Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 27. Aug. 2013 - 17 K 4309/12.A
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die 1987 geborene Klägerin behauptet aus Syrien stammend und kurdischer Volks- sowie yezidischer Glaubenszugehörigkeit zu sein. Nach eigenen Angaben reiste sie am 25. März 2011 zusammen mit ihren Geschwistern, den Klägern im Verfahren 17 K 3903/12.A (J. I. ), 17 K 5504/12.A (N. I. ) sowie 21 K 5254/12.A (L. I. ), auf dem Luftweg aus der Türkei kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5 April 2011 einen Asylantrag.
3Im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 12. April 2011 trug sie im Wesentlichen vor, ein Freund ihres Bruders N. habe ein Tasche mit Blättern einer Partei zu ihnen nach Hause gebracht. Die Papiere selbst habe sie nicht gesehen. Der Freund habe einer Partei angehört, ihr Bruder indes nicht. Welche Partei das gewesen sei, wisse sie nicht. Der Freund sei dann verhaftet worden und habe den Aufenthaltsort der Tasche verraten. Drei bis vier Tage später hätten die Sicherheitskräfte N. bei ihnen zu Hause verhaftet, dies sei im Februar 2010 gewesen. Er sei dann etwa fünf Monate im Gefängnis gewesen. Bei der Verhaftung habe sie gearbeitet, die kleinen Geschwister hätten ihr Bescheid gesagt. Bei der Festnahme sei ihr Vater nicht anwesend gewesen, nur die Mutter, die Geschwister und die Oma, die geschubst worden sei. Auch ihr Vater wäre verhaftet worden und soweit erinnerlich etwa 20 Tage in Haft geblieben. Ebenso sei der andere Bruder, L. , zirka eine Woche in Haft genommen worden. Sie habe das Land erst im März 2011 verlassen, weil sie vorher nicht so viel Geld für eine Ausreise besessen hätte, da ihr Vater alles für die Freilassung des Bruders gezahlt habe. Sie sei wegen ihrer Religion beschimpft und beleidigt worden, zudem hätten die Araber sie wegen des Vorfalls mit ihrem Bruder unterdrückt, beschimpft und bedroht.
4Mit Bescheid vom 16. Mai 2012 -zugestellt am 23. Mai 2012- lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte ab (Ziffer 1) und stellte das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaften fest (Ziffer 2). Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hinsichtlich Syrien wurde festgestellt (Ziffer 3). Zur Begründung von Ziffer 1 und 2 führte das Bundesamt aus, asyl- und flüchtlingsrelevante Anknüpfungsmerkmale lägen nach dem Vorbringen der Klägerin nicht vor; ihre Angaben seien unglaubhaft und entsprächen nicht tatsächlich Erlebtem.
5Die Klägerin hat dagegen am 4. Juni 2012 Klage unter Verweis auf ihre Angaben im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt erhoben und diese im Laufe des Verfahrens vertieft.
6Die Klägerin beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 1 und 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Mai 2012 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.
8Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
9die Klage abzuweisen.
10Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
11In dem Erörterungstermin hat das Gericht die Klägerin angehört. Insoweit wird auf den Inhalt der Niederschrift verwiesen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes und der Ausländerakte sowie den der beigezogenen Gerichtsakten nebst dortigen Niederschriften zum Erörterungstermin und Verwaltungsvorgängen in den Verfahren 17 K 3903/12.A, 17 K 5504/12.A sowie 21 K 5254/12.A Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden nachdem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben und der Verzicht auch nicht verbraucht ist (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
15A. Die zulässige Klage ist unbegründet.
16Der Bescheid des Bundesamtes vom 16. Mai 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 und 1 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-. Sie hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz -AsylVfG-) keinen Anspruch auf die mit der Klage verfolgte Ankerkennung als Asylberechtigte bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
17Nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz -GG- genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer dann die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 QualRL ergänzend anzuwenden (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
18Unionsrechtlich findet sowohl die Richtlinie 2004/83/EG als auch deren Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Anwendung. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU; vgl. dazu auch Entwurf des nationalen Umsetzungsgesetzes BT-Drs. 17/13063 und 17/13556: i.W. in Kraft treten am 1. Dezember 2013), so dass es bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Satz 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) bleibt. Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Satz 1 der Richtlinie 2011/95/EU); vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 ‑ 10 C 23.12 ‑, juris Rn 13.
19Für die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann,
20vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn 32 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 35 ff.
21Nach Art. 4 Abs. 4 QualRL in Verbindung mit § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist dabei die Tatsache, dass ein Antragsteller in seinem Herkunftsland bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung bei seiner Rückkehr in das Herkunftsland begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Die Vorschrift privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis nunmehr mittels einer Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Somit wird er von der Notwendigkeit entlastet, tragende Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber durch stichhaltige Gründe widerlegt werden, die die Wiederholungsträchtigkeit solcher Umstände entkräften. Ob dies gelingt, ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen,
22vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 35 ff.
23Aus den in Art. 4 QualRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Antragstellers folgt, dass es -auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie- Sache des Antragstellers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht bzw. bereits stattgefunden hat. Hierzu gehört, dass der Antragsteller zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Antragstellers berücksichtigt werden,
24vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 33 m.w.N.
25Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann weder festgestellt werden, dass die Klägerin vorverfolgt aufgrund bereits erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung aus Syrien ausgereist ist (I.) noch, dass in der Zwischenzeit Gründe eingetreten sind, die es rechtfertigten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien auszugehen (II.).
26I. Es ist bereits nicht glaubhaft, dass der Klägerin vor ihrer Ausreise aus Syrien nach dem dargelegten Maßstab politische Verfolgung widerfahren ist oder drohte.
27Ihr selbst ist nach eigenem Bekunden sowohl bei der Anhörung vor dem Bundesamt als auch in dem gerichtlichen Erörterungstermin keine beachtliche politische Verfolgung widerfahren. Sie hat sich nicht nur als gänzlich unpolitische Person ohne eigene Überzeugung oder entsprechende Grundhaltung dargestellt, sondern sie war auch weder politisch aktiv noch hatte sie eigene Probleme mit staatlichen syrischen Stellen.
28Der Klägerin droht auch nicht im Hinblick auf ihren Bruder N. - Kläger im Parallelverfahren 17 K 5504/12.A-, der letztlich die Verfolgungsgeschichte vermitteln sollte, oder ihren Bruder L. -Kläger im Parallelverfahren 21 K 5254/12.A- eine erhebliche Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft. Es kann hier offen bleiben, nach welchen Kriterien im Einzelnen angesichts des in Syrien herrschenden Konfliktes eine Sippenhaft ausnahmsweise angenommen werden kann,
29vgl. allg. dazu VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Januar 2012 - 21 K 4817/10.A -, UA S. 11 m.w.N.: nach wie vor keine generelle Praxis der Sippenhaft in Syrien.
30Denn nach den Feststellungen der erkennenden Kammer bzw. der 21. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf in den zuvor benannten Verfahren ihrer Brüder ist diesen in Syrien keine behauptete politische Verfolgung geschehen. Deren Vorbringen ist als unglaubhaft gewürdigt worden. Insoweit wird auf das entsprechende Urteil vom 27. August 2013 in der Sache 17 K 5504/12.A sowie datumsgleich in dem Verfahren 21 K 5254/12.A Bezug genommen und sich die dortigen Ausführungen jeweils zu Eigen gemacht. Scheidet eine Verfolgung der Brüder aber schon aus, hat auch die Klägerin im Rahmen einer sippenhaftähnlichen Gefährdung nichts zu vergewärtigen.
31Hinsichtlich der allgemeinen Situation der kurdischen Yeziden geht das Gericht, in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen davon aus, dass -auch unter der gegenwärtigen Situation in Syrien- keine Anhaltspunkte bestehen für eine unmittelbare staatliche oder eine mittelbare durch nichtstaatliche Akteure hervorgerufene oder drohende Gruppenverfolgung wegen ihrer Glaubensüberzeugung,
32vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 14 A 64/11.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2010 ‑ 14 A 2541/10.A ‑; OVG NRW, Beschluss vom 26. August 2010 - 14 A 1835/10.A-, jew. m.w.N.; vgl. insoweit auch ausführlich VG Düsseldorf, Urteil vom 24. September 2010 - 21 K 4217/09.A -, juris.
33Die Klägerin beruft sich ungeachtet dessen auch nur am Rande auf eigene Unzuträglichkeiten wegen ihrer Eigenschaft allein als Kurdin und Yezidin (vornehmlich Beschimpfungen / Beleidigungen durch Araber), die aber für sich keine eigene politische Verfolgung begründen. Die im Zusammenhang mit der vermeintlichen Festnahme ihres Bruders behaupteten Probleme („Druck“ / Beschimpfungen / nicht mehr alleine das Haus verlassen bzw. arbeiten) können -ungeachtet ihrer asyl- oder flüchtlingserheblichen Relevanz überhaupt- auch schon deshalb nicht geglaubt werden, weil -wie dargelegt- der Vortrag des Bruders N. bzw. L1. selbst unglaubhaft ist. Abgesehen davon kann sie - auch unter Zugrundelegung ihres sie selbst betreffenden Vortrags - ohne flüchtlingsrechtlich relevante Gefahr den Glauben im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QualRL in Syrien ausüben,
34vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 14 A 64/11.A -, juris.
35II. Nach Verlassen ihres Heimatlandes eingetretene Gründe, die es rechtfertigten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle der Rückkehr nach Syrien auszugehen, sind im gesamten Verfahren nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
36Dies gilt insbesondere für eine etwaige Bedrohung der Klägerin im Rückkehrfalle allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung sowie ihres Aufenthalts im Ausland, die dann als Einzelverfolgung aufgrund von Gruppenzugehörigkeit zu einer der vorgenannten Personenkreise zu werten wäre.
37Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen geht in ständiger Rechtsprechung, die sich die Kammer zu eigen macht, davon aus, dass unverfolgt illegal ausgereiste Rückkehrer nach Syrien -auch solche kurdischer Volks- und yezidischer Glaubenszugehörigkeit-, die sich im Ausland aufgehalten haben und einen Asylantrag gestellt haben, selbst in Ansehung der Repressionen des syrischen Staates in Bezug auf Oppositionelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt werden. Rückkehrer nach Syrien unterliegen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Dies begründet aber alleine einen Anspruch auf Abschiebungsschutz -dem der angefochtene Bescheid auch in Ziff. 3. seines Tenors Rechnung trägt-, nicht aber den Anspruch, als politisch Verfolgter anerkannt zu werden,
38vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 14 1517/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 A 1008/13.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 23. August 2012 - 14 A 1922/12.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A -, NRWE; zu yezidischen Kurden OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A, juris, m.w.N.
39Belastbare Erkenntnisse, die die Annahme nahelegten, der syrische Staat erkenne in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern grundsätzlich eine erhöhte Gefahr und habe anders als vor Ausbruch des Konflikts eine entsprechende Handlungsmotivation dieser Personengruppe gegenüber entwickelt, so dass nunmehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung bestehe, lassen sich derzeit nicht hinreichend ausmachen. Nichts anderes folgt aufgrund der davon abweichenden Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt,
40vgl. etwa OVG LSA, Urteil vom 17. Juli 2012 - 3 L 417/11, juris und das weiter vom Kläger benannte Urteil des VG Oldenburg vom 17. Mai 2013 - 4 A 4137/12, Bl. 75ff. GA,
41dass eine solche Gefährdung annimmt. Diese Auffassung beruht mangels nötiger Referenzfälle, die es wegen ausgesetzter Abschiebungen nicht gibt, notwendigerweise auf einer wertenden Gesamtschau aller Umstände, die die erkennende Kammer nicht teilt. Denn es ist fernliegend anzunehmen, der syrische Staat, dessen Machthaber gegen Aufständische um das politische und physische Überleben kämpfen und dabei bereits die Kontrolle über Teile des Landes verloren haben, hätte Veranlassung und Ressourcen, alle zurückgeführten unpolitischen Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund aus den in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Gründen zu verfolgen; das bloße Vorliegen eines mit aller Härte geführten bewaffneten Konflikts in Syrien reicht hierfür nicht aus,
42vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 14 1517/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 1008/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A - m.w.N., juris; VG Düsseldorf, 14. Mai 2013 - 17 K 9165/12.A -, juris; VG Augsburg, Urteil vom 28. Dezember 2012 - Au 6 K 12.30264, juris.
43Nicht zuletzt wird es gerade aufgrund der derzeitigen militärischen Auseinandersetzungen den syrischen Machhabern auch vor Augen stehen, dass Flüchtlinge ihr Heimatland nicht allein wegen einer regimefeindlichen Gesinnung, sondern vielfach, wenn nicht gar überwiegend vornehmlich wegen der allgemeinen kriegsähnlichen Lage und den damit verbundenen Gefahren verlassen.
44Weitere nach Verlassen ihres Heimatlandes eingetretene Gründe, die es rechtfertigten von einer Rückkehrgefährdung auszugehen, hat die Klägerin nicht dargelegt.
45B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit ergibt sich aus § 30 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 27. Aug. 2013 - 17 K 4309/12.A
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Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 27. Aug. 2013 - 17 K 4309/12.A zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die 1993 geborene Klägerin behauptet aus Syrien stammend und kurdischer Volks- sowie yezidischer Glaubenszugehörigkeit zu sein. Nach eigenen Angaben reiste sie am 25. März 2011 zusammen mit ihren Geschwistern, den Klägern im Verfahren 17 K 4309/12.A (T. I. ), 17 K 5504/12.A (N. I. ) sowie 21 K 5254/12.A (L. I. ), auf dem Luftweg aus der Türkei kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5. April 2011 einen Asylantrag.
3Im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 12. April 2011 trug sie im Wesentlichen vor, zu ihrem Bruder N. sei ein Mann gekommen, der zwei Mal eine Art Tasche gebracht habe. Beim zweiten Mal habe er diese nicht wieder abgeholt, vielmehr seien im Februar 2010 Sicherheitskräfte gekommen und hätten ihren Bruder verhaftet sowie die Tasche, in der sich Parteiblätter und sonstige Unterlagen befunden hätten, mitgenommen. Ihr Bruder, der keiner Partei angehörte, sei dann sechs Monate im Gefängnis gewesen. Ebenso sei der jüngere Bruder, L. , zirka 20 Tage in Haft genommen worden. Auch ihr Vater wäre verhaftet worden und ein Woche in Haft geblieben. Sie selbst sei geflohen wegen der Unterdrückung durch die Araber und die Regierung.
4Mit Bescheid vom 25. April 2012 -zugestellt am 30. April 2012- lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte ab (Ziffer 1) und stellte das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaften fest (Ziffer 2). Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hinsichtlich Syrien wurde festgestellt (Ziffer 3). Zur Begründung von Ziffer 1 und 2 führte das Bundesamt aus, asyl- und flüchtlingsrelevante Anknüpfungsmerkmale lägen nach dem Vorbringen der Klägerin nicht vor; ihre Angaben seien unglaubhaft und entsprächen nicht tatsächlich Erlebtem.
5Die Klägerin hat dagegen am 14. Mai 2012 Klage unter Verweis auf ihre Angaben im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt erhoben und diese im Laufe des Verfahrens vertieft.
6Die Klägerin beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 1 und 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. April 2012 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.
8Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
9die Klage abzuweisen.
10Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
11In dem Erörterungstermin hat das Gericht die Klägerin angehört. Insoweit wird auf den Inhalt der Niederschrift verwiesen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes und der Ausländerakte sowie den der beigezogenen Gerichtsakten nebst dortigen Niederschriften zum Erörterungstermin und Verwaltungsvorgängen in den Verfahren 17 K 4309/12.A, 17 K 5504/12.A sowie 21 K 5254/12.A Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden nachdem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben und der Verzicht auch nicht verbraucht ist (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
15A. Die zulässige Klage ist unbegründet.
16Der Bescheid des Bundesamtes vom 25. April 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 und 1 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-. Sie hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz -AsylVfG-) keinen Anspruch auf die mit der Klage verfolgte Ankerkennung als Asylberechtigter bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
17Nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz -GG- genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer dann die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 QualRL ergänzend anzuwenden (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
18Unionsrechtlich findet sowohl die Richtlinie 2004/83/EG als auch deren Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Anwendung. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU; vgl. dazu auch Entwurf des nationalen Umsetzungsgesetzes BT-Drs. 17/13063 und 17/13556: i.W. in Kraft treten am 1. Dezember 2013), so dass es bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Satz 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) bleibt. Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Satz 1 der Richtlinie 2011/95/EU); vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 ‑ 10 C 23.12 ‑, juris Rn 13.
19Für die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann,
20vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn 32 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 35 ff.
21Nach Art. 4 Abs. 4 QualRL in Verbindung mit § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist dabei die Tatsache, dass ein Antragsteller in seinem Herkunftsland bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung bei seiner Rückkehr in das Herkunftsland begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Die Vorschrift privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis nunmehr mittels einer Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Somit wird er von der Notwendigkeit entlastet, tragende Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber durch stichhaltige Gründe widerlegt werden, die die Wiederholungsträchtigkeit solcher Umstände entkräften. Ob dies gelingt, ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen,
22vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 35 ff.
23Aus den in Art. 4 QualRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Antragstellers folgt, dass es -auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie- Sache des Antragstellers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht bzw. bereits stattgefunden hat. Hierzu gehört, dass der Antragsteller zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Antragstellers berücksichtigt werden,
24vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 33 m.w.N.
25Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann weder festgestellt werden, dass die Klägerin vorverfolgt aufgrund bereits erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung aus Syrien ausgereist ist (I.) noch, dass in der Zwischenzeit Gründe eingetreten sind, die es rechtfertigten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien auszugehen (II.).
26I. Es ist bereits nicht glaubhaft, dass der Klägerin vor ihrer Ausreise aus Syrien nach dem dargelegten Maßstab politische Verfolgung widerfahren ist oder drohte.
27Ihr selbst ist nach eigenem Bekunden sowohl bei der Anhörung durch das Bundesamt als auch in dem gerichtlichen Erörterungstermin keine beachtliche politische Verfolgung widerfahren. Sie hat sich nicht nur als gänzlich unpolitische Person ohne eigene Überzeugung oder entsprechende Grundhaltung dargestellt, sondern sie war auch weder politisch aktiv noch hatte sie eigene Probleme mit staatlichen syrischen Stellen. Ihr ist -wie sie selbst angibt- zu keiner Zeit ihres Aufenthaltes in Syrien irgendetwas mit Blick auf ihr Begehren im Verfahren passiert.
28Der Klägerin droht auch nicht im Hinblick auf ihren Bruder N. -Kläger im Parallelverfahren 17 K 5504/12.A-, der letztlich die Verfolgungsgeschichte vermitteln sollte, oder ihren Bruder L. -Kläger im Parallelverfahren 21 K 5254/12.A- eine erhebliche Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft. Es kann hier offen bleiben, nach welchen Kriterien im Einzelnen angesichts des in Syrien herrschenden Konfliktes eine Sippenhaft ausnahmsweise angenommen werden kann,
29vgl. allg. dazu VG Düsseldorf, Urteil vom 6. Januar 2012 - 21 K 4817/10.A -, UA S. 11 m.w.N.: nach wie vor keine generelle Praxis der Sippenhaft in Syrien.
30Denn nach den Feststellungen der erkennenden Kammer bzw. der 21. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf in den zuvor benannten Verfahren ihrer Brüder ist diesen in Syrien keine behauptete politische Verfolgung geschehen. Deren Vorbringen ist als unglaubhaft gewürdigt worden. Insoweit wird auf das entsprechende Urteil vom 27. August 2013 in der Sache 17 K 5504/12.A sowie datumsgleich in dem Verfahren 21 K 5254/12.A Bezug genommen und sich die dortigen Ausführungen jeweils zu Eigen gemacht. Scheidet eine Verfolgung der Brüder aber schon aus, hat auch die Klägerin im Rahmen einer sippenhaftähnlichen Gefährdung nichts zu vergewärtigen.
31Hinsichtlich der allgemeinen Situation der kurdischen Yeziden geht das Gericht, in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen davon aus, dass -auch unter der gegenwärtigen Situation in Syrien- keine Anhaltspunkte bestehen für eine unmittelbare staatliche oder eine mittelbare durch nichtstaatliche Akteure hervorgerufene oder drohende Gruppenverfolgung wegen ihrer Glaubensüberzeugung,
32vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 14 A 64/11.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2010 ‑ 14 A 2541/10.A ‑; OVG NRW, Beschluss vom 26. August 2010 - 14 A 1835/10.A-, jew. m.w.N.; vgl. insoweit auch ausführlich VG Düsseldorf, Urteil vom 24. September 2010 – 21 K 4217/09.A -, juris.
33Die Klägerin beruft sich ungeachtet dessen auch nur am Rande auf eigene Unzuträglichkeiten wegen ihrer Eigenschaft als Kurdin und Yezidin (allgemein „Unterdrückung“ durch Araber/Regierung), die aber für sich keine eigene politische Verfolgung begründen. Abgesehen davon kann sie - auch unter Zugrundelegung ihres sie selbst betreffenden Vortrags - ohne flüchtlingsrechtlich relevante Gefahr den Glauben im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QualRL in Syrien ausüben,
34vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 14 A 64/11.A -, juris.
35II. Nach Verlassen ihres Heimatlandes eingetretene Gründe, die es rechtfertigten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle der Rückkehr nach Syrien auszugehen, sind im gesamten Verfahren nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
36Dies gilt insbesondere für eine etwaige Bedrohung der Klägerin im Rückkehrfalle allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung sowie ihres Aufenthalts im Ausland, die dann als Einzelverfolgung aufgrund von Gruppenzugehörigkeit zu einer der vorgenannten Personenkreise zu werten wäre.
37Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen geht in ständiger Rechtsprechung, die sich die Kammer zu eigen macht, davon aus, dass unverfolgt illegal ausgereiste Rückkehrer nach Syrien -auch solche kurdischer Volks- und yezidischer Glaubenszugehörigkeit-, die sich im Ausland aufgehalten haben und einen Asylantrag gestellt haben, selbst in Ansehung der Repressionen des syrischen Staates in Bezug auf Oppositionelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt werden. Rückkehrer nach Syrien unterliegen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Dies begründet aber alleine einen Anspruch auf Abschiebungsschutz -dem der angefochtene Bescheid auch in Ziff. 3. seines Tenors Rechnung trägt-, nicht aber den Anspruch, als politisch Verfolgter anerkannt zu werden,
38vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 14 1517/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 A 1008/13.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 23. August 2012 - 14 A 1922/12.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A -, NRWE; zu yezidischen Kurden OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A, juris, m.w.N.
39Belastbare Erkenntnisse, die die Annahme nahelegten, der syrische Staat erkenne in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern grundsätzlich eine erhöhte Gefahr und habe anders als vor Ausbruch des Konflikts eine entsprechende Handlungsmotivation dieser Personengruppe gegenüber entwickelt, so dass nunmehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung bestehe, lassen sich derzeit nicht hinreichend ausmachen. Nichts anderes folgt aufgrund der davon abweichenden Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt,
40vgl. etwa OVG LSA, Urteil vom 17. Juli 2012 - 3 L 417/11, juris und das weiter vom Kläger benannte Urteil des VG Oldenburg vom 17. Mai 2013 - 4 A 4137/12, Bl. 75ff. GA,
41dass eine solche Gefährdung annimmt. Diese Auffassung beruht mangels nötiger Referenzfälle, die es wegen ausgesetzter Abschiebungen nicht gibt, notwendigerweise auf einer wertenden Gesamtschau aller Umstände, die die erkennende Kammer nicht teilt. Denn es ist fernliegend anzunehmen, der syrische Staat, dessen Machthaber gegen Aufständische um das politische und physische Überleben kämpfen und dabei bereits die Kontrolle über Teile des Landes verloren haben, hätte Veranlassung und Ressourcen, alle zurückgeführten unpolitischen Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund aus den in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Gründen zu verfolgen; das bloße Vorliegen eines mit aller Härte geführten bewaffneten Konflikts in Syrien reicht hierfür nicht aus,
42vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 14 1517/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 1008/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A - m.w.N., juris; VG Düsseldorf, 14. Mai 2013 - 17 K 9165/12.A -, juris; VG Augsburg, Urteil vom 28. Dezember 2012 - Au 6 K 12.30264, juris.
43Nicht zuletzt wird es gerade aufgrund der derzeitigen militärischen Auseinandersetzungen den syrischen Machhabern auch vor Augen stehen, dass Flüchtlinge ihr Heimatland nicht allein wegen einer regimefeindlichen Gesinnung, sondern vielfach, wenn nicht gar überwiegend vornehmlich wegen der allgemeinen kriegsähnlichen Lage und den damit verbundenen Gefahren verlassen.
44Weitere nach Verlassen ihres Heimatlandes eingetretene Gründe, die es rechtfertigten von einer Rückkehrgefährdung auszugehen, hat die Klägerin nicht dargelegt.
45B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit ergibt sich aus § 30 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der 1989 geborene Kläger behauptet aus Syrien stammend und kurdischer Volks- sowie yezidischer Glaubenszugehörigkeit zu sein. Nach eigenen Angaben reiste er am 25. März 2011 zusammen mit seinen Geschwistern, den Klägern im Verfahren 17 K 4309/12.A (T. I. ), 17 K 3903/12.A (J. I. ) sowie 21 K 5254/12.A (L. I. ), auf dem Luftweg aus der Türkei kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5. April 2011 einen Asylantrag.
3Im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 12. April 2011 trug er im Wesentlichen vor, ein Freund von ihm habe ihm zwei Mal einen Koffer gebracht. Dann sei der Freund verhaftet worden. Drei bis vier Tage danach seien die Sicherheitskräfte auch zu ihm nach Hause gekommen und hätten ihn verhaftet. Dies sei im Februar 2010 geschehen. Er habe mit seinem Freund nicht zusammengearbeitet, dieser habe lediglich etwas bei ihm unterstellen wollen. Später habe er festgestellt, dass es Unterlagen einer Partei waren. Er wisse allerdings nicht welcher. Auch könne er nicht sagen, zu welcher Partei der Freund gehörte, er habe lediglich dessen Parteimitgliedschaft vermutet. Bei seiner eigenen Verhaftung seien sein Vater, die Mutter sowie die beiden kleinen Schwestern anwesend gewesen. Hinsichtlich seines Bruders sei er nicht sicher, dieser könnte bei der Arbeit gewesen sein. Er sei anschließend sechs Monate in einem Gefängnis gewesen, bis schließlich sein Vater gegen sehr viel Geld seine Freilassung erwirkt habe. Im Gefängnis sei er misshandelt worden. Eine Gerichtsverhandlung habe es nicht gegeben. Auch seine Familie sei wegen ihm beschimpft worden. Geflohen seien sie dann erst im März 2011, weil sie aufgrund der Geldzahlung des Vaters für seine Freilassung keine früheren Barmittel gehabt hätten um den Schlepper zu bezahlen.
4Mit Bescheid vom 27. Juni 2012 -zugestellt am 20. Juli 2012- lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1) und stellte das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaften fest (Ziffer 2). Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hinsichtlich Syrien wurde festgestellt (Ziffer 3). Zur Begründung von Ziffer 1 und 2 führte das Bundesamt aus, asyl- und flüchtlingsrelevante Anknüpfungsmerkmale lägen nach dem Vorbringen des Klägers nicht vor; seine Angaben seien unglaubhaft, widersprüchlich und entsprächen nicht tatsächlich Erlebtem.
5Der Kläger hat dagegen am 3. August 2012 Klage unter Verweis auf seine Angaben im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt erhoben und diese im Laufe des Verfahrens vertieft.
6Der Kläger beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 1 und 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2012 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.
8Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
9die Klage abzuweisen.
10Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
11In dem Erörterungstermin hat das Gericht den Kläger angehört. Insoweit wird auf den Inhalt der Niederschrift verwiesen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes und der Ausländerakte sowie den der beigezogenen Gerichtsakten nebst dortigen Niederschriften zum Erörterungstermin und Verwaltungsvorgängen in den Verfahren 17 K 4309/12.A, 17 K 3903/12.A sowie 21 K 5254/12.A Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden nachdem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben und der Verzicht auch nicht verbraucht ist (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
15A. Die zulässige Klage ist unbegründet.
16Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 und 1 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-. Er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz -AsylVfG-) keinen Anspruch auf die mit der Klage verfolgte Ankerkennung als Asylberechtigter bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
17Nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz -GG- genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer dann die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 QualRL ergänzend anzuwenden (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
18Unionsrechtlich findet sowohl die Richtlinie 2004/83/EG als auch deren Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Anwendung. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU; vgl. dazu auch Entwurf des nationalen Umsetzungsgesetzes BT-Drs. 17/13063 und 17/13556: i.W. in Kraft treten am 1. Dezember 2013), so dass es bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Satz 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) bleibt. Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Satz 1 der Richtlinie 2011/95/EU); vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 ‑ 10 C 23.12 ‑, juris Rn 13.
19Für die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann,
20vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn 32 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 35 ff.
21Nach Art. 4 Abs. 4 QualRL in Verbindung mit § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist dabei die Tatsache, dass ein Antragsteller in seinem Herkunftsland bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung bei seiner Rückkehr in das Herkunftsland begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Die Vorschrift privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis nunmehr mittels einer Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Somit wird er von der Notwendigkeit entlastet, tragende Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber durch stichhaltige Gründe widerlegt werden, die die Wiederholungsträchtigkeit solcher Umstände entkräften. Ob dies gelingt, ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen,
22vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 35 ff.
23Aus den in Art. 4 QualRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Antragstellers folgt, dass es -auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie- Sache des Antragstellers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht bzw. bereits stattgefunden hat. Hierzu gehört, dass der Antragsteller zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Antragstellers berücksichtigt werden,
24vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 33 m.w.N.
25Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann weder festgestellt werden, dass der Kläger vorverfolgt aufgrund bereits erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung aus Syrien ausgereist ist (I.) noch, dass in der Zwischenzeit Gründe eingetreten sind, die es rechtfertigten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle seiner Rückkehr nach Syrien auszugehen (II.).
26I. Es ist bereits nicht glaubhaft, dass dem Kläger vor seiner Ausreise aus Syrien politische Verfolgung widerfahren ist oder drohte.
27Zu dieser Einschätzung gelangt das Gericht insbesondere aufgrund eines Vergleichs seiner Angaben anlässlich der Anhörung durch das Bundesamt mit seinen Angaben vor Gericht sowie einer Gegenüberstellung mit den Einlassungen seiner Geschwister. Sowohl das Kerngeschehen als auch Details weichen in auffälliger Weise voneinander ab und lassen sich nicht in Einklang zu einem in sich stimmigen Geschehen bringen.
28So behauptete der Kläger zunächst vor dem Bundesamt in Übereinstimmung mit den Angaben seiner Geschwister in den Verfahren 17 K 3903/12.A (im Folgenden: J. I. ), 17 K 4309/12.A (im Folgenden: T. I. ), 21 K 5254/12.A (im Folgenden: L. I. ), sein Freund habe 2 Mal jeweils einen Koffer zu ihm in das Haus der Eltern gebracht, im gerichtlichen Verfahren gab er hingegen an, es sei nur einmal ein Koffer abgestellt worden:
29Bundesamtsanhörung Kläger: „Ein Freund von mir hat mir einen Koffer gebracht. Beim ersten Mal hat er ihn auch so wieder abgeholt. Auch ein zweites Mal hat er mir einen Koffer gebracht.“;Vorbringen im Gerichtsverfahren Kläger: „Ein Freund von mir hat einen Koffer gebracht“; auf gerichtlichen Vorhalt der Bundesamtseinlassung: „Der Freund hat nur einmal einen Koffer gebracht.“
30Bundesamtsanhörung J. I. : „Zu meinem Bruder ist ein Mann gekommen. Der hat eine Tasche bzw. einen Koffer gebracht. Das war zweimal der Fall. Beim ersten Mal hat er die Tasche wieder abgeholt. Beim zweiten Mal sind die Sicherheitskräfte gekommen und haben die Tasche und meinen Bruder mitgenommen.“Vorbringen im Gerichtsverfahren J. I. auf Befragen, wie oft der Freund den Koffer vorbeigebracht habe: „Das war ein Mal.“
31Bundesamtsanhörung L. I. : „Ein Freund meines Bruders hat einen Koffer gebracht. Den ersten Koffer hat er nach zwei Tagen wieder abgeholt. Danach hat er einen weiteren Koffer gebracht.“Vorbringen im Gerichtsverfahren L. I. auf Vorhalt des Gerichts: „Ja, das war der einzige Koffer, den der J1. [Anm.: der Freund] bei uns gelassen hat. Er hat nur einen Koffer an N. gegeben.“
32Eine Steigerung stellt das Vorbringen des Klägers im Gerichtsverfahren dar, in dem Koffer hätten sich nicht nur Parteiunterlagen einer ihm nicht näher bekannten Partei befunden, sondern weiter eine Pistole. Auch wenn der Kläger nicht selbst diese Dinge im Koffer gesehen, sondern erst durch die Sicherheitskräfte von dem Inhalt erfahren hätte, hätte nichts näher gelegen, als von diesem weiteren Kofferinhalt (Schusswaffe) schon bei der Anhörung vor dem Bundesamt im April 2011, immerhin noch in größerer zeitlicher Nähe zu den vermeintlich fluchtauslösenden Ereignissen im Februar 2010, zu berichten. Auch keiner der im Rahmen des Verfahrens angehörten Geschwister hat eine entsprechende Einlassung (Schusswaffe) beim Bundesamt oder vor Gericht getätigt, obwohl etwa T. I. bei ihrer gerichtlichen Anhörung durchaus -von den weiteren Geschwistern allerdings wiederum nicht erwähnte- Details zu den angeblichen Kofferunterlagen berichtet hat, die sie von dem Kläger nach seiner Freilassung erfahren haben will („Es waren Unterlagen der ‚PJD-Partei‘, das sind die Anhänger Öcalans.“). Von einem eigenen Erleben kann daher schon nicht ausgegangen werden.
33Darüber hinaus zeichnet sich das Vorbringen des Klägers zu seiner behaupteten Verhaftung -auch in Gegenüberstellung zu den Aussagen seiner im Verfahren befindlichen Geschwister J. , T. und L. I. (der Kläger hat noch drei weitere -wohl noch in Syrien oder auf der Flucht befindliche- Geschwister: den jüngsten Bruder T1. sowie zwei jüngere Schwestern C. und O. )- als durchgreifend widersprüchlich und hinsichtlich der anwesenden Familienmitglieder nicht gleichbleibend und daher unglaubhaft dar:
34Bundesamtsanhörung Kläger auf die Frage, wer bei seiner Verhaftung anwesend war: „Vater, Mutter die beiden [Anm.: kleinen] Schwestern. Ob der Bruder dabei war, kann ich nicht sagen. Ich bin mir nicht sicher. Er könnte bei der Arbeit gewesen sein.“
35Vorbringen im Gerichtsverfahren Kläger: „T1. , O. und C. , auch meine Oma war da. Ich weiß nicht, ob meine Eltern zu Hause waren. Ich habe meine Eltern nicht gesehen.“
36Bundesamtsanhörung T. I. : „Er [Anm.: der Kläger] wurde zuhause verhaftet. Ich selber habe gearbeitet. Die kleinen Geschwister sind gekommen und haben mir Bescheid gesagt.“; „Der Vater war nicht zuhause. Zuhause waren nur die Mutter, die Geschwister und die Oma. Die Oma wurde auch geschubst, so dass sie umgefallen ist.“
37Vorbringen im Gerichtsverfahren T. I. : „... Wir waren bei der Verhaftung nicht zu Hause ... Mit ‚wir‘ meine ich, J. und mich. Wir haben auf dem Feld gearbeitet. Uns hat dann der T1. , mein jüngster Bruder, Bescheid gesagt, dass eine Verhaftung stattgefunden hat ... C. und O. waren in der Schule. Meine Eltern, also mein Vater und meine Mutter, waren draußen ... T1. und meine Oma [Anm.: waren noch zu Hause].“; sie wisse nicht wo sich ihre Eltern genau aufgehalten hätten, sie wären entweder in der Stadt oder bei ihrem Onkel mütterlicherseits gewesen.
38Bundesamtsanhörung L. I. : -keine Angaben hierzu-Vorbringen im Gerichtsverfahren L. I. : „... Als die Polizisten gekommen waren, waren wir ja auf dem Land. Damit meine ich, T. , J. , meine Mutter und ich. Zu Hause waren nur der N. [Anm.: Kläger], der T1. , O. und C. .“
39Bundesamtsanhörung J. I. : -keine Angaben hierzu-
40Vorbringen im Gerichtsverfahren J. I. : „... Wir waren nicht zu Hause, wir waren auf der Arbeit, dann ist der jüngste Bruder T1. gekommen und hat es uns erzählt.“; „Auf dem Feld haben ich gearbeitet, T. , L. und meine Mutter sowie eine weitere Person ... Es kann eine jüngere Schwester von mir gewesen sein.“; „Mein Vater war zu Hause. Er hat natürlich die Verhaftung mitbekommen.“; „Neben meinem Vater [Anm.: waren noch zu Hause] meine Oma, der T1. und eine jüngere Schwester von mir.“
41Ferner sind die Angaben des Klägers zu seiner Freilassung aus der angeblich etwa sechsmonatigen Haft in sich unklar und ebenfalls widersprüchlich:
42Bundesamtsanhörung Kläger: „Gegen Zahlung von Geld durch meinen Vater wurde ich dann entlassen.“; auf Befragen des Bundesamtes, ob es eine Gerichtsverhandlung gegeben habe: „Eine Gerichtsverhandlung hat es nicht gegeben. Mein Vater hat sehr viel Geld für die Freilassung bezahlt ... Ich musste auch etwas unterschreiben bei den Sicherheitskräften. Mein Vater ebenfalls.“
43Vorbringen im Gerichtsverfahren Kläger: „Die Regierung hat ein Gerichtsverfahren durchgeführt und mich einem Verfahren unterzogen. Ich habe aber darüber keine Unterlagen bekommen. Mein Vater hat auch Geld gezahlt. Es ist eine Gerichtsverhandlung gewesen. Es waren ca. 4 bis 5 Personen anwesend und ich sowie mein Vater ... Ich bin 2 Jahre in Syrien auf Bewährung verurteilt worden ... Innerhalb dieser 2 Jahre musste ich morgens und abends unterschreiben und ich durfte meine Stadt nicht verlassen.“; sein Vater habe noch Geld gezahlt, damit er auf Kaution freikomme.
44Vorbringen im Gerichtsverfahren L. I. : „Auch der N. musste 2 oder 3 Monate lang bei der Polizei erscheinen und unterschreiben.“
45Auch keine Entsprechung mit den Schilderungen seines Bruders L. sowie seiner beiden Geschwister J. und T. -die sich ihrerseits untereinander auch widersprechen- finden schließlich die Einlassungen des Klägers im gerichtlichen Verfahren dahin, was er nach seiner Freilassung aus der Haft über das Schicksal seines gleichfalls verhafteten Bruders L. I. und seines Vaters aus Berichten seiner Familie erfahren haben will:
46Vorbringen im Gerichtsverfahren Kläger: „Der L. ist ca. 1 Woche nach mir verhaftet worden, danach mein Vater ... Der L. [Anm.: war in Haft] wohl so 19/20 Tage. Mein Vater nicht so lange, 1 Woche etwa ...“.
47Bundesamtsanhörung T. I. : „Auch mein Vater wurde verhaftet. Er war -soweit ich mich erinnern kann - etwa 20 Tage in Haft. Auch der andere Bruder ist verhaftet worden. Er war ca. eine Woche in Haft.“
48Vorbringen im Gerichtsverfahren T. I. : ihr Vater sowie der L. seien auch verhaftet worden; zunächst ihr Vater, etwa 20 Tage bis einen Monat nach dem Kläger, dann ein paar Tage nach ihrem Vater L. . Ihr Vater sei 2 bis 3 Wochen, L. ca. 20 Tage bis einen Monat in Haft gewesen.
49Bundesamtsanhörung J. I. : „Der jüngere Bruder [Anm.: L. ] ist etwa 20 Tage im Gefängnis gewesen.“; ihr Vater „war ... eine Woche“ dort.
50Vorbringen im Gerichtsverfahren J. I. : „... ca. 1 Woche nach meinem Bruder N. ist mein Bruder L. ebenfalls verhaftet worden. Dann 1 bis 2 Wochen nach der Festnahme von L. ist auch mein Vater verhaftet worden.“; L. sei so 18, 19, 20 Tage in Haft gewesen, der Vater etwa 1 Woche.
51Bundesamtsanhörung L. I. : Keine weiteren Angaben außer seiner eigenen Festnahme 10 Tage nach der Verhaftung des Klägers; eigene Haftzeit ca. 20 Tage
52Vorbringen im Gerichtsverfahren L. I. : eigene Festnahme eine Woche nach Verhaftung des Klägers; eigene Haftzeit 19 bis 20 Tage; eine Woche nach eigener Festnahme erfolgte Verhaftung des Vaters.
53Die zum Kerngeschehen (Haftgrund / Umstände der Verhaftung / Freilassung / Verhaftung weiterer Familienmitglieder) dargelegten widersprüchlichen Angaben blieben auch im Erörterungstermin unaufgelöst. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt den Versuch unternommen, eine auch nur im Ansatz nachvollziehbare Erklärung dazu abzugeben. Der Gesamteindruck führt zu der Schlussfolgerung, dass er nicht selbst Erlebtes geschildert, sondern eine zum Zwecke der Asylanerkennung bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erdachte Fluchtgeschichte vorgebracht hat.
54Diese Schlussfolgerung wird unterstützt durch die ihrerseits zu dem Vorbringen des Klägers unglaubhaften Angaben seiner Geschwister in den in Bezug genommenen Parallelverfahren, die weder in den eigenen Verfahren noch untereinander in Einklang zu bringen sind. Auch insoweit geht das Gericht davon aus, dass alle Geschwister nicht selbst Erlebtes geschildert haben, sondern gemeinsam eine zum Zwecke der Asylanerkennung bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erdachte – gerade im entscheidenden Geschehen, anders als etwa im Randgeschehen (wie Reisedaten oder dem annähernden Geldbetrag der für die Schleppung entrichtet werden musste), nicht hinreichend abgestimmte - Fluchtgeschichte vorbringen wollten.
55Schon das Kerngeschehen in den jeweils durchgeführten Erörterungsterminen der Verfahren der Geschwister 17 K 3903/12.A (J. I. ); 17 K 4309/12.A (T. I. ) und 21 K 5254/12.A (L. I. ) stellt sich wie zuvor dargelegt entscheidend abweichend von den Angaben anlässlich der Anhörung durch das Bundesamt dar. Wie der Kläger im hiesigen Verfahren tragen seine Geschwister in ihren Klageverfahren differierend von der jeweiligen Bundesamtsanhörung -soweit es Aussagen dazu gab- übereinstimmend vor, es gebe nur einen Koffer, beim Bundesamt war von zweien die Rede. Gravierend anders ist weiter sowohl beim Bundesamt als auch im gerichtlichen Termin von dem Kläger und allen Geschwistern jeweils die Einlassung zu der Anzahl und den anwesenden Personen bei der Verhaftung des Klägers. So sollen etwa nach den klägerischen Aussagen beim Bundesamt Vater und Mutter anwesend gewesen sein; im Gerichtsverfahren wollte er sich aber daran nicht mehr erinnern; nach Angabe von J. I. war der Vater zu Hause und nach der Angabe etwa von T. I. vor Gericht waren weder Vater noch Mutter zu Hause, während sie selbst noch beim Bundesamt davon sprach, die Mutter sei zu Hause gewesen. Auch berichtete der Kläger davon, die beiden jüngeren Geschwister O. und C. seien im Haus gewesen, während T. I. davon sprach, beide seien in der Schule gewesen. Auch berichtete etwa keiner der Familienmitglieder beim Bundesamt davon, der jüngste Bruder, T1. , habe den Rest der Familie auf dem Feld von der Verhaftung unterrichtet. T. I. ließ sich vielmehr dahin ein, „die kleinen Geschwister“ seien gekommen und hätten sie informiert. Diese nicht aufklärbaren Unstimmigkeiten setzen sich jeweils untereinander sowie bei den je eigenen Angaben der anderen Familienmitglieder fort. Gewichtig unstimmig ist zudem, dass der hauptbetroffene Kläger im Gegensatz zu seiner Angabe beim Bundesamt, es habe keine Gerichtsverhandlung stattgefunden, im Erörterungstermin erstmals vorgebracht hat, es habe eine Gerichtsverhandlung gegeben (deren Ergebnis näher ausgeführt wird, s.o.). Auch die Einlassungen, in welcher Reihenfolge nach dem Kläger sein Vater und sein Bruder, L. I. , verhaftet und wie lange sie jeweils in Haft geblieben sein sollen, stellten sich grundlegend zwischen den Geschwistern unterschiedlich dar. So will der Kläger nach seiner Freilassung von der Familie berichtet bekommen haben, zunächst sei der L. (10-20 Tage Haft) und dann der Vater (ca. 1 Woche lang) festgenommen worden. T. I. ließ sich hingegen im Gerichtsverfahren etwa dahin ein, zunächst sei der Vater 20 Tage bis einem Monat nach der Verhaftung des Klägers für 2-3 Wochen in Haft gewesen und dann erst der L. , der ein paar Tage nach dem Vater für ca. 20 Tage bis einen Monat -beim Bundesamt war noch von einer Woche die Rede- in Haft gewesen sei. Gerade angesichts solch einschneidender Erlebnisse wie der Verhaftung von engsten Familienmitgliedern und deren potentiell ungewissem weiteren Schicksal, ist es nicht nachvollziehbar, dass hier keine im Kern konsistente Geschichte erzählt wird, entspräche sie denn eigenem Erleben. Vielmehr führen die vielfach in sich unstimmigen und wechselnden sowie gesteigerten Angaben (Pistole im Koffer) dazu, dass dem Kläger seine gesamte angebliche Verfolgungsgeschichte -ebenso wie die darauf fußenden Bedrohungen, Beschimpfungen, „Probleme“, etc. mit den arabischen Nachbarn- nicht geglaubt werden kann.
56Schließlich -den Vortrag des Klägers zur Verhaftung und den damit zusammen hängenden Umständen einmal unterstellt- fehlte es an einem Zusammenhang zwischen diesem Ereignis und der späteren Flucht erst im März 2011. Denn die Gewährung von Schutz setzt regelmäßig voraus, dass zwischen der Verfolgung und der Flucht ein Kausalzusammenhang besteht. Entscheidend ist insoweit, dass sich die Ausreise bei objektiver Betrachtung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als eine unter dem Druck erlittener oder drohender Verfolgung stattfindende Flucht darstellt; in dieser Hinsicht kommt der zwischen Verfolgung und Ausreise verstrichenen Zeit maßgebliche Bedeutung zu,
57vgl. BVerwG Urteil vom 20. November 1990 - 9 C 72/90 -, juris.
58Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatstaat verbleibt, umso mehr verbraucht sich in aller Regel der objektive äußere Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise; daher kann schon der bloße Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck erlittener Verfolgung stehenden Flucht verliert. So läge es hier. Denn der Kläger will im Februar 2010 verhaftet und nach sechsmonatigem Gefängnisaufenthalt -nach seinen letzten Angaben im Rahmen der gerichtlichen Anhörung durch eine Bewährungsstrafe mit Auflagen nach einer entsprechenden Gerichtsverhandlung- wieder im August 2010 freigekommen sein. Nach der Freilassung hat der Kläger von keinen weiteren Problemen diesbezüglich mit staatlichen Stellen berichtet. Auf Nachfrage im gerichtlichen Termin hat er vielmehr explizit bekundet, er habe nach seiner Freilassung keine Probleme wegen des Vorfalls oder sonst wie mit staatlichen syrischen Stellen gehabt. Es habe weder Schläge oder Bedrohungen oder sonst etwas gegeben. Er habe nur „Probleme“ mit den Arabern gehabt und sei zwei- bis dreimal beschimpft sowie auch -nicht näher spezifiziert- mal angegangen worden. Auch T. I. sprach im Erörterungstermin davon, dass ihrer Familie nach Freilassung des Klägers nichts mehr passiert sei. Der Kläger sei lediglich von Arabern beschimpft worden, er dürfe sich nicht mehr im Ort aufhalten. Wäre der Verfolgungsdruck wegen der hier unterstellten früheren Verhaftung aber so groß gewesen, hätte indes nichts näher gelegen, als das Heimatland bereits im August 2010 zu verlassen oder etwa -angenommen, der Kläger habe da noch nicht die weiteren finanziellen Mittel für eine Ausreise gehabt- jedenfalls bis zur möglichen Ausreise unterzutauchen. Vielmehr sind er und seine Familie aber noch annähernd sechs weitere Monate in Syrien geblieben. Der Kläger hat zu Hause weiter mit seiner Familie gelebt.
59Hinsichtlich der allgemeinen Situation der kurdischen Yeziden geht das Gericht, in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen davon aus, dass -auch unter der gegenwärtigen Situation in Syrien- keine Anhaltspunkte bestehen für eine unmittelbare staatliche oder eine mittelbare durch nichtstaatliche Akteure hervorgerufene oder drohende Gruppenverfolgung wegen ihrer Glaubensüberzeugung,
60vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 14 A 64/11.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2010 ‑ 14 A 2541/10.A ‑; OVG NRW, Beschluss vom 26. August 2010 - 14 A 1835/10.A-, jew. m.w.N.; vgl. insoweit auch ausführlich VG Düsseldorf, Urteil vom 24. September 2010 - 21 K 4217/09.A -, juris.
61Ungeachtet dessen beruft sich der Kläger selbst schon nicht auf Unzuträglichkeiten gerade wegen seiner Eigenschaft als Kurde und Yezide, sondern berichtet allein von Beschimpfungen seiner Familie im Zusammenhang seiner ihm hier schon nicht geglaubten Verhaftung. Abgesehen davon kann er - auch unter Zugrundelegung seines Vortrags - ohne flüchtlingsrechtlich relevante Gefahr den yezidischen Glauben im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QualRL in Syrien ausüben,
62vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 14 A 64/11.A -, juris.
63II. Nach Verlassen seines Heimatlandes eingetretene Gründe, die es rechtfertigten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle der Rückkehr nach Syrien auszugehen, sind im gesamten Verfahren nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
64Dies gilt insbesondere für eine etwaige Bedrohung des Klägers im Rückkehrfalle allein aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung sowie seines Aufenthalts im Ausland, die dann als Einzelverfolgung aufgrund von Gruppenzugehörigkeit zu einer der vorgenannten Personenkreise zu werten wäre.
65Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen geht in ständiger Rechtsprechung, die sich die Kammer zu eigen macht, davon aus, dass unverfolgt illegal ausgereiste Rückkehrer nach Syrien -auch solche kurdischer Volks- und yezidischer Glaubenszugehörigkeit-, die sich im Ausland aufgehalten haben und einen Asylantrag gestellt haben, selbst in Ansehung der Repressionen des syrischen Staates in Bezug auf Oppositionelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt werden. Rückkehrer nach Syrien unterliegen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Dies begründet aber alleine einen Anspruch auf Abschiebungsschutz -dem der angefochtene Bescheid auch in Ziff. 3. seines Tenors Rechnung trägt-, nicht aber den Anspruch, als politisch Verfolgter anerkannt zu werden,
66vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 14 1517/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 A 1008/13.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 23. August 2012 - 14 A 1922/12.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A -, NRWE; zu yezidischen Kurden OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A, juris, m.w.N.
67Belastbare Erkenntnisse, die die Annahme nahelegten, der syrische Staat erkenne in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern grundsätzlich eine erhöhte Gefahr und habe anders als vor Ausbruch des Konflikts eine entsprechende Handlungsmotivation dieser Personengruppe gegenüber entwickelt, so dass nunmehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung bestehe, lassen sich derzeit nicht hinreichend ausmachen. Nichts anderes folgt aufgrund der davon abweichenden Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt,
68vgl. etwa OVG LSA, Urteil vom 17. Juli 2012 - 3 L 417/11, juris und das weiter vom Kläger benannte Urteil des VG Oldenburg vom 17. Mai 2013 - 4 A 4137/12, Bl. 72ff. GA,
69dass eine solche Gefährdung annimmt. Diese Auffassung beruht mangels nötiger Referenzfälle, die es wegen ausgesetzter Abschiebungen nicht gibt, notwendigerweise auf einer wertenden Gesamtschau aller Umstände, die die erkennende Kammer nicht teilt. Denn es ist fernliegend anzunehmen, der syrische Staat, dessen Machthaber gegen Aufständische um das politische und physische Überleben kämpfen und dabei bereits die Kontrolle über Teile des Landes verloren haben, hätte Veranlassung und Ressourcen, alle zurückgeführten unpolitischen Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund aus den in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Gründen zu verfolgen; das bloße Vorliegen eines mit aller Härte geführten bewaffneten Konflikts in Syrien reicht hierfür nicht aus,
70vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 14 1517/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 1008/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A - m.w.N., juris; VG Düsseldorf, 14. Mai 2013 - 17 K 9165/12.A -, juris; VG Augsburg, Urteil vom 28. Dezember 2012 - Au 6 K 12.30264, juris.
71Nicht zuletzt wird es gerade aufgrund der derzeitigen militärischen Auseinandersetzungen den syrischen Machhabern auch vor Augen stehen, dass Flüchtlinge ihr Heimatland nicht allein wegen einer regimefeindlichen Gesinnung, sondern vielfach, wenn nicht gar überwiegend vornehmlich wegen der allgemeinen kriegsähnlichen Lage und den damit verbundenen Gefahren verlassen.
72Weitere nach Verlassen seines Heimatlandes eingetretene Gründe, die es rechtfertigten von einer Rückkehrgefährdung auszugehen, hat der Kläger nicht dargelegt.
73B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit ergibt sich aus § 30 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.
- 2
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Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.
- 3
-
Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.
- 4
-
Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.
- 5
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Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.
- 6
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Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.
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Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.
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Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.
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Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.
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2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198
). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).
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Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.
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3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).
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Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.
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Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.
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a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
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Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
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Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.
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Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).
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Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330
); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).
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Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).
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b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.
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Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183
; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.
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Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.
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4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.
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5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.
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Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan -
) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der 1989 geborene Kläger behauptet aus Syrien stammend und kurdischer Volks- sowie yezidischer Glaubenszugehörigkeit zu sein. Nach eigenen Angaben reiste er am 25. März 2011 zusammen mit seinen Geschwistern, den Klägern im Verfahren 17 K 4309/12.A (T. I. ), 17 K 3903/12.A (J. I. ) sowie 21 K 5254/12.A (L. I. ), auf dem Luftweg aus der Türkei kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5. April 2011 einen Asylantrag.
3Im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 12. April 2011 trug er im Wesentlichen vor, ein Freund von ihm habe ihm zwei Mal einen Koffer gebracht. Dann sei der Freund verhaftet worden. Drei bis vier Tage danach seien die Sicherheitskräfte auch zu ihm nach Hause gekommen und hätten ihn verhaftet. Dies sei im Februar 2010 geschehen. Er habe mit seinem Freund nicht zusammengearbeitet, dieser habe lediglich etwas bei ihm unterstellen wollen. Später habe er festgestellt, dass es Unterlagen einer Partei waren. Er wisse allerdings nicht welcher. Auch könne er nicht sagen, zu welcher Partei der Freund gehörte, er habe lediglich dessen Parteimitgliedschaft vermutet. Bei seiner eigenen Verhaftung seien sein Vater, die Mutter sowie die beiden kleinen Schwestern anwesend gewesen. Hinsichtlich seines Bruders sei er nicht sicher, dieser könnte bei der Arbeit gewesen sein. Er sei anschließend sechs Monate in einem Gefängnis gewesen, bis schließlich sein Vater gegen sehr viel Geld seine Freilassung erwirkt habe. Im Gefängnis sei er misshandelt worden. Eine Gerichtsverhandlung habe es nicht gegeben. Auch seine Familie sei wegen ihm beschimpft worden. Geflohen seien sie dann erst im März 2011, weil sie aufgrund der Geldzahlung des Vaters für seine Freilassung keine früheren Barmittel gehabt hätten um den Schlepper zu bezahlen.
4Mit Bescheid vom 27. Juni 2012 -zugestellt am 20. Juli 2012- lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1) und stellte das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaften fest (Ziffer 2). Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hinsichtlich Syrien wurde festgestellt (Ziffer 3). Zur Begründung von Ziffer 1 und 2 führte das Bundesamt aus, asyl- und flüchtlingsrelevante Anknüpfungsmerkmale lägen nach dem Vorbringen des Klägers nicht vor; seine Angaben seien unglaubhaft, widersprüchlich und entsprächen nicht tatsächlich Erlebtem.
5Der Kläger hat dagegen am 3. August 2012 Klage unter Verweis auf seine Angaben im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt erhoben und diese im Laufe des Verfahrens vertieft.
6Der Kläger beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 1 und 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2012 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen.
8Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
9die Klage abzuweisen.
10Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
11In dem Erörterungstermin hat das Gericht den Kläger angehört. Insoweit wird auf den Inhalt der Niederschrift verwiesen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes und der Ausländerakte sowie den der beigezogenen Gerichtsakten nebst dortigen Niederschriften zum Erörterungstermin und Verwaltungsvorgängen in den Verfahren 17 K 4309/12.A, 17 K 3903/12.A sowie 21 K 5254/12.A Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden nachdem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben und der Verzicht auch nicht verbraucht ist (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
15A. Die zulässige Klage ist unbegründet.
16Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 und 1 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-. Er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz -AsylVfG-) keinen Anspruch auf die mit der Klage verfolgte Ankerkennung als Asylberechtigter bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
17Nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz -GG- genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist - unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - einem Ausländer dann die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 QualRL ergänzend anzuwenden (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG).
18Unionsrechtlich findet sowohl die Richtlinie 2004/83/EG als auch deren Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Anwendung. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU; vgl. dazu auch Entwurf des nationalen Umsetzungsgesetzes BT-Drs. 17/13063 und 17/13556: i.W. in Kraft treten am 1. Dezember 2013), so dass es bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Satz 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) bleibt. Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Satz 1 der Richtlinie 2011/95/EU); vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 ‑ 10 C 23.12 ‑, juris Rn 13.
19Für die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann,
20vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn 32 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 35 ff.
21Nach Art. 4 Abs. 4 QualRL in Verbindung mit § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist dabei die Tatsache, dass ein Antragsteller in seinem Herkunftsland bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung bei seiner Rückkehr in das Herkunftsland begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Die Vorschrift privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis nunmehr mittels einer Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Somit wird er von der Notwendigkeit entlastet, tragende Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber durch stichhaltige Gründe widerlegt werden, die die Wiederholungsträchtigkeit solcher Umstände entkräften. Ob dies gelingt, ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen,
22vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, juris Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 35 ff.
23Aus den in Art. 4 QualRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Antragstellers folgt, dass es -auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie- Sache des Antragstellers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht bzw. bereits stattgefunden hat. Hierzu gehört, dass der Antragsteller zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Antragstellers berücksichtigt werden,
24vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 33 m.w.N.
25Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann weder festgestellt werden, dass der Kläger vorverfolgt aufgrund bereits erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung aus Syrien ausgereist ist (I.) noch, dass in der Zwischenzeit Gründe eingetreten sind, die es rechtfertigten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle seiner Rückkehr nach Syrien auszugehen (II.).
26I. Es ist bereits nicht glaubhaft, dass dem Kläger vor seiner Ausreise aus Syrien politische Verfolgung widerfahren ist oder drohte.
27Zu dieser Einschätzung gelangt das Gericht insbesondere aufgrund eines Vergleichs seiner Angaben anlässlich der Anhörung durch das Bundesamt mit seinen Angaben vor Gericht sowie einer Gegenüberstellung mit den Einlassungen seiner Geschwister. Sowohl das Kerngeschehen als auch Details weichen in auffälliger Weise voneinander ab und lassen sich nicht in Einklang zu einem in sich stimmigen Geschehen bringen.
28So behauptete der Kläger zunächst vor dem Bundesamt in Übereinstimmung mit den Angaben seiner Geschwister in den Verfahren 17 K 3903/12.A (im Folgenden: J. I. ), 17 K 4309/12.A (im Folgenden: T. I. ), 21 K 5254/12.A (im Folgenden: L. I. ), sein Freund habe 2 Mal jeweils einen Koffer zu ihm in das Haus der Eltern gebracht, im gerichtlichen Verfahren gab er hingegen an, es sei nur einmal ein Koffer abgestellt worden:
29Bundesamtsanhörung Kläger: „Ein Freund von mir hat mir einen Koffer gebracht. Beim ersten Mal hat er ihn auch so wieder abgeholt. Auch ein zweites Mal hat er mir einen Koffer gebracht.“;Vorbringen im Gerichtsverfahren Kläger: „Ein Freund von mir hat einen Koffer gebracht“; auf gerichtlichen Vorhalt der Bundesamtseinlassung: „Der Freund hat nur einmal einen Koffer gebracht.“
30Bundesamtsanhörung J. I. : „Zu meinem Bruder ist ein Mann gekommen. Der hat eine Tasche bzw. einen Koffer gebracht. Das war zweimal der Fall. Beim ersten Mal hat er die Tasche wieder abgeholt. Beim zweiten Mal sind die Sicherheitskräfte gekommen und haben die Tasche und meinen Bruder mitgenommen.“Vorbringen im Gerichtsverfahren J. I. auf Befragen, wie oft der Freund den Koffer vorbeigebracht habe: „Das war ein Mal.“
31Bundesamtsanhörung L. I. : „Ein Freund meines Bruders hat einen Koffer gebracht. Den ersten Koffer hat er nach zwei Tagen wieder abgeholt. Danach hat er einen weiteren Koffer gebracht.“Vorbringen im Gerichtsverfahren L. I. auf Vorhalt des Gerichts: „Ja, das war der einzige Koffer, den der J1. [Anm.: der Freund] bei uns gelassen hat. Er hat nur einen Koffer an N. gegeben.“
32Eine Steigerung stellt das Vorbringen des Klägers im Gerichtsverfahren dar, in dem Koffer hätten sich nicht nur Parteiunterlagen einer ihm nicht näher bekannten Partei befunden, sondern weiter eine Pistole. Auch wenn der Kläger nicht selbst diese Dinge im Koffer gesehen, sondern erst durch die Sicherheitskräfte von dem Inhalt erfahren hätte, hätte nichts näher gelegen, als von diesem weiteren Kofferinhalt (Schusswaffe) schon bei der Anhörung vor dem Bundesamt im April 2011, immerhin noch in größerer zeitlicher Nähe zu den vermeintlich fluchtauslösenden Ereignissen im Februar 2010, zu berichten. Auch keiner der im Rahmen des Verfahrens angehörten Geschwister hat eine entsprechende Einlassung (Schusswaffe) beim Bundesamt oder vor Gericht getätigt, obwohl etwa T. I. bei ihrer gerichtlichen Anhörung durchaus -von den weiteren Geschwistern allerdings wiederum nicht erwähnte- Details zu den angeblichen Kofferunterlagen berichtet hat, die sie von dem Kläger nach seiner Freilassung erfahren haben will („Es waren Unterlagen der ‚PJD-Partei‘, das sind die Anhänger Öcalans.“). Von einem eigenen Erleben kann daher schon nicht ausgegangen werden.
33Darüber hinaus zeichnet sich das Vorbringen des Klägers zu seiner behaupteten Verhaftung -auch in Gegenüberstellung zu den Aussagen seiner im Verfahren befindlichen Geschwister J. , T. und L. I. (der Kläger hat noch drei weitere -wohl noch in Syrien oder auf der Flucht befindliche- Geschwister: den jüngsten Bruder T1. sowie zwei jüngere Schwestern C. und O. )- als durchgreifend widersprüchlich und hinsichtlich der anwesenden Familienmitglieder nicht gleichbleibend und daher unglaubhaft dar:
34Bundesamtsanhörung Kläger auf die Frage, wer bei seiner Verhaftung anwesend war: „Vater, Mutter die beiden [Anm.: kleinen] Schwestern. Ob der Bruder dabei war, kann ich nicht sagen. Ich bin mir nicht sicher. Er könnte bei der Arbeit gewesen sein.“
35Vorbringen im Gerichtsverfahren Kläger: „T1. , O. und C. , auch meine Oma war da. Ich weiß nicht, ob meine Eltern zu Hause waren. Ich habe meine Eltern nicht gesehen.“
36Bundesamtsanhörung T. I. : „Er [Anm.: der Kläger] wurde zuhause verhaftet. Ich selber habe gearbeitet. Die kleinen Geschwister sind gekommen und haben mir Bescheid gesagt.“; „Der Vater war nicht zuhause. Zuhause waren nur die Mutter, die Geschwister und die Oma. Die Oma wurde auch geschubst, so dass sie umgefallen ist.“
37Vorbringen im Gerichtsverfahren T. I. : „... Wir waren bei der Verhaftung nicht zu Hause ... Mit ‚wir‘ meine ich, J. und mich. Wir haben auf dem Feld gearbeitet. Uns hat dann der T1. , mein jüngster Bruder, Bescheid gesagt, dass eine Verhaftung stattgefunden hat ... C. und O. waren in der Schule. Meine Eltern, also mein Vater und meine Mutter, waren draußen ... T1. und meine Oma [Anm.: waren noch zu Hause].“; sie wisse nicht wo sich ihre Eltern genau aufgehalten hätten, sie wären entweder in der Stadt oder bei ihrem Onkel mütterlicherseits gewesen.
38Bundesamtsanhörung L. I. : -keine Angaben hierzu-Vorbringen im Gerichtsverfahren L. I. : „... Als die Polizisten gekommen waren, waren wir ja auf dem Land. Damit meine ich, T. , J. , meine Mutter und ich. Zu Hause waren nur der N. [Anm.: Kläger], der T1. , O. und C. .“
39Bundesamtsanhörung J. I. : -keine Angaben hierzu-
40Vorbringen im Gerichtsverfahren J. I. : „... Wir waren nicht zu Hause, wir waren auf der Arbeit, dann ist der jüngste Bruder T1. gekommen und hat es uns erzählt.“; „Auf dem Feld haben ich gearbeitet, T. , L. und meine Mutter sowie eine weitere Person ... Es kann eine jüngere Schwester von mir gewesen sein.“; „Mein Vater war zu Hause. Er hat natürlich die Verhaftung mitbekommen.“; „Neben meinem Vater [Anm.: waren noch zu Hause] meine Oma, der T1. und eine jüngere Schwester von mir.“
41Ferner sind die Angaben des Klägers zu seiner Freilassung aus der angeblich etwa sechsmonatigen Haft in sich unklar und ebenfalls widersprüchlich:
42Bundesamtsanhörung Kläger: „Gegen Zahlung von Geld durch meinen Vater wurde ich dann entlassen.“; auf Befragen des Bundesamtes, ob es eine Gerichtsverhandlung gegeben habe: „Eine Gerichtsverhandlung hat es nicht gegeben. Mein Vater hat sehr viel Geld für die Freilassung bezahlt ... Ich musste auch etwas unterschreiben bei den Sicherheitskräften. Mein Vater ebenfalls.“
43Vorbringen im Gerichtsverfahren Kläger: „Die Regierung hat ein Gerichtsverfahren durchgeführt und mich einem Verfahren unterzogen. Ich habe aber darüber keine Unterlagen bekommen. Mein Vater hat auch Geld gezahlt. Es ist eine Gerichtsverhandlung gewesen. Es waren ca. 4 bis 5 Personen anwesend und ich sowie mein Vater ... Ich bin 2 Jahre in Syrien auf Bewährung verurteilt worden ... Innerhalb dieser 2 Jahre musste ich morgens und abends unterschreiben und ich durfte meine Stadt nicht verlassen.“; sein Vater habe noch Geld gezahlt, damit er auf Kaution freikomme.
44Vorbringen im Gerichtsverfahren L. I. : „Auch der N. musste 2 oder 3 Monate lang bei der Polizei erscheinen und unterschreiben.“
45Auch keine Entsprechung mit den Schilderungen seines Bruders L. sowie seiner beiden Geschwister J. und T. -die sich ihrerseits untereinander auch widersprechen- finden schließlich die Einlassungen des Klägers im gerichtlichen Verfahren dahin, was er nach seiner Freilassung aus der Haft über das Schicksal seines gleichfalls verhafteten Bruders L. I. und seines Vaters aus Berichten seiner Familie erfahren haben will:
46Vorbringen im Gerichtsverfahren Kläger: „Der L. ist ca. 1 Woche nach mir verhaftet worden, danach mein Vater ... Der L. [Anm.: war in Haft] wohl so 19/20 Tage. Mein Vater nicht so lange, 1 Woche etwa ...“.
47Bundesamtsanhörung T. I. : „Auch mein Vater wurde verhaftet. Er war -soweit ich mich erinnern kann - etwa 20 Tage in Haft. Auch der andere Bruder ist verhaftet worden. Er war ca. eine Woche in Haft.“
48Vorbringen im Gerichtsverfahren T. I. : ihr Vater sowie der L. seien auch verhaftet worden; zunächst ihr Vater, etwa 20 Tage bis einen Monat nach dem Kläger, dann ein paar Tage nach ihrem Vater L. . Ihr Vater sei 2 bis 3 Wochen, L. ca. 20 Tage bis einen Monat in Haft gewesen.
49Bundesamtsanhörung J. I. : „Der jüngere Bruder [Anm.: L. ] ist etwa 20 Tage im Gefängnis gewesen.“; ihr Vater „war ... eine Woche“ dort.
50Vorbringen im Gerichtsverfahren J. I. : „... ca. 1 Woche nach meinem Bruder N. ist mein Bruder L. ebenfalls verhaftet worden. Dann 1 bis 2 Wochen nach der Festnahme von L. ist auch mein Vater verhaftet worden.“; L. sei so 18, 19, 20 Tage in Haft gewesen, der Vater etwa 1 Woche.
51Bundesamtsanhörung L. I. : Keine weiteren Angaben außer seiner eigenen Festnahme 10 Tage nach der Verhaftung des Klägers; eigene Haftzeit ca. 20 Tage
52Vorbringen im Gerichtsverfahren L. I. : eigene Festnahme eine Woche nach Verhaftung des Klägers; eigene Haftzeit 19 bis 20 Tage; eine Woche nach eigener Festnahme erfolgte Verhaftung des Vaters.
53Die zum Kerngeschehen (Haftgrund / Umstände der Verhaftung / Freilassung / Verhaftung weiterer Familienmitglieder) dargelegten widersprüchlichen Angaben blieben auch im Erörterungstermin unaufgelöst. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt den Versuch unternommen, eine auch nur im Ansatz nachvollziehbare Erklärung dazu abzugeben. Der Gesamteindruck führt zu der Schlussfolgerung, dass er nicht selbst Erlebtes geschildert, sondern eine zum Zwecke der Asylanerkennung bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erdachte Fluchtgeschichte vorgebracht hat.
54Diese Schlussfolgerung wird unterstützt durch die ihrerseits zu dem Vorbringen des Klägers unglaubhaften Angaben seiner Geschwister in den in Bezug genommenen Parallelverfahren, die weder in den eigenen Verfahren noch untereinander in Einklang zu bringen sind. Auch insoweit geht das Gericht davon aus, dass alle Geschwister nicht selbst Erlebtes geschildert haben, sondern gemeinsam eine zum Zwecke der Asylanerkennung bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erdachte – gerade im entscheidenden Geschehen, anders als etwa im Randgeschehen (wie Reisedaten oder dem annähernden Geldbetrag der für die Schleppung entrichtet werden musste), nicht hinreichend abgestimmte - Fluchtgeschichte vorbringen wollten.
55Schon das Kerngeschehen in den jeweils durchgeführten Erörterungsterminen der Verfahren der Geschwister 17 K 3903/12.A (J. I. ); 17 K 4309/12.A (T. I. ) und 21 K 5254/12.A (L. I. ) stellt sich wie zuvor dargelegt entscheidend abweichend von den Angaben anlässlich der Anhörung durch das Bundesamt dar. Wie der Kläger im hiesigen Verfahren tragen seine Geschwister in ihren Klageverfahren differierend von der jeweiligen Bundesamtsanhörung -soweit es Aussagen dazu gab- übereinstimmend vor, es gebe nur einen Koffer, beim Bundesamt war von zweien die Rede. Gravierend anders ist weiter sowohl beim Bundesamt als auch im gerichtlichen Termin von dem Kläger und allen Geschwistern jeweils die Einlassung zu der Anzahl und den anwesenden Personen bei der Verhaftung des Klägers. So sollen etwa nach den klägerischen Aussagen beim Bundesamt Vater und Mutter anwesend gewesen sein; im Gerichtsverfahren wollte er sich aber daran nicht mehr erinnern; nach Angabe von J. I. war der Vater zu Hause und nach der Angabe etwa von T. I. vor Gericht waren weder Vater noch Mutter zu Hause, während sie selbst noch beim Bundesamt davon sprach, die Mutter sei zu Hause gewesen. Auch berichtete der Kläger davon, die beiden jüngeren Geschwister O. und C. seien im Haus gewesen, während T. I. davon sprach, beide seien in der Schule gewesen. Auch berichtete etwa keiner der Familienmitglieder beim Bundesamt davon, der jüngste Bruder, T1. , habe den Rest der Familie auf dem Feld von der Verhaftung unterrichtet. T. I. ließ sich vielmehr dahin ein, „die kleinen Geschwister“ seien gekommen und hätten sie informiert. Diese nicht aufklärbaren Unstimmigkeiten setzen sich jeweils untereinander sowie bei den je eigenen Angaben der anderen Familienmitglieder fort. Gewichtig unstimmig ist zudem, dass der hauptbetroffene Kläger im Gegensatz zu seiner Angabe beim Bundesamt, es habe keine Gerichtsverhandlung stattgefunden, im Erörterungstermin erstmals vorgebracht hat, es habe eine Gerichtsverhandlung gegeben (deren Ergebnis näher ausgeführt wird, s.o.). Auch die Einlassungen, in welcher Reihenfolge nach dem Kläger sein Vater und sein Bruder, L. I. , verhaftet und wie lange sie jeweils in Haft geblieben sein sollen, stellten sich grundlegend zwischen den Geschwistern unterschiedlich dar. So will der Kläger nach seiner Freilassung von der Familie berichtet bekommen haben, zunächst sei der L. (10-20 Tage Haft) und dann der Vater (ca. 1 Woche lang) festgenommen worden. T. I. ließ sich hingegen im Gerichtsverfahren etwa dahin ein, zunächst sei der Vater 20 Tage bis einem Monat nach der Verhaftung des Klägers für 2-3 Wochen in Haft gewesen und dann erst der L. , der ein paar Tage nach dem Vater für ca. 20 Tage bis einen Monat -beim Bundesamt war noch von einer Woche die Rede- in Haft gewesen sei. Gerade angesichts solch einschneidender Erlebnisse wie der Verhaftung von engsten Familienmitgliedern und deren potentiell ungewissem weiteren Schicksal, ist es nicht nachvollziehbar, dass hier keine im Kern konsistente Geschichte erzählt wird, entspräche sie denn eigenem Erleben. Vielmehr führen die vielfach in sich unstimmigen und wechselnden sowie gesteigerten Angaben (Pistole im Koffer) dazu, dass dem Kläger seine gesamte angebliche Verfolgungsgeschichte -ebenso wie die darauf fußenden Bedrohungen, Beschimpfungen, „Probleme“, etc. mit den arabischen Nachbarn- nicht geglaubt werden kann.
56Schließlich -den Vortrag des Klägers zur Verhaftung und den damit zusammen hängenden Umständen einmal unterstellt- fehlte es an einem Zusammenhang zwischen diesem Ereignis und der späteren Flucht erst im März 2011. Denn die Gewährung von Schutz setzt regelmäßig voraus, dass zwischen der Verfolgung und der Flucht ein Kausalzusammenhang besteht. Entscheidend ist insoweit, dass sich die Ausreise bei objektiver Betrachtung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als eine unter dem Druck erlittener oder drohender Verfolgung stattfindende Flucht darstellt; in dieser Hinsicht kommt der zwischen Verfolgung und Ausreise verstrichenen Zeit maßgebliche Bedeutung zu,
57vgl. BVerwG Urteil vom 20. November 1990 - 9 C 72/90 -, juris.
58Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatstaat verbleibt, umso mehr verbraucht sich in aller Regel der objektive äußere Zusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise; daher kann schon der bloße Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck erlittener Verfolgung stehenden Flucht verliert. So läge es hier. Denn der Kläger will im Februar 2010 verhaftet und nach sechsmonatigem Gefängnisaufenthalt -nach seinen letzten Angaben im Rahmen der gerichtlichen Anhörung durch eine Bewährungsstrafe mit Auflagen nach einer entsprechenden Gerichtsverhandlung- wieder im August 2010 freigekommen sein. Nach der Freilassung hat der Kläger von keinen weiteren Problemen diesbezüglich mit staatlichen Stellen berichtet. Auf Nachfrage im gerichtlichen Termin hat er vielmehr explizit bekundet, er habe nach seiner Freilassung keine Probleme wegen des Vorfalls oder sonst wie mit staatlichen syrischen Stellen gehabt. Es habe weder Schläge oder Bedrohungen oder sonst etwas gegeben. Er habe nur „Probleme“ mit den Arabern gehabt und sei zwei- bis dreimal beschimpft sowie auch -nicht näher spezifiziert- mal angegangen worden. Auch T. I. sprach im Erörterungstermin davon, dass ihrer Familie nach Freilassung des Klägers nichts mehr passiert sei. Der Kläger sei lediglich von Arabern beschimpft worden, er dürfe sich nicht mehr im Ort aufhalten. Wäre der Verfolgungsdruck wegen der hier unterstellten früheren Verhaftung aber so groß gewesen, hätte indes nichts näher gelegen, als das Heimatland bereits im August 2010 zu verlassen oder etwa -angenommen, der Kläger habe da noch nicht die weiteren finanziellen Mittel für eine Ausreise gehabt- jedenfalls bis zur möglichen Ausreise unterzutauchen. Vielmehr sind er und seine Familie aber noch annähernd sechs weitere Monate in Syrien geblieben. Der Kläger hat zu Hause weiter mit seiner Familie gelebt.
59Hinsichtlich der allgemeinen Situation der kurdischen Yeziden geht das Gericht, in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen davon aus, dass -auch unter der gegenwärtigen Situation in Syrien- keine Anhaltspunkte bestehen für eine unmittelbare staatliche oder eine mittelbare durch nichtstaatliche Akteure hervorgerufene oder drohende Gruppenverfolgung wegen ihrer Glaubensüberzeugung,
60vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 14 A 64/11.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2010 ‑ 14 A 2541/10.A ‑; OVG NRW, Beschluss vom 26. August 2010 - 14 A 1835/10.A-, jew. m.w.N.; vgl. insoweit auch ausführlich VG Düsseldorf, Urteil vom 24. September 2010 - 21 K 4217/09.A -, juris.
61Ungeachtet dessen beruft sich der Kläger selbst schon nicht auf Unzuträglichkeiten gerade wegen seiner Eigenschaft als Kurde und Yezide, sondern berichtet allein von Beschimpfungen seiner Familie im Zusammenhang seiner ihm hier schon nicht geglaubten Verhaftung. Abgesehen davon kann er - auch unter Zugrundelegung seines Vortrags - ohne flüchtlingsrechtlich relevante Gefahr den yezidischen Glauben im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b QualRL in Syrien ausüben,
62vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 14 A 64/11.A -, juris.
63II. Nach Verlassen seines Heimatlandes eingetretene Gründe, die es rechtfertigten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Bedrohung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG im Falle der Rückkehr nach Syrien auszugehen, sind im gesamten Verfahren nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
64Dies gilt insbesondere für eine etwaige Bedrohung des Klägers im Rückkehrfalle allein aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung sowie seines Aufenthalts im Ausland, die dann als Einzelverfolgung aufgrund von Gruppenzugehörigkeit zu einer der vorgenannten Personenkreise zu werten wäre.
65Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen geht in ständiger Rechtsprechung, die sich die Kammer zu eigen macht, davon aus, dass unverfolgt illegal ausgereiste Rückkehrer nach Syrien -auch solche kurdischer Volks- und yezidischer Glaubenszugehörigkeit-, die sich im Ausland aufgehalten haben und einen Asylantrag gestellt haben, selbst in Ansehung der Repressionen des syrischen Staates in Bezug auf Oppositionelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt werden. Rückkehrer nach Syrien unterliegen zwar allgemein der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Dies begründet aber alleine einen Anspruch auf Abschiebungsschutz -dem der angefochtene Bescheid auch in Ziff. 3. seines Tenors Rechnung trägt-, nicht aber den Anspruch, als politisch Verfolgter anerkannt zu werden,
66vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 14 1517/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 A 1008/13.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 23. August 2012 - 14 A 1922/12.A -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A -, NRWE; zu yezidischen Kurden OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A, juris, m.w.N.
67Belastbare Erkenntnisse, die die Annahme nahelegten, der syrische Staat erkenne in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern grundsätzlich eine erhöhte Gefahr und habe anders als vor Ausbruch des Konflikts eine entsprechende Handlungsmotivation dieser Personengruppe gegenüber entwickelt, so dass nunmehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung bestehe, lassen sich derzeit nicht hinreichend ausmachen. Nichts anderes folgt aufgrund der davon abweichenden Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt,
68vgl. etwa OVG LSA, Urteil vom 17. Juli 2012 - 3 L 417/11, juris und das weiter vom Kläger benannte Urteil des VG Oldenburg vom 17. Mai 2013 - 4 A 4137/12, Bl. 72ff. GA,
69dass eine solche Gefährdung annimmt. Diese Auffassung beruht mangels nötiger Referenzfälle, die es wegen ausgesetzter Abschiebungen nicht gibt, notwendigerweise auf einer wertenden Gesamtschau aller Umstände, die die erkennende Kammer nicht teilt. Denn es ist fernliegend anzunehmen, der syrische Staat, dessen Machthaber gegen Aufständische um das politische und physische Überleben kämpfen und dabei bereits die Kontrolle über Teile des Landes verloren haben, hätte Veranlassung und Ressourcen, alle zurückgeführten unpolitischen Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund aus den in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Gründen zu verfolgen; das bloße Vorliegen eines mit aller Härte geführten bewaffneten Konflikts in Syrien reicht hierfür nicht aus,
70vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 14 1517/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 1008/13.A, juris; OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A - m.w.N., juris; VG Düsseldorf, 14. Mai 2013 - 17 K 9165/12.A -, juris; VG Augsburg, Urteil vom 28. Dezember 2012 - Au 6 K 12.30264, juris.
71Nicht zuletzt wird es gerade aufgrund der derzeitigen militärischen Auseinandersetzungen den syrischen Machhabern auch vor Augen stehen, dass Flüchtlinge ihr Heimatland nicht allein wegen einer regimefeindlichen Gesinnung, sondern vielfach, wenn nicht gar überwiegend vornehmlich wegen der allgemeinen kriegsähnlichen Lage und den damit verbundenen Gefahren verlassen.
72Weitere nach Verlassen seines Heimatlandes eingetretene Gründe, die es rechtfertigten von einer Rückkehrgefährdung auszugehen, hat der Kläger nicht dargelegt.
73B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit ergibt sich aus § 30 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.