Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 16. Apr. 2015 - Au 5 K 14.876

bei uns veröffentlicht am16.04.2015

Gericht

Verwaltungsgericht Augsburg

Tenor

I.

Die Kostenentscheidung in Ziff. V. des Bescheides des Landratsamtes ... vom 13. Mai 2014 wird aufgehoben, soweit diese einen Betrag von 7.000 -- EUR übersteigt.

II.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen eine Baugenehmigungsgebühr in Höhe von 11.635,50 EUR für die Erweiterung einer Produktions- und Lagerhalle und begehrt deren Aufhebung, soweit die Gebühren einen Betrag von 7.000,00 EUR übersteigen.

Mit Bescheid des Landratsamtes ... vom 13. Mai 2014 wurde der Klägerin die bauaufsichtliche Genehmigung zur Erweiterung einer Produktions- und Lagerhalle auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... (...) erteilt. In Ziffer V. des vorbezeichneten Bescheides wurde zulasten der Klägerin eine Baugenehmigungsgebühr in Höhe von 11.635,50 EUR und Auslagen in Höhe von 29,96 EUR festgesetzt. In den Gründen ist u. a. ausgeführt, dass sich die Kostenentscheidung, Gebührenfestsetzung und Erhebung der Auslagen auf Art. 1, 2, 5, 6 und 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 5 des Kostengesetztes (KG) in Verbindung mit dem Kostenverzeichnis (KVz) stütze.

Mit Ausnahme der Ziffer V. des Bescheides vom 13. Mai 2014 ist dieser bestandskräftig geworden.

Dem Bescheid beigefügt war eine Kostenrechnung die der Berechnung Baukosten in Höhe von 3.878.500,00 EUR für das Bauvorhaben zugrunde legt. Der Kostenansatz geht von einer Lage des Bauvorhabens innerhalb eines qualifizierten Bebauungsplanes (1 Promille), der Durchführung eines normalen Verfahrens (2 Promille) sowie Auslagen für die Nachbarzustellung (9,96 EUR) und Auslagen für Fachbehörden (20,00 EUR) aus.

Die Klägerin hat im Verfahren eine Kostenberechnung der Fa. ... vorgelegt, wonach sich die Gesamtkosten des Bauprojektes auf insgesamt 2.038.741,52 EUR netto belaufen. Als Einzelposten sind Kosten für Bauwerk - Baukonstruktion in Höhe von 1.725.165,39 EUR, für das Bauwerk - Technische Anlagen in Höhe von 211.089,59 EUR, für Außenanlagen in Höhe von 60.684,07 EUR und Baunebenkosten in Höhe von 41.802,47 EUR ausgewiesen (Behördenakte Bl. 133 bis 135).

Der Beklagte hat im Verfahren die Auffassung vertreten, dass die von der Klägerin vorgelegte Kostenberechnung nach DIN 276 nicht nachprüfbar sei. Insbesondere handle es sich bei der Aufstellung der Heizungs- und Sanitärfirma nicht um ein Kostenangebot, sondern lediglich um eine Kostenschätzung, die auf der Grundlage des bereits errichteten ersten Bauabschnittes basiere. Eine detaillierte Aufstellung der ersparten Leistungen sei nicht enthalten. Auch sei das enthaltene Angebot der ... GmbH nur pauschal ohne Aufgliederung einzelner Positionen, der Angabe von Quadratmeterzahlen oder der Auflistung von Stückzahlen mit den entsprechenden Preisen erstellt. Die in der Kostenberechnung angegebenen Summen seien nicht vollständig in den vorgelegten Angeboten enthalten. Bei dem Bauvorhaben sollten nach Angaben der Klägerin verschiedene Gewerke in Eigenleistung erbracht werden. In der Praxis werde ein Bauherr, der viele Gewerke zum Teil unter vollständiger Eigenleistung erbringe, erheblich niedrigere Baukosten haben als ein Bauherr, der das gesamte Bauvorhaben ohne Eigenleistungen erstellen lasse. Für die Genehmigungsgebühr seien die durchschnittlichen Baukosten ohne Eigenleistung anzusetzen. In den internen Richtwerten zur Festsetzung von Baugenehmigungsgebühren 2013 (Stand 8. August 2013) würden die Kosten für erdgeschossige Industriegebäude, Werkstätten, Gewerbebauten und Produktionshallen ohne Büros bis zu 2.500 m³ zwischen 100 und 145 EUR/m³, zwischen 2.501 und 7.500 m³ mit 120 bis 157 EUR/m³ und über 7.500 m³ mit einem Wert zwischen 90 und 118 EUR/m³ angegeben. Erdgeschossige Lagerhallen in Leichtbauweise ohne Büros seien mit einem Wert zwischen 58 und 83 EUR/m³ angegeben. Unter der Voraussetzung, dass die Lagerhalle vorerst ohne Büros genehmigt worden sei und unter der Berücksichtigung, dass es sich hierbei um ein sehr großes Gebäude handle, werde das gesamte Gebäude mit einem Baukostenwert von 55 EUR/m³ angesetzt. (Stellungnahme zur Kostenberechnung, Behördenakte Bl. 145).

Bei Berechnung der Baugenehmigungsgebühr ist der Beklagte für die Produktions- und Lagerhalle von einer Kubatur von 68.895,90 m³ und befestigten Flächen im Umfang von 2.533,00 m² ausgegangen. Für die Produktions- und Lagerhalle wurde ein Wert in Höhe von 55,00 EUR/m³ und für befestigte Flächen von 35,00 EUR je m² angesetzt.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 6. Juni 2014 Klage erhoben und beantragt,

die Kostenentscheidung in Ziffer V. der Baugenehmigung des Landratsamtes ... vom 13. Mai 2014 für die Erweiterung einer Produktions- und Lagerhalle, Fl.Nr. ..., Gemarkung ... (Az. ...) wird aufgehoben, soweit diese den Betrag von 7.000,00 EUR übersteigt.

Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass am 8. April 2014 eine Kostenberechnung nach DIN 276 der Firma ... als Entwurfsverfasserin des Bauantrages beim Beklagten sei. Die Gesamtkosten des Vorhabens seien dabei mit einem Gesamtbetrag von netto 2.038.741,52 EUR angegeben worden. Die Kostenaufstellung ende mit der Bruttosumme der Projektkosten in Höhe von 2.426.102,41 EUR. Der technische Sachbearbeiter der Beklagten habe die Kostenberechnung als nicht nachprüfbar beurteilt. In der Folge seien die Baukosten unter Berufung auf die internen Richtwerte zur Festsetzung von Baugenehmigungsgebühren 2013 mit 55 EUR/m³ veranschlagt worden. Während die Baukostenschätzung für Gewerbebauten und Produktionshallen nach der Größe des Objekts in drei Stufen differenziere, finde sich eine solche Unterscheidung für Lagergebäude nicht. Die angegriffene Gebührenfestsetzung in Ziffer V. der Baugenehmigung sei willkürlich erfolgt und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Die der Gebührenfestsetzung in der Baugenehmigung und in der Kostenrechnung zugrunde gelegten Gebührensätze (Festgebühren) dürften zutreffend sein. Für die Berechnung der Gebühren seien gemäß Tarif Nr. 2.I.1.2/2.1 KVz die Brutto-Baukosten anzusetzen, die am Ort der Bauausführung im Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung zur Vollendung des genehmigten Vorhabens erforderlich seien. Grundsätzlich dürfe hierbei ein abstrakt-typisierender Ansatz gewählt werden. Der Beklagte habe vorliegend jedoch seinen Beurteilungsspielraum überschritten, in dem er die von der Klägerin vorgelegte DIN 276-Kostenrechnung als vorgeblich nicht nachvollziehbar unberücksichtigt gelassen habe. Die vom Beklagten geltend gemachten Unstimmigkeiten seien nicht belastbar. Dass es sich bei der Aufstellung der Firma ... für die Leistungen Heizung und Sanitär nicht um ein Kostenangebot, sondern lediglich um eine Kostenschätzung gehandelt habe, sei irrelevant. Auch der Beklagte behelfe sich mit groben Kostenschätzungen. Im Übrigen sei das Gewerk Heizung und Sanitär mit einer Bruttoauftragssumme von 44.268,00 EUR völlig untergeordnet. Ebenfalls im Hinblick auf die tatsächlichen Baukosten von netto über 2 Millionen Euro sei das Angebot der ... GmbH über 3.000,00 EUR (Pflanzen und Saatflächen) völlig untergeordnet. Selbst wenn dem Beklagten darin zuzustimmen sein sollte, dass Eigenleistungen bei der abstrakt-typisierenden Betrachtung unberücksichtigt bleiben müssten, hätten sich diese ohne weiteres schätzen lassen. Die ... GmbH als Schwestergesellschaft stelle lediglich den Maschinenfuhrpark zur Verfügung. Die hypothetischen Kosten dieser Eigenleistungen seien überschaubar und bewegten sich im unteren fünfstelligen Bereich. Schließlich gingen auch die Einwände zum vermeintlich zu geringen Kostenansatz im Hinblick auf Fundamentaushub, Baugrundverbesserungen, Flachgründungen, Gründungen und Bodenbeläge fehl. Dass für die nicht unterkellerte Halle keine großen Kosten für den Fundamentaushub, für Baugrund, Verbesserungen und für Flachgründungen anfielen, liege auf der Hand. Das Baugrundstück in ... liege auf einem Kiesboden, der grundsätzlich keine Baugrundverbesserung notwendig mache. Es werde nicht verkannt, dass die Bauaufsichtsbehörde, insbesondere wenn sie berechtigte Zweifel an einer Kostenberechnung nach DIN 276 habe, die Baukosten selbst schätzen und berechnen könne. Dies könne insbesondere an Hand einer aktualisierten Liste mit den ortsüblichen Einheitspreisen je m³ umbauter Raum geschehen. Die internen Richtwerte für die Festsetzung von Baugenehmigungsgebühren des Beklagten überschritten jedoch den Beurteilungsspielraum der Bauaufsichtsbehörde und verstießen gegen den allgemeinen abgaberechtlichen Grundsatz der Typengerechtigkeit. Für Lagerhallen differenzierten die internen Richtwerte des Beklagten überhaupt nicht nach der Größe des Objekts. Es mache jedoch für die Baukosten je m³ umbauten Raums offensichtlich einen Unterschied, ob eine Lagerhalle mit 5.000 m³ oder mit knapp 70.000 m³ errichtet werde. Im Besonderen habe der Beklagte grundlegend verkannt, dass es sich bei dem Bauvorhaben nicht um einen isolierten Neubau, sondern um einen An- und Erweiterungsbau einer bestehenden Halle handle. Beispielsweise werde durch den Anbau die Errichtung einer ganzen Giebelseite erspart. Dass sich dies auf die Baukosten niederschlage, liege auf der Hand. Diese Kostenersparnis eines Anbaus finde in den Richtwerten des Beklagten für die Festsetzung von Baugenehmigungsgebühren keinen Niederschlag. Im Ergebnis hätte der Beklagte von der eingereichten Kostenschätzung nach DIN 276 über eine Gesamtbaukostensumme von brutto 2.426.102,41 EUR ausgehen müssen. Die vorgelegte Kostenrechnung der Klägerin sei ohne weiteres nachvollziehbar. Ihr wohnten allenfalls Unschärfen inne, die im Stadium der Eingabeplanung typisch seien. Die Baugenehmigungsgebühr hätte auf der Grundlage der Bruttobaukosten allenfalls mit 7.278,31 EUR festgesetzt werden dürfen.

Auf den weiteren Inhalt des Klagebegründungsschriftsatzes vom 21. August 2014 wird ergänzend verwiesen.

Das Landratsamt ... hat für den Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die festgestellten Mängel an der vom Kläger eingereichten Kostenschätzung nach DIN 276 seien keine bloßen Unschärfen, sondern als fehlerhafte beziehungsweise unvollständige Berechnung zu werten. Das Fehlen von Kostenvoranschlägen bzw. Nichtberücksichtigung aller erforderlicher Bauleistungen, hier seien vor allem die Arbeitszeitkosten zu nennen, führe dazu, dass die angegebenen Baukosten keinen realistischen Bezug mehr zu den objektiven Baukosten des tatsächlichen Bauvorhabens hätten. Die Tatsache, dass dies bereits bei untergeordneten und daher verhältnismäßig einfach zu berechnenden Gewerken habe festgestellt werden können, führe nicht zu dem Schluss, dass diese Fehler für die Gesamtbetrachtung unerheblich seien. Die festgestellten Fehler berechtigten den Beklagten dazu, eine eigene Feststellung für die tatsächlichen Baukosten zu treffen. Dabei könne insbesondere auf den Baukostenindex (BKI) zurückgegriffen werden. Dem Argument der Klägerin, die festgestellten 2Unschärfen2 der Baukostenberechnung seien in dem Stadium der Eingabeplanung typisch, müsse entgegengehalten werden, dass gegebenenfalls unscharfe Kostenschätzungen im Rahmen der Leistungsphase 2 (Vorplanung/Vorentwurf) zugrunde gelegt werden könnten, nicht aber im streitgegenständlichen Fall, wenige Wochen vor Erteilung der Baugenehmigung. Zu diesem Zeitpunkt habe bereits eine faktisch genehmigungsfähige Eingabeplanung vorgelegen. Nachdem für das beantragte Vorhaben der niedrigste Kostenwert von 55 EUR/m³ des BKI für Lagergebäude ohne Mischnutzung zugrunde gelegt worden sei, sei die Frage, ob die Werte des BKI des Beklagten unverhältnismäßig hoch angesetzt seien, für die Beurteilung der streitgegenständlichen Frage nicht relevant. Die Tatsache, dass es sich hier um einen An- bzw. Erweiterungsbau einer bereits bestehenden Halle handle, so wie der weitere Umstand, dass bei der beantragten Halle aufgrund ihrer Größe gewisse Kosteneinsparungen hätten angenommen werden können, sei in der Gestalt berücksichtigt worden, dass der niedrigste Wert des im BKI aufgeführten Kostenrahmens von 55 EUR/m³ bis 105 EUR/m³ für die Berechnung der Baukosten zur Anwendung gebracht worden sei.

Auf den weiteren Inhalt des Schriftsatzes vom 22. Oktober 2014 wird ergänzend verwiesen.

Am 16. April 2015 fand mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift Bezug genommen. Im Übrigen erläuterte der Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung, dass es sich bei dem angesetzten BKI um denjenigen der Architektenkammer für das Jahr 2012 handle.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vom Beklagten vorgelegten Verfahrensakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist in der Sache in dem von der Klägerin beantragten Umfang begründet, da die Gebührenfestsetzung in Ziff. V. des Bescheides des Beklagten vom 13. Mai 2014 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

1. Formelle Bedenken im Hinblick auf die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung der Kostenentscheidung bestehen im hier zu entscheidenden Fall bereits hinsichtlich der im Rahmen der Gebührenberechnung vorgenommenen Ermittlung von Baukosten nach dem BKI der Architektenkammer aus dem Jahr 2012 - dies ist in Ansätzen ausschließlich dem Schreiben des Beklagten im gerichtlichen Verfahren vom 22. Oktober 2014 (Gerichtsakte Bl. 48 und 49) und den Erläuterungen hierzu in der mündlichen Verhandlung zu entnehmen - statt der im Bauantrag von der Klägerin angegebenen Baukosten.

Dies folgt daraus, dass es sich jedenfalls bei der Gebühr für den bauordnungsrechtlichen Teil der Prüfung nach Tarif Nr. 2.I.1/1.24.1.2.2.2 KVz - dies betrifft Fälle, in denen die Genehmigungsbehörde die Leistungen nach § 31 der Verordnung über die Prüfingenieure, Prüfämter und Prüfsachverständige im Bauwesen (PrüfVBau) nicht selbst erbringt - um eine Ermessensentscheidung handelt. Lediglich bei der Tarifnummer 2.I.1/1.24.1.1 KVz, die den bauplanungsrechtlichen Teil des Genehmigungsverfahrens betrifft, handelt es sich mit der zu erhebenden Gebühr in Höhe von 1 v. T. der Baukosten um eine Wertgebühr im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KG, die der zuständigen Behörde keinen Ermessensspielraum lässt.

Steht aber mit der Teilgebühr für den bauordnungsrechtlichen Teil des Genehmigungsverfahrens eine Ermessensentscheidung im Raum, so bestimmt Art. 39 Abs. 1 Satz 3 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG), dass die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen muss, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

Daher muss nach Art. 39 BayVwVfG die Kostenentscheidung bzw. Kostenrechnung sachlich und rechtlich derart begründet sein, dass sie dem jeweiligen Kostenpflichtigen deren Nachprüfung ermöglicht (vgl. Rott/Stengel, Verwaltungskostenrecht für Staats- und Gemeindebehörden in Bayern, Stand: Mai 2014, Art. 15 Erl. 5e). Hierzu ist es nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit notwendig, auch im Einzelfall die für die Gebührenbemessung maßgeblichen Grundlagen anzugeben. Hierfür sind zunächst die kostenrechtlichen Rechtsvorschriften und die Tarifnummern des Kostenverzeichnisses anzugeben. Während die Nennung der einschlägigen Tarifnummern, die der Gebührenfestsetzung zugrunde liegen, im streitgegenständlichen Bescheid noch erfolgt ist, ist die übrige Begründung defizitär.

Im Kostenbescheid bzw. der beigefügten und der Klägerin übersandten Kostenrechnung hätte offen gelegt und begründet werden müssen, warum statt den im Bauantrag gemäß § 9 Satz 3 der Bauvorlagenverordnung (BauVorlV) angegebenen Baukosten, die Baukosten auf der Grundlage eines Baukostenindex angesetzt wurden. Hierzu finden sich weder in der Baugenehmigung noch in der Kostenrechnung irgendwelche Ausführungen. Für die Berechnung der bauplanungsrechtlichen und der bauordnungsrechtlichen Genehmigungsgebühr hätte nicht ohne weitere Begründung ein Baukostenindex angesetzt werden dürfen. Hinzu kommt, dass völlig offen ist, welcher Baukostenindex vom Beklagten letztlich herangezogen wurde. Auch insoweit fehlt jede Darlegung, welcher Baukostenindex (Herausgeber, Art des herangezogenen Wertes, Spanne der zur Indexbildung herangezogenen Werte) im Rahmen der Gebührenberechnung zur Anwendung kam. Der der Klägerin übersandten Kostenrechnung vom 13. Mai 2014 ist lediglich zu entnehmen, dass der Beklagte bei seiner Berechnung von Baukosten in Höhe von 3.878.500,-- EUR ausgegangen ist. Auf welcher Grundlage dieser Betrag ermittelt wurde und ob der Beklagte hierbei seine eigenen Richtwerte für die Festsetzung von Baugenehmigungsgebühren aus dem Jahr 2013 - denen überdies keine Außenwirkung zukommt und die daher als alleinige Rechtsgrundlage für einen Gebührenbescheid ebenfalls nicht herangezogen werden können (vgl. Rott/Stengel, a. a. O. Art. 6 Erl. 9) - angesetzt hat oder ob ein hiervon abweichender Baukostenindex herangezogen wurde ist, lässt sich weder dem streitgegenständlichen Bescheid noch der diesem beigefügten Kostenrechnung vom 13. Mai 2014 entnehmen.

Ob dieser formelle Begründungsmangel im Sinne von Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG durch die Nennung des der Baukostenermittlung zugrunde gelegten Baukostenindex im Schreiben vom22. Oktober 2014 und den hierzu erfolgten näheren Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung vom 16. April 2015 gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG geheilt worden ist, bedarf letztlich keiner Entscheidung.

2. Denn die angefochtene Kostenentscheidung in Ziff. V. des Bescheides des Beklagten vom 13. Mai 2014 leidet darüber hinaus an einem materiellen Fehler in Gestalt einer fehlenden Ermessensbetätigung, die auch nicht nachgeholt werden konnte. Die angefochtene Kostenentscheidung ist vorliegend jedenfalls materiell rechtswidrig, weil der Beklagte dass ihm zumindest hinsichtlich der Festsetzung der Gebühr für den bauordnungsrechtlichen Teil des Verfahrens eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.

Ein Verwaltungsakt, der auf einer Rechtsgrundlage beruht, durch die der zuständigen Behörde beim Erlass ein Ermessen eingeräumt ist, kann rechtlich nur dann Bestand haben, wenn die Behörde das ihr eröffnete Ermessen erkennt und dieses rechtsfehlerfrei innerhalb der gesetzlichen Grenzen und unter Berücksichtigung des Zwecks der Eingriffsermächtigung ausübt (§ 114 Satz 1 VwGO). Dies setzt voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Erwägungen sie sich bei der Ermessensausübung hat leiten lassen.

Hieran fehlt es, da der Beklagte es unterlassen hat, darzulegen, warum er von der Kostenaufstellung der Klägerin abgewichen, welches Verfahren er zur Kostenermittlung herangezogen und warum er gerade bei der bauordnungsrechtlichen Prüfung den ihm im Kostenverzeichnis eingeräumten Höchstwert von 2 v. T. der Baukosten zulasten der Klägerin angesetzt hat. Weder aus dem Bescheid, der beigefügten Kostenrechnung, noch auf der Grundlage der Aussagen in der mündlichen Verhandlung vom 16. April 2015 bestehen irgendwelche Anhaltpunkte dafür, dass sich der Beklagte bei Ermittlung des bauordnungsrechtlichen Teils der Gebührenfestsetzung des Erfordernisses einer Ermessensentscheidung überhaupt bewusst war. Auch im gerichtlichen Verfahren wurden keine Ermessenserwägungen nachgeschoben. Darüber hinaus ist der Behörde kein uneingeschränktes Nachschieben von Ermessenserwägungen eröffnet, insbesondere nicht deren vollständige Nachholung oder Auswechslung, sondern nur die Ergänzung einer zumindest ansatzweise vorhandenen Ermessensentscheidung (BVerwG, B.v. 30.4.2010 - 9 B 42/10 - BayVBl. 2010,672 f.). § 114 Satz 2 VwGO schafft nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzt werden können, nicht aber, dass das Ermessen nachträglich erstmals ausgeübt wird (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 - 1 C 14/10 - juris Rn. 9 m.w.N; BVerwG, U.v. 20.6.2013 - 8 C 46/12 - BayVBl. 2014, 218 ff). Die Einschränkung des § 114 Satz 2 VwGO auf eine Ergänzung von Ermessenserwägungen soll die Heilbarkeit von Ermessensverwaltungsakten, die bereits bei Erlass wegen Ausfalls jeglichen Ermessens grob defizitär sind, verhindern und dadurch die Behörde zu einer sorgfältigen Ermessensausübung anhalten (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 - a. a. O. - juris Rn. 11). Überdies sind bei der Nachholung einer behördlichen Ermessensentscheidung und auch bei deren bloßer Ergänzung im gerichtlichen Verfahren strenge Anforderungen an Form und Handhabung zu stellen. Die Behörde muss klar und eindeutig zu erkennen geben, mit welcher 2neuen2 Begründung die behördliche Entscheidung aufrecht erhalten bleiben soll, da nur dann der Betroffene wirksam seine Rechte verfolgen kann und die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfen können (vgl. BVerwG, U.v.13.12.2011 - a. a. O. - juris Rn. 8 ff.). Dem wird das Vorbringen des Beklagten nicht gerecht, der weder im angefochtenen Bescheid, der beigefügten Kostenrechnung oder der mündlichen Verhandlung auch nur ansatzweise dargelegt hat, aus welchen Gründen der in Tarif Nr. 2.I.1/1.24.1.2.2.2 KVz eröffnete Rahmen von 20 EUR bis zu 2 v. T. der Baukosten zulasten der Klägerin ausgeschöpft und dieser Gebührenteil mit dem höchst zulässigen Wert angesetzt wurde.

Danach konnte der Beklagte die Verpflichtung zur tatsächlichen, materiellen Ausübung von Ermessen im gerichtlichen Verfahren nicht mehr nachholen bzw. nachschieben. Vor diesem Hintergrund einer fehlenden und nicht nachholbaren Ermessensausübung erweist sich Ziff. V. des Bescheides des Beklagten vom 13. Mai 2014 als rechtswidrig. Im Hinblick auf die Bindung des Gerichts an das Klagebegehren nach § 88 VwGO, wonach das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen darf, war der Bescheid wie beantragt nur insoweit aufzuheben, als gemäß der Kostenberechnung Gebühren von mehr als 7.000,-- EUR gefordert werden.

Der Klage war insoweit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Als unterliegender Verfahrensteil hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 16. Apr. 2015 - Au 5 K 14.876

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 16. Apr. 2015 - Au 5 K 14.876

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 16. Apr. 2015 - Au 5 K 14.876 zitiert 8 §§.

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 114


Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 88


Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

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Gründe 1 Die Beschwerde ist unbegründet. 2 Eine Zulassung der Revis

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet.

2

Eine Zulassung der Revision wegen der von der Beschwerde allein geltend gemachten grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt nicht in Betracht.

3

Der Kläger wendet sich dagegen, dass die Beklagte einen unanfechtbar gewordenen Erschließungsbeitragsbescheid gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 b) NKAG i.V.m. § 130 Abs. 1 AO nur teilweise, nämlich nur hinsichtlich bestimmter, in einem anderen Verwaltungsstreitverfahren vom Verwaltungsgericht beanstandeter Kostenrechnungen aufgehoben hat. Die auf Neubescheidung (mit dem Ziel einer weitergehenden Aufhebung des Ursprungsbescheides) gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung der Beklagten aufgrund im Berufungsverfahren vorgetragener ergänzender Ermessungserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO, § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG für rechtmäßig erachtet und dem Kläger die Kosten (auch) des (Berufungs-)Verfahrens auferlegt. Vor diesem Hintergrund hält die Beschwerde für klärungsbedürftig, ob ein solches - nach ihrer Ansicht - "uneingeschränktes und folgenloses" Nachschieben von Ermessenserwägungen auch dann mit einer für den Kläger negativen Kostenfolge zulässig ist, wenn ein Widerspruchsverfahren gesetzlich nicht vorgesehen ist. Dies sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar.

4

Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist damit nicht dargetan. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass die Ergänzung von Ermessenserwägungen durch die Behörde gemäß § 114 Satz 2 VwGO, sofern im einschlägigen materiellen Recht und Verwaltungsverfahrensrecht dafür eine Rechtsgrundlage eröffnet ist, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt (Urteil vom 5. Mai 1998 - BVerwG 1 C 17.97 - BVerwGE 106, 351 <363 ff.>; vgl. auch Eyermann/Rennert, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 114 Rn. 85 m.w.N.). Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist damit kein "uneingeschränktes" Nachschieben von Ermessenserwägungen eröffnet, insbesondere nicht deren vollständige Nachholung oder Auswechslung, sondern nur die Ergänzung einer zumindest ansatzweise bereits vorhandenen Ermessensentscheidung (Urteile vom 5. Mai 1998 a.a.O. S. 365 und vom 17. Juli 1998 - BVerwG 5 C 14.97 - BVerwGE 107, 164 <169>).

5

Die Beschwerde legt weder dar noch ist sonst ersichtlich, weshalb der (teilweise) Wegfall des Widerspruchsverfahrens in einigen Bundesländern an dieser Beurteilung etwas geändert haben soll. Diese Entscheidung einiger Landesgesetzgeber hat zwar zur Folge, dass mit dem Widerspruchsverfahren eine einfache und auch unter Kostengesichtspunkten günstige Möglichkeit der Selbstkorrektur und Fehlerbehebung durch die Verwaltung entfällt und der Bürger regelmäßig - sofern nicht noch während der Klagefrist eine Fehlerkorrektur erfolgt - regelmäßig gezwungen ist, sogleich das Gericht anzurufen. An der grundsätzlichen Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang eine Heilung von Mängeln des angefochtenen Verwaltungsaktes auch noch im gerichtlichen Verfahren zulässig ist, ändert dies nichts.

6

Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist das hiernach grundsätzlich zulässige Ergänzen von Ermessenserwägungen auch mit Blick auf die zu treffende Kostenentscheidung gemäß §§ 154 ff. VwGO unbedenklich. Denn ein Kläger hat die Möglichkeit, wenn er die ergänzenden Ermessenserwägungen als tragfähig anerkennt, auf diese geänderte Prozesssituation dadurch zu reagieren, dass er das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt mit der Folge, dass - sofern die Behörde sich dem anschließt - im Rahmen der dann gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen zu treffenden Kostenentscheidung berücksichtigt werden kann, ob das Klagebegehren bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses begründet gewesen wäre, und dementsprechend die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise dem Beklagten auferlegt werden können (vgl. Urteil vom 5. Mai 1998 a.a.O. S. 365; siehe auch Urteil vom 28. November 1975 - BVerwG 4 C 45.74 - BVerwGE 50, 2 <10 f.> sowie Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007, § 19 Rn. 34, jeweils zur nachträglichen Heilung von Beitragsbescheiden nach ursprünglich vorhandenen Satzungsmängeln).

7

Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass eine unzureichende Begründung eines Verwaltungsaktes nur "in besonders gelagerten Einzelfällen" für das Gericht Anlass zur Anwendung von § 155 Abs. 4 VwGO geben kann (Urteil vom 26. Juni 1980 - BVerwG 2 C 8.78 - BVerwGE 60, 245 <252>; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 155 Rn. 98 ff.; Eyermann/Rennert a.a.O. § 155 Rn. 13 m.w.N.). Es ist regelmäßig Sache des Klägers, vor Klageerhebung seine Erfolgsaussichten einzuschätzen. Er muss insbesondere einkalkulieren, dass Verfahrensfehler noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (u.a.) nach Maßgabe von § 45 Abs. 1 und 2 geheilt werden bzw. nach § 46 VwVfG unbeachtlich bleiben können und seine Klage deshalb ggfs. nicht erfolgreich sein wird. Dazu gehört auch, dass Ermessenserwägungen noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzt werden mit der in § 114 Satz 2 VwGO geregelten prozessualen Konsequenz, dass dadurch einer zunächst begründeten Klage die Grundlage entzogen wird (Neumann a.a.O. Rn. 100).

8

Hiernach hätte auch dem Kläger im Streitfall die Möglichkeit offen gestanden, durch eine Erledigungserklärung seine Kostentragungspflicht abzuwenden oder zu verringern. Dass er dies nicht getan, sondern seine Klage auch in Ansehung der ergänzten Ermessenserwägungen aufrecht erhalten hat, ist seine prozessuale Entscheidung. Ob das Oberverwaltungsgericht im Streitfall Anlass gehabt hätte, § 155 Abs. 4 VwGO anzuwenden, ist eine Frage der Rechtsanwendung im Einzelfall. Eine (unterstellte) fehlerhafte Rechtsanwendung allein kann einen grundsätzlichen Klärungsbedarf nicht begründen (Beschluss vom 19. August 1997- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein 1970 geborener irakischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.

2

Er kam 2002 nach Deutschland und heiratete im Dezember 2005 eine ukrainische Staatsangehörige, die eine Niederlassungserlaubnis besaß. Im Mai 2006 vergewaltigte der Kläger eine Fünfzehnjährige. Er wurde deshalb zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er hat diese Strafe inzwischen vollständig verbüßt. Im Februar 2008 wies die beklagte Ausländerbehörde den Kläger aus, da er mit seiner Straftat die Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG für eine zwingende Ausweisung erfülle und keinen besonderen Ausweisungsschutz genieße.

3

Während des Klageverfahrens wurde der Kläger als Flüchtling anerkannt, weil er als Yezide im Irak wegen seiner Religion verfolgt werde. Im Hinblick auf den dadurch begründeten besonderen Ausweisungsschutz übte der Beklagte Ermessen aus und hielt an der Ausweisung fest. In einem Schriftsatz an das Verwaltungsgericht verwies er auf die gewichtigen spezial- und generalpräventiven Zwecke, denen gegenüber die privaten Interessen des Klägers an seinem Verbleib und der Fortführung seiner Ehe in Deutschland zurücktreten müssten. Der Kläger könne seine Ehe auch im Irak bzw. der Ukraine führen; gegebenenfalls sei den Eheleuten auch eine vorübergehende Trennung zumutbar. Solange das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot fortbestehe, werde der Kläger ohnehin nicht in den Irak abgeschoben. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt und hob die Ausweisungsverfügung auf. Eine erstmalige Ermessensausweisung im Verwaltungsprozess sei unzulässig. § 114 Satz 2 VwGO lasse lediglich eine Ergänzung der behördlichen Ermessenserwägungen zu. Im Übrigen sei das Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden. Aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen hätte der Beklagte sich nicht auf generalpräventive Zwecke stützen dürfen.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis und der wesentlichen Begründung nach bestätigt. Maßgeblich sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung. Durch die Flüchtlingsanerkennung und im Hinblick auf die privaten Belange des Klägers komme weder eine zwingende Ausweisung noch eine Regelausweisung, sondern allein eine Ermessensausweisung in Betracht. Die Ermessensentscheidung, die der Beklagte im gerichtlichen Verfahren getroffen habe, sei keine Ergänzung einer bereits getroffenen Ermessensentscheidung, sondern die erstmalige Ausübung von Ermessen. Dies sei der Behörde nach § 114 Satz 2 VwGO nicht gestattet. Unabhängig von ihrer prozessualen Unzulässigkeit könne die Ermessensausweisung auch deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sie in materiellrechtlicher Hinsicht zu einer unzulässigen Wesensänderung der Ausweisungsverfügung führe.

5

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit seiner Revision.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des Beklagten ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass § 114 Satz 2 VwGO einer Berücksichtigung der vom Beklagten im gerichtlichen Verfahren getroffenen Ermessensentscheidung entgegensteht. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil zur materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ausweisungsverfügung kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

7

1. Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass bei Erlass der Ausweisungsverfügung im Februar 2008 ein Fall der zwingenden Ausweisung ohne behördlichen Ermessensspielraum gegeben war, da der Kläger wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden war (§ 53 Nr. 1 AufenthG). Die nach Klageerhebung erfolgte Flüchtlingsanerkennung des Klägers begründete gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG einen besonderen Ausweisungsschutz, der nicht mehr eine zwingende Ausweisung, sondern lediglich noch eine Regelausweisung zuließ (§ 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Zu Recht hat das Berufungsgericht - ebenso wie der Beklagte - im Hinblick auf die (damals) schutzwürdigen privaten Belange des Klägers einen Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - angenommen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 = Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 4, jeweils Rn. 22 ff.). Schließlich hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, dass für die gerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung nach neuerer Rechtsprechung des Senats nicht mehr - wie früher - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung abzustellen ist, sondern auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. dazu und zu den Gründen der Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes: Urteil des Senats vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 = Buchholz 402.242 § 55 AufenthG Nr. 7, jeweils Rn. 18 f.).

8

2. Zu Unrecht hat sich das Berufungsgericht allerdings durch § 114 Satz 2 VwGO gehindert gesehen, bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung die von dem Beklagten nachgeschobenen Ermessenserwägungen zu berücksichtigen. Gemäß § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schließt diese Vorschrift es jedenfalls in den Fällen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, für deren Rechtmäßigkeit es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt, nicht aus, dass die Behörde eine Ermessensentscheidung erstmals im gerichtlichen Verfahren trifft und zur gerichtlichen Prüfung stellt. Dies gilt zumindest dann, wenn sich - wie hier - aufgrund neuer Umstände die Notwendigkeit einer Ermessensausübung erst nach Klageerhebung ergibt (offen noch im Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 21).

9

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trifft es, wie vom Berufungsgericht angenommen, zwar grundsätzlich zu, dass § 114 Satz 2 VwGO die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür schafft, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (vgl. etwa Urteile des Senats vom 5. September 2006 - BVerwG 1 C 20.05 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 115 Leitsatz und Rn. 22 und vom 23. Oktober 2007 a.a.O. jeweils Rn. 30). Diese Rechtsprechung bezieht sich aber auf Entscheidungen, die von vornherein in das Ermessen der Behörde gestellt waren und deren gerichtliche Überprüfung sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung richtete. Der in der Vorschrift angelegten prozessualen Ermächtigung der Behörde, ihre Ermessenserwägungen auch noch im gerichtlichen Verfahren zu ergänzen, ist kein generelles Verbot zu entnehmen, eine Ermessensentscheidung erstmals im gerichtlichen Verfahren zu treffen. Der systematische Zusammenhang mit § 114 Satz 1 VwGO macht deutlich, dass es um die gerichtliche Nachprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen geht und hierbei - prozessual - auch nachträgliche Ermessenserwägungen der Behörde einbezogen werden dürfen. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen dafür, jedenfalls bei einer Konstellation wie der vorliegenden eine inhaltliche Einbeziehung auch der erstmals im gerichtlichen Verfahren getroffenen Ermessensentscheidung zuzulassen. Mit der Einführung von § 114 Satz 2 VwGO wollte der Gesetzgeber die Nachbesserung einer unzureichenden Behördenentscheidung erleichtern und nicht erschweren. Es sollte ausdrücklich ermöglicht werden, dass eine defizitäre Ermessensentscheidung aus verfahrensökonomischen Gründen durch nachgeschobene Erwägungen der Behörde nachgebessert und geheilt werden kann (BTDrucks 13/3993 S. 13 und 13/5098 S. 24). So soll vermieden werden können, dass die Entscheidung vom Gericht aufgehoben und durch eine neue behördliche Entscheidung ersetzt wird, die dann in einem weiteren gerichtlichen Verfahren überprüft wird. Auch dies deutet nicht darauf hin, dass die Nachbesserung einer ursprünglich gebundenen Entscheidung ausgeschlossen werden sollte. § 114 Satz 2 VwGO erfasst demnach jedenfalls nicht die Fälle, in denen sich wegen der Zeitpunktverschiebung aufgrund während des gerichtlichen Verfahrens neu eingetretener Umstände erstmals die Notwendigkeit einer Ermessensausübung ergibt (zu Form und Verfahren bei der Nachholung von Ermessenserwägungen vgl. unter 4.).

10

Die Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes von der behördlichen zur gerichtlichen Entscheidung soll aus materiellen Gründen sicherstellen, dass das Gericht eine realitätsnahe und möglichst abschließende Entscheidung treffen und damit weitere Verfahren vermeiden kann. Das Tatsachengericht muss daher im Rahmen seiner Aufklärungspflicht auch neue entscheidungserhebliche Umstände, die nach der behördlichen Entscheidung eingetreten oder bekannt geworden sind, umfassend ermitteln und würdigen. In Gerichtsverfahren gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen hat dies für die Behörden zur Folge, dass sie die Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung ständig verfahrensbegleitend kontrollieren müssen (vgl. hierzu etwa Urteil des Senats vom 15. November 2007 a.a.O. jeweils Rn. 18 ff.). Die hierdurch gebotene fortlaufende Aktualisierung der behördlichen Entscheidung während des Gerichtsverfahrens bezieht sich nicht nur auf die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ausweisung, sondern bei Verwirklichung eines Ausweisungsgrundes auch auf die damit verbundenen Rechtsfolgen (Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung) und im Falle einer Ermessensausweisung auf die konkrete Ermessensausübung (Wiederholungsgefahr, private Bindungen des Ausländers).

11

Kommt die Ausländerbehörde - wie hier - ihrer im materiellen Recht wurzelnden Verpflichtung zur Aktualisierung durch erstmalige Ausübung des Ausweisungsermessens während des gerichtlichen Verfahrens nach, steht § 114 Satz 2 VwGO der gerichtlichen Berücksichtigung ihrer Ermessenserwägungen nicht entgegen. Denn diese prozessrechtliche Vorschrift stellt lediglich klar, dass ein nach materiellem Recht zulässiges Nachholen von Ermessenserwägungen nicht an prozessualen Hindernissen scheitert (Urteil vom 5. Mai 1998 - BVerwG 1 C 17.97 - BVerwGE 106, 351 <364>). Die Einschränkung des § 114 Satz 2 VwGO auf eine Ergänzung von Ermessenserwägungen soll die Heilbarkeit von Ermessensverwaltungsakten, die bereits bei Erlass wegen Ausfall jeglichen Ermessens grob defizitär sind, verhindern und dadurch die Behörde zu einer sorgfältigen Ermessensausübung anhalten. Grundlage dieser Beschränkung seines prozessökonomischen Grundanliegens war für den Gesetzgeber die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 114 Satz 2 VwGO geltende Rechtslage, nach der - nicht nur im Ausländerrecht - für die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich war. Damit lag der gerichtlichen Prüfung ein abgeschlossener Sachverhalt zugrunde und es stand objektiv von vornherein fest, ob eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung zu verfügen war. Seit der Verlagerung des für die gerichtliche Überprüfung aufenthaltsbeendender Maßnahmen maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes sind ausländerrechtliche Gerichtsverfahren in den Tatsacheninstanzen aber insoweit für Veränderungen offen. Daher würde es dem mit § 114 Satz 2 VwGO verfolgten prozessökonomischen Grundanliegen des Gesetzgebers widersprechen, bei entscheidungserheblichen Änderungen der Sachlage jedenfalls dann, wenn sie - wie hier - von einer Ist- zu einer Ermessensausweisung führen, die von der Ausländerbehörde in das Verfahren eingeführten Ermessenserwägungen aus prozessrechtlichen Gründen nicht der gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen.

12

Demgegenüber greift der Einwand des Klägers, die Behörde werde unter dem Eindruck des laufenden Prozesses ihr Ausweisungsermessen nicht mehr ergebnisoffen ausüben, nicht durch. Aus Kostengesichtspunkten ist die Behörde nicht zur Verteidigung der bereits verfügten Ausweisung gezwungen. Denn wenn sie aufgrund neuer Umstände nicht an der Ausweisung festhält, hat sie nicht bereits deshalb die Kosten des Verfahrens zu tragen; vielmehr hat das Gericht bei der Kostenentscheidung in dem dann erledigten Verfahren die ursprüngliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Ausweisung mit zu berücksichtigen (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 20). Im Übrigen unterliegt auch die nachgeholte Ermessensausübung der gerichtlichen Überprüfung. Schließlich belegt die Regelung des § 114 Satz 2 VwGO als solche, dass der Gesetzgeber die vom Kläger geäußerten Bedenken angesichts des mit der Vorschrift verfolgten prozessökonomischen Grundanliegens nicht als hinreichend gewichtig angesehen hat.

13

Ob darüber hinaus § 114 Satz 2 VwGO bei Klagen gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch dann eine erstmalige Ermessensausübung zulässt, wenn es von vornherein einer Ermessensentscheidung bedurfte, die Behörde dies aber verkannt hat, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Frage, ob sich aus der Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes für die Prüfung der Rechtmäßigkeit auch bei dieser Fallgestaltung für die Auslegung von § 114 Satz 2 VwGO - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - Konsequenzen ergeben, lässt der Senat offen.

14

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Ausweisung des Klägers aufzuheben, erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

15

Der hier gebotene Übergang von einer zwingenden Ausweisung zu einer Ermessensausweisung führt entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht zu einer unzulässigen Wesensänderung der Verfügung. Mit der Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes ist typischerweise verbunden, dass sich auch die Ausweisungsgründe und die damit verbundenen Rechtsfolgen im Laufe des Verfahrens verändern können. Die aus Gründen des materiellen Rechts gebotene Berücksichtigung neuer Umstände verändert die Ausweisung nicht in ihrem Wesen, solange die Behörde im Ergebnis trotz der neuen Umstände ihre Entscheidung aufrechterhält.

16

Der Senat kann die Berufungsentscheidung auch nicht aus anderen Gründen bestätigen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Revisionsgericht ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts im Juni 2010. Der Senat könnte die Berufungsentscheidung nur bestätigen, wenn das Berufungsgericht bezogen auf diesen Zeitpunkt tatsächliche Feststellungen zu den privaten Bindungen des Klägers in Deutschland getroffen hätte und diese so gewichtig wären, dass sie - auch unter Berücksichtigung der aktuellen Gefährlichkeit des Klägers - eine Ausweisung nicht zuließen (Art. 8 EMRK, Art. 6 GG). Das Berufungsgericht hätte sich in diesem Zusammenhang vor allem vergewissern müssen, wie wahrscheinlich weitere Straftaten des Klägers sind, ob ihm trotz seiner binationalen Ehe ein Zusammenleben im Ausland möglich ist und ob es für den Kläger und seine Ehefrau im Hinblick auf mögliche Gefahren für die Allgemeinheit nicht zumutbar ist, die Lebensgemeinschaft (vorübergehend) im Ausland fortzusetzen oder eine (vorübergehende) Trennung in Kauf zu nehmen. Diese Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Der Senat kann daher nicht selbst in der Sache entscheiden und die Ausweisung des Klägers nicht abschließend als rechtswidrig oder rechtmäßig beurteilen.

17

4. Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

18

Wie das Bundesverwaltungsgericht mehrfach betont hat, darf durch die Änderung der Begründung des Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden (vgl. Urteil vom 16. Juni 1997 - BVerwG 3 C 22.96 - BVerwGE 105, 55 <59> m.w.N.). Daraus folgt, dass bei der Nachholung einer behördlichen Ermessensentscheidung - wie hier -, aber auch allgemein bei der Ergänzung von behördlichen Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren strenge Anforderungen an Form und Handhabung zu stellen sind. Die Behörde muss klar und eindeutig zu erkennen geben, mit welcher "neuen" Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleibt, da nur dann der Betroffene wirksam seine Rechte verfolgen und die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfen können. Dafür genügt es sicht, dass die Behörde bei einer nachträglichen Änderung der Sachlage im gerichtlichen Verfahren neue Ermessenserwägungen geltend macht. Sie muss zugleich deutlich machen, welche ihrer ursprünglichen bzw. bereits früher nachgeschobenen Erwägungen weiterhin aufrecht erhalten bleiben und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden. Auch muss sie im gerichtlichen Verfahren erkennbar trennen zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt ihrer Entscheidung betreffen, und Ausführungen, mit denen sie lediglich als Prozesspartei ihre Entscheidung verteidigt. Aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit muss die Nachholung von Ermessenserwägungen grundsätzlich schriftlich erfolgen. Ergänzungen in der mündlichen Verhandlung sollten vom Gericht als solche protokolliert werden. Da etwaige Zweifel und Unklarheiten über Inhalt und Umfang nachträglicher Ergänzungen zu Lasten der Behörde gehen, erscheint es sinnvoll, wenn sie bei nachträglichen Ergänzungen die nunmehr maßgebliche Begründung zusammenhängend darstellt.

19

Außerdem hat die Behörde auch die sonstigen gesetzlichen Verfahrensrechte des Betroffenen zu beachten, wenn sie im gerichtlichen Verfahren wegen neu eingetretener Umstände ihre Ermessenserwägungen ergänzen oder - wie vorliegend - erstmals ihr Ermessen ausüben will. Sie muss dem Betroffenen daher grundsätzlich zunächst Gelegenheit geben, sich zu den neuen Tatsachen zu äußern. Unabhängig davon, in welchem Stadium des gerichtlichen Verfahrens sich für die Behörde Anlass bietet, ihre Ermessensausübung nachzubessern, hat das Gericht diesem Umstand Rechnung zu tragen und der Behörde in zeitlicher Hinsicht eine Aktualisierung ihrer Ermessensentscheidung zu ermöglichen. Stützt die Behörde ihre Entscheidung während des gerichtlichen Verfahrens auf neue Ermessenserwägungen, hat das Gericht dafür Sorge zu tragen, dass auch der Betroffene hinreichend Gelegenheit erhält, seine Rechtsverteidigung hierauf einzustellen. Gegebenenfalls muss das Gericht eine Verhandlung vertagen oder dem Betroffenen eine Frist zur Nachreichung eines Schriftsatzes einräumen (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 ZPO).

20

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass bislang noch unklar ist, ob der Beklagte die Ausweisung maßgeblich auch auf generalpräventive Gründe gestützt oder diese lediglich hilfsweise angeführt hat. Eine generalpräventiv begründete Ausweisung des Klägers erscheint mit Blick auf die zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung fortbestehende Flüchtlingsanerkennung des Klägers aber unionsrechtlich problematisch. Damit ist möglicherweise eine Zweifelsfrage verbunden, die nicht ohne Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt werden kann.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Verfügung, mit der ihr die Annahme und Vermittlung unerlaubter Sportwetten in ihrem Geschäftsraum in der F.-Straße ... in W. untersagt worden war.

2

In dieser Betriebsstätte vermittelte die Klägerin Sportwetten an die D. GmbH in Österreich. Ihr Antrag auf Erteilung einer Vermittlungserlaubnis, hilfsweise auf Feststellung, dass die österreichische Konzession des Wettanbieters einer inländischen Erlaubnis gleichstehe, wurde abgelehnt. Dagegen erhob die Klägerin Klage. Nach vorheriger Anhörung untersagte die Stadt W. als Rechtsvorgängerin des Beklagten ihr mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 30. August 2007 die Vermittlung von Sportwetten in ihrem Wettlokal, gab ihr auf, den Betrieb einzustellen, und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 5 000 € an. Zur Begründung verwies sie auf §§ 5, 12 Abs. 1 Satz 2 des Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland vom 13. Februar 2004 (Lotteriestaatsvertrag - LoStV - GVBl S. 325) i.V.m. § 2 des Landesgesetzes über das öffentliche Glücksspiel - LGlüG - vom 14. Juni 2004 (GVBl S. 322). Wegen des staatlichen Sportwettenmonopols könne die Klägerin ebenso wie der private Wettanbieter keine Erlaubnis erhalten. Den Widerspruch der Klägerin wies die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier (ADD Trier) mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2008, zugestellt am 30. Juli 2008, zurück. Sie führte aus, die Untersagung sei ermessensgerecht und insbesondere verhältnismäßig. Eine andere Entscheidung komme nicht in Betracht.

3

Am 30. August 2008 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben. Ihr bereits zuvor erhobener Eilantrag hatte zunächst Erfolg. Im Streit um die eilverfahrensrechtlichen Konsequenzen der Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags lehnte das Oberverwaltungsgericht jedoch schließlich mit Beschluss vom 5. Januar 2010 eine Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab.

4

Nach einer Kontrolle im Februar 2010 setzte der Beklagte ein Zwangsgeld in Höhe von 3 000 € fest. Auf die Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin, er sei nicht mehr für diese, sondern für die W. GmbH i.G. als neue Betreiberin des Wettlokals tätig, stellte der Beklagte die Vollstreckung ein.

5

Mit außergerichtlichem Schreiben vom 13. September 2010 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 8. September 2010 sei allenfalls die Monopolregelung unanwendbar, der Betrieb von Wettannahmestellen ohne Erlaubnis aber weiterhin formell illegal. Er werde die Entscheidung des Ministeriums abwarten.

6

Im gerichtlichen Verfahren trug der Beklagte mit Schriftsatz vom 30. November 2011 vor, die Untersagung sei wegen des Fehlens der erforderlichen Erlaubnis gerechtfertigt. Darauf habe sich schon der Ausgangsbescheid gestützt. Deshalb liege auch kein unzulässiger Austausch von Gründen vor. Im Übrigen könnten Dauerverwaltungsakte jederzeit modifiziert werden. Inzwischen sei das Erlaubnisverfahren für Private geöffnet worden. Dies habe das Innenministerium den Wettanbietern, die eine Erlaubnis beantragt hatten, mit Schreiben vom 18. Oktober 2010 erläutert. Außerdem habe es dazu eine Check-Liste herausgegeben. Die Angebote der Wettveranstalter seien jedoch nicht offensichtlich erlaubnisfähig.

7

Das Verwaltungsgericht Mainz hat den angegriffenen Bescheid mit Gerichtsbescheid vom 5. Januar 2012 aufgehoben.

8

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin mitgeteilt, sie habe am 10. Mai 2012 den Zugriff auf die Geschäftsräume in der F.-Straße ... durch Rückgabe der Räume an den Vermieter verloren. Deshalb hat sie ihre Klage auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt und sich auf ein Präjudizinteresse und ein Rehabilitierungsinteresse sowie auf ein berechtigtes Feststellungsinteresse wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs berufen.

9

Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 15. Mai 2012 den Gerichtsbescheid geändert und festgestellt, die Untersagungsverfügung sei vom Zeitpunkt ihres Erlasses bis zum 10. Mai 2012 rechtswidrig gewesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersagung ergebe sich aus einem Präjudizinteresse der Klägerin. Die Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen insbesondere nach § 68 Abs. 1 Satz 2 POG sei nicht offensichtlich aussichtslos. Die Klägerin habe alles Zumutbare getan, eine Erlaubnis zu erlangen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei auch begründet, weil die Untersagung ermessensfehlerhaft sei. Im Zeitraum vom Erlass der Verfügung bis 2010 sei das Sportwettenmonopol schon wegen der Werbung, die von der L. GmbH für die Sportwette ODDSET betrieben wurde, verfassungs- und unionsrechtswidrig gewesen. Auch im Zeitraum seit 2010, in dem der Beklagte das Erlaubnisverfahren für Private geöffnet und das Aufrechterhalten der Verbotsverfügung mit dem Fehlen einer Vermittlungserlaubnis und der fehlenden Erlaubnisfähigkeit des Wettangebots gerechtfertigt habe, sei die Untersagung rechtswidrig gewesen. Insoweit liege ein nach § 114 Satz 2 VwGO unzulässiger Austausch wesentlicher Ermessenserwägungen vor, da der ursprünglich tragende Gesichtspunkt des Sportwettenmonopols keine Rolle mehr spiele. Überdies sei auch die unzulässig nachgeschobene Begründung ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe es versäumt, bei seiner Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass die Landesregierung dem Landtag Rheinland-Pfalz den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landesglücksspielgesetzes (LTDrucks 16/1179) zugeleitet habe, das am 1. Juli 2012 in Kraft treten solle. Der Entwurf sehe vor, in Übereinstimmung mit dem Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag die Veranstaltung und Vermittlung von Wetten im Internet sowie Endergebniswetten während des laufenden Sportereignisses zuzulassen. Dies habe der Beklagte nicht zuletzt wegen des Unterliegens der Klägerin im Eilverfahren in seine Ermessensausübung einbeziehen müssen.

10

Mit seiner Revision, die bezüglich des Untersagungszeitraums vom 1. Oktober 2010 bis zum 10. Mai 2012 zugelassen wurde, macht der Beklagte geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht ein Präjudizinteresse der Klägerin bejaht. § 68 Abs. 1 Satz 2 POG, der im Verwaltungsprozess ebenso revisibel sei wie im zivilgerichtlichen Verfahren, greife offensichtlich nicht ein. Er begründe keine Haftung für legislatives Unrecht einschließlich des Vollzugs rechtswidriger Gesetze. In materiell-rechtlicher Hinsicht sei der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht von einer Inkohärenz des Monopols ausgegangen. Er habe den Werbebegriff verkannt und die unionsrechtlichen Grenzen kanalisierender Werbung zu eng gezogen. Gegebenenfalls sei dazu eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. Für den Wortlaut der vorgeschlagenen Vorlagefragen wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 18. Juni 2013 verwiesen. Der Beklagte trägt weiter vor, bei Dauerverwaltungsakten wie der hier angegriffenen Untersagung stehe § 114 Satz 2 VwGO einem Auswechseln der Ermessenserwägungen nicht entgegen. Unabhängig davon seien auch die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grenzen des Nachschiebens von Gründen gewahrt. Das Berufungsurteil verkenne die Rechtsfigur des intendierten Ermessens und übersehe, dass das Ermessen des Beklagten zulasten der Klägerin auf Null reduziert gewesen sei. Gesetze im Entwurfsstadium müssten bei der Ermessensausübung nicht berücksichtigt werden.

11

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Mai 2012 und den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Mainz vom 5. Januar 2012, soweit diese den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 10. Mai 2012 betreffen, zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen.

12

Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich auch aus dem schwerwiegenden Eingriff in ihre Dienstleistungsfreiheit. Der Erlaubnisvorbehalt sei nicht monopol-unabhängig anwendbar. Ein Nachschieben von Gründen sei nach endgültiger Erledigung der Untersagung nicht mehr zulässig. Ein intendiertes Ermessen oder eine Ermessensreduzierung auf Null lägen nicht vor. Außerdem dürfe nicht auf die formelle Illegalität abgestellt werden, weil die Öffnung des Erlaubnisverfahrens für Private in Rheinland-Pfalz nicht den unionsrechtlichen Anforderungen der Transparenz genügt habe. Insoweit sei nach wie vor von einer Verletzung der Dienstleistungsfreiheit auszugehen. Die entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben seien durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu klären. Für die von der Klägerin formulierten Vorlagefragen wird auf die zweite Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 18. Juni 2013 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Beklagten ist im Umfang ihrer Zulassung - soweit das Verfahren den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 10. Mai 2012 betrifft - begründet. Insoweit beruht das angegriffene Urteil gemäß § 137 Abs. 1 VwGO auf der unzutreffenden Anwendung der §§ 133, 157 BGB, des § 114 Satz 2 VwGO und des § 40 VwVfG, der nach § 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes (LVwVfG) vom 23. Dezember 1976 (GVBl S. 308) in der Fassung der Änderung durch Gesetz vom 27. Oktober 2009 (GVBl S. 358) anzuwenden ist. Die Berufungsentscheidung erweist sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Da ihre Tatsachenfeststellungen keine abschließende Entscheidung zulassen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 VwGO), war das angegriffene Urteil, soweit es den verfahrensgegenständlichen Zeitraum betrifft, aufzuheben und die Sache insoweit zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

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1. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht die Fortsetzungsfeststellungsklage der Klägerin für zulässig gehalten.

16

a) Statthaft ist diese Klageart, weil die angegriffene Untersagungsverfügung sich endgültig erledigt hat. Da sie sich nur auf die Betriebsstätte der Klägerin bezog, wurde sie gegenstandslos, als die Klägerin den Zugriff auf das Wettlokal verlor. Die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, dies sei durch Aufgeben der Betriebsstätte am 10. Mai 2012 geschehen, hat der Beklagte nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen. Insbesondere war das Berufungsgericht nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des Vorbringens der Klägerin und ohne einen entsprechenden Beweisantrag des Beklagten weitere Aufklärungsmaßnahmen zur Klärung des Zeitpunkts und der Umstände der Betriebsaufgabe einzuleiten. Der Zulässigkeit des Fortsetzungsfeststellungsbegehrens steht auch nicht entgegen, dass die Zwangsgeldfestsetzung nach der Einstellung der Vollstreckung nicht aufgehoben wurde. Wegen der endgültigen Aufgabe der Betriebsstätte kommt eine weitere Vollstreckung aus der Zwangsgeldfestsetzung nicht mehr in Betracht. Damit ist die Untersagungsverfügung auch als Vollstreckungsgrundlage gegenstandslos geworden.

17

b) Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersagung (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Zwar besteht kein Rehabilitierungsinteresse, da der Widerspruchsbescheid zur Begründung der Untersagung allein auf die objektive Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens abstellt, ohne einen stigmatisierenden Vorwurf schuldhaft strafrechtswidrigen Handelns zu erheben. Die Klägerin kann sich aber auf ein Präjudizinteresse berufen. Dazu genügt, dass die beabsichtigte Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen nicht offensichtlich aussichtslos ist.

18

Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist ein strenger Maßstab anzulegen. Offensichtlich aussichtslos ist eine Staatshaftungsklage, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (Urteile vom 14. Januar 1980 - BVerwG 7 C 92.79 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 95, vom 29. April 1992 - BVerwG 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 und vom 8. Dezember 1995 - BVerwG 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <92> = Buchholz 454.11 WEG Nr. 7). Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs genügt nicht.

19

Offenbleiben kann hier, ob ein - verschuldensabhängiger - Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB oder ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch in Betracht kommt. Jedenfalls ist das Bestehen eines Haftungsanspruchs nach § 68 Abs. 1 Satz 2 des rheinland-pfälzischen Polizei- und Ordnungsgesetzes (POG) nicht von vornherein offensichtlich ausgeschlossen. Dabei muss nicht geklärt werden, ob die Anwendung der im Zivilprozess revisiblen Vorschrift (§§ 545, 560 ZPO) auch im Verwaltungsprozess revisionsgerichtlich überprüft werden darf oder ob dies wegen § 137 Abs. 1 VwGO nicht in Betracht kommt (vgl. Beschlüsse vom 17. Oktober 2012 - BVerwG 8 B 47.12 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 208 und - BVerwG 8 B 62.12 - juris). Selbst wenn eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Auslegung der Vorschrift zulässig sein sollte, wären deren Voraussetzungen hier nicht offensichtlich und ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung zu verneinen.

20

§ 68 Abs. 1 Satz 2 POG begründet einen - verschuldensunabhängigen - Entschädigungsanspruch, wenn jemand durch eine rechtswidrige Maßnahme der allgemeinen Ordnungsbehörden oder der Polizei einen Schaden erleidet. Bei Erlass der Untersagungsverfügung wurde die Stadt W. nach § 11 Abs. 2 Satz 1 LGlüG als örtliche Ordnungsbehörde tätig.

21

Ob eine Haftung nach § 68 Abs. 1 Satz 2 POG ausgeschlossen ist, weil die Norm nur die Haftung für enteignungsgleichen Eingriff regeln soll und keine Entschädigung für legislatives Unrecht einschließlich der Anwendung rechtswidriger Normen (sog. Beruhensfälle) gewährt, muss gegebenenfalls im zivilgerichtlichen Staatshaftungsprozess geklärt werden. Von einer solchen Anspruchsbegrenzung kann nicht mit der erforderlichen Offensichtlichkeit ausgegangen werden. Weder der Wortlaut der Norm noch die Gesetzessystematik geben dafür klare Anhaltspunkte. In den Gesetzesmaterialien (vgl. Heise/Riegel, Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, 2. Aufl. 1978, S. 23 unter 3.51 erster Absatz sowie die Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zur Änderung des Polizeiverwaltungsgesetzes von Rheinland-Pfalz vom 2. Februar 1993, LTDrucks 12/2542, S. 32; Protokoll der ersten Beratung des Gesetzentwurfs, Protokolle der 12. Wahlperiode, 44. Sitzung vom 11. Februar 1993, StenBer S. 3568 f.) finden sich zu dieser Frage keine einschlägigen, eindeutigen Aussagen. Eine gefestigte, die Anspruchsbegrenzung bestätigende zivilgerichtliche Rechtsprechung liegt noch nicht vor. Nur eines von zwei rheinland-pfälzischen Oberlandesgerichten hat bislang eine solche Begrenzung in einem Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren mit rechtsgeschichtlichen und rechtsvergleichenden Erwägungen bejaht (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 6. März 2013 - 6 W 21.12 - ZfWG 2013, 185 f. = juris ). Eine Berufungsentscheidung des anderen Oberlandesgerichts in einem weiteren diese Frage betreffenden Verfahren (LG Mainz, Urteil vom 11. April 2012 - 4 O 436/10 -) stand bei Schluss der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Revisionsverfahren noch aus.

22

Ein Ersatzanspruch nach § 68 Abs. 1 Satz 2 POG ist auch nicht schon offensichtlich zu verneinen, weil die etwaige Rechtsverletzung nicht kausal für den geltend gemachten Schaden wäre. Die landesrechtliche Regelung verhält sich nicht zu den Anforderungen, die an die Verursachung des Schadens zu stellen sind. Bisher fehlt auch eine gefestigte zivilgerichtliche Konkretisierung der in § 68 Abs. 1 Satz 2 POG vorausgesetzten Kausalität. Zwar mag naheliegen, die für revisible Haftungsnormen entwickelten Anforderungen an die Kausalität bei Ermessensakten auch auf die landesrechtliche Haftungsregelung des Polizei- und Ordnungsrechts zu übertragen und die Ursächlichkeit zu verneinen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch bei fehlerfreier Rechtsanwendung dieselbe zum Schaden führende Entscheidung getroffen worden wäre (BGH, Beschlüsse vom 21. Januar 1982 - III ZR 37/81 - VersR 1982, 275 und vom 30. Mai 1985 - III ZR 198/84 - VersR 1985, 887 f.; Vinke, in: Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 12, Stand: Sommer 2005, § 839 Rn. 176, zur Unterscheidung von der Figur rechtmäßigen Alternativverhaltens vgl. ebd. Rn. 178). Offensichtlich ist eine solche Parallelität aber nicht. Insbesondere steht es dem Landesgesetzgeber frei, die Haftung großzügiger zu regeln. Ob dies hier geschehen ist, bedarf gegebenenfalls einer näheren Prüfung im Staatshaftungsverfahren.

23

Entgegen der Auffassung des Beklagten fehlt es schließlich nicht offenkundig an einem ersatzfähigen Schaden. Auf die Frage, ob eigentumsfähige Positionen betroffen sind, kommt es nur bei einer entsprechenden, hier gerade nicht offensichtlichen Beschränkung der Haftung an. Ob Vermögenseinbußen wegen rechtlicher Missbilligung der untersagten Tätigkeit nicht ersatzfähig sind, lässt sich nur auf der Grundlage einer ins Einzelne gehenden verfassungs- und unionsrechtlichen Prüfung der die Tätigkeit beschränkenden oder missbilligenden Vorschriften beantworten, so dass auch insoweit keine Offensichtlichkeit vorliegt.

24

Da die Klägerin sich um eine Erlaubnis bemüht und deswegen Klage erhoben hat, scheidet eine Haftung auch unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung nicht offensichtlich aus.

25

2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Fortsetzungsfeststellungsklage sei für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 10. Mai 2012 auch begründet, hält jedoch der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht Stand. Das Berufungsurteil verletzt die revisiblen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB, soweit es den Stellungnahmen des Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entnimmt, dass die Untersagung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht mehr auf das Sportwettenmonopol, sondern allein auf die nachgeschobenen Erwägungen zur formellen und materiellen Illegalität der untersagten Tätigkeit gestützt wurde. Außerdem geht das Urteil unzutreffend davon aus, die Zulässigkeit des Nachschiebens neuer Gründe sei in § 114 Satz 2 VwGO geregelt, und übergeht die einschlägigen Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts. Schließlich wendet es § 40 VwVfG i.V.m. § 1 LVwVfG unrichtig an, soweit es annimmt, der Beklagte sei verpflichtet gewesen, bei seinen Ermessenserwägungen den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Umsetzung des Ersten Glücksspieländerungsvertrags zu berücksichtigen.

26

a) Das Berufungsgericht ist in Anwendung nichtrevisiblen Landesrechts davon ausgegangen, dass die Vermittlungstätigkeit der Klägerin formell illegal war und deshalb von der Ordnungsbehörde - bei fehlerfreier Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens - untersagt werden durfte. Dagegen ist nichts zu erinnern. Gleiches gilt für die Annahme des Berufungsgerichts, die Untersagungsverfügung sei ursprünglich damit begründet worden, dass die Vermittlungstätigkeit wegen des Sportwettenmonopols schlechterdings nicht erlaubt werden konnte. Revisionsrechtlich fehlerhaft ist jedoch seine weitere Annahme, der Beklagte habe diese Begründung nach der Öffnung des Erlaubnisverfahrens für Private im Jahr 2010 durch die neue Erwägung ersetzt, der Schutz des Erlaubnisverfahrens erfordere die Untersagung einer unerlaubten Gewerbeausübung; das Monopol habe deshalb seither für die Begründung der Ermessensentscheidung keine Rolle mehr gespielt. Diese Deutung verletzt revisible Auslegungsgrundsätze und wird den Erklärungen des Beklagten nicht gerecht.

27

Die bundesrechtlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB sind auf öffentlich-rechtliche Erklärungen entsprechend anzuwenden. Bei Verwaltungsakten kommt es wie bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden (natürliche Auslegung), sondern auf den objektiven Erklärungsinhalt an. Maßgeblich ist, wie der Empfänger die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der für ihn erkennbaren Umstände verstehen musste. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und deren objektiver Gehalt unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts zu ermitteln (stRspr, vgl. Urteile vom 2. September 1999 - BVerwG 2 C 22.98 - BVerwGE 109, 283 <286> = Buchholz 237.7 § 72 NWLBG Nr. 4 und vom 27. Juni 2012 - BVerwG 9 C 7.11 - BVerwGE 143, 222 = Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 206; BGH, Urteile vom 24. Februar 1988 - VIII ZR 145/87 - BGHZ 103, 275 <280>, vom 27. Januar 2010 - VIII ZR 58/09 - BGHZ 184, 128 <137 Rn. 33> und vom 1. März 2011 - II ZR 16/10 - NJW 2011, 1666 <1667 Rn. 11> je m.w.N.). Das setzt nicht zuletzt eine vollständige Berücksichtigung des Wortlauts schriftlicher Erklärungen voraus. Diesen Anforderungen genügt die berufungsgerichtliche Auslegung der Ausführungen des Beklagten zu den Gründen der Ermessensausübung nicht.

28

Die Annahme, das Monopol habe für die Begründung der Ermessensentscheidung seit Oktober 2010 keine Rolle mehr gespielt, beruht auf einer unvollständigen Berücksichtigung der Ausführungen in der Klageerwiderung des Beklagten vom 30. November 2011 und dessen im Wesentlichen inhaltsgleicher Berufungsbegründung vom 9. März 2012. Das Berufungsurteil gibt sinngemäß nur die Ausführungen des Beklagten zur Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts und zur materiellen Illegalität des Angebots der Wettunternehmer wieder (Ziffern I, II und V der Klageerwiderung sowie Ziffern IV bis VII der Berufungsbegründung) und reduziert das Beklagtenvorbringen darauf. Die umfangreichen Darlegungen beider Schriftsätze zur Rechtmäßigkeit des Monopols (Ziffern III und IV der Klageerwiderung sowie Ziffer II und III der Berufungserwiderung) und die Hinweise zum Verhältnis der beiden Begründungsstränge zueinander werden dabei ausgeblendet. Unberücksichtigt bleiben deshalb diejenigen Ausführungen der Klageerwiderung und der Berufungsbegründung, die im Einzelnen darlegen, aus welchen Gründen der Beklagte das Sportwettenmonopol weiterhin für unionsrechtskonform und für geeignet hält, die Untersagung zu rechtfertigen. So wendet er sich unter anderem gegen die Feststellung einer Expansionspolitik im Bereich des gewerblichen Automatenspiels und gegen die Annahme, aus einer solchen Politik folge schon die Ungeeignetheit des Monopols zur Suchtbekämpfung. Seine Ausführungen geben keinerlei Anhaltspunkte für eine zeitliche Zäsur in der Begründung der Untersagung. Das Berufungsurteil zeigt solche Anhaltspunkte auch nicht auf. Es prüft nur, ob das Nachschieben der neuen Ausführungen zur Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts nach § 114 Satz 2 VwGO noch als zulässige Ergänzung oder als Ersetzen der bisherigen Ermessenserwägungen einzuordnen ist. Dabei wird übersehen, dass die Frage nach der prozessualen Beachtlichkeit neuer Erwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO sich erst stellt, wenn durch Auslegung entsprechend §§ 133, 157 BGB ermittelt wurde, ob damit eine neue Begründung neben die bisherige oder an deren Stelle getreten ist, und wenn geklärt wurde, ob das Nachschieben der neuen Gründe verwaltungsverfahrensrechtlich zulässig war.

29

Bei vollständiger Berücksichtigung der Ausführungen des Beklagten wird deutlich, dass dieser die ursprüngliche Begründung der Untersagung mit dem Monopol auch für die Zeit ab Oktober 2010 nicht aufgeben wollte. Sein Vortrag, das Monopol sei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofs noch unionsrechtskonform, lässt sich nur dahin verstehen, dass er die Monopolregelung weiterhin und über den Herbst 2010 hinaus für rechtmäßig hält. Die nachgeschobenen Erwägungen sollten ersichtlich nur hilfsweise angeführt werden für den Fall, dass die Gerichte von einer Inkohärenz des Monopols im unionsrechtlichen Sinn ausgingen. Die Eröffnung des Erlaubnisverfahrens wird entsprechend als "vorsorglich" bezeichnet (vgl. Ziffer V Seite 23 f. der Klageerwiderung und Ziffer VII Seite 16 der Berufungserwiderung). Die Begründung mit dem Monopol wird also als Hauptbegründung aufrechterhalten; die Erwägungen zur alternativen Begründbarkeit mit der Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts haben nur Hilfsfunktion.

30

b) Auch der weiteren Annahme des Berufungsgerichts, die - von ihm angenommene - Auswechslung wesentlicher Ermessenserwägungen sei wegen Verstoßes gegen § 114 Satz 2 VwGO unzulässig, kann nicht zugestimmt werden.

31

aa) Ob ein Nachschieben von Ermessenserwägungen zulässig ist, bestimmt sich nach dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht. § 114 Satz 2 VwGO regelt lediglich, unter welchen Voraussetzungen derart veränderte Ermessungserwägungen im Prozess zu berücksichtigen sind (im Anschluss an das Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 1 C 14.10 - BVerwGE 141, 253 ).

32

Neue Gründe für einen Verwaltungsakt dürfen nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (stRspr, Urteile vom 14. Oktober 1965 - BVerwG 2 C 3.63 - BVerwGE 22, 215 <218> = Buchholz 232 § 32 BBG Nr. 14, vom 16. Juni 1997 - BVerwG 3 C 22.96 - BVerwGE 105, 55 <59> = Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 25 und vom 29. Januar 2001 - BVerwG 11 C 3.00 - Buchholz 401.64 § 6 AbwAG Nr. 3). Diese Grundsätze gelten auch bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung wie der glücksspielrechtlichen Untersagungsverfügung, wenn deren Begründung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum geändert werden soll. Dabei kann offenbleiben, ob eine solche rückwirkende Änderung ausscheidet, nachdem sich der Dauerverwaltungsakt endgültig erledigt hat, also seinen Regelungsgegenstand für die Zukunft verloren hat und auch für die Vergangenheit keinerlei fortwirkende Folgen mehr aufweist. Jedenfalls kann auch ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung in Ansehung eines bereits abgelaufenen Zeitraums nicht mehr mit Ermessenserwägungen begründet werden, durch welche die ursprüngliche Ermessensentscheidung im Kern ausgewechselt wird (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO-Kommentar, 13. Auflage 2010, § 114 Rn. 89).

33

Der Austausch wesentlicher Ermessenserwägungen kann jedoch zulässig sein, soweit die Begründung der glücksspielrechtlichen Untersagung (nur) für die Zukunft geändert wird. Als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung muss eine solche Untersagung einer Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung tragen. Sie ist deshalb auf eine Anpassung an jeweils neue Umstände angelegt und wird dadurch nicht zwangsläufig in ihrem Wesen verändert. So wie die Behörde die Untersagung mit neuer Begründung neu erlassen könnte, kann sie das Verbot auch mit geänderter Begründung für die Zukunft aufrechterhalten. Die Rechtsverteidigung des Betroffenen wird durch eine Änderung (nur) für die Zukunft nicht beeinträchtigt. Da für die rechtliche Beurteilung von Dauerverwaltungsakten grundsätzlich die jeweils aktuelle Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, muss das Prozessverhalten des Betroffenen sich ohnehin auf zukunftsbezogene Veränderungen einstellen. Führt (erst) die Änderung der Begründung der Untersagung mit Wirkung für die Zukunft dazu, dass die bisherigen Erfolgsaussichten einer Klage entfallen, steht es dem Betroffenen frei, den Rechtsstreit durch Erledigungserklärung ohne eigene Kostenbelastung zu beenden (vgl. § 161 Abs. 2 VwGO), sofern er die Untersagung nicht - etwa als Rechtsgrundlage noch rückgängig zu machender Vollzugsmaßnahmen - für die Vergangenheit (gegebenenfalls: weiterhin) anfechten oder wegen eines berechtigten Feststellungsinteresses im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag übergehen kann und will.

34

Aus § 114 Satz 2 VwGO ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen. Diese Vorschrift regelt nicht die Voraussetzungen für die materiell-rechtliche und verwaltungsverfahrensrechtliche Zulässigkeit des Nachschiebens von Ermessenserwägungen, sondern betrifft nur deren Geltendmachung im Prozess. Ihr Zweck ist es, klarzustellen, dass ein materiell- und verwaltungsverfahrensrechtlich zulässiges Nachholen von Ermessenserwägungen nicht an prozessualen Hindernissen scheitert (Urteile vom 5. Mai 1998 - BVerwG 1 C 17.97 - BVerwGE 106, 351 <364> = Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 13 und vom 13. Dezember 2011 a.a.O. ).

35

Kommt ein Nachschieben von Ermessenserwägungen nach dem Vorstehenden in Betracht, so muss dies allerdings genügend bestimmt geschehen. Das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit ergibt sich aus § 37 Abs. 1 VwVfG und gilt als Ausprägung des Rechtsstaatsgebots (Art. 20 Abs. 3 GG) auch für die Änderung eines Verwaltungsakts einschließlich seiner Begründung. Wird die Änderung erst in einem laufenden Verwaltungsprozess erklärt, so muss die Behörde unmissverständlich deutlich machen, dass es sich nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst. Außerdem muss deutlich werden, welche der bisherigen Erwägungen weiterhin aufrechterhalten und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden. Andernfalls wäre dem Betroffenen keine sachgemäße Rechtsverteidigung möglich (Urteil vom 13. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 18). Das wäre mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren.

36

bb) Da das Berufungsgericht auf die verwaltungsverfahrensrechtlichen Anforderungen nicht eingeht, übersieht es, dass die - von ihm angenommene - Änderung eines Verwaltungsakts nicht dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 LVwVfG genügte.

37

Der Beklagte hat erst während des Verwaltungsprozesses und nur im Wege prozessualen Vorbringens geltend gemacht, die Untersagung sei nicht allein aus dem Sportwettenmonopol, sondern alternativ und hilfsweise wegen der formellen und materiellen Illegalität der untersagten Tätigkeit gerechtfertigt. Das genügt den dargelegten Bestimmtheitsanforderungen nicht. Unklar bleibt, ob damit nur die Untersagung im Prozess verteidigt oder die angegriffene Verfügung selbst in ihrer Begründung geändert werden soll. Im letztgenannten Fall wird außerdem nicht deutlich, ob die Hilfsbegründung rückwirkend für den gesamten Wirkungszeitraum der Untersagungsverfügung oder nur für die Zeit nach dem Zugang der Erklärung eingeführt wird. Solche Zweifel und Unklarheiten gehen zulasten der Behörde (Urteil vom 13. Dezember 2011 a.a.O.). Das außergerichtliche Schreiben des Beklagten vom 13. November 2010 trägt nichts zur Klärung bei. Mit Blick auf die unionsgerichtliche Rechtsprechung weist es nur darauf hin, die Vermittlung sei weiterhin zumindest formell illegal, und kündigt an, eine Entscheidung des zuständigen Ministeriums abwarten zu wollen.

38

cc) Unabhängig davon wäre die neue Begründung, soweit sie - wie vom Berufungsgericht angenommen - auf den Zeitpunkt der Öffnung des Erlaubnisverfahrens im Oktober 2010 zurückwirken sollte, auch unzulässig, weil sie die Klägerin in ihrer Rechtsverteidigung beeinträchtigte.

39

Hätte die Beklagte die fehlende Erlaubnisfähigkeit nicht mehr mit dem Sportwettenmonopol, sondern allein mit der materiellen Illegalität der Wettvermittlung begründet, wären die wesentlichen Ermessenserwägungen für die Untersagung ausgetauscht worden. Die Rechtmäßigkeit und Anwendbarkeit des Monopols sind für die erste Begründung entscheidend, für die zweite jedoch unerheblich. Ein solcher Austausch wäre nur für die Zukunft zulässig, nicht hingegen auch rückwirkend für bereits verstrichene Zeiträume. Daran ändert auch nichts, dass beide Begründungen an das Fehlen einer Erlaubnis anknüpfen. Die formelle Illegalität erfüllt den Tatbestand der Untersagungsermächtigung und eröffnet damit nur das Ermessen. Dessen Ausübung muss sich daher nach anderen Kriterien richten. Ob im Austausch der wesentlichen Ermessenserwägungen schon eine Wesensänderung der Untersagung selbst liegt, kann dahinstehen. Jedenfalls wird die Rechtsverteidigung des Betroffenen erheblich beeinträchtigt, wenn die maßgeblichen Erwägungen rückwirkend ausgewechselt werden. Dies zwingt ihn, seine Rechtsverteidigung für eine erhebliche vergangene Zeitspanne völlig umzustellen. Solange die Ermessensausübung im Wesentlichen mit dem Sportwettenmonopol begründet wurde, konnte der Betroffene sich darauf konzentrieren, dessen Rechtswidrigkeit geltend zu machen. Die neue Begründung stellt erstmals auf die monopolunabhängigen Anforderungen an die Vermittlung und das Wettangebot ab. Dem Betroffenen bleibt nur, diese Anforderungen zu prüfen und für den gesamten bereits abgelaufenen Zeitraum entweder darzulegen, dass sie rechtswidrig waren, oder darzutun, dass seine Tätigkeit mit ihnen übereinstimmte. Soweit die rückwirkende Änderung der Begründung die Erfolgsaussichten der Klage entfallen lässt, kann er darauf nur nachträglich reagieren.

40

c) Entgegen dem angegriffenen Urteil war die - von ihm angenommene - Begründung der Untersagungsverfügung mit der formellen und materiellen Illegalität der Tätigkeit nicht schon ermessensfehlerhaft, weil sie den Gesetzentwurf zur Umsetzung des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags nicht berücksichtigte. Dabei kann offenbleiben, inwieweit der Beklagte unter Opportunitätsgesichtspunkten zu einer Einbeziehung des Entwurfs in seine Ermessenserwägungen befugt gewesen wäre. Eine Rechtspflicht dazu bestand im verfahrensgegenständlichen Zeitraum bis zur endgültigen Erledigung der angegriffenen Verfügung jedenfalls nicht.

41

Die Ermächtigung, die unerlaubte Wettvermittlung zu untersagen, ergab sich seinerzeit aus § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des Glücksspielstaatsvertrags - GlüStV (a.F.) i.V.m. § 11 Abs. 2 LGlüG. Die Ausübung des Ermessens musste gemäß § 40 VwVfG, der hier gemäß § 1 LVwVfG anzuwenden ist, dem Zweck der Ermächtigung entsprechen und die gesetzlichen Ermessensgrenzen beachten. Zu diesen Rechtsgrenzen zählte die gesetzliche Neuregelung des Glücksspielrechts erst mit ihrem Inkrafttreten. Zuvor entfaltete sie keine rechtliche Bindungswirkung. Das ergibt sich aus der rechtsstaatlichen Bindung der Exekutive an das Gesetz und aus dem verfassungsrechtlichen Demokratiegebot (Art. 20 Abs. 3 GG). Das Rechtsstaatsgebot verpflichtet die Verwaltung zur Anwendung des jeweils geltenden Rechts und lässt es nicht zu, davon mit Blick auf eine vorgeschlagene künftige Rechtsänderung abzuweichen. Das Demokratiegebot lässt es nicht zu, die Beachtung der vom Parlament erlassenen Gesetze zur Disposition der Verwaltung zu stellen. Entsprechend geht das Oberverwaltungsgericht auch nicht von einer Pflicht zur Voranwendung der beabsichtigten Rechtsänderung, sondern nur von einer Verpflichtung zu ihrer Vorberücksichtigung im Rahmen der Ermessenserwägungen aus (zur Begrifflichkeit vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, 1974, S. 94 f., 166; Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen im Tätigkeitsbereich der Verwaltung, 1997, S. 162).

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Aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot, das die Behörde als rechtliche Grenze des Ermessens beachten muss, ergibt sich ebenfalls keine Verpflichtung, den in den Landtag eingebrachten Gesetzentwurf zu berücksichtigen. Bis zum Inkrafttreten der Rechtsänderung war die Untersagung geeignet und erforderlich, die unerlaubte und nach damaliger Rechtslage nicht offensichtlich erlaubnisfähige Wettvermittlung zu unterbinden (vgl. zu diesen Kriterien Urteil vom 16. Mai 2013 - BVerwG 8 C 14.12 - Rn. 53 ff. - juris). Der Umstand, dass der Gesetzentwurf Regelungen vorsah, nach denen die materielle Erlaubnisfähigkeit des Wettangebots möglicherweise günstiger zu beurteilen war, führt auch nicht zur Unangemessenheit der Untersagung oder zu deren Unverhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Voraussetzung dafür wäre vielmehr, dass mit hinreichender Sicherheit vom Wirksamwerden der Neuregelung zu einem bestimmten, absehbaren Zeitpunkt auszugehen war und dass die Tätigkeit damit bereits legal werden würde (vgl. Urteil vom 6. Dezember 1985 - BVerwG 4 C 23.83 und 4 C 24.83 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 21 S. 8). Hier fehlt schon die erste Bedingung, die bei gesetzlichen Neuregelungen regelmäßig einen Gesetzesbeschluss des Parlaments voraussetzt. Im Zeitpunkt der Erledigung der Untersagungsverfügung war das Gesetzgebungsverfahren noch nicht über die erste Lesung im Parlament und die Überweisung an die Ausschüsse hinausgelangt. Außerdem stand noch nicht fest, ob der durch das Gesetz umzusetzende Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag, wie in seinem Art. 2 Abs. 1 vorausgesetzt, bis zum 30. Juni 2012 von mindestens 13 Bundesländern ratifiziert werden und zum 1. Juli 2012 in Kraft treten würde.

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Ein Ermessensdefizit lässt sich auch nicht unabhängig vom Verhältnismäßigkeitsgebot aus der Pflicht herleiten, alle ermessensrelevanten Gesichtspunkte im Sinne einer vollständigen Interessenabwägung in die Entscheidung einzubeziehen. Rechtlich begrenzt und gerichtlich überprüfbar ist die Ermessensausübung nach § 40 VwVfG nur, soweit sie durch den Zweck der Ermächtigung und die gesetzlichen Grenzen der Ermessensausübung gebunden wird. Die Umstände, die für die Beachtung dieser rechtlichen Grenzen relevant sind, wurden bereits in den Ausführungen zum Rechtsstaatsgebot und zur Verhältnismäßigkeit erörtert. Der Zweck der Ermächtigung, den Erlaubnisvorbehalt zur Sicherung des Jugend- und Spielerschutzes durchzusetzen, gebietet ebenfalls keine Vorberücksichtigung einer Entwurfsregelung, die das gerade zum Jugend- und Spielerschutz erlassene Internetverbot lockert und weitere, bis zur Rechtsänderung illegale Wettformen zulässt.

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d) Entgegen der Auffassung der Revision musste das Berufungsgericht aber nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null zulasten der Klägerin ausgehen. Umstände, deretwegen jedes Zuwarten des Beklagten rechtswidrig gewesen wäre, sind weder festgestellt noch von der Revision geltend gemacht worden. Der Vortrag, das Wettangebot des Wettunternehmers schließe materiell illegale Wettformen ein, belegt noch nicht, dass auch die konkrete Vermittlungstätigkeit der Klägerin materiell illegal war und nicht zumindest unter Nebenbestimmungen erlaubnisfähig gewesen wäre. Das Berufungsgericht hat auch den Begriff des intendierten Ermessens nicht verkannt, der als Rechtsfigur des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts revisibel ist. Ob die Untersagungsermächtigung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nur ein intendiertes Ermessen einräumte, ist eine revisionsrechtlich nicht zu überprüfende Frage der Auslegung dieser irrevisiblen Vorschrift (vgl. den in diesem Verfahren ergangenen Beschluss vom 17. Oktober 2012 - BVerwG 8 B 61.12 - Rn. 13 - juris).

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3. Das Berufungsurteil beruht auf der unzutreffenden Anwendung der §§ 133, 157 BGB, § 40 VwVfG und § 114 Satz 2 VwGO, weil es bezüglich des noch verfahrensgegenständlichen Zeitraums nicht von einer fehlerfreien Alternativbegründung getragen wird. Zur Beurteilung der Untersagung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum stellt das angegriffene Urteil unter Ziffer 3 b seiner Entscheidungsgründe allein auf den - angenommenen - Austausch der Begründung der Untersagungsverfügung und die - vermeintliche - Rechtswidrigkeit der nachgeschobenen Erwägungen ab. Nur bezüglich des vorhergehenden Zeitraums bis zur Öffnung des Erlaubnisverfahrens für Private im Jahr 2010 - genauer: im Oktober diesen Jahres - geht es davon aus, dass die Untersagung auf das Sportwettenmonopol gestützt wurde, und begründet ihre Rechtswidrigkeit mit der Erwägung, dieses sei wegen systematischer Verstöße gegen die verfassungs- und unionsrechtlichen Grenzen zulässiger Werbung rechtswidrig gewesen (vgl. Ziffer 3 a der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils).

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4. Bezüglich des verfahrensgegenständlichen Zeitraums erweist das Urteil sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

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Zwar ist das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Hinweis des Beklagten auf die formelle und materielle Illegalität der Wettvermittlung das Verbot nicht trägt. Wie bereits dargelegt, sind die verwaltungsverfahrensrechtlichen Anforderungen an eine nachträgliche Änderung der Begründung der Untersagungsverfügung nicht erfüllt, weil sie nicht hinreichend bestimmt erklärt wurde und ein Austausch der Ermessenserwägungen für die Vergangenheit ohnehin unzulässig wäre.

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Ob indes die im angegriffenen Urteil übergangene, vom Beklagten aufrechterhaltene Begründung der Untersagung mit dem Sportwettenmonopol im Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 10. Mai 2012 rechtswidrig war, lässt sich auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend beurteilen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus den Feststellungen, die das angegriffene Urteil zur Werbung des Monopolträgers im Jahr 2010 und darüber hinaus getroffen hat, noch keine Rechtswidrigkeit des Monopols. Die Werbebeispiele für den hier maßgeblichen Zeitraum seit Oktober 2010 belegen keine systematischen Verstöße gegen § 5 GlüStV oder die verfassungs- und unionsrechtlichen Werbebeschränkungen, aus denen auf rechtlich illegitime, fiskalische Ziele des Monopols zu schließen wäre. Aus der Bezugnahme auf herausragende Sportereignisse folgt noch kein Verstoß gegen die Pflicht, die Werbung zur Kanalisierung der vorhandenen Nachfrage auf sachliche Information und Aufklärung über die legalen Wettangebote zu beschränken. So darf ein herausragendes Sportereignis als Gegenstand der angebotenen Wetten benannt werden. Unzulässig ist es dagegen, in stimulierender, zur Teilnahme am Glücksspiel ermunternder oder anreizender Art und Weise auf ein solches Sportereignis Bezug zu nehmen oder die Bezugnahme mit der Ankündigung höherer oder zusätzlicher Gewinnchancen zu verknüpfen (Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 34). Eine Missachtung dieser Grenzen ist anhand der Werbebeispiele, die das Berufungsgericht für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum aufgeführt hat, nicht festzustellen. Insbesondere gehen Formulierungen nach dem Muster " bei ODDSET" nicht über eine zulässige Information über den Gegenstand der angebotenen Wetten hinaus. Die Beurteilung der Werbeanzeige "Wochen der Entscheidung" (April 2011) und der mit Vereinssignets illustrierten Anzeige "Derby-Zeit" (Januar 2012) kann dahinstehen, weil aus einem Einzelfall unzulässiger Werbung pro Jahr noch nicht auf eine rechtswidrige Zielsetzung des Monopols geschlossen werden kann.

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5. Eine Sachentscheidung nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO ist auf der Grundlage der vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen nicht möglich. Als Grundlage für eine abschließende Beurteilung der Werbepraxis im verfahrensgegenständlichen Zeitraum oder gar der Rechtmäßigkeit des Monopols im Übrigen reichen sie nicht aus. Die für die Zeit seit Oktober 2010 aufgeführten Werbebeispiele stehen im Zusammenhang der Ausführungen des Berufungsurteils zum Zeitraum bis 2010 und sollen ersichtlich nur die Kontinuität bestimmter Werbestrategien während dieses Jahres und - vereinzelt - noch darüber hinaus belegen. Weitere und genauere Feststellungen waren aus der Sicht des Berufungsgerichts nicht erforderlich, weil es die Untersagung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum aus anderen Gründen für rechtswidrig hielt. Mangels einschlägiger Feststellungen des Berufungsgerichts kann auch nicht beurteilt werden, ob das Monopol im verfahrensgegenständlichen Zeitraum unabhängig von der Werbepraxis rechtswidrig war, etwa wegen einer gegenläufigen Glücksspielpolitik in einem anderen Bereich mit mindestens gleich hohem Suchtpotenzial, wenn diese zur Folge hatte, dass das Monopol nicht mehr wirksam zum Erreichen der mit ihm verfolgten, unionsrechtlich legitimen Ziele beitragen konnte. Vor der erforderlichen weiteren Sachaufklärung lässt sich nicht absehen, ob und gegebenenfalls welche Zweifelsfragen zu den unionsrechtlichen Grenzen zulässiger Werbung für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich sein werden. Derzeit besteht daher gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV kein Anlass, das vom Beklagten angeregte Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten.

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Da eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist, muss die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Dieses wird bei seiner weiteren Prüfung zu berücksichtigen haben, dass sich eine Verletzung der unionsrechtlichen Grenzen zulässiger Werbung auch aus Werbemaßnahmen ergeben kann, die im Rahmen einer im Deutschen Lotto- und Totoblock abgestimmten Werbestrategie unter einer gemeinsamen Dachmarke verbreitet werden (vgl. Urteil vom 20. Juni 2013 - BVerwG 8 C 10.12 - Rn. 40 ff.).

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.