Verwaltungsgericht Regensburg Urteil, 17. Jan. 2014 - 6 K 13.30100

bei uns veröffentlicht am17.01.2014

Gericht

Verwaltungsgericht Regensburg

Tenor

I.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei den Klägern die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG vorliegen. Der Bescheid vom 11.3.2013 wird insoweit aufgehoben.

II.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Tatbestand

Die am ... 1982 geborene Klägerin zu 1) ist syrische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens. Gleiches gilt für die am ... 2002, ... 2004 und ... 2010 geborenen Kläger zu 2) bis 4), die Kinder der Klägerin zu 1) sind. Die Kläger reisten etwa Anfang Oktober auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Am 15.10.2012 stellten die Kläger einen Antrag auf Durchführung eines Asylverfahrens. Im Rahmen der Anhörung bzw. im Vorfeld durch ihren Verfahrensbevollmächtigten erklärte die Klägerin zu 1), dass sie bis zu ihrer Ausreise in R., Provinz H., gelebt hätten. Mit Hilfe von Schleppern hätte sie mit ihren Kindern, den Klägern zu 2) bis 4) und ihrem Ehemann zwischen Ende Juli und Anfang August 2012 Syrien in einer größeren Gruppe von Flüchtlingen zu Fuß in Richtung Türkei illegal verlassen. Vor Grenzübertritt sei auf die Gruppe geschossen worden, so dass ihr Ehemann und die Männer der Gruppe zurück nach Syrien gegangen seien, damit nicht weiter auch auf Frauen und Kinder geschossen werde. In der Türkei habe man sie und ihre Kinder dann mit dem LKW nach Istanbul verbracht, wo sie ungefähr fünfzehn Tage untergebracht gewesen seien. Anschließend hätten sie Schlepper per Schiff und LKW nach Deutschland gebracht.

Die Familie habe in A. gewohnt, sei aber wegen der dortigen Kämpfe in ihren Heimatort in der Provinz H. zurückgekehrt. Nachdem sich die Kämpfe auch dorthin ausgebreitet hätten, hätten sie jeden Tag um ihr Leben fürchten müssen. In den ca. zwei bis drei Monaten vor ihrer Flucht seien in ihrem Ort ca. 50 bis 60 Personen ermordet worden. Sie hätten erneut flüchten müssen, da es vor Ort keine Schulen, medizinische Versorgung oder Lebensmittel mehr gegeben habe. Die Situation für Minderheiten und damit auch für sie als Yeziden sei in Syrien besonders schwierig. Durch den Konflikt habe sich dies noch weiter verschärft, so dass es nahezu täglich zu Übergriffen durch die syrische Armee oder die arabische Bevölkerung komme. Mehrfach sei auch die Klägerin zu 1) durch die syrische Armee mit dem Tode bedroht worden. Dies erfolgte stets, nachdem diese Kenntnis von ihrem yezidischen Glauben erhalten hätte. Die Kläger seien durch die Ereignisse in Syrien traumatisiert. Die Klägerin zu 1) habe zudem chronische Kopfschmerzen.

Mit Bescheid vom 11.3.2013 wurde der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) lägen nicht vor. Es wurde festgestellt, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliege.

Gemessen an dem Vorbringen der Klägerin zu 1) seien keine asyl- oder flüchtlingsrelevanten Anknüpfungspunkte gegeben.

Es liege aber ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Bei einer Rückkehr sei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form von menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zu Folter zu erwarten.

Am 26.3.2013 haben die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten gegen den Bescheid vom 11.3.2013 Klage mit dem Antrag auf Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erhoben. Weiterhin stellten sie den Antrag, ihnen Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt ... beizuordnen.

Die Klägerin zu 1) trägt vor, Mitglieder ihrer Familie hätten einen ihrer Brüder unter Verwendung eines auf sie zugelassenen Kraftfahrzeugs zur Flucht aus dem Militärdienst verholfen. Ihr Ehemann sei deswegen in Syrien zur Fahndung ausgeschrieben. Mehrfach seien sie von Soldaten nach ihrem Bruder gefragt worden, dabei sei ihre Familie auch bedroht worden. Dies habe sie bei der Befragung vor dem Bundesamt nicht so detailliert angeben, weil ihr Bruder damals noch nicht in Deutschland in Sicherheit gewesen sei. Ihren Ehemann habe sie erst nach zwei bis drei Monaten in Deutschland wieder gefunden.

Der Bevollmächtigte der Kläger verweist darüber hinaus darauf, dass unabhängig von Vorfluchtgründen beachtliche Nachfluchtgründe vorlägen. Die Kläger seien illegal ausgereist und hätten einen Asylantrag gestellt. Im Falle einer Rückkehr hätten sie mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Dabei komme es nicht darauf an, ob sie tatsächlich eine oppositionelle Haltung gegenüber dem herrschenden Regime hätten oder ob diese dort nur vermutet werde. Es werde insoweit auf das Urteil des Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt verwiesen.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamts vom 11.3.2013 in Ziff. 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird angeführt, es werde nochmals auf die fortgeführte Beschlusspraxis des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen verwiesen (B. v. 7.5.2013 - 14 A 1008/13.A).

Mit Beschluss vom 14.5.2013 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen. Mit weiterem Beschluss vom 26.6.2013 wurde den Klägern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.7.2013 wurde die Beklagte durch das Verwaltungsgericht Regensburg zur Feststellung verpflichtet, dass bei den Klägern im Hinblick auf die Arabische Republik Syrien die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, der Bescheid der Beklagten wurde insoweit aufgehoben.

Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 31.7.2013 Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung gestellt.

Mit weiterem Schriftsatz vom 15.8.2013 hat sie Beweisantrag gestellt, eine Anfrage an das Auswärtige Amt zu richten, ob es zutreffe, dass nicht nur Regimegegner, sondern auch Regierungsanhänger in Deutschland Asylantrag bzw. Antrag auf subsidiären Schutz gestellt hätten, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen und ob dies auch dem syrischen Regime bekannt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die eingereichten Schriftsätze und die Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 17.1.2014 Bezug genommen.

Gründe

1. Die Kläger haben einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG, weil ihnen politische Verfolgung droht. Der Bescheid vom 11.3.2013 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt ist bei asylrechtlichen Streitigkeiten der Zeitpunkt der Entscheidung, § 77 Abs. 1, Satz 1 AsylVfG. Die Frage eines Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft richtet sich somit nach § 3 AsylVfG i. d. F. v. 1.12.2013.

Nach dieser Vorschrift steht den Klägern ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf die Arabische Republik Syrien zu, weil sie sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen und dessen Schutz sie wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen wollen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 a) AsylVfG). Dabei haben die für § 60 Abs. 1 AufenthG entwickelten Grundsätze auch nach Wegfall der Verweisung in § 3 AsylVfG nach wie vor Gültigkeit.

a) Politisch Verfolgter ist, wer aus spezifisch politischen Gründen vom Heimatstaat in existenzbedrohender Weise verfolgt wird, insbesondere wer gute Gründe für die Annahme hat, durch Maßnahmen der Träger des im Heimatstaat herrschenden Regimes, die mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar sind, unter anderem wegen seiner politischen Überzeugung einer Verfolgung ausgesetzt zu sein bzw. zu werden, die sich gegen Leben, Gesundheit oder Freiheit richtet und die eine schwere Existenzgefährdung bedeutet. Begründet ist die Furcht vor politischer Verfolgung im Heimatstaat, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, so dass ihm die Rückkehr in den Heimatstaat nicht zuzumuten ist. Eine politische Verfolgung liegt auch vor, wenn die Verfolgung von den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschenden Parteien oder Organisationen, sowie von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, wenn der Staat, herrschende Parteien und Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz zu gewähren (§ 3 c AsylVfG).

Dabei ist es stets Sache des Ausländers, seine Gründe für die Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat dabei unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm ein Verbleib im bzw. eine Rückkehr in sein Herkunftsland nicht zumutbar wäre. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands eines Flüchtlings genügt dafür in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung hierfür ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist nicht zu erwarten, dass die Kläger wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit einer Gruppenverfolgung in Syrien unterliegen.

Wie das Asylgrundrecht kann auch die Feststellung der Voraussetzungen des § 3 AsylVfG von demjenigen in Anspruch genommen werden, der selbst in seiner Person die Verfolgung erlitten hat. Die Gefahr eigener politischer Verfolgung kann sich aber auch dadurch ergeben, dass Dritte wegen eines asylerheblichen Merkmales verfolgt werden, das der Betroffene mit diesen Dritten teilt, wenn sich der Betroffene mit ihnen in einer hinsichtlich Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Gilt die Verfolgung nicht dem einzelnen Individuum, sondern der durch das asylerhebliche Merkmal gekennzeichneten Gruppe als solcher, kann eine derart gruppengerichtete Verfolgung dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat stets mit eigener Verfolgung rechnen muss (vgl. BVerfG, B. v. 23.1.1991 - 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 - BVerfGE 83, 216). Voraussetzung für eine solche Annahme ist, dass mit der gruppengerichteten Verfolgung eigene staatliche Ziele durchgesetzt werden sollen und diese Ziele von eigenen staatlichen Organen oder durch eigens vom Staat dazu berufene oder sonst autorisierte Kräfte durchgesetzt werden (vgl. BVerwG, U. v. 15.5.1990 - 9 C 17/89 - BVerwGE 85, 140; BVerwG, U. v. 24.7.1990 - 9 C 78/89 - BVerwGE 85, 266) bzw. von den in § 3 c AsylVfG genannten Gruppen und Organisationen ausgehen. Eine Gruppenverfolgung der Kurden liegt nach den Erkenntnisquellen des Gerichtes nicht vor. Zwar ist die politische Überwachung der Kurden, vor allem im Nordosten Syriens, sehr intensiv. Die Kurden, insbesondere diejenigen ohne syrische Staatsangehörigkeit, unterliegen vielfältigen Repressalien und rechtlichen Benachteiligungen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Syrien vom 27. September 2010). Dies genügt aber noch nicht den Anforderungen zur Feststellung einer Gruppenverfolgung der syrischen Kurden (im Ergebnis so auch SächsOVG, B. v. 5.6.2012 - A 5 A 414/09 - Juris; VG Düsseldorf, U. v. 14.5.2013 - 17 K 9165/12.A - Juris). Auch die Eskalation der Lage in Syrien hat insoweit keine Hinweise auf eine Gruppenverfolgung von Kurden ergeben.

c) Ebenso ist in Übereinstimmung mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung trotz der für sie als religiöse Minderheit bestehenden Repressalien im Einzelfall - mangels ausreichender Verfolgungsdichte - keine Gruppenverfolgung von Yeziden in Syrien anzunehmen (BayVGH, B. v. 27.6.2011 - 20 ZB 11.30204 - Juris; VG Würzburg, U. v. 4.10.2011 - W 4 K 10.30022 - Juris; VG Düsseldorf, U. v. 14.5.2013, a. a. O.; VG Düsseldorf, U. v. 27.8.2013 - 17 K 4309/12.A - Juris).

d) Vorliegend ist dies jedoch nicht entscheidungserheblich, da das Gericht an seiner im Gerichtsbescheid und früheren Entscheidungen (vgl. VG Regensburg, GB v. 14.3.2013 - RN 6 K 12.30059) dargestellten Auffassung festhält, dass im Ausland lebenden Syrern ungeachtet ihrer tatsächlichen oppositionellen Haltung allein durch ihre illegale Ausreise und Asylantragstellung in Deutschland eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ droht.

Diese Frage wird derzeit von den Verwaltungsgerichten in Deutschland unterschiedlich beurteilt. Das entscheidende Gericht geht dabei davon aus, dass die in der grundlegenden Entscheidung des Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt vom 18.7.2012 (OVG LSA, U. v. 18.7.2012 - 3 L 147/12 - Juris) ausgeführte Gesamtschau über die Situation in Syrien nach wie vor Aktualität besitzt (ebenso im Ergebnis VG Hannover, U. v. 10.12.2013 - 2 A 6900/12 - Juris).

Wie sich aus zahlreichen Berichten unterschiedlicher Organisationen ergibt, ist seit Ende 2012 keine Beruhigung, sondern vielmehr eine weitere Eskalation des Konflikts in Syrien erfolgt (vgl. Bericht des UNHCR v. 22.10.2013). Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass sich das politische Regime in Syrien in seiner Struktur bzw. seiner totalitären Ausrichtung in den letzten Monaten in irgendeiner Form geändert hätte. Trotz des unter massivem internationalen Druck erfolgten Einlenkens der syrischen Regierung im Streit um Chemiewaffen, ist vielmehr nach wie vor anzunehmen, dass der syrische Staat infolge seiner sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Betroffenen als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen oder sogar regimefeindlichen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt (OVG LSA, U. v. 18.7.2012 a. a. O., dem folgend VG Köln, U. v. 21.3.2013 - 20 K 3681/12. A - Juris; VG Stuttgart, U. v. 15.3.2013 - A 17.12.2013 - 5 K 858/10.KS.A). Dies gilt nach der Überzeugung des Gerichts auch im Falle der Kläger, so dass davon auszugehen ist, dass das in Syrien herrschende Regime die Flucht der Kläger ins Ausland und ihre Asylantragstellung als Abkehr von den eigenen Zielen und damit letztlich als Verrat auffassen würde.

Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil sie mit der Asylantragstellung auf dem eigenen Nachfluchtverhalten der Kläger beruht. § 28 Abs. 1 a AsylVfG stellt klar, dass eine Furcht vor Verfolgung i. S. v. § 3 AsylVfG auch auf Ereignissen beruhen kann, die nach dem Verlassen des Heimatlandes eingetreten sind bzw. die auf einem eigenen Verhalten des Ausländers beruhen.

Der von der Beklagten bedingt gestellte Beweisantrag, eine Anfrage beim Auswärtigen Amt zu stellen, ob es zutreffe, dass nicht nur Regimegegner, sondern auch Regierungsanhänger in Deutschland Asylantrag bzw. Antrag auf subsidiären Schutz gestellt hätten, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen und ob dies auch dem syrischen Regime bekannt sei, war nicht entscheidungserheblich. Denn auch wenn man unterstellt, dass dies der Fall wäre, ließe das noch keinerlei Rückschluss auf die Reaktionen des syrischen Regimes auf ein solches Verhalten zu. Da nach der hier vertretenen Auffassung gerade davon auszugehen ist, dass der syrische Staat sogar Personen, die vielleicht ursprünglich Regierungsanhänger waren, allein wegen ihrer Flucht und Asylantragstellung als Gegner ansieht, so dass diese mit politischer Verfolgung bedroht sind, wäre allenfalls die Frage entscheidungserheblich, wie der syrische Staat mit früheren Anhängern umgeht, die einen Asylantrag oder einen Antrag auf subsidiären Schutz gestellt haben. Zu dieser Frage, wie das syrische Regime ein Verhalten wie Flucht- und Asylantragstellung bewertet, gibt es jedoch nach Überzeugung des entscheidenden Gerichts keine verlässlichen neuen Erkenntnisquellen, da seit längerer Zeit Abschiebungen nach Syrien nicht stattfinden.

Ebenso wenig ist entscheidend, ob dem Auswärtigen Amt aus der Zeit vor 2011 aktuelle Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorliegen. Vielmehr hat bereits das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt unter Bezugnahme auf andere Erkenntnisquellen seiner Entscheidung eine Bestätigung des Auswärtigen Amtes zugrunde gelegt, dass diesem wegen fehlender Rückführungen keine solchen aktuellen Erfahrungswerte vorlägen. Damit sei die Gefahrendichte nicht mangels hinreichender Referenzfälle zu verneinen, vielmehr könne sie nur nicht durch Referenzfälle nachgewiesen werden. (OVG LSA, U. v. 18.7.2012, a. a. O.). Dieser Auffassung schließt sich das entscheidende Gericht an.

Der Beklagten kann auch nicht in der Ansicht gefolgt werden, die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit einer steigenden Zahl an Flüchtlingen habe die Folge, dass der einzelne sich im Ausland aufhaltende Flüchtling wegen des Massenphänomens der Flucht ins Ausland nicht mehr als potentieller politischer Gegner angesehen werden könne. Zwar trifft es zu, dass in den letzten Monaten die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien weiter angestiegen ist. Dies ändert aber nichts daran, dass die syrische Regierung nach Überzeugung des Gerichts nach wie vor davon ausgeht, dass es sich bei dem Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land handelt, der mit allen Mitteln zu begegnen ist (so bereits VG Stuttgart, U. v. 15.3.2013 - A 7 K 2987/12). Während schon vor Beginn der Aufstände im Rahmen des „Arabischen Frühlings“ teilweise wochenlange Inhaftierungen und Verhöre von aus dem Ausland kommenden und nicht exponiert auftretenden Syrern nicht unüblich waren, ist davon auszugehen, dass unter den konkreten derzeitigen Umständen jeder sich im Ausland aufhaltende Syrer im Falle seiner Rückkehr als möglicher Oppositioneller angesehen werden wird (VG Aachen, U. v. 11.1.2012 - 9 K 1698/10.A - Juris und U. v. 21.10.2011 - 9 K 1005/10.A - Juris). Von einer solchen Anknüpfung der alle Syrer erwartenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr an eine zumindest vermutete politische Überzeugung geht auch die Beklagte aus, wenn sie nämlich die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte bei Rückkehr unter anderem darauf zurückführt, dass dies zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene erfolge (VG Köln, U. v. 21.3.2013 - 20 K 3681/12.A - Juris).

Die unter anderem vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW, B. v. 7.5.2013 - 14 A 1008/13.A; OVG NRW, B. v. 21.8.2013, 14 A 1863/13.A - Juris) sowie von den Verwaltungsgerichten Düsseldorf (VG Düsseldorf, U. v. 14.5.2013 - 17 K 8861/12.A - Juris) und Potsdam (VG Potsdam, U. v. 3.12.2013 - 6 K 3592/13.A - Juris) vertretene Gegenauffassung, wonach nicht hinreichend dargelegt sei, dass illegal ausgereisten Syrern, die einen Asylantrag stellen, ohne Vorliegen weiterer Gründe eine regimefeindliche politische Einstellung unterstellt werde, vermag nicht zu überzeugen. In keiner der genannten Entscheidungen erfolgt nämlich eine Auseinandersetzung mit den geänderten politischen Verhältnissen in einem vom Bürgerkrieg geprägten Land, in dem das herrschende Regime um sein politisches Überleben kämpft. Wenig überzeugend ist insbesondere auch die Schlussfolgerung, das syrische Regime sei derart unter Druck, dass es zu einer politischen Verfolgung von Rückkehrern nach Syrien außerstande sei. Zum einen ist nämlich zu berücksichtigen, dass es derzeit praktisch keine Rückkehrer nach Syrien gibt, zum anderen führt nach Auffassung des Gerichts gerade der Druck auf das syrische Regime dazu, dass gegen vermeintliche Verräter mit besonderer Härte vorgegangen werden würde.

Nach alledem ist aufgrund der illegalen Ausreise, des längeren Aufenthaltes der Kläger im Ausland und der Asylantragstellung davon auszugehen, dass die Kläger ungeachtet einer politisch motivierten Vorverfolgung im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ausgesetzt wären.

2. Somit war der Klage mit der gesetzlichen Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

3. Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Regensburg Urteil, 17. Jan. 2014 - 6 K 13.30100

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Regensburg Urteil, 17. Jan. 2014 - 6 K 13.30100

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit
Verwaltungsgericht Regensburg Urteil, 17. Jan. 2014 - 6 K 13.30100 zitiert 6 §§.

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Tenor Die Klage wird abgewiesen.Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 1

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Tatbestand 1 Der 1979 in A./Syrien geborene Kläger ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger, muslimischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seinen Schilderungen reiste er am 30. November 2010 aus der Türkei kommend a

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


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Tatbestand

1

Der 1979 in A./Syrien geborene Kläger ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger, muslimischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seinen Schilderungen reiste er am 30. November 2010 aus der Türkei kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.

2

Am 14. Januar 2011 wurde der Kläger vom Bundesamt zu seinem Asylbegehren angehört. Zur Begründung gab er an: Er sei ungefähr von 2001 bis 2007 inhaftiert gewesen. Aufgrund einer Bürgschaft sei er freigelassen worden. Er sei Sympathisant der Kurdischen Volksunion gewesen. Im Rahmen der Vorbereitung des Newroz-Festes am 21. März 2010 habe man sich versammelt. Daraus sei eine Demonstration entstanden. Irgendwann habe man begonnen, Leute zu verhaften. Er sei geflüchtet und habe sich bei seinem Cousin versteckt. Er habe dann erfahren, dass sein Bruder verhaftet worden sei. Es sei ihm klar geworden, dass dies erfolgt sei, weil man in Wirklichkeit seiner habhaft werden wollte. Er habe sich sechs Monate bei seinem Cousin versteckt und dann seine Ausreise organisieren lassen.

3

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 23. März 2011 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach Rechtskraft der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde er nach Syrien abgeschoben. Der Kläger könnte auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger könnte kein Asyl beanspruchen, weil davon auszugehen sei, dass er auf dem Landweg über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Der Kläger hätte ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht. Auch die illegale Ausreise bzw. die Asylantragstellung im Ausland führe nicht zu einer politischen Verfolgung. Mangels einer politischen Verfolgung könne er daher nicht die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen. Auch Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

4

Am 5. April 2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben. Zur Begründung berief er sich auf die aktuelle politische Situation in Syrien. Ferner sei bei ihm im Jahr 2011 eine kryptogene Epilepsie und der Verdacht auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung festgestellt worden.

5

Der Kläger hat beantragt,

6

unter Aufhebung des Bescheides vom 23. März 2011 festzustellen, dass für ihn die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

7

Die Beklagte hat beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Mit Gerichtsbescheid vom 23. April 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 23. März 2011 verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG für den Kläger vorliegen.

10

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, dass das Verwaltungsgericht für seine tragende Argumentation hinsichtlich der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft keine Referenzfälle benannt habe. Sie hat sich im Verlauf des Berufungsverfahrens verpflichtet festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG im Hinblick auf den Kläger vorliegt.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 23. April 2012 abzuweisen.

13

Der Kläger beantragt,

14

die Berufung zurückzuweisen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

17

Maßgeblich für die Beurteilung, ob dem Kläger der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen ist, sind § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258) sowie § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162, zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.06.2012, BGBl. I S. 1224).

18

Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.

19

Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, Art. 4 Abs. 4 und Art. 7 bis 10 derRichtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie, nachfolgend QRL) des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden. Wie nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist auch unionsrechtlich eine Verfolgungshandlung für die Flüchtlingsanerkennung nur dann von Bedeutung, wenn sie an einen der in Art. 10 QRL genannten Verfolgungsgründe anknüpft (Art. 9 Abs. 3 QRL). Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 QRL genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (Art. 10 Abs. 1 lit. e QRL). Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe reicht es aus, wenn diese Merkmale dem Antragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (Art. 10 Abs. 2 QRL). Die Qualifikationsrichtlinie hat sich insofern an dem aus dem angloamerikanischen Rechtsraum bekannten Auslegungsprinzip der „imputed political opinion“ orientiert, wonach es ausreicht, dass ein Verfolger seine Maßnahmen deshalb gegen den Antragsteller richtet, weil er davon ausgeht, dass dieser eine abweichende politische Überzeugung vertritt (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 15 Rdnr. 26; Nachweise aus der Rechtsprechung bei UNHCR, „Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, 2001, Fußnote 54 zu Rdnr. 25). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylgrundrecht des Art. 16a GG kann eine politische Verfolgung dann vorliegen, wenn staatliche Maßnahmen gegen - an sich unpolitische - Personen ergriffen werden, weil sie dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet werden, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Dienen diese Maßnahmen der Ausforschung der Verhältnisse des Dritten, so kann ihnen die Asylerheblichkeit nicht von vornherein mit dem Argument abgesprochen werden, sie seien nicht gegen die politische Überzeugung des Betroffenen gerichtet (BVerfG, Beschl. v. 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, juris).

20

Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 QRL Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschriebenen Weise betroffen ist (lit. b).

21

Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 QRL. Art. 4 Abs. 4 QRL ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Qualifikationsrichtlinie modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 QRL erlitten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EuGH, Urteil v. 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 lit. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Urt. v. 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330); dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O).Art. 4 Abs. 4 QRL privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urt. v. 02.03.2010, a. a. O.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O.).

22

Nach der Überzeugung des Senates ist der Kläger nicht im oben dargestellten Sinne vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Der die Flüchtlingsanerkennung Begehrende hat aufgrund seiner Mitwirkungspflicht seine Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die drohende Verfolgung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701). Daher hat sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Schutzsuchenden behaupteten Sachverhalts zu verschaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658). Für diese Überzeugungsbildung ist wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich ein Schutzsuchender bezüglich der Vorgänge in seinem Heimatland regelmäßig befindet, nicht die volle Beweiserhebung notwendig, sondern die Glaubhaftmachung ausreichend.

23

Der Kläger hat keine Vorverfolgung glaubhaft gemacht, da er unter Berücksichtigung und Würdigung seines gesamten Vorbringens bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt und dem erkennenden Senat keinen zusammenhängenden, in sich schlüssigen, im Wesentlichen widerspruchsfrei geschilderten Sachverhalt vorgetragen hat. Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als wesentliches fluchtauslösendes Motiv die Verhaftung seines Bruders geschildert, aus der er den Schluss gezogen haben will, dass der syrische Staat auch seiner Person habhaft werden wolle. Diesen Umstand hat der Kläger bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen seiner Ausreise nicht mehr erwähnt. Vielmehr hat er nunmehr bei seiner Anhörung vor dem Senat als maßgeblich ausgeführt, dass er aufgrund des Umstandes, dass er bei der anlässlich des Newroz-Festes durchgeführten Versammlung fotografiert worden sei, sich zur Ausreise entschlossen habe. Die Leute, die dort festgenommen worden seien, seien auch nach Jahren nicht mehr zurückgekehrt. Er habe befürchtet, dass ihm Gleiches widerfahre. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hatte er eine mögliche Gefährdung wegen der Fertigung von Bildaufnahmen der Demonstration nicht erwähnt.

24

Unabhängig von einer Vorverfolgung muss aufgrund der aktuellen Situation in Syrien jedoch davon ausgegangen werden, dass der Kläger aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung im vorgenannten Sinne bedroht ist. Der Kläger ist wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland von einer Verfolgung bedroht, wobei hinsichtlich der Personen, die die genannten Merkmale erfüllen, von einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ auszugehen ist. Der Senat geht davon aus, dass diese Handlungen ungeachtet einer oppositionellen Haltung des Einzelnen bei Vorliegen der zuvor genannten Kriterien vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst werden und der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine tatsächliche oder jedenfalls vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.

25

Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 m. w. N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.02.1996 - 9 B 14.96 -, DVBl 1996, 623 m. w. N.).

26

Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten des Klägers beruht. Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 QRL, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss eines Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, NVwZ 2009, 730).

27

Die dem Senat vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse rechtfertigen den Schluss, dass für den Kläger aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr nach Syrien besteht. Dieser Schluss rechtfertigt sich aus mehreren Gründen, nämlich der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 sowie dem Umgang der syrischen Behörden in Syrien insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.

28

Amnesty international (vgl. zum Nachfolgenden: Bericht „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und der kurdische Informationsdienst KURDWATCH haben eine Reihe von Fällen dokumentiert, in denen seit 2009 abgelehnte syrische Asylbewerber nach ihrer Abschiebung (aus Deutschland und anderen europäischen Staaten) festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt unter erheblicher Foltergefahr von den Geheimdiensten inhaftiert wurden.

29

Der syrische Kurde Berzani Karro wurde im Juni 2009 von den zypriotischen Behörden nach Syrien abgeschoben. Er hatte im Jahr 2006 in Zypern einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Berzani Karro wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Nach den Erkenntnissen von amnesty international war Karro bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft. Im März 2010 wurde Berzani Karro von einem Militärgericht zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Er wurde der „versuchten Abspaltung von syrischem Territorium und dessen Angliederung an einen anderen Staat“ für schuldig befunden.

30

Ein weiterer Fall ist der am 1. September 2009 von deutschen Behörden nach Syrien abgeschobene abgelehnte kurdische Asylbewerber Khalid Kandschu. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Kandschu wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Anfang 2010 wurde Kandschu vorläufig aus der Haft entlassen. Das Verfahren gegen ihn vor dem Militärgericht wurde fortgesetzt. Er wurde in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von vier Monaten sowie einer geringfügigen Geldbuße verurteilt. Im Juli 2010 konnte Kandschu wieder in die Bundesrepublik einreisen und wurde als Asylberechtigter anerkannt.

31

Amnesty international hat ferner den Fall des syrischen Kurden Abd al-Karim Hussein dokumentiert, der im August 2010 aus Norwegen abgeschoben wurde. Er wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Abd al-Karim Hussein ist stellvertretender Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Der an Diabetes erkrankte Hussein war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasst hat.

32

Nach einem weiteren von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige Familie nach Damaskus abschieben lassen. Hamza Hasan und Khalid Hasan wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. Von den Abgeschobenen sind drei - Hamza, Mariam und Imad Hasan - in Deutschland geboren. Ihre Eltern hatten in Deutschland Asyl beantragt und dabei eine falsche Identität angegeben. Ursprünglich hatten sie behauptet, aus dem Libanon zu stammen und erst später ihre syrische Staatsangehörigkeit offenbart. Anscheinend wurden Hamza und Khalid Hasan festgenommen, da sie in Deutschland straffällig geworden waren. Unklar blieb, wer die syrischen Sicherheitskräfte über ihre Straffälligkeit informiert hat. Am 24. August 2010 wurde Hamza Hasan aus der Haft in Damaskus entlassen worden. Hasans Aussagen zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten - von welchen Sicherheitsorganen war für den in der Bundesrepublik geborenen Kurden nicht ersichtlich. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so Hasan, sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden (KURDWATCH, Meldung vom 7. September 2010).

33

Nach seiner Abschiebung aus Dänemark wurde der staatenlose Kurde Amir Muhammad Dschan Ato am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Ato war in Dänemark politisch aktiv (KURDWATCH, Meldung vom 21. November 2010).

34

Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Dschuan Yusuf Muhammad vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In Zypern hatte Muhammad gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen (KURDWATCH, Meldung vom 17.12.2010)

35

Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen Badr Naso und seinen Sohn Anwar Naso nach Syrien abschieben lassen. Badr und Anwar Naso wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Anwar Naso wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Badr Naso wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen (KURDWATCH, Meldungen vom 13.02.2011, 26.02.2011 und 15.03.2011).

36

Am 8. Februar 2011 wurde Annas Abdullah von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich Dänemark zuvor die Rücknahme Abdullahs zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Abdullah begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Abdullah nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Abdullah von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Abdullah mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Abdullah leugnete dies und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Abdullah gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. In Dänemark angekommen informierte Abdullah die dänische Polizei über die erlittene Folter, die durch entsprechende Spuren auf seinem Rücken belegt sind (KURDWATCH, Meldung vom 29.03.2011).

37

Nach seiner Abschiebung nach Syrien wurde am 13. April 2011 Khalid Hamid Hamid am Flughafen Damaskus festgenommen. Er war am 12. April 2011 in Lebach festgenommen worden, als er bei der dortigen Ausländerbehörde seine Duldung verlängern lassen wollte. Hamid hatte im Jahr 2002 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Am 20. April 2011 wurde er in Damaskus aus der Haft entlassen. Nach seiner Abschiebung aus Deutschland war er eine Woche lang im Gefängnis der Fara Filastin, einer Abteilung des Militärischen Nachrichtendienstes, festgehalten worden. Dort war er zu seinen exilpolitischen Aktivitäten und zu in Deutschland lebenden Syrern verhört und dabei mit einer als „al kursi al almani“ („deutscher Stuhl“) bezeichneten Methode gefoltert worden, bei der das Opfer auf einem beweglichen Stuhl fixiert wird, der die Wirbelsäule nach hinten biegt (KURDWATCH, Meldungen vom 14.04.2011 und 28.04.2011).

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Ein weiteres gefahrbegründendes Moment besteht in dem Umstand, dass syrische Geheimdienste mit ihren Verbindungen zur syrischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland über ein Agentennetz verfügen, mit dem die im Ausland lebenden Syrerinnen und Syrer flächendeckend überwacht werden. Seit Beginn des „arabischen Frühlings“ hat sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Aktivität des syrischen Geheimdienstes in der Bundesrepublik Deutschland intensiviert. In der syrischen Botschaft in Berlin, die auch als Legalresidentur für Spionageaktivitäten fungiere, seien hauptamtlich abgetarnte Nachrichtendienstler beschäftigt, die ein Agentennetz in Deutschland führen. Bei der Anwerbung von neuen Agenten würden auch Repressalien angewandt. In Syrien lebende Angehörige könnten dabei auch als Druckmittel missbraucht werden (Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 15. Februar 2012 zum Thema „Aktivitäten des syrischen Geheimdienstes in Berlin“, Seite 4 f.). Anfang Februar 2012 hat die Bundesregierung vier syrische Diplomaten ausgewiesen, die ihm Verdacht stehen, an Einschüchterungsversuchen gegen Oppositionelle beteiligt gewesen zu sein. Ebenfalls Anfang Februar 2012 sind ein Deutsch-Libanese und ein syrischer Staatsangehöriger unter dem Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 StGB) für die Arabische Republik Syrien aufgrund vom Bundesgerichtshof erlassener Haftbefehle in Untersuchungshaft genommen worden. Die beiden sollen intensiv an der Ausforschung Oppositioneller beteiligt gewesen sein. Bei Demonstrationen hätten sie Teilnehmer fotografiert sowie Bilder und andere Informationen nach Damaskus weitergeleitet (vgl. Zeit Online vom 09.02.2012: „Deutschland weist vier syrische Diplomaten aus“; Tagesspiegel vom 09.02.2012: „Mutmaßliche Spione forschten Syrer in Berlin aus“; Zeit Online vom 10.02.2012: „Worauf die Syrer in Deutschland hoffen“; FAZ vom 11.02.2012: „Assad sieht dich - Syrische Spione in Berlin“ und Abgeordnetenhaus Berlin,“; zur fortdauernden Beobachtung der syrischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland: Dradio.de, Transkript eines Radioberichts vom 05.06.2012: „Warten im Niemandsland - Die syrische Opposition im Exil“). Hieran anschließend hat unter anderem das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt mit Erlass vom 16. Februar 2012 die Ausländerbehörden aufgefordert, keinen Kontakt mehr mit syrischen Stellen zwecks Feststellung der Identität bzw. der Staatsangehörigkeit bei aus Syrien stammenden Ausländern aufzunehmen.

39

Diese Einschätzung deutscher amtlicher Stellen über die umfassende Überwachung von im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen durch im Ausland operierende syrische Geheimdienste deckt sich mit den Erkenntnissen von amnesty international. Im Ausland lebende Syrer werden systematisch von Angehörigen der syrischen Auslandsvertretungen oder anderen Personen im Auftrag der syrischen Regierung überwacht und eingeschüchtert. In einigen Fällen von im Ausland politisch aktiven Syrern wurden auch die in Syrien lebenden Familienangehörigen unter Druck gesetzt (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 17.02.2012, S. 10).

40

In einem Bericht von Anfang Oktober 2011 hat amnesty international exemplarisch 30 Fälle in acht Ländern - darunter auch Deutschland - dokumentiert („The long reach of the Mukhabaraat - violence and harassment against Syrians abroad and their relatives back home“), welche eine umfassende und systematische Überwachung der im Ausland lebenden Syrer belegen. Bereits objektiv vergleichsweise geringfügige Anlässe lösen Maßnahmen der syrischen staatlichen Stellen aus, welche sich auch gegen Familienangehörige in Syrien richten.

41

So rief die in Chile lebende Syrerin Naima Darwish am 25. Februar 2011 auf ihrer Facebook-Seite zu einer Protestveranstaltung vor der syrischen Botschaft in Santiago auf. Nur zwei Stunden später erreichten sie Anrufe von Freunden, welche sie darüber unterrichteten, dass die syrische Botschaft versuche, ihre Telefonnummer in Erfahrung zu bringen. Zwei Tage nach dem Aufruf erhielt sie einen Anruf eines Botschaftsangehörigen, welcher sie aufforderte, in die Botschaft zu kommen. Nach dem dies durch Darwish abgelehnt wurde, fand ein Treffen außerhalb der Botschaft statt. Auf diesem Treffen wurde sie beleidigt und ihr damit gedroht, dass sie nicht mehr nach Syrien zurückkehren könne, wenn sie die oppositionellen Tätigkeiten fortsetze.

42

Ferner wurde der Bruder des in Spanien lebenden Syrers Imad Mouhalhel, Aladdin, im Juli 2011 für vier Tage in Syrien inhaftiert. Nachdem Aladdin Mouhalhel offenbar gefoltert worden war, wurden ihm Fotos und Videos von Protesten vor der syrischen Botschaft in Spanien gezeigt und er wurde aufgefordert, seinen Bruder Imad unter den Teilnehmern der Demonstration zu identifizieren. Am 29. August 2011 wurde Aladdin erneut verhaftet und offenbar gezwungen, seinen Bruder Imad anzurufen und ihn aufzufordern, nicht mehr an den Protesten teilzunehmen. Imad und seine Familie haben seitdem kein Lebenszeichen von Aladdin erhalten.

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Malek Jandali, ein 38-jähriger Komponist und Pianist, war im Juli 2011 bei einer reformorientierten Versammlung vor dem Weißen Haus in Washington aufgetreten. Wenige Tage später wurden seine 66-jährige Mutter und sein 73 Jahre alter Vater in ihrem Haus in Homs von Sicherheitskräften angegriffen. Malek Jandali berichtete amnesty international, dass seine Eltern geschlagen und ins Badezimmer eingesperrt wurden, während ihre Wohnung von Agenten durchsucht und geplündert wurde. Man sagte ihnen, dies sei die Strafe dafür, dass sich ihr Sohn über die syrische Regierung lustig gemacht habe. Nach diesem Vorfall flüchteten seine Eltern aus Syrien.

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Einige Familien in Syrien wurden offenbar auch dazu gezwungen, ihre im Ausland lebenden Familienangehörigen öffentlich zu verleugnen. So wurde der Bruder der in Deutschland lebenden Sondos Sulaiman, die im Juni 2011 in einem Video bei YouTube zum Widerstand gegen den syrischen Präsidenten aufrief, im syrischen Staatsfernsehen gezeigt, wie er ihr Video denunzierte und sich abfällig über seine Schwester äußerte. Sondos Sulaiman ist davon überzeugt, dass ihr Bruder zu diesem Fernseh-Auftritt gezwungen wurde. Ihr war es seitdem nicht möglich, Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen, um herauszufinden, was mit ihnen, insbesondere mit ihrem Bruder, passiert ist.

45

Ein weiteres gefahrbegründendes Element liegt in der innenpolitischen Eskalation der Lage in Syrien seit dem Frühjahr 2011. Ganz allgemein können die Ereignisse des „Arabischen Frühlings“ in anderen Ländern der Region als Anlass für die Demonstrationen in Syrien genannt werden (zur nachfolgend dargestellten Entwicklung in Syrien von Januar 2011 bis Januar 2012: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, „Syrien“, Januar 2012).

46

Am 17. März 2011 kam es erstmals zu schweren Zusammenstößen in der südsyrischen Stadt Daraa. Die Sicherheitskräfte gingen z. T. gewaltsam (mit scharfer Munition und Tränengas) gegen die Demonstrierenden vor und töteten dabei in Daraa mehrere Demonstranten. Die Demonstranten hatten u. a. ein Ende des Ausnahmezustandes, mehr Freiheiten, die Entlassung politischer Gefangener und eine Bekämpfung der Korruption gefordert. Tausende demonstrierten auch an den Folgetagen. Die Unruhen verbreiteten sich, auch aufgrund der gewaltsamen Reaktion des Regimes auf die Demonstrationen, in der Folgezeit landesweit (u. a. in Damaskus, Homs, Aleppo, Deir al-Zor, Banjas und anderen Städten), wobei die Stadt Daraa zunächst zum Brennpunkt der Unruhen wurde. Die Regierung reagierte auf die Demonstrationen auf der einen Seite mit brutaler Gewalt, versuchte auf der anderen Seite aber auch konziliante Töne anzuschlagen. Am 20. März 2011 wurden z. B. 15 inhaftierte Kinder freigelassen. Präsident Assad entließ auch den Gouverneur der Provinz Daraa wegen „krasser Fehler beim Umgang mit Protesten in der Region“. In der Folgezeit breiteten sich die Demonstrationen im ganzen Land aus (im Süden, in Damaskus, in der Hafenstadt Latakia, Tafas und in Homs), wobei es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten kam, bei denen es Tote und Verletzte gab. Die Protestbewegung, die sich auch mit Hilfe des Internetnetzwerkes Facebook organisierte, forderte u. a. demokratische Reformen, Aufhebung des Ausnahmezustandes, Achtung der Menschenrechte und freie Meinungsäußerung. Zahlreiche Verhaftungen wurden durchgeführt. Als Reaktion auf die landesweiten Unruhen wurden z. T. Reformen versprochen und das Kabinett des Ministerpräsidenten Naji Otri trat am 29. März 2011 zurück. Am 3. April 2011 beauftragte Präsident Assad den bisherigen Agrarminister, Adel Safar, mit der Bildung einer neuen Regierung. Um den Kurden in der gespannten Situation entgegen zu kommen, entschied Präsident Assad am 7. April 2011 mit Dekret 49/2011, dass die im Ausländerregister der Provinz Hassake eingetragenen Ausländer (ajanib) die Staatsbürgerschaft Syriens erhalten. Am 19. April 2011 beschloss die syrische Regierung die Aufhebung der seit 1963 geltenden Notstandsgesetze. Auch das Staatssicherheitsgericht wurde abgeschafft und ein Gesetz beschlossen, das friedliche Demonstrationen erlaubt.

47

Trotz dieser Zugeständnisse gingen die Demonstrationen jedoch weiter und weiteten sich u. a. auch auf die Provinz Idlib und auf den kurdisch geprägten Nordosten aus. Den Druck auf die Opposition in Syrien lockerte die Führung in Damaskus nicht. Auch das gewaltsame Vorgehen des Regimes und seine Repressionsmaßnahmen hielten an. Im April 2011 verschärfte die syrische Regierung mit einem großen Militäreinsatz erneut ihr Vorgehen gegen Regimegegner.

48

Armeeeinheiten stürmten am 25. April 2011 Daraa, wobei Artillerie und Scharfschützen beteiligt waren. Elektrizität und alle Kommunikationsmöglichkeiten in der Stadt wurden unterbrochen, die Bewegungsfreiheit dadurch eingeschränkt, dass Heckenschützen das Feuer auf jeden eröffneten, der versuchte sein Haus zu verlassen. Auch im Mai 2011 gingen die Proteste weiter, obwohl die größeren Städte und Protesthochburgen Banjas, Daraa und Homs abgeriegelt, Moscheen besetzt und zentrale Plätze abgesperrt worden waren. Die Armee weitete ihre Operationen entlang der Küstenlinie aus, Truppen zogen sich außer in den bereits genannten Städten z. B. auch in Hama oder in kleineren Dörfern zusammen. Kontrollstellen wurden eingerichtet, Strom, Wasser und Telefonleitungen wurden immer wieder abgeschaltet. Auch Mobiltelefone, Festnetz und Internet wurden sporadisch blockiert. Nachdem zunächst hauptsächlich am Freitagabend protestiert worden war, wurden die Demonstrationen auch auf andere Tage nach Sonnenuntergang verlegt. Mitte Mai 2011 kreisten schwer bewaffnete Sicherheitskräfte die Kleinstadt Tell Kalakh in der Nähe der libanesischen Grenze ein. Aus Angst versuchten viele Menschen in Richtung Libanon zu fliehen, darunter Familien, wobei sie von syrischen Kräften beschossen und zum Teil tödlich getroffen wurden. Ende Mai 2011 trat nach einem Erlass Assads eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen in Kraft, darunter auch für Angehörige der Muslimbruderschaft. Auch im Juni 2011 hielten die Unruhen und ihre gewaltsame Bekämpfung an. Während der ersten drei Monate der Proteste sollen mehr als 1.300 Personen getötet und ca. 10.000 - 12.000 verhaftet worden sein.

49

Mitte Juni 2011 führte die syrische Armee Razzien in den grenznahen Dörfern durch und begann mit der Abriegelung von grenznahen Gebieten, um das Absetzen weiterer Flüchtlinge in die Türkei zu verhindern.

50

In seiner dritten Rede an die Nation während der Krise schlug Präsident Assad am 20. Juni 2011 einen „nationalen Dialog“ vor und versprach Änderungen der Verfassung, ein neues Wahl- und Mehrparteiengesetz sowie Schritte gegen die Korruption. Die Aktivisten lehnten einen Dialog „mit Mördern“ ab, die Unruhen in Homs, Hama und Latakia, aber auch in den Vororten von Damaskus gingen weiter. An der Universität in Aleppo wurden mehr als 200 Studenten festgenommen. Angehörige des militärischen Geheimdienstes kontrollierten die Straßen. Der syrische Präsident setzte im Juni 2011 auch eine Generalamnestie in Kraft, die für alle vor dem 20. Juni begangenen Straftaten gelten sollte, so die amtliche syrische Nachrichtenagentur Sana. Streitkräfte des syrischen Regimes rückten am 23. Juni 2011 in Khirbet al-Jouz ein und weiter in Richtung der syrischen Grenzdörfer vor. Soldaten und Angehörige der Schabihha-Miliz sollen mit Namenslisten durch das Dorf gegangen und Häuser von Anti-Regime-Aktivisten zerstört haben. Als Anführer der Schabihha-Milizen gelten die Cousins des Präsidenten Assad, Fawaz und Munhir Assad; aus diesem Grund gehörten sie zu den ersten Regimeangehörigen, die von der Europäischen Union im Frühjahr 2011 mit Sanktionen belegt wurden. Die Miliz wird meist im „Windschatten“ der Streitkräfte aktiv; wenn ein Ort durch das Militär unterworfen wurde, plündert und mordet die Schabihha-Miliz im Anschluss daran. Sie richtet auch die Soldaten hin, die sich weigerten, auf die eigenen Bürger zu schießen. Sie rekrutieren sich aus Angehörigen der alawitischen Glaubensgemeinschaft.

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Am 30. Juni /1. Juli 2011 wurden erstmals aus Aleppo größere Proteste gemeldet, an denen über 1.000 Demonstranten teilgenommen haben sollen. Es kam zu zahlreichen Festnahmen. Am 01. Juli 2011 sollen sich in Hama bis zu 300.000 oder sogar 500.000 Demonstranten getroffen haben. Die Sicherheitskräfte griffen zunächst nicht an, sondern beschränkten sich darauf, Checkpoints zu errichten und die Zugänge zur Stadt zu kontrollieren. Am 04. Juli 2011 kamen 30 Busse mit regimetreuen Milizionären, die 250 Menschen verhaftet und drei erschossen haben sollen; Panzer bildeten einen Belagerungsring um die Stadt. Präsident Assad erließ weitere personelle Maßnahmen, so entließ er am 2. Juli 2011 den Gouverneur der Provinz Hama, nachdem bereits die Gouverneure in den Provinzen Daraa und Homs hatten gehen müssen. Am 08. Juli 2011 demonstrierten in mehreren Städten Syriens (u.a. in Hama und Damaskus) erneut Hunderttausende, wobei mindestens 15 Personen erschossen worden sein sollen, rund 200 Menschen sollen an dem Wochenende verhaftet worden sein.

52

Am 22. Juli 2011 und dem nachfolgenden Wochenende setzten sich die Demonstrationen fort; in Damaskus, Homs und Hama gingen Hunderttausende auf die Straße und wurden von den Truppen bekämpft. In Damaskus soll die Armee in einigen Stadtteilen Straßensperren errichtet haben, Hunderte sollen festgenommen worden sein. In Hama sollen 650.000 Menschen demonstriert haben, in Deir al-Zor ca. eine halbe Million, auch in Latakia, Homs, Daraa, Vororten von Damaskus und in zahlreichen kurdischen Orten sollen große Proteste stattgefunden haben. In Homs sollen vom 18. Juli bis 23. Juli 2011 durch Beschuss von Wohnvierteln und Scharfschützen auf den Dächern mindestens 50 Personen getötet worden sein. Auch in den Kurdengebieten soll es Auseinandersetzungen gegeben haben. Präsident Assad kündigte ein Mehrparteiensystem an, die Parteiprogramme dürften jedoch keine Sonderstellung einzelner Religionsgruppen oder Ethnien beinhalten.

53

Nachdem die Stadt fast einen Monat belagert worden war, begannen am Morgen des 31. Juli 2011 syrische Truppen mit einer Militäroffensive gegen die Stadt Hama. Spezialisten kappten zunächst die Strom- und Wasserversorgung, danach sollen Panzer in Wohngebieten und Scharfschützen auf Dächern nach Augenzeugenberichten auf alles gefeuert haben, was sich bewegte. Auch in anderen Landesteilen kam es zu Angriffen mit Panzern, u. a. in Harak, in der südlichen Provinz Daraa, in Deir al-Zor und einem Vorort von Damaskus, landesweit soll es mindestens 140 Tote gegeben haben. Der syrische Präsident Assad verteidigte das Vorgehen als Reaktion auf eine Verschwörung mit dem Ziel der Zerschlagung Syriens.

54

Die syrische Regierung erließ laut Meldung vom 25. Juli 2011 ein neues Parteiengesetz, das die freie Gründung von politischen Parteien gestattet, wenn sie sich nicht auf konfessioneller, ethnischer, clanmäßiger, regionaler oder berufsständischer Grundlage befinden. Neue Parteien, die mindestens 1.000 Mitglieder haben müssen, müssen die geltende Verfassung (und damit die „führende Rolle“ der Baath-Partei) respektieren und die Gründung muss von einem Komitee des Justizministeriums genehmigt werden. Auch Wahlgesetze wurden im August 2011 in Kraft gesetzt. Die Opposition lehnte die Gesetze jedoch ab und forderte weiterhin den Rücktritt des Präsidenten und echte politische Reformen in Syrien. Seit Beginn des Fastenmonats Ramadan am 01. August 2011 verstärkte der syrische Präsident die Offensive gegen Regimegegner, wobei es täglich zu weiteren Demonstrationen kam, in deren Verlauf es jeweils zu zahlreichen Todesopfern kam. Am 14. August 2011 griffen syrische Sicherheitskräfte von Kanonenbooten aus mehrere Bezirke der Stadt Latakia an, gleichzeitig stürmten Bodentruppen einige Viertel der Stadt. Mindestens 26 Zivilisten sollen dabei nach Angaben der Syrischen Nationalen Organisation für Menschenrechte getötet worden sein, darunter eine Zweijährige. Angegriffen wurde auch ein Viertel mit einem palästinensischen Flüchtlingslager, aus dem Tausende flohen. Am 20. August 2011 rückte die syrische Armee erneut in Homs ein, obwohl der syrische Präsident dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gegenüber am 18. August 2011 versichert hatte, die Militäroffensive sei beendet. Am 21. August 2011 lehnte Präsident Assad Rücktrittsforderungen ab und warnte vor einer ausländischen Intervention. Er kündigte eine Verfassungsreform und Neuwahlen im Februar 2012 an.

55

Nach UN-Informationen sollen seit Beginn der Proteste gegen das Assad-Regime im März bis Anfang September 2011 2.600 Menschen getötet worden sein, die meisten von ihnen friedliche Demonstranten. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen außerdem mehr als 70.000 Menschen festgenommen worden sein, von denen zum damaligen Zeitpunkt noch 15.000 in Haft gewesen seien.

56

Nach der Ermordung des bekannten kurdischen Oppositionspolitikers Mishaal Tammo am 7. Oktober 2011 nahmen an seinem Trauerzug am 08. Oktober 2011 in Qamishli ca. 50.000 Personen teil, so viele wie nie zuvor in den kurdischen Regionen in Syrien. Syrische Sicherheitskräfte sollen in die Menge gefeuert haben, mindestens zwei Personen sollen getötet worden sein. Für die Ermordung Tammos wurde von Beobachtern das syrische Regime verantwortlich gemacht. Aufgrund der Ermordung Tammos wurden am Wochenende (08.10./09.10.2011) syrische Botschaften im Ausland angegriffen, u.a. in London, Berlin und Wien, wobei erheblicher Sachschaden entstand. Auch die syrische UNO-Mission in Genf wurde am 08. Oktober 2011 von kurdischen Syrern attackiert, es kam zu fünf Festnahmen. In Berlin stürmten rund 30 Demonstranten die Botschaft, in Wien wurden elf Personen festgenommen. Auch das Gebäude des syrischen Honorarkonsulats in Hamburg wurde in der Nacht zum 09. Oktober 2011 von 30 Regimegegnern gestürmt.

57

Am 27. Oktober 2011 begann die syrische Armee damit, an der Grenze zum Libanon in der Provinz Homs und in mindestens einem weiteren Landesteil Minen zu verlegen. Die syrischen Behörden gaben an, den Waffenschmuggel aus dem Libanon damit eindämmen zu wollen, während es auch als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass die syrische Regierung verhindern wollte, dass der Libanon ein Rückzugsgebiet für die syrische Opposition wird. Obwohl die syrische Regierung dem Friedensplan der Arabischen Liga, der u. a. den Rückzug des Militärs aus den syrischen Städten und die Freilassung aller politischen Gefangenen vorsieht, am 2. November 2011 zugestimmt hatte, wurde von den syrischen Truppen weiterhin mit Gewalt gegen Aktivisten vorgegangen. Soldaten feuerten auf Gläubige, die zu Beginn des Opferfestes die Moscheen verließen, um gegen das syrische Regime zu protestieren. Besonders betroffen war der Norden des Landes.

58

Nach der Zustimmung Syriens zum Friedensplan der Arabischen Liga am 2. November 2011 verschärfte das Regime sein Vorgehen gegen die Demonstranten. Im Anschluss sollen innerhalb von zwei Wochen mehr als 250 Menschen getötet worden sein, allein in Homs über 104. Es wurde befürchtet, dass der November 2011 zum „blutigsten Monat“ seit Beginn der Proteste im März werden könnte. Die Anzahl der bei den Unruhen Getöteten soll Anfang November nach Schätzungen der Vereinten Nationen bei mehr als 3.500 Personen gelegen haben. Am 2. Dezember 2011 untersagte die syrische Regierung den Bürgern die Nutzung von iPhone-Mobiltelefonen, um zu verhindern, dass Videos ins Internet gestellt werden.

59

Ein Aufruf zum Generalstreik am 11. Dezember 2011, mit dem die Opposition in Syrien den Druck auf das Regime verstärken wollte, soll in vielen Städten befolgt worden sein, u. a. blieben in den Provinzen Daraa und Idlib und in den Städten Homs und Harasta viele Geschäfte geschlossen. Es soll Gefechte in Idlib und Daraa gegeben haben. Die Opposition forderte auch zu einem Boykott der für den 12. Dezember 2011 geplanten Kommunalwahlen auf. Am 12. Dezember 2011 gab die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Pillay an, dass durch das gewaltsame Vorgehen der syrischen Regierung die Zahl der ums Leben gekommenen Personen auf mehr als 5.000, darunter mindestens 300 Kinder, angewachsen sei.

60

Bei zwei Selbstmordanschlägen in der Hauptstadt Damaskus wurden am 23.Dezember 2011 nach offiziellen Angaben 44 Menschen getötet und 166 verletzt. Die Sicherheitskräfte begannen mit einer groß angelegten Suche nach den Tätern. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen. Die Regierung erklärte, dass es sich bei den Unruhen im Land nicht um einen Volksaufstand, sondern um das Werk von Terroristen handele.

61

Die Arabische Liga entsandte eine erste offizielle Beobachtermission mit zunächst mehr als 50 Beobachtern am 26. Dezember 2011 nach Syrien.

62

In einer Rede am 10. Januar 2012 stellte der syrische Präsident Assad erneut Reformen in Aussicht, u. a. kündigte er für März ein Referendum über eine neue Verfassung an, und führte die Proteste im Land auf eine „internationale Verschwörung“ und auf ausländische Einmischung zurück. Er kritisierte auch die Arabische Liga und die Golfstaaten. Nach dem öffentlichen Auftritt Assads nahmen die Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und Regimegegnern zu. Am 15. Januar 2012 erließ Präsident Assad eine Generalamnestie für die seit Beginn der Protestwelle begangenen Straftaten, von der friedliche Demonstranten, inhaftierte Besitzer nicht registrierter Waffen, diejenigen, die ihre Waffen bis Ende Januar abgeben, und Deserteure betroffen sein sollen, die sich bis Ende Januar selbst stellen.

63

Ende Januar 2012 unterbrach die Arabische Liga nach etwas über einem Monat ihre Beobachtermission in Syrien, deren erklärtes Ziel die Beendigung der Gewalt im Land war. Mitglieder der Mission gaben unterschiedliche Einschätzungen der Lage in Syrien ab, einige beendeten ihre Teilnahme sogar vorzeitig (Zeit Online vom 30.01.2012).

64

Ein weiterer Versuch, im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Verurteilung der Gewalt in Syrien zu verabschieden, scheiterte bei der Abstimmung am 4. Februar 2012 am Veto Russlands und Chinas. Der Resolutionsentwurf war zuvor schon abgeschwächt worden, um ein Veto zu verhindern. Westliche Staaten und der oppositionelle Syrische Nationalrat verurteilten das Verhalten der beiden Vetomächte scharf (Zeit Online vom 04.02.2012).

65

Der 4. Februar 2012 wurde zudem zu einem der bisher blutigsten Tage in Syrien, als die syrische Armee die Stadt Homs bombardierte. Nach verschiedenen Angaben von Aktivisten wurden dabei 55 – 200 Menschen getötet. Seit dem 4. Februar 2012 befand sich die Stadt unter kontinuierlicher Bombardierung (Zeit Online vom 08.02.2012).

66

Nach der ersten Beobachtermission der Arabischen Liga trat deren Leiter General al-Dabi am 12. Februar 2012 zurück. In seinen Berichten über die Arbeit der Beobachter in Syrien hatte er die erfolgreiche Mitarbeit der syrischen Behörden gelobt und darauf verwiesen, dass bewaffnete Extremisten und Söldner gegen die syrischen Militärs vorgingen (Zeit Online vom 12.02.2012).

67

Am 15. Februar 2012 kündigte die syrische Regierung ein Verfassungsreferendum für den 26. Februar 2012 an. Die neue Verfassung solle die Gründung von Parteien vereinfachen. Gleichzeitig bombardierte die Regierung nach Angaben von Oppositionellen die Stadt Homs. In Damaskus kam es am 18. Februar 2012 zu einer großen Demonstration, die sich aus einem Begräbnis von Toten des Vortages entwickelte. Es handelte sich um eine der größten Demonstrationen in Damaskus seit Beginn des Aufstandes. Auch diese Demonstration wurde durch Sicherheitskräfte beschossen (Zeit Online vom 19.02.2012).

68

Am 24. Februar 2012 wurde bekanntgegeben, dass der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan von den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga zum Sondergesandten für Syrien ernannt wurde, der zwischen den Oppositionellen und der Regierung vermitteln soll. Am selben Tag erhielten Nothelfer des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds erstmals Zugang nach Homs, um Verletzte sowie Frauen und Kinder zu versorgen bzw. zu evakuieren. Die Rettungseinsätze wurden am 26. Februar 2012 - nach erfolglosen Verhandlungen über einen sicheren Korridor zur Evakuierung von Verletzten aus Homs - wieder eingestellt (Zeit Online vom 29.02.2012).

69

Das nur 10 Tage zuvor angekündigte Referendum über eine neue Verfassung fand am 26. Februar 2012 statt. Die Opposition hatte zuvor zum Boykott des Referendums aufgerufen (Zeit Online vom 27.02.2012).

70

Erstmals wurden auch Flüchtlinge auf türkischen Boden nahe der Grenze von syrischen Soldaten getötet (Zeit Online vom 09.04.2012). Am 21. April 2012 sprach sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Resolution 2043 einstimmig dafür aus, die Zahl der Beobachter von 30 auf 300 zu erhöhen. Diese sollten jedoch erst nach Syrien reisen, wenn UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Waffenruhe als hinreichend stabil bewertet. Bei den Beobachtern im Rahmen der United Nations Supervision Mission in Syria (UNSMIS) handelt es sich durchweg um unbewaffnete Soldaten, die den Waffenstillstand zwischen den Truppen Assads und den Oppositionellen überwachen sollen. Zuvor hatten in der ersten Feuerpause seit mehreren Wochen internationale Beobachter die Stadt Homs besucht (Zeit Online vom 21.04.2012).

71

Ungeachtet der Entsendung der UN-Beobachter kam es zu Bombenanschlägen in Aleppo und Damaskus. Bei einer Doppelexplosion in der Hauptstadt Damaskus starben am 10. Mai 2012 70 Menschen. Es war der schwerste Anschlag seit dem Ausbruch der Proteste im März 2011 (Zeit Online vom 10.05.2012).

72

Nachdem es am 25. Mai 2012 zunächst zu Schusswechseln zwischen Regierungstruppen und Aufständischen gekommen war, beschossen die Truppen des Regimes die Siedlung Taldo bei Hula in der Provinz Homs mit Artillerie. UN-Beobachter bestätigten den Tod von 116 Menschen, darunter mindestens 32 Kinder, sowie die Zahl von etwa 300 Verletzten. Syriens Regierung wies Beschuldigungen zurück, dass das Massaker von der Armee verübt worden sei. Das syrische Außenministerium gab an, „Hunderte von Kämpfern“ hätten angegriffen und dabei „schwere Waffen wie Granatwerfer, Maschinengewehre und Panzerabwehrraketen verwendet, die seit Neuestem in der Konfrontation mit den staatlichen Sicherheitskräften eingesetzt“ würden (Zeit Online vom 26.05. und 28.05.2012).

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Am 29. Mai 2012 wiesen mehrere Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und die Vereinigten Staaten den jeweils ranghöchsten syrischen Diplomaten aus Protest gegen das Massaker in Hula aus (Zeit Online vom 29.05.2012).

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Am 3. Juni 2012 sprach Assad erstmals nach dem Massaker von Hula vor dem syrischen Parlament. Er sagte Syrien befinde sich in einem echten Krieg und er würde die „Schlacht gegen Terroristen“ fortsetzen. Als Reaktion auf die Ausweisung syrischer Diplomaten aus zahlreichen Staaten Ende Mai wurden zahlreiche westliche Diplomaten am 5. Juni 2012 des Landes verwiesen (Zeit Online vom 03.06 und 05.06.2012).

75

Am 7. Juni 2012 berichteten Oppositionsgruppen über ein Massaker im Dorf Al-Kobir welches sich in der Provinz Hama befindet. UN-Beobachter, die sich auf dem Weg nach Al-Kobir befanden, wurde die Weiterfahrt seitens der Regierungstruppen untersagt. Berichten zufolge gerieten sie unter Beschuss (Zeit Online vom 07.06.2012). Aufgrund der anhaltenden Gewalt wurde die UN-Beobachtermission am 16. Juni 2012 ausgesetzt (Zeit Online vom 16.06.2012).

76

Anfang Juli 2012 hat der syrische Präsident neue sog. Anti-Terror-Gesetze erlassen. Gründer oder Führer einer terroristischen Vereinigung müssen demnach mit bis zu 20 Jahren Zwangsarbeit rechnen. Die Strafe könne aber noch härter ausfallen, sollte es das Ziel sein, die Regierung oder die Staatsform zu ändern, hieß es. Mitgliedern einer Terrorgruppe drohen bis zu sieben Jahre Haft. Werden bei den begangenen Taten Menschen verletzt oder getötet, kann zudem die Todesstrafe verhängt werden. Die Unterstützung von Terrorgruppen mit Geld, Waffen oder Kommunikationsmitteln kann mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden (Zeit Online vom 02.07.2012).

77

Ein weiteres, eine Verfolgungsgefahr begründendes Moment ist darin zu sehen, dass die syrischen Behörden insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 vergleichsweise geringfügige Umstände ausreichen lassen, damit ein Betroffener in den Verdacht einer oppositionellen Haltung gerät und damit der reellen Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des Artikel 9 QRL ausgesetzt ist.

78

So heißt es schon in dem Ad-hoc-Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Februar 2012, dass Oppositionsgruppen im Jahr 2011 mehrfach Anträge zur Genehmigung von Mahnwachen gestellt haben, die mit einer Ausnahme sämtlich abgelehnt worden seien. Demonstrationen der Opposition werden grundsätzlich nicht genehmigt. Vielmehr werden Demonstrationen, die sich gegen das Regime richten, gewaltsam von staatlicher Seite bekämpft, d.h. Sicherheitskräfte und Schabihha-Milizen gehen mit Schlag- und Schusswaffen gegen Demonstranten vor. Regelmäßig werden auch Scharfschützen eingesetzt, die wahllos auf Menschen schießen. Glaubhaften Informationen syrischer Menschenrechtsverteidiger zufolge komme es auch zur Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte und staatlich organisierte Milizen gegen Teilnehmer von Beerdigungszügen für Opfer staatlicher Gewalt. In den letzten Monaten haben zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft und des Menschenrechtsbereiches zu ihrem eigenen Schutz auf legalem oder illegalem Weg auf Grund der Bedrohungslage Syrien verlassen. Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). Im Sommer 2011 wurde ein neues Mediengesetz erlassen, das das syrische Pressegesetz von 2001 ersetzt. In dem neuen Gesetz wird das Recht des Bürgers auf Information anerkannt und die Reichweite der Zensur eingeschränkt. Allerdings werden die Medienvertreter zur „wahrheitsgemäßen Berichterstattung“ verpflichtet. Faktisch habe sich nach Auffassung des Auswärtigen Amtes die Pressefreiheit jedoch nicht verbessert. Der Raum für Meinungs- und Pressefreiheit habe sich in den letzten Monaten vielmehr stark verringert: Filmemacher, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und „citizen journalists“, die über die Aktivitäten der Opposition, die Anti-Regime-Demonstrationen sowie die staatliche Repression zu berichten versuchen, werden verfolgt, festgenommen, angegriffen oder sogar ermordet. Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. In den letzten zehn Monaten (von Februar 2012 an gerechnet) sind zahlreiche Journalisten in Syrien inhaftiert und mehrere Medienvertreter getötet worden. Internetnutzung wird mit ausgefeilter Software überwacht und reguliert. In Regionen und Stadtteilen, in denen Operationen von Sicherheit und Militär liefen, werden Internet- und Telekommunikationsverbindungen oft tagelang abgestellt. In dem Lagebericht wird ausgeführt, dass obwohl die syrische Verfassung und das syrische Strafrecht Folter verbiete und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwenden. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei nach Auffassung des Auswärtigen Amtes in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, sind ebenfalls einem hohen Folterrisiko ausgesetzt. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt. Offizielle Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten gibt es nicht. Es bestehen nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes keine Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter oder anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte. Bereits vor März 2011 habe es Hinweise dafür gegeben, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwerten, Gefahr liefen, dafür strafrechtlich verfolgt zu werden. Vieles deutet nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Schabihha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten.

79

Amnesty international hat in dem Bericht vom 14. Juni 2012 („Deadly Reprisals: Deliberate killings and other abuses by Syria´s armed forces“) nicht nur die zunehmend massiver werdende Anwendung von militärischer Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, sondern auch bestimmte Muster von politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen geschildert. Die Maßnahmen der syrischen Armee und der regimetreuen Milizen richten sich in erster Linie gegen Ortschaften, in denen aus Sicht der Regierung oppositionelle Personen leben oder dies nur vermutet wird. Die Aktionen beginnen in der Regel so, dass zunächst mit Artillerie und Gewehrfeuer in die Orte geschossen wird. Ist aus Sicht der Regierungseinheiten nicht mehr mit nennenswertem Widerstand zu rechnen, gehen reguläre Soldaten und Milizionäre von Haus zu Haus, brennen die Häuser nieder und töten häufig wahllos die Einwohner. Nach Einschätzung der Regierungstruppen ist allein der Umstand, dass Personen in einem Ort leben, in denen Oppositionelle vermutet werden, Grund für eine willkürliche Verhaftung oder Ermordung (S. 9 und 11 f. des Berichts). Anlass für Verhaftung und Ermordung kann auch das Tragen von Kleidungsstücken sein, welche aus Sicht der Regierungseinheiten bevorzugt von den bewaffneten Oppositionsgruppen getragen werden (Bericht, S. 17).

80

Auch in dem Bericht des United Nations High Commissioner for Human Rights (Bericht zur Lage in Syrien vom 24. Mai 2012) wird geschildert, dass Anknüpfungspunkt für eine auf der Vermutung der oppositionellen Haltung beruhende Verhaftung, Folter und Bestrafung bereits der Umstand sein kann, dass eine Person in unmittelbarer Nachbarschaft oder in einem Ort lebt, in dem sich Personen aufhalten sollen, die gegen die syrische Regierung eingestellt sind (dort Randziffer 10). Ferner wird in dem Bericht der Fall eines Mannes geschildert, der allein aufgrund des Umstandes, dass er eine größere Menge Geld besaß, unter dem Verdacht der oppositionellen Haltung und des Waffenschmuggels zugunsten der bewaffneten Rebellengruppierungen festgenommen und gefoltert wurde (dort Randziffer 13).

81

Human Rights Watch schildert bereits in seinem im Dezember 2011 erschienenen Bericht „By all means necessary!“ die Verhaftung und Folter von Rechtsanwälten und Journalisten, welche die Proteste unterstützen, aber auch von Ärzten und Pflegepersonal, welche verdächtigt wurden, verletzte Demonstrationen in Privathäusern oder provisorischen Feldlazaretten versorgt zu haben (Bericht S. 16 und 51). Ausreichend für eine Verhaftung und anschließende Foltermaßnahmen in der Region Hama waren bereits „verdächtige Blicke“ und „freche“ Antworten gegenüber Soldaten (Bericht S. 45).

82

In dem im Juli 2012 erschienenen Bericht von Human Rights Watch „Torture Archipelago“ wird anhand einer Vielzahl von Einzelbeispielen ausgeführt, dass Ziel der Folter in den z. T. provisorischen Hafteinrichtungen der staatlichen Stellen nicht die Gewinnung von Informationen, sondern die Einschüchterung und Bestrafung von als illoyal gegenüber der syrischen Regierung angesehenen Personen ist. Auch in diesem Bericht werden im Grunde belanglose Handlungen und Äußerungen von Inhaftierten geschildert, welche jeweils Foltermaßnahmen nach sich gezogen haben. So wird der Fall eines in Idlib Verhafteten geschildert, welcher in einem Verhör die bei den Demonstrationen Getöteten als „Märtyrer“ bezeichnet hatte und daraufhin Elektroschocks erhielt. Diese Maßnahme wurde erst eingestellt, nachdem er erklärt hatte, dass er die Getöteten nicht mehr als Märtyrer, sondern nur noch als tote Personen bezeichnen werde.

83

Der Senat geht bei einer Gesamtschau davon aus, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt.

84

Der Auffassung der Beklagten, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer politischen Verfolgung allein wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts im Ausland könne bei der erforderlichen Anwendung der anzuwendenden Maßstäbe mangels Referenzfällen nicht festgestellt werden, berücksichtigt nicht hinreichend die aktuelle Situation seit Erlass des Abschiebungsstopps im Frühjahr 2011. Wenn Asylsuchende abgeschoben würden, wäre tatsächlich die Häufigkeit von Verfolgungsmaßnahmen in Syrien allein anknüpfend an die vorgenannten Aspekte nach den oben dargestellten Kriterien für die Feststellung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die Beklagte selbst hat jedoch in Reaktion auf die eskalierende Lage in Syrien die Möglichkeit der Feststellung solcher Referenzfälle verhindert, indem sie mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 28. April 2011 an die Länderinnenverwaltungen geraten hat, von Abschiebungen nach Syrien vorläufig abzusehen. Sonstige Erkenntnismöglichkeiten zur Frage der Behandlung von Rückkehrern durch Auskünfte anderer Stellen sieht die Beklagte offenkundig auch nicht. Ebenso bestätigt das Auswärtige Amt, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorliegen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht Augsburg vom 02.11.2011). Die Gefahrendichte ist also nicht mangels hinreichender Referenzfälle zu verneinen, vielmehr kann sie nur nicht durch Referenzfälle nachgewiesen werden, weil die deutschen wie auch andere europäische Behörden Abschiebungen nach Syrien zur Zeit nicht vornehmen (so ausdrücklich zur Gefahr der Folter im Rahmen von Verhören: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris). Der Senat hat daher auf der Basis der vorgenannten Erkenntnisse und allgemeinkundigen Tatsachen festgestellt, dass eine flüchtlingsrechtlich relevante Gefahrendichte gegeben ist und insofern die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung für den Kläger besteht.

85

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

86

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) sind nicht gegeben.


Tenor

Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29.08.2012 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger im Hinblick auf die Arabische Republik Syrien die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bisher nur ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Syrien festgestellt hat.
Der am … 1995 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger christlichen Glaubens und syrisch-orthodoxer Konfession. Er gehört zur aramäischen Volksgruppe.
Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge trug der Kläger vor, er habe zuletzt bei seinen Eltern in Al-Malikiya (kurdisch: Derik) gelebt. Sein Vater sei Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei. Er sei der jüngste von drei Brüdern. Einer der Brüder leiste seinen Militärdienst ab. Ein anderer Bruder arbeite in Kuweit. Zu seinen Ausreisegründen erklärt der Kläger, er habe mit seinen kurdischen Schulkameraden Probleme gehabt. Ständig seien sie belästigt und beleidigt worden, nur weil sie Christen seien. Von kurdischen Jugendlichen seien sie immer wieder geschlagen worden. Auch die Polizei habe den Christen nicht geholfen. Mehrere Male habe er bei der Polizei Anzeige erstattet. Eine solche Anzeige sei jedoch nicht aufgenommen worden. Im Januar 2011 habe er mit kurdischen Jugendlichen eine Auseinandersetzung gehabt. Dabei habe er einen vorderen Schneidezahn teilweise verloren. Er sei dann mit seinem Vater nach Qamischli gereist, wo ein Schleuser ihn erwartet habe. Mit dem Auto sei er in die Türkei weitergereist und von Schleusern auf einen Lkw verbracht worden, mit dem er in die Bundesrepublik eingereist sei.
Der in Deutschland lebende Onkel des Klägers, zugleich dessen Vormund, führte bei der Anhörung ergänzend aus, der Vater des Klägers sei ein bekannter Rechtsanwalt. Er wolle, dass der Kläger in Sicherheit gebracht werde. Der Bruder des Klägers, der Wehrdienst ableiste, sei in Sicherheit: Mehr wolle er aktuell dazu aber nichts sagen. Er wolle in Syrien niemand gefährden.
Mit Bescheid vom 29.08.2012 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen, stellte jedoch fest, dass hinsichtlich Syriens ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegt. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG werde wegen der sogenannten Drittstaatenregelung abgelehnt. Es bestehe auch kein Anspruch auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs.1 AufenthG. Der Kläger habe nicht substantiiert und glaubhaft vorgetragen, dass ihm bei Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG drohe. Christen seien allein aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung oder Manifestation dieser Überzeugung keiner asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevanten politischen Verfolgung ausgesetzt. Zwar komme es vor allem seit Ende 2011 vermehrt zu Übergriffen nichtstaatlicher Akteure, z. B. von bewaffneten Oppositionellen oder auch Deserteuren. Staatlicher Schutz gegen die Bedrohung durch Dritte bzw. nichtstaatliche Akteure könne aber im Einzelfall erlangt werden. Es liege jedoch ein Verbot der Abschiebung gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Nach vorliegenden Erkenntnissen sei für den Fall einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Rückkehrerbefragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten. Es sei davon auszugehen, dass die Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöse. Misshandlungen drohten auch Jugendlichen und Kindern.
Der Bescheid wurde dem Kläger durch Postzustellungsurkunde am 03.09.2012 zugestellt.
Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 06.09.2012, eingegangen am 10.09.2012, Klage eingereicht und diese wie folgt begründet:
Beim Kläger lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vor. Der Kläger habe seine Erlebnisse detailliert und lückenlos vorgetragen und insbesondere auf die ausweglose Lage der Christen in Syrien hingewiesen. Der Kläger habe Syrien verlassen müssen, um nicht Opfer von Blutrache zu werden. Die Cousins des Klägers väterlicherseits, X.Z. und Y.Z., hätten in der von Kurden geprägten Stadt Malikiya eine Metzgerei geführt. Eine Gruppe von Kurden sei in den Laden der Gebrüder Z. gekommen und habe Leber bestellt. Der X.Z. habe der Gruppe gesagt, dass die Leber bereits ausverkauft sei. Die Kurden hätten zum X. gesagt, wenn Du keine Leber hast, dann wollen wir Deine Leber haben. Es sei zu einem Tumult in der Metzgerei gekommen. Dabei sei der X. von der Gruppe geschlagen worden. Der Y. sei seinem Bruder zur Hilfe gekommen. Die Polizei habe die streitenden Parteien getrennt. Nachdem die Polizei weggegangen sei, sei eine größere Gruppe von Kurden mit mindestens 100 Personen in der Metzgerei erschienen. Die Kurden seien auf Lastkraftwagen zu dem Geschäft gekommen. Auf der anderen Seite seien christliche Jugendliche den beiden Brüdern zur Hilfe geeilt. Es sei zu einer Straßenschlacht gekommen, bei der ein Kurde getötet worden sei. Infolgedessen sei für die Dauer von drei Tagen die Stadt von Kurden beherrscht worden. Sie hätten christliche Geschäfte geplündert und die Fahrzeuge der Christen beschädigt. Es habe für drei Tage Chaos in der Stadt geherrscht. Die Kurden hätten die Familie Z. für den Tod des Kurden verantwortlich gemacht. Die Brüder X.Z. und Y.Z. und ein Onkel des Klägers seien anschließend festgenommen worden, obwohl sie keine Schuld am Tod des Kurden getroffen habe. Nach sechs Monaten seien die drei freigekauft worden. Eine Freilassung sei nur mit Hilfe von in Europa lebenden Aramäern möglich gewesen. Es sei viel Geld für die Familie Z. gesammelt worden, um durch Zahlung von Geld die schuldlosen Männer befreien zu können. Über den Vorgang sei auch in dem aramäischen Fernsehsender und in der assyrischen Presse ausgiebig berichtet worden. Die Kurden hätten gegen die Familie Z. Blutrache geschworen, insbesondere gegen die Brüder X.Z. und Y.Z., wobei letztere dann nach Schweden geflüchtet seien. Dort hätten die Brüder Asyl erhalten. Der Vater des Klägers habe aus Sorge um seine Kinder zunächst seine älteren Söhne aus Syrien weggeschafft. Einer der Brüder des Klägers sei nach Kuweit, der andere mittlerweile nach Schweden geflüchtet. Der Vater des Klägers sei zunächst davon ausgegangen, dass dem Kläger keine Gefahr drohe, weil er noch jung sei. Allerdings sei die Lage für den Kläger mit Beginn des Aufstandes in Syrien immer bedrohlicher geworden. Die Kurden profitierten von der rechtslosen Lage und von der in Syrien mittlerweile herrschenden Anarchie. Als der Vater des Klägers bemerkt habe, dass sein jüngster Sohn auch in Gefahr sei, habe er sich kurzerhand entschlossen, dessen Leben durch eine Flucht zu retten. In ländlichen Regionen werde Blutrache sehr oft ausgeübt. Vor allem bei der Volksgruppe der Kurden werde Blutrache traditionsbedingt sehr groß geschrieben. Die Kurden verübten teilweise ihre Blutrache auch noch nach 40 Jahren. Außerdem sei die Volksgruppe der Aramäer bzw. die Angehörigen des christlichen Glaubens in Syrien einer Gruppenverfolgung ausgesetzt. Die Christen stünden zwischen den Rebellen in Syrien und der syrischen Regierung in einer ausweglosen Lage. Dies syrische Regierung nutze die Christen als Schutzschilde aus. Sie bombardierten auch Kirchen und töteten Christen, um dies den Rebellen unterzuschieben. Andererseits würden die Christen von den Rebellen als vogelfrei angesehen, entführt und getötet. Mittlerweile sei gegen die Christen auch der „Jihad“ ausgerufen worden.
Der Kläger beantragt,
10 
Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29.08.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf Syrien vorliegen.
11 
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
12 
die Klage abzuweisen,
13 
und sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung bezogen.
14 
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung angehört worden. Seine Angaben ergeben sich aus der Anlage zum Sitzungsprotokoll.
15 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der Sache verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin anstelle der Kammer (§ 87 a Abs. 1 und 2 VwGO).
17 
Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt, und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Arabischen Republik Syrien vorliegen, und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylVfG. Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29.08.2012 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger i.S.v. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO in seinen Rechten. Maßgeblich für diese Beurteilung ist gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung.
18 
Gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG darf in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist (Satz 1). Dabei kann eine Verfolgung im Sinne von Satz 1 ausgehen von a) dem Staat, b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative (Satz 4).
19 
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage von § 60 Abs. 1 AufenthG setzt ebenso wie die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG voraus, dass dem Betroffenen in seinem Herkunftsstaat bei verständiger, objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sodass ihm nicht zuzumuten ist, in seinen Heimatstaat zurückzukehren oder, falls der Betroffene unter dem Druck bereits bestehender politischer Verfolgung ausgereist ist, eine solche Verfolgung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.
20 
Der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt weiter voraus, dass das Gericht mit der nach § 108 VwGO erforderlichen Überzeugungsgewissheit einen Sachverhalt feststellen kann, aus dem sich in rechtlicher Hinsicht ergibt, dass die Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm gegeben sind. Der Schutzsuchende muss sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Ihm obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen, und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, juris).
21 
Es kann offen bleiben, ob der Kläger vorverfolgt ausgereist ist.
22 
Das Gericht glaubt dem Kläger zwar die im Klageverfahren detailliert geschilderten Vorkommnisse um seine Cousins X.Z. und Y.Z., die den Vater des Klägers offensichtlich (mit-)veranlasst haben, seine Söhne außer Landes zu bringen. Ob der Kläger in diesem Zusammenhang zum Zeitpunkt seiner Ausreise aber tatsächlich konkret von Blutrache bedroht war, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls stellt die vom Kläger angenommene Gefahr keine Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG dar, da sie nicht an ein sog. asylerhebliches Merkmal anknüpft. An ein solches Merkmal wie etwa die ethnische Zugehörigkeit, die politische Überzeugung oder die religiöse Grundentscheidung knüpft Blutrache nicht an. Sie ist vielmehr eine archaische Reaktion auf die Tötung eines Mannes, eine Genugtuung für das vergossene Blut und die Beeinträchtigung der Familienehre.
23 
Es kann auch offen bleiben, ob der Kläger unter den gegenwärtig in Syrien herrschenden Bedingungen wegen seines christlichen Glaubens von Verfolgung bedroht ist, er insbesondere vor Übergriffen Dritter staatlichen Schutz erlangen kann. Das Bundesamt ist in seiner Entscheidung zwar selbst davon ausgegangen, dass es seit Ende 2011 vermehrt zu Übergriffen nichtstaatlicher Akteure, z.B. bewaffneter Oppositioneller, gegen Christen komme, meint aber, dagegen könne staatlicher Schutz erlangt werden. Dies erscheint schon deshalb fraglich, weil das syrische Regime im Norden immer mehr die Kontrolle verliert und die Grenzstadt Malikiya (kurdisch Derik) im Dreiländereck zwischen Syrien, der Türkei und dem Irak wohl von kurdischen Aufständischen beherrscht wird (vgl. etwa NZZ online vom 22.07.2012 „Kurden kontrollieren drei Städte“; eine politische Verfolgung von Christen in Syrien zuletzt verneinend z.B. VG Augsburg, Urteil vom 08.02.2012 - Au 6 K 11.30037 -, m.w.N., juris). Fraglich ist auch, ob der Kläger auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden kann.
24 
Ohne dass es für dieses Verfahren noch entscheidungserheblich darauf ankommt, sei darauf hingewiesen, dass der Kammer nach der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2013 eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages über die prekäre Lage der Christen in Syrien zugegangen ist (Nr. 09/13 vom 18. März 2013). Nach diesem Bericht häufen sich seit dem verheerenden Brandanschlag vom 11. Februar 2012 in Aleppo, dem 28. Christen zum Opfer fielen, die gewaltsamen Übergriffe gegen diese Minorität. Als einzig nicht-muslimische Glaubensgruppe würden sie von allen Konfliktparteien gleichermaßen der Kollaboration mit dem jeweiligen Gegner verdächtigt, liefen also Gefahr, infolge ihrer Religion zwischen den sich verhärtenden Fronten aufgerieben zu werden. Nach Ansicht führender Regierungsgegner könnten sich Christen nur dadurch vom Verdacht der Kumpanei mit dem Assad-Regime befreien, dass sie kollektiv zu den Aufständischen übertreten würden. Dazu jedoch seien viele Christen nicht bereit. Sie fürchteten, die ursprünglich demokratisch motivierte Opposition, mit deren Zielen sie sympathisierten, sei längst von Gruppierungen unterwandert, die eine mit westlichen Rechtsstaatsvorstellungen unvereinbare Politik betrieben. Auch andere Beobachter befürchteten, die Opposition werde zunehmend von Al Kaida, den Muslimbrüdern oder den Salafisten beeinflusst, und es gehe mittlerweile weniger um die Verbreitung von Demokratie als um die Etablierung einer am Koran orientierten Rechtsordnung.
25 
Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen und vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Syrien, deren Änderung nicht absehbar ist, droht dem Kläger jedenfalls derzeit wegen seiner illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und dem längeren Auslandsaufenthalt im Fall der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein sog. asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG.
26 
Nach dem letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.9.2010 (S. 19 f.) wurden Personen, die im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens nach Syrien zurückgeführt worden sind, bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt und z.T. (mehrwöchig) inhaftiert. Bereits vor dem Erstarken der Protestbewegung gegen die syrische Regierung im März 2011 lagen in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Erkenntnissen über willkürliche Verhaftungen sowie über körperliche und psychische Misshandlungen von abgeschobenen syrischen Staatsangehörigen durch syrische Behörden, insbesondere den syrischen Geheimdienst, vor (vgl. dazu Urteil der Kammer vom 06.05.2011 - A 7 K 510/09 -, juris, mit ausführlichen Nachweisen). Nach gegenwärtiger Erkenntnislage ist beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger im Rahmen der mit einer Einreise nach Syrien verbundenen Überprüfung wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt die Festnahme mit der Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung droht, weil einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen wird. Dabei kann dahin stehen, ob der Kläger tatsächlich eine regimefeindliche politische Einstellung vertritt. Gemäß Art. 10 Abs. 2 der RL 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden oder er sie auch nur vermutet (vgl. dazu Treiber in GK-AufenthG, § 60 Rn. 150 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Die dem Kläger bei einer Wiedereinreise drohende Überprüfung mit der beachtlichen Gefahr asylrelevanter Behandlung stellt damit politische Verfolgung i.S.v. § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG dar.
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Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen sowie den allgemein zugänglichen Informationen geht das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Gewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vor und hat dabei inzwischen bis zu 70.000 Tote in Kauf genommen (vgl. Zeit online vom 23.02.2013: „In dem Konflikt, der sich zu einem Bürgerkrieg entwickelt hat, wurden nach Schätzungen der Vereinten Nationen bis zu 70.000 Menschen getötet“). Nach dem Ad hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes über die Lage in Syrien vom 17.02.2012 war bereits zu diesem Zeitpunkt von über 40.000 Verhafteten und Verschwundenen auszugehen. Seit März 2011 seien zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte (u.a. eines 13-jährigen Jungen) und Mordanschläge belegt. Das Regime gehe in einer präzedenzlosen Verhaftungswelle gegen die Protestbewegung vor. Unliebsame öffentliche Äußerungen würden auf der Grundlage der Strafgesetze verfolgt, Medienvertreter inhaftiert oder getötet, die Internetnutzung mit ausgefeilter Software überwacht. Obwohl die syrische Verfassung Folter verbiete, werde von Polizei, Justizvollzugsorganen und Sicherheitsdiensten systematisch Gewalt angewandt. Das Individuum könne sich de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbhiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste komme es zu Drohungen, körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. Nach einem aktuellen Bericht der Syrien-Untersuchungskommission der Vereinten Nationen seien rücksichtsloser und weit verbreiteter Beschuss, die regelmäßige Bombardierung von Städten, Massenmorde und das absichtliche Schießen auf zivile Ziele mittlerweile typisch für das tägliche Leben der Zivilisten in Syrien (Spiegel online vom 11.03.2013). Das Ausland bis auf Russland und China hat sich gegen das syrische Regime gestellt und die Abdankung von Staatspräsident Assad gefordert. Auch die Arabische Liga hat sich dieser Haltung angeschlossen (vgl. etwa Wikipedia, Bürgerkrieg in Syrien, Internationale Reaktionen). Nach mehrfach geäußerter Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen Mitteln zu begegnen ist (vgl. etwa das Interview mit Syriens Vize-Außenminister in Spiegel online vom 05.02.2013).
28 
Angesichts der dargestellten gegenwärtigen Menschenrechtslage, des Überlebenskampfes des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland ist davon auszugehen, dass der syrische Staat gegenüber Handlungen wie der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung oder dem längeren Auslandsaufenthalt in hohem Maße unduldsam ist, sie als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansieht und mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Diese sind als politische Verfolgung i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG anzusehen (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, juris; VG Kassel, Urteil vom 17.12.2012 - 5 K 858/10.KS.A -, nicht veröffentlicht; VG Aachen, Urteile vom 11.01.2012 - 9 K 1698/10.A - und 21.10.2011 - 9 K 1005/10.A -, jeweils juris; s. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 17.08.2010 - A 8 K 792/10 -, juris; VG Freiburg, Urteil vom 20.07.2010 - A 5 K 683/09 -, juris; VG Chemnitz - A 5 K 390/06 -, juris; dazu, dass gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung von Foltermethoden droht, vgl. OVG NW, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris).
29 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 und 2 und § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Gründe

 
16 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der Sache verhandeln und entscheiden, da in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin anstelle der Kammer (§ 87 a Abs. 1 und 2 VwGO).
17 
Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt, und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich der Arabischen Republik Syrien vorliegen, und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylVfG. Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29.08.2012 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger i.S.v. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO in seinen Rechten. Maßgeblich für diese Beurteilung ist gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung.
18 
Gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG darf in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist (Satz 1). Dabei kann eine Verfolgung im Sinne von Satz 1 ausgehen von a) dem Staat, b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative (Satz 4).
19 
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage von § 60 Abs. 1 AufenthG setzt ebenso wie die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG voraus, dass dem Betroffenen in seinem Herkunftsstaat bei verständiger, objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sodass ihm nicht zuzumuten ist, in seinen Heimatstaat zurückzukehren oder, falls der Betroffene unter dem Druck bereits bestehender politischer Verfolgung ausgereist ist, eine solche Verfolgung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.
20 
Der Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt weiter voraus, dass das Gericht mit der nach § 108 VwGO erforderlichen Überzeugungsgewissheit einen Sachverhalt feststellen kann, aus dem sich in rechtlicher Hinsicht ergibt, dass die Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm gegeben sind. Der Schutzsuchende muss sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Ihm obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen, und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, juris).
21 
Es kann offen bleiben, ob der Kläger vorverfolgt ausgereist ist.
22 
Das Gericht glaubt dem Kläger zwar die im Klageverfahren detailliert geschilderten Vorkommnisse um seine Cousins X.Z. und Y.Z., die den Vater des Klägers offensichtlich (mit-)veranlasst haben, seine Söhne außer Landes zu bringen. Ob der Kläger in diesem Zusammenhang zum Zeitpunkt seiner Ausreise aber tatsächlich konkret von Blutrache bedroht war, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls stellt die vom Kläger angenommene Gefahr keine Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG dar, da sie nicht an ein sog. asylerhebliches Merkmal anknüpft. An ein solches Merkmal wie etwa die ethnische Zugehörigkeit, die politische Überzeugung oder die religiöse Grundentscheidung knüpft Blutrache nicht an. Sie ist vielmehr eine archaische Reaktion auf die Tötung eines Mannes, eine Genugtuung für das vergossene Blut und die Beeinträchtigung der Familienehre.
23 
Es kann auch offen bleiben, ob der Kläger unter den gegenwärtig in Syrien herrschenden Bedingungen wegen seines christlichen Glaubens von Verfolgung bedroht ist, er insbesondere vor Übergriffen Dritter staatlichen Schutz erlangen kann. Das Bundesamt ist in seiner Entscheidung zwar selbst davon ausgegangen, dass es seit Ende 2011 vermehrt zu Übergriffen nichtstaatlicher Akteure, z.B. bewaffneter Oppositioneller, gegen Christen komme, meint aber, dagegen könne staatlicher Schutz erlangt werden. Dies erscheint schon deshalb fraglich, weil das syrische Regime im Norden immer mehr die Kontrolle verliert und die Grenzstadt Malikiya (kurdisch Derik) im Dreiländereck zwischen Syrien, der Türkei und dem Irak wohl von kurdischen Aufständischen beherrscht wird (vgl. etwa NZZ online vom 22.07.2012 „Kurden kontrollieren drei Städte“; eine politische Verfolgung von Christen in Syrien zuletzt verneinend z.B. VG Augsburg, Urteil vom 08.02.2012 - Au 6 K 11.30037 -, m.w.N., juris). Fraglich ist auch, ob der Kläger auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden kann.
24 
Ohne dass es für dieses Verfahren noch entscheidungserheblich darauf ankommt, sei darauf hingewiesen, dass der Kammer nach der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2013 eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages über die prekäre Lage der Christen in Syrien zugegangen ist (Nr. 09/13 vom 18. März 2013). Nach diesem Bericht häufen sich seit dem verheerenden Brandanschlag vom 11. Februar 2012 in Aleppo, dem 28. Christen zum Opfer fielen, die gewaltsamen Übergriffe gegen diese Minorität. Als einzig nicht-muslimische Glaubensgruppe würden sie von allen Konfliktparteien gleichermaßen der Kollaboration mit dem jeweiligen Gegner verdächtigt, liefen also Gefahr, infolge ihrer Religion zwischen den sich verhärtenden Fronten aufgerieben zu werden. Nach Ansicht führender Regierungsgegner könnten sich Christen nur dadurch vom Verdacht der Kumpanei mit dem Assad-Regime befreien, dass sie kollektiv zu den Aufständischen übertreten würden. Dazu jedoch seien viele Christen nicht bereit. Sie fürchteten, die ursprünglich demokratisch motivierte Opposition, mit deren Zielen sie sympathisierten, sei längst von Gruppierungen unterwandert, die eine mit westlichen Rechtsstaatsvorstellungen unvereinbare Politik betrieben. Auch andere Beobachter befürchteten, die Opposition werde zunehmend von Al Kaida, den Muslimbrüdern oder den Salafisten beeinflusst, und es gehe mittlerweile weniger um die Verbreitung von Demokratie als um die Etablierung einer am Koran orientierten Rechtsordnung.
25 
Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen und vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Syrien, deren Änderung nicht absehbar ist, droht dem Kläger jedenfalls derzeit wegen seiner illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und dem längeren Auslandsaufenthalt im Fall der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein sog. asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG.
26 
Nach dem letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.9.2010 (S. 19 f.) wurden Personen, die im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens nach Syrien zurückgeführt worden sind, bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt und z.T. (mehrwöchig) inhaftiert. Bereits vor dem Erstarken der Protestbewegung gegen die syrische Regierung im März 2011 lagen in diesem Zusammenhang eine Vielzahl von Erkenntnissen über willkürliche Verhaftungen sowie über körperliche und psychische Misshandlungen von abgeschobenen syrischen Staatsangehörigen durch syrische Behörden, insbesondere den syrischen Geheimdienst, vor (vgl. dazu Urteil der Kammer vom 06.05.2011 - A 7 K 510/09 -, juris, mit ausführlichen Nachweisen). Nach gegenwärtiger Erkenntnislage ist beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger im Rahmen der mit einer Einreise nach Syrien verbundenen Überprüfung wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt die Festnahme mit der Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung droht, weil einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen wird. Dabei kann dahin stehen, ob der Kläger tatsächlich eine regimefeindliche politische Einstellung vertritt. Gemäß Art. 10 Abs. 2 der RL 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden oder er sie auch nur vermutet (vgl. dazu Treiber in GK-AufenthG, § 60 Rn. 150 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Die dem Kläger bei einer Wiedereinreise drohende Überprüfung mit der beachtlichen Gefahr asylrelevanter Behandlung stellt damit politische Verfolgung i.S.v. § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG dar.
27 
Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen sowie den allgemein zugänglichen Informationen geht das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Gewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vor und hat dabei inzwischen bis zu 70.000 Tote in Kauf genommen (vgl. Zeit online vom 23.02.2013: „In dem Konflikt, der sich zu einem Bürgerkrieg entwickelt hat, wurden nach Schätzungen der Vereinten Nationen bis zu 70.000 Menschen getötet“). Nach dem Ad hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes über die Lage in Syrien vom 17.02.2012 war bereits zu diesem Zeitpunkt von über 40.000 Verhafteten und Verschwundenen auszugehen. Seit März 2011 seien zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte (u.a. eines 13-jährigen Jungen) und Mordanschläge belegt. Das Regime gehe in einer präzedenzlosen Verhaftungswelle gegen die Protestbewegung vor. Unliebsame öffentliche Äußerungen würden auf der Grundlage der Strafgesetze verfolgt, Medienvertreter inhaftiert oder getötet, die Internetnutzung mit ausgefeilter Software überwacht. Obwohl die syrische Verfassung Folter verbiete, werde von Polizei, Justizvollzugsorganen und Sicherheitsdiensten systematisch Gewalt angewandt. Das Individuum könne sich de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbhiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste komme es zu Drohungen, körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. Nach einem aktuellen Bericht der Syrien-Untersuchungskommission der Vereinten Nationen seien rücksichtsloser und weit verbreiteter Beschuss, die regelmäßige Bombardierung von Städten, Massenmorde und das absichtliche Schießen auf zivile Ziele mittlerweile typisch für das tägliche Leben der Zivilisten in Syrien (Spiegel online vom 11.03.2013). Das Ausland bis auf Russland und China hat sich gegen das syrische Regime gestellt und die Abdankung von Staatspräsident Assad gefordert. Auch die Arabische Liga hat sich dieser Haltung angeschlossen (vgl. etwa Wikipedia, Bürgerkrieg in Syrien, Internationale Reaktionen). Nach mehrfach geäußerter Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen Mitteln zu begegnen ist (vgl. etwa das Interview mit Syriens Vize-Außenminister in Spiegel online vom 05.02.2013).
28 
Angesichts der dargestellten gegenwärtigen Menschenrechtslage, des Überlebenskampfes des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland ist davon auszugehen, dass der syrische Staat gegenüber Handlungen wie der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung oder dem längeren Auslandsaufenthalt in hohem Maße unduldsam ist, sie als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansieht und mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Diese sind als politische Verfolgung i.S.v. § 60 Abs. 1 AufenthG anzusehen (ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, juris; VG Kassel, Urteil vom 17.12.2012 - 5 K 858/10.KS.A -, nicht veröffentlicht; VG Aachen, Urteile vom 11.01.2012 - 9 K 1698/10.A - und 21.10.2011 - 9 K 1005/10.A -, jeweils juris; s. auch VG Karlsruhe, Urteil vom 17.08.2010 - A 8 K 792/10 -, juris; VG Freiburg, Urteil vom 20.07.2010 - A 5 K 683/09 -, juris; VG Chemnitz - A 5 K 390/06 -, juris; dazu, dass gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung von Foltermethoden droht, vgl. OVG NW, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 und 2 und § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.