Urteil des Senats vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - a.a.O., m.w.N.¸ vgl. zur Atypik auch GK-AufenthG, a.a.O., § 54 AufenthG Rn. 50 ff., 124 ff.) mit der Folge, dass der Betreffende nur nach Ermessen ausgewiesen werden kann. Ob deshalb oder aus anderen Gründen von einer Atypik auszugehen ist, bedarf hier aber keiner anschließenden Klärung.
69 
b) Denn die Entscheidung über die Ausweisung des Klägers hat bereits mit Blick auf den dem Kläger zustehenden besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG nach Ermessen zu erfolgen.
70 
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unstreitig nicht vor, weil der Kläger nicht „im Besitz“ einer Niederlassungserlaubnis ist. Weil er mit seinem jüngsten, am ...2005 geborenen deutschen Sohn A... in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, kommt ihm aber nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderer Ausweisungsschutz zu. Er kann daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen solche Gründe in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist in Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 54 AufenthG vorliegen, nach Ermessen über die Ausweisung zu entscheiden.
71 
Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Sept. 2011, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine „tatbezogenen“ besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Hartnäckigkeit und Unbelehrbarkeit, mit der der Kläger trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter an PKK-nahen Veranstaltungen teilgenommen hat, und der in der mündlichen Verhandlung von ihm demonstrierten tiefen Verehrung von Öcalan und Anhängerschaft zur PKK ist damit zu rechnen, dass der Kläger weiter die PKK unterstützt.
72 
2. Die danach erforderliche Ermessensentscheidung ist vom Regierungspräsidium in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen worden (§ 114 Satz 1 VwGO).
73 
Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - juris, m.w.N.). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Im Übrigen sind bei der nach § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG zur Ermessensausweisung herabgestuften Regelausweisung die vom Ausländer ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einerseits und dessen private schutzwürdige Belange andererseits auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung umfassend zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367, Beschluss vom 21.01.2011 - 1 B 17.10, 1 PKH 8/10 - juris, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300).
74 
Danach sind hier zugunsten des Klägers in erster Linie seine Familie bzw. seine familiären Bindungen zu berücksichtigen. Seine Ehefrau und fast alle Kinder sind im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Nicht nur der jüngste Sohn A... ist deutscher Staatsgenhöriger; vielmehr hat sich nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat inzwischen auch seine älteste Tochter einbürgern lassen, bei einer anderen laufe derzeit das Einbürgerungsverfahren. Der Kläger hat berichtet, noch mit allen Kindern in einem Haushalt zu leben. Diesen Umständen, denen sicherlich eine aufenthaltsrechtlich erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, hat das Regierungspräsidium Stuttgart jedoch hinreichend Rechnung getragen. Im Rahmen der von ihm angestellten und in späteren Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen hat es auch alle anderen relevanten Belange eingestellt und zutreffend gewichtet.
75 
Zwar hat das Regierungspräsidium in der Ausgangsentscheidung noch angenommen, dass der Kläger auch tatsächlich ausreisen müsse. Es hat aber später allein darauf abgestellt, dass er mit Rücksicht auf seine familiäre Situation nicht abgeschoben werden könne. Im Hinblick darauf ist dem Kläger inzwischen die Duldung aus familiären Gründen erteilt worden. In der mündlichen Verhandlung ist zudem die im Bescheid vom 10.06.2010 verfügte Abschiebungsandrohung aufgehoben worden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger bis auf Weiteres – das bedeutet jedenfalls solange seinen familiären Belangen insbesondere im Hinblick auf das jüngste deutsche Kind keine geringere Bedeutung einzuräumen ist oder sich andere maßgebliche Umstände ändern – zumindest geduldet wird und seine Familie nicht verlassen muss. Die Ausweisung ist damit schon deshalb auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK als verhältnismäßig anzusehen.
76 
Die Entscheidung, den Kläger auszuweisen, begegnet auch nicht deshalb rechtlichen Bedenken, weil sich das in erster Linie mit einer Ausweisung verfolgte Ziel, die von dem betreffenden Ausländer ausgehende (Wiederholungs-) Gefahr mit der Ausreise zu bannen, hier bis auf Weiteres nicht verwirklichen lässt. Denn immerhin wird mit der Ausweisung zum einen konsequent jeder Aufenthaltsverfestigung entgegengewirkt, zum anderen werden dadurch die Aufenthaltsbeschränkungen des § 54a AufenthG ausgelöst bzw. der Erlass entsprechender Überwachungsmaßnahmen ermöglicht (Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.; vgl. auch Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O., ebenso Bayer. VGH, Beschluss vom 10.07.2009 - 10 ZB 09.950 - juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49).
77 
Auch die sonstigen Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Vertreterin des beklagten Landes hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Ausweisungsverfügung selbstständig tragend auf den Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt sei und dass für diese schon allein die angestellten spezialpräventiven Erwägungen ausschlaggebend seien. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Klägers und schutzwürdige persönliche wirtschaftliche und sonstige Bindungen (vgl. § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) wurden eingestellt und zutreffend gewürdigt. Dabei durfte zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden, dass dieser nur sehr schlecht Deutsch spricht, lediglich wechselnden und unqualifizierten Berufstätigkeiten nachgegangen ist und offensichtlich bis heute nur im Umfeld seiner kurdischen Landsleute und „des Vereins“ Umgang und Bekanntschaften pflegt.
78 
Beim Kläger handelt es sich zwar um keine führende Persönlichkeit in der PKK. Angesichts seiner jahrelangen Unterstützung der PKK, der beschriebenen Hartnäckigkeit, mit der er trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter einschlägige Veranstaltungen besucht hat, und der deshalb weiter bestehenden gegenwärtigen Gefährlichkeit im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erweist sich die Ausweisung aber auch in Ansehung des langjährigen Aufenthalts des Klägers und insbesondere seiner familiären Bindungen nicht als unverhältnismäßig, und zwar selbst dann, wenn der Kläger nicht weiter geduldet würde (vgl. dazu auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - 41548/06 - [Trabelsi]).
IV.
79 
Die Ausweisung ist auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil sie unbefristet erfolgt ist. Insbesondere ergibt sich solches nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/2008, S. 98 ff. – Rückführungsrichtlinie, im Folgenden RFRL), deren Art. 11 Abs. 1 grundsätzlich die Befristung des mit einer Rückkehrentscheidung einhergehenden Einreiseverbots anordnet. Denn eine Ausweisung ist keine Rückkehrentscheidung im Sinne dieser Richtlinie.
80 
Diese Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen war, soll mit dem zum 26.11.2011 in Kraft getreten „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ vom 22.11.2011 (BGBl. I, 2258) umgesetzt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet sie auf solche Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten; sie regelt die Vorgehensweise zu deren Rückführung. Art. 3 Nr. 2 RFRL definiert den illegalen Aufenthalt wie folgt: „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht odernicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet diese Mitgliedstaats“ (vgl. auch den 5. Erwägungsgrund).
81 
Der Umstand, dass eine Ausweisung gegebenenfalls erst das Aufenthaltsrecht des Ausländers zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und damit dessen „illegalen Aufenthalt“ begründet (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), macht diese nicht zu einer Rückführungsentscheidung. Daran ändert nichts, dass nach der deutschen Rechtslage häufig die Abschiebungsandrohung mit der die Illegalität des Aufenthalts herbeiführenden Verfügung verbunden ist (vgl. hierzu den ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 6 Abs. 6 RFRL). Art. 3 Nr. 4 RFRL umschreibt die Rückkehrentscheidung als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.“ Nach der Struktur des deutschen Aufenthaltsrechts stellt die Ausweisung hiernach aber keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 RFRL dar (so schon Urteile des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris ; Gutmann, InfAuslR 2011, 13; Westphal/ Stoppa, Report Ausländer- und Europarecht Nr. 24, November 2011 unter www.westphal-stoppa.de; a.A. Hörich, ZAR 2011, 281, 283 f.; Fritzsch, ZAR 2011, 297, 302 f.; Stiegeler, Asylmagazin 2011, 62, 63 ff.; vorl. Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010 zur einstweiligen Umsetzung der Richtlinie - Az.: M I 3 - 215 734/25, S. 3; vgl. auch Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2011 - 24 K 5524/10 - juris). Dass die Ausweisung selbst nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, macht auch folgende Überlegung deutlich: Die Richtlinie ist Teil des Programms der Union zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Mit ihr soll mitgliedstaatsübergreifend das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (aus dem gesamten Gebiet der Union) von solchen Drittstaatsangehörigen, die von vornherein oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erfüllen, vereinheitlicht und unter Wahrung der berechtigten Belange der Betroffenen und der Humanität effektiviert werden (vgl. etwa die 5. und 11. Begründungserwägung). Zugleich soll auch durch Einreiseverbote, die unionsweit Geltung beanspruchen, die vollzogene Aufenthaltsbeendigung für die Zukunft abgesichert werden (vgl. die 14. Begründungserwägung). Andererseits soll – gewissermaßen als Kehrseite des Einreiseverbots – durch dessen grundsätzliche Befristung unübersehbar den Betroffenen eine Perspektive der Rückkehr eröffnet werden. Der Zweck der Richtlinie geht jedoch nicht dahin, ein eigenständiges unionsrechtliches Instrumentarium zur Bekämpfung der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schaffen, die von Drittstaatsangehörigen ausgehen, namentlich von solchen, die bislang einen legalen Aufenthalt hatten. Der Aspekt der Wahrung bzw. Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat nur insoweit mittelbare, dort aber zentrale Relevanz, als es um die Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung geht, wie sie etwa in Art. 7 und 8 bzw. Art. 15 ff. RFRL bestimmt sind. Er ist jedoch nicht der eigentliche Geltungsgrund der Richtlinie. Ob gegebenenfalls nach der nationalen Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats eine Ausweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie darstellen kann, ist insoweit unerheblich (vgl. zu Italien EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - [El Dridi] InfAuslR 2011, 320, Rn. 50).
82 
Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass nach dem nationalen Ausländerrecht eine Ausweisung auch gegenüber solchen Ausländern erlassen werden kann, die sich bereits illegal im Mitgliedstaat aufhalten. Auch eine derartige Ausweisung stellt nicht die Illegalität fest und erlegt nicht dem Betroffenen die Ausreisepflicht auf. Die Feststellung der Illegalität und damit der bereits bestehenden Ausreisepflicht geschieht, da der Gesetzgeber kein eigenständiges Institut der „Rückkehrentscheidung“ eingeführt hat, nach dem nationalen Recht vielmehr typischerweise gerade durch die Abschiebungsandrohung – sofern nicht ausnahmsweise auf eine solche verzichtet werden darf (vgl. z.B. § 58a AufenthG); in diesem Fall wäre die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung enthält auch die nach Art 7 RFRL in einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist für eine freiwillige Ausreise (vgl. § 59 Abs. 1 a.F. sowie § 59 Abs. 1 AufenthG n.F.).
83 
Die Ausweisung ist nicht etwa deshalb als „Rückkehrentscheidung“ anzusehen, weil sie nach nationalem Recht als solche ausgestaltet wäre. Wie ausgeführt, verbindet allerdings nach der bisherigen, wie auch nach der aktuellen Rechtslage das nationale Recht in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit der Ausweisung ausdrücklich ein Einreiseverbot, das in Satz 2 zusätzlich um das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels erweitert wird. Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL ausdrücklich, dass auch in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen kann. Das nationale Recht kann danach vorsehen, dass selbst dann, wenn kein Fall des Absatzes Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL vorliegt (d.h. keine Fristsetzung in der Abschiebungsandrohung oder tatsächliche Abschiebung), in Folge einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot verhängt werden kann. Es muss sich jedoch immer noch um eine Rückkehrentscheidung handeln. Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, an die Ausweisung ein Einreiseverbot zu knüpfen, überschreitet die begrifflichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Daran ändert der Umstand nichts, dass der nationale Gesetzgeber der (irrigen) Auffassung war, mit der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 AufenthG spezifisch und ausschließlich für die Ausweisung von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch zu machen (vgl. ausdrücklich BTDrucks 17/5470, S. 39). Diese „Opt-Out-Klausel“ beträfe etwa den Abschiebungsfall des § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG; insoweit wurde aber in Bezug auf die Folgen einer Abschiebung gerade hiervon kein Gebrauch gemacht. Da die Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstellt, steht die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, nach wie vor an die Ausweisung selbst ein zunächst unbefristetes Einreiseverbot zu knüpfen, nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu noch im Folgenden).
84 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass demgegenüber unter dem Aspekt des Einreiseverbots die Abschiebungsandrohung sowie die Abschiebungsanordnung einer abweichenden und differenzierten Betrachtung bedürfen. Nach Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL gehen „Rückkehrentscheidungen“ mit einem Einreiseverbot einher, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Gemäß Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL kann in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Nach Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Art. 3 Nr. 6 RFRL definiert das Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Daraus folgt, dass spätestens mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eines „illegal aufhältigen“ Ausländers von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 RFRL) über das Einreiseverbot und dessen Dauer zu treffen ist (vgl. auch den 14. Erwägungsgrund). Mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben ist es bereits nicht zu vereinbaren, wenn § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Abschiebung selbst unmittelbar kraft Gesetzes ein Einreiseverbot knüpft. Es ist demnach unerlässlich, dass die zuständige Behörde entweder in der Rückkehrentscheidung (also etwa der Abschiebungsandrohung) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit für den unter Umständen noch nicht feststehenden Fall einer späteren Vollstreckung (vgl. Art. 11 Abs. 1 UA 1 lit. b) RFRL) von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung trifft. Spätestens jedoch mit der Anordnung der Abschiebung, ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht (vgl. GK-AufenthG, § 58 AufenthG Rn. 52 ff.), oder aber wiederum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit muss diese Entscheidung über ein Einreiseverbot und dessen Befristung getroffen werden, wobei nach Art. 11 Abs. 2 RFRL eine Befristung des Einreiseverbots die Regel ist und ein unbefristetes Verbot allenfalls ausnahmsweise erfolgen kann. Diesen Vorgaben genügt § 11 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG nicht (a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - a.a.O.). Mit der aktuellen Regelung, wonach erst später und nur auf Antrag eine Befristung vorzunehmen ist, würde das von der Richtlinie intendierte Regel-Ausnahme-Verhältnis „auf den Kopf gestellt“ und das unbefristete Einreiseverbot zunächst zum gesetzlichen Regelfall ausgestaltet. Dies lässt sich auch nicht mit einer dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie rechtfertigen (so aber Thym und Kluth in der Anhörung des Innenausschusses am 27.6.2011, Drs 17(A)282 F, S. 3 bzw. 17(4)282 A, S. 2). Denn der Rekurs auf eine dem Grundsatz nach richtigerweise anzuerkennende Verfahrensautonomie wäre hier unauflösbar widersprüchlich, weil mit der Konzeption der Richtlinie unvereinbar. Der Vorbehalt zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie reicht nur soweit, als Unionsrecht keine abweichenden bindenden Vorgaben enthält, was hier gerade der Fall ist. Diese Konzeption dient im Übrigen nicht nur den öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten und der Union (vgl. 14. Erwägungsgrund), sondern soll, wie bereits erwähnt, auch den Betroffenen sofort eine Rückkehrperspektive für die Zukunft eröffnen (oder ausnahmsweise auch deutlich machen, dass eine solche jedenfalls derzeit nicht besteht). Die Entscheidung der Behörde hat daher nach der Konzeption des Art. 11 RFRL auch von Amts wegen zu erfolgen. Dieses bereits von Anfang an festzusetzende Einreiseverbot unterliegt dann weitergehend nach Art. 11 Abs. 3 RFRL der Überprüfung und Korrektur. Demzufolge hat die Ausländerbehörde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG spätestens im Zuge der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eine Entscheidung darüber zu treffen, wie lange das Einreiseverbot gelten soll.
85 
Die hier vom Senat allein zu beurteilende Ausweisungsverfügung bleibt nach dem Vorgesagten aber hiervon unberührt.
B)
86 
Die Klage gegen die die Meldeauflage sowie die räumliche Beschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids vom 10.06.2010 ist vom Verwaltungsgericht zu Recht als zulässig angesehen worden. Beide Verfügungen stellen die gesetzlichen Pflichten des § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. § 54a Abs. 2 AufenthG konkretisierende Regelungen dar (ebenso Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.).
87 
Die Klage ist jedoch auch insoweit unbegründet. Zwar setzen beide Maßnahmen voraus, dass die Ausweisung sofort vollziehbar ist (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 29.11.2010 - 11 S 2481/10 - juris). Dementsprechend wurde auch unter Ziffer 5 des Bescheids vom 10.06.2011 die sofortige Vollziehung angeordnet, weshalb zum Zeitpunkt ihres Erlasses die Verfügung unter dem hier zu behandelnden Aspekt nicht zu beanstanden war. Allerdings wurde mit Beschluss des Verwaltungsgericht Stuttgart vom 19.11.2010 (11 K 2430/10 - juris) unter anderem die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung wiederhergestellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung nunmehr allein wegen der fehlenden Vollziehbarkeit der Ausweisung vorübergehend als rechtswidrig anzusehen wären. Denn mit Eintritt der Rechtskraft des Senatsurteils wäre die Erlassvoraussetzung der Vollziehbarkeit wieder erfüllt. Namentlich müsste in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden in einem von den Beteiligten angestrengten Revisionsverfahren das Bundesverwaltungsgericht, dessen Entscheidung mit ihrem Erlass notwendigerweise rechtkräftig wird, die Klage gegen die auf § 54a AufenthG gestützten Maßnahmen als unbegründet abweisen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung galt bzw. gilt lediglich vorläufig – bis zum Eintritt der Bestands- bzw. Rechtskraft der Ausweisung. Dies legt ein Verständnis der aufschiebenden Wirkung nahe, nach welchem auch die Folgemaßnahmen nach § 54a AufenthG vom Wiedereintritt der aufschiebenden Wirkung bis zur Rechtskraft der Entscheidung bezüglich der Ausweisung in ihrer Wirksamkeit nur vorläufig suspendiert sind, selbst wenn die aufschiebende Wirkung insoweit nicht ausdrücklich angeordnet wurde (ebenso zu vergleichbaren verwaltungsverfahrensrechtlichen Konstellationen Kopp/ Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 80 Rn. 31; Bader, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 80 Rn. 23). Schließlich würden die Meldepflicht und die räumliche Beschränkung nach § 54a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG auch ohne Konkretisierung durch einen Verwaltungsakt, wie sie hier erfolgt ist, unmittelbar mit der Vollziehbarkeit der Ausweisung kraft Gesetzes (wieder) eintreten. Weitergehende Rechtswirkungen müssen der aufschiebenden Wirkung im Interesse des Betroffenen, insbesondere aus Gründen effektiver Rechtsschutzgewährung, nicht beigemessen werden.
88 
In Anbetracht der Rechtmäßigkeit der Ausweisung und der aktuell bestehenden Gefahr weiterer Unterstützung der PKK durch den Kläger lassen sich die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden; sie verstoßen insbesondere nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
89 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 161 Abs. 2 VwGO.
90 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
91 
Beschluss
92 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 und 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
93 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht.

(3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist

1.
dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind,
2.
zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind,
3.
zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind,
4.
fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind,
5.
drei Jahre bei den übrigen Taten.

(4) Die Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht.

(3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist

1.
dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind,
2.
zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind,
3.
zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind,
4.
fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind,
5.
drei Jahre bei den übrigen Taten.

(4) Die Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.

(1) Die Tilgungsfrist beträgt

1.
fünf Jahrebei Verurteilungen
a)
zu Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen, wenn keine Freiheitsstrafe, kein Strafarrest und keine Jugendstrafe im Register eingetragen ist,
b)
zu Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist,
c)
zu Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr,
d)
zu Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes gerichtlich oder im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
e)
zu Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren, wenn ein Strafrest nach Ablauf der Bewährungszeit gerichtlich oder im Gnadenweg erlassen worden ist,
f)
zu Jugendstrafe, wenn der Strafmakel gerichtlich oder im Gnadenweg als beseitigt erklärt worden ist,
g)
durch welche eine Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 des Strafgesetzbuchs) mit Ausnahme der Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis für immer und des Berufsverbots für immer, eine Nebenstrafe oder eine Nebenfolge allein oder in Verbindung miteinander oder in Verbindung mit Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln angeordnet worden ist,
1a.
zehn Jahrebei Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i bis 184l, 201a Absatz 3, den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder § 236 des Strafgesetzbuches, wenn
a)
es sich um Fälle der Nummer 1 Buchstabe a bis f handelt,
b)
durch sie allein die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist,
2.
zehn Jahrebei Verurteilungen zu
a)
Geldstrafe und Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten, wenn die Voraussetzungen der Nummer 1 Buchstabe a und b nicht vorliegen,
b)
Freiheitsstrafe oder Strafarrest von mehr als drei Monaten, aber nicht mehr als einem Jahr, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes gerichtlich oder im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt worden und im Register nicht außerdem Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Jugendstrafe eingetragen ist,
c)
Jugendstrafe von mehr als einem Jahr, außer in den Fällen der Nummer 1 Buchstabe d bis f,
d)
(weggefallen)
3.
zwanzig Jahre bei Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mehr als einem Jahr,
4.
fünfzehn Jahrein allen übrigen Fällen.

(2) Die Aussetzung der Strafe oder eines Strafrestes zur Bewährung oder die Beseitigung des Strafmakels bleiben bei der Berechnung der Frist unberücksichtigt, wenn diese Entscheidungen widerrufen worden sind.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 Buchstabe e, Nr. 2 Buchstabe c sowie Nummer 3 und 4 verlängert sich die Frist um die Dauer der Freiheitsstrafe, des Strafarrestes oder der Jugendstrafe. In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1a verlängert sich die Frist bei einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr um die Dauer der Jugendstrafe.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. August 2013 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der jeweils zu vollstreckenden Kosten leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

2

Der am ... 1970 geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben im November 2005 ohne Reisepass und ohne Visum in das Bundesgebiet ein und gab sich zunächst als sudanesischer Staatsangehöriger aus. Das Amtsgericht Hamburg verurteilte den Kläger am 15. März 2006 wegen illegalen Aufenthalts zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen (243 Ds 81/06).

3

Mit Bescheid vom 16. März 2006 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG ab und drohte dem Kläger die Abschiebung in den Sudan an. Die hiergegen erhobene Klage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg blieb erfolglos. Seit dem 6. Juli 2006 wird der Kläger im Bundesgebiet geduldet.

4

Der Kläger hat sich im Rahmen des Asylverfahrens als sudanesischer Staatsangehöriger mit dem Namen B... ausgegeben (vgl. Bl. 229 d. Sachakte -SA-). Nachdem das Verwaltungsgericht Hamburg im April 2006 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge abgelehnt hatte, wurde die Abschiebung des Klägers vorbereitet. Im Mai 2006 (Bl. 237 f. d. SA) füllte der Kläger einen Antrag auf Ausstellung von Passersatzpapieren unter der falschen sudanesischen Identität aus, die er auch im Rahmen des Asylverfahrens angegeben hatte. Die Botschaft des Sudan schloss nach Vorführung des Klägers im Juni 2006 eine sudanesische Staatsangehörigkeit aus (Bl. 13 f. d. SA) und vermutete eine nigerianische Staatsangehörigkeit des Klägers (vgl. auch Bl. 6 f. d. SA). Der Kläger behauptete weiterhin gegenüber der Beklagten eine sudanesische Staatsangehörigkeit und stritt die nigerianische Staatsangehörigkeit ab (Bl. 4 f. d. SA). Eine Vorführung vor der nigerianischen Botschaft im Januar 2007 blieb ergebnislos, weil der Kläger auf seiner sudanesischen Staatsangehörigkeit bestand und die Beklagte keine weiteren Sachbeweise für eine nigerianische Staatsangehörigkeit vorlegen konnte, die die Ausstellung der nigerianischen Passersatzpapiere hätte begründen können (Bl. 30 d. SA); der Aufforderung, einen Reise- oder Nationalpass bei der Vorführung mitzubringen, kam der Kläger nicht nach (Bl. 22 d. SA). Mit Verfügung vom 4. September 2007 (Bl. 37 d. SA) wurde der Kläger aufgefordert, seinen Pass oder einen Passersatz bei der Beklagten zu hinterlegen, und auf seine Verpflichtungen nach § 3 AufenthG sowie seine Mitwirkungspflichten nach § 48 Abs. 3 AufenthG hingewiesen, denen der Kläger nicht fristgerecht nachkam. Im Hinblick auf die fehlende Mitwirkung des Klägers wurde zudem die Kürzung der Sozialleistungen eingeleitet (vgl. Bl. 34, 39 d. SA). Im Januar 2008 wurde der Kläger erneut auf seine Mitwirkungspflichten aus § 82 Abs. 1 AufenthG hingewiesen (Bl. 41 d. SA); der Pflicht zur Vorlage von Ausweispapieren kam er nicht fristgerecht nach. Sämtliche Duldungsverfügungen der Beklagten im Zeitraum vom 6. Juli 2006 bis zum 28. Januar 2008 enthalten den Vermerk „Personalien sind nicht nachgewiesen, sondern beruhen lediglich auf den Angaben des/der Betroffenen“ (vgl. Bl. 3, 17, 31, 39, 43 d.SA).

5

Am 23. Juni 2008 erkannte der Kläger unter dem derzeitigen Namen als nigerianischer Staatsangehöriger die Vaterschaft für die am 21. Mai 2008 geborene ghanaische Staatsangehörige K. ... an und erklärte, die elterliche Sorge gemeinsam mit der Kindesmutter, Frau X.K. ..., ausüben zu wollen. Frau X.K. ... ist außerdem Mutter des am ... 2007 geborenen deutschen Staatsangehörigen Y.K. ...

6

Mit Schreiben vom 9. Juli 2008 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Hinblick auf die familiäre Lebensgemeinschaft zu seiner Tochter K. ..., mit der er zwar nicht in einer Haushaltsgemeinschaft lebe, um die er sich jedoch kümmere. Wegen der familiären Bindung der Kindesmutter an deren deutsches Kind sei eine gemeinsame Ausreise nach Nigeria nicht zumutbar. Die Kindesmutter, die die ghanaische Staatsangehörigkeit besitze, sei zu einem solchen Schritt zudem nicht bereit. Auch stimme sie der Ausreise der gemeinsamen Tochter nach Nigeria nicht zu. Die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen ihm und seiner Tochter könne daher nur im Bundesgebiet aufrechterhalten werden. Im September 2008 legte der Kläger seinen nigerianischen Pass vor, ausgestellt am 4. September 2008.

7

Mit Verfügung vom 29. August 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Hiergegen legte der Kläger am 28. September 2012 Widerspruch ein. Ein beachtlicher Ausweisungsgrund sei nicht gegeben. Die Verurteilung wegen einer Straftat dürfe ihm nicht mehr entgegen gehalten werden, weil die fünfjährige Tilgungsfrist der Verurteilung nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 BZRG abgelaufen sei. Er sei berechtigt, den Aufenthaltstitel nach § 39 Nr. 5 AufenthV im Inland einzuholen. Auch stehe ihm ein hinreichender Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu.

8

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2012 zurück. Da der Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG abgelehnt worden sei, könne ihm eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn er einen Rechtsanspruch auf diese habe, § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 AufenthG lägen ersichtlich nicht vor. Zudem seien die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt, da wegen seiner illegalen Einreise und der Täuschung der Behörden über die wahre Identität Ausweisungsgründe nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vorlägen. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG sowie § 25 Abs. 5 AufenthG komme nicht in Betracht, da deren Erteilung jeweils im Ermessen der Ausländerbehörde stehe.

9

Der Kläger hat am 17. Dezember 2012 Klage erhoben und sein Begehren weiter verfolgt.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2012 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

12

Die Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Die angefochtenen Bescheide seien aus den darin dargelegten Gründen rechtmäßig.

15

Mit Urteil vom 20. August 2013 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die im Ermessen stehende Erteilung eines Aufenthaltstitels sei nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ausgeschlossen. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG erfülle. Denn der Kläger sei ohne das erforderliche Visum in das Bundesgebiet eingereist und auch nicht nach § 39 AufenthV berechtigt, die Aufenthaltserlaubnis im Inland einzuholen. Die somit nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG im Ermessen der Beklagten stehende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis genüge nicht den Anforderungen des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG.

16

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat mit dem Kläger am 25. März 2014 zugestelltem Beschluss die Berufung zugelassen. Mit am 25. April 2014 beim Hamburgischen Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger die Berufung begründet. Er habe seit der Geburt seiner Tochter einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 20 AEUV. Das Abschiebungshindernis ergebe sich aus der schutzwürdigen familiären Lebensgemeinschaft zu seiner Tochter. Mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses sei in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Es sei auch unverschuldet. Er sei gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV berechtigt, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen, da seine Abschiebung im Hinblick auf das bestehende Abschiebungshindernis nach § 60a AufenthG ausgesetzt sei und er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grund der Geburt seiner Tochter während seines Aufenthalts im Bundesgebiet erworben habe. Es spreche viel dafür, dass der „Soll“-Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG bzw. § 39 Nr. 5 AufenthV darstelle. Von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG sei - soweit diese nicht vorlägen - im Hinblick auf die zu schützende familiäre Lebensgemeinschaft abzusehen. Seine wirtschaftliche Situation habe sich im Laufe des Berufungsverfahrens deutlich verbessert. Er wohne für 200,00 Euro monatlich zur Miete bei Frau O. ... und beziehe keine Sozialleistungen. Nach Angaben des Klägers wohnen neben Frau O. ... auch deren vier Kinder in der Wohnung.

17

Der Kläger beantragt,

18

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 20. August 2013 sowie der Verfügung vom 29. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. November 2012 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

19

Die Beklagte beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Zur Begründung führt sie u.a. aus, dem Kläger stehe kein strikter Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu, der die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG überwinden könne. Der Kläger dürfe nicht nach § 39 Nr. 5 AufenthV eine Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einholen, weil auch diese Rechtsvorschrift einen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraussetze. Ein solcher liege bereits deshalb nicht vor, weil § 5 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 AufenthG nicht erfüllt seien, da der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert sei und der Kläger mit seiner illegalen Einreise, der Arbeit ohne Arbeitserlaubnis und der Angabe von falschen Personalien Ausweisungsgründe verwirklicht habe. Ob eine Ausnahme von dieser Regel gemacht werden könne, sei nicht zu prüfen, da eine solche Prüfung der Umstände des Einzelfalles mit dem Erfordernis eines unmittelbar aus dem Gesetz folgenden strikten Rechtsanspruchs nicht zu vereinbaren sei. Die vorgelegten befristeten Arbeitsverträge ließen vor dem Hintergrund der bisherigen Erwerbsbiographie des Klägers nicht die Prognose einer dauerhaften Sicherung des Lebensunterhalts zu.

22

Der Kläger hat unter dem 20. Juni 2014 erneut die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Zusammenlebens mit seiner Tochter beantragt. Dort hat er angegeben, einen nunmehr bis zum 4. September 2018 gültigen Pass zu besitzen.

23

Ausweislich eines Auszuges aus dem Bundeszentralregister vom 4. März 2015 sind dort keine Einträge enthalten. Nach Auskunft des Grundsicherungs- und Sozialamts Harburg vom 4. März 2015, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (vgl. Bl. 326 f. d.A.), hat der Kläger vom 11. Juli 2006 bis zum 30. September 2014 - mit Ausnahme der Monate Februar und März 2014 - Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in unterschiedlicher Höhe bezogen.

24

Der vom Kläger vorgelegte Arbeitsvertrag mit der Firma A. ... Gebäudeservice vom 25. September 2014 ist bis zum 24. September 2015 befristet. Aus dem Arbeitsverhältnis hat der Kläger im Zeitraum Oktober 2014 bis Januar 2015 monatliche Nettoeinkünfte zwischen 249,85 Euro und 411,81 Euro bezogen. Der Kläger hat weiterhin einen Arbeitsvertrag mit der Firma B. ... GmbH vom 29. September 2014 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,75 Stunden vorgelegt und hieraus in dem genannten Zeitraum monatliche Nettoeinkünfte zwischen 1.071,16 Euro und 1.193,16 Euro bezogen. Der Arbeitsvertrag war zunächst bis zum 20. Januar 2015 befristet und wurde am 21. Januar 2015 bis zum 21. Juli 2015 verlängert.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Sachakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, dass derzeit prognostisch der Lebensunterhalt des Klägers noch nicht als gesichert angesehen werden könne, da der Kläger seinen Lebensunterhalt erst seit Oktober 2014 vollständig aus eigenen Mitteln bestreite und der Arbeitsvertrag mit der Firma B. ... GmbH bis Juli 2015 befristet sei.

Entscheidungsgründe

26

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem insoweit allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG zu; das Verwaltungsgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen, vgl. § 113 Abs. 5 VwGO.

27

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG steht die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (I.) entgegen; der Kläger erfüllt jedenfalls nicht alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1, 2 AufenthG, so dass die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG schon deswegen nicht nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG überwunden werden kann (II.). Es kann daher offen bleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorliegen - insbesondere ein Abschiebungshindernis besteht - und ob ein „Soll“-Anspruch nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG einen strikten Rechtsanspruch i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG darstellt (vgl. insoweit zum Streitstand: VGH Kassel, Urt. v. 1.10.2014, 6 A 2206/13, Asylmagazin 2015, 41, juris Rn. 38 ff.).

I.

28

Dem Kläger darf gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Satz 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn ihm im Sinne der Vorschrift ein „Anspruch“ auf deren Erteilung zusteht. Denn der Asylantrag des Klägers ist nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. März 2006 - und somit nach In-Kraft-Treten der genannten Regelung zum 1. Januar 2005 (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. v. 25.8.2009, 1 C 30/08, BVerwGE 134, 335, juris) - bestandskräftig als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Vor seiner Ausreise darf dem Kläger daher ein Aufenthaltstitel nicht erteilt werden (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), es sei denn ihm steht ein Anspruch auf dessen Erteilung zu (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Unter einem Anspruch i.S.v. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein solcher liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt: BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15/14, juris Rn. 15, 19), der sich das Berufungsgericht anschließt, nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat. Eine Ermessensreduzierung „auf Null“ im Einzelfall sowie das Vorliegen eines Ausnahmefalls bezüglich einer regelhaft zu erfüllenden Tatbestandsvoraussetzung erfüllen diese Anforderungen nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15/14, juris Rn. 15, 19; Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17/09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24; Urt. v. 16.12.2008, 1 C 37/07, BVerwGE 132, 382, juris Rn. 21 ff.).

II.

29

Gemessen an diesem Maßstab steht dem Kläger kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem allein in Betracht kommenden § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG zu. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15/14, juris Rn. 11), vorliegend der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 20. März 2015. Zu diesem Zeitpunkt sind nicht alle regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1, 2 AufenthG erfüllt, denn der Lebensunterhalt des Klägers ist nicht i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert (1.) und der Kläger erfüllt nicht die Visumspflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (2.). Es kann offen bleiben, ob ein noch aktueller Ausweisungsgrund i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliegt (3.).

30

1. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist der Lebensunterhalt des Klägers nicht i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt gesichert, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, richten sich seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II. Unerheblich ist, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.4.2013, 10 C 10/12, BVerwGE 146, 198, juris Rn. 13; Urt. v. 7.4.2009, 1 C 17/08, BVerwGE 133, 329, juris Rn. 29; OVG Magdeburg, Beschl. v. 27.11.2014, 2 M 98/14, juris Rn. 10; VGH München, Beschl. v. 28.10.2014, 10 C 14.2002, juris Rn. 20; VGH München, Beschl. v. 24.4.2014, 10 ZB 14.524, juris Rn. 6; OVG Lüneburg, Beschl. v. 2.2.2011, 11 ME 441/10, juris Rn. 14 f.; OVG Bremen, Beschl. v. 15.10.2010, 1 B 172/10, juris Rn. 15; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16.2.2010, juris Rn. 3; vgl. auch: Dienelt in Renner/Bergmann/ Dienelt, AuslR, 10. Auflage 2013, § 5 AufenthG Rn. 25).

31

Zwar deckt das vom Kläger von Oktober 2014 bis Januar 2015 durchschnittlich erzielte monatliche Nettoeinkommen in Höhe von 1.520,86 Euro seinen sozialrechtlichen Unterhaltsbedarf - auch unter Einbeziehung eines ggf. höheren Mietanteils sowie der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Tochter K. ... -, so dass er in diesem Zeitraum nicht auf die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel i.S.v. § 2 Abs. 3 AufenthG angewiesen war. Das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau O. ... hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestritten und dargelegt, dass er bei Frau O. ... lediglich zur Untermiete wohne, sie jedoch nicht seine Lebenspartnerin sei. Hiervon geht das Gericht aus.

32

Zur Überzeugung des Gerichts ist derzeit jedoch (noch) nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt nachhaltig wird sichern können. Insoweit ist eine prognostische Beurteilung erforderlich, ob unter Berücksichtigung der bisherigen Erwerbsbiographie des Klägers ohne unvorhergesehene Ereignisse in Zukunft gewährleistet erscheint, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt nachhaltig ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichern kann. Die nachhaltige Sicherung des Lebensunterhalts ist danach nicht gegeben:

33

Aus dem bis zum 24. September 2015 befristeten Arbeitsverhältnis bei der Firma A. ...Gebäudeservice erzielt der Kläger monatliche Einkünfte in Höhe von ca. 400,00 Euro, die allein zur Deckung seines Lebensunterhalts nicht hinreichend sind. Das (Haupt-)Arbeitsverhältnis mit der Firma B. ... GmbH vom 29. September 2014 - auf das hieraus erzielte Einkommen ist der Kläger zur Sicherung seines Lebensunterhalts angewiesen - war zunächst bis zum 20. Januar 2015 befristet und wurde am 21. Januar 2015 bis zum 21. Juli 2015 verlängert. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sein Arbeitgeber die Dauer der Befristung auf die Dauer der dem Kläger erteilten Duldungen abgestimmt habe und durchaus bereit wäre, ihm einen längerfristigen Vertrag zu geben, wenn er einen entsprechenden Aufenthaltsstatus hätte. Diese Angaben hat der Kläger jedoch nicht durch eine entsprechende schriftliche Mitteilung seines Arbeitgebers belegt.

34

Selbst wenn eine solche Bestätigung des Arbeitgebers vorläge, könnte vor dem Hintergrund der bisherigen Erwerbsbiographie des Klägers prognostisch nicht angenommen werden, dass sein Lebensunterhalt hinreichend sicher ist. Aus der vom Grundsicherungs- und Sozialamt Harburg dem Berufungsgericht am 4. März 2015 übermittelten Übersicht (Bl. 326 d.A.) geht hervor, dass der Kläger mit Ausnahme der Monate Februar und März 2014 von Juli 2006 bis September 2014 durchgängig Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in unterschiedlicher Höhe bezogen hat. Jedenfalls seit Ende August 2011 war dem Kläger die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet (vgl. Duldung vom 30.8.2011, Bl. 302 d. SA). Dem Kläger ist es demnach bis einschließlich September 2014 nicht möglich gewesen, seinen Lebensunterhalt nachhaltig zu sichern, obwohl ihm seit September 2011 die Aufnahme von Erwerbstätigkeit gestattet war. Demnach war der Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nach mehreren Jahren der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel - mit Ausnahme der Monate Februar und März 2014 - erst seit lediglich 6 Monaten befristet in hinreichendem Umfang beschäftigt. Die derzeitige Befristung des Arbeitsverhältnisses bei der Firma B. GmbH wird bereits im Juli 2015 - und somit während der Dauer der von ihm begehrten Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) - auslaufen. Auf der Grundlage der Erklärung des Klägers kann nicht sicher angenommen werden, dass das Arbeitsverhältnis verlängert werden wird. Der Erklärung ist zu entnehmen, dass der Arbeitgeber es als notwendig ansieht, dass der Kläger für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses eine Duldung bzw. einen Aufenthaltstitel nachweist. Eine rechtlich verbindliche Zusage über die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bei Vorliegen eines entsprechenden Aufenthaltsstatus ist darin nicht enthalten. Gerade im Bereich der befristeten, vielfach nachgefragten Beschäftigungen, die eine geringe berufliche Qualifikation erfordern - wie die Tätigkeit als Reinigungskraft, die der Kläger ausübt -, ist der schnelle Wechsel von Arbeitskräften üblich.

35

Auch vor dem Hintergrund der bisherigen Erwerbsbiographie des Klägers ist eine nachhaltige Sicherung des Lebensunterhalts noch nicht gegeben. Denn selbst unter Berücksichtigung der derzeitigen Vertragslaufzeit bis Ende Juli 2015 würde die Dauer des Arbeitsverhältnisses noch nicht einmal ein Jahr umfassen. Diese Zeitspanne der Erwerbstätigkeit ist angesichts des Umstands, dass der Kläger zuvor mehr als 3 Jahre öffentliche Mittel in Anspruch genommen hat, obwohl ihm eine Arbeitsaufnahme möglich war, nicht hinreichend verlässlich. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Ausländer ein zentrales Anliegen der aufenthaltsrechtlichen Regelungen ist. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Beschäftigungsdauer auch nicht den Anforderungen der Beklagten aus der Fachanweisung Nr. 1/2014 [dort unter A. I. 1.a)aa) Seite 5] entspricht, wonach eine positive Prognose der Sicherung des Lebensunterhalts nur getroffen werden kann, wenn das (befristete) Beschäftigungsverhältnis „seit mindestens einem Jahr bei demselben Arbeitgeber besteht und fortdauert“.

36

2. Der Kläger erfüllt auch nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da er ohne Visum eingereist ist. Soweit hiervon im Ermessenswege nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden kann, liegt kein Anspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vor.

37

Der Kläger ist nicht nach § 39 Nr. 5 AufenthV unter Absehen vom Visumserfordernis des § 5 Abs. 2 AufenthG berechtigt, die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einzuholen. § 39 Nr. 5 AufenthV setzt u.a. voraus, dass der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Ebenso wie im Rahmen des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist ein „Anspruch“ i.S.v. § 39 Nr. 5 AufenthV grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch, der nur dann vorliegt, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15/14, juris Rn. 15). Diese Voraussetzung ist jedenfalls im Hinblick auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts nicht erfüllt; insoweit wird auf die Ausführungen unter II. 1. Bezug genommen. Daher kann offen bleiben, ob der Kläger die weiteren Voraussetzungen des § 39 Nr. 5 AufenthV erfüllt.

38

3. Es bedarf danach keiner abschließenden Klärung mehr, ob auch die regelhafte Tatbestandsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - Nichtvorliegen eines Ausweisungsgrundes - nicht erfüllt ist, wofür vieles spricht. Zwar darf die der Verurteilung des Amtsgerichts Hamburg vom März 2006 zugrunde liegende Straftat gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 BZRG nicht mehr als Ausweisungsgrund berücksichtigt werden. Der Kläger hat aber darüber hinaus von April 2006 bis September 2008 jedenfalls gegen seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten aus §§ 48 Abs. 3 und 49 Abs. 2 AufenthG verstoßen, indem er die Ausstellung von Passersatzpapieren auf eine falsche Identität und Nationalität beantragte, gegenüber der sudanesischen und nigerianischen Botschaft sich auf eine falsche Identität und Nationalität berief und trotz mehrfacher Aufforderung durch die Beklagte keinen Pass bzw. keine Passersatzpapiere vorlegte, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, jedenfalls einen Pass zu erlangen. Zugleich hat der Kläger damit zu seiner Identität und Staatsangehörigkeit bis zum Juli 2008 vorsätzlich unrichtige und unvollständige Angaben gemacht, um eine Duldung zu erhalten, wodurch er den Straftatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirklicht haben dürfte.

39

Allerdings ist erforderlich, dass der Ausweisungsgrund aktuell noch vorliegt und verwertbar ist; es muss gegenwärtig noch eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland vorliegen. Es spricht einiges dafür, dass dies hier noch der Fall ist, obwohl die Vorlage des Passes im September 2008 nunmehr 6 ½ Jahre zurückliegt und die Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG inzwischen nicht mehr verfolgt werden kann, weil die fünfjährige (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) Verfolgungsverjährungsfrist abgelaufen ist. Insoweit verbietet sich eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 1 BZRG (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.1.2002, 1 C 6/01, BVerwGE 115, 352, juris Rn. 22; VGH Mannheim, Urt. v. 7.12.2011, 11 S 897/11, DVBl. 2012, 194, juris Rn. 62 ff.; OVG Hamburg, Beschl. v. 18.6.2010, 3 Bs 2/10, InfAuslR 2011, 193, juris Rn. 36 ff.; vgl. auch zum Waffenrecht: BVerwG, Urt. v. 26.3.1996, 1 C 12/95, BVerwGE 101, 24, juris Rn. 19). Hieraus folgt jedoch nicht, dass eine nicht abgeurteilte Straftat zeitlich unbegrenzt einen Ausweisungsgrund i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG darstellt. Vielmehr ist die gesetzliche Wertung des § 51 Abs. 1 BZRG, nach einem gewissen Zeitablauf die Eingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen, zu berücksichtigen, so dass eine nicht abgeurteilte Straftat jedenfalls dann nicht mehr als Ausweisungsrund zu berücksichtigen sein dürfte, wenn im Falle einer Verurteilung bereits die Tilgungsreife eingetreten wäre (vgl. zum Waffenrecht: BVerwG, Urt. v. 26.3.1996, 1 C 12/95, BVerwGE 101, 24, juris Rn. 20). Im Rahmen der demnach vorzunehmenden Wertung dürften vorliegend die Dauer und das Gewicht der Straftat zu berücksichtigen sein. Das Gewicht der general- bzw. spezialpräventiven Gründe einer Ausweisung wegen der Verwirklichung einer Straftat kann zudem durch eine gelungene Integration des Ausländers in das Bundesgebiet gemindert werden. Es spricht einiges dafür, dass nach diesen Maßstäben der Ausweisungsgrund vorliegend als noch aktuell anzusehen ist. Das bedarf aber – wie ausgeführt – keiner abschließenden Klärung.

III.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Ein Grund, die Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO zuzulassen, besteht nicht.

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

Die Frist beginnt mit dem Tag des ersten Urteils (§ 5 Abs. 1 Nr. 4). Dieser Tag bleibt auch maßgebend, wenn

1.
eine Gesamtstrafe oder eine einheitliche Jugendstrafe gebildet,
2.
nach § 30 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes auf Jugendstrafe erkannt wird oder
3.
eine Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren ergeht, die eine registerpflichtige Verurteilung enthält.

(1) Die Tilgungsfrist beträgt

1.
fünf Jahrebei Verurteilungen
a)
zu Geldstrafe von nicht mehr als neunzig Tagessätzen, wenn keine Freiheitsstrafe, kein Strafarrest und keine Jugendstrafe im Register eingetragen ist,
b)
zu Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist,
c)
zu Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr,
d)
zu Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes gerichtlich oder im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
e)
zu Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren, wenn ein Strafrest nach Ablauf der Bewährungszeit gerichtlich oder im Gnadenweg erlassen worden ist,
f)
zu Jugendstrafe, wenn der Strafmakel gerichtlich oder im Gnadenweg als beseitigt erklärt worden ist,
g)
durch welche eine Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 des Strafgesetzbuchs) mit Ausnahme der Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis für immer und des Berufsverbots für immer, eine Nebenstrafe oder eine Nebenfolge allein oder in Verbindung miteinander oder in Verbindung mit Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln angeordnet worden ist,
1a.
zehn Jahrebei Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 180a, 181a, 182 bis 184g, 184i bis 184l, 201a Absatz 3, den §§ 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder § 236 des Strafgesetzbuches, wenn
a)
es sich um Fälle der Nummer 1 Buchstabe a bis f handelt,
b)
durch sie allein die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist,
2.
zehn Jahrebei Verurteilungen zu
a)
Geldstrafe und Freiheitsstrafe oder Strafarrest von nicht mehr als drei Monaten, wenn die Voraussetzungen der Nummer 1 Buchstabe a und b nicht vorliegen,
b)
Freiheitsstrafe oder Strafarrest von mehr als drei Monaten, aber nicht mehr als einem Jahr, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes gerichtlich oder im Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt worden und im Register nicht außerdem Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Jugendstrafe eingetragen ist,
c)
Jugendstrafe von mehr als einem Jahr, außer in den Fällen der Nummer 1 Buchstabe d bis f,
d)
(weggefallen)
3.
zwanzig Jahre bei Verurteilungen wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu einer Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe von mehr als einem Jahr,
4.
fünfzehn Jahrein allen übrigen Fällen.

(2) Die Aussetzung der Strafe oder eines Strafrestes zur Bewährung oder die Beseitigung des Strafmakels bleiben bei der Berechnung der Frist unberücksichtigt, wenn diese Entscheidungen widerrufen worden sind.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 Buchstabe e, Nr. 2 Buchstabe c sowie Nummer 3 und 4 verlängert sich die Frist um die Dauer der Freiheitsstrafe, des Strafarrestes oder der Jugendstrafe. In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1a verlängert sich die Frist bei einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr um die Dauer der Jugendstrafe.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 8. Dezember 2004 - 2 K 1469/03 - geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1. April 2003 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Freiburg vom 3. Juli 2003 verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt eine Aufenthaltserlaubnis zur Wahrnehmung des Sorgerechts für seine Tochter S. und des Umgangsrechts für seine Tochter E..
Der 1979 in Benin geborene Kläger reiste im November 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte unter der falschen Identität K. S. aus Togo erfolglos seine Anerkennung als Asylberechtigter. Das Verfahren ist durch das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 28.03.2002 - A 1 K 10842/00 - abgeschlossen. Im Anschluss an das Asylverfahren wurde der Kläger geduldet.
Mit Schreiben vom 13.09.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge für seine am 06.09.2002 geborene Tochter S., für die er gemeinsam mit deren Mutter die elterliche Sorge übernommen hatte. Gleichzeitig legte er Kopien seines beninischen Passes vor. Seine Tochter S. lebt entsprechend einer Absprache zwischen der Mutter des Kindes und dem Kläger bei ihrer Großmutter mütterlicherseits in Pforzheim. Der Kläger lebt und arbeitet als Zeitungszusteller in Lahr.
Mit Bescheid vom 01.04.2003 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung ab, er übe nicht die Personensorge für seine Tochter S. aus. Da das Kind bei seiner Großmutter in Pforzheim aufwachse und sich der Umgang des Klägers mit seiner Tochter auf telefonische Nachfragen und gelegentliche Besuche beschränke, liege keine Betreuungsgemeinschaft, sondern nur eine Begegnungsgemeinschaft vor. Diese könne auch vom Ausland aus ausgeübt werden.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Freiburg unter Bezugnahme auf die Gründe des Ausgangsbescheides mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2003 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde am 08.07.2003 zugestellt.
Am 08.08.2003 hat der Kläger Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihm die beantragte Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Die Klage wurde nicht begründet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wurde der Kläger angehört. Dabei gab er an, er besuche S. an den beiden ersten Sonntagen im Monat in Pforzheim. Er halte sich dort jeweils etwa zwei Stunden, gegebenenfalls auch etwas länger, auf. Meistens spiele er mit S.. In der Regel seien auch noch andere Kinder sowie die Großmutter des Kindes anwesend. Außerdem erkundige er sich telefonisch bei der Großmutter nach dem Befinden des Kindes. Er zahle keinen laufenden Unterhalt, sondern steuere je nach seiner finanziellen Situation etwas Geld bei. Es handele sich nicht um regelmäßige Leistungen, durchschnittlich seien es jedoch zwischen 40,-- und 50,-- EUR pro Monat. Die Mutter seiner Tochter sei nicht anwesend, wenn er sie besuche. Die Mutter wohne auch nicht bei der Großmutter und habe auch sonst wenig Kontakt zum Kind. Die Großmutter wolle nicht, dass er das Kind häufiger als zweimal pro Monat besuche, obwohl er mit dem Auto mittlerweile auch viermal im Monat nach Pforzheim fahren könne. Mit S. spreche er deutsch.
Mittlerweile habe er ein weiteres Kind, die am 14.12.2003 geborene E.. Sie wachse bei Pflegeeltern in Lahr auf. Für E. habe er nicht das Sorgerecht, sondern lediglich ein Besuchsrecht. Mit seinem Antrag, ihm das Sorgerecht für E. übertragen zu lassen, sei er vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe gescheitert. Seit der Entscheidung des Oberlandesgerichts wollten die Pflegeeltern nicht mehr, dass er Kontakt mit dem Kind aufnehme. Deshalb habe er seit einigen Monaten keinen Kontakt mehr.
Das Verwaltungsgericht Freiburg hat die Klage mit Urteil vom 08.12.2004 - 2 K 1469/03 - abgewiesen: Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG zur Ausübung der Personensorge für seine deutsche Tochter S. könne er nicht beanspruchen, weil es an der erforderlichen Beistandgemeinschaft fehle. Es bestehe keine über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausgehende Beziehung zu seiner Tochter. Denn diese werde im Einverständnis mit dem Kläger von ihrer Großmutter erzogen. Der Kläger besuche sie lediglich an zwei Sonntagen im Monat und halte telefonischen Kontakt. Er komme auch nicht in nennenswerter Höhe für den Unterhalt des Kindes auf. Für den Fall einer Abschiebung ändere sich an der Betreuungssituation nichts. Die Gefahr, dass das Kind in diesem Fall Schaden nehmen könnte, bestehe nicht, da die Verbundenheit zwischen dem Kläger und seinem Kind infolge der wenigen Besuche nicht so groß sei.
Auch im Hinblick auf seine weitere deutsche Tochter E. stehe ihm kein Aufenthaltsrecht zu. Denn es fehle an der nach § 23 Abs. 1 Halbsatz 2 AuslG erforderlichen familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet. Das Kind lebe bei Pflegeeltern in Lahr und der Kläger übe nicht einmal ein Besuchsrecht aus. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis folge auch nicht aus § 22 Satz 1 i.V.m. § 23 Abs. 4 AuslG, denn es fehle an der nach § 22 Satz 1 AuslG erforderlichen außergewöhnlichen Härte für einen der Beteiligten, da nicht einmal eine Begegnungsgemeinschaft bestehe. Schließlich lägen auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG nicht vor.
10 
Gegen dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom 04.04.2006 - 11 S 363/05 - auf Antrag des Klägers die Berufung zugelassen. Der Beschluss wurde am 18.04.2006 zugestellt
11 
Der Kläger hat die Berufung am 18.05.2006 - ergänzend zu seinem bisherigen Vortrag - wie folgt begründet: Er habe mit den Pflegeeltern von E. sowie dem Amt für Soziale und Psychologische Dienste des Landratsamts Ortenaukreis (im Folgenden: Sozialamt des Ortenaukreises) eine Vereinbarung über einen einmaligen Besuchskontakt pro Monat zwischen ihm und E. in einem Raum der psychologischen Beratungsstelle getroffen. Aufgrund der regelmäßigen Besuche sowohl bei E. als auch bei S. habe sich zu beiden Kindern eine verantwortungsvolle Vater-Kind-Beziehung entwickelt. Es bestehe eine enge emotionale Verbundenheit der Kinder zu ihm. Eine Trennung wäre schädlich. Obwohl er wegen seines geringen Verdienstes zu Unterhaltszahlungen nicht verpflichtet sei, versuche er seine Tochter S. sowie deren Großmutter zu unterstützen und zahle unregelmäßige Unterhaltsbeiträge zwischen 50,-- und 100,-- EUR. Er habe S. einen Roller und ein Laufrad nebst Zubehör geschenkt und habe das Bett für S. mit 200,-- EUR mit finanziert. S. nenne ihn D. oder D.-Papa. Bei den Besuchen spiele er mit S. im Kinderzimmer. Sie freue sich, wenn er komme. Auch nach Auffassung der Mitarbeiterin des Jugendamtes der Stadt Pforzheim sei der Kontakt zwischen S. und ihm unverzichtbar, damit S. immer wisse, woher sie komme. Im Falle einer Ausreise würden ihn beide Töchter vermissen und in ihrer Entwicklung und Identitätsfindung dauerhaft stark beeinträchtigt werden, weil ihnen nicht plausibel erklärt werden könne, warum ihr Vater nicht mehr komme.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 08.12.2004 - 2 K 1469/03 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 01.04.2003 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 03.07.2003 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen zu erteilen sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
14 
Die Beklagte beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Sie führt aus, der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG stehe bereits § 10 Abs. 3 AufenthG entgegen. Denn der Anspruch nach § 28 Abs. 1 AufenthG reduziere sich gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu einer Ermessensentscheidung, weil ein Ausweisungsgrund vorliege. Da der Kläger sein Asylverfahren unter falschen Personalien betrieben habe, erfülle er den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG. Es handele sich um einen Regelfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, denn die Verwendung von Falschidentitäten sei bei schwarzafrikanischen Staatsangehörigen mittlerweile zu einem Massendelikt geworden.
17 
Der Senat hat zu dem Kontakt des Klägers zu seinen Töchtern Auskünfte des Sozialamtes des Ortenaukreises und des Amtes für Jugend und Familie der Stadt Pforzheim (im Folgenden: Jugendamt der Stadt Pforzheim) eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schreiben des Sozialamtes des Ortenaukreises vom 22.01.2007 und des Jugendamtes der Stadt Pforzheim vom 06.03.2007 verwiesen.
18 
Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Ausländerakten der Beklagten, die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums Freiburg sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Freiburg vor. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt dieser Akten und der Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
19 
Der Senat entscheidet nach dem Widerruf des in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2007 geschlossenen Vergleichs über die Berufung mit Zustimmung der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
I.
20 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie wurde insbesondere gemäß § 124a Abs. 6 VwGO fristgerecht und entsprechend den formellen Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO begründet.
II.
21 
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, denn er hat Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zur Ausübung der Personensorge für seine deutsche Tochter S. (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Keiner Entscheidung bedarf, ob dem Kläger auch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter E. zusteht.
22 
1. Über den von dem Kläger ursprünglich gestellten Antrag auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG für ausländische Familienangehörige Deutscher ist auf der Grundlage des zum 01.01.2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I, S. 1970), zu entscheiden. Denn nach § 104 Abs. 1 AufenthG sind die Vorschriften des bis zum 31.12.2004 geltenden Ausländergesetzes nur auf vor dem 01.01.2005 gestellte Anträge auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis anzuwenden. An die Stelle des bisher begehrten Aufenthaltstitels tritt der diesem nach Aufenthaltszweck und Sachverhalt (vgl. § 101 Abs. 1 und 2 AufenthG) entsprechende Aufenthaltstitel des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.
23 
2. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis setzt darüber hinaus nach § 27 Abs. 1 AufenthG eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem ausländischen Elternteil und dem minderjährigen deutschen Kind voraus. Denn § 27 Abs. 1 AufenthG enthält den für sämtliche Aufenthaltstitel des Abschnitts 6 des Aufenthaltsgesetzes geltenden Grundsatz, dass die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt wird. Der ausländische Elternteil muss daher das Personensorgerecht für ein minderjähriges deutsches Kind nicht nur besitzen, sondern es auch tatsächlich zum Wohl des Kindes ausüben. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
24 
Dem Kläger obliegt die elterliche Sorge für seine in Pforzheim lebende Tochter S., nachdem er am 22.08.2002 gemeinsam mit der Mutter des Kindes eine Sorgeerklärung nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1, § 1626b Abs. 2 BGB abgegeben hat. Zwischen ihm und seiner Tochter S. besteht auch eine familiäre Lebensgemeinschaft. Er nimmt seine Elternverantwortung, soweit es ihm die äußeren Umstände erlauben, zuverlässig wahr, hat regelmäßigen Kontakt mit S. und trägt seinen Möglichkeiten entsprechend zum Unterhalt des Kindes bei. Nach den übereinstimmenden und nicht bestrittenen Angaben der Großmutter seiner Tochter und auch der zuständigen Mitarbeiterin des Jugendamtes der Stadt Pforzheim besucht der Kläger seine Tochter an zwei Sonntagen im Monat, beteiligt sich regelmäßig mit ca. 50,-- EUR am Unterhalt und bespricht sich mit der Großmutter seiner Tochter in Erziehungsfragen. Auch hat er seiner Tochter in Absprache mit der Großmutter einen Roller und ein Fahrrad gekauft. Zwar wohnt er von seiner Tochter weit entfernt. Dies liegt jedoch daran, dass er eine Arbeitsstelle in Lahr besitzt, während seine Tochter bei der Großmutter in Pforzheim lebt. Außerdem hat der Kläger ein weiteres uneheliches Kind, seine Tochter E., die in Lahr bei Pflegeeltern lebt und die er - zumindest in der Vergangenheit - einmal im Monat besuchen konnte. Trotz der weiten Entfernung kommt er seiner Elternverantwortung nach. Denn er nimmt die ihm eingeräumten Möglichkeiten zum Umgang mit seiner Tochter zuverlässig wahr und bringt sich im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zum Wohl seiner Tochter in die Erziehung ein. Vor dem Hintergrund dieser Lebenssituation und der reservierten Haltung der Großmutter von S. gegenüber Besuchen des Klägers sind daher seine Erziehungs- und Betreuungsleistungen trotz des eher geringen zeitlichen Umfangs des persönlichen Kontakts als nicht unerheblich einzustufen. Auch der Tatsache, dass er seinen ursprünglich gestellten Antrag auf Umverteilung nicht weiterbetrieben hat, kommt in dieser Situation keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
25 
Die Ausübung der Personensorge durch den Kläger entspricht auch dem Wohl seiner Tochter. Nach Angaben des Klägers nennt diese ihn „D.“ oder „D.-Papa“ und freut sich, wenn er kommt. Nach Auffassung des Jugendamtes ist der regelmäßige Kontakt des Klägers für die Persönlichkeitsentwicklung und Identifikationsfindung seiner Tochter wichtig, da sie nur über ihren Vater die Verbindung zur Familie väterlicherseits und deren kulturellen Wurzeln haben könne. Mit zunehmendem Alter werde diese Bedeutung noch gewichtiger werden, da sie schon aufgrund ihrer Hautfarbe ihre Andersartigkeit gegenüber der Familie ihrer Mutter erkennen werde. Ausgehend von der Prämisse des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 08.12.2005 (- 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122, 125), wonach in der Regel der persönliche Kontakt der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient und es beide Eltern braucht, sind im Fall des Klägers keine Umstände ersichtlich, dass dem Kindeswohl auch dann Genüge getan wäre, wenn der Kläger sich in seinem Heimatstaat Benin aufhalten würde. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass bei einer Ausreise des Klägers schon wegen der großen Entfernung zwischen Deutschland und Benin der Abbruch des persönlichen Kontakts drohen würde.
26 
In der Stellungnahme des Jugendamtes der Stadt Pforzheim vom 06.03.2007 ist allerdings die Rede davon, dass die Großmutter seiner Tochter den Eindruck habe, dass S. nach den Besuchen völlig durcheinander sei und Angst habe, dass sie von ihrer Großmutter weg müsse, da der Kläger sage, dass er sie zu sich holen werde. Dabei ist jedoch in Rechnung zu stellen, dass die Besuchskontakte mit Schwierigkeiten verbunden sind, da die Großmutter nach Aussage des Jugendamtes dem Kontakt mit dem Kläger eher reserviert gegenüber steht und sich dies auch auf das Kind übertragen dürfte. Das Jugendamt geht aber jedenfalls davon aus, dass S. eine Beziehung zu ihrem Vater hat und er eine bedeutende Rolle in ihrem Leben spielt. Auf Seiten des Klägers sieht das Jugendamt ein Bemühen, trotz der erschwerten Bedingungen bei den Besuchen im Haushalt der Großmutter und bei den Telefonaten eine Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen. Der Kläger zeige im Gespräch ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Bedürfnisse des Kindes. Es werde deutlich, dass ihm das Wohlergehen seiner Tochter am Herzen liege und er bereit sei, Verantwortung zu übernehmen.
27 
3. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG sind ebenfalls erfüllt. Es liegt zwar ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Dies steht dem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gleichwohl nicht entgegen, weil ein Ausnahmefall vorliegt.
28 
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger allerdings nicht gegen § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG verstoßen. Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer entgegen § 49 Abs. 1 AufenthG eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht. Nach § 49 Abs. 1 AufenthG ist jeder Ausländer verpflichtet, gegenüber den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden auf Verlangen unter anderem die erforderlichen Angaben zu seinem Alter, seiner Identität und Staatsangehörigkeit zu machen. Der Kläger hat zwar sein Asylverfahren unter falschen Personalien geführt. Die Vorschriften des § 49 Abs. 1 und des § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG wurden jedoch erst durch das am 01.01.2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz geschaffen und hatten keine Vorläuferregelungen im Ausländergesetz (vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 15/420 S. 88 zu § 49 Abs. 1 und S. 98 zu § 95 Abs. 1 Nr. 5). Da nach § 1 StGB eine Tat aber nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde und der Kläger noch vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit offenbart hat, kann er sich nicht nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG strafbar gemacht haben.
29 
b) Der Kläger hat jedoch den Straftatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung nach § 271 Abs. 1 StGB verwirklicht. Denn aufgrund seiner falschen Angaben zu seiner Identität und seiner Staatsangehörigkeit wurde ihm eine Aufenthaltsgestattung mit falschen Personalien ausgestellt. Nach § 271 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer die Beurkundung eines unwahren Sachverhalts in einer öffentlichen Urkunde gleichsam als mittelbarer Täter herbeiführt. Die Aufenthaltsgestattung stellt eine öffentliche Urkunde i.S.d. § 271 Abs. 1 StGB dar (BGH, Urteil v. 16.04.1996 - 1 StR 127/96 -, NJW 1996, 2170; Brandenb. OLG, Beschluss vom 06.12.2001 - 2 Ss 19/01 -, Juris). Die Eintragung der falschen Personalien hat der Kläger durch seine Angaben bewirkt. Nach dem negativen Abschluss des Asylverfahrens wurde der Kläger geduldet und ihm wurden entsprechende Bescheinigungen ausgestellt. Auch diese waren öffentliche Urkunden (vgl. dazu AG Bremen, Urteil vom 23.01.2003 - 87 (72) Ds 290 Js 15959/02 - juris) und lauteten - auf Veranlassung des Klägers - auf die falschen Personalien. Der Verstoß gegen § 271 Abs. 1 StGB stellt einen Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG dar. Nach dieser Vorschrift ist eine strafrechtliche Verurteilung nicht erforderlich; es genügt ein nicht nur vereinzelter geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften. Ob es sich im strafrechtlichen Sinn um einen Verstoß gegen § 271 Abs. 1 StGB und damit um ein vereinzeltes Delikt im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG handelt, bedarf keiner Entscheidung. Er ist jedenfalls nicht geringfügig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich nicht geringfügig (BVerwG, Urteil vom 05.05.1998 - 1 C 17/97 -, InfAuslR 1998, 383, 385; Urteil vom 24.09.1996 - 1 C 9/94 -, InfAuslR 1997, 63). Von einer Vorsatztat ist im Fall des Klägers auszugehen. Allerdings kann auch bei einer vorsätzlich begangenen Straftat ausnahmsweise ein Ausweisungsgrund zu verneinen sein, wenn besondere Umstände des Einzelfalls zu der Bewertung führen, dass es sich um einen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften handelt (BVerwG, Urteil vom 18.11.2004 - 1 C 23/03 -, NVwZ 2005, 601). Solche besonderen Umstände, die die Annahme der Geringfügigkeit rechtfertigen könnten, vermag der Senat im Fall des Klägers jedoch nicht zu erkennen. Der Kläger hat über einen Zeitraum von fast drei Jahren die zuständigen Behörden über seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht. Außerdem weisen weder die Umstände der Tat noch die Tatbegehung selbst Besonderheiten auf, die zugunsten des Klägers gewertet werden könnten.
30 
c) Ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG liegt im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bereits dann vor, wenn der Tatbestand einer Ausweisung erfüllt ist. Es ist nicht erforderlich, dass die Ausweisung auch tatsächlich verfügt werden könnte (BVerwG, Urteil vom 16.07.2002 - 1 C 8.02 -, NVwZ 2003, 217, 219). Der Ausweisungsgrund ist trotz der Tatsache, dass der Kläger bereits im September 2002 seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit offenbart hat, noch nicht verbraucht. Der bloße Zeitablauf reicht grundsätzlich für einen Verbrauch nicht aus. Der Gesichtspunkt des Verbrauchs eines Ausweisungsgrundes ist mit dem Gedanken der Verwirkung vergleichbar. Dieser erfordert sowohl ein Zeitmoment als auch ein Umstandsmoment, d.h. neben den Zeitablauf müssen zusätzliche Umstände treten, aus denen der Betroffene berechtigterweise den Schluss ziehen darf, die Behörde werde von ihren Befugnissen keinen Gebrauch (mehr) machen. Zudem muss der Betroffene darauf vertraut haben, dass die Befugnis nicht mehr ausgeübt wird (st. Rspr. vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 12.07.2006 - 8 B 14/06 - juris). Aus diesem Grund ist der Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 04.03.2002 (- 12 UE 203/02 -, AuAS 2002, 172, 173 f.) nicht zu folgen, wonach bereits eine Zeitspanne von etwas mehr als zwei Jahren ausreicht, um von einem Verbrauch des Ausweisungsgrundes auszugehen (vgl. Senatsurteil vom 18.04.2007 - 11 S 1034/06 -). Umstände, aus denen der Kläger hätte schließen können, sein Verhalten werde folgenlos bleiben, liegen nicht vor. Die Ausländerbehörde hat insbesondere keinen Aufenthaltstitel in Kenntnis des strafbaren Verhaltens des Klägers erteilt.
31 
d) Offen bleiben kann, ob der Rechtsverstoß des Klägers noch verwertbar ist. Denn es liegt jedenfalls eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Geschehensverlauf im Fall des Klägers so sehr vom gesetzlich vorgesehenen Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abweicht, dass er das ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelerteilungsvoraussetzung beseitigt.
32 
Zur Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem Regel- oder einem Ausnahmefall nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auszugehen ist, kann die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG herangezogen werden (so auch Bäuerle in GK-AuslR, § 5 Rn 26; nicht eindeutig: Jakober in Jakober/Welte, Akt. AuslR, § 5 AufenthG Rn. 21 und 25). § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG enthielt zwar einen Regelversagungsgrund für solche Aufenthaltstitel, deren Erteilung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde stand, während § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Regelerteilungsvoraussetzung für sämtliche Aufenthaltstitel des Aufenthaltsgesetzes normiert. Durch das Inkrafttreten des § 5 Abs. 2 AufenthG ist aber keine völlig neue Rechtslage geschaffen worden, die einen Rückgriff auf die Rechtsprechung zu § 7 Abs. 2 AuslG von vornherein ausschlösse. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 15/420 S. 69 f. zu § 5) sollten durch § 5 AufenthG vielmehr die für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern geltenden Grundentscheidungen der Erteilungs- und Versagungsvorschriften der §§ 6 bis 9 AuslG in vereinfachter Form zusammengefasst werden. Der im Verhältnis zu § 7 Abs. 2 AuslG weitere Anwendungsbereich und die durch § 5 Abs. 1 AufenthG ausgelöste Änderung der Beweislastverteilung berühren nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Regel- oder ein Ausnahmefall vorliegt. Die bisherigen Entscheidungskriterien können weiterhin herangezogen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts waren Regelfälle im Sinne des § 7 Abs. 2 AuslG dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterschieden. Ausnahmefälle zeichneten sich dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf aus, der so bedeutsam war, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigte (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 31.01.1997 - 1 B 262/96 -, Buchholz 402.240 § 7 AuslG 1990 Nr. 7). Diese abstrakte Definition lässt sich auf das Regel-/Ausnahmeverhältnis des § 5 Abs. 1 AufenthG übertragen. Dagegen spricht nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht in einer früheren Entscheidung (Urteil vom 29.07.1993 - 1 C 25/93 -, NVwZ 1994, 381, 383) hervorgehoben hat, dass § 7 Abs. 2 AuslG die Versagung, nicht aber die Verpflichtung zur Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung regele (vgl. auch VG Stuttgart, Urteil vom 05.04.2005 - 12 K 521/96 - juris). Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls waren nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts in dieser Entscheidung dann erfüllt, wenn ein atypischer Geschehensverlauf vorlag, der so bedeutsam war, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigte, nicht aber - wie teilweise in der Literatur vertreten wurde -, wenn besondere Gründe für einen weiteren Aufenthalt des Ausländers sprachen. Damit machte das Bundesverwaltungsgericht jedoch nur deutlich, dass bei der Prüfung eines Ausnahmefalls die gesetzliche Zielsetzung des Regelfalls zugrunde zu legen ist. Die in seinem Urteil vom 31.01.1997 (a.a.O.) verwendete offenere Formulierung lässt sich daher - unter Berücksichtigung der geänderten Zielsetzung - ohne weiteres für die Beurteilung eines Regel- oder Ausnahmefalls nach § 5 Abs. 1 AufenthG heranziehen.
33 
Im Fall des Klägers liegt ein atypischer Geschehensverlauf im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, der es rechtfertigt, ausnahmsweise von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen. Dabei ist ausschlaggebend, dass der Kläger wegen des Verstoßes gegen § 271 Abs. 1 StGB strafrechtlich nicht belangt wurde und mittlerweile wohl auch nicht mehr belangt werden könnte, weil Verfolgungsverjährung eingetreten sein dürfte. Für eine mittelbare Falschbeurkundung, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht ist, beträgt die Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre, gerechnet ab der Beendigung der Tat (§ 78a StGB). Die Tat dürfte am 20.06.2002, dem Tag der letztmaligen Verlängerung der auf die falschen Personalien lautenden Duldung beendet gewesen sein. Dass der Kläger nach diesem Datum von der Duldungsbescheinigung im Sinne des § 271 Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht hat, lässt sich nicht feststellen. Legt man den 20.06.2002 zugrunde, wäre am 20.06.2007 Verfolgungsverjährung eingetreten.
34 
Darüber hinaus wäre der Rechtsverstoß - falls der Kläger verurteilt worden wäre - wohl schon in Kürze nach § 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr verwertbar. Das Verwertungsverbot des § 51 BZRG ist zwar mangels Verurteilung weder unmittelbar noch analog anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.1996 - 1 C 12/95 -, NJW 1997, 336, 337). Nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es für die Zulässigkeit der Verwertung gleichwohl nicht bedeutungslos, ob wegen einer Verfehlung bereits Tilgungsreife eingetreten wäre, wenn eine ihretwegen erfolgte Ahndung in das Bundeszentralregister hätte eingetragen werden können. Dem Schutzzweck des § 51 Abs. 1 BZRG, die Eingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft nicht unnötig zu gefährden, entspreche es, solchen Verfehlungen regelmäßig kein Gewicht mehr beizumessen, sobald sie länger zurückliegen, wobei eine Orientierung an dem mutmaßlichen Ablauf von Tilgungsfristen des Bundeszentralregistergesetzes sachgerecht erscheine. Für den Verstoß des Klägers gegen § 271 StGB kann allenfalls die für eine Verurteilung wegen einer Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen geltende Frist von fünf Jahren des § 46 Abs. 1 Nr. 1a BZRG herangezogen werden. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob danach bereits Tilgungsreife eingetreten wäre oder wann sie eintreten würde. Jedenfalls rechtfertigt die zumindest in Kürze eintretende hypothetische Tilgungsreife zusammen mit den weiteren vom Regelfall abweichenden Umständen die Annahme eines Ausnahmefalls. Zu den Gesichtspunkten der Verfolgungsverjährung und der Tilgungsreife kommt noch hinzu, dass der Kläger sich außer diesem Rechtsverstoß nichts hat zu schulden kommen lassen (zum Vorliegen eines Ausnahmefalls und zur Entstehung eines „Anspruchs“ vgl. auch VG Augsburg, Urteil vom 23.02.2005 - Au 1 K 04.1152 - InfAuslR 2005, 318).
35 
Liegt somit im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ein Ausnahmefall vor, greift entgegen der Auffassung der Beklagten § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, der im Ergebnis den gesetzlichen Anspruch des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu einem Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung herabstuft, wenn die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt ist, im Fall des Klägers nicht ein.
36 
Die übrigen Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG liegen vor. Die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bedarf keiner Prüfung, da die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG abweichend von dieser Voraussetzung erteilt wird. Die Identität und die Staatsangehörigkeit des Klägers sind geklärt, die Passpflicht wird erfüllt.
37 
4. Auch § 5 Abs. 2 AufenthG steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht im Wege. Nach dieser Vorschrift setzt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Der Kläger ist als Asylbewerber ohne Visum eingereist. Seine Einreise erfolgte - bezogen auf den nunmehr erstrebten Aufenthalt aus familiären Gründen - dennoch nicht ohne das erforderliche Visum (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 03.06.1997 - 1 C 1/97 -, InfAuslR 1997, 352, 254), weil er nach § 39 Nr. 5 AufenthV die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einholen darf. Seine Abschiebung ist nach § 60a AufenthG ausgesetzt und er hat auf Grund der Geburt seiner Tochter S. während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben. Maßgebender Beurteilungszeitpunkt ist insoweit der Zeitpunkt der Entscheidung des Senats. Die Privilegierung des § 39 Nr. 5 AufenthV setzt nicht voraus, dass der Kläger gleichzeitig mit der Geburt seiner Tochter den Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Ausreichend aber auch erforderlich ist, dass der Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis - ebenso wie die Duldung nach § 60a AufenthG - im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats besteht. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, nachdem - wie oben ausgeführt - die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausnahmsweise nicht gilt.
38 
5. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG steht schließlich auch die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden. Der Asylantrag des Klägers wurde zwar unanfechtbar abgelehnt. Die Vorschrift findet nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG aber keine Anwendung auf den Kläger, weil er einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hat. Unter einem Anspruch im Sinne dieser Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Senats nur ein gesetzlicher Anspruch zu verstehen; die Vorschrift findet keine Anwendung auf Fälle der Ermessensreduktion auf Null (Urteil vom 26.07.2006 - 11 S 2523/05 -, VBlBW 2007, 30, 31; so auch Discher in GK-Ausländerrecht, AufenthG § 10 RdNr. 172 ff.).
39 
Ein solcher gesetzlicher Anspruch steht dem Kläger zu, denn die Voraussetzungen des gesetzlichen Anspruchs nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG liegen vor. Das gleiche gilt hinsichtlich der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG, nachdem - wie oben ausgeführt - von einem Ausnahmefall ausgehen ist, soweit es die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG betrifft. Ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht auch dann, wenn im Hinblick auf die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen eines atypischen Sachverhalts ein Ausnahmefall vorliegt. Die Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist in diesem Fall nicht erforderlich.
III.
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
41 
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren durch den Kläger war notwendig. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts bestimmt sich danach, welche Anforderungen in dem konkreten Fall eine - zweckentsprechende - Rechtsverfolgung gestellt hat. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist damit die Schwierigkeit der Sache, die jedoch nicht abstrakt, sondern unter Berücksichtigung der Sachkunde und der (persönlichen) Verhältnisse des Widerspruchsführers festzustellen ist (st. Rspr., vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 21.09.1982 - 8 B 10.82 - NVwZ 1983, 346; Beschluss vom 15.03.1999 - 8 B 225.98 - Buchholz 428 § 38 VermG Nr. 4 S. 2). Es kommt nicht auf die subjektive Sicht des Widerspruchsführers an, sondern darauf, wie ein verständiger Dritter in dessen Situation gehandelt hätte. Die Beurteilung ist nach der Sachlage vorzunehmen, wie sie sich im Zeitpunkt der Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten dargestellt hat (BVerwG, Urteile vom 22.01.1997 - 8 C 39.95 -, Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 39 S. 16 f. und vom 26.01.1996 - 8 C 15.95 -, Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 36 S. 4). Die Voraussetzungen liegen etwa vor, wenn schwierige Sach- und Rechtsfragen zu klären sind. So lag es auch hier im Hinblick auf die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen der Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG und des Bestehens einer familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Tochter S.
42 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
43 
Beschluss
vom 15. September 2007
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG auf
5.000,-- EUR
festgesetzt.
        
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

Gründe

 
19 
Der Senat entscheidet nach dem Widerruf des in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2007 geschlossenen Vergleichs über die Berufung mit Zustimmung der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
I.
20 
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie wurde insbesondere gemäß § 124a Abs. 6 VwGO fristgerecht und entsprechend den formellen Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO begründet.
II.
21 
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, denn er hat Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zur Ausübung der Personensorge für seine deutsche Tochter S. (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Keiner Entscheidung bedarf, ob dem Kläger auch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter E. zusteht.
22 
1. Über den von dem Kläger ursprünglich gestellten Antrag auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG für ausländische Familienangehörige Deutscher ist auf der Grundlage des zum 01.01.2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I, S. 1970), zu entscheiden. Denn nach § 104 Abs. 1 AufenthG sind die Vorschriften des bis zum 31.12.2004 geltenden Ausländergesetzes nur auf vor dem 01.01.2005 gestellte Anträge auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis anzuwenden. An die Stelle des bisher begehrten Aufenthaltstitels tritt der diesem nach Aufenthaltszweck und Sachverhalt (vgl. § 101 Abs. 1 und 2 AufenthG) entsprechende Aufenthaltstitel des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.
23 
2. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis setzt darüber hinaus nach § 27 Abs. 1 AufenthG eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem ausländischen Elternteil und dem minderjährigen deutschen Kind voraus. Denn § 27 Abs. 1 AufenthG enthält den für sämtliche Aufenthaltstitel des Abschnitts 6 des Aufenthaltsgesetzes geltenden Grundsatz, dass die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt wird. Der ausländische Elternteil muss daher das Personensorgerecht für ein minderjähriges deutsches Kind nicht nur besitzen, sondern es auch tatsächlich zum Wohl des Kindes ausüben. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
24 
Dem Kläger obliegt die elterliche Sorge für seine in Pforzheim lebende Tochter S., nachdem er am 22.08.2002 gemeinsam mit der Mutter des Kindes eine Sorgeerklärung nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1, § 1626b Abs. 2 BGB abgegeben hat. Zwischen ihm und seiner Tochter S. besteht auch eine familiäre Lebensgemeinschaft. Er nimmt seine Elternverantwortung, soweit es ihm die äußeren Umstände erlauben, zuverlässig wahr, hat regelmäßigen Kontakt mit S. und trägt seinen Möglichkeiten entsprechend zum Unterhalt des Kindes bei. Nach den übereinstimmenden und nicht bestrittenen Angaben der Großmutter seiner Tochter und auch der zuständigen Mitarbeiterin des Jugendamtes der Stadt Pforzheim besucht der Kläger seine Tochter an zwei Sonntagen im Monat, beteiligt sich regelmäßig mit ca. 50,-- EUR am Unterhalt und bespricht sich mit der Großmutter seiner Tochter in Erziehungsfragen. Auch hat er seiner Tochter in Absprache mit der Großmutter einen Roller und ein Fahrrad gekauft. Zwar wohnt er von seiner Tochter weit entfernt. Dies liegt jedoch daran, dass er eine Arbeitsstelle in Lahr besitzt, während seine Tochter bei der Großmutter in Pforzheim lebt. Außerdem hat der Kläger ein weiteres uneheliches Kind, seine Tochter E., die in Lahr bei Pflegeeltern lebt und die er - zumindest in der Vergangenheit - einmal im Monat besuchen konnte. Trotz der weiten Entfernung kommt er seiner Elternverantwortung nach. Denn er nimmt die ihm eingeräumten Möglichkeiten zum Umgang mit seiner Tochter zuverlässig wahr und bringt sich im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zum Wohl seiner Tochter in die Erziehung ein. Vor dem Hintergrund dieser Lebenssituation und der reservierten Haltung der Großmutter von S. gegenüber Besuchen des Klägers sind daher seine Erziehungs- und Betreuungsleistungen trotz des eher geringen zeitlichen Umfangs des persönlichen Kontakts als nicht unerheblich einzustufen. Auch der Tatsache, dass er seinen ursprünglich gestellten Antrag auf Umverteilung nicht weiterbetrieben hat, kommt in dieser Situation keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
25 
Die Ausübung der Personensorge durch den Kläger entspricht auch dem Wohl seiner Tochter. Nach Angaben des Klägers nennt diese ihn „D.“ oder „D.-Papa“ und freut sich, wenn er kommt. Nach Auffassung des Jugendamtes ist der regelmäßige Kontakt des Klägers für die Persönlichkeitsentwicklung und Identifikationsfindung seiner Tochter wichtig, da sie nur über ihren Vater die Verbindung zur Familie väterlicherseits und deren kulturellen Wurzeln haben könne. Mit zunehmendem Alter werde diese Bedeutung noch gewichtiger werden, da sie schon aufgrund ihrer Hautfarbe ihre Andersartigkeit gegenüber der Familie ihrer Mutter erkennen werde. Ausgehend von der Prämisse des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 08.12.2005 (- 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122, 125), wonach in der Regel der persönliche Kontakt der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient und es beide Eltern braucht, sind im Fall des Klägers keine Umstände ersichtlich, dass dem Kindeswohl auch dann Genüge getan wäre, wenn der Kläger sich in seinem Heimatstaat Benin aufhalten würde. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass bei einer Ausreise des Klägers schon wegen der großen Entfernung zwischen Deutschland und Benin der Abbruch des persönlichen Kontakts drohen würde.
26 
In der Stellungnahme des Jugendamtes der Stadt Pforzheim vom 06.03.2007 ist allerdings die Rede davon, dass die Großmutter seiner Tochter den Eindruck habe, dass S. nach den Besuchen völlig durcheinander sei und Angst habe, dass sie von ihrer Großmutter weg müsse, da der Kläger sage, dass er sie zu sich holen werde. Dabei ist jedoch in Rechnung zu stellen, dass die Besuchskontakte mit Schwierigkeiten verbunden sind, da die Großmutter nach Aussage des Jugendamtes dem Kontakt mit dem Kläger eher reserviert gegenüber steht und sich dies auch auf das Kind übertragen dürfte. Das Jugendamt geht aber jedenfalls davon aus, dass S. eine Beziehung zu ihrem Vater hat und er eine bedeutende Rolle in ihrem Leben spielt. Auf Seiten des Klägers sieht das Jugendamt ein Bemühen, trotz der erschwerten Bedingungen bei den Besuchen im Haushalt der Großmutter und bei den Telefonaten eine Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen. Der Kläger zeige im Gespräch ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Verständnis für die Bedürfnisse des Kindes. Es werde deutlich, dass ihm das Wohlergehen seiner Tochter am Herzen liege und er bereit sei, Verantwortung zu übernehmen.
27 
3. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG sind ebenfalls erfüllt. Es liegt zwar ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Dies steht dem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gleichwohl nicht entgegen, weil ein Ausnahmefall vorliegt.
28 
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger allerdings nicht gegen § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG verstoßen. Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer entgegen § 49 Abs. 1 AufenthG eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht. Nach § 49 Abs. 1 AufenthG ist jeder Ausländer verpflichtet, gegenüber den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden auf Verlangen unter anderem die erforderlichen Angaben zu seinem Alter, seiner Identität und Staatsangehörigkeit zu machen. Der Kläger hat zwar sein Asylverfahren unter falschen Personalien geführt. Die Vorschriften des § 49 Abs. 1 und des § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG wurden jedoch erst durch das am 01.01.2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz geschaffen und hatten keine Vorläuferregelungen im Ausländergesetz (vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 15/420 S. 88 zu § 49 Abs. 1 und S. 98 zu § 95 Abs. 1 Nr. 5). Da nach § 1 StGB eine Tat aber nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde und der Kläger noch vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit offenbart hat, kann er sich nicht nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG strafbar gemacht haben.
29 
b) Der Kläger hat jedoch den Straftatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung nach § 271 Abs. 1 StGB verwirklicht. Denn aufgrund seiner falschen Angaben zu seiner Identität und seiner Staatsangehörigkeit wurde ihm eine Aufenthaltsgestattung mit falschen Personalien ausgestellt. Nach § 271 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer die Beurkundung eines unwahren Sachverhalts in einer öffentlichen Urkunde gleichsam als mittelbarer Täter herbeiführt. Die Aufenthaltsgestattung stellt eine öffentliche Urkunde i.S.d. § 271 Abs. 1 StGB dar (BGH, Urteil v. 16.04.1996 - 1 StR 127/96 -, NJW 1996, 2170; Brandenb. OLG, Beschluss vom 06.12.2001 - 2 Ss 19/01 -, Juris). Die Eintragung der falschen Personalien hat der Kläger durch seine Angaben bewirkt. Nach dem negativen Abschluss des Asylverfahrens wurde der Kläger geduldet und ihm wurden entsprechende Bescheinigungen ausgestellt. Auch diese waren öffentliche Urkunden (vgl. dazu AG Bremen, Urteil vom 23.01.2003 - 87 (72) Ds 290 Js 15959/02 - juris) und lauteten - auf Veranlassung des Klägers - auf die falschen Personalien. Der Verstoß gegen § 271 Abs. 1 StGB stellt einen Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG dar. Nach dieser Vorschrift ist eine strafrechtliche Verurteilung nicht erforderlich; es genügt ein nicht nur vereinzelter geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften. Ob es sich im strafrechtlichen Sinn um einen Verstoß gegen § 271 Abs. 1 StGB und damit um ein vereinzeltes Delikt im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG handelt, bedarf keiner Entscheidung. Er ist jedenfalls nicht geringfügig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich nicht geringfügig (BVerwG, Urteil vom 05.05.1998 - 1 C 17/97 -, InfAuslR 1998, 383, 385; Urteil vom 24.09.1996 - 1 C 9/94 -, InfAuslR 1997, 63). Von einer Vorsatztat ist im Fall des Klägers auszugehen. Allerdings kann auch bei einer vorsätzlich begangenen Straftat ausnahmsweise ein Ausweisungsgrund zu verneinen sein, wenn besondere Umstände des Einzelfalls zu der Bewertung führen, dass es sich um einen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften handelt (BVerwG, Urteil vom 18.11.2004 - 1 C 23/03 -, NVwZ 2005, 601). Solche besonderen Umstände, die die Annahme der Geringfügigkeit rechtfertigen könnten, vermag der Senat im Fall des Klägers jedoch nicht zu erkennen. Der Kläger hat über einen Zeitraum von fast drei Jahren die zuständigen Behörden über seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht. Außerdem weisen weder die Umstände der Tat noch die Tatbegehung selbst Besonderheiten auf, die zugunsten des Klägers gewertet werden könnten.
30 
c) Ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG liegt im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bereits dann vor, wenn der Tatbestand einer Ausweisung erfüllt ist. Es ist nicht erforderlich, dass die Ausweisung auch tatsächlich verfügt werden könnte (BVerwG, Urteil vom 16.07.2002 - 1 C 8.02 -, NVwZ 2003, 217, 219). Der Ausweisungsgrund ist trotz der Tatsache, dass der Kläger bereits im September 2002 seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit offenbart hat, noch nicht verbraucht. Der bloße Zeitablauf reicht grundsätzlich für einen Verbrauch nicht aus. Der Gesichtspunkt des Verbrauchs eines Ausweisungsgrundes ist mit dem Gedanken der Verwirkung vergleichbar. Dieser erfordert sowohl ein Zeitmoment als auch ein Umstandsmoment, d.h. neben den Zeitablauf müssen zusätzliche Umstände treten, aus denen der Betroffene berechtigterweise den Schluss ziehen darf, die Behörde werde von ihren Befugnissen keinen Gebrauch (mehr) machen. Zudem muss der Betroffene darauf vertraut haben, dass die Befugnis nicht mehr ausgeübt wird (st. Rspr. vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 12.07.2006 - 8 B 14/06 - juris). Aus diesem Grund ist der Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 04.03.2002 (- 12 UE 203/02 -, AuAS 2002, 172, 173 f.) nicht zu folgen, wonach bereits eine Zeitspanne von etwas mehr als zwei Jahren ausreicht, um von einem Verbrauch des Ausweisungsgrundes auszugehen (vgl. Senatsurteil vom 18.04.2007 - 11 S 1034/06 -). Umstände, aus denen der Kläger hätte schließen können, sein Verhalten werde folgenlos bleiben, liegen nicht vor. Die Ausländerbehörde hat insbesondere keinen Aufenthaltstitel in Kenntnis des strafbaren Verhaltens des Klägers erteilt.
31 
d) Offen bleiben kann, ob der Rechtsverstoß des Klägers noch verwertbar ist. Denn es liegt jedenfalls eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Geschehensverlauf im Fall des Klägers so sehr vom gesetzlich vorgesehenen Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abweicht, dass er das ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelerteilungsvoraussetzung beseitigt.
32 
Zur Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen von einem Regel- oder einem Ausnahmefall nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG auszugehen ist, kann die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG herangezogen werden (so auch Bäuerle in GK-AuslR, § 5 Rn 26; nicht eindeutig: Jakober in Jakober/Welte, Akt. AuslR, § 5 AufenthG Rn. 21 und 25). § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG enthielt zwar einen Regelversagungsgrund für solche Aufenthaltstitel, deren Erteilung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde stand, während § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Regelerteilungsvoraussetzung für sämtliche Aufenthaltstitel des Aufenthaltsgesetzes normiert. Durch das Inkrafttreten des § 5 Abs. 2 AufenthG ist aber keine völlig neue Rechtslage geschaffen worden, die einen Rückgriff auf die Rechtsprechung zu § 7 Abs. 2 AuslG von vornherein ausschlösse. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 15/420 S. 69 f. zu § 5) sollten durch § 5 AufenthG vielmehr die für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern geltenden Grundentscheidungen der Erteilungs- und Versagungsvorschriften der §§ 6 bis 9 AuslG in vereinfachter Form zusammengefasst werden. Der im Verhältnis zu § 7 Abs. 2 AuslG weitere Anwendungsbereich und die durch § 5 Abs. 1 AufenthG ausgelöste Änderung der Beweislastverteilung berühren nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Regel- oder ein Ausnahmefall vorliegt. Die bisherigen Entscheidungskriterien können weiterhin herangezogen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts waren Regelfälle im Sinne des § 7 Abs. 2 AuslG dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterschieden. Ausnahmefälle zeichneten sich dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf aus, der so bedeutsam war, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigte (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 31.01.1997 - 1 B 262/96 -, Buchholz 402.240 § 7 AuslG 1990 Nr. 7). Diese abstrakte Definition lässt sich auf das Regel-/Ausnahmeverhältnis des § 5 Abs. 1 AufenthG übertragen. Dagegen spricht nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht in einer früheren Entscheidung (Urteil vom 29.07.1993 - 1 C 25/93 -, NVwZ 1994, 381, 383) hervorgehoben hat, dass § 7 Abs. 2 AuslG die Versagung, nicht aber die Verpflichtung zur Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung regele (vgl. auch VG Stuttgart, Urteil vom 05.04.2005 - 12 K 521/96 - juris). Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls waren nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts in dieser Entscheidung dann erfüllt, wenn ein atypischer Geschehensverlauf vorlag, der so bedeutsam war, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht des gesetzlichen Regelversagungsgrundes beseitigte, nicht aber - wie teilweise in der Literatur vertreten wurde -, wenn besondere Gründe für einen weiteren Aufenthalt des Ausländers sprachen. Damit machte das Bundesverwaltungsgericht jedoch nur deutlich, dass bei der Prüfung eines Ausnahmefalls die gesetzliche Zielsetzung des Regelfalls zugrunde zu legen ist. Die in seinem Urteil vom 31.01.1997 (a.a.O.) verwendete offenere Formulierung lässt sich daher - unter Berücksichtigung der geänderten Zielsetzung - ohne weiteres für die Beurteilung eines Regel- oder Ausnahmefalls nach § 5 Abs. 1 AufenthG heranziehen.
33 
Im Fall des Klägers liegt ein atypischer Geschehensverlauf im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, der es rechtfertigt, ausnahmsweise von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen. Dabei ist ausschlaggebend, dass der Kläger wegen des Verstoßes gegen § 271 Abs. 1 StGB strafrechtlich nicht belangt wurde und mittlerweile wohl auch nicht mehr belangt werden könnte, weil Verfolgungsverjährung eingetreten sein dürfte. Für eine mittelbare Falschbeurkundung, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht ist, beträgt die Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre, gerechnet ab der Beendigung der Tat (§ 78a StGB). Die Tat dürfte am 20.06.2002, dem Tag der letztmaligen Verlängerung der auf die falschen Personalien lautenden Duldung beendet gewesen sein. Dass der Kläger nach diesem Datum von der Duldungsbescheinigung im Sinne des § 271 Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht hat, lässt sich nicht feststellen. Legt man den 20.06.2002 zugrunde, wäre am 20.06.2007 Verfolgungsverjährung eingetreten.
34 
Darüber hinaus wäre der Rechtsverstoß - falls der Kläger verurteilt worden wäre - wohl schon in Kürze nach § 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr verwertbar. Das Verwertungsverbot des § 51 BZRG ist zwar mangels Verurteilung weder unmittelbar noch analog anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.1996 - 1 C 12/95 -, NJW 1997, 336, 337). Nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es für die Zulässigkeit der Verwertung gleichwohl nicht bedeutungslos, ob wegen einer Verfehlung bereits Tilgungsreife eingetreten wäre, wenn eine ihretwegen erfolgte Ahndung in das Bundeszentralregister hätte eingetragen werden können. Dem Schutzzweck des § 51 Abs. 1 BZRG, die Eingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft nicht unnötig zu gefährden, entspreche es, solchen Verfehlungen regelmäßig kein Gewicht mehr beizumessen, sobald sie länger zurückliegen, wobei eine Orientierung an dem mutmaßlichen Ablauf von Tilgungsfristen des Bundeszentralregistergesetzes sachgerecht erscheine. Für den Verstoß des Klägers gegen § 271 StGB kann allenfalls die für eine Verurteilung wegen einer Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen geltende Frist von fünf Jahren des § 46 Abs. 1 Nr. 1a BZRG herangezogen werden. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob danach bereits Tilgungsreife eingetreten wäre oder wann sie eintreten würde. Jedenfalls rechtfertigt die zumindest in Kürze eintretende hypothetische Tilgungsreife zusammen mit den weiteren vom Regelfall abweichenden Umständen die Annahme eines Ausnahmefalls. Zu den Gesichtspunkten der Verfolgungsverjährung und der Tilgungsreife kommt noch hinzu, dass der Kläger sich außer diesem Rechtsverstoß nichts hat zu schulden kommen lassen (zum Vorliegen eines Ausnahmefalls und zur Entstehung eines „Anspruchs“ vgl. auch VG Augsburg, Urteil vom 23.02.2005 - Au 1 K 04.1152 - InfAuslR 2005, 318).
35 
Liegt somit im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ein Ausnahmefall vor, greift entgegen der Auffassung der Beklagten § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, der im Ergebnis den gesetzlichen Anspruch des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu einem Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung herabstuft, wenn die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt ist, im Fall des Klägers nicht ein.
36 
Die übrigen Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG liegen vor. Die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bedarf keiner Prüfung, da die Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG abweichend von dieser Voraussetzung erteilt wird. Die Identität und die Staatsangehörigkeit des Klägers sind geklärt, die Passpflicht wird erfüllt.
37 
4. Auch § 5 Abs. 2 AufenthG steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht im Wege. Nach dieser Vorschrift setzt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Der Kläger ist als Asylbewerber ohne Visum eingereist. Seine Einreise erfolgte - bezogen auf den nunmehr erstrebten Aufenthalt aus familiären Gründen - dennoch nicht ohne das erforderliche Visum (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 03.06.1997 - 1 C 1/97 -, InfAuslR 1997, 352, 254), weil er nach § 39 Nr. 5 AufenthV die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einholen darf. Seine Abschiebung ist nach § 60a AufenthG ausgesetzt und er hat auf Grund der Geburt seiner Tochter S. während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben. Maßgebender Beurteilungszeitpunkt ist insoweit der Zeitpunkt der Entscheidung des Senats. Die Privilegierung des § 39 Nr. 5 AufenthV setzt nicht voraus, dass der Kläger gleichzeitig mit der Geburt seiner Tochter den Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Ausreichend aber auch erforderlich ist, dass der Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis - ebenso wie die Duldung nach § 60a AufenthG - im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats besteht. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, nachdem - wie oben ausgeführt - die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausnahmsweise nicht gilt.
38 
5. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG steht schließlich auch die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden. Der Asylantrag des Klägers wurde zwar unanfechtbar abgelehnt. Die Vorschrift findet nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG aber keine Anwendung auf den Kläger, weil er einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hat. Unter einem Anspruch im Sinne dieser Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Senats nur ein gesetzlicher Anspruch zu verstehen; die Vorschrift findet keine Anwendung auf Fälle der Ermessensreduktion auf Null (Urteil vom 26.07.2006 - 11 S 2523/05 -, VBlBW 2007, 30, 31; so auch Discher in GK-Ausländerrecht, AufenthG § 10 RdNr. 172 ff.).
39 
Ein solcher gesetzlicher Anspruch steht dem Kläger zu, denn die Voraussetzungen des gesetzlichen Anspruchs nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG liegen vor. Das gleiche gilt hinsichtlich der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG, nachdem - wie oben ausgeführt - von einem Ausnahmefall ausgehen ist, soweit es die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG betrifft. Ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht auch dann, wenn im Hinblick auf die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen eines atypischen Sachverhalts ein Ausnahmefall vorliegt. Die Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist in diesem Fall nicht erforderlich.
III.
40 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
41 
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren durch den Kläger war notwendig. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts bestimmt sich danach, welche Anforderungen in dem konkreten Fall eine - zweckentsprechende - Rechtsverfolgung gestellt hat. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist damit die Schwierigkeit der Sache, die jedoch nicht abstrakt, sondern unter Berücksichtigung der Sachkunde und der (persönlichen) Verhältnisse des Widerspruchsführers festzustellen ist (st. Rspr., vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 21.09.1982 - 8 B 10.82 - NVwZ 1983, 346; Beschluss vom 15.03.1999 - 8 B 225.98 - Buchholz 428 § 38 VermG Nr. 4 S. 2). Es kommt nicht auf die subjektive Sicht des Widerspruchsführers an, sondern darauf, wie ein verständiger Dritter in dessen Situation gehandelt hätte. Die Beurteilung ist nach der Sachlage vorzunehmen, wie sie sich im Zeitpunkt der Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten dargestellt hat (BVerwG, Urteile vom 22.01.1997 - 8 C 39.95 -, Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 39 S. 16 f. und vom 26.01.1996 - 8 C 15.95 -, Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 36 S. 4). Die Voraussetzungen liegen etwa vor, wenn schwierige Sach- und Rechtsfragen zu klären sind. So lag es auch hier im Hinblick auf die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen der Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG und des Bestehens einer familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Tochter S.
42 
Die Revision an das Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
43 
Beschluss
vom 15. September 2007
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG auf
5.000,-- EUR
festgesetzt.
        
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.