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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtene Ausweisungsverfügung ist rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
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Die in dem Bescheid des Regierungspräsidiums T. vom 5.1.2005 verfügte Ausweisung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
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Sie verstößt zunächst nicht gegen die zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung geltenden gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensvorschriften des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG in der Auslegung, die sie durch das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 13.9.2005 - 1 C 7.04 -, InfAuslR 2006, 110; Urteil vom 6.10.2005 - 1 C 5.04 -, InfAuslR 2006, 114; vgl. ebenso: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006 - 11 S 2299/05 -) erfahren hat. Zwar ist die vom Regierungspräsidium T. am 5.1.2005 verfügte Ausweisung im Hinblick auf § 6a AGVwGO ohne vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und damit ohne die nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG regelmäßig erforderliche Einschaltung einer zweiten unabhängigen Stelle vor Abschluss des behördlichen Verfahrens ergangen. Ob hieran die nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens erfolgte Aufhebung der RL 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 RL 2004/38/EG (mit Wirkung vom 30.4.2006) etwas zu ändern vermag (vgl. dazu einerseits: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2006, a.a.O.; andererseits: Niedersächs. OVG, Urteil vom 16.5.2006 - 11 LC 324/05 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 10.2.2006 - 24 L 2122/05 -, InfAuslR 2006, 263), bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Denn die gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgarantien des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG, die unmittelbar für Unionsbürger bei behördlicher Beendigung ihres Aufenthalts gelten, sind nur auf solche türkischen Arbeitnehmer anzuwenden, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 haben (EuGH, Urteil vom 2.6.2005 , BVerwG, Urteile vom 13.9.2005 und vom 6.10.2005, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.2005, a.a.O.). Dabei setzt die praktische Wirksamkeit der den freien Zugang zum Arbeitsmarkt regelnden Rechte der Art. 6 und 7 ARB 1/80 zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruht (EuGH, Urteil vom 16.3.2000 , NVwZ 2000, 1277, Urteil vom 11.11.2004 , NVwZ 2005, 198; Urteil vom 7.7.2005 , InfAuslR 2005, 352; BVerwG, Urteil vom 6.10.2005, a.a.O.). Zu dem Personenkreis, der Rechte aus Art. 6 oder 7 ARB 1/80 für sich in Anspruch nehmen kann, zählt der Kläger indes nicht.
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Auf Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 kann sich der Kläger nicht berufen. Nach dem ersten Spiegelschrift dieser Vorschrift hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehört, in diesem Mitgliedsstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt. Das Erfordernis einer einjährigen Beschäftigung bei dem gleichen Arbeitgeber erfüllt der Kläger nicht, wie sich ohne weiteres aus den im Tatbestand des Urteils aufgelisteten Beschäftigungszeiten des Klägers ergibt. Auch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Bescheinigung der E. D. GmbH ändert hieran nichts, da - wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigte - das Beschäftigungsverhältnis nur kurze Zeit Bestand hatte, weil er einen Monat nach Arbeitsbeginn am 9.3.2004 wieder in Strafhaft kam. Die in der Justizvollzugsanstalt ausgeübten Tätigkeiten und die in der Justizvollzugsanstalt nicht zu einem Abschluss gekommene Berufsausbildung sind nicht dem regulären Arbeitsmarkt zuzurechnen und begünstigen den Kläger nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.5.1996 - 1 B 136.95 -, NVwZ 1999, 1095; Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz [GK-AufenthG], Art. 6 ARB, RdNr. 121).
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Der Schutz des Art. 7 ARB 1/80 kommt dem Kläger ebenfalls nicht zu. Auf Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 kann sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil er in der Bundesrepublik Deutschland keine Berufsausbildung abgeschlossen hat. Aber auch die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 sind nicht erfüllt. Danach haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedsstaaten einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Dabei können nicht nur nachziehende Familienangehörige, sondern auch in Deutschland geborene Kinder den Rechtsstatus nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erwerben, wenn sie stets in der Bundesrepublik gelebt haben (EuGH, Urteil vom 11.11.2004, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 6.10.2005, a.a.O.).
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Allerdings ist neben dem dreijährigen bzw. fünfjährigen Zusammenleben mit der Bezugsperson des Familienangehörigen in häuslicher Gemeinschaft die Arbeitsmarktzugehörigkeit der Bezugsperson für die gesamte unter den zwei Spiegelstrichen des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 geforderte Wohnsitzdauer Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.1.2005 - 10 A 111017/04 -, InfAuslR 2005, 238; HTK-AuslR, Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, Anm. 2.4). Nicht notwendig ist es jedoch, dass der türkische Arbeitnehmer bereits eine Verfestigungsstufe des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht hat oder während der geforderten Wohnsitzdauer erreicht. Auch setzt der Erwerb der Rechtsstellung des Familienangehörigen nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nicht voraus, dass die Bezugsperson, von der der Familienangehörige seinen Anspruch ableitet, zu dem Zeitpunkt, in dem der Familienangehörige den Anspruch nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 geltend macht, noch dem regulären Arbeitsmarkt angehört (zum Ganzen ebenfalls: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.1.2005, a.a.O.; HTK-AuslR, a.a.O.). Nach den vorgelegten Sozialdaten der Deutschen Rentenversicherung, die im Tatbestand des Urteil wiedergegeben sind, erreichen weder der Vater noch die Mutter des Klägers nach dessen Geburt eine durchgehende ununterbrochene Beschäftigungszeit von drei Jahren. Auch wenn man von dem Erfordernis einer durchgehenden Beschäftigungszeit absieht und die mitgeteilten Beschäftigungszeiten zusammenzählt, sind weder der Vater noch die Mutter des Klägers seit dessen Geburt (insgesamt) drei Jahre im Bundesgebiet beschäftigt gewesen. Zwar ist bislang in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, ob eine durchgehende ordnungsgemäße Beschäftigung des türkischen Arbeitnehmers, von dem der Familienangehörige sein Recht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ableiten will, erforderlich ist (vgl. zu den möglichen Argumentationsebenen ausführlich: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.12.2004 - 13 S 2510/04 -, EZAR 19 Nr. 4). Hierfür spricht neben systematischen Gründen (vgl. dazu im Einzelnen: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.12.2004, a.a.O.) auch der Umstand, dass der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 26.11.1998 , InfAuslR 1999, 6) entschieden hat, dass der in Art. 6 ARB 1/80 enthaltene und mit Art. 7 ARB 1/80 gleichlautende Begriff des „dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers“ mit dem daneben verwendeten Begriff der „ordnungsgemäßen Beschäftigung“ identisch ist, so dass bei Übertragung dieser Grundsätze auf die hier zu behandelnde Beschäftigung der Eltern des Klägers jedenfalls in dem für die Entstehung des abgeleiteten Rechts des Klägers maßgebenden Drei-Jahres-Zeitraums eine - hier nicht gegebene - entsprechende konkrete ordnungsgemäße Beschäftigung mindestens eines Elternteils verlangt werden könnte; zudem bestimmt Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 ausdrücklich, dass (auch unverschuldete) Arbeitslosigkeit für den Erwerb von Rechten aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht positiv berücksichtigt wird. Andererseits ist aber auch zu bedenken, dass Art. 6 ARB 1/80 den Begriff der ordnungsgemäßen Beschäftigung sowie den Begriff der Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt enthält, während Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ des Stammberechtigten nicht verlangt. Der Begriff „regulärer Arbeitsmarkt“ bezeichnet die Gesamtheit der Arbeitnehmer, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betroffenen Staates nachkommen und somit das Recht haben, eine Berufstätigkeit in seinem Hoheitsgebiet auszuüben“ (EuGH, Urteil vom 26.11.1998, a.a.O.). Aber selbst wenn man diesen für den Kläger günstigeren Ansatzpunkt zu Grunde liegen würde, hat er kein Recht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben. Zwar führen Zeiten der Arbeitslosigkeit dann nicht schon für sich gesehen zum Ausscheiden aus dem regulären Arbeitsmarkt. Es mangelt insoweit nur dann an einer weiteren Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt, wenn der türkische Arbeitnehmer nicht (mehr) vermittelbar bzw. als Dauerarbeitsloser zu betrachten ist oder wenn ihm an einer erneuten ordnungsgemäßen Beschäftigung nicht (mehr) gelegen ist und er es deshalb unterlässt, sich ernsthaft um eine Arbeitsstelle zu bemühen (vgl. EuGH Urteil vom 23.1.1997 , InfAuslR 1997, 146; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.1.2005, a.a.O. m.w.N.). Zwar lässt sich nicht pauschal bestimmen, ab welchem Zeitraum von einer Dauerarbeitslosigkeit gesprochen werden kann, jedoch ist hiervon bei einem Zeitraum von über einem halben Jahr, jedenfalls nach Ansicht der Kammer von einem Jahr, regelmäßig auszugehen (vgl. EuGH, Urteil vom 26.2.1991 , InfAuslR 1991, 151; GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 RdNr. 247; Gutmann, InfAuslR 1997, 149, 150). Bei Betrachtung der von der Deutschen Rentenversicherung mit Schreiben vom 22.12.2005 übermittelten Sozialdaten übersteigen die beschäftigungslosen Zeiten der Mutter und des Vaters des Klägers diese Grenze von sechs Monaten und auch von einem Jahr bis auf wenige Ausnahmen deutlich. So ist für die Mutter des Klägers für den Zeitraum vom 19.3.1987 bis zum 19.2.1989 (also 1 Jahr 11 Monate) und für die Zeit ab dem 1.1.1991 keine Beschäftigung aufgeführt. Für den Vater des Klägers sind keine Beschäftigungen zwischen dem 14.9.1986 und dem 5.6.1988 (etwa 1 ¾ Jahr) und den Zeiträumen von dem 10.9.1988 bis zum 25.9.1988 (15 Tage), dem 28.9.1988 bis zum 8.1.1989 (etwa 3 ½ Monate), dem 17.8.1989 bis zum 16.3.1998 (etwa 8 ½ Jahre), dem 1.6.1998 bis zum 4.12.2000 (etwa 2 ½ Jahre) und seit dem 17.2.2001 aufgeführt. Selbst wenn man die kurzfristigen Unterbrechungen der Beschäftigung im Jahr 1988/89 bei der Bemessung der Dauer der Zugehörigkeit des Vaters des Klägers zum regulären Arbeitsmarkt berücksichtigen würde, wäre die erforderliche Zeitspanne von drei Jahren nicht erreicht, so dass festzuhalten bleibt, dass sich der Kläger nicht auf Art. 7 ARB 1/80 und damit auch nicht auf den durch den ARB 1/80 vermittelten verfahrensrechtlichen wie auch materiellen Schutz berufen kann.
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Für die Beurteilung, ob die angefochtene Ausweisungsverfügung mit nationalem Recht in Einklang steht, ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung - hier mangels Erforderlichkeit und Durchführung eines Widerspruchsverfahrens auf den Erlass der Ausweisungsverfügung im Januar 2005 - abzustellen (BVerwG, Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15.5.2003 - 13 S 1113/02 -; Urteil vom 16.3.2005 - 11 S 2885/04 - m.w.N.); dies gilt unabhängig davon, dass die Gerichte Erkenntnismittel auswerten dürfen, die nach Erlass der letzten Behördenentscheidung entstanden sind, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder auch für die Unrichtigkeit der im Zeitpunkt dieser Entscheidung getroffenen Einschätzung entnommen werden können (vgl. etwa: BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 25.94 -, InfAuslR 1997, 152; Beschlüsse vom 5.5.1997 - 1 B 129.96 -, AuAS 1997, 218 und vom 23.5.2001 - 1 B 125.00 -, NVwZ 2001, 1288; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.7.2004 - 11 S 535/04 -). Der Kläger verfügt - wie oben dargestellt - zudem nicht über ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80, so dass auch insoweit nicht der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht zu verlagern ist (vgl. dazu: BVerwG, Urteile vom 3.8.2004 - 1 C 30.02 -, NVwZ 2005, 220 und - 1 C 29.02 -, NVwZ 2005, 224).
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Bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung im Januar 2005 ist die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums nicht zu beanstanden. Ermächtigungsgrundlage für die Ausweisung bildet § 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AufenthG. Auf Grund der von dem Kläger begangenen und abgeurteilten Straftaten hat dieser einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen und somit die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt.
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Allerdings genießt der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, denn er ist im Bundesgebiet geboren, hat sich mindestens fünf Jahre im Bundesgebiet aufgehalten und ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Zwar war die dem Kläger zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis bis zum 14.7.2000 befristet. Doch hat der Kläger deren Verlängerung (rechtzeitig am 13.7.2000) beantragt, so dass gemäß § 84 Abs. 4 AufenthG der bisherige Aufenthaltstitel bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend gilt. Genießt der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedeutet dies für ihn, dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Schwerwiegende Gründe im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG liegen vor, wenn das öffentliche Interesse an der Einhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Die Beurteilung, ob dies der Fall ist, hat sich an den spezial- und generalpräventiven Ausweisungszwecken auszurichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.1.1997 - 1 C 17.94 -, InfAuslR 1997, 296; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 10.9.2003 - 11 S 973/03 -, EZAR 037 Nr. 8 und vom 9.7.2003 - 11 S 420/03 -, EZAR 033 Nr. 18).
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Für die im Fall des Klägers spezialpräventiv begründete Ausweisung bedeutet dies, dass zunächst dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommen muss, das sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergeben kann. Dabei ist als Ausweisungsanlass in diesem Sinn nicht lediglich die letzte Straftat ins Auge zu fassen, die im Fall des Klägers isoliert betrachtet unter Umständen eine Ausweisung nicht gerechtfertigt hätte; vielmehr ist der gesamte ausweisungsrelevante Sachverhalt zu gewichten. Insoweit ist zunächst von Bedeutung, dass der Kläger in einem Zeitraum von knapp fünf Jahren sechsmal verurteilt werden musste und zuvor 21 Ermittlungsverfahren vor allem wegen Diebstahls auf Grund der Strafunmündigkeit des Klägers nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden mussten. Diese Häufigkeit von Straftaten ist ein hinreichend gewichtiger Ausweisungsanlass, besonders wenn man bedenkt, dass der Kläger vor der die Ausweisung auslösenden und mit Strafurteil des Amtsgerichts H. vom 15.6.2004 geahndeten Straftat, zweimal in Haft war und auch zweimal ausländerrechtlich verwarnt wurde, ohne dass sich dies erkennbar in seinem Verhalten niedergeschlagen hätte. Hinzu kommt die beim Kläger insbesondere in den den Verurteilungen wegen Bedrohung und versuchter Körperverletzung vom 15.7.2003 und wegen gefährlicher Körperverletzung vom 15.6.2004 zu Grunde liegenden Straftaten zum Ausdruck kommende Gewaltbereitschaft. Nach Deliktscharakter und Art der Begehung ebenfalls in den Bereich der zumindest mittleren Kriminalität fällt die weitere Serie mittäterschaftlich begangener Einbruchsdiebstähle, die mit Urteil des Amtsgerichts H. vom 20.1.2001 geahndet wurden.
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Neben dem besonders gewichtigen Ausweisungsanlass müssen außerdem Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue (einschlägige oder im Gewicht vergleichbare) Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.6.1996 – 1 C 24.94 -, Buchholz 402.240 § 48 AuslG Nr. 9; BVerfG, Beschluss vom 1.3.2000 – 2 BvR 2120/99 -, NVwZ 2001, 67). Dies bedeutet, dass für den durch besonderen Ausweisungsschutz privilegierten Ausländer ein hinreichender Grad an Wiederholungsgefahr bestehen muss, bei dessen Ermittlung auch dem normativen Bewertungskriterium (Gewicht, Gefährlichkeit und Schaden der Straftat) eine gewisse Bedeutung zukommen kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 9.7.2003 und vom 21.7.2004 , a.a.O.). Für den Kläger bestand zu dem maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer wiederholten Delinquenz. Die Verurteilung auf Bewährung (Urteil des Amtsgerichts H. vom 20.1.2001), die mehrmonatige Inhaftierung und die mit der Androhung der Ausweisung verbundenen ausländerrechtlichen Verwarnungen blieben ohne jeden erkennbaren Einfluss auf das strafrechtlich relevante Verhalten des Klägers. Im Gegenteil: Nach dem Erlass der Ausweisungsverfügung vom 5.1.2005 und kurz vor Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage am 9.2.2005 sowie nach bedingter Haftentlassung unter Bewährung stehend wurde der Kläger erneut (am 30.1.2005) straffällig, wobei auch hier der abgeurteilten Straftat ein nicht unerhebliches Gewaltpotenzial - dieses Mal gegen Sachen - zu Grunde lag. Dies zeigt, dass der Kläger selbst unter dem Druck einer erlassenen und mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage angefochtenen Ausweisung nicht zu einem straffreien Leben in der Bundesrepublik in der Lage war, sondern sich als wiederholter Bewährungsbrecher erwiesen hat. Auch wenn einzelne Straftaten ihren Grund in Alkoholproblemen des Klägers haben sollten (vgl. dazu das Schreiben des Sozialdienstes der Justizvollzugsanstalt A. vom 18.1.2006), ändert dies nichts an der zutreffenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr durch die Ausländerbehörde im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung, die durch die nach Erlass der Ausweisungsverfügung begangenen und mit Urteil des Amtsgerichts H. vom 28.6.2005 geahndeten erneuten Straftaten anschaulich bestätigt wird.
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Die somit nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung lässt keine Rechtsfehler (§ 40 LVwVfG) erkennen. Das Regierungspräsidium hat insbesondere die für einen weiteren Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet sprechenden Gesichtspunkte (vgl. § 50 Abs. 3 AufenthG), wie etwa die Geburt und den ständigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, fehlende enge Beziehungen zur Türkei, zu erwartende Schwierigkeiten nach einer zwangsweisen Rückkehr in die Türkei und das Zusammenleben mit den Eltern, in die Ermessensentscheidung eingestellt, aber auch zu Recht eine bislang kaum gelungene Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik festgestellt. Den für den Verbleib des Klägers in der Bundesrepublik sprechenden Gesichtspunkten hat es das öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten des Klägers in der Bundesrepublik (Spezialprävention) gegenübergestellt. Dass das Regierungspräsidium zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der angefochtenen Verfügung von einem Überwiegen der für eine Ausweisung des Klägers sprechenden öffentlichen Interessen ausgegangen ist, kann auch im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beanstandet werden.
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Die Ausweisung des Klägers verstößt schließlich nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Ein insoweit dem Art. 8 EMRK zu entnehmender (weitergehender) Ausweisungsschutz ist bei der Anwendung des Aufenthaltsgesetzes zu beachten und gesondert zu prüfen, wobei hier hinsichtlich der Frage, ob ein (schützenswertes) Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, auf den Zeitpunkt der letzten Entscheidung des nationalen Gerichts abzustellen ist (EuGH, Urteile vom 30.11.1999 , InfAuslR 2000, 53, vom 30.10.2002 , InfAuslR 2003, 126, vom 15.7.2003 , InfAuslR 2004, 183; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.7.2003 - 13 S 705/03 -; Urteil vom 27.1.2004 - 10 S 1610/03 -, InfAuslR 2004, 189; Urteil vom 16.3.2005, a.a.O.; OVG Bremen, Urteil vom 25.5.2004 - 1 A 303/03 -, InfAuslR 2004, 328).
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Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung (unter anderem) seines Privat- und Familienlebens. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist die Ausweisung des Klägers im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht zu beanstanden. Dem in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann es nach der Rechtsprechung des EGMR in Bezug auf die Folgen für den Ausländer selbst widersprechen, wenn durch behördliche Maßnahmen die Voraussetzungen für sein weiteres Zusammenleben mit seiner im Vertragsstaat ansässigen Familie beseitigt werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 26.3.1992 , InfAuslR 1994, 86; Urteil vom 26.9.1997 , NVwZ 1998, 164; Urteil vom 31.10.2002 , InfAuslR 2003, 126). Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt danach etwa bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29.9.1998 - 1 C 8.96 -, NVwZ 1999, 303; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.5.2004 - 11 S 1080/04 -; Beschluss vom 28.5.2001 - 11 S 2940/99 -; Beschluss vom 16.3.2005, a.a.O.).
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Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger faktischer Inländer in diesem Sinne geworden ist. Zwar ist er in Deutschland geboren und aufgewachsen und beherrscht die deutsche Sprache. Indes fehlen ihm nicht alle über die bloße türkische Staatsangehörigkeit hinaus gehenden sozialen und soziokulturellen Beziehungen zum Staat seiner Staatsangehörigkeit (vgl. dazu: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.9.2003, a.a.O.; Beschluss vom 13.5.2004, a.a.O.). Er spricht nach seinen eigenen Angaben gut türkisch. Mit seinen Eltern wird der kommunikative Kontakt sogar nur in türkisch gepflegt. Darüber hinaus hat der Kläger bis zum Jahr 2002 regelmäßig einmal im Jahr die Türkei für knapp einen Monat besucht, um dort zusammen mit weiteren Familienangehörigen seinen Urlaub zu verbringen. Er hat sich dann bei der Schwester seiner Mutter in A. aufgehalten. Seine Eltern haben zudem trotz eines jahrelangen Aufenthalts in Deutschland an der türkischen Staatsangehörigkeit festgehalten; Bemühungen um eine Einbürgerung sind nicht bekannt. Auch hat der Kläger in Deutschland weder einen Schul- noch einen Berufsabschluss erreicht.
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Selbst wenn der Kläger als faktischer Inländer zu betrachten wäre, weist sein Fall dennoch nicht die erforderlichen Besonderheiten auf, die ein Leben in der Türkei für ihn trotz der gegebenen Ausweisungsvoraussetzungen unzumutbar machen. Korrekturen einer nach nationalen Vorschriften rechtmäßigen Ausweisung wegen Unverhältnismäßigkeit sind nach dem Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK nur in außergewöhnlichen Einzelfällen denkbar, die entweder hinsichtlich des (gesteigerten) Gewichts der Schutzgüter (Privat- und Familienleben) oder hinsichtlich der (geminderten) Bedeutung der öffentlichen Ausweisungsziele (insbesondere öffentliche Sicherheit, Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) signifikante Besonderheiten aufweisen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 28.11.2002 - 11 S 1270/02 -, VBlBW 2003, 289; Beschluss vom 13.5.2004, a.a.O.). Die in dem Fall des Klägers zu berücksichtigenden besonderen Umstände, zu denen etwa zählen die Schwere und Art der Straftaten, das Alter des Betroffenen bei Begehung der Straftat, die familiäre Situation, insbesondere, ob der Ausländer - mit einer deutschen Staatsangehörigen - verheiratet ist oder ob er Kinder - mit deutscher Staatsangehörigkeit - hat bzw. ob er auf die Unterstützung und Hilfe von im Inland lebenden Eltern und Geschwistern angewiesen ist, der Bezug des Ausländers zu dem Staat seiner Staatsangehörigkeit und schließlich ob der Ausländer die Staatsangehörigkeit seines Heimatlandes behalten und nicht die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltslandes erwerben wollte (vgl. zum Ganzen ausführlich mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.5.2004, a.a.O.) machen seine Ausweisung nicht unverhältnismäßig. Der Kläger ist unverheiratet und kinderlos. Soweit er schriftsätzlich vorgetragen hat, er habe eine feste Beziehung zu einer deutschen Staatsangehörigen, die er heiraten wolle und die ein Kind von ihm erwarte, hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die Beziehung während seiner Haftzeit auseinander gegangen sei und die Frau das Kind in der 11. Schwangerschaftswoche verloren habe. Sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, er habe nun eine andere deutsche Freundin, die ein Kind von ihm erwarte, hat er nicht näher belegt. Auch ist er diese Beziehung in Kenntnis der Ausweisungsverfügung eingegangen; seine deutsche Freundin soll nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ebenfalls von der bestehenden Ausweisungsverfügung gewusst haben. Der Kläger hat auch keine Anhaltspunkte dafür geltend gemacht, dass er auf die familiäre Unterstützung durch seine Eltern oder Geschwister im Bundesgebiet angewiesen ist. Zwar beging er zahlreiche Straftaten noch während er minderjährig war, doch steht dem - wie bereits ausgeführt - die Schwere und Zahl der Taten und eine von ihm immer noch ausgehende gravierende Wiederholungsgefahr gegenüber. Die demgegenüber geltend gemachten Schwierigkeiten bei Rückkehr in die Türkei machen die verfügte Ausweisung nicht rechtswidrig. Der Kläger ist der türkischen Sprache mächtig und auf Grund zahlreich verbrachter Urlaube mit dem Leben in der Türkei vertraut und verfügt mit seiner in A. lebenden Tante, bei der er auch Urlaube verbrachte, über eine erste Anlaufstelle, die ihm bei möglichen ersten Schwierigkeiten behilflich sein kann.
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Der Kläger hat auch keinen - mit der Klage verfolgten - Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut ins Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten (Satz 1). Ebenso wird ihm auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt (Satz 2). Diese „Sperrwirkung“ der Ausweisung greift bereits dann, wenn die Ausweisung noch nicht bestandskräftig oder vollziehbar ist (§ 84 Abs. 2 AufenthG); sie steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis daher auch hier entgegen.
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Die Abschiebungsandrohung in der von dem Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärten Modifizierung ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden (§§ 58, 59 AufenthG).
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