Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 08. Feb. 2018 - A 2 K 7425/16

bei uns veröffentlicht am08.02.2018

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29.11.2016 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Kläger, denen von der Beklagten bereits der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am … 1946 und am … 1950 in Chan Schaichun geborenen Kläger sind syrische Staatsangehörige arabischer Volkszugehörigkeit und islamisch-sunnitischen Glaubens. Sie reisten eigenen Angaben zufolge gemeinsam mit ihrem am … 1999 geborenen Sohn M. N. am 03.03.2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 23.05.2016 ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
Die Kläger wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 24.08.2016 zu den Gründen für ihr Asylbegehren angehört. Hierbei trugen sie im Wesentlichen vor, sie hätten fünf Söhne und sieben Töchter. Der Kläger zu 1) gab an, er habe von 1968 bis 1971 Wehrdienst geleistet. Anschließend sei er sechs Monate lang Reservist gewesen und dann zur Polizei gegangen. Die Kläger erklärten, sie hätten Syrien aufgrund der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage verlassen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkannte den Klägern sowie deren Sohn M. mit Bescheid vom 29.11.2016 den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Ziffer 2). Der Bescheid wurde am 01.12.2016 zugestellt.
Die Kläger sowie ihr Sohn M. N. haben am 14.12.2016 Klagen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben. Soweit das Verfahren M. N. betraf, wurde es mit Beschluss vom 11.09.2017 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen A 2 K 12399/17 fortgeführt. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit rechtskräftigem Urteil vom 11.10.2017 - A 2 K 12399/17 - unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29.11.2016 verpflichtet, dem M. N. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Das Verwaltungsgericht nahm Bezug auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteile vom 02.05.2017 - A 11 S 562/17 -, juris und vom 14.06.2017 - A 11 S 511/17 -, juris) und führte aus, dem 1999 geborenen Kläger drohe bereits deshalb Verfolgung, weil er sich durch eine unerlaubte Ausreise aus Syrien und einem Verbleib im Ausland dem Militärdienst entzogen habe.
Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger im Wesentlichen vor, ihnen drohten schwerste Menschenrechtsverletzungen in Anknüpfung an eine ihnen unterstellte politische Gegnerschaft zum Regime des syrischen Machthabers Assad. Bei den syrischen Kriegsverbrechen handele es sich nicht lediglich um willkürliche Gewalt, sondern um Gewalt, die gezielt dazu eingesetzt werde, Gegner der Regierung zu vernichten. Es bestehe die Gefahr, dass die Kläger vom syrischen Geheimdienst auch deshalb als potenzielle Regimegegner behandelt würden, weil sich drei ihrer Söhne dem Wehrdienst entzogen hätten. Es handele sich um M., zu dessen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft das Verwaltungsgericht die Beklagte bereits rechtskräftig verpflichtet habe, um den in Hamburg wohnenden Ib. und den in Neuenkirchen wohnenden I.. Ein weiterer Sohn namens J. halte sich noch in Chan Schaichun auf und lebe dort „unter der Erde“. Die Kläger berufen sich darüber hinaus auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Familienflüchtlingsschutzes nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Insbesondere stehe dem nicht die inzwischen eingetretene Volljährigkeit des stammberechtigten Sohnes entgegen. Die Nähe zum Verfolgungsschicksal des Sohnes sei nicht dadurch entfallen, dass dieser volljährig geworden sei. Auch dürfe es nicht in der Hand der Beklagten liegen, den Elternschutz dadurch zu unterlaufen, dass das Verfahren verzögert betrieben werde.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29.11.2016 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Klagen abzuweisen.
11 
Das Bundesamt bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
12 
Die Kläger wurden in der mündlichen Verhandlung zu ihren Asylgründen angehört. Insoweit wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
13 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akte des Bundesamts und auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
14 
Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Denn die Ladung, die aufgrund des allgemeinen Verzichts der Beklagten auf die Förmlichkeiten der Ladung formlos erfolgt ist, enthielt einen entsprechenden Hinweis (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).
15 
Die zulässigen Klagen sind begründet.
16 
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29.11.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger können die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz beanspruchen (I.). Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund eigener politischer Verfolgung der Kläger kommt dagegen nicht in Betracht (II.).
I.
17 
Die Kläger haben einen Anspruch auf Gewährung von Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 3, Abs. 5 Satz 1, Satz 2 AsylG.
18 
Nach Maßgabe des § 26 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, Satz 2 AsylG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlings oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j) der Richtlinie 2011/95/EU auf Antrag die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn 1. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar ist, 2. die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j) der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Flüchtling verfolgt wird, 3. sie vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben, 4. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und 5. sie die Personensorge für den Flüchtling innehaben.
19 
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagte dem Sohn M. N. bereits die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt hat. Denn die rechtskräftige gerichtliche Verpflichtung der Beklagten ist der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gleichzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.05.2009 - 10 C 21.08 -, NVwZ 2009, 1308; VG Lüneburg, Urt. v. 06.09.2017 - 3 A 156/17 -, juris). Vorliegend wurde die Beklagte durch rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 11.10.2017 - A 2 K 12399/17 - dazu verpflichtet, M. N. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Auch die weiteren, in § 26 Abs. 3 Satz 1 Ziffern 2 bis 5 AsylG genannten Voraussetzungen des „Elternschutzes“ liegen vor. Die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchst. j) der Richtlinie 2011/95/EU, mithin die Eltern-Sohn-Beziehung, bestand bereits in Syrien. Ferner sind die Kläger nach eigenen Angaben am 03.03.2016 und damit vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Sohnes M. im Jahr 2017 in die Bundesrepublik eingereist und haben zeitgleich mit ihm am 23.05.2016 einen Asylantrag gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme (§ 73 AsylG) der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Sohnes der Kläger derzeit vorliegen oder dass die Kläger nicht mehr die Personensorge für ihren Sohn inne hatten, sind weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ferner liegen Ausschlussgründe nach § 26 Abs. 4 und Abs. 6 AsylG nicht vor.
20 
Der am ... 1999 geborene stammberechtigte Sohn M. N. war im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Asylantragstellung der Kläger am 03.03.2016 auch noch unter 18 Jahre alt und damit minderjährig (vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 2 BGB). Denn maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Frage der Minderjährigkeit im Rahmen des „Elternschutzes“ nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist der Zeitpunkt der Asylantragstellung der Eltern und nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. ebenso VG Hamburg, Urt. v. 05.02.2014 - 8 A 1236/12 -, juris Rn. 17 ff.; a. A. VG Sigmaringen, Urt. v. 21.04.2017 - A 3 K 3159/16 -, juris Rn. 20 unter Verweis auf OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.12.2016 - OVG 3 S 106.16 -, juris zu § 36 AufenthG).
21 
Zwar ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Von diesem Grundsatz ist jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn – wie hier – nach dem materiellen Recht ein früherer Zeitpunkt entscheidend ist. Die Maßgeblichkeit eines früheren Beurteilungszeitpunktes folgt zwar nicht bereits aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG (1.), ergibt sich allerdings aus einer unionsrechtlich geprägten teleologische und historischen Auslegung der Norm (2.).
22 
1. Dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG kann nicht entnommen werden, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage der Minderjährigkeit des Stammberechtigten abzustellen ist. Lediglich § 26 Abs. 2 AsylG benennt im umgekehrten Fall, in dem minderjährige Kinder zu ihren stammberechtigten Eltern zuziehen, ausdrücklich den Zeitpunkt der Asylantragstellung.
23 
2. Unionsrechtlich geprägte teleologische Erwägungen (a) und eine historische Betrachtung (b) sprechen dafür, dass – ungeachtet des insoweit offenen Wortlautes – auch beim „Elternschutz“ des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG der Zeitpunkt der Asylantragstellung maßgeblich ist.
24 
a) Gemäß Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9 v. 20.12.2011 – sog. Qualifikationsrichtlinie) – im Folgenden: RL 2011/95/EU – tragen die Mitgliedstaaten Sorge dafür, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann. Darüber hinaus tragen sie dafür Sorge, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Schutzes erfüllen, gemäß den nationalen Verfahren Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 35 genannten Leistungen haben, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist (Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU). Tragende Erwägung und zentraler Zweck der RL 2011/95/EU ist mithin in zusammenfassender Würdigung die Wahrung des Familienverbandes. Diesem Ziel wird nur dann effektiv Rechnung getragen, wenn der Familienverband durchgängig aufrechterhalten wird. Diesen in Art. 23 RL 2011/95/EU zum Ausdruck kommenden unionsrechtlichen Vorgaben wird nur dann genügt, wenn für die relevante Frage der Minderjährigkeit nicht nur bei § 26 Abs. 2 AsylG, sondern auch beim „Elternschutz“ des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf den früheren Zeitpunkt der Asylantragstellung und nicht denjenigen der mündlichen Verhandlung abgestellt wird.
25 
Das Unionsrecht gibt einen einheitlichen Schutz des Familienverbandes vor, womit ein gespaltenes Schutzniveau abhängig davon, ob Eltern zu ihren Kindern ziehen oder umgekehrt, nicht zu vereinbaren wäre. Es wäre widersprüchlich, beim Familienflüchtlingsschutz für Eltern, die zu ihren Kindern ziehen (§ 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG), andere Maßstäbe anzulegen als im umgekehrten Fall, in dem Kinder den Flüchtlingsschutz von den stammberechtigten Eltern (§ 26 Abs. 2 AsylG) ableiten. Denn in beiden Fällen geht es um die Wahrung des im Fluchtstaat (neu) bestehenden Familienverbandes (Art. 23 Abs. 1 RL 2011/95/EU) und die Integration der nahen Angehörigen eines Stammberechtigten. Die beiden Schutztatbestände in § 26 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG basieren auf derselben unionsrechtlichen Grundlage und unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Person des zuziehenden Familienmitglieds.
26 
Es wäre gleichfalls mit Blick auf das einheitliche Schutzziel des Art. 23 RL 2011/95/EU nicht nachvollziehbar, minderjährige Stammberechtigte, zu denen ein Elternteil zuziehen will (§ 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG), schlechter zu stellen als solche, zu denen ein Geschwisterkind zuziehen will (§ 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Während im ersten Fall die Eltern – stellte man auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ab – Flüchtlingsschutz nur erhielten, wenn das stammberechtigte Kind im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch minderjährig ist, reicht es nach der – soweit ersichtlich einhelligen – verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. hierzu etwa VG Hamburg, Urt. v. 13.11.2013, 8 A 214/12 -, juris; VG Sigmaringen, Urt. v. 21.04.2017 - A 3 K 3159/16 -, juris) im zweiten Fall aus, dass der Stammberechtigte bei Asylantragstellung des zuziehenden Geschwisterkindes (das bereits nach dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG ebenfalls minderjährig sein muss) noch minderjährig ist. Ein solches Ergebnis wäre insbesondere deshalb unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben zweifelhaft, weil der Zuzug von Geschwistern nicht von der Richtlinie 2011/95/EU gefordert wird, der Zuzug von Eltern dagegen schon (vgl. gemäß Art. 23 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Buchst. j) RL 2011/95/EU).
27 
Eine vollständige Umsetzung der RL 2011/95/EU verlangt daher, dass Familienflüchtlingsschutz gewährt werden muss, sobald bei Entstehung des Familienverbandes im Fluchtstaat und erfolgter Asylantragstellung die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.
28 
b) Den Gesetzesmaterialien kann nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber bei Einführung des § 26 Abs. 3 AsylG zwar den schutzberechtigten Personenkreis erweitern, ihm allerdings – entgegen dem unionsrechtlichen Schutzzweck – ein verringertes Schutzniveau zusprechen wollte. Vielmehr ist auch unter Berücksichtigung der Historie davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz lediglich der unionsrechtlich gebotenen Erweiterung des geschützten Personenkreises Rechnung tragen und hinsichtlich des maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes in Absatz 2 und 3 des § 26 AsylG nicht differenzieren wollte.
29 
Die Überlegung, dass sich die – behördliche und gerichtliche – Verfahrensdauer nicht nachteilig auf das Entstehen des Familienasyls auswirken soll, hat den Gesetzgeber im Fall des zu seinen stammberechtigten Eltern zuziehenden Minderjährigen (§ 26 Abs. 2 AsylG) dazu bewogen, auf den – frühen – Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (so ausdrücklich die „Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses - 4. Ausschuss“, BT-Drs. 12/2718 v. 02.06.1992, S. 60). Es liegt auf der Hand, dass diese Erwägung im hier vorliegenden Fall der zu ihren Kindern nachziehenden Eltern (§ 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG) gleichermaßen Geltung beansprucht. Gründe für eine unterschiedliche Behandlung drängen sich weder auf noch können sie den Gesetzesmaterialien entnommen werden. In der Begründung des Richtlinienumsetzungsgesetzes wird nicht erläutert, weshalb § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht nennt. Dort wird lediglich mitgeteilt, dass § 26 Abs. 2 AsylVfG unverändert bleiben könne und in § 26 Abs. 3 Satz 1 der „Familienschutz erstmalig auf die Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter“ ausgedehnt werde (BR-Drs. 218/13, S. 30). Aus der Historie ergibt sich damit einzig, dass der schutzberechtigte Personenkreis ausgedehnt werden, nicht dagegen, dass die Erweiterung Änderungen hinsichtlich des maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes nach sich ziehen sollte. Sofern der Gesetzgeber einen unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkt intendiert hätte, wäre angesichts seines erklärten Ziels, den Familienschutz auf die Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter auszudehnen, zu erwarten gewesen, dass er dies im Zuge der Rechtsänderung bekundet und in der Begründung des Entwurfs des Richtlinienumsetzungsgesetzes – ggf. die Gründe für die unterschiedliche rechtliche Betrachtung benennend – äußert. Da dies jedoch – im Übrigen auch nachträglich – unterblieben ist, muss davon ausgegangen werden, dass auch beim „Elternschutz“ des § 26 Abs. 3 AsylG der Zeitpunkt der Asylantragstellung maßgeblich sein sollte.
II.
30 
Die Kläger haben jedoch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund eigener politischer Verfolgung nach § 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
31 
1. Den Klägern kommt die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht zugute. Denn sie sind nach ihren eigenen Angaben bürgerkriegsbedingt geflohen und waren daher keiner anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt.
32 
2. Eine begründete Furcht der Kläger vor flüchtlingsrelevanter Verfolgung ergibt sich auch nicht aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem sie Syrien verlassen haben.
33 
a) Die illegale Ausreise der Kläger sowie ihre Asylantragstellung und ihr Aufenthalt im westlichen Ausland begründet – ohne das Hinzutreten weiterer Risikofaktoren – keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an und nimmt auf dessen Urteile vom 09.08.2017 (- A 11 S 710/17 -, DVBl 2017, 1317) und 21.08.2017 (- A 11 S 513/17 -, n. v.) vollumfänglich Bezug. Es lässt sich nicht feststellen, dass der syrische Staat jedem für längere Zeit ausgereisten syrischen Staatsangehörigen, der im Ausland ein Asylverfahren betrieben hatte und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, ein Regimegegner zu sein, auch wenn keine besonderen zusätzlichen Anhaltspunkte bzw. gefahrerhöhende Merkmale vorliegen (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 -, DVBl 2017, 1317; Urt. v. 21.08.2017 - A 11 S 513/17 -, n. v.; vgl. ferner OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 21.02.2017 - 14 A 2316/16.A -, DVBl 2017, 639; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris; OVG Saarland, 22.08.2017 - 2 A 262/17 -, juris; BayVGH, Urt. v. 21.03.2017 - 21 B 16.31013 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 29.03.2017 - 3 L 249/16 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.11.2017 - 3 B 12.17 -, juris; OVG Niedersachsen, Urt. v. 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, juris).
34 
b) Im Fall der Kläger sind keine risikoerhöhenden Faktoren ersichtlich. Insbesondere vermag der Vortrag der Kläger, ihnen drohe bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien eine flüchtlingsrelevante Reflexverfolgung, weil sie ihre Söhne unterstützt hätten, sich dem Militärdienst zu entziehen, keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Das erkennende Gericht schließt sich auch insoweit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 -, DVBl 2017, 1317) an und nimmt vollumfänglich auf diese Bezug. Eine die Flüchtlingseigenschaft begründende Reflexverfolgung ist demnach nur anzunehmen, wenn die Angehörigen – hier die Kläger – in irgendeiner Weise als Gegner des herrschenden Regimes in Erscheinung getreten waren (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 -, DVBl 2017, 1317 unter Verweis auf Danish Refugee Council vom September 2015, S. 19 und Amnesty International Between Prison and the Grave vom November 2015, S. 48 ff.). Dies ist bei den Klägern indes nicht der Fall. Ein dementsprechender substantiierter Vortrag ist weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren erfolgt.
35 
Eine politische Verfolgung können die Kläger schließlich auch nicht aus dem schweren Giftgasangriff herleiten, der sich am 04.04.2017 in ihrer Heimatstadt Chan Schaichun ereignet hat. Denn insoweit fehlt es an der erforderlichen Verknüpfung zwischen einem Verfolgungsgrund (§ 3b AsylG) und der (drohenden) Rechtsgutsverletzung, die im Sinne einer „objektiven Gerichtetheit“ festzustellen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55).
III.
36 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

Gründe

 
14 
Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Denn die Ladung, die aufgrund des allgemeinen Verzichts der Beklagten auf die Förmlichkeiten der Ladung formlos erfolgt ist, enthielt einen entsprechenden Hinweis (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).
15 
Die zulässigen Klagen sind begründet.
16 
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29.11.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger können die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz beanspruchen (I.). Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund eigener politischer Verfolgung der Kläger kommt dagegen nicht in Betracht (II.).
I.
17 
Die Kläger haben einen Anspruch auf Gewährung von Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 3, Abs. 5 Satz 1, Satz 2 AsylG.
18 
Nach Maßgabe des § 26 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, Satz 2 AsylG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlings oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j) der Richtlinie 2011/95/EU auf Antrag die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn 1. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar ist, 2. die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j) der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Flüchtling verfolgt wird, 3. sie vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben, 4. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und 5. sie die Personensorge für den Flüchtling innehaben.
19 
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagte dem Sohn M. N. bereits die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt hat. Denn die rechtskräftige gerichtliche Verpflichtung der Beklagten ist der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gleichzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.05.2009 - 10 C 21.08 -, NVwZ 2009, 1308; VG Lüneburg, Urt. v. 06.09.2017 - 3 A 156/17 -, juris). Vorliegend wurde die Beklagte durch rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 11.10.2017 - A 2 K 12399/17 - dazu verpflichtet, M. N. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Auch die weiteren, in § 26 Abs. 3 Satz 1 Ziffern 2 bis 5 AsylG genannten Voraussetzungen des „Elternschutzes“ liegen vor. Die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchst. j) der Richtlinie 2011/95/EU, mithin die Eltern-Sohn-Beziehung, bestand bereits in Syrien. Ferner sind die Kläger nach eigenen Angaben am 03.03.2016 und damit vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Sohnes M. im Jahr 2017 in die Bundesrepublik eingereist und haben zeitgleich mit ihm am 23.05.2016 einen Asylantrag gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme (§ 73 AsylG) der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Sohnes der Kläger derzeit vorliegen oder dass die Kläger nicht mehr die Personensorge für ihren Sohn inne hatten, sind weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ferner liegen Ausschlussgründe nach § 26 Abs. 4 und Abs. 6 AsylG nicht vor.
20 
Der am ... 1999 geborene stammberechtigte Sohn M. N. war im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Asylantragstellung der Kläger am 03.03.2016 auch noch unter 18 Jahre alt und damit minderjährig (vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 2 BGB). Denn maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Frage der Minderjährigkeit im Rahmen des „Elternschutzes“ nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist der Zeitpunkt der Asylantragstellung der Eltern und nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. ebenso VG Hamburg, Urt. v. 05.02.2014 - 8 A 1236/12 -, juris Rn. 17 ff.; a. A. VG Sigmaringen, Urt. v. 21.04.2017 - A 3 K 3159/16 -, juris Rn. 20 unter Verweis auf OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.12.2016 - OVG 3 S 106.16 -, juris zu § 36 AufenthG).
21 
Zwar ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Von diesem Grundsatz ist jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn – wie hier – nach dem materiellen Recht ein früherer Zeitpunkt entscheidend ist. Die Maßgeblichkeit eines früheren Beurteilungszeitpunktes folgt zwar nicht bereits aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG (1.), ergibt sich allerdings aus einer unionsrechtlich geprägten teleologische und historischen Auslegung der Norm (2.).
22 
1. Dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG kann nicht entnommen werden, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Frage der Minderjährigkeit des Stammberechtigten abzustellen ist. Lediglich § 26 Abs. 2 AsylG benennt im umgekehrten Fall, in dem minderjährige Kinder zu ihren stammberechtigten Eltern zuziehen, ausdrücklich den Zeitpunkt der Asylantragstellung.
23 
2. Unionsrechtlich geprägte teleologische Erwägungen (a) und eine historische Betrachtung (b) sprechen dafür, dass – ungeachtet des insoweit offenen Wortlautes – auch beim „Elternschutz“ des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG der Zeitpunkt der Asylantragstellung maßgeblich ist.
24 
a) Gemäß Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9 v. 20.12.2011 – sog. Qualifikationsrichtlinie) – im Folgenden: RL 2011/95/EU – tragen die Mitgliedstaaten Sorge dafür, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann. Darüber hinaus tragen sie dafür Sorge, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Schutzes erfüllen, gemäß den nationalen Verfahren Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 35 genannten Leistungen haben, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist (Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU). Tragende Erwägung und zentraler Zweck der RL 2011/95/EU ist mithin in zusammenfassender Würdigung die Wahrung des Familienverbandes. Diesem Ziel wird nur dann effektiv Rechnung getragen, wenn der Familienverband durchgängig aufrechterhalten wird. Diesen in Art. 23 RL 2011/95/EU zum Ausdruck kommenden unionsrechtlichen Vorgaben wird nur dann genügt, wenn für die relevante Frage der Minderjährigkeit nicht nur bei § 26 Abs. 2 AsylG, sondern auch beim „Elternschutz“ des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf den früheren Zeitpunkt der Asylantragstellung und nicht denjenigen der mündlichen Verhandlung abgestellt wird.
25 
Das Unionsrecht gibt einen einheitlichen Schutz des Familienverbandes vor, womit ein gespaltenes Schutzniveau abhängig davon, ob Eltern zu ihren Kindern ziehen oder umgekehrt, nicht zu vereinbaren wäre. Es wäre widersprüchlich, beim Familienflüchtlingsschutz für Eltern, die zu ihren Kindern ziehen (§ 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG), andere Maßstäbe anzulegen als im umgekehrten Fall, in dem Kinder den Flüchtlingsschutz von den stammberechtigten Eltern (§ 26 Abs. 2 AsylG) ableiten. Denn in beiden Fällen geht es um die Wahrung des im Fluchtstaat (neu) bestehenden Familienverbandes (Art. 23 Abs. 1 RL 2011/95/EU) und die Integration der nahen Angehörigen eines Stammberechtigten. Die beiden Schutztatbestände in § 26 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG basieren auf derselben unionsrechtlichen Grundlage und unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Person des zuziehenden Familienmitglieds.
26 
Es wäre gleichfalls mit Blick auf das einheitliche Schutzziel des Art. 23 RL 2011/95/EU nicht nachvollziehbar, minderjährige Stammberechtigte, zu denen ein Elternteil zuziehen will (§ 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG), schlechter zu stellen als solche, zu denen ein Geschwisterkind zuziehen will (§ 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Während im ersten Fall die Eltern – stellte man auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ab – Flüchtlingsschutz nur erhielten, wenn das stammberechtigte Kind im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch minderjährig ist, reicht es nach der – soweit ersichtlich einhelligen – verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. hierzu etwa VG Hamburg, Urt. v. 13.11.2013, 8 A 214/12 -, juris; VG Sigmaringen, Urt. v. 21.04.2017 - A 3 K 3159/16 -, juris) im zweiten Fall aus, dass der Stammberechtigte bei Asylantragstellung des zuziehenden Geschwisterkindes (das bereits nach dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylG ebenfalls minderjährig sein muss) noch minderjährig ist. Ein solches Ergebnis wäre insbesondere deshalb unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Vorgaben zweifelhaft, weil der Zuzug von Geschwistern nicht von der Richtlinie 2011/95/EU gefordert wird, der Zuzug von Eltern dagegen schon (vgl. gemäß Art. 23 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Buchst. j) RL 2011/95/EU).
27 
Eine vollständige Umsetzung der RL 2011/95/EU verlangt daher, dass Familienflüchtlingsschutz gewährt werden muss, sobald bei Entstehung des Familienverbandes im Fluchtstaat und erfolgter Asylantragstellung die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.
28 
b) Den Gesetzesmaterialien kann nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber bei Einführung des § 26 Abs. 3 AsylG zwar den schutzberechtigten Personenkreis erweitern, ihm allerdings – entgegen dem unionsrechtlichen Schutzzweck – ein verringertes Schutzniveau zusprechen wollte. Vielmehr ist auch unter Berücksichtigung der Historie davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz lediglich der unionsrechtlich gebotenen Erweiterung des geschützten Personenkreises Rechnung tragen und hinsichtlich des maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes in Absatz 2 und 3 des § 26 AsylG nicht differenzieren wollte.
29 
Die Überlegung, dass sich die – behördliche und gerichtliche – Verfahrensdauer nicht nachteilig auf das Entstehen des Familienasyls auswirken soll, hat den Gesetzgeber im Fall des zu seinen stammberechtigten Eltern zuziehenden Minderjährigen (§ 26 Abs. 2 AsylG) dazu bewogen, auf den – frühen – Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (so ausdrücklich die „Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses - 4. Ausschuss“, BT-Drs. 12/2718 v. 02.06.1992, S. 60). Es liegt auf der Hand, dass diese Erwägung im hier vorliegenden Fall der zu ihren Kindern nachziehenden Eltern (§ 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG) gleichermaßen Geltung beansprucht. Gründe für eine unterschiedliche Behandlung drängen sich weder auf noch können sie den Gesetzesmaterialien entnommen werden. In der Begründung des Richtlinienumsetzungsgesetzes wird nicht erläutert, weshalb § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht nennt. Dort wird lediglich mitgeteilt, dass § 26 Abs. 2 AsylVfG unverändert bleiben könne und in § 26 Abs. 3 Satz 1 der „Familienschutz erstmalig auf die Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter“ ausgedehnt werde (BR-Drs. 218/13, S. 30). Aus der Historie ergibt sich damit einzig, dass der schutzberechtigte Personenkreis ausgedehnt werden, nicht dagegen, dass die Erweiterung Änderungen hinsichtlich des maßgeblichen Beurteilungszeitpunktes nach sich ziehen sollte. Sofern der Gesetzgeber einen unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkt intendiert hätte, wäre angesichts seines erklärten Ziels, den Familienschutz auf die Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter auszudehnen, zu erwarten gewesen, dass er dies im Zuge der Rechtsänderung bekundet und in der Begründung des Entwurfs des Richtlinienumsetzungsgesetzes – ggf. die Gründe für die unterschiedliche rechtliche Betrachtung benennend – äußert. Da dies jedoch – im Übrigen auch nachträglich – unterblieben ist, muss davon ausgegangen werden, dass auch beim „Elternschutz“ des § 26 Abs. 3 AsylG der Zeitpunkt der Asylantragstellung maßgeblich sein sollte.
II.
30 
Die Kläger haben jedoch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund eigener politischer Verfolgung nach § 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
31 
1. Den Klägern kommt die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht zugute. Denn sie sind nach ihren eigenen Angaben bürgerkriegsbedingt geflohen und waren daher keiner anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt.
32 
2. Eine begründete Furcht der Kläger vor flüchtlingsrelevanter Verfolgung ergibt sich auch nicht aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem sie Syrien verlassen haben.
33 
a) Die illegale Ausreise der Kläger sowie ihre Asylantragstellung und ihr Aufenthalt im westlichen Ausland begründet – ohne das Hinzutreten weiterer Risikofaktoren – keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an und nimmt auf dessen Urteile vom 09.08.2017 (- A 11 S 710/17 -, DVBl 2017, 1317) und 21.08.2017 (- A 11 S 513/17 -, n. v.) vollumfänglich Bezug. Es lässt sich nicht feststellen, dass der syrische Staat jedem für längere Zeit ausgereisten syrischen Staatsangehörigen, der im Ausland ein Asylverfahren betrieben hatte und wieder zurückkehrt, pauschal unterstellt, ein Regimegegner zu sein, auch wenn keine besonderen zusätzlichen Anhaltspunkte bzw. gefahrerhöhende Merkmale vorliegen (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 -, DVBl 2017, 1317; Urt. v. 21.08.2017 - A 11 S 513/17 -, n. v.; vgl. ferner OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 21.02.2017 - 14 A 2316/16.A -, DVBl 2017, 639; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris; OVG Saarland, 22.08.2017 - 2 A 262/17 -, juris; BayVGH, Urt. v. 21.03.2017 - 21 B 16.31013 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 29.03.2017 - 3 L 249/16 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.11.2017 - 3 B 12.17 -, juris; OVG Niedersachsen, Urt. v. 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, juris).
34 
b) Im Fall der Kläger sind keine risikoerhöhenden Faktoren ersichtlich. Insbesondere vermag der Vortrag der Kläger, ihnen drohe bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien eine flüchtlingsrelevante Reflexverfolgung, weil sie ihre Söhne unterstützt hätten, sich dem Militärdienst zu entziehen, keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Das erkennende Gericht schließt sich auch insoweit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 -, DVBl 2017, 1317) an und nimmt vollumfänglich auf diese Bezug. Eine die Flüchtlingseigenschaft begründende Reflexverfolgung ist demnach nur anzunehmen, wenn die Angehörigen – hier die Kläger – in irgendeiner Weise als Gegner des herrschenden Regimes in Erscheinung getreten waren (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 -, DVBl 2017, 1317 unter Verweis auf Danish Refugee Council vom September 2015, S. 19 und Amnesty International Between Prison and the Grave vom November 2015, S. 48 ff.). Dies ist bei den Klägern indes nicht der Fall. Ein dementsprechender substantiierter Vortrag ist weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren erfolgt.
35 
Eine politische Verfolgung können die Kläger schließlich auch nicht aus dem schweren Giftgasangriff herleiten, der sich am 04.04.2017 in ihrer Heimatstadt Chan Schaichun ereignet hat. Denn insoweit fehlt es an der erforderlichen Verknüpfung zwischen einem Verfolgungsgrund (§ 3b AsylG) und der (drohenden) Rechtsgutsverletzung, die im Sinne einer „objektiven Gerichtetheit“ festzustellen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55).
III.
36 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 08. Feb. 2018 - A 2 K 7425/16

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 08. Feb. 2018 - A 2 K 7425/16

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen
Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 08. Feb. 2018 - A 2 K 7425/16 zitiert 13 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 26 Familienasyl und internationaler Schutz für Familienangehörige


(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn 1. die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,2. die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Sta

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 36 Nachzug der Eltern und sonstiger Familienangehöriger


(1) Den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative, eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nac

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 73 Widerrufs- und Rücknahmegründe


(1) Die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer1.sich freiwillig erneut dem Schutz d

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 2 Eintritt der Volljährigkeit


Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 12 Handlungsfähigkeit


(1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ist ein volljähriger Ausländer, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuches geschäftsunfähig oder in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt z

Referenzen - Urteile

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 08. Feb. 2018 - A 2 K 7425/16 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 08. Feb. 2018 - A 2 K 7425/16 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 21. März 2017 - 21 B 16.31013

bei uns veröffentlicht am 21.03.2017

Tenor I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 3. August 2016 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhob

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 02. Mai 2017 - A 11 S 562/17

bei uns veröffentlicht am 02.05.2017

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 18. Januar 2017 - A 5 K 4182/16 - wird zurückgewiesen.Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.Die Revision wird ni

Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 21. Apr. 2017 - A 3 K 3159/16

bei uns veröffentlicht am 21.04.2017

Tenor Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 05.08.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.Die Beklagte trägt die Kosten des gericht

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 29. März 2017 - 3 L 249/16

bei uns veröffentlicht am 29.03.2017

Gründe 1 I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 7. Kammer - vom 8. November 2016 hat keinen Erfolg. 2 1. Die Klägerin hat den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 16. Dez. 2016 - 1 A 10922/16

bei uns veröffentlicht am 16.12.2016

weitere Fundstellen ... Diese Entscheidung wird zitiert Tenor Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Juni 2016 wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger; Gericht

Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 05. Feb. 2014 - 8 A 1236/12

bei uns veröffentlicht am 05.02.2014

Tenor 1. Die Beklagte wird – unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 2 bis 4 des Bescheids vom 10. Dezember 2012 – verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Gerichtskosten
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 08. Feb. 2018 - A 2 K 7425/16.

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 20. Sept. 2018 - Au 5 K 18.31209

bei uns veröffentlicht am 20.09.2018

Tenor I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Juni 2018 wird in den Nrn. 1, 3, 4, 5 und 6 aufgehoben. II. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuer

Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 23. Mai 2018 - A 1 K 17/17

bei uns veröffentlicht am 23.05.2018

Tenor Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger zu 1. den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und festzustellen, dass bezüglich der Kläger zu 2. - 6. Abschiebungsverbote nach §

Referenzen

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 18. Januar 2017 - A 5 K 4182/16 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, dem bereits der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der 1976 geborene Kläger ist ausweislich von im Verwaltungsverfahren vorgelegten Kopien von Identitätsdokumenten ein aus Syrien stammender palästinensischer Volkszugehöriger. Er reiste im Sommer 2015 mit zwei Söhnen, seiner Schwester und einem Neffen über den Landweg in das Bundesgebiet ein und stellte am 5. August 2015 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 15. Juni 2016 brachte der Kläger im Wesentlichen vor, er habe sich bis zu seiner Ausreise in Damaskus aufgehalten. Seinen Wehrdienst habe er von 1995 bis 1998 abgeleistet. Er habe als Krankenwagen-Fahrer gearbeitet und sei deswegen oft in Gefahr gewesen, weshalb er seinen Job habe wechseln wollen. Er habe dann einen Transporter gehabt, mit dem er die Angestellten des Krankenhauses nach Hause gefahren habe. Zwei seiner Kollegen seien entführt worden. Daraufhin habe er Angst bekommen und gekündigt. Nach zwischenzeitlichem viermonatigem Aufenthalt im Libanon im Jahre 2013 habe er nach seiner Rückkehr in Syrien keine Arbeit mehr gehabt. Wegen der schlimmen Lage und des Krieges habe er sich zur Ausreise entschlossen. Für den Fall einer Rückkehr fürchte er, zum Militär einberufen zu werden.
Mit Bescheid vom 28. September 2016, zugestellt am 30. September 2016, erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger (und seinen beiden Söhnen) subsidiären Schutz zu, lehnte den Asylantrag im Übrigen aber ab. Aufgrund des „fehlenden Vortrags zu möglichen individuellen konkreten Verfolgungsgründen" lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vor.
Der Kläger erhob am 12. Oktober 2016 Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen. Zu deren Begründung nahm er im Wesentlichen auf die bisherige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg Bezug. Die Lage und Entwicklung in Syrien hätten sich nicht in einer Weise geändert, dass die zugrunde liegenden Einschätzungen in Frage zu stellen seien. Mehr denn je sei davon auszugeben, dass syrischen Staatsangehörigen, namentlich Männern im wehrfähigen Alter und damit auch ihm, aufgrund ihrer Flucht aus Syrien bereits eine Regimegegnerschaft unterstellt werde, derentwegen sie mit Verfolgung rechnen müssten.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Durch Gerichtsbescheid vom 18. Januar 2017 verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 28. September 2016, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Zur Begründung führte es aus: Unabhängig von einer etwa bestehenden Vorverfolgung müssten grundsätzlich alle aus Deutschland zurückkehrende Syrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, Verfolgungshandlungen zu erleiden, die an eine ihnen vom Regime zugeschriebene regimefeindlichen Einstellung anknüpften. Im Falle des Klägers komme gefahrerhöhend hinzu, dass er im wehrdienstpflichtigen Alter sei und daher Gefahr laufe, bei der Wiedereinreise wegen seines Auslandsaufenthalts auch wegen einer Wehrdienstentziehung verhört und menschenrechtswidrig behandelt zu werden. Auch müsse er damit rechnen, im Falle der Einziehung sich an Handlungen beteiligen zu müssen, die sich gegen den Frieden richteten oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen würden. Wiederum gefahrerhöhend komme hinzu, dass der Kläger palästinensischer Volkszugehöriger sei.
Am 7. Februar 2017 stellte die Beklagten einen Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Senat durch Beschluss vom 2. März 2017 entsprach.
Am 13. März 2017 begründete die Beklagte die Berufung unter Stellung eines Antrags. Es gebe keine hinreichend verlässlichen Auskunftsquellen und Erkenntnisse, wonach Rückkehrern bei der Wiedereinreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit überhaupt eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung drohe. Abgesehen davon gebe es auch keine hinreichend verlässlichen Informationen, wonach das syrische Regime in jedem Rückkehrer aus Europa einen potentiellen Regimegegner sehe. Was eine mögliche Gefährdung wegen einer Wehrdienstentziehung betreffe, so sei nicht davon auszugehen, dass der syrische Staat insoweit an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal anknüpfe.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 18. Januar 2017 - A 5 K 4182/16 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er macht sich die Ausführungen im angegriffenen Urteil zu Eigen.
15 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung angehört. Insoweit wird auf die Niederschrift vom 2. Mai 2017 verwiesen.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
17 
Dem Senat lagen die Akten des Bundesamts sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor.

Entscheidungsgründe

 
18 
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat sie zu Recht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
19 
I. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren (Nr. 3), sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht (vgl. § 3e AsylG).
20 
Ob die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3b AsylG) einerseits und den erlittenen oder bevorstehenden Rechtsgutsverletzungen bzw. dem fehlenden Schutz vor solchen Handlungen andererseits besteht, ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit festzustellen (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 Rn. 24). Die Verknüpfung ist also anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 13). Es kommt demzufolge nicht auf die ohnehin kaum feststellbaren (künftigen) subjektiven Vorstellungen der jeweils für den Akteur im Sinne des § 3c AsylG handelnden Person(en) an (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 a.a.O.). Hier gilt nichts anderes als für das nationale Asylrecht nach Art. 16a GG (vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 -, BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.>; vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <334 f.>; vom 10.12.1991 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 und vom 11.02.1992 - 2 BvR 1155/91 -, InfAuslR 1992, 152 <154>).
21 
Diese Verknüpfung geht grundsätzlich auch nicht verloren, wenn mit der Verfolgungshandlung weitere, flüchtlingsrechtlich neutrale Zwecke verfolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zum nationalen Asylrecht schon entschieden, dass auch in Fällen, in denen der Staat das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität verteidigt, eine staatliche Verfolgung vorliegen kann (BVerfG, Beschluss vom 10.07. 1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, BVerfGE 80, 315-353; Beschluss vom 12.07.1993 - 2 BvR 855/93 -, juris). Für das unionsrechtliche und das internationale Flüchtlingsrecht nach der Genfer Konvention gilt nichts anderes (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24/08 -, BVerwGE 135, 252 Rn. 16).
22 
Soweit in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Anforderungen an das Maß der Intensität der flüchtlingsrelevanten Zielrichtung des Handelns besteht - die Maßstäbe reichen von einer „Relevanz“ bzw. „contributing factor(s)“ bis hin zu „essential and significant reason(s)“ (vgl. Göbel-Zimmermann/Hruschka, in: Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 3a AsylG Rn. 19; Hathaway, International Refugee Law: The Michigan Guidelines on Nexus to a Convention Ground, 2002, 210 <217> Rn. 13; Guide to Refugee Law in Australia: Chapter 5 - AAT, September 2016, http://www.aat.gov.au) - ist dies nicht entscheidend, wenn der flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgrund nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass auch die Verfolgung entfiele (sog. „but for-test“, vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 3a AsylG Rn. 53, m.w.N.), da in solchen Fällen die erforderliche Intensität nach allen Auffassungen vorliegt.
23 
Es kommt zuletzt nicht darauf an, ob der Verfolgte diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG und Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EZ des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) (ABl. L 337 S. 9)– im Folgenden Anerkennungsrichtlinie). Hierher rechnet auch der Fall, dass der Betreffende seitens des Verfolgers nur verdächtigt wird, ein solches Merkmal zu erfüllen und die Verfolgungsmaßnahme hier ansetzt, um eine entsprechende Feststellung zu treffen (vgl. hierzu schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris, m.w.N.). Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine (bestimmte) Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
24 
Von diesen Maßstäben ausgehend und unter Berücksichtigung des prognostischen Charakters der Frage nach einer begründeten Furcht des Schutzsuchenden bei dessen Rückkehr sowie dessen sachtypischen Beweisnotstandes - der gerade in Bezug auf die Frage nach der Motivationslage des (potentiellen) Verfolgers offen zu Tage liegt - kann die Zielrichtung des Verfolgers, die unbeschadet der dargestellten objektivierten Betrachtungsweise als Intention ein subjektives Merkmal darstellt, aus den objektiven Gegebenheiten, so wie sie sich aktuell darstellen und aller Voraussicht nach entwickeln werden, zu folgern sein.
25 
So hat das Bundesverfassungsgericht zur Gerichtetheit in Asylfällen schon ausgeführt, dass auch die Verfolgung von Straftaten, die sich - zunächst - nicht als politische Verfolgung darstellt, in politische Verfolgung umschlagen kann, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene gleichwohl wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt wird. Es hat daraus die Vermutungsregel zu Gunsten einer (politischen) Verfolgung abgeleitet, wenn der Flüchtling eine Behandlung erleidet, die härter ist als die sonst zur Verfolgung ähnlicher - nicht politischer - Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat übliche (Beschluss vom 10.07.1989, a.a.O.).
26 
Nach Auffassung des Senats gilt für den unionsrechtlichen Flüchtlingsschutz nichts anderes. Weder Art. 9 noch Art. 10 der Anerkennungsrichtlinie lassen einen Ansatz für eine abweichende Sichtweise erkennen. Die Funktion des völkerrechtlichen wie auch unionsrechtlichen effektiven Flüchtlingsschutzes ist darauf gerichtet, politische und soziale Erscheinungsformen staatlichen wie nicht-staatlichen Handelns in der objektiven Lebenswirklichkeit gesamtheitlich zu bewältigen, was eine Fragmentierung in vielfältige und unüberschaubare individuelle Sichtweisen bzw. Handlungsmotive der verschiedenen Akteure verbietet; der Fokus der Betrachtung muss daher darauf gerichtet sein, wie sich der Eingriff in der politischen wie sozialen Realität darstellt und wie er diese beeinflusst bzw. auf diese einwirkt. Anders ausgedrückt: Entscheidend ist, wie der oder die Verfolgte die jeweilige auf sich bezogene Maßnahmen hinsichtlich ihrer Zielrichtung nach objektivierter Betrachtungsweise einschätzen kann oder konnte.
27 
Die Diskussion darüber, ob auf die Intention des potentiellen Verfolgers abzustellen sei oder nicht (vgl. dazu Dörig, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, S. 1182 f.) geht daher nach Auffassung des Senats ins Leere, soweit sie als Gegensatz von objektiver und subjektiver Gerichtetheit zu verstehen sein sollte.
28 
Und auch eine Beweisregel, die es zur Voraussetzung machte, dass die Intention stets für sich genommen festzustellen sei, mit der Folge, dass deren Ableitung aus den feststellbaren objektiven Gegebenheiten ausscheiden müsste, stünde nach all dem nicht im Einklang mit der Zweckrichtung des Flüchtlingsrechts. Da die Chancen des Schutzsuchenden, die reale Gefahr von Verfolgung direkt zu belegen eher die Ausnahme als die Regel ist, kann eine solche auch alleine auf verlässliche Herkunftslandinformationen zu stützen bzw. daraus abzuleiten sein (so treffend Hathaway/Foster, a.a.O., S. 122, m.w.N.). Für die Feststellung einer Verfolgungsintention kann nichts anderes gelten.
29 
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, InfAuslR 2011, 408). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut vorn solcher Verfolgung bedroht ist, Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungsrichtlinie. In der Vergangenheit liegenden Umständen kommt damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., S. 332 ff, 339 ff.). Erst in dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur. Für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden, vgl. § 3b Abs. 2 AsylG.
30 
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Ist der Schutzsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine qualifizierte und bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der konkreten Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
31 
Eine so verstandene wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann aber gerade auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise für dessen Eintritt ein Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der - auch deutlich - unter 50 v.H. liegt (vgl. auch Berlit, ZAR 2017, 110 < 115 f.>). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen in ihrer Bedeutung überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Allerdings reicht die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung noch nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen.
32 
Ergeben alle Umstände des Einzelfalles jedoch die „tatsächliche Gefahr“ (sog. „real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Er wird bei der Abwägung aller Umstände im Übrigen auch immer die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen entscheidungserheblichen und motivationsbildenden Unterschied machen, ob er etwa lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber schwere Misshandlungen bzw. Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (schon BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 <169 f.> m.w.N. und erneut Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, AuAS 2008, 118). Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen, auf die bei der Bewertung der drohenden Gefahr abzustellen ist (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389).
33 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gewonnen haben muss.
34 
In diesem Zusammenhang sehen sich die Rechtsanwender nicht selten mit der Situation konfrontiert, dass keine relevante und größere Zahl von Referenzfällen zu bestimmten Verfolgungsszenarios bekannt geworden ist und auch individualisierbar belegt werden kann. Es handelt sich um eine für den Flüchtlingsschutz grundlegende und nicht untypische Problemstellung. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei Regimen, die weitgehend außerhalb rechtstaatlicher und menschrechtlicher Grundsätze operieren und bei denen eine menschenverachtende Verfolgungspraxis ein allgegenwärtiges Phänomen darstellt, Folterungen und Misshandlungen nach außen hin nicht zuverlässig und umfassend dokumentiert werden können, sondern sich weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, wenn nicht gar im Verborgenen in einer Grauzone abspielen.
35 
Unter solchen Umständen kommt den in den einzelnen Erkenntnisquellen dargelegten Berichten zur allgemeinen Menschenrechts- und Verfolgungssituation in dem betreffenden Herkunftsland hervorgehobene Bedeutung zu. Aus ihnen sind Schlussfolgerungen auch auf die den Einzelnen treffende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ziehen. Demgemäß können auch allgemeine Erkenntnisse zur Verfolgungssituation eines Landes in Verbindung mit einer nur begrenzten Anzahl bekannt gewordener Verfolgungsfälle im Einzelfall die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass in Wahrheit die Zahl der tatsächlichen Verfolgungsfälle erheblich über der der dokumentierten Sachverhalte liegt bzw. für den Zeitpunkt der Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland liegen wird. Dagegen kann eine Flüchtlingsanerkennung nicht ausschließlich von einer nach Person und Schicksal der Opfer genau spezifizierten Auflistung von konkreten Verfolgungsfällen abhängen. Denn dies würde bedeuten, dass eine Verfolgungswahrscheinlichkeit für solche Länder zu verneinen wäre, deren Repressionspraxis zwar allgemein bekannt ist, aber nicht in ihren Abläufen im Einzelnen offen zu Tage liegt, weil sie naturgemäß abgeschirmt im Geheimen stattfindet und - oftmals um der Aufrechterhaltung eines gewissen Scheines - das Licht der Öffentlichkeit scheut, weshalb auch konkreten Opfer nach Person und Zahl weitgehend unbekannt bleiben müssen.
36 
II. Gemessen hieran droht dem 1976 geborenen Kläger, der bereits Wehrdienst geleistet hat, aber als Reservist nach wie vor wehrpflichtig ist, Verfolgung, weil er bei einer Rückkehr konkret von Strafverfolgung oder Bestrafung bedroht ist, zumindest aber muss er mit menschenwidriger Behandlung oder Folter bei Verhören bzw. Befragungen durch den syrischen Staat rechnen, weil er sich durch eine unerlaubte Ausreise aus Syrien und einem Verbleib im Ausland dem Militärdienst entzogen hat.
37 
1. In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ethnischem oder religiösem Hintergrund (vgl. zu alledem ausführlich SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2914; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting Syrian Regime and armed Opposition v. 23.08.2016) wie auch für Palästinenser, die in Syrien leben (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien - im Folgenden BFA - vom 05.01.2017, S. 37; Deutsches Orient-Institut an HessVGH vom 01.02.2017), gilt; auch Oppositionelle werden einberufen. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren; mehrere Auskünfte verweisen allerdings auf Quellen, wonach die Wehrpflicht in der Praxis gegenwärtig bis zum 50. bzw. sogar bis zum 52. Lebensjahr ausgeweitet wird (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 8).
38 
Ausnahmen von der Wehrpflicht werden - von Bestechungen abgesehen - in eng begrenzten Fällen gemacht, so etwa bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Gesetze und Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten - hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens bis 27 Jahre (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015). Die Regelungen gelten wohl teilweise zwar formal weiter, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur mehr sehr eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 3; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 9).
39 
Ebenso geraten zunehmend auch noch nicht 18 Jahre alte Jugendliche vornehmlich an den zahlreichen im ganzen Land verstreuten Checkpoints in den Blick der Sicherheitskräfte und des Militärs und laufen Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden. Allerdings sind, was die Rekrutierung minderjähriger Syrer für das syrische Militär und deren Ausmaß betrifft, nicht völlig deckungsgleich, was aber hier keiner Vertiefung bedarf (Danish Refugee Council, „Syria: Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty an Recruitment to the YPG“, September 2015, S. 11; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 4; BFA S. 23 f.; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 5).
40 
Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014). Entlassungen aus dem Militärdienst sind nach den verwerteten Erkenntnismitteln seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung eher zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (BFA S. 24; Finnish Immigration Service, a.a.O, S. 12.).
41 
Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt; aufgrund der prekären Personalsituation gibt es gegenwärtig kein festgesetztes Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten mehr, vielmehr werden nach den vorliegenden Auskünften im Einzelfall - je nach Ausbildung und bisheriger Tätigkeiten für die Armee - Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet (Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 8; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 5).
42 
Seit dem Herbst 2014 werden Reservisten in großem Stile eingezogen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Die syrische Armee hat nach mehreren Quellen mit örtlichen Generalmobilmachungen begonnen, neue Checkpoints etabliert und Razzien im privaten und öffentlichen Bereich intensiviert, um Reservisten zu finden, die sich bislang dem Dienst entzogen haben. Die Vorgehensweise wird als zunehmend aggressiv beschrieben (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 5). In wenigen Monaten wurden zehntausende Personen (zwangs-)rekrutiert und es existieren Berichte, wonach im Frühjahr 2015 Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen, an den Checkpoints der syrischen Armee zirkulierten (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 6 f.; Danish Refugee Council, a.a.O.). Bei der Einberufung von Reservisten, die auf Grundlage des Kriegsrechts innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird offenbar keine Unterscheidung zwischen Anhängern bzw. Unterstützern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014).
43 
Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; Deutsches Orient Institut, Auskunft an schl.-holst. OVG vom 07.11.2016; UNHCR, „Illegal Exit“ from Syria and Relates Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria, February 2017; S. 6 - im Folgenden „Illegal Exit“ - S. 3 f.). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres wird die Ausreise erschwert, indem Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016 S. 4 f.; BFA S. 24).
44 
Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet (vgl. Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 8 f.). Nach dessen Artikel 98 wird, wer sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden in Artikel 101 fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Bereits die nicht genehmigte und somit unerlaubte Ausreise wird wie ein Wehrdienstentzug geahndet (AA Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
45 
Nach der sich dem Senat bietenden Erkenntnislage lässt sich feststellen, dass nach der Ergreifung einer Person, die sich der Einberufung oder Mobilisierung entzogen hat, die Untersuchungsmaßnahmen und eine sich möglicherweise anschließende, auch längere Haft mit Folterungen einhergehen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Deutsches Orient Institut an schl.-holst. OVG vom 07.11.2016). Es gibt Quellen, wonach Rekruten, denen das Regime nicht traut, mitunter in den Kampfeinsatz an die Front geschickt werden, um ihre Motivation zu kämpfen zu erhöhen (Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 10). Männer, die von Sicherheitsdiensten aufgegriffen werden, werden meistens vom militärischen Sicherheitsdienst oder dem Luftwaffensicherheitsdienst verhaftet. Das Office of United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) hat bei beiden Sicherheitsdiensten Fälle von Folter dokumentiert. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt. Viele Männer, die im Rahmen dieser Maßnahmen einberufen werden, erhalten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und werden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt.“ (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee,28.03.2015, S. 3 f.).
46 
2. Die Überzeugung des Senats, dass Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter im Zusammenhang mit den drohenden Ermittlungen und Bestrafungen auch Folterungen drohen, gründet sich neben den zitierten Quellen auch auf die folgenden Erkenntnisse, die sich auf die allgemeine Situation bei Inhaftierungen beziehen.
47 
Es lässt sich feststellen, dass die syrischen Sicherheitsbehörden weit außerhalbrechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Grundsätze operieren und eine menschenverachtender Verfolgungspraxis an den Tag legen (von den durchgängig beschriebenen unfairen Verfahren, wenn einmal ein Gericht befasst sein sollte, vgl. UNHCR, Ergänzende aktuell Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 9).
48 
Aus mehreren Berichten von amnesty international lässt sich seit Beginn des Bürgerkriegs eine endemische Zunahme von Misshandlungen und Folter einschließlich Verschwindenlassen der Betroffenen entnommen werden (vgl. ai, „Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria“, August 2011, S. 9 ff. und nunmehr auch ai, „It breaks the human“, torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 12 ff. und passim bzw. ai „Human Slaughterhouse“ Februar 2017). Es handelt sich um Praktiken, die von Seiten des syrischen Regimes seit Jahrzehnten systematisch eingesetzt werden, um jede Opposition und jeden Widerstand zu unterdrücken bzw. zu zerschlagen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien vom 05.01.2017 – im Folgenden BFA – S. 19 f.) Je mehr das syrische Regime in Bedrängnis geriet und destabilisiert wurde, desto stärker und rücksichtloser wurde gegenüber wirklichen und vermeintlichen Regimegegner vorgegangen, um über die ohnehin schon von den Geheimdiensten beobachtete und unterwanderte Exilszene (vgl. hierzu etwa Verfassungsschutzbericht 2015 des Bundesministeriums des Innern, S. 263 ff.). So wird übereinstimmend in den verwerteten Erkenntnismitteln davon berichtet, dass Folter, Misshandlungen, willkürliche Verhaftungen und Verschwindenlassen seit Jahren und bis heute zu den gängigen Praktiken der syrischen Sicherheitsorgane gehören. Hiervon sind nicht nur unmittelbar Regimekritiker oder Regimegegner betroffen, sondern auch unbeteiligte, die als Geiseln genommen werden und von den Informationen erpresst werden sollen, namentlich sind in beträchtlichem Ausmaß auch Familienangehörige, selbst kleinere Kinder betroffen (vgl. etwa SFH, „Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 25.01.2017 zu Syrien: Reflexverfolgung“ mwN; BFA S. 27). Insbesondere nach der bereits angesprochenen Dokumentation von amnesty international („It breaks the human“ von 2016; vgl. auch den Report Syrien 2016/2017, S. 6 f.) sind mindestens 17.723 Personen zwischen den Jahren 2011 und 2015 in Haft auf abscheuliche Weise getötet worden, wobei allerseits nachvollziehbar davon ausgegangen wird, dass die Dunkelziffer beträchtlich ist, weshalb die Zahl erheblich höher sein muss.
49 
In - abstoßender Weise - beeindruckend ist die Dokumentation von Human Rights Watch „If the Dead Could Speak – Mass Deaths and Torture in Syria’s Facilities“ vom 16. Dezember 2015, in der eine Vielzahl der 53.275 sog. „Caesar“-Photos, die im August 2013 von einem Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt worden waren. Human Rights Watch erhielt alle Bilder von der Syrischen Nationalbewegung, einer regierungskritischen, politischen Gruppe, die die Fotos direkt von „Caesar“ bekommen hatte. Der Bericht konzentriert sich auf 28.707 dieser Fotos, die allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene zeigen, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben sind. Die restlichen Fotos zeigen Orte, an denen Angriffe verübt wurden, oder Leichen, die namentlich identifiziert sind, darunter überwiegend Regierungssoldaten, bewaffnete Kämpfer und bei Angriffen, Explosionen oder Attentaten getötete Zivilisten.
50 
Das U.S. State Department berichtet auch im neuesten „Country Report on Human Rights Practices Syria 2016“ (vgl. auch schon den entsprechenden Bericht für das Jahr 2015) ausführlich und umfassend über - weiter zunehmende - schwerste Menschenrechtsverstöße in Syrien. Willkürliche und extralegale Tötungen, Folterungen und Verschwindenlassen von Personen jeder Herkunft und ungeachtet des konkreten Hintergrundes (eingeschlossen von - nicht nur nächsten - Familienangehörigen) sind hiernach an der Tagesordnung. In besonderem Maße werden auch hervorgehoben die weit verbreiteten sexuellen Erniedrigungen bis zu Vergewaltigungen (von Frauen wie Männern), die zu gängigen Praktiken geworden sind, um die Opfer zu brechen und aussagebereit zu machen. Dieses findet nicht nur statt in eigentlichen Gefängnissen, sondern auch in gleichem Maße in sonstigen Gewahrsams- und Verhörzentren der Geheimdienste, aber auch von militärischen Verbänden, wie v.a. der Luftwaffe (vgl. auch SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 26.10.2015: Geheimdienst; BFA S. 17). Ein hervorzuhebender Anlass dieser Maßnahmen sind die Festnahmen an den landesweit eingerichteten Kontrollstellen, vor denen die Bevölkerung panische Ängste haben soll, weil grundsätzlich jeder ohne Ansehen der Person hiervon betroffen sein kann (vgl. etwa den Bericht der „Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republik“ vom 11.08.2016, Rz. 77 f.) und häufig die betroffenen Personen verschwinden und nie mehr wieder gesehen werden.
51 
Die im Jahr 2014 und wohl auch in den Jahren 2015 und 2016 verkündeten Amnestien, die erkennbar auch darauf abzielten, die Zahl der Rekrutierungen zu erhöhen, wurden immer davon abhängig gemacht, dass sich die Betreffenden innerhalb einer bestimmten Frist stellten, weshalb diese für die hier interessierende Fragestellungen nicht relevant sind (vgl. SFH, „Umsetzung der Amnestien“ 14.04.2015; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 12 f.; Accord vom 22.07.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 19; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 24).
52 
Bei einer Gesamtschau der herangezogenen Erkenntnismittel ist der Senat davon überzeugt, dass syrische Männer im wehrdienstfähigen Alter bei ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter durch syrische Sicherheitskräfte zu gewärtigen haben.
53 
So drohen denjenigen, die sich Einberufung oder Mobilisierung entziehen, bei einer Ergreifung Untersuchungen und Festnahmen teilweise mit längerer Haft und Folter (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Deutsches Orient Institut an schl.-holst. OVG vom 07.11.2016). Einige Quellen sprechen im Zusammenhang mit Desertion von lebenslanger Haft und Exekutionen (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23.03.2017, S. 10 f.; Danish Refugee Council, a.a.O.). Ferner gibt es Berichte von Personen, die als Rückkehrer im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst befragt und dauerhaft verschwunden sind (Dt. Botschaft Beirut an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 03.02.2016). Ferner gibt es Hinweise darauf, dass alle, die sich dem Regime entziehen - wie es Wehrdienstpflichtige tun, zumal wenn sie illegal ins Ausland reisen -, als Oppositionelle und je nach bisheriger Funktion als „Landesverräter“ betrachtet werden (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Andere Quellen halten Männer im wehrpflichtigen Alter für besonders gefährdet, bei der Einreise über den Flughafen oder auf dem Landweg Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu erfahren, insbesondere wenn sie ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben; so spricht eine Quelle davon, „military-aged men [are] the most vulnerable group in terms of treatment by Syrian authorities at points of entry“ (Immigration and Refugee Board of Canada, a.a.O.). Auch diejenigen, bei denen lediglich die Absicht der Desertion vermutet wird, werden als Gegner des Regimes betrachtet und haben gewaltsames Verschwinden, Haft und Folter zu gewärtigen (Amnesty International, „Between prison and the grave“, S. 44). Schließlich ergibt sich aus zahlreichen Quellen, dass für Desertion und Wehrdienstentzug mitunter auch Familienangehörige haftbar gemacht, zur Rechenschaft gezogen und unter Druck gesetzt werden (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 03.02.2016; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; BFA S. 27; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 13).
54 
Die Wahrscheinlichkeit, den genannten Foltermaßnahmen unterworfen zu werden, ist deshalb beachtlich, weil die Identifizierung der Betroffenen als männliche Personen im wehrdienstfähigen Alter bei der Einreise oder bei Kontrollstellen innerhalb des Landes leicht, schon nach äußerlichen Kriterien vornehmbar ist, und zwar sowohl bei der Einreise an den Grenzübergangstellen wie aber auch an einer der angesprochenen Kontrollstellen (vgl. auch Auswärtiges Amt vom 02.01.2017 an VG Düsseldorf; SFH, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee vom 28.03.2015; BFA S. 24). Zumindest droht eine vorübergehende Festnahme, auch wenn der Betroffene dann ohne Bestrafung direkt einer militärischen Einheit zugeführt werden sollte (vgl. hierzu Immigration and Refugee Board of Canada vom 19.01.2016; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 5).
55 
Schon bei der ersten Befragung ist nach den obigen Ausführungen mit erheblichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit, nämlich Misshandlung und Folter zu rechnen. Dass hier nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, dass alle Einreisenden ausnahmslos betroffen sein werden (vgl. Deutsches Orient Institut vom 01.02.2017 an Hess.VGH), ist für die Erfüllung des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit unerheblich. Der Umstand, dass der hier infrage kommende Personenkreis infolge der konkret bestehenden Wehrpflicht in besonderer Weise in das Visier der Sicherheitsorgane gekommen ist, wird dazu führen, dass er auch hervorgehobenem Maße gefährdet ist, wovon insbesondere UNHCR ausgeht (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 26 und UNHCR, „Illegal Exit“, S. 24 ff.). Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Betroffenen in Fahndungslisten aufgenommen werden, die an die Grenzübergänge verteilt werden, so dass schon bei der Einreise eine Identifizierung und Verhaftung bzw. Zwangsrekrutierung wahrscheinlich ist (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; BFA S. 24; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Immigration and Refugee Board of Canada, a.a.O.). Nach UNHCR („Illegal Exit“, S. 4) umfasst die Kontrolle bei den Einreisen regelmäßig eine Prüfung, ob die Betreffenden mit der entsprechenden Erlaubnis ausgereist waren. Ferner existieren mobile „Checkpoints“, die ebenfalls im Besitz der Listen sind und bei einem Datenbankabgleich feststellen können, ob der Betreffende seinen Wehrdienst abgeleistet hat bzw. als Reservist rekrutiert werden soll; auch hier kommt es zu Verhaftungen, Verschleppungen bzw. unmittelbarer Zwangsrekrutierung (BFA S. 22 ff.); Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 7; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 21). Das syrische Militär hat gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal, da es von circa 325.000 Soldaten bei Ausbruch des Krieges auf wohl etwa 150.000 Soldaten dezimiert worden ist (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 9; Finnisch Immigration Service, a.a.O., S. 6); um Wehrdienstverweigerer und Reservisten zu rekrutieren und so den Personalbedarf zu decken, finden immer wieder Durchsuchungen, Razzien und Massenverhaftungen statt (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 03.02.2016; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016 S. 4 f.; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; BFH S. 23). Auch ist für viele bürokratische Akte, etwa für Heiratszertifikate, eine Bewilligung des Militärs erforderlich (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Daher ist es für Wehrdienstverweigerer fast unmöglich, nach Syrien einzureisen oder gar in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu leben und sich dort zu bewegen, ohne aufgegriffen zu werden (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
56 
3. Im Falle des Klägers liegt auch der für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Verknüpfung der Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG vor.
57 
Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel lässt sich feststellen, dass die den syrischen Männern im wehrdienstfähigen Alter drohenden staatlichen Maßnahmen, die das übliche Maß einer strafrechtlichen Ahndung eines Wehrdienstentzugs auch in Kriegszeiten deutlich übersteigen, an eines der in § 3b Abs. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpfen.
58 
Eine realitätsnahe Bewertung des Charakters des gegenwärtigen syrischen Regimes und seiner bereits vorstehend eingehend beschriebenen Handlungen und Aktivitäten gegenüber seiner Bevölkerung lässt nach Überzeugung des Senats keine andere Deutung zu, als dass diese nach der allein maßgeblichen objektiven und nicht nach der auf die höchst subjektiven Motive der jeweiligen Akteure abstellenden Betrachtungsweise an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von jedenfalls § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG anknüpfen und im Sinne des § 3a Abs. 3 AsylG die erforderliche Verbindung gegeben ist.
59 
Die gegenläufige Auffassung der Beklagten und insbesondere des OVG Nordrhein-Westfalen (vgl. Urteil vom 21.02.2017 - 2316/16.A -, juris), des OVG Rheinland-Pfalz (vgl. Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG -, juris) wie auch des OVG des Saarlandes (Urteil vom 11.03.2017 - 2 A 215/17 -, juris) würdigt den Charakter des Regimes nach Auffassung des Senats nicht zutreffend.
60 
Das Regime ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht nur in besonderes abstoßender Weise über das Lebensrecht und die Menschenwürde der Personen, die in die Hände seiner Exekutoren fallen, hinwegsetzt, sondern auch bereits seit längerem eine durch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichneten Vernichtungskrieg vornehmlich auch gegen die Zivilbevölkerung führt, die in den von einer anderen Bürgerkriegspartei gehaltenen Gebieten, d.h. auf der „anderen Seite“ steht (vgl. nur beispielhaft die ins Einzelne gehende Darstellung und Auflistung der General Assembly in ihrem „Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republik“ vom 02.02.2017 und vom 11.08.2016; vgl. auch Human Rights Watch, „Syria: Coordinates Chemical Attacks on Aleppo - Security Council should impose Sanctions“ vom 13.02.2017; BFA S. 27).
61 
Hinzu kommt schließlich, dass das Regime mittlerweile - wenn nicht schon seit vielen Jahren - vollständig von einem „Freund-Feind-Schema“ als alles durchziehendes Handlungsmuster geprägt ist, das vereinfacht und etwas plakativ ausgedrückt damit beschrieben werden kann, dass „jeder, der nicht für mich ist, gegen mich ist“, jedenfalls solange als er nicht vom Gegenteil überzeugt hat (vgl. hierzu auch Deutsches Orient-Institut an HessVGH vom 01.02.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015: Arbeitsverweigerung).
62 
Auch weiterhin (vgl. bereits VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 A 11 S 2046/13 -, juris) vermag der Senat kein realistisches anderes Erklärungsmuster für das Vorgehen der syrischen Grenz- und Sicherheitsbehörden erkennen als dass hier an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal angeknüpft wird.
63 
Schon die besondere Intensität der real drohenden Verfolgungshandlungen indizieren hier die bestehende Gerichtetheit auf ein flüchtlingsrelevantes Merkmal hin (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 -, NVwZ 2009, 1035 <1036>). Eine abweichende Einordnung könnte allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, fernliegt.
64 
Der Annahme der Gerichtetheit steht es nicht entgegen, dass die Maßnahmen bei der Einreise möglicherweise im Rahmen der Aufklärung des zunächst allein bestehenden Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung zur Anwendung gelangen. Eine solche Differenzierung nach „Vorfeldmaßnahmen“ und einer „endgültigen“ Verfolgung nach Erhärtung des Verdachts einer abweichenden Gesinnung ist weder in der Anerkennungsrichtlinie, noch in der GFK noch im Asylgesetz angelegt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. sowie zu Art. 16a Abs. 1 GG kennt diese ebenfalls nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 -, NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 -, InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6).
65 
Sie ist auch inhaltlich nicht zu rechtfertigen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses - gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils - von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht.
66 
Dieser Schluss drängt sich bei Personen, die sich dem Wehrdienst durch Ausreise entzogen haben, bereits deswegen auf, weil ihr Verhalten aus Sicht des syrischen Regimes - und vermutlich auch bei objektiver Betrachtungsweise tatsächlich - zur Schwächung des totalitären Machtapparats in seinem Existenzkampf beigetragen hat. Bestehen ausgehend von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach realistischer Lagebeurteilung keine naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für eine fehlende Gerichtetheit, so ist - auch unter Berücksichtigung der Beweisnot der Betroffenen und der humanitären Zielsetzungen des Flüchtlingsrechts - von der naheliegenden und realistischen Alternative auszugehen. Aussagekräftige verwertbare Erkenntnismittel, die es nahe legen könnten, andere Schlussfolgerung auch nur in Betracht zu ziehen, existieren nicht; im Gegenteil: Das angesprochene „Freund-Feind-Schema“ ist seither nur noch viel deutlicher zutage getreten.
67 
Hinsichtlich der Verfolgungsgefahr für Reservisten der syrischen Armee unmittelbar bei einer Wiedereinreise nach einem längeren Auslandsaufenthalt, während dem um internationalen Schutz nachgesucht wurde, gilt überdies: Zwar rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund und wendet auch die strafrechtlichen Regelungen bezüglich Wehrdienstentziehung und Desertion vermutlich mehr oder weniger unterschiedslos auf alle syrischen Wehrpflichtigen an, so dass nicht bereits im Hinblick auf eine insoweit diskriminierende Praxis ein Verfolgungsgrund im Sinne von § 3b AsylG vorliegt. Dies Feststellung schließt aber die Annahme einer gerichteten Verfolgung ebenso wenig aus wie der Umstand, dass allen Personen, die sich der Wehrpflicht entziehen, in Syrien von Rechts wegen Verfolgung deshalb droht, weil sie mit der Dienstverweigerung eine Straftat begangen haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 6.80 -, NVwZ 1982, 41; vom 28.02.1984 - 9 C 81.81 -, InfAuslR 1985, 22; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83 -, NVWZ 1986, 459), die der Senat zugrunde legt, begründet die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung für sich genommen zwar noch nicht ohne weiteres die Asylerheblichkeit; für das Unionsrecht gilt nichts anderes (vgl. Marx. a.a.O., S. 73 ff. und EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 - NVwZ 2015, 575 Rn. 35).
68 
Auch wenn die politische Gerichtetheit einer generellen Maßnahme oder Regelung wie der Verpflichtung zum Waffendienst nicht immer offen zutage liegt, kann gleichwohl einer solchen Wehrpflicht neben ihrer allgemeinen - flüchtlingsrechtlich nicht einschlägigen - Zielrichtung auch eine Verfolgungstendenz innewohnen; eine solche kann etwa darin liegen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Anhaltspunkte für derartige Intentionen können sich aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht begründenden Regelungen, aus ihrer praktischen Handhabung, aber auch aus ihrer Funktion im allgemeinen politischen System der Organisation ergeben. Der totalitäre Charakter einer Staatsform, die Radikalität ihrer Ziele, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung sowie die menschrechtswidrige Art und Weise ihre Umsetzung sind wichtige Gradmesser für Verfolgungstendenzen. Deutlich werden kann der politische Charakter von Wehrdienstregelungen nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts etwa daran, dass Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet werden.
69 
Deswegen ist gerade im Falle des totalitären syrischen Regimes nach der gegenwärtigen Erkenntnislage davon auszugehen, dass die drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs oder Desertion nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts dient, vielmehr ist die Bestrafung des Wehrdienstentzugs auch auf eine vermutete regimefeindliche Gesinnung gerichtet, die - auch zum Zwecke der Abschreckung anderer - eliminiert werden soll. In besonderem Maße gilt dies vor dem Hintergrund der mit den Ermittlungen und Verhören einhergehenden Misshandlungen.
70 
Bei dem Regime von Baschar al-Assad handelt es sich nicht nur seit vielen Jahren um ein menschenverachtendes diktatorisches System, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft (vgl. schon den Senatsbeschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris). Die Mobilisierung und Rekrutierung der syrischen Land- und Luftstreitkräfte erfolgen hier gerade nicht zu dem Zweck, einen kriegerischen Konflikt mit einem auswärtigen dritten Staat auszutragen und zu ermöglichen, sie dienen vielmehr der Bekämpfung der oppositionellen Rebellengruppen im eigenen Land; wer sich an diesem existentiellen Kampf der Staatsmacht gegen Teile der eigenen Bevölkerung nicht beteiligt, sondern sich trotz des bekannt großen Personalbedarfs in der syrischen Armee seiner Wehrpflicht - zumal durch eine illegale Flucht ins Ausland - entzieht, manifestiert damit nach außen sichtbar seine Illoyalität gegenüber dem syrischen Staat in besonderer Weise, auch wenn eine solche in concreto gar nicht gegeben sein sollte.
71 
Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 154), es sei syrischen Machthabern bekannt, dass die Flucht aus Syrien oftmals nicht durch politische Gegnerschaft zum Staat, sondern durch Angst vor dem Krieg motiviert sei, steht angesichts des vorgenannten Befundes dem nicht entgegen. Vielmehr lassen die vorliegenden Erkenntnismittel nur den Schluss zu, dass die Verfolgung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren nicht allein der auf rationalen Überlegungen fußenden Vollstreckung des syrischen Wehrstrafrechts dient, sondern dass es sich hierbei auch ganz maßgeblich um Verfolgung aufgrund der und Vergeltung der (bis zum Beweis des Gegenteils unterstellten) regimekritischen politischen Überzeugung der Betreffenden handelt (so auch BayVGH, Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 -, juris; Österr. BVwG, Entscheidung vom 22.03.2017 - W221 2134862-1/E; vgl. auch, wenn auch auf zusätzliche Risikogesichtspunkte abstellend, Schweizer. BVerwG, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013). Der Ansatz des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, wonach „die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt“, eine Verfolgung nicht zu begründen vermögen (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 154), steht der Auffassung des Senats zur kausalen Verknüpfung von Verfolgungsgrund und Verfolgungshandlung nicht entgegen. Denn bei den drohenden Menschenrechtsverletzungen geht es nicht um „allgemeine Lasten und Beschränkungen“, sondern um gezielte Eingriffe zur Ahndung einer - den Betroffenen jedenfalls zugeschriebenen - oppositionellen Überzeugung und zur Disziplinierung der übrigen, in Syrien verbliebenen Bevölkerung.
72 
Ebenso vermag der Senat den Schluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes nicht nachzuvollziehen, wonach gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee spreche (Urteil vom 02.02.2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 31). Aus diesem Umstand könnte sich allenfalls ein Interesse des syrischen Staates, nicht alle Wehrpflichtigen einer langjährigen Haftstrafe zuzuführen, ableiten lassen. Abgesehen davon, dass auch dieser Ansatz spekulativ ist und ein nach rationalen Maßstäben handelndes Regime unterstellt, verhält er sich nicht zu der Gefahr der vorherigen schwerwiegenden Misshandlung oder Folter unmittelbar nach der Ergreifung.
73 
4. Dem Kläger steht schließlich keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG offen. Die Deutsche Botschaft Beirut (Auskunft vom 03.02.2016; vgl. auch Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017) geht davon aus, dass grundsätzlich alle Regionen in Syrien vom Bürgerkrieg betroffen sind, wenn nicht durch direkte Kampfhandlungen, dann indirekt (Kriegswirtschaft, Einzug ins Militär, marodierende Banden, beispielsweise in einigen Vororten von Damaskus etc.).
74 
Selbst wenn man unterstellen wollte, dass es dennoch Gebiete innerhalb Syriens gibt, die als zumutbare Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnte. Denn das Regime hat ein dichtes System von Kontrollpunkten eingerichtet. Diesen liegen in der Regel auch die Namenslisten zu denjenigen vor, die sich der Einberufung bzw. Mobilmachung entzogen haben (vgl. SFH, Rekrutierung durch die syrische Armee, 30.07.2014; SFH, Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformation Syrien: Militärdienst, 30.11.2016) und sie sind derart verbreitet, dass mehr dafür als dagegen spricht, dass der Kläger, wenn er nicht schon beim Versuch der Einreise nach Syrien erfasst und ergriffen wird, an einem solchen Checkpoint aufgegriffen wird.
75 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG; Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gründe

 
18 
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat sie zu Recht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
19 
I. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren (Nr. 3), sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht (vgl. § 3e AsylG).
20 
Ob die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3b AsylG) einerseits und den erlittenen oder bevorstehenden Rechtsgutsverletzungen bzw. dem fehlenden Schutz vor solchen Handlungen andererseits besteht, ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit festzustellen (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, BVerwGE 133, 55 Rn. 24). Die Verknüpfung ist also anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 13). Es kommt demzufolge nicht auf die ohnehin kaum feststellbaren (künftigen) subjektiven Vorstellungen der jeweils für den Akteur im Sinne des § 3c AsylG handelnden Person(en) an (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 a.a.O.). Hier gilt nichts anderes als für das nationale Asylrecht nach Art. 16a GG (vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 -, BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.>; vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <334 f.>; vom 10.12.1991 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 und vom 11.02.1992 - 2 BvR 1155/91 -, InfAuslR 1992, 152 <154>).
21 
Diese Verknüpfung geht grundsätzlich auch nicht verloren, wenn mit der Verfolgungshandlung weitere, flüchtlingsrechtlich neutrale Zwecke verfolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zum nationalen Asylrecht schon entschieden, dass auch in Fällen, in denen der Staat das Rechtsgut des eigenen Bestandes oder seiner politischen Identität verteidigt, eine staatliche Verfolgung vorliegen kann (BVerfG, Beschluss vom 10.07. 1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, BVerfGE 80, 315-353; Beschluss vom 12.07.1993 - 2 BvR 855/93 -, juris). Für das unionsrechtliche und das internationale Flüchtlingsrecht nach der Genfer Konvention gilt nichts anderes (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24/08 -, BVerwGE 135, 252 Rn. 16).
22 
Soweit in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Anforderungen an das Maß der Intensität der flüchtlingsrelevanten Zielrichtung des Handelns besteht - die Maßstäbe reichen von einer „Relevanz“ bzw. „contributing factor(s)“ bis hin zu „essential and significant reason(s)“ (vgl. Göbel-Zimmermann/Hruschka, in: Huber, AufenthG, 2. Aufl. 2016, § 3a AsylG Rn. 19; Hathaway, International Refugee Law: The Michigan Guidelines on Nexus to a Convention Ground, 2002, 210 <217> Rn. 13; Guide to Refugee Law in Australia: Chapter 5 - AAT, September 2016, http://www.aat.gov.au) - ist dies nicht entscheidend, wenn der flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgrund nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass auch die Verfolgung entfiele (sog. „but for-test“, vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 3a AsylG Rn. 53, m.w.N.), da in solchen Fällen die erforderliche Intensität nach allen Auffassungen vorliegt.
23 
Es kommt zuletzt nicht darauf an, ob der Verfolgte diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG und Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EZ des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) (ABl. L 337 S. 9)– im Folgenden Anerkennungsrichtlinie). Hierher rechnet auch der Fall, dass der Betreffende seitens des Verfolgers nur verdächtigt wird, ein solches Merkmal zu erfüllen und die Verfolgungsmaßnahme hier ansetzt, um eine entsprechende Feststellung zu treffen (vgl. hierzu schon VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris, m.w.N.). Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine (bestimmte) Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
24 
Von diesen Maßstäben ausgehend und unter Berücksichtigung des prognostischen Charakters der Frage nach einer begründeten Furcht des Schutzsuchenden bei dessen Rückkehr sowie dessen sachtypischen Beweisnotstandes - der gerade in Bezug auf die Frage nach der Motivationslage des (potentiellen) Verfolgers offen zu Tage liegt - kann die Zielrichtung des Verfolgers, die unbeschadet der dargestellten objektivierten Betrachtungsweise als Intention ein subjektives Merkmal darstellt, aus den objektiven Gegebenheiten, so wie sie sich aktuell darstellen und aller Voraussicht nach entwickeln werden, zu folgern sein.
25 
So hat das Bundesverfassungsgericht zur Gerichtetheit in Asylfällen schon ausgeführt, dass auch die Verfolgung von Straftaten, die sich - zunächst - nicht als politische Verfolgung darstellt, in politische Verfolgung umschlagen kann, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene gleichwohl wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt wird. Es hat daraus die Vermutungsregel zu Gunsten einer (politischen) Verfolgung abgeleitet, wenn der Flüchtling eine Behandlung erleidet, die härter ist als die sonst zur Verfolgung ähnlicher - nicht politischer - Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat übliche (Beschluss vom 10.07.1989, a.a.O.).
26 
Nach Auffassung des Senats gilt für den unionsrechtlichen Flüchtlingsschutz nichts anderes. Weder Art. 9 noch Art. 10 der Anerkennungsrichtlinie lassen einen Ansatz für eine abweichende Sichtweise erkennen. Die Funktion des völkerrechtlichen wie auch unionsrechtlichen effektiven Flüchtlingsschutzes ist darauf gerichtet, politische und soziale Erscheinungsformen staatlichen wie nicht-staatlichen Handelns in der objektiven Lebenswirklichkeit gesamtheitlich zu bewältigen, was eine Fragmentierung in vielfältige und unüberschaubare individuelle Sichtweisen bzw. Handlungsmotive der verschiedenen Akteure verbietet; der Fokus der Betrachtung muss daher darauf gerichtet sein, wie sich der Eingriff in der politischen wie sozialen Realität darstellt und wie er diese beeinflusst bzw. auf diese einwirkt. Anders ausgedrückt: Entscheidend ist, wie der oder die Verfolgte die jeweilige auf sich bezogene Maßnahmen hinsichtlich ihrer Zielrichtung nach objektivierter Betrachtungsweise einschätzen kann oder konnte.
27 
Die Diskussion darüber, ob auf die Intention des potentiellen Verfolgers abzustellen sei oder nicht (vgl. dazu Dörig, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, S. 1182 f.) geht daher nach Auffassung des Senats ins Leere, soweit sie als Gegensatz von objektiver und subjektiver Gerichtetheit zu verstehen sein sollte.
28 
Und auch eine Beweisregel, die es zur Voraussetzung machte, dass die Intention stets für sich genommen festzustellen sei, mit der Folge, dass deren Ableitung aus den feststellbaren objektiven Gegebenheiten ausscheiden müsste, stünde nach all dem nicht im Einklang mit der Zweckrichtung des Flüchtlingsrechts. Da die Chancen des Schutzsuchenden, die reale Gefahr von Verfolgung direkt zu belegen eher die Ausnahme als die Regel ist, kann eine solche auch alleine auf verlässliche Herkunftslandinformationen zu stützen bzw. daraus abzuleiten sein (so treffend Hathaway/Foster, a.a.O., S. 122, m.w.N.). Für die Feststellung einer Verfolgungsintention kann nichts anderes gelten.
29 
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, InfAuslR 2011, 408). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut vorn solcher Verfolgung bedroht ist, Art. 4 Abs. 4 der Anerkennungsrichtlinie. In der Vergangenheit liegenden Umständen kommt damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., S. 332 ff, 339 ff.). Erst in dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur. Für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden, vgl. § 3b Abs. 2 AsylG.
30 
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Ist der Schutzsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine qualifizierte und bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der konkreten Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
31 
Eine so verstandene wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann aber gerade auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise für dessen Eintritt ein Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der - auch deutlich - unter 50 v.H. liegt (vgl. auch Berlit, ZAR 2017, 110 < 115 f.>). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen in ihrer Bedeutung überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Allerdings reicht die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung noch nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen.
32 
Ergeben alle Umstände des Einzelfalles jedoch die „tatsächliche Gefahr“ (sog. „real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Er wird bei der Abwägung aller Umstände im Übrigen auch immer die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen entscheidungserheblichen und motivationsbildenden Unterschied machen, ob er etwa lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber schwere Misshandlungen bzw. Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (schon BVerwG, Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 <169 f.> m.w.N. und erneut Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, AuAS 2008, 118). Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen, auf die bei der Bewertung der drohenden Gefahr abzustellen ist (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, Asylmagazin 2014, 389).
33 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gewonnen haben muss.
34 
In diesem Zusammenhang sehen sich die Rechtsanwender nicht selten mit der Situation konfrontiert, dass keine relevante und größere Zahl von Referenzfällen zu bestimmten Verfolgungsszenarios bekannt geworden ist und auch individualisierbar belegt werden kann. Es handelt sich um eine für den Flüchtlingsschutz grundlegende und nicht untypische Problemstellung. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei Regimen, die weitgehend außerhalb rechtstaatlicher und menschrechtlicher Grundsätze operieren und bei denen eine menschenverachtende Verfolgungspraxis ein allgegenwärtiges Phänomen darstellt, Folterungen und Misshandlungen nach außen hin nicht zuverlässig und umfassend dokumentiert werden können, sondern sich weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, wenn nicht gar im Verborgenen in einer Grauzone abspielen.
35 
Unter solchen Umständen kommt den in den einzelnen Erkenntnisquellen dargelegten Berichten zur allgemeinen Menschenrechts- und Verfolgungssituation in dem betreffenden Herkunftsland hervorgehobene Bedeutung zu. Aus ihnen sind Schlussfolgerungen auch auf die den Einzelnen treffende Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ziehen. Demgemäß können auch allgemeine Erkenntnisse zur Verfolgungssituation eines Landes in Verbindung mit einer nur begrenzten Anzahl bekannt gewordener Verfolgungsfälle im Einzelfall die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass in Wahrheit die Zahl der tatsächlichen Verfolgungsfälle erheblich über der der dokumentierten Sachverhalte liegt bzw. für den Zeitpunkt der Rückkehr des Ausländers in sein Heimatland liegen wird. Dagegen kann eine Flüchtlingsanerkennung nicht ausschließlich von einer nach Person und Schicksal der Opfer genau spezifizierten Auflistung von konkreten Verfolgungsfällen abhängen. Denn dies würde bedeuten, dass eine Verfolgungswahrscheinlichkeit für solche Länder zu verneinen wäre, deren Repressionspraxis zwar allgemein bekannt ist, aber nicht in ihren Abläufen im Einzelnen offen zu Tage liegt, weil sie naturgemäß abgeschirmt im Geheimen stattfindet und - oftmals um der Aufrechterhaltung eines gewissen Scheines - das Licht der Öffentlichkeit scheut, weshalb auch konkreten Opfer nach Person und Zahl weitgehend unbekannt bleiben müssen.
36 
II. Gemessen hieran droht dem 1976 geborenen Kläger, der bereits Wehrdienst geleistet hat, aber als Reservist nach wie vor wehrpflichtig ist, Verfolgung, weil er bei einer Rückkehr konkret von Strafverfolgung oder Bestrafung bedroht ist, zumindest aber muss er mit menschenwidriger Behandlung oder Folter bei Verhören bzw. Befragungen durch den syrischen Staat rechnen, weil er sich durch eine unerlaubte Ausreise aus Syrien und einem Verbleib im Ausland dem Militärdienst entzogen hat.
37 
1. In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ethnischem oder religiösem Hintergrund (vgl. zu alledem ausführlich SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2914; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting Syrian Regime and armed Opposition v. 23.08.2016) wie auch für Palästinenser, die in Syrien leben (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien - im Folgenden BFA - vom 05.01.2017, S. 37; Deutsches Orient-Institut an HessVGH vom 01.02.2017), gilt; auch Oppositionelle werden einberufen. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren; mehrere Auskünfte verweisen allerdings auf Quellen, wonach die Wehrpflicht in der Praxis gegenwärtig bis zum 50. bzw. sogar bis zum 52. Lebensjahr ausgeweitet wird (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 8).
38 
Ausnahmen von der Wehrpflicht werden - von Bestechungen abgesehen - in eng begrenzten Fällen gemacht, so etwa bei Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Gesetze und Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten - hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens bis 27 Jahre (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015). Die Regelungen gelten wohl teilweise zwar formal weiter, in der Praxis finden sie allerdings aufgrund des stark zunehmenden Personalbedarfs nur mehr sehr eingeschränkt und zunehmend willkürlich Anwendung (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 3; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 9).
39 
Ebenso geraten zunehmend auch noch nicht 18 Jahre alte Jugendliche vornehmlich an den zahlreichen im ganzen Land verstreuten Checkpoints in den Blick der Sicherheitskräfte und des Militärs und laufen Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden. Allerdings sind, was die Rekrutierung minderjähriger Syrer für das syrische Militär und deren Ausmaß betrifft, nicht völlig deckungsgleich, was aber hier keiner Vertiefung bedarf (Danish Refugee Council, „Syria: Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty an Recruitment to the YPG“, September 2015, S. 11; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 4; BFA S. 23 f.; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 5).
40 
Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014). Entlassungen aus dem Militärdienst sind nach den verwerteten Erkenntnismitteln seit dem Jahre 2011, dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung eher zur Ausnahme geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (BFA S. 24; Finnish Immigration Service, a.a.O, S. 12.).
41 
Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten jederzeit abrufbar sein (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt; aufgrund der prekären Personalsituation gibt es gegenwärtig kein festgesetztes Höchstalter für die Aktivierung von Reservisten mehr, vielmehr werden nach den vorliegenden Auskünften im Einzelfall - je nach Ausbildung und bisheriger Tätigkeiten für die Armee - Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren erneut zum Dienst verpflichtet (Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 8; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 5).
42 
Seit dem Herbst 2014 werden Reservisten in großem Stile eingezogen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Die syrische Armee hat nach mehreren Quellen mit örtlichen Generalmobilmachungen begonnen, neue Checkpoints etabliert und Razzien im privaten und öffentlichen Bereich intensiviert, um Reservisten zu finden, die sich bislang dem Dienst entzogen haben. Die Vorgehensweise wird als zunehmend aggressiv beschrieben (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 5). In wenigen Monaten wurden zehntausende Personen (zwangs-)rekrutiert und es existieren Berichte, wonach im Frühjahr 2015 Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen, an den Checkpoints der syrischen Armee zirkulierten (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 6 f.; Danish Refugee Council, a.a.O.). Bei der Einberufung von Reservisten, die auf Grundlage des Kriegsrechts innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird offenbar keine Unterscheidung zwischen Anhängern bzw. Unterstützern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014).
43 
Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; Deutsches Orient Institut, Auskunft an schl.-holst. OVG vom 07.11.2016; UNHCR, „Illegal Exit“ from Syria and Relates Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria, February 2017; S. 6 - im Folgenden „Illegal Exit“ - S. 3 f.). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres wird die Ausreise erschwert, indem Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016 S. 4 f.; BFA S. 24).
44 
Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet (vgl. Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 8 f.). Nach dessen Artikel 98 wird, wer sich der Einberufung entzieht, mit Haft zwischen einem und sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen, unter der er immer erreichbar ist, und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion im eigentlichen Sinn werden in Artikel 101 fünf Jahre Haft angedroht bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Bereits die nicht genehmigte und somit unerlaubte Ausreise wird wie ein Wehrdienstentzug geahndet (AA Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
45 
Nach der sich dem Senat bietenden Erkenntnislage lässt sich feststellen, dass nach der Ergreifung einer Person, die sich der Einberufung oder Mobilisierung entzogen hat, die Untersuchungsmaßnahmen und eine sich möglicherweise anschließende, auch längere Haft mit Folterungen einhergehen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Deutsches Orient Institut an schl.-holst. OVG vom 07.11.2016). Es gibt Quellen, wonach Rekruten, denen das Regime nicht traut, mitunter in den Kampfeinsatz an die Front geschickt werden, um ihre Motivation zu kämpfen zu erhöhen (Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 10). Männer, die von Sicherheitsdiensten aufgegriffen werden, werden meistens vom militärischen Sicherheitsdienst oder dem Luftwaffensicherheitsdienst verhaftet. Das Office of United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) hat bei beiden Sicherheitsdiensten Fälle von Folter dokumentiert. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt. Viele Männer, die im Rahmen dieser Maßnahmen einberufen werden, erhalten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und werden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt.“ (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee,28.03.2015, S. 3 f.).
46 
2. Die Überzeugung des Senats, dass Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter im Zusammenhang mit den drohenden Ermittlungen und Bestrafungen auch Folterungen drohen, gründet sich neben den zitierten Quellen auch auf die folgenden Erkenntnisse, die sich auf die allgemeine Situation bei Inhaftierungen beziehen.
47 
Es lässt sich feststellen, dass die syrischen Sicherheitsbehörden weit außerhalbrechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Grundsätze operieren und eine menschenverachtender Verfolgungspraxis an den Tag legen (von den durchgängig beschriebenen unfairen Verfahren, wenn einmal ein Gericht befasst sein sollte, vgl. UNHCR, Ergänzende aktuell Länderinformationen Syrien: Militärdienst vom 30.11.2016, S. 9).
48 
Aus mehreren Berichten von amnesty international lässt sich seit Beginn des Bürgerkriegs eine endemische Zunahme von Misshandlungen und Folter einschließlich Verschwindenlassen der Betroffenen entnommen werden (vgl. ai, „Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria“, August 2011, S. 9 ff. und nunmehr auch ai, „It breaks the human“, torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 12 ff. und passim bzw. ai „Human Slaughterhouse“ Februar 2017). Es handelt sich um Praktiken, die von Seiten des syrischen Regimes seit Jahrzehnten systematisch eingesetzt werden, um jede Opposition und jeden Widerstand zu unterdrücken bzw. zu zerschlagen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien vom 05.01.2017 – im Folgenden BFA – S. 19 f.) Je mehr das syrische Regime in Bedrängnis geriet und destabilisiert wurde, desto stärker und rücksichtloser wurde gegenüber wirklichen und vermeintlichen Regimegegner vorgegangen, um über die ohnehin schon von den Geheimdiensten beobachtete und unterwanderte Exilszene (vgl. hierzu etwa Verfassungsschutzbericht 2015 des Bundesministeriums des Innern, S. 263 ff.). So wird übereinstimmend in den verwerteten Erkenntnismitteln davon berichtet, dass Folter, Misshandlungen, willkürliche Verhaftungen und Verschwindenlassen seit Jahren und bis heute zu den gängigen Praktiken der syrischen Sicherheitsorgane gehören. Hiervon sind nicht nur unmittelbar Regimekritiker oder Regimegegner betroffen, sondern auch unbeteiligte, die als Geiseln genommen werden und von den Informationen erpresst werden sollen, namentlich sind in beträchtlichem Ausmaß auch Familienangehörige, selbst kleinere Kinder betroffen (vgl. etwa SFH, „Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 25.01.2017 zu Syrien: Reflexverfolgung“ mwN; BFA S. 27). Insbesondere nach der bereits angesprochenen Dokumentation von amnesty international („It breaks the human“ von 2016; vgl. auch den Report Syrien 2016/2017, S. 6 f.) sind mindestens 17.723 Personen zwischen den Jahren 2011 und 2015 in Haft auf abscheuliche Weise getötet worden, wobei allerseits nachvollziehbar davon ausgegangen wird, dass die Dunkelziffer beträchtlich ist, weshalb die Zahl erheblich höher sein muss.
49 
In - abstoßender Weise - beeindruckend ist die Dokumentation von Human Rights Watch „If the Dead Could Speak – Mass Deaths and Torture in Syria’s Facilities“ vom 16. Dezember 2015, in der eine Vielzahl der 53.275 sog. „Caesar“-Photos, die im August 2013 von einem Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt worden waren. Human Rights Watch erhielt alle Bilder von der Syrischen Nationalbewegung, einer regierungskritischen, politischen Gruppe, die die Fotos direkt von „Caesar“ bekommen hatte. Der Bericht konzentriert sich auf 28.707 dieser Fotos, die allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene zeigen, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben sind. Die restlichen Fotos zeigen Orte, an denen Angriffe verübt wurden, oder Leichen, die namentlich identifiziert sind, darunter überwiegend Regierungssoldaten, bewaffnete Kämpfer und bei Angriffen, Explosionen oder Attentaten getötete Zivilisten.
50 
Das U.S. State Department berichtet auch im neuesten „Country Report on Human Rights Practices Syria 2016“ (vgl. auch schon den entsprechenden Bericht für das Jahr 2015) ausführlich und umfassend über - weiter zunehmende - schwerste Menschenrechtsverstöße in Syrien. Willkürliche und extralegale Tötungen, Folterungen und Verschwindenlassen von Personen jeder Herkunft und ungeachtet des konkreten Hintergrundes (eingeschlossen von - nicht nur nächsten - Familienangehörigen) sind hiernach an der Tagesordnung. In besonderem Maße werden auch hervorgehoben die weit verbreiteten sexuellen Erniedrigungen bis zu Vergewaltigungen (von Frauen wie Männern), die zu gängigen Praktiken geworden sind, um die Opfer zu brechen und aussagebereit zu machen. Dieses findet nicht nur statt in eigentlichen Gefängnissen, sondern auch in gleichem Maße in sonstigen Gewahrsams- und Verhörzentren der Geheimdienste, aber auch von militärischen Verbänden, wie v.a. der Luftwaffe (vgl. auch SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 26.10.2015: Geheimdienst; BFA S. 17). Ein hervorzuhebender Anlass dieser Maßnahmen sind die Festnahmen an den landesweit eingerichteten Kontrollstellen, vor denen die Bevölkerung panische Ängste haben soll, weil grundsätzlich jeder ohne Ansehen der Person hiervon betroffen sein kann (vgl. etwa den Bericht der „Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republik“ vom 11.08.2016, Rz. 77 f.) und häufig die betroffenen Personen verschwinden und nie mehr wieder gesehen werden.
51 
Die im Jahr 2014 und wohl auch in den Jahren 2015 und 2016 verkündeten Amnestien, die erkennbar auch darauf abzielten, die Zahl der Rekrutierungen zu erhöhen, wurden immer davon abhängig gemacht, dass sich die Betreffenden innerhalb einer bestimmten Frist stellten, weshalb diese für die hier interessierende Fragestellungen nicht relevant sind (vgl. SFH, „Umsetzung der Amnestien“ 14.04.2015; SFH, „Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion“ vom 23.03.2017, S. 12 f.; Accord vom 22.07.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 19; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 24).
52 
Bei einer Gesamtschau der herangezogenen Erkenntnismittel ist der Senat davon überzeugt, dass syrische Männer im wehrdienstfähigen Alter bei ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter durch syrische Sicherheitskräfte zu gewärtigen haben.
53 
So drohen denjenigen, die sich Einberufung oder Mobilisierung entziehen, bei einer Ergreifung Untersuchungen und Festnahmen teilweise mit längerer Haft und Folter (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Deutsches Orient Institut an schl.-holst. OVG vom 07.11.2016). Einige Quellen sprechen im Zusammenhang mit Desertion von lebenslanger Haft und Exekutionen (Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23.03.2017, S. 10 f.; Danish Refugee Council, a.a.O.). Ferner gibt es Berichte von Personen, die als Rückkehrer im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst befragt und dauerhaft verschwunden sind (Dt. Botschaft Beirut an Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 03.02.2016). Ferner gibt es Hinweise darauf, dass alle, die sich dem Regime entziehen - wie es Wehrdienstpflichtige tun, zumal wenn sie illegal ins Ausland reisen -, als Oppositionelle und je nach bisheriger Funktion als „Landesverräter“ betrachtet werden (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Andere Quellen halten Männer im wehrpflichtigen Alter für besonders gefährdet, bei der Einreise über den Flughafen oder auf dem Landweg Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu erfahren, insbesondere wenn sie ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben; so spricht eine Quelle davon, „military-aged men [are] the most vulnerable group in terms of treatment by Syrian authorities at points of entry“ (Immigration and Refugee Board of Canada, a.a.O.). Auch diejenigen, bei denen lediglich die Absicht der Desertion vermutet wird, werden als Gegner des Regimes betrachtet und haben gewaltsames Verschwinden, Haft und Folter zu gewärtigen (Amnesty International, „Between prison and the grave“, S. 44). Schließlich ergibt sich aus zahlreichen Quellen, dass für Desertion und Wehrdienstentzug mitunter auch Familienangehörige haftbar gemacht, zur Rechenschaft gezogen und unter Druck gesetzt werden (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 03.02.2016; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; BFA S. 27; Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 13).
54 
Die Wahrscheinlichkeit, den genannten Foltermaßnahmen unterworfen zu werden, ist deshalb beachtlich, weil die Identifizierung der Betroffenen als männliche Personen im wehrdienstfähigen Alter bei der Einreise oder bei Kontrollstellen innerhalb des Landes leicht, schon nach äußerlichen Kriterien vornehmbar ist, und zwar sowohl bei der Einreise an den Grenzübergangstellen wie aber auch an einer der angesprochenen Kontrollstellen (vgl. auch Auswärtiges Amt vom 02.01.2017 an VG Düsseldorf; SFH, Syrien: Mobilisierung in der syrischen Armee vom 28.03.2015; BFA S. 24). Zumindest droht eine vorübergehende Festnahme, auch wenn der Betroffene dann ohne Bestrafung direkt einer militärischen Einheit zugeführt werden sollte (vgl. hierzu Immigration and Refugee Board of Canada vom 19.01.2016; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 5).
55 
Schon bei der ersten Befragung ist nach den obigen Ausführungen mit erheblichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit, nämlich Misshandlung und Folter zu rechnen. Dass hier nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, dass alle Einreisenden ausnahmslos betroffen sein werden (vgl. Deutsches Orient Institut vom 01.02.2017 an Hess.VGH), ist für die Erfüllung des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit unerheblich. Der Umstand, dass der hier infrage kommende Personenkreis infolge der konkret bestehenden Wehrpflicht in besonderer Weise in das Visier der Sicherheitsorgane gekommen ist, wird dazu führen, dass er auch hervorgehobenem Maße gefährdet ist, wovon insbesondere UNHCR ausgeht (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 26 und UNHCR, „Illegal Exit“, S. 24 ff.). Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Betroffenen in Fahndungslisten aufgenommen werden, die an die Grenzübergänge verteilt werden, so dass schon bei der Einreise eine Identifizierung und Verhaftung bzw. Zwangsrekrutierung wahrscheinlich ist (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; BFA S. 24; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 16 f.; Immigration and Refugee Board of Canada, a.a.O.). Nach UNHCR („Illegal Exit“, S. 4) umfasst die Kontrolle bei den Einreisen regelmäßig eine Prüfung, ob die Betreffenden mit der entsprechenden Erlaubnis ausgereist waren. Ferner existieren mobile „Checkpoints“, die ebenfalls im Besitz der Listen sind und bei einem Datenbankabgleich feststellen können, ob der Betreffende seinen Wehrdienst abgeleistet hat bzw. als Reservist rekrutiert werden soll; auch hier kommt es zu Verhaftungen, Verschleppungen bzw. unmittelbarer Zwangsrekrutierung (BFA S. 22 ff.); Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 7; UNHCR, „Illegal Exit“, S. 21). Das syrische Militär hat gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal, da es von circa 325.000 Soldaten bei Ausbruch des Krieges auf wohl etwa 150.000 Soldaten dezimiert worden ist (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, a.a.O., S. 9; Finnisch Immigration Service, a.a.O., S. 6); um Wehrdienstverweigerer und Reservisten zu rekrutieren und so den Personalbedarf zu decken, finden immer wieder Durchsuchungen, Razzien und Massenverhaftungen statt (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 03.02.2016; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016 S. 4 f.; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; BFH S. 23). Auch ist für viele bürokratische Akte, etwa für Heiratszertifikate, eine Bewilligung des Militärs erforderlich (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Daher ist es für Wehrdienstverweigerer fast unmöglich, nach Syrien einzureisen oder gar in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu leben und sich dort zu bewegen, ohne aufgegriffen zu werden (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
56 
3. Im Falle des Klägers liegt auch der für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Verknüpfung der Verfolgungshandlung mit einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG vor.
57 
Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel lässt sich feststellen, dass die den syrischen Männern im wehrdienstfähigen Alter drohenden staatlichen Maßnahmen, die das übliche Maß einer strafrechtlichen Ahndung eines Wehrdienstentzugs auch in Kriegszeiten deutlich übersteigen, an eines der in § 3b Abs. 1 AsylG genannten Merkmale anknüpfen.
58 
Eine realitätsnahe Bewertung des Charakters des gegenwärtigen syrischen Regimes und seiner bereits vorstehend eingehend beschriebenen Handlungen und Aktivitäten gegenüber seiner Bevölkerung lässt nach Überzeugung des Senats keine andere Deutung zu, als dass diese nach der allein maßgeblichen objektiven und nicht nach der auf die höchst subjektiven Motive der jeweiligen Akteure abstellenden Betrachtungsweise an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von jedenfalls § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG anknüpfen und im Sinne des § 3a Abs. 3 AsylG die erforderliche Verbindung gegeben ist.
59 
Die gegenläufige Auffassung der Beklagten und insbesondere des OVG Nordrhein-Westfalen (vgl. Urteil vom 21.02.2017 - 2316/16.A -, juris), des OVG Rheinland-Pfalz (vgl. Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG -, juris) wie auch des OVG des Saarlandes (Urteil vom 11.03.2017 - 2 A 215/17 -, juris) würdigt den Charakter des Regimes nach Auffassung des Senats nicht zutreffend.
60 
Das Regime ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich nicht nur in besonderes abstoßender Weise über das Lebensrecht und die Menschenwürde der Personen, die in die Hände seiner Exekutoren fallen, hinwegsetzt, sondern auch bereits seit längerem eine durch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekennzeichneten Vernichtungskrieg vornehmlich auch gegen die Zivilbevölkerung führt, die in den von einer anderen Bürgerkriegspartei gehaltenen Gebieten, d.h. auf der „anderen Seite“ steht (vgl. nur beispielhaft die ins Einzelne gehende Darstellung und Auflistung der General Assembly in ihrem „Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republik“ vom 02.02.2017 und vom 11.08.2016; vgl. auch Human Rights Watch, „Syria: Coordinates Chemical Attacks on Aleppo - Security Council should impose Sanctions“ vom 13.02.2017; BFA S. 27).
61 
Hinzu kommt schließlich, dass das Regime mittlerweile - wenn nicht schon seit vielen Jahren - vollständig von einem „Freund-Feind-Schema“ als alles durchziehendes Handlungsmuster geprägt ist, das vereinfacht und etwas plakativ ausgedrückt damit beschrieben werden kann, dass „jeder, der nicht für mich ist, gegen mich ist“, jedenfalls solange als er nicht vom Gegenteil überzeugt hat (vgl. hierzu auch Deutsches Orient-Institut an HessVGH vom 01.02.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015: Arbeitsverweigerung).
62 
Auch weiterhin (vgl. bereits VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 A 11 S 2046/13 -, juris) vermag der Senat kein realistisches anderes Erklärungsmuster für das Vorgehen der syrischen Grenz- und Sicherheitsbehörden erkennen als dass hier an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal angeknüpft wird.
63 
Schon die besondere Intensität der real drohenden Verfolgungshandlungen indizieren hier die bestehende Gerichtetheit auf ein flüchtlingsrelevantes Merkmal hin (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 -, NVwZ 2009, 1035 <1036>). Eine abweichende Einordnung könnte allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, fernliegt.
64 
Der Annahme der Gerichtetheit steht es nicht entgegen, dass die Maßnahmen bei der Einreise möglicherweise im Rahmen der Aufklärung des zunächst allein bestehenden Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung zur Anwendung gelangen. Eine solche Differenzierung nach „Vorfeldmaßnahmen“ und einer „endgültigen“ Verfolgung nach Erhärtung des Verdachts einer abweichenden Gesinnung ist weder in der Anerkennungsrichtlinie, noch in der GFK noch im Asylgesetz angelegt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. sowie zu Art. 16a Abs. 1 GG kennt diese ebenfalls nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 -, NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 -, InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6).
65 
Sie ist auch inhaltlich nicht zu rechtfertigen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses - gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils - von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht.
66 
Dieser Schluss drängt sich bei Personen, die sich dem Wehrdienst durch Ausreise entzogen haben, bereits deswegen auf, weil ihr Verhalten aus Sicht des syrischen Regimes - und vermutlich auch bei objektiver Betrachtungsweise tatsächlich - zur Schwächung des totalitären Machtapparats in seinem Existenzkampf beigetragen hat. Bestehen ausgehend von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach realistischer Lagebeurteilung keine naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für eine fehlende Gerichtetheit, so ist - auch unter Berücksichtigung der Beweisnot der Betroffenen und der humanitären Zielsetzungen des Flüchtlingsrechts - von der naheliegenden und realistischen Alternative auszugehen. Aussagekräftige verwertbare Erkenntnismittel, die es nahe legen könnten, andere Schlussfolgerung auch nur in Betracht zu ziehen, existieren nicht; im Gegenteil: Das angesprochene „Freund-Feind-Schema“ ist seither nur noch viel deutlicher zutage getreten.
67 
Hinsichtlich der Verfolgungsgefahr für Reservisten der syrischen Armee unmittelbar bei einer Wiedereinreise nach einem längeren Auslandsaufenthalt, während dem um internationalen Schutz nachgesucht wurde, gilt überdies: Zwar rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund und wendet auch die strafrechtlichen Regelungen bezüglich Wehrdienstentziehung und Desertion vermutlich mehr oder weniger unterschiedslos auf alle syrischen Wehrpflichtigen an, so dass nicht bereits im Hinblick auf eine insoweit diskriminierende Praxis ein Verfolgungsgrund im Sinne von § 3b AsylG vorliegt. Dies Feststellung schließt aber die Annahme einer gerichteten Verfolgung ebenso wenig aus wie der Umstand, dass allen Personen, die sich der Wehrpflicht entziehen, in Syrien von Rechts wegen Verfolgung deshalb droht, weil sie mit der Dienstverweigerung eine Straftat begangen haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 6.80 -, NVwZ 1982, 41; vom 28.02.1984 - 9 C 81.81 -, InfAuslR 1985, 22; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83 -, NVWZ 1986, 459), die der Senat zugrunde legt, begründet die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung für sich genommen zwar noch nicht ohne weiteres die Asylerheblichkeit; für das Unionsrecht gilt nichts anderes (vgl. Marx. a.a.O., S. 73 ff. und EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-472/13 - NVwZ 2015, 575 Rn. 35).
68 
Auch wenn die politische Gerichtetheit einer generellen Maßnahme oder Regelung wie der Verpflichtung zum Waffendienst nicht immer offen zutage liegt, kann gleichwohl einer solchen Wehrpflicht neben ihrer allgemeinen - flüchtlingsrechtlich nicht einschlägigen - Zielrichtung auch eine Verfolgungstendenz innewohnen; eine solche kann etwa darin liegen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Anhaltspunkte für derartige Intentionen können sich aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht begründenden Regelungen, aus ihrer praktischen Handhabung, aber auch aus ihrer Funktion im allgemeinen politischen System der Organisation ergeben. Der totalitäre Charakter einer Staatsform, die Radikalität ihrer Ziele, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung sowie die menschrechtswidrige Art und Weise ihre Umsetzung sind wichtige Gradmesser für Verfolgungstendenzen. Deutlich werden kann der politische Charakter von Wehrdienstregelungen nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts etwa daran, dass Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet werden.
69 
Deswegen ist gerade im Falle des totalitären syrischen Regimes nach der gegenwärtigen Erkenntnislage davon auszugehen, dass die drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs oder Desertion nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts dient, vielmehr ist die Bestrafung des Wehrdienstentzugs auch auf eine vermutete regimefeindliche Gesinnung gerichtet, die - auch zum Zwecke der Abschreckung anderer - eliminiert werden soll. In besonderem Maße gilt dies vor dem Hintergrund der mit den Ermittlungen und Verhören einhergehenden Misshandlungen.
70 
Bei dem Regime von Baschar al-Assad handelt es sich nicht nur seit vielen Jahren um ein menschenverachtendes diktatorisches System, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft (vgl. schon den Senatsbeschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris). Die Mobilisierung und Rekrutierung der syrischen Land- und Luftstreitkräfte erfolgen hier gerade nicht zu dem Zweck, einen kriegerischen Konflikt mit einem auswärtigen dritten Staat auszutragen und zu ermöglichen, sie dienen vielmehr der Bekämpfung der oppositionellen Rebellengruppen im eigenen Land; wer sich an diesem existentiellen Kampf der Staatsmacht gegen Teile der eigenen Bevölkerung nicht beteiligt, sondern sich trotz des bekannt großen Personalbedarfs in der syrischen Armee seiner Wehrpflicht - zumal durch eine illegale Flucht ins Ausland - entzieht, manifestiert damit nach außen sichtbar seine Illoyalität gegenüber dem syrischen Staat in besonderer Weise, auch wenn eine solche in concreto gar nicht gegeben sein sollte.
71 
Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 154), es sei syrischen Machthabern bekannt, dass die Flucht aus Syrien oftmals nicht durch politische Gegnerschaft zum Staat, sondern durch Angst vor dem Krieg motiviert sei, steht angesichts des vorgenannten Befundes dem nicht entgegen. Vielmehr lassen die vorliegenden Erkenntnismittel nur den Schluss zu, dass die Verfolgung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren nicht allein der auf rationalen Überlegungen fußenden Vollstreckung des syrischen Wehrstrafrechts dient, sondern dass es sich hierbei auch ganz maßgeblich um Verfolgung aufgrund der und Vergeltung der (bis zum Beweis des Gegenteils unterstellten) regimekritischen politischen Überzeugung der Betreffenden handelt (so auch BayVGH, Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 -, juris; Österr. BVwG, Entscheidung vom 22.03.2017 - W221 2134862-1/E; vgl. auch, wenn auch auf zusätzliche Risikogesichtspunkte abstellend, Schweizer. BVerwG, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013). Der Ansatz des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, wonach „die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt“, eine Verfolgung nicht zu begründen vermögen (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 154), steht der Auffassung des Senats zur kausalen Verknüpfung von Verfolgungsgrund und Verfolgungshandlung nicht entgegen. Denn bei den drohenden Menschenrechtsverletzungen geht es nicht um „allgemeine Lasten und Beschränkungen“, sondern um gezielte Eingriffe zur Ahndung einer - den Betroffenen jedenfalls zugeschriebenen - oppositionellen Überzeugung und zur Disziplinierung der übrigen, in Syrien verbliebenen Bevölkerung.
72 
Ebenso vermag der Senat den Schluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes nicht nachzuvollziehen, wonach gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee spreche (Urteil vom 02.02.2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 31). Aus diesem Umstand könnte sich allenfalls ein Interesse des syrischen Staates, nicht alle Wehrpflichtigen einer langjährigen Haftstrafe zuzuführen, ableiten lassen. Abgesehen davon, dass auch dieser Ansatz spekulativ ist und ein nach rationalen Maßstäben handelndes Regime unterstellt, verhält er sich nicht zu der Gefahr der vorherigen schwerwiegenden Misshandlung oder Folter unmittelbar nach der Ergreifung.
73 
4. Dem Kläger steht schließlich keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG offen. Die Deutsche Botschaft Beirut (Auskunft vom 03.02.2016; vgl. auch Auswärtiges Amt an VG Düsseldorf vom 02.01.2017) geht davon aus, dass grundsätzlich alle Regionen in Syrien vom Bürgerkrieg betroffen sind, wenn nicht durch direkte Kampfhandlungen, dann indirekt (Kriegswirtschaft, Einzug ins Militär, marodierende Banden, beispielsweise in einigen Vororten von Damaskus etc.).
74 
Selbst wenn man unterstellen wollte, dass es dennoch Gebiete innerhalb Syriens gibt, die als zumutbare Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnte. Denn das Regime hat ein dichtes System von Kontrollpunkten eingerichtet. Diesen liegen in der Regel auch die Namenslisten zu denjenigen vor, die sich der Einberufung bzw. Mobilmachung entzogen haben (vgl. SFH, Rekrutierung durch die syrische Armee, 30.07.2014; SFH, Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformation Syrien: Militärdienst, 30.11.2016) und sie sind derart verbreitet, dass mehr dafür als dagegen spricht, dass der Kläger, wenn er nicht schon beim Versuch der Einreise nach Syrien erfasst und ergriffen wird, an einem solchen Checkpoint aufgegriffen wird.
75 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG; Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

(1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ist ein volljähriger Ausländer, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuches geschäftsunfähig oder in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt zu unterstellen wäre.

(2) Bei der Anwendung dieses Gesetzes sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches dafür maßgebend, ob ein Ausländer als minderjährig oder volljährig anzusehen ist. Die Geschäftsfähigkeit und die sonstige rechtliche Handlungsfähigkeit eines nach dem Recht seines Heimatstaates volljährigen Ausländers bleiben davon unberührt.

(3) Im Asylverfahren ist vorbehaltlich einer abweichenden Entscheidung des Familiengerichts jeder Elternteil zur Vertretung eines minderjährigen Kindes befugt, wenn sich der andere Elternteil nicht im Bundesgebiet aufhält oder sein Aufenthaltsort im Bundesgebiet unbekannt ist.

Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

Tenor

1. Die Beklagte wird – unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 2 bis 4 des Bescheids vom 10. Dezember 2012 – verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung des jeweils anderen Beteiligten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der irakische Kläger begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter, hilfsweise die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weiter hilfsweise subsidiären Schutz.

2

Der ausweislich seines irakischen Personalausweises am ... 1957 in Scheichan geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und jesidischen Glaubens. Seine Familie stammt aus der Stadt Scheichan in der Provinz Ninive. Nach der bei der Beklagten vorgelegten Heiratsurkunde vom ... 1985 ist er seit diesem Tag mit der ..., der Klägerin im Verfahren 8 A 1238/12, verheiratet. Er ist Vater des nach eigenen Angaben am ... 1994 geborenen U., dem mit Bescheid vom ... 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (Gz. der Beklagten: 5381754-438), sowie Vater der Klägerinnen in den Verfahren 8 A 1273/12 und 8 A 289/13.

3

Der Kläger erlitt im Jahr 2008 zwei Schlaganfälle und ist seitdem teilweise gelähmt. Bereits im Irak befand er sich deshalb in ständiger ärztlicher Behandlung. Er reiste am ... 2010 mit seinem gültigen irakischen Reisepass und einem darin enthaltenen Visum zur Familienzusammenführung legal ins Bundesgebiet ein. Am ... 2010 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 36 Abs. 1 AufenthG zum Familiennachzug zu seinem damals minderjährigen Sohn U.. Mit anwaltlichem Schreiben vom 11. Oktober 2010 – bei der Beklagten am Folgetag eingegangen – stellt er einen Asylantrag. Mit Bescheid vom ... Oktober 2010 wurde für den weiterhin pflegebedürftigen Kläger ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt.

4

Am ... Februar 2011 hörte die Beklagte den Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal an (Bl. 94 ff. der Asylakte). Mit Bescheid vom ... Dezember 2012 lehnte sie seine Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht bestehen. Er könne nicht als Asylberechtigter anerkannt werden und genieße keinen Flüchtlingsschutz, weil er legal und unverfolgt ausgereist sei. Die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung der Jesiden lägen nicht mehr vor. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gebe es trotz seiner Erkrankung nicht. Es sei nicht ersichtlich, dass ihm eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bei einer Rückkehr in den Irak drohe.

5

Mit seiner am ... Dezember 2012 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Unter Berufung auf verschiedene Gerichtsurteile meint er, dass die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung im Irak noch vorlägen. Es sei zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, weil die medizinische Versorgung im Irak zusammen gebrochen sei.

6

Der Kläger beantragt,

7

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom ... Dezember 2012 zu verpflichten,
1. den Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen;
2. hilfsweise, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
3. weiter hilfsweise, den Kläger als subsidiär Schutzberechtigten anzuerkennen;
4. weiter hilfsweise, Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1, Abs. 5 AufenthG festzustellen.

8

Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich der Antrag,

9

die Klage abzuweisen.

10

Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz. Der Gesetzgeber habe bei § 26 AsylVfG bewusst für die Bestimmung der Minderjährigkeit auf unterschiedliche Zeitpunkte abgestellt. Durch § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG solle allein dem Bedürfnis von Minderjährigen nach familiärer Fürsorge und dem Schutz dieser Personen Rechnung getragen werden. Sei der Stammberechtigte – wie hier – mittlerweile volljährig geworden, bestünde kein Schutzbedürfnis mehr. Dem Kläger sei durch die lange Bearbeitungszeit kein Nachteil entstanden, da die Norm, auf die er sich berufe, erst zum 1. Dezember 2013 in Kraft getreten sei.

11

Bei der Entscheidung haben die Asylakte und die Ausländerakte des Klägers sowie die Asylakte seines Sohnes ... (...-438) vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I.

12

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten (Bl. 18, 20; 87, 88 d. A.) durch den Berichterstatter anstelle der Kammer gemäß § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO und im schriftlichen Verfahren gemäß § 101 Abs. 2 VwGO.

II.

13

Die zulässige Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO ist im Hinblick auf die Anerkennung als Asylberechtigter unbegründet (dazu 1.), hinsichtlich des ersten Hilfsantrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 113 Abs. 5 VwGO begründet (dazu 2.).

14

1. Der Kläger kann schon deshalb nicht als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG anerkannt werden, weil er gemäß § 27a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf dem Landweg – und damit zwingend über einen sicheren Drittstaat – ins Bundesgebiet eingereist ist. Die Ausnahmetatbestände von § 27a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG sind nicht erfüllt.

15

2. Die Versagung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch Bescheid vom ... Dezember 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3, 26 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, 2 AsylVfG i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474; im Folgenden: „Richtlinienumsetzungsgesetz“). Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 5 Satz 1, 2 AsylVfG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlingsschutzberechtigten auf Antrag als Flüchtlinge anerkannt, wenn die in den § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 AsylVfG genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies ist der Fall.

16

2.1 Der Kläger ist der Vater des nach eigenen glaubhaften Angaben am ... 1994 geborenen U., dem mit Bescheid vom ... September 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (Stammberechtigter). Die Altersangaben basieren auf den glaubhaften Angaben der Tante des Stammberechtigten, mit der er ins Bundesgebiet eingereist ist. Er hat bei seiner Anhörung am ... Juli 2009 die Namen seiner Eltern zutreffend angegeben.

17

2.2 Der Stammberechtigte war im maßgeblichen Zeitpunkt der Asylantragstellung des Klägers ledig und noch minderjährig. Zwar ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AsylVfG grundsätzlich für das Erfüllen der Tatbestandsmerkmale auf die Sach- und Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt abzustellen. Von diesem Grundsatz ist jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn sich aus dem materiellen Recht ergibt, dass ein früherer Zeitpunkt maßgeblich ist (Bergmann, in: Renner, Ausländerrecht Kommentar, 9. Aufl. 2011, § 77 AsylVfG, Rn. 2; ausdrücklich für die zeitlichen Anknüpfungspunkte beim Familienasyl auch Hailbronner, Ausländerrecht, 68. EL, Stand: April 2010, § 77 AsylVfG, Rn. 13). Dies ist hier der Fall. Bis auf § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG wird in den übrigen beiden Fällen, in denen § 26 AsylVfG den Rechteerwerb von der Minderjährigkeit eines Familienmitglieds abhängig macht, ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung des Zuziehenden abgestellt (§ 26 Abs. 2 und § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG). Zwar könnte man nach einer grammatischen Auslegung von § 26 Abs. 2 AsylVfG auch auf einen früheren Zeitpunkt, nämlich die Antragstellung des Stammberechtigten abstellen (Das Personalpronomen „seiner“ vor „Antragstellung“ könnte sich auf den Stammberechtigten oder das zuziehende Kind beziehen). Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird jedoch deutlich, dass es auf die Antragstellung des zuziehenden Minderjährigen ankommt (BT-Drs. 15/420, S. 109 [zu Nr. 17 Buchstabe c]: „Durch die Wörter 'seiner Asylantragstellung' wird sichergestellt, dass Kinder nur eine abgeleitete Asylberechtigung erhalten, wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung minderjährig und ledig sind.“). Aus dem Unterlassen bei § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG, den maßgeblichen Zeitpunkt zu benennen, kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass bei dieser Norm auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen wäre. Vielmehr muss auch hierbei für die Bestimmung der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung – in diesem Fall des zuziehenden Elternteils – abgestellt werden. Dies ergeben eine richtlinienkonforme (dazu 2.2.1) und systematische (dazu 2.2.2) Auslegung von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG. Bei diesem Normverständnis ist der Kläger ein Elternteil eines minderjährigen Flüchtlings (dazu 2.2.3).

18

2.2.1 Um den Zweck der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 über „Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes“ (ABl. EU 2011 L 337/9; im Folgenden: „Richtlinie“ oder „Richtlinie 2011/95/EU“) möglichst effektiv zu erreichen, muss für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abgestellt werden. Mit dem Schutzziel der Aufrechterhaltung des Familienverbands (Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie) knüpft die Richtlinie an einen tatsächlichen Zustand an, nämlich daran, dass sich Familienmitglieder in einen Mitgliedstaat geflüchtet haben und nunmehr dort ein (Teil-)Familienverband besteht. Eine vollständige Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie kann im Lichte dieses Schutzziels nur dann erreicht werden, wenn das Recht auf Aufrechterhaltung des Familienverbandes erworben wird, sobald der Familienverband tatsächlich im Fluchtstaat besteht. Würde man dagegen auf den Zeitpunkt der behördlichen (oder gerichtlichen) Entscheidung abstellen, würde das zu schützende Rechtsgut – der tatsächlich bestehende Familienverband – nicht durchgängig geschützt. Da sich das genaue Einreisedatum häufig nicht ermitteln lässt, ist es vom Schutzziel der Richtlinie gedeckt, auf das Datum der Antragstellung des zuziehenden Familienmitglieds abzustellen.

19

Vor diesem Hintergrund geht der Einwand der Beklagten fehl, dass heute – nachdem der Stammberechtigte volljährig geworden ist – das vermeintlich alleinige Ziel der Vorschrift, die im „Bedürfnis von Minderjährigen nach familiärer Fürsorge und dem Schutz dieser Personen“ liegen soll, nicht mehr erreicht werden könne. Das Recht, das die Familienangehörigen durch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erwerben, ist zeitlich nicht – wie bei § 36 AufenthG – auf die Minderjährigkeit beschränkt, sondern hängt vom Bestand des Flüchtlingsschutzes des Stammberechtigten ab, der mit der Minderjährigkeit nicht endet. Eine vollständige Umsetzung der Richtlinie verlangt daher, dass Familienflüchtlingsschutz gewährt werden muss, sobald bei Entstehung des Familienverbandes im Fluchtstaat die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.

20

2.2.2 Selbst wenn man annähme, dass es die Richtlinie 2011/95/EU nicht zwingend erfordert, bei der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen, ergibt sich dies aus der Systematik von § 26 AsylVfG. Die von der Beklagten vertretene Ansicht würde in mehrfacher Hinsicht zu Wertungswidersprüchen führen.

21

Würde man einzig bei § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellen, könnte die Behörde (oder das Gericht) durch die Wahl des Entscheidungszeitpunktes beeinflussen, ob der Tatbestand erfüllt ist. Zwar kommt es vor, dass der Entscheidungszeitpunkt über den Erfolg einer Klage entscheidet, etwa weil es zwischen Antragstellung und endgültiger Entscheidung zu einem Machtwechsel im Fluchtstaat gekommen und daher die Verfolgungsgefahr weggefallen ist. Derartige Umstände liegen jedoch – anders als die Entscheidung, wann über den Fall entschieden wird – außerhalb des Einflussbereichs der Verfahrensbeteiligten und müssen daher hingenommen werden. Die Überlegung, dass sich die Verfahrensdauer nicht nachteilig auf das Entstehen des Familienasyls auswirken soll, hat den Gesetzgeber bei § 26 Abs. 2 AsylVfG dazu bewogen, nicht auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Stammberechtigten (so noch der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens, BT-Drs. 12/2062 v. 12.2.1992, S. 26), sondern auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (so ausdrücklich die Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 12/2718 v. 2.6.1992, S. 20, 60; siehe auch: Bodenbender, in GK-AsylVfG, 82. EL, Juni 2008, § 26 AsylVfG, Rn. 21).

22

Es wäre widersprüchlich, beim Familienflüchtlingsschutz für Eltern, die zu ihren Kindern ziehen (§ 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG), andere Maßstäbe anzulegen als im umgekehrten Fall, in dem die Kinder den Flüchtlingsschutz von den stammberechtigten Eltern (§ 26 Abs. 2 AsylVfG) ableiten. In beiden Fällen geht es um die Wahrung des im Fluchtstaat (neu) bestehenden Familien(teil)verbands (Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie) und die Integration der nahen Angehörigen eines Stammberechtigten (zu diesem gesetzgeberischen Ziel des Familienasyls: BT-Drs. 11/6960, S. 30). Beide Schutztatbestände unterscheiden sich nur hinsichtlich des Familienmitglieds, das zuerst Flüchtlingsschutz erhält, uns basieren auf derselben unionsrechtlichen Grundlage (Art. 23 Abs. 1 und 2 der insoweit gleichlautenden Richtlinien 2011/95/EU und 2004/83/EG). Die Definitionen der jeweils Berechtigten (Art. 2 Buchst. h 2. Anstrich Richtlinie 2004/83/EG bzw. Art. 2 Buchst. j 3. Anstrich Richtlinie 2011/95/EU) geben keinen Anlass zu einer unterschiedlichen Behandlung, weil sie beide den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht festlegen. In der Begründung des Richtlinienumsetzungsgesetzes wird nicht erläutert, warum § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht nennt. Dort wird lediglich mitgeteilt, dass § 26 Abs. 2 AsylVfG unverändert bleiben könne und in § 26 Abs. 3 Satz 1 der „Familienschutz erstmalig auf die Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter“ ausgedehnt werde (BR-Drs. 218/13, S. 30).

23

Noch weniger nachvollziehbar wäre es, minderjährige Stammberechtigte, zu denen ein Elternteil zuziehen will, schlechter zu stellen als solche, zu denen ein Geschwisterkind zuziehen will. Während im ersten Fall die Eltern nach der Auffassung der Beklagten Flüchtlingsschutz nur erhalten sollen, wenn das stammberechtigte Kind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch minderjährig ist, reicht es nach § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG im zweiten Fall aus, dass der Stammberechtigte bei Antragstellung des zuziehenden Geschwisterkindes (das ebenfalls minderjährig sein muss) noch minderjährig ist (hierzu VG Hamburg, Urt. v. 13.11.2013, 8 A 214/12, S. 14f.). Ein solches Ergebnis wäre auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil der Zuzug von (minderjährigen) Geschwistern zu minderjährigen Stammberechtigten nicht von der Richtlinie 2011/95/EU gefordert wird, der Zuzug von Eltern dagegen gemäß Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j) 3. Anstrich der Richtlinie von den Mitgliedstaaten ermöglicht werden muss. Wenn die Gesetzesbegründung für § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG darauf verweist, dass „[z]ur Aufrechterhaltung der Familieneinheit und im Interesse des Minderjährigenschutzes“ minderjährige ledige Geschwister in das Familienasyl einbezogen werden (BR-Drs. 218/13, S. 30) – und hierbei auf die Minderjährigkeit bei Antragstellung abgestellt wird –, muss dies auch für den Fall gelten, dass ein Elternteil zu einem minderjährigen Stammberechtigten zieht.

24

2.2.3 Nach dem hier vertretenen Verständnis von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG war der Kläger ein Elternteil eines minderjährigen ledigen Kindes, weil der Stammberechtigte bei der Asylantragstellung des Klägers am... Oktober 2010 noch minderjährig war. Dass der Stammberechtigte zwischenzeitlich – am ... Mai 2012 – volljährig geworden ist, ist rechtlich unerheblich.

25

2.3 Unschädlich für den Anspruch des Klägers ist, dass bei seiner Asylantragstellung am 12. Oktober 2010 die Anspruchsgrundlage des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG in der Fassung vom 1. Dezember 2013 noch nicht in Kraft war. Hinsichtlich der Rechtslage verbleibt es nämlich bei dem in § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AsylVfG formulierten Grundsatz, dass es auf den Entscheidungszeitpunkt ankommt. Soweit sich aus dem anzuwendenden Recht nicht etwas Anderes ergibt, ist es eine vom Gesetzgeber gewollte Folge von § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, dass ein ursprünglich begründeter Asylantrag wegen nachträglich veränderter Verhältnisse unbegründet werden kann oder umgekehrt, dass eine anfangs unbegründete Klage wegen Eintritts nachträglicher Ereignisse im maßgeblichen Zeitpunkt Erfolg hat (Marx, AsylVfG 7. Aufl. 2009, § 77 Rn. 7; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 90. EL, Februar 2011, § 77 AsylVfG, Rn. 3). Anders als beim maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit (siehe oben 2.2), ergibt sich aus dem materiellen Recht für das anzuwendende Recht kein von § 77 Abs. 1 AsylVfG abweichender Zeitpunkt. Wenn es der Gesetzgeber gewollt hätte, dass Familienflüchtlingsschutz nur dann gewährt werden soll, wenn die Voraussetzungen auch bei Inkrafttreten der Norm vorlagen, hätte er Übergangsvorschriften erlassen können. Hierauf hat er jedoch im Hinblick auf § 26 AsylVfG verzichtet (s. Art. 7 des Richtlinienumsetzungsgesetzes).

26

2.4 Auch die übrigen Voraussetzungen von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG liegen vor. Die Flüchtlingsanerkennung des Stammberechtigten vom ... September 2009 ist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG seit dem... September 2009 unanfechtbar (Bl. 117 der Asylakte des Stammberechtigten). Sie ist nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG). Die Lage im Irak hat sich nicht grundsätzlich zum Besseren gewendet, so dass ein Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht in Betracht kommt. Anhaltspunkte dafür, dass der Stammberechtigte unrichtige Angaben im Verfahren gemacht hat, so dass eine Rücknahme nach § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in Betracht zu ziehen wäre, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Zwar hat das Einwohner-Zentralamt der Freien und Hansestadt Hamburg mit Schreiben vom ... November 2009 ein Widerrufsverfahren angeregt. Die Beklagte hat jedoch mit Schreiben vom ... Januar 2010 mitgeteilt, dass sie davon absieht (Bl. 123, 161 der Asylakte des Stammberechtigten). Die Familie bestand schon im Herkunftsland (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG). Der Stammberechtigte ist im Jahr 2009 mit seiner Tante ausgereist; bis dahin lebte er mit seiner Familie in Scheichan.

27

Die Antragstellung mit Schreiben vom ... Oktober 2010 erfolgte noch unverzüglich i.S.v. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG nach der Einreise am x. September 2010. Unverzüglich bedeutet – wie im Zivilrecht – „ohne schuldhaftes Zögern“ (Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, §, 26, Rn. 46). Erforderlich ist nicht eine sofortige, aber eine alsbaldige Antragstellung. Dies setzt grundsätzlich eine Antragstellung binnen zweier Wochen voraus (siehe die Nachweise bei Bodenbender, GK-AsylVfG, 82. EL, Stand: Juni 2008, § 26 AsylVfG, Rn. 59). Wie lange das Zögern mit einer Antragstellung dauern darf, bevor es schuldhaft wird, hängt grundsätzlich von einer Würdigung der besonderen Verhältnisse im konkreten Fall ab. Insoweit muss u. a. auch die Möglichkeit gewährleistet sein, Rechtsrat einzuholen (VG Leipzig, Urt. v. 7.1.2004, A 6 K 30241/01, juris, Rn. 18). Nach diesem Maßstab erfolgte die Antragstellung noch unverzüglich. Es muss einem schwerkranken, aus einem fremden Kulturkreis kommenden älteren Mann, der bei der Bewältigung des Alltags auf Hilfe angewiesen ist, vor der Asylantragstellung zugestanden werden, sich zunächst im Zielland zu orientieren. Hierzu gehört es jedenfalls, sich eine Wohnung zu suchen, und die medizinische und pflegerische Versorgung zu organisieren. Da für ihn nicht ohne Weiteres klar sein konnte, welche Auswirkungen die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 36 AufenthG auf einen Asylantrag haben würde, war es vertretbar, zunächst eine anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Diese erfolgte am ... September 2010, mithin knapp drei Wochen nach der Einreise. Vor diesem Hintergrund hat der Kläger den Asylantrag noch unverzüglich gestellt.

28

Der Kläger hatte als Vater des bei Antragstellung minderjährigen Stammberechtigten mangels anderweitiger Anhaltspunkte die Personensorge inne (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG).

29

2.5 Für das Vorliegen von Ausschlussgründen nach §§ 26 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 AsylVfG ist nichts ersichtlich.

III.

30

Da die Klage bereits mit dem ersten Hilfsantrag Erfolg hat, braucht über die weiteren Hilfsanträge nicht entschieden zu werden.

IV.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83b AsylVfG, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 05.08.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am ...1999 in al-Hasaka, Syrien, geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit.
Er reiste am 17.07.2015 zusammen mit seiner Schwester, E. I., geb. 01.01.1998 (BAMF-Az. ...-475), und seinem Onkel, A. I. (BAMF-Az. ...-475), geb. 01.01.1978, in die Bundesrepublik ein und stellte am 11.08.2015 einen Asylantrag. Für den Kläger und dessen Schwester beantragte ausweislich der Bundesamtsakte der Onkel die Vormundschaft; ein entsprechender Nachweis ist hingegen nicht aktenkundig.
Dem ausgefüllten „Syrien-Fragebogen“ ist zu entnehmen, dass der Kläger ein beschleunigtes Verfahren wünschte.
Am 03.08.2016 hörte das Bundesamt den Kläger persönlich gem. § 25 AsylG zu seinen Fluchtgründen an. Hierbei gab der Kläger an, dass er in Syrien keinen Personalausweis und keinen Reisepass besessen habe. Die Kurden würden in Syrien wie Ausländer behandelt und hätten daher keine Papiere bekommen. Der Kläger habe bis zu seiner Ausreise im Januar 2013 in Al-Hasaka im Stadtteil S. zusammen mit seinen Eltern, einem Bruder und drei Schwestern gelebt. Er sei im Juli 2015 nach Deutschland eingereist. Zur Reiseroute gibt er an: „Von Syrien aus sind wir in die Türkei gereist. Von der Türkei aus nach Griechenland mit dem Boot. Von dort weiter nach Mazedonien, Serbien, die weiteren Länder bis nach Deutschland kenne ich nicht.“ Zwischen 2013 und 2015 seien sie fast die ganze Zeit in der Türkei gewesen, wo sie gearbeitet und so die Weiterreise finanziert hätten. Er sei wegen seiner Hörprobleme in Syrien nicht zur Schule gegangen. Wehrdienst habe er nicht abgeleistet. Auf die Frage, ob es in seiner Heimatstadt zu Kriegshandlungen gekommen sei, erklärte der Kläger: „Ja, es gab dort Kriegshandlungen, deswegen sind wir auch ausgereist. Die Stadt Alhassaka stand unter der Kontrolle der Regierung.“
Zu seinen Fluchtgründen führte er aus: „Ich bin mit meiner Familie aus Syrien wegen des Krieges geflüchtet. In Syrien konnte ich meinen Hörschaden nicht behandeln lassen.“ Es habe keine Behandlungsmöglichkeiten gegeben. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien befürchtete der Kläger, vom IS getötet zu werden.
Mit Bescheid vom 05.08.2016, zugestellt am 09.08.2016 an die Schwester des Klägers als dessen gesetzliche Vertreterin, erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutz zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab. Zur Begründung der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führte das Bundesamt aus, der Kläger habe keine persönliche Verfolgung vorgetragen und diese sei auch nicht sonstwie ersichtlich.
Der Kläger hat am 17.08.2016 die vorliegende Klage erhoben. Zu ihrer Begründung verweist er auf die derzeitige Bürgerkriegssituation in seinem Heimatland sowie auf seine Angaben im Rahmen der persönlichen Anhörung. Daraus sei abzuleiten, dass allein aufgrund der illegalen Ausreise, des längeren Auslandsaufenthalts sowie der Asylantragstellung in Deutschland davon auszugehen sei, dass die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorlägen. Ergänzend verweist der Kläger auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 06.07.2016 (Az. RN 11 K 16.30889), dessen Inhalt er zum Gegenstand des Sach- und Rechtsvortrags im vorliegenden Verfahren macht. Ergänzend verweist er ferner auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 08.07.2016 (Az. 1 K 1922/16. TR), einen Gerichtsbescheid der Kammer vom 09.08.2016 (Az. A 3 K 2286/16) sowie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 30.08.2016 (Az. 1 K 20284/16 ME).
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
10 
den Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 hinsichtlich der Ziff. 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
11 
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
14 
Mit Schriftsatz vom 17.08.2016 hat der Kläger sein Einverständnis hinsichtlich einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt und mit weiterem Schriftsatz vom 10.04.2017 hat er auf Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.
15 
Dem Gericht lagen die Behördenakten der Beklagten vor. Darauf, wie auch auf den Inhalt der Gerichtsakte, wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Mit dem Einverständnis der Beteiligten – seitens des Klägers mit Schriftsätzen vom 17.08.2016 und 10.04.2017, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 – entscheidet der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2, 3; 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zum gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung/Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Soweit der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 dem entgegensteht, verletzt er den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1 VwGO.
I.
18 
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Kläger der Bruder der Frau E. I. (Stammberechtigte) ist, welcher mit Urteil vom 28.02.2017 – zugestellt am 09.03.2017 – die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (A X K .../...).
19 
Hieraus folgt, dass der Kläger gem. § 26 Abs. 5, Abs. 3 S. 2 und S. 1 Nr. 1-4 AsylG einen Anspruch auf Familienasyl hat. Denn der Kläger war – ebenso wie seine Schwester als Stammberechtigte – zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährig. Allein hierauf kommt es an. Unerheblich ist hingegen, ob der Kläger bzw. seine Schwester als Stammberechtigte noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung minderjährig sind (ebenso VG Hamburg, Urteil vom 05.02.2014 - 8 A 289/13 - juris Rn. 17; VG München, Urteil vom 14.09.2016 - M 11 K 16.32551 - juris Rn. 17; Schröder, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylG Rn. 26). Für den Kläger ergibt sich dies bereits zwanglos aus dem klaren Wortlaut des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG. Gleiches muss jedoch auch für die Schwester des Klägers als Stammberechtigte gelten. Dies ergibt sich aus teleologischen Gründen – wie das VG Hamburg zutreffend ausführt – daraus, dass § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG (in Abkehr von § 77 Abs. 1 AsylG) explizit den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit benennt. Dieser muss nicht nur maßgeblich für die Minderjährigkeit des Familienangehörigen (hier: des Klägers), sondern zugleich für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten (hier: der Schwester des Klägers) sein (ebenso VG Hamburg, a. a. O. juris Rn. 20 mit weiterer, zutreffender Begründung). Andernfalls liefe der mit der Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG verfolgte Zweck des Minderjährigenschutzes und der Aufrechterhaltung der Familieneinheit leer.
20 
Dass i. R. d. § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG etwas anderes gilt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschl. v. 22.12.2016 – OVG 3 S 106.16 - juris Ls. Nr. 1 = NVwZ-RR 2017, 259), ist unschädlich. Denn bei § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG geht es (und kann es nur gehen) um den Schutz des minderjährigen Stammberechtigten, zu dem dessen Eltern (oder die sonst Sorgeberechtigten) nachziehen können sollen (vgl. OVG Bln-Bbg, a. a. O. juris Ls. Nr. 2). Bei § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG geht es hingegenauch um den Schutz des minderjährigen Familienangehörigen, für dessen Minderjährigkeit es nach dem eindeutigen Wortlaut auf den Zeitpunkt seiner Antragstellung ankommt. Nichts anderes kann daher für den Stammberechtigten gelten, damit der Schutz des minderjährigen Familienangehörigen nicht ins Leere läuft. Denn andernfalls käme es für dessen Schutzanspruch gem. § 26 AsylG darauf dann, dass der Stammberechtigte zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt noch minderjährig ist, wohingegen es – entgegen des klaren Wortlauts des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG – dann unerheblich wäre, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt dann noch minderjährig ist. Ein solcher Wertungswiderspruch vermag nur dadurch aufgelöst werden, dass es – mit dem VG Hamburg und dem VG München – auch hinsichtlich der Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Antragstellung des Familienangehörigen (hier: des Klägers) ankommt.
21 
Die weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 S. 2 i. V. m. S. 1 Nr. 1-4 AsylG sind ebenfalls erfüllt. Insbesondere bestand die geschwisterliche Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat und sie besteht auch derzeit noch fort (vgl. zu diesem Erfordernis BeckOK AuslR/Günther, 13. Ed. 1.2.2017, AsylG § 26 Rn. 23d).
22 
Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Schwester des Klägers ist auch am 10.04.2017 rechtskräftig und damit unanfechtbar i. S. d. § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AsylG geworden.
II.
23 
Der Kläger hat ferner – ohne dass es darauf noch ankäme – einen eigenen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Dies ergibt sich – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung der Kammer, die der erkennende Berichterstatter auf das vorliegende Verfahren überträgt – aus dem Umstand der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung in Deutschland und dem längeren Auslandsaufenthalt hier (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris; sowie das die Schwester des Klägers betreffende Urteil vom 09.03.2017 – A 3 K 3158/16 – n. v.) sowie – selbstständig tragend – aus dem weiteren Umstand, dass der Kläger im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien damit rechnen müsste, zum Wehrdienst eingezogen und sodann zur Teilnahme an Kriegshandlungen bestimmt zu werden (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris Rn. 114-139). Die Gefahrerhöhenden Umstände, die der erkennende Berichterstatter in der Person der Schwester des Klägers im Verfahren A 3 K 3158/16 erkannt hat, treffen uneingeschränkt auch auf den Kläger zu. Hinzu kommt bezüglich diesem, dass er mittlerweile (worauf es gem. § 77 Abs. 1 AsylG allein ankommt), im wehrdienstfähigen Alter ist.
III.
24 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.

Gründe

 
16 
Mit dem Einverständnis der Beteiligten – seitens des Klägers mit Schriftsätzen vom 17.08.2016 und 10.04.2017, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 – entscheidet der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2, 3; 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zum gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung/Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Soweit der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 dem entgegensteht, verletzt er den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1 VwGO.
I.
18 
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Kläger der Bruder der Frau E. I. (Stammberechtigte) ist, welcher mit Urteil vom 28.02.2017 – zugestellt am 09.03.2017 – die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (A X K .../...).
19 
Hieraus folgt, dass der Kläger gem. § 26 Abs. 5, Abs. 3 S. 2 und S. 1 Nr. 1-4 AsylG einen Anspruch auf Familienasyl hat. Denn der Kläger war – ebenso wie seine Schwester als Stammberechtigte – zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährig. Allein hierauf kommt es an. Unerheblich ist hingegen, ob der Kläger bzw. seine Schwester als Stammberechtigte noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung minderjährig sind (ebenso VG Hamburg, Urteil vom 05.02.2014 - 8 A 289/13 - juris Rn. 17; VG München, Urteil vom 14.09.2016 - M 11 K 16.32551 - juris Rn. 17; Schröder, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylG Rn. 26). Für den Kläger ergibt sich dies bereits zwanglos aus dem klaren Wortlaut des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG. Gleiches muss jedoch auch für die Schwester des Klägers als Stammberechtigte gelten. Dies ergibt sich aus teleologischen Gründen – wie das VG Hamburg zutreffend ausführt – daraus, dass § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG (in Abkehr von § 77 Abs. 1 AsylG) explizit den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit benennt. Dieser muss nicht nur maßgeblich für die Minderjährigkeit des Familienangehörigen (hier: des Klägers), sondern zugleich für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten (hier: der Schwester des Klägers) sein (ebenso VG Hamburg, a. a. O. juris Rn. 20 mit weiterer, zutreffender Begründung). Andernfalls liefe der mit der Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG verfolgte Zweck des Minderjährigenschutzes und der Aufrechterhaltung der Familieneinheit leer.
20 
Dass i. R. d. § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG etwas anderes gilt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschl. v. 22.12.2016 – OVG 3 S 106.16 - juris Ls. Nr. 1 = NVwZ-RR 2017, 259), ist unschädlich. Denn bei § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG geht es (und kann es nur gehen) um den Schutz des minderjährigen Stammberechtigten, zu dem dessen Eltern (oder die sonst Sorgeberechtigten) nachziehen können sollen (vgl. OVG Bln-Bbg, a. a. O. juris Ls. Nr. 2). Bei § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG geht es hingegenauch um den Schutz des minderjährigen Familienangehörigen, für dessen Minderjährigkeit es nach dem eindeutigen Wortlaut auf den Zeitpunkt seiner Antragstellung ankommt. Nichts anderes kann daher für den Stammberechtigten gelten, damit der Schutz des minderjährigen Familienangehörigen nicht ins Leere läuft. Denn andernfalls käme es für dessen Schutzanspruch gem. § 26 AsylG darauf dann, dass der Stammberechtigte zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt noch minderjährig ist, wohingegen es – entgegen des klaren Wortlauts des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG – dann unerheblich wäre, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt dann noch minderjährig ist. Ein solcher Wertungswiderspruch vermag nur dadurch aufgelöst werden, dass es – mit dem VG Hamburg und dem VG München – auch hinsichtlich der Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Antragstellung des Familienangehörigen (hier: des Klägers) ankommt.
21 
Die weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 S. 2 i. V. m. S. 1 Nr. 1-4 AsylG sind ebenfalls erfüllt. Insbesondere bestand die geschwisterliche Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat und sie besteht auch derzeit noch fort (vgl. zu diesem Erfordernis BeckOK AuslR/Günther, 13. Ed. 1.2.2017, AsylG § 26 Rn. 23d).
22 
Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Schwester des Klägers ist auch am 10.04.2017 rechtskräftig und damit unanfechtbar i. S. d. § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AsylG geworden.
II.
23 
Der Kläger hat ferner – ohne dass es darauf noch ankäme – einen eigenen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Dies ergibt sich – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung der Kammer, die der erkennende Berichterstatter auf das vorliegende Verfahren überträgt – aus dem Umstand der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung in Deutschland und dem längeren Auslandsaufenthalt hier (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris; sowie das die Schwester des Klägers betreffende Urteil vom 09.03.2017 – A 3 K 3158/16 – n. v.) sowie – selbstständig tragend – aus dem weiteren Umstand, dass der Kläger im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien damit rechnen müsste, zum Wehrdienst eingezogen und sodann zur Teilnahme an Kriegshandlungen bestimmt zu werden (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris Rn. 114-139). Die Gefahrerhöhenden Umstände, die der erkennende Berichterstatter in der Person der Schwester des Klägers im Verfahren A 3 K 3158/16 erkannt hat, treffen uneingeschränkt auch auf den Kläger zu. Hinzu kommt bezüglich diesem, dass er mittlerweile (worauf es gem. § 77 Abs. 1 AsylG allein ankommt), im wehrdienstfähigen Alter ist.
III.
24 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.

(1) Den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative, eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 4 besitzt, ist abweichend von § 5 Absatz 1 Nummer 1 und § 29 Absatz 1 Nummer 2 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält.

(2) Sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers kann zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Auf volljährige Familienangehörige sind § 30 Abs. 3 und § 31, auf minderjährige Familienangehörige ist § 34 entsprechend anzuwenden.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 05.08.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am ...1999 in al-Hasaka, Syrien, geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit.
Er reiste am 17.07.2015 zusammen mit seiner Schwester, E. I., geb. 01.01.1998 (BAMF-Az. ...-475), und seinem Onkel, A. I. (BAMF-Az. ...-475), geb. 01.01.1978, in die Bundesrepublik ein und stellte am 11.08.2015 einen Asylantrag. Für den Kläger und dessen Schwester beantragte ausweislich der Bundesamtsakte der Onkel die Vormundschaft; ein entsprechender Nachweis ist hingegen nicht aktenkundig.
Dem ausgefüllten „Syrien-Fragebogen“ ist zu entnehmen, dass der Kläger ein beschleunigtes Verfahren wünschte.
Am 03.08.2016 hörte das Bundesamt den Kläger persönlich gem. § 25 AsylG zu seinen Fluchtgründen an. Hierbei gab der Kläger an, dass er in Syrien keinen Personalausweis und keinen Reisepass besessen habe. Die Kurden würden in Syrien wie Ausländer behandelt und hätten daher keine Papiere bekommen. Der Kläger habe bis zu seiner Ausreise im Januar 2013 in Al-Hasaka im Stadtteil S. zusammen mit seinen Eltern, einem Bruder und drei Schwestern gelebt. Er sei im Juli 2015 nach Deutschland eingereist. Zur Reiseroute gibt er an: „Von Syrien aus sind wir in die Türkei gereist. Von der Türkei aus nach Griechenland mit dem Boot. Von dort weiter nach Mazedonien, Serbien, die weiteren Länder bis nach Deutschland kenne ich nicht.“ Zwischen 2013 und 2015 seien sie fast die ganze Zeit in der Türkei gewesen, wo sie gearbeitet und so die Weiterreise finanziert hätten. Er sei wegen seiner Hörprobleme in Syrien nicht zur Schule gegangen. Wehrdienst habe er nicht abgeleistet. Auf die Frage, ob es in seiner Heimatstadt zu Kriegshandlungen gekommen sei, erklärte der Kläger: „Ja, es gab dort Kriegshandlungen, deswegen sind wir auch ausgereist. Die Stadt Alhassaka stand unter der Kontrolle der Regierung.“
Zu seinen Fluchtgründen führte er aus: „Ich bin mit meiner Familie aus Syrien wegen des Krieges geflüchtet. In Syrien konnte ich meinen Hörschaden nicht behandeln lassen.“ Es habe keine Behandlungsmöglichkeiten gegeben. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien befürchtete der Kläger, vom IS getötet zu werden.
Mit Bescheid vom 05.08.2016, zugestellt am 09.08.2016 an die Schwester des Klägers als dessen gesetzliche Vertreterin, erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutz zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab. Zur Begründung der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führte das Bundesamt aus, der Kläger habe keine persönliche Verfolgung vorgetragen und diese sei auch nicht sonstwie ersichtlich.
Der Kläger hat am 17.08.2016 die vorliegende Klage erhoben. Zu ihrer Begründung verweist er auf die derzeitige Bürgerkriegssituation in seinem Heimatland sowie auf seine Angaben im Rahmen der persönlichen Anhörung. Daraus sei abzuleiten, dass allein aufgrund der illegalen Ausreise, des längeren Auslandsaufenthalts sowie der Asylantragstellung in Deutschland davon auszugehen sei, dass die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorlägen. Ergänzend verweist der Kläger auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 06.07.2016 (Az. RN 11 K 16.30889), dessen Inhalt er zum Gegenstand des Sach- und Rechtsvortrags im vorliegenden Verfahren macht. Ergänzend verweist er ferner auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 08.07.2016 (Az. 1 K 1922/16. TR), einen Gerichtsbescheid der Kammer vom 09.08.2016 (Az. A 3 K 2286/16) sowie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 30.08.2016 (Az. 1 K 20284/16 ME).
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
10 
den Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 hinsichtlich der Ziff. 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
11 
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
14 
Mit Schriftsatz vom 17.08.2016 hat der Kläger sein Einverständnis hinsichtlich einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt und mit weiterem Schriftsatz vom 10.04.2017 hat er auf Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.
15 
Dem Gericht lagen die Behördenakten der Beklagten vor. Darauf, wie auch auf den Inhalt der Gerichtsakte, wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Mit dem Einverständnis der Beteiligten – seitens des Klägers mit Schriftsätzen vom 17.08.2016 und 10.04.2017, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 – entscheidet der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2, 3; 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zum gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung/Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Soweit der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 dem entgegensteht, verletzt er den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1 VwGO.
I.
18 
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Kläger der Bruder der Frau E. I. (Stammberechtigte) ist, welcher mit Urteil vom 28.02.2017 – zugestellt am 09.03.2017 – die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (A X K .../...).
19 
Hieraus folgt, dass der Kläger gem. § 26 Abs. 5, Abs. 3 S. 2 und S. 1 Nr. 1-4 AsylG einen Anspruch auf Familienasyl hat. Denn der Kläger war – ebenso wie seine Schwester als Stammberechtigte – zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährig. Allein hierauf kommt es an. Unerheblich ist hingegen, ob der Kläger bzw. seine Schwester als Stammberechtigte noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung minderjährig sind (ebenso VG Hamburg, Urteil vom 05.02.2014 - 8 A 289/13 - juris Rn. 17; VG München, Urteil vom 14.09.2016 - M 11 K 16.32551 - juris Rn. 17; Schröder, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylG Rn. 26). Für den Kläger ergibt sich dies bereits zwanglos aus dem klaren Wortlaut des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG. Gleiches muss jedoch auch für die Schwester des Klägers als Stammberechtigte gelten. Dies ergibt sich aus teleologischen Gründen – wie das VG Hamburg zutreffend ausführt – daraus, dass § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG (in Abkehr von § 77 Abs. 1 AsylG) explizit den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit benennt. Dieser muss nicht nur maßgeblich für die Minderjährigkeit des Familienangehörigen (hier: des Klägers), sondern zugleich für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten (hier: der Schwester des Klägers) sein (ebenso VG Hamburg, a. a. O. juris Rn. 20 mit weiterer, zutreffender Begründung). Andernfalls liefe der mit der Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG verfolgte Zweck des Minderjährigenschutzes und der Aufrechterhaltung der Familieneinheit leer.
20 
Dass i. R. d. § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG etwas anderes gilt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschl. v. 22.12.2016 – OVG 3 S 106.16 - juris Ls. Nr. 1 = NVwZ-RR 2017, 259), ist unschädlich. Denn bei § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG geht es (und kann es nur gehen) um den Schutz des minderjährigen Stammberechtigten, zu dem dessen Eltern (oder die sonst Sorgeberechtigten) nachziehen können sollen (vgl. OVG Bln-Bbg, a. a. O. juris Ls. Nr. 2). Bei § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG geht es hingegenauch um den Schutz des minderjährigen Familienangehörigen, für dessen Minderjährigkeit es nach dem eindeutigen Wortlaut auf den Zeitpunkt seiner Antragstellung ankommt. Nichts anderes kann daher für den Stammberechtigten gelten, damit der Schutz des minderjährigen Familienangehörigen nicht ins Leere läuft. Denn andernfalls käme es für dessen Schutzanspruch gem. § 26 AsylG darauf dann, dass der Stammberechtigte zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt noch minderjährig ist, wohingegen es – entgegen des klaren Wortlauts des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG – dann unerheblich wäre, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt dann noch minderjährig ist. Ein solcher Wertungswiderspruch vermag nur dadurch aufgelöst werden, dass es – mit dem VG Hamburg und dem VG München – auch hinsichtlich der Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Antragstellung des Familienangehörigen (hier: des Klägers) ankommt.
21 
Die weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 S. 2 i. V. m. S. 1 Nr. 1-4 AsylG sind ebenfalls erfüllt. Insbesondere bestand die geschwisterliche Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat und sie besteht auch derzeit noch fort (vgl. zu diesem Erfordernis BeckOK AuslR/Günther, 13. Ed. 1.2.2017, AsylG § 26 Rn. 23d).
22 
Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Schwester des Klägers ist auch am 10.04.2017 rechtskräftig und damit unanfechtbar i. S. d. § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AsylG geworden.
II.
23 
Der Kläger hat ferner – ohne dass es darauf noch ankäme – einen eigenen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Dies ergibt sich – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung der Kammer, die der erkennende Berichterstatter auf das vorliegende Verfahren überträgt – aus dem Umstand der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung in Deutschland und dem längeren Auslandsaufenthalt hier (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris; sowie das die Schwester des Klägers betreffende Urteil vom 09.03.2017 – A 3 K 3158/16 – n. v.) sowie – selbstständig tragend – aus dem weiteren Umstand, dass der Kläger im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien damit rechnen müsste, zum Wehrdienst eingezogen und sodann zur Teilnahme an Kriegshandlungen bestimmt zu werden (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris Rn. 114-139). Die Gefahrerhöhenden Umstände, die der erkennende Berichterstatter in der Person der Schwester des Klägers im Verfahren A 3 K 3158/16 erkannt hat, treffen uneingeschränkt auch auf den Kläger zu. Hinzu kommt bezüglich diesem, dass er mittlerweile (worauf es gem. § 77 Abs. 1 AsylG allein ankommt), im wehrdienstfähigen Alter ist.
III.
24 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.

Gründe

 
16 
Mit dem Einverständnis der Beteiligten – seitens des Klägers mit Schriftsätzen vom 17.08.2016 und 10.04.2017, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 – entscheidet der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2, 3; 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zum gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung/Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Soweit der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 dem entgegensteht, verletzt er den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1 VwGO.
I.
18 
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Kläger der Bruder der Frau E. I. (Stammberechtigte) ist, welcher mit Urteil vom 28.02.2017 – zugestellt am 09.03.2017 – die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (A X K .../...).
19 
Hieraus folgt, dass der Kläger gem. § 26 Abs. 5, Abs. 3 S. 2 und S. 1 Nr. 1-4 AsylG einen Anspruch auf Familienasyl hat. Denn der Kläger war – ebenso wie seine Schwester als Stammberechtigte – zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährig. Allein hierauf kommt es an. Unerheblich ist hingegen, ob der Kläger bzw. seine Schwester als Stammberechtigte noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung minderjährig sind (ebenso VG Hamburg, Urteil vom 05.02.2014 - 8 A 289/13 - juris Rn. 17; VG München, Urteil vom 14.09.2016 - M 11 K 16.32551 - juris Rn. 17; Schröder, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylG Rn. 26). Für den Kläger ergibt sich dies bereits zwanglos aus dem klaren Wortlaut des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG. Gleiches muss jedoch auch für die Schwester des Klägers als Stammberechtigte gelten. Dies ergibt sich aus teleologischen Gründen – wie das VG Hamburg zutreffend ausführt – daraus, dass § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG (in Abkehr von § 77 Abs. 1 AsylG) explizit den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit benennt. Dieser muss nicht nur maßgeblich für die Minderjährigkeit des Familienangehörigen (hier: des Klägers), sondern zugleich für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten (hier: der Schwester des Klägers) sein (ebenso VG Hamburg, a. a. O. juris Rn. 20 mit weiterer, zutreffender Begründung). Andernfalls liefe der mit der Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG verfolgte Zweck des Minderjährigenschutzes und der Aufrechterhaltung der Familieneinheit leer.
20 
Dass i. R. d. § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG etwas anderes gilt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschl. v. 22.12.2016 – OVG 3 S 106.16 - juris Ls. Nr. 1 = NVwZ-RR 2017, 259), ist unschädlich. Denn bei § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG geht es (und kann es nur gehen) um den Schutz des minderjährigen Stammberechtigten, zu dem dessen Eltern (oder die sonst Sorgeberechtigten) nachziehen können sollen (vgl. OVG Bln-Bbg, a. a. O. juris Ls. Nr. 2). Bei § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG geht es hingegenauch um den Schutz des minderjährigen Familienangehörigen, für dessen Minderjährigkeit es nach dem eindeutigen Wortlaut auf den Zeitpunkt seiner Antragstellung ankommt. Nichts anderes kann daher für den Stammberechtigten gelten, damit der Schutz des minderjährigen Familienangehörigen nicht ins Leere läuft. Denn andernfalls käme es für dessen Schutzanspruch gem. § 26 AsylG darauf dann, dass der Stammberechtigte zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt noch minderjährig ist, wohingegen es – entgegen des klaren Wortlauts des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG – dann unerheblich wäre, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt dann noch minderjährig ist. Ein solcher Wertungswiderspruch vermag nur dadurch aufgelöst werden, dass es – mit dem VG Hamburg und dem VG München – auch hinsichtlich der Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Antragstellung des Familienangehörigen (hier: des Klägers) ankommt.
21 
Die weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 S. 2 i. V. m. S. 1 Nr. 1-4 AsylG sind ebenfalls erfüllt. Insbesondere bestand die geschwisterliche Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat und sie besteht auch derzeit noch fort (vgl. zu diesem Erfordernis BeckOK AuslR/Günther, 13. Ed. 1.2.2017, AsylG § 26 Rn. 23d).
22 
Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Schwester des Klägers ist auch am 10.04.2017 rechtskräftig und damit unanfechtbar i. S. d. § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AsylG geworden.
II.
23 
Der Kläger hat ferner – ohne dass es darauf noch ankäme – einen eigenen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Dies ergibt sich – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung der Kammer, die der erkennende Berichterstatter auf das vorliegende Verfahren überträgt – aus dem Umstand der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung in Deutschland und dem längeren Auslandsaufenthalt hier (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris; sowie das die Schwester des Klägers betreffende Urteil vom 09.03.2017 – A 3 K 3158/16 – n. v.) sowie – selbstständig tragend – aus dem weiteren Umstand, dass der Kläger im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien damit rechnen müsste, zum Wehrdienst eingezogen und sodann zur Teilnahme an Kriegshandlungen bestimmt zu werden (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris Rn. 114-139). Die Gefahrerhöhenden Umstände, die der erkennende Berichterstatter in der Person der Schwester des Klägers im Verfahren A 3 K 3158/16 erkannt hat, treffen uneingeschränkt auch auf den Kläger zu. Hinzu kommt bezüglich diesem, dass er mittlerweile (worauf es gem. § 77 Abs. 1 AsylG allein ankommt), im wehrdienstfähigen Alter ist.
III.
24 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Tenor

Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Juni 2016 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der am … 1993 geborene Kläger, ein syrische Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste eigenen Angaben zufolge am 22. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.

3

Zur Begründung machte er geltend, Syrien wegen des Krieges und aus Angst vor dem Verhungern verlassen zu haben. A… in der Provinz Homs, wo er gelebt habe, sei mal vom Regime und mal von bewaffneten Milizen übernommen worden. Es sei gefährlich gewesen zwischen den Fronten. Es habe ständig die Gefahr bestanden, von einer Seite gefangen genommen zu werden. Im Jahr 2013 seien Verwandte bei einer Straßenkontrolle mitgenommen worden. Sie seien nicht wiedergekommen; wahrscheinlich seien sie getötet worden. Zudem habe er Angst gehabt, vom Militär mitgenommen und als Soldat eingesetzt zu werden. Offiziell einberufen worden sei er noch nicht. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, eingezogen oder inhaftiert zu werden, weil er vor dem Wehrdienst geflohen sei.

4

Mit Bescheid vom 12. April 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu. Im Übrigen lehnte es den Asylantrag mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne des § 3 Asylgesetz (AsylG) sei.

5

Das Verwaltungsgericht Trier hat auf die hiergegen erhobene Klage die Beklagte mit Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 K 1520/16.TR – unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen. Mit Blick auf die Erkenntnismittel, insbesondere die aktuelle Situation in Syrien, sei davon auszugehen, dass dem Kläger für den Fall der Rückkehr nach dort ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Auf der Grundlage der auch aus der aktuellen Berichterstattung gewonnenen Erkenntnislage sei beachtlich wahrscheinlich, dass im Falle der Rückkehr wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, weil davon auszugehen sei, dass einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

6

Mit Beschluss vom 15. September 2016 – 1 A 10658/16.OVG – hat der Senat auf Antrag der Beklagten die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Am 30. September 2016 hat die Beklagte die Berufung begründet.

7

Sie macht geltend, dass Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin nicht allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung drohe.

8

Die Beklagte beantragt,

9

unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Zur Begründung nimmt er Bezug auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend macht er geltend, dass die von der Beklagten vertretene Auffassung, Rückkehrer nach Syrien unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folterung oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, dem liege jedoch keine unterstellte Regimegegnerschaft zugrunde, lebensfremd sei. Verhaftungen und Folterungen dienten keinem Selbstzweck, sondern der Unterdrückung jeglicher Regimegegnerschaft. Sie richteten sich immer gegen Personen, die der Regimegegnerschaft verdächtigt würden, wofür in Syrien indessen bereits derartige Nichtigkeiten genügten, dass dies aus Sicht eines in einem rechtsstaatlichen System lebenden Betrachters als willkürlich erscheinen möge. Demgemäß genüge auch bereits ein Auslandsaufenthalt für den Verdacht oppositioneller Haltung oder Tätigkeit. Dies gelte umso mehr, da sich das syrische Regime seit Jahren im Kampf um das eigene Überleben befinde. In individueller Hinsicht wirke in seinem Falle gefahrerhöhend, dass er aus der Rebellenhochburg Homs stamme und sich im wehrfähigen Alter befinde. Hinzu komme noch, dass sein 1990 geborener Bruder – dem die Beklagte im Übrigen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe – bereits eine Einberufung zum Militärdienst erhalten, aber nicht befolgt habe, was nochmals zu einer Gefahrerhöhung auch für den Kläger führe.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten der Beklagten betreffend den Kläger (Az. 6513645-475) und dessen Bruder (Az. 6513662-475), jeweils 1 Heft, Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

14

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung ist zulässig und begründet.

16

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.

18

a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK –, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

19

Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung sowie die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde.

20

b. Die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe werden in § 3b Abs. 1 AsylG näher umschrieben.

21

Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst der Begriff der Rasse insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe.

22

Als Religion im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG definiert § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

23

Der Verfolgungsgrund der Nationalität umfasst gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylG über die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen hinaus insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird.

24

Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylG).

25

Den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung definiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG als das Vertreten einer Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft; unerheblich ist, ob der Ausländer aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

26

§ 3b Abs. 2 AsylG stellt schließlich ergänzend fest, dass es für die Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, nicht darauf ankommt, ob er die zur Verfolgung führenden Merkmale tatsächlich aufweist. Ausreichend ist bereits, dass diese ihm von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

27

c. Was den notwendigen Zusammenhang zwischen den in §§ 3 Abs. 1 und 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen angeht, stellt § 3a Abs. 3 AsylG nochmals klar, dass insoweit eine Verknüpfung bestehen muss.

28

d. § 3c AsylG legt fest, von wem Verfolgung ausgehen kann: Über den Staat (Nr. 1) und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), hinaus können dies nach § 3c Nr. 3 AsylG auch nichtstaatliche Akteure sein, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

29

e. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet nach § 3e Abs. 1 AsylG dann aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

30

f. Ob eine Verfolgung der vorstehend näher beschriebenen Art droht, d. h. der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylGaus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 –, BVerwGE 85, 12, juris, m. w. N.).

31

aa. Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern (§ 25 Abs. 1 AsylG).

32

Das Gericht muss sich sodann, um die behaupteten, möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Tatsachen seiner Entscheidung als gegeben zugrunde legen zu können, nach § 108 Abs.1 Satz 1 VwGO die volle Überzeugung von deren Wahrheit – und nicht nur von deren Wahrscheinlichkeit – verschaffen. Zwar gilt hierbei der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Zudem ist die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Insbesondere können in der Regel unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts legt den Tatsachengerichten insoweit nahe, den eigenen Erklärungen des Schutzsuchenden größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Schutzsuchenden keine Beweismittel zur Verfügung stehen. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen; das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Antragstellers auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss – wenn nicht anders möglich – in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Schutzsuchenden glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

33

bb. Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – ABl. EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl. EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24 – einheitlich anhand des Maßstabs der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zu erfolgen (vgl. dazu im einzelnen BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, BVerwGE 140, 22, und vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 –, beide in juris, m. w. N.).

34

(1) Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 –, juris, m. w. N.) eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.

35

(2) Von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung muss das Gericht – wie auch bereits von der Wahrheit des der Prognose zugrunde zu legenden Lebenssachverhalts – die volle richterliche Überzeugung gewonnen haben (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

36

(3) Eine Beweiserleichterung gilt für Vorverfolgte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist; etwas anderes soll nur dann gelten, wenn stichhaltige Gründe gegen eine erneute derartige Bedrohung sprechen. Für denjenigen, der bereits Verfolgung erlitten hat, streitet also die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Die aus der Vorverfolgung resultierende Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Erforderlich ist hierfür, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, BVerwGE 136, 388, juris, m. w. N.).

37

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze droht dem Kläger im Falle einer – ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 12. April 2016 zuerkannten subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und des hieraus resultierenden Abschiebungsverbots (§ 60 Abs. 2 AufenthG) – hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nach Überzeugung des Senats dort nicht beachtlich wahrscheinlich Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.

38

a. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergäbe, hat der Kläger weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht.

39

b. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich auch nicht aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG).

40

aa. Das Verwaltungsgericht hat eine entsprechende Gefährdung ausschließlich unter Hinweis darauf bejaht, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, womit seitens der syrischen Behörden einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

41

Damit folgt das Verwaltungsgericht der Rechtsprechung der überwiegenden Zahl der bislang mit dieser Frage befassten Gerichte (vgl. OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, VGH BW, Beschlüsse vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 – und vom 29. Oktober 2013 – A 11 S 2046/13 –, HessVGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 3 A 917/13.Z.A –, sowie eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen, zuletzt etwa VG Köln, Urteil vom 25. Oktober 2016 – 20 K 2890/16.A –, VG Münster, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 8 K 2127/16.A –, VG Schleswig, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 12 A 651/16 –, m. w. N.; a. A.: in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, zuletzt mit Beschlüssen vom 5. September 2010 – 14 A 1802/16.A – und vom 6. Oktober 2016 – 14 A 1852/16.A –, jeweils m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juli 2016 – 5 K 5853/16.A – und vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16.A –, alle in juris, sowie BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 ZB 16.30338 u. a. –, Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht).

42

Dem vermag sich der Senat indessen nicht anzuschließen.

43

Zwar trifft es zu, dass mangels Referenzfällen – wegen der eskalierenden Lage finden Abschiebungen bereits seit Jahren nicht mehr statt (vgl. dazu auch die entsprechende Empfehlung des Bundesministeriums des Innern an die Länderinnenverwaltungen vom 28. April 2011, Az. M I 3 – 125 242 SYR/O) – die Prognose, ob im Falle einer hypothetischen Abschiebung nach Syrien dort aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, notwendigerweise aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu erfolgen hat.

44

Demgemäß begründen die eine entsprechende Verfolgungsgefahr bejahenden Gerichte ihre Prognosen jeweils mit einer ganzen Reihe von Einzelfaktoren. Hierzu gehören insbesondere (vgl. exemplarisch etwa OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, juris) die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungsstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und der Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition unterstützen. Auch hiergegen ist systematisch nichts zu erinnern.

45

Der erkennende Senat gelangt allerdings im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände zu einem abweichenden Ergebnis im Hinblick auf die allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt bestehende Verfolgungsgefahr.

46

Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist rechtlich zwischen zwei Fragestellungen zu unterscheiden, nämlich dem beachtlich wahrscheinlichen Drohen einer Verfolgungshandlung gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG als solcher und deren ebenfalls beachtlich wahrscheinlicher Verknüpfung (§ 3a Abs. 3 AsylG) mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG.

47

(1) Danach kann für die hier allein streitgegenständliche Frage der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG letztlich offen bleiben, ob dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien dort überhaupt beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG dergestalt droht, einer Befragung unterzogen zu werden, mit der die konkrete Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung einhergeht.

48

Zweifel hieran könnten sich im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats möglicherweise aus dem Umstand ergeben, dass Ende 2015 von den rund 22 Millionen zuvor in Syrien lebenden Menschen bereits rund 4,9 Millionen, mithin knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung, aus dem Land geflohen waren (UNHCR, Global Trends – Forced Displacement in 2015,

49

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

50

Dass es sich hierbei mehrheitlich nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, muss bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch den syrischen Behörden bekannt sein. Dass dem tatsächlich so ist, wird überdies durch eine Äußerung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Ende 2015 in einem Interview im tschechischen Fernsehen bestätigt, wonach es sich bei der Mehrheit der syrischen Flüchtlinge um „gute Syrer“ handele, es aber „natürlich … eine Unterwanderung durch Terroristen“ gebe

51

(http://www.n-tv.de/politik/Assad-lobt-Putins-Eingreifen-in-Syrien-article16478486.html).

52

In diese Richtung deutet auch eine Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016. Danach liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorangegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erwarten haben. Zwar seien Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien; diese stünden allerdings überwiegend im Zusammenhang mit oppositionellen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten und Menschenrechtsverteidigern) oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeiteten.

53

Andererseits ergeben sich bereits aus der zitierten Äußerung des syrischen Präsidenten aber auch deutliche Hinweise darauf, dass die syrischen Sicherheitsbehörden alle Rückkehrer schon deshalb jedenfalls einer eingehenden Befragung unterziehen werden, damit sie einschätzen können, ob Verdachtsmomente für terroristische Aktivitäten – oder möglicherweise auch nur für eine regimegegnerische Haltung des Betroffenen oder für Kenntnisse über oppositionelle Aktivitäten Dritter – gegeben sind. Die mit derartigen Befragungen ausweislich zahlreicher bis zum Jahr 2011 dokumentierter Referenzfälle (vgl. beispielsweise OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, und OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2012 – 14 A 2708/10.A –, beide in juris, jeweils m. w. N.) jedenfalls in der Vergangenheit verbunden gewesenen weiteren Risiken einer Verhaftung und/oder von Misshandlungen vom Schweregrad des § 3a AsylG können auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen massenhaften Ausreise jedenfalls nicht hinreichend verlässlich ausgeschlossen werden.

54

Letztlich bedarf diese Frage hier aber keiner abschließenden Klärung, weil eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben wäre.

55

(2) Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse reichen nicht aus, um seine Überzeugung von einer beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung einer möglicherweise allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt drohenden Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a Abs. 3 AsylG zu begründen; weiterreichende taugliche Erkenntnismittel sind weder von den Beteiligten aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.

56

Eine entsprechende beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers im Sinne des § 3 AsylG würde voraussetzen, dass ihm ein entsprechendes Merkmal von den syrischen Behörden zumindestzugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG). Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der politisch Verfolgte weder tatsächlich noch nach der Überzeugung des verfolgenden Staates selbst Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals sein müssen, sondern politische Verfolgung auch dann vorliegen kann, wenn der oder die Betroffene lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits politischer Verfolgung unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 22. November 1996 – 2 BvR 1753/96 –, juris).

57

Dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden in diesem Sinne letztlich jeden Rückkehrer, der Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hat, ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechnen, gibt es keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse. Im Gegenteil erscheint dies lebensfremd, da angesichts von fast 5 Millionen Flüchtlingen auch dem syrischen Staat – wie bereits dargelegt – bekannt ist, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Regime, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen hat (so auch in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 6. Oktober 2010 – 14 A 1852/16.A – und vom 5. September 2016 – 14 A 1802/16.A – m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, und VG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16-A –, alle in juris).

58

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse (a) zur Behandlung von Personen, die bis zum Abschiebestopp im Jahre 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, (b) zur umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, (c) zur Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und (d) zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.

59

(a) (aa) Das Auswärtige Amt hat in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010 zur Behandlung von Rückkehrern (S. 19 f.) mitgeteilt, dass zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt würden. Diese Befragungen könnten sich (zwar) über mehrere Stunden hinziehen, in der Regel werde dann jedoch die Einreise ohne weitere Schwierigkeiten gestattet; in manchen Fällen werde der Betroffene für die folgenden Tage nochmals zum Verhör einbestellt. (Lediglich) in Einzelfällen würden Personen für die Dauer einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden festgehalten; dies dauere in der Regel nicht länger als zwei Wochen. Im Jahr 2009 seien – bei insgesamt 40 in 2009 und dem ersten Quartal 2010 von Deutschland nach Syrien im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen Rückübernahmeabkommens zurückgeführten Personen – in drei Fällen Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekanntgeworden. In einem Fall könne bestätigt werden, dass eine Inhaftierung über die übliche Befragung durch syrische Behörden nach der Ankunft hinausgegangen sei. Der Betroffene sei unter dem Vorwurf verhaftet worden, in Deutschland Asyl beantragt und „im Ausland bewusst falsche Nachrichten verbreitet zu haben, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“. Später sei der auf Kaution freigelassene und sodann ausgereiste Mann in Abwesenheit wegen „Verbreitung bewusst falscher Tatsachen im Ausland, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“ zu einer Haftstrafe von 4 Monaten sowie einer Geldstrafe von 80 SYP (1,17 €) verurteilt worden. Eigenen – nicht verifizierbaren – Angaben zufolge sei der Betroffene während seiner Haft durch syrische Behördenmitarbeiter körperlich misshandelt worden.

60

Für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich aufgrund einer von den syrischen Behörden vermuteten regimefeindlichen Einstellung die Festnahme und Folter drohe, kann den Feststellungen des Lageberichts letztlich nichts entnommen werden.

61

Fraglich erscheint bereits, ob für die im Rahmen der Verfolgungsprognose hypothetisch zu unterstellende Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat überhaupt von einer Abschiebung auszugehen ist. In diesem Fall müsste der Betroffene ja – um überhaupt abgeschoben werden zu können – nach bestandskräftigem Abschluss des Erstverfahrens zur Ausreise verpflichtet sein. Dann aber stellte sich die Frage, ob eine durch den Umstand, dass der Schutzsuchende nicht dieser rechtlichen Verpflichtung folgend freiwillig ausreist, sondern es auf eine Abschiebung ankommen lässt, bewirkte Gefahrerhöhung nicht entsprechend den Grundsätzen für missbräuchlich geschaffene Nachfluchtgründe (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 10 C 27/07 –, BVerwGE 133, 31, juris) im Rahmen des § 3 AsylG außer Betracht zu bleiben hat. Letztlich kann dies allerdings dahinstehen, da sich aus dem o. a. Lagebericht auch für den hypothetisch unterstellten Fall einer Abschiebung nach Syrien keine zureichenden Anhaltspunkte für eine beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung Gefährdung ergeben.

62

Auf der Grundlage einer Gesamtzahl von rund 40 zurückgeführten Personen wird von insgesamt drei Inhaftierungen berichtet. Da nach dem Lagebericht derartige Inhaftierungen zum Zweck einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden erfolgen können, und in einem der drei berichteten Fälle eine Anklage und Verurteilung wegen Verbreitung falscher, das Ansehen des Staates herabsetzenden Aussagen erfolgt ist, ergibt sich hieraus letztlich bereits keine beachtlich wahrscheinliche Gefährdung von Personen, die derartige Äußerungen im Ausland jedenfalls nicht bekanntermaßen, insbesondere im Rahmen ihrer Asylantragstellung, getätigt haben, überhaupt mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 i. V. m. § 3a AsylG überzogen zu werden. Dies gilt umso mehr, als Rückkehrer aus der Bundesrepublik Deutschland, die – wie der Kläger – ihr Asylbegehren nicht mit einer Verfolgung durch den syrischen Staat, sondern lediglich mit dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und dessen Folgen begründet haben, dies auch noch zusätzlich durch Vorlage der Anhörungsniederschrift sowie des Bescheides des Bundesamtes und ggfls. der hierauf ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteile belegen können.

63

Erst recht lassen sich dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010 keine Hinweise auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verfolgung aus einem der in § 3 AsylG genannten Verfolgungsgründe entnehmen.

64

(bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt seinem Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 – zugrunde gelegten Dokumentationen von amnesty international „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012

65

(https://www.amnesty.de/downloads/download-menschenrechtskrise-syrien-erfordert-abschiebungsstopp)

66

und des kurdischen Informationsdienstes KURDWATCH

67

(http://www.kurdwatch.org/?cid=1&z=en)

68

betreffend die Festnahme von Rückkehrern in insgesamt 9 Fällen im Zeitraum von Juni 2009 bis zum 13. April 2011. In jedem dieser Fälle bestehen nämlich besondere Einzelfallumstände, die als eigenständige Erklärung für die Verhaftung bei der Rückkehr nach Syrien dienen können. In einem Fall war der Betroffene bereits 2005 in Syrien in Haft gewesen. In einem anderen Fall – wohl dem, über den auch bereits das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 27. September 2010 berichtet hat – wurden dem Asylbewerber offenbar konkrete Angaben bei seiner Anhörung durch das Bundesamt vorgehalten. Die weiteren Festnahmen erklären sich durch das Engagement als stellvertretender Direktor eines Vereins syrischer Kurden, der auf die Situation der Kurden in Syrien aufmerksam macht, eine den syrischen Behörden bekannt gewordene Straffälligkeit wegen Diebstahls in Deutschland, falsche Altersangaben im Pass und diverse exilpolitische Aktivitäten wie die Teilnahme an Hungerstreiks und das Berichten hierüber.

69

(cc) Ganz abgesehen davon wäre aber auch selbst eine – nach der Überzeugung des Senats nicht gegebene – beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung in Bezug auf bis zum Jahre 2011 nach Syrien abgeschobene abgelehnte Asylbewerber nur ein schwaches Indiz für eine entsprechende Gefährdung bei heutiger fiktiver Rückkehr allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt.

70

Bis 2011 gibt es keine Hinweise auf eine größere Anzahl von Flüchtlingen aus Syrien, die im Ausland um politisches Asyl nachgesucht haben; im Gegenteil war Syrien Ende des Jahres 2011 mit 755.400 aufgenommenen Flüchtlingen hinter Pakistan und dem Iran und noch vor der Bundesrepublik Deutschland das drittstärkste Aufnahmeland weltweit (UNHCR, Global Trends 2011 – A Year of Crises,

71

http://www.unhcr.org/statistics/country/4fd6f87f9/unhcr-global-trends-2011.html).

72

Angesichts des Nichtvorliegens von Gründen für eine massenhafte Flucht aus Syrien bis dahin mag es für die syrischen Sicherheitsbehörden damals nach der Lebenserfahrung nahegelegen haben, unter denjenigen, welche gleichwohl im Ausland Asyl beantragt hatten, einen beachtlichen Prozentsatz an dem syrischen System kritisch oder sogar feindlich gegenüber stehenden Personen zu vermuten. Diese Vermutung rechtfertigt sich indessen nicht mehr, nachdem zeitlich zusammentreffend mit der ab Januar 2012 eskalierenden Gewaltanwendung in Syrien (siehe dazu näher Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17. September 2012) im Verlauf von 4 Jahren rund 5 Millionen Menschen aus Syrien geflohen sind; vgl. UNHCR, Global Trends 2012 – Displacement, The New 21st Century Challenge, Global Trends 2013 – Wars’s Human Cost, Global Trends 2014 – World at War, und Global Trends 2015 – Forced Displacement in 2015,

73

http://www.unhcr.org/statistics/country/51bacb0f9/unhcr-global-trends-2012.html,

74

http://www.unhcr.org/statistics/country/5399a14f9/unhcr-global-trends-2013.html,

75

http://www.unhcr.org/statistics/country/556725e69/unhcr-global-trends-2014.html

76

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

77

Dass es sich bei den Geflohenen größtenteils nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, ist – wie bereits eingangs dargelegt – auch den syrischen Behörden bekannt.

78

(dd) Erheblich lebensnäher als die Annahme, dass die syrischen Behörden allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt generell das Vorhandensein einer gegen das derzeitige politische System gerichteten Einstellung vermuten und aufgrund dessen gegen den Betroffenen vorgesehen, erscheint es nach alledem, dass mittels der scharfen Einreisekontrollen mit den zurückkehrenden Flüchtlingen ins Land einsickernde Terroristen und Regimegegner aus der Masse der Flüchtlinge herausgefiltert werden sollen. Möglicherweise mag es auch darum gehen, im Einzelfall vorhandene Wahrnehmungen oder Kenntnisse die Tätigkeit der Exilopposition betreffend „abzuschöpfen“, wobei jedoch auch insoweit angesichts von Millionen im Ausland lebender Flüchtlinge nicht davon ausgegangen werden kann, dass die syrischen Sicherheitsbehörden bei jedem oder auch nur bei einer großen Zahl von Rückkehrern derartiges Wissen vermuten.

79

Insgesamt kann sonach nicht festgestellt werden, dass die Gefahr, bei einer fiktiven Rückkehr nach Syrien festgenommen und unter Anwendung von Folter verhört zu werden, an dem Betroffenen vom syrischen Staat zumindest im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG zugeschriebene Merkmale nach den §§ 3 Abs. 1, 3b Abs.1 AsylG anknüpfen würde. Dafür, dass der syrische Staat bei heutiger Rückkehr in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern mehr sehen würde, als bloß potentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene, auf die er sodann möglicherweise wahllos-routinemäßig zugreift, um unter Umständen Hinweise auf Terroristen oder Oppositionelle zu gewinnen, lässt sich jedenfalls aus den Erkenntnissen zur Behandlung von Personen, die bis 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, nichts herleiten.

80

(ee) Eine andere Bewertung insoweit legen schließlich auch nicht Berichte jüngeren Datums über die Behandlung von Rückkehrern aus nichteuropäischen Ländern nahe.

81

So führt das US State Department in seinem Menschenrechtsbericht vom 13. April 2016

82

(http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm)

83

unter Section 2d zum Thema „Emigration and Repatriation“ zwar aus, dass Personen, welche erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht hätten, strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt seien

84

(„On their return to the country, both persons who unsuccessfully sought asylum in other countries and those who had previous connections with the Syrian Muslim Brotherhood faced prosecution.“),

85

erläutert dies jedoch im Folgesatz dahingehend, dass das Gesetz die Verfolgung von Personen vorsehe, welche im Ausland Schutz gesucht hätten, um sich einer Strafe in Syrien zu entziehen

86

(„The law provides for the prosecution of any person who attempts to seek refuge in another country to evade penalty in Syria.“).

87

Für das Vorliegen eines derartigen Falles bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte.

88

Des Weiteren heißt es im Bericht des State Departments, dass die syrischen Behörden routinemäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet hätten, welche nach Jahren oder gar Jahrzehnten selbstauferlegten Exils nach Syrien zurückgekehrt seien

89

(„The government routinely arrested dissidents and former citizens with no known political affiliation who attempted to return to the country after years or even decades of self-imposed exile.“).

90

Insoweit ist dem Bericht indessen bereits nichts dazu entnehmen, ob es sich nach der Dauer der Festnahme und den Umständen der Vernehmung um eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des §§ 3 und 3a AsylG gehandelt hat. Unabhängig davon lässt sich aber auch jedenfalls in Bezug auf die Personen ohne bekannten politischen Hintergrund kein Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG feststellen, da die Festnahme dem Bericht zufolge im bereits umschriebenen Sinne wahllos-routinemäßig („routinely“) erfolgt.

91

Das Immigration and Refugee Board of Canada verweist in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 (Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014-December 2015],

92

http://www.ecoi.net/local_link/320204/445626_en.html),

93

unter Ziffer 3 „Treatment of Failed Refugee Claimants“ auf einen Fernsehbericht von ABC vom 1. Oktober 2015, dem zufolge ein aus Australien zurückkehrender Asylbewerber nach eigenen Angaben 20 Tage lang festgehalten und durch Schläge misshandelt worden sei. Man habe ihm vorgehalten, aus der Provinz Daara, in der der Bürgerkrieg begonnen habe, zu stammen, und – unter Hinweis auf einen von ihm mitgeführten Geldbetrag – ein Finanzier der Revolution zu sein. Über weitergehende und bestätigende Informationen zu diesem Fall verfüge man nicht. Die dieser Berichterstattung zufolge gegen den Rückkehrer erhobenen Vorwürfe gehen indessen über den bloßen Umstand der illegalen Ausreise und erfolglosen Asylantragstellung im Ausland hinaus.

94

Im Weiteren enthält der Jahresbericht sodann zwar Einschätzungen verschiedener namentlich nicht genannter Personen, u. a. eines emeritierten Professors für Anthropologie und Vertreibung der Universität Oxford und eines „Executive Director of the Syria Justice and Accountability Center“, denen zufolge zurückkehrende erfolglose Asylbewerber mit Festnahme und Haft sowie mit Folter zu rechnen hätten, um den Grund für ihre Ausreise zu erfahren oder Informationen über andere Asylbewerber oder die Opposition erlangen. Konkrete Tatsachen, aus denen diese Einschätzungen abgeleitet werden könnten, werden indessen nicht genannt. Damit fehlte es insoweit selbst dann, wenn man diese Einschätzungen ohne nähere Überprüfung als zutreffend unterstellen wollte, jedenfalls an einem zureichenden Beleg für die Annahme, dass die drohenden Übergriffe regelmäßig durch einen den Betroffenen seitens der syrischen Behörden zumindest zugeschriebenen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 AsylG motiviert wären und nicht bloß ein wahllos-routinemäßiges „Fischen“ nach möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen darstellten, wofür wie bereits ausgeführt die Lebenserfahrung spricht.

95

(b) Tragfähige Anhaltspunkte für eine im Fall der Abschiebung nach Syrien dort allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandsaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ergeben sich auch nicht aus den vorliegenden Erkenntnissen zurumfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die syrischen Geheimdienste.

96

(aa) Zur Intensität und Zielrichtung der Beobachtung führt das Bundesministerium des Innern im Verfassungsschutzbericht 2015

97

(https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2015)

98

auf Seite 263 f. aus:

99

„Die syrischen Nachrichtendienste verfügen ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen. Ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.

100

Bei anhaltenden unkontrollierten Einreisen syrischer Staatsangehöriger in die EU ist auch mit weiteren Ausforschungsaktivitäten syrischer Nachrichtendienste zu rechnen.“

101

(bb) Ausweislich des Verfassungsschutzberichts 2015 (Seite 82) des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport

102

(https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/Verfassungsschutz/Dokumente/Verfassungsschutzb_2015_komp_web_neu.pdf)

103

„forcieren“ die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika „ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland“.

104

(cc) Das sächsische Staatsministerium des Innern stellt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015

105

(http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/VSB_2015_INTERNET_05_25.pdf)

106

auf Seite 236 fest:

107

„Arabische und nordafrikanische Nachrichtendienste führen in Deutschland in erster Linie Maßnahmen gegen hier lebende Oppositionelle aus ihren Heimatländern durch. Die politischen Veränderungen der letzten Jahre im arabischen und nordafrikanischen Raum haben daran nichts geändert. Damit dürften die in Sachsen lebenden Einwanderer und Flüchtlinge aus den einschlägigen Krisenregionen nach wie vor als Ziel der jeweiligen Nachrichtendienste gelten, insbesondere, wenn sie sich oppositionell betätigt haben.

108

Insbesondere die syrischen Nachrichtendienste dürften starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden.“

109

110

(dd) Im Verfassungsschutzbericht 2015 des hamburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz

111

(http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/6306408/2016-06-13-bis-pm-verfassungsschutzbericht-2015/)

112

heißt es auf Seite 215:

113

„Verschiedene Nachrichtendienste des Mittleren und Nahen Ostens sowie Afrikas sind in Deutschland und zum Teil auch in Hamburg aktiv. Ein besonderes Interesse haben diese Dienste an oppositionellen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden. Ein weiterer Schwerpunkt war der Bereich der Proliferation ...

114

...

115

Die Nachrichtendienste dieser und weiterer Länder versuchen zudem die jeweiligen Oppositionsgruppen zu überwachen. Dazu werden beispielsweise Hinweisgeber gewonnen oder Informanten in die Gruppen eingeschleust.“

116

(ee) Der Bericht 2015 „Verfassungsschutz in Hessen“ des dortigen Ministeriums des Innern und für Sport

117

(https://lfv.hessen.de/sites/lfv.hessen.de/files/content-downloads/LfV_Bericht-2015final_screen.pdf)

118

stellt auf Seite 162 zu Flüchtlingen aus Syrien fest:

119

„Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nachrichtendienste dieser Länder nach wie vor existent sind. Daher gilt für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: Wer sich im Heimatland gegen das Regime engagierte, gerät eventuell auch in Deutschland in das Visier fremder Nachrichtendienste. Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat können ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert sind, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.“

120

(ff) Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten richten sich mithin nach übereinstimmender Einschätzung der genannten Dienste in erster Linie gegen Regimegegner und Oppositionelle bzw. Gruppierungen von solchen.

121

Von einer systematischen Beobachtung aller in Deutschland lebenden Syrer ist auch nicht nur andeutungsweise die Rede; angesichts der hohen Flüchtlingszahlen in den letzten Jahren, insbesondere im Jahr 2015, erscheint eine solche auch bereits rein faktisch gar nicht möglich. Soweit eben aus diesem Umstand gefolgert wird, dass Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten und dort um internationalen Schutz nachgesucht haben, seitens der syrischen Behörden allein schon aufgrund deren lückenhafter Erkenntnislage mit hoher Wahrscheinlichkeit verdachtsunabhängig Befragungen und Inhaftierungen unterzogen würden, um die Motive der Ausreise und etwaigen Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen in Erfahrung zu bringen (VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 1 K 5093/16.TR –, juris), vermag dies den Senat zumindest nicht von einer beachtlich wahrscheinlich drohenden Gefahr politischer Verfolgung zu überzeugen. Ob eine derartige Befragung oder Inhaftierung angesichts der zwischenzeitlichen massenhaften Flucht der syrischen Bevölkerung vor dem Bürgerkrieg überhaupt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kann dabei dahinstehen. Wie bereits ausgeführt wäre eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben, sondern mangels zureichender anderer Erkenntnisse als bloßer wahllos-routinemäßiger Zugriff aufpotentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene zu werten, mit dem möglicherweise einen konkreten Verdacht begründende Hinweise, aufgrund derer sodann eine „Zuschreibung“ von Merkmalen im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG erfolgen könnte, erst gewonnen werden sollen.

122

(c) Überzeugende Anhaltspunkte für eine erfolglosen Asylbewerbern bei ihrer Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohenden politische Verfolgung ergeben sich auch nicht aus der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 bis hin zum offenen Bürgerkrieg (vgl. zur Entwicklung der innenpolitischen Situation umfänglich OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 12 –, juris, Rn. 45 bis 76 ).

123

Aus dem Umstand, dass der syrische Staat als eine der in den Bürgerkrieg involvierten Parteien mit brutaler Härte gegen seine tatsächlichen und scheinbaren Gegner im Landesinnern vorgeht und dabei offensichtlich – etwa beim Einsatz von tausenden von Fassbomben über Oppositionsgebieten seit dem Jahr 2012 – Opfer unter der Zivilbevölkerung zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016), lassen sich keine zwingenden Schlüsse auf ein beachtlich wahrscheinlich drohendes politisch motiviertes Vorgehen im Sinne des § 3 AsylG gegen aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge ziehen.

124

Gegen eine quasi routinemäßige Einstufung dieser Personengruppe als aus der Sicht des Regimes zu bekämpfende mutmaßliche Regimegegner oder Oppositionelle spricht bereits nach der Lebenserfahrung der – wie dargelegt auch den syrischen Machthabern geläufige – Gesichtspunkt, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg außer Landes geflohen sind, regelmäßig keine Bedrohung des in Syrien zeitweilig um sein politisches und physisches Überleben kämpfenden Regimes darstellen, sondern aus Angst um ihr Leben und ihre Gesundheit dem Konflikt gerade aus dem Weg gegangen sind. Bereits von daher ist auch die teilweise (VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 –, und VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 – A 7 K 2987/12 –, beide in juris) vertretene Auffassung, dass der syrische Staat Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit einer von außen organisierten und finanzierten Verschwörung gegen das Land zurechnen werde, letztlich nicht mehr als eine bloße Mutmaßung.

125

(d) Des Weiteren ergeben sich auch aus den Erkenntnissen zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Anfang 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen, keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme einer bei Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich drohenden politischen Verfolgung.

126

Das Auswärtige Amt beschreibt bereits in seinem Ad hoc-Bericht vom 17. Februar 2012 eine massive Unterdrückung der syrischen Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen. Seit März habe es eine präzedenzlose Verhaftungswelle gegeben, mit der das Regime gegen die Protestbewegung vorgehe. Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränkten sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Es seien vielmehr zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt.

127

Diese Umstände haben sich offensichtlich bis in das Jahr 2016 hinein nicht geändert.

128

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international geht auch in ihrem Bericht „It breaks the human – torture, disease and death in Syria's prisons“ vom 18. August 2016

129

(https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/),

130

Ziffer 4.2: „Profiles of people targeted“, davon aus, dass für jedermann, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, die Gefahr bestehe, willkürlich inhaftiert oder „verschwinden gelassen“ zu werden und in der Haft Folter, andere Misshandlung und möglicherweise auch den Tod zu erleiden. Die Gründe hierfür variierten und könnten auch friedlichen Aktivismus wie die Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger, Journalist oder sonstiger Medienschaffender, die Versorgung der notleidenden Zivilbevölkerung mit humanitärer oder medizinischer Hilfe und die Organisation und Teilnahme an Pro-Reform-Demonstrationen umfassen. Zur Verhaftung könne auch bereits führen, dass ein Verwandter von den Sicherheitskräften gesucht oder man durch einen Denunzianten gemeldet werde – einschließlich von Meldungen, welche durch finanziellen Profit oder persönlichen Groll motiviert seien.

131

Indessen lässt auch der Umstand, dass die syrische Regierung im Inland tatsächliche und vermeintliche Regimegegner und Oppositionelle massiv und in menschenrechtswidriger Weise unterdrückt, keinen hinreichend tragfähigen Schluss auf eine beachtlich wahrscheinliche politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG von aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrenden Bürgerkriegsflüchtlingen allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längeren Auslandsaufenthalt zu.

132

Insoweit spricht nämlich – wie bereits hinsichtlich der Eskalation der innenpolitischen Situation bis hin zum Bürgerkrieg festgestellt – ebenfalls die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

133

bb. Dem Kläger droht im Falle seiner unterstellten Rückkehr nach Syrien auch nicht aus sonstigen Gründen beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

134

(1) Dies gilt zum einen in Bezug auf eine mögliche Wehrdienstentziehung, welche der 1993 geborene Kläger – ebenso wie sein Bruder – begangen haben könnte, indem er Syrien ohne die für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren erforderliche Ausreisegenehmigung (vgl. hierzu Auskunft des Deutschen Orient-Institutes an das OVG Schleswig-Holstein vom 8. November 2016 – 3 LB 17/16 –) verlassen hat.

135

(a) In Syrien besteht für männliche Staatsangehörige eine Militärdienstpflicht. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren; die Wehrpflicht dauert bis zum Alter von 42 Jahren (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, Seite 1,

136

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/syrien-rekrutierung-durch-die-syrische-armee.pdf).

137

Die Möglichkeit eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet. Nach Artikel 68 wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion sieht Artikel 101 fünf Jahre Haft vor bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, a. a. O., Seite 3)

138

(b) Danach bestünde für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien zwar die Gefahr, wegen Wehrdienstentziehung bestraft und zwangsweise von der syrischen Armee eingezogen zu werden. Dabei könnte es sich – was hier letztlich keiner abschließenden Klärung bedarf – angesichts dessen, dass der Militärdienst in der syrischen Armee möglicherweise Verbrechen oder Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde, auch um eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG handeln.

139

Es bestehen jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die dem Kläger drohenden Maßnahmen aus einem der in § 3 AsylG genannten Gründe – konkret: wegen einer als der Wehrdienstentziehung zugrunde liegend vermuteten politischen Opposition zum Regime – ergehen würden.

140

Was die drohende Heranziehung zum Wehrdienst angeht, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten für eine entsprechende Selektion anhand der in § 3 AsylG genannten Kriterien; vielmehr rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig vom ethnischen und religiösen Hintergrund (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, Seite 2,

141

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150328-syr-mobilisierung.pdf).

142

Eine mögliche Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung kann zwar vom Grundsatz her auch politische Verfolgung sein, da es für den Flüchtlingsschutz nicht allein darauf ankommen kann, mit welchen Mitteln der Staat vorgeht, sondern vielmehr entscheidend ist, welches Ziel hinter seinen Maßnahmen steht (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 184, juris). Von einer derartigen politischen Motiviertheit wäre dann auszugehen, wenn dem Kläger wegen seiner Wehrdienstentziehung in Syrien beachtlich wahrscheinlich eine an seine politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich – ein sogenannter Politmalus (BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 –, juris, m. w. N.) – drohen würde. Hierfür liegen indessen keine zureichenden Anhaltspunkte vor.

143

Das syrische Regime hat bereits seit Beginn des Bürgerkrieges die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seit Herbst 2014 kommt es angesichts einer erheblichen Dezimierung der syrischen Armee durch Desertion und Verluste in großem Umfang zur Mobilisierung von Reservisten sowie zur Verhaftung von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Wehrdienst entzogen haben (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.; Washington Post, Desperate for soldiers, Assad’s government imposes harsh recruitment measures, 28. Dezember 2014,

144

www.washingtonpost.com/world/middle_east/desperate-forsoldiers-assads-government-imposes-harsh-recruitment-measures/2014/12/28/62f99194-6d1d-4bd6-a862-b3ab46c6b33b_story.html.

145

vgl. auch etwa – zur Verweigerung der Entlassung in der Armee dienender Wehrpflichtiger – ntv: „Verlangen unsere Entlassung“ – In Assads Armee wächst der Unmut, vom 24. November 2015,

146

http://www.n-tv.de/politik/In-Assads-Armee-waechst-der-Unmut-article16418356.html).

147

Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, werden inhaftiert und verurteilt. In der Haft kommt es zu Folter, und Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt (Schweizer Flüchtlingshilfe, Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.).

148

Im Juli 2015 hat der syrische Staatspräsident Assad als weitere Maßnahme zur personellen Verstärkung der syrischen Armee eine Generalamnestie für Deserteure und Wehrdienstverweigerer erlassen. Ins Ausland geflohene Soldaten hatten sich dazu binnen zwei Monaten bei den Behörden zu melden, Deserteure, die sich in Syrien aufhalten, innerhalb eines Monats. Eine Frist für Wehrdienstverweigerer wurde nicht genannt (Zeit online vom 26. Juli 2015: Assad gehen die Soldaten aus,

149

http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/syrien-baschar-al-assad-buergerkrieg-armee-unterstuetzung).

150

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände bestehen letztlich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Personen, die sich während des Bürgerkrieges dem Wehrdienst entweder in Syrien selbst oder durch Flucht ins Ausland entzogen haben, bei ihrer Ergreifung allein aufgrund dieser Wehrdienstentziehung beachtlich wahrscheinlich eine regimegegnerische Haltung unterstellt würde und sie aus diesem Grunde eine über die gesetzlich vorgesehene Bestrafung für Wehrdienstentzug hinausgehende Verfolgung zu befürchten hätten.

151

Die üblicherweise drohende Verhaftung als solche bewegt sich im Rahmen der nach dem Military Penal Code vorgesehenen Strafandrohung.

152

Dass es in der Haft der Berichterstattung der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 zufolge auch zu Folter kommt, stellt zwar für die hiervon Betroffenen eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 3 AsylG dar. Es fehlt jedoch an zureichenden Anhaltspunkten dafür, dass diese wegen eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale – konkret: der politischen Überzeugung des Betroffenen –erfolgt. Zwar kann es sich bereits bei der Folter als solcher um ein Indiz für den politischen Charakter der Maßnahme handeln. Allerdings bedarf es insoweit regelmäßig der Heranziehung weiterer objektiver Kriterien, die einen Rückschluss auf die subjektive Verfolgungsmotivation gestatten. Derartige objektive Kriterien sind vor allem die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Betroffenen, insbesondere die Eigenart des Staats, sein möglicherweise totalitärer Charakter, die Radikalität seiner Ziele und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung des einzelnen und die Behandlung von Minderheiten. Maßgeblich ist stets, ob der Staat seine Bürger in den genannten persönlichen Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten will und dabei die Überzeugungen seiner Staatsbürger unbehelligt lässt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt, vermögen für sich allein eine politische Verfolgung nicht zu begründen (vgl. zum Ganzen Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 195 m. w. N.).

153

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend nichts hinreichendes dafür ersichtlich, dass die berichtete Folter im Falle der Wehrdienstentziehung – welche für sich genommen bereits zu einer Schutzberechtigung gemäß § 4 AsylG führt – gerade aus einem der besonderen Gründe des § 3 AsylG geschähe.

154

Syrien verfügt zwar über eine formal rechtsstaatliche Verfassung, ist aber aufgrund des seit 1963 bestehenden Ausnahmezustandes in der Praxis bereits seit Jahrzehnten ein von Sicherheitsapparaten und Militär geprägtes autoritäres Regime. Die Sicherheitsdienste waren schon vor Beginn der Unruhen im Jahre 2011 und des nachfolgenden Bürgerkrieges weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen und verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft. Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste wenden systematisch Gewalt an. Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter und anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte bestehen nicht; Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschweren, laufen vielmehr Gefahr, dafür strafrechtlich belangt zu werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27. September 2010). Angesichts der sonach in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizvollzugsorganen stellt die Anwendung von Folter als solche jedenfalls kein gewichtiges Indiz für die politische Motiviertheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung dar.

155

Die Fälle von Exekutionen während der Haft, über die die Schweizer Flüchtlingshilfe (a. a. O.) berichtet, beziehen sich auf Deserteure. In Bezug auf diesen Personenkreis handelt es sich durchaus um einen deutlichen Anhaltspunkt für eine über die bloße Strafverfolgung hinausgehende Gerichtetheit. Für diejenigen, die sich lediglich einer Einberufung entzogen haben – wofür ja auch bereits das Gesetz eine wesentliche mildere Strafe als für Desertion vorsieht – ergibt sich insoweit hingegen ebenfalls kein gewichtiges Indiz für einen Politmalus.

156

Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung spricht überdies das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee. Bei insgesamt fast 5 Millionen Flüchtlingen, die Syrien verlassen haben, dürften sich angesichts des hohen Anteils von Männern im Allgemeinen und jungen Männern im Besonderen (FAZ net, Das sind Deutschlands Flüchtlinge, vom 21. Oktober 2015

157

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/deutschlands-fluechtlinge-in-grafiken-13867210.html)

158

bereits nach der Lebenserfahrung Hunderttausende junger Männer befinden, die noch nicht einberufen worden sind. Jedenfalls hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat vor allem darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich seiner notleidenden Armee zuzuführen. In diese Richtung deutet bereits der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 (a. a. O.), wonach zwar einige der Verhafteten zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere indessen lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt werden. Hinzu kommt die im Juli 2015 erlassene Generalamnestie, welche über Wehrdienstverweigerer hinaus sogar auch Deserteure erfasst hat.

159

Im Übrigen ist den syrischen Machthabern, wie schon dargelegt, bekannt, dass die Flucht aus Syrien – und damit auch die Flucht vor der Einberufung durch die Armee – in aller Regel nicht durch politische Gegnerschaft zum syrischen Staat motiviert ist, sondern durch Angst vor dem Krieg.

160

(2) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Klägers aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass er eigenen Angaben zufolge vor seiner Ausreise in derProvinz Homs gelebt hat.

161

Zwar erfasst der UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, Seite 25 f.,

162

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf)

163

im Rahmen der von ihm als das Erfordernis internationalen Flüchtlingsschutzes indizierend erstellten Risikoprofile auch Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben. Hierzu führt er erläuternd aus (Seite 12 f.):

164

„Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.“

165

Vorliegend kann indessen letztlich dahinstehen, ob die Stadt A... oder der Bauernhof der Familie des Klägers, auf den sich diese den Angaben des Klägers (vgl. Anhörungsprotokoll vom 5. April 2016, Seite 35 ff, 38 der Verwaltungsakte) zufolge zurückgezogen hat, um den Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, in einer vermeintlich regierungsfeindlichen Zone im obigen Sinne gelegen sind.

166

Selbst in diesem Falle wäre zwar unter Zugrundelegung der UNHCR-Erwägungen die Herkunft des Klägers aus einem bestimmten Gebiet in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte möglicherweise ein gewisser Anhaltspunkt für eine oppositionelle Einstellung.

167

Letztlich spricht indessen aber auch insoweit die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

168

cc. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus einer umfassenden Gesamtwürdigung aller vorliegend möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände.

169

Auch dann, wenn man die illegale Ausreise, die Asylantragstellung, den längerfristigen Auslandsaufenthalt, die Wehrdienstentziehung des Klägers und seines Bruders sowie die regionale Herkunft des Klägers aus der Perspektive des syrischen Staates als möglichem Verfolger gleichzeitig wertend in den Blick nimmt, so erscheinen dessen Interessen letztlich allein insoweit berührt, als der Kläger zum einen selbst als Oppositioneller eine Gefahr für das Regime darstellen könnte und zum anderen durch seine Wehrdienstentziehung dazu beigetragen hat, die Schlagkraft der syrischen Armee gegen ihre übrigen Gegner zu beeinträchtigen.

170

Da indessen wie bereits dargestellt die Lebenserfahrung auch aus Sicht der syrischen Behörden dafür spricht, dass der Kläger kein dem Regime möglicherweise gefährlicher Oppositioneller ist, sondern dem Konflikt durch seine Ausreise gerade hat aus dem Wege gehen wollen, fehlt es insoweit bei umfassender Abwägung an ausreichenden Anhaltspunkten jedenfalls für eine Überzeugungsbildung durch den Senat dahingehend, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner politischen Überzeugung drohen. Diese Einschätzung vermögen auch nicht die dem Kläger möglicherweise wegen Wehrdienstentziehung drohenden Sanktionen zu ändern. Das Sanktionsinteresse des syrischen Regimes dürfte zumindest gegenüber denjenigen, die nicht aus der Armee desertiert sind, sondern sich lediglich dem Wehrdienst entzogen haben, hinter dem Interesse an der dringend benötigten Verstärkung der Armee durch Rekrutierung neuer Soldaten zurückbleiben. Insoweit könnte dem Kläger im Falle seiner fiktiven Rückkehr nach Syrien zwar möglicherweise eine strafrechtliche Sanktion und wohl auch beachtlich wahrscheinlich eine Einberufung drohen; in Bezug auf eine politisch motivierte weitergehende Verfolgung fehlt es jedoch ebenfalls an Anhaltspunkten, welche die Prognose einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit tragen könnten.

171

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr.10 ZPO.

172

Gründe, aus denen gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen wäre, liegen nicht vor. Bei der Frage, ob abgelehnten Asylbewerbern im Falle einer Rückkehr nach Syrien dort bereits allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich Verfolgung wegen einer vermuteten Einstellung gegen das dort herrschende Regime droht, handelt es sich – anders als in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (2 BvR 31/14) zugrunde liegenden Fall – um eine Tatsachenfrage, wohingegen die Revision die Überprüfung eines Urteils ausschließlich in rechtlicher Hinsicht zum Gegenstand hat (§ 137 Abs. 1 und 2 VwGO).

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 3. August 2016 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am ... 1993 in Damaskus geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens (Sunnit). Seinen Angaben zufolge reiste er am 28. Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. März 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 8. Juni 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt:

„4 Seinen Personalausweis und Reisepass (mit Stempeln aus dem Libanon und der Türkei) habe er abgegeben. Bis zu seiner Ausreise aus Syrien Anfang September 2015 habe er in Damaskus, Stadtteil ..., gelebt. Seine Eltern lebten noch dort. Seine Mutter sei 47 Jahre alt. Drei Schwestern und die Großfamilien hielten sich noch im Heimatland auf. Von Syrien aus sei er zunächst in den Libanon gelangt, von dort aus über die Türkei (Aufenthalt 4 Monate) nach Griechenland und über die Balkanroute nach Deutschland. Er habe neun Klassen Mittelschule mit Abschluss besucht. Einen Beruf habe er nicht erlernt, sondern er habe verschiedene Tätigkeiten ausgeführt, z.B. habe er als Lagerist gearbeitet. Er sei auch für die Sicherheit des Lagers eines Privatunternehmens zuständig gewesen. Wehrdienst habe er nicht geleistet, er sei der einzige Sohn seiner Familie. Als solcher habe er keinen Wehrdienst leisten müssen. Er sei nicht Mitglied einer nicht staatlichen bewaffneten Gruppierung oder einer politischen Partei gewesen. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Die jungen Männer in seinem Alter müssten sich alle irgendeiner kämpfenden Partei, entweder dem Regime oder Rebellengruppen, anschließen. Er wolle jedoch nicht kämpfen. Seine Eltern hätten ihn mehrfach dazu gedrängt, das Land zu verlassen. Sie hätten schließlich seine Entscheidung zur Ausreise begrüßt. Er selbst oder seine Familie seien nicht persönlich bedroht oder verletzt worden. Seine Wohngegend sei komplett unter der Kontrolle des syrischen Regimes gewesen. Kämpfe hätten in dieser Gegend nicht stattgefunden. Es habe keine konkreten Bemühungen von Gruppierungen gegeben, ihn zu rekrutieren. Bei einer Rückkehr befürchte er getötet zu werden. In Deutschland herrsche Frieden und Sicherheit. Seine Familie habe durch seine Flucht keine Nachteile erlitten. Er sei der einzige Sohn der Familie. Dadurch ergäben sich für ihn und seine Familie keine Nachteile von staatlicher Seite. Einen konkreten Anlass, der ihn bewogen habe das Land zu verlassen, habe es nicht gegeben. Seine Flucht sei letztlich das Ergebnis einer langanhaltenden Entwicklung gewesen. In Syrien herrsche Krieg, deshalb habe er nicht mehr bleiben wollen.

“Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid von 7. Juli 2016 als subsidiären Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Urteil vom 3. August 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung führte es u.a. aus:

Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde – ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen – vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 20. Dezember 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

„Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne auf der Grundlage der aktuellen Quellenlage nicht tragfähig darauf geschlussfolgert werden, dass nach Syrien Rückkehrenden regelmäßig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung in Anknüpfung an eine (ggf. illegale) Ausreise, dem Auslandsverbleib und die Asylantragstellung drohen. Dies habe sowohl der erkennende Senat (Urteile vom 12.12.2016 – 21 B 16.30338, 21 B 16.30364, 21 B 16.30371) als auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (U.v. 16.12.2016 – 1 A 10918/16.OVG u.a.) zwischenzeitlich bestätigt. Für einen Anspruch auf den Flüchtlingsstatus bedürfe es neben den kriegsbedingten Gefahren des Hinzutretens individuell gelagerter Risikomerkmale, die beim Kläger nicht erkennbar seien.“

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Die Landesanwaltschaft hat sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt mit Bescheid vom 7. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). § 3 Abs. 4 AsylG gibt dem Kläger in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen darauf gerichteten Anspruch, denn er ist kein Flüchtling im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer – soweit hier von Interesse – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger sein Herkunftsland verlassen hat (2.)

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger weder bei der Anhörung durch das Bundesamt noch im Rahmen der Berufungsverhandlung geltend gemacht.

2. Der Kläger kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht allein deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.

2.1 Davon wäre nur dann auszugehen, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37 und zu Art. 16a GGU.v. 5.11.1991 – 9 C-118/90 – juris Rn. 17).

2.2 Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat der Senat unter Berücksichtigung des Charakters des syrischen Staates (2.2.1) die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen seines Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2.2). Auch das im Grundsatz eine Militärdienstpflichtigkeit begründende Alter des legal ausgereisten (2.2.3) Klägers (23 Jahre) führt nicht beachtlich wahrscheinlich zu einer staatlichen Verfolgung, da der Kläger nach der in Syrien in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ vom Militärdienst freigestellt wurde. Aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte fehlt es damit beim Kläger für die Unterstellung einer illoyalen und oppositionellen Haltung – anders als bei Wehrpflichtigen und Reservisten – am Anknüpfungspunkt der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (2.2.4).

Bei der zusammenfassenden Bewertung aller Umstände haben die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden Gründe. Diese Erkenntnis beruht auf Folgendem:

2.2.1 Eine Auswertung der Erkenntnislage zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http://www.bpb.de/apuz/221168/was-in-syrien-geschieht?p=all) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter – und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150414-syr-amnestien.0.pdf) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 4 – zitiert nach der Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http://www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein wegen seiner Ausreise, seines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (vgl. BayVGH, U. v. 12.12.2016 – 21 B 16.30364 – juris Rn. 62 ff.; so auch OVG NW, U.v. 21.2.2017 – 14 A 2316/16.A – juris Rn. 47 ff.; OVG des Saarlandes, U.v.2.2.2017 – 515/16 – juris Rn. 21 ff.; OVG SH, U.v. 23.11.2016 - 3 LB 17.16 – juris Rn. 37).“

2.2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine „carte blanche“ haben, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle).

2.2.2.2 Zu den Folgen, die sich im Rahmen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber ergeben, ist die Auskunftslage nicht einheitlich.

a) Die Ermittlungsabteilung (Research Directorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015) äußerte sich dahingehend, ein abgelehnter Asylbewerber werde höchstwahrscheinlich festgenommen und inhaftiert; groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass solche Personen gefoltert würden, um eine Aussage zu erhalten, aus welchem Grund sie geflohen seien.

Der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ (Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015) sagte, ein abgelehnter Asylbewerber werde auf jeden Fall festgenommen und inhaftiert. Ihm würde vorgeworfen, im Ausland falsche Informationen verbreitet zu haben, und er würde wie ein Oppositioneller behandelt. Er würde einer Folter unterworfen, wobei die Behörden versuchen würden, Informationen über andere abgelehnte Asylbewerber oder Oppositionelle zu bekommen. Der abgelehnte Asylbewerber riskiere, zu Tode gefoltert zu werden oder gefoltert zu werden und dann für eine sehr lange Zeit in Haft genommen zu werden.

Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, es bestünde die Möglichkeit, dass ein abgelehnter Asylbewerber wegen eines Asylantrags im Ausland festgenommen und inhaftiert werden könnte. Er war aber des Weiteren der Meinung, dass das nicht „automatisch“ der Fall sei. Die mehr traditionsbewussten syrischen Beamten seien der Überzeugung, dass alle Asylbewerber Regierungsgegner seien, und somit einer Festnahme, Inhaftierung und Folter unterworfen werden könnten. Es gebe aber auch Beamte, die verstünden, dass manche Leute vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen hätten. Nichts sei „automatisch“ oder vorhersehbar. Allerdings habe der Konflikt wahrscheinlich das Misstrauen der Beamten erhöht (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6 f.).

Die kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde zitiert in diesem Zusammenhang zudem aus den „Länderberichten über die Handhabung der Menschenrechte für 2014“ des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten (US Department of State´s „Country Reports on Human Rights Practices for 2014“). Danach seien Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl gesucht haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt. Das Gesetz sehe die Strafverfolgung jeglicher Person vor, die in einem anderen Land Zuflucht suche, um der Strafe in Syrien zu entfliehen. Das Regime nehme routinemäßig Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest, die versucht hätten, nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbst auferlegten Exils in das Land zurückzukehren.

b) Demgegenüber beantwortete die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung unter dem 3. Februar 2016 dahin, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden seien oder dauerhaft verschwunden seien. Das stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite.

Die Frage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, ob unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei Rückkehr nach Syrien Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt seien und – bejahendenfalls – wie hoch die Gefahr einzuschätzen sei, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staats ausgesetzt werden, beantwortete das Auswärtige Amt mit Auskunft vom 7. November 2016 wie folgt: Das Amt habe keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass diese Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien (so auch Auswärtiges Amt an das VG Wiesbaden vom 2.1.2017).

Der UNHCR ist für den Fall einer Einzelfallprüfung von Asylanträgen syrischer Asylbewerber der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der in den Erwägungen des UNHCR angeführten Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 25 f.).

2.2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

a) Dabei bleibt nicht außer Betracht, dass der um seine Existenz kämpfende syrische Staat und dessen Machthaber ihre Ziele, nämlich die Wiederherstellung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium Syriens sowie der Machterhalt zugunsten des Präsidenten Assad und der um ihn gruppierten Clans mit größter Härte und menschenrechtswidrigen Mitteln verfolgen. In dieses Bild scheinen sich die Äußerungen der von der Ermittlungsabteilung der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde befragten sachkundigen Personen einzufügen. Gegen deren Annahme, abgelehnte Asylbewerber würden (allein) wegen des Asylantrags im Ausland „auf jeden Fall“ bzw. „höchstwahrscheinlich“ oder möglicherweise festgenommen, inhaftiert und gefoltert, spricht aber neben der Tatsache, dass die Bewertungen der sachkundigen Personen nicht näher konkretisiert sind, Folgendes:

Die im angefochtenen Urteil in Bezug genommenen (UA S. 7), in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 18. Juli 2012 (3 L 147/12) beschriebenen Fälle von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, sind nicht geeignet, eine allein auf die Asylantragstellung zurückzuführende politische Verfolgung zu belegen. Im Gegenteil, die insoweit ausweislich des vorbezeichneten Urteils von Amnesty International („Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und von dem kurdischen Informationsdienst „KURDWATCH“ dokumentierten neun Fälle zeigen, dass Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte nicht allein durch die Asylantragstellung, sondern durch hinzutretende Umstände ausgelöst wurden.

In die gleiche Richtung weisen auch zwei Fallbeispiele der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde im Zusammenhang mit der Behandlung von abgelehnten Asylbewerbern. So soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte. … Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein ´Finanzier der Revolution´ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; sie ´folterten´ ihn 20 Tage lang, dazu gehörten Schläge in das Gesicht, auf den Rücken und die Brust …“. Des Weiteren verweist die kanadische Behörde auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Danach sollen laut dem UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige wurden bei Ankunft am Flughafen festgenommen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6).

b) Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen.

Insoweit führt die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht weiter, der syrische Staat sei infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nehme. Dabei ist nicht nachvollziehbar belegt, dass die syrischen Sicherheitskräfte nunmehr - anders als bis zum Abschiebestopp im Jahr 2011 - allein die Asylantragstellung in Deutschland als Hinweis auf eine oppositionelle Haltung betrachten würden. Solches ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des Verwaltungsgerichts auf eine Zuspitzung der Situation in Syrien und einen Überlebenskampf des Assad-Regimes. Eine derartige Zuspitzung ist schon mit Blick auf die allgemein bekannte Tatsache zweifelhaft, dass sich die militärische Lage aufgrund der seit dem 30. September 2015 massiven militärischen Unterstützung durch die Russische Föderation zugunsten des syrischen Staates, wenn auch nicht entspannt, so doch jedenfalls verbessert hat. Unabhängig davon ließe sich eine Zuspitzung der Situation in Syrien auch dahin interpretieren, dass die syrischen Machthaber zunehmend auf den Zuspruch des ihnen zugeneigten Teils der Bevölkerung angewiesen sind und aus diesem Grund Verfolgungsmaßnahmen im Grundsatz nicht auf einem derart niedrigen Verdachtsniveau ansetzen wie vom Verwaltungsgericht angenommen.

Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts spricht im Übrigen auch, dass laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisen; meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016; SYR105361.E, S. 2 unter Verweis auf den Norwegischen Flüchtlingsrat und das Internationale Rettungskomitee). Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen (vgl. dazu Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f) keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die sich angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter Syrer auch nicht nachvollziehbar aus dem Charakter des syrischen Staates ableiten lässt.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn der Deutschen Botschaft Beirut einerseits keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten, ihr aber andererseits Fälle bekannt sind, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden sind oder dauerhaft verschwunden sind und das jedoch überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst steht. Ebenso ist der Hinweis der Botschaft plausibel, das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3.2.2016).

Diese Auskunft erhält dadurch besonderes Gewicht, dass der UNHCR in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung November 2015) davon ausgeht, im Rahmen einer Einzelfallprüfung benötigten syrische Asylbewerber wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie einem oder mehreren der in den Erwägungen angeführten Risikoprofile zuzuordnen seien. Unter ein solches Risikoprofil sollen nach dem Inhalt der Erwägungen etwa Personen fallen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen. Der UNHCR führt dazu verschiedene Beispiele an wie etwa Wehrdienstverweigerer, Aufständische oder Aktivisten. Personen, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, werden demgegenüber nicht genannt. Dabei handelt es sich ersichtlich nicht um eine Nachlässigkeit, denn der UNHCR betrachtet die von ihm erstellten Risikoprofile als Grundlage für eine „Einzelfallprüfung“. Eine solche wäre aber, wie auch die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts deutlich macht, nicht erforderlich, wenn bereits die Asylantragstellung genügte, einen Asylbewerber dem Risikoprofil „Oppositioneller“ zuzuschlagen.

c) Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2014, den die kanadische Immigrations- und Flüchtlingsbehörde zitiert (s.o. Nr. 2.2.2.2 a)), rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar sollen danach Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl beantragt haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt sein. Allerdings ist dem Bericht in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass die Strafverfolgung nur für solche Personen vorgesehen ist, die in einem anderen Land Zuflucht suchen, um sich der Strafe in Syrien zu entziehen. Ebenso wenig führt hier die Feststellung des amerikanischen Auswärtigen Amts weiter, das Regime nehme routinemäßig nach Jahren oder sogar Jahrzehnten zurückkehrende Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest. Der Kläger zählt nicht zu diesem Personenkreis; er ist kein Dissident und besitzt nach wie vor die syrische Staatsbürgerschaft.

d) Der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die syrischen Geheimdienste die im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen (angeblich) umfassend beobachten, trägt zur Beurteilung nichts Wesentliches bei. Er bestätigt den repressiven Charakter des syrischen Staates, hat aber für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung vor dem Hintergrund der übrigen Erkenntnisse kein besonderes Gewicht.

2.2.3 Es kann dahinstehen, ob eine nach syrischem Recht illegale Ausreise im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte auslöst. Der Kläger hat Syrien nicht illegal verlassen. Er hat seinem Vorbringen in der Berufungsverhandlung zufolge an dem letzten Kontrollpunkt vor der syrisch-libanesischen Grenze (Alsabora) den syrischen Kontrollen seinen Personalausweis vorgelegt und ist sodann von Syrien in den Libanon eingereist. Die syrischen Behörden erfassen im Rahmen der Grenzkontrolle die Ausreisedaten in ihrem elektronischen Datensystem, wo sie bei der Einreise abgerufen werden können (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016 SYR105361.E, S. 8 unter Verweis auf eine telefonische Befragung des Vorstands des „Syrischen Zentrums für Justiz und Rechenschaftspflicht“ am 14.12.2015). Die Erkenntnisquellen gehen übereinstimmend von strengen syrischen Grenzkontrollen aus (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 3).

2.2.4 Es ist zur Überzeugung des Senats auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger von Seiten der syrischen Sicherheitskräfte bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle deshalb in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung eine menschenrechtswidrige Behandlung droht, weil der Kläger in einem Alter ist (23 Jahre), das ihn im Grundsatz der Militärdienstpflichtigkeit unterwirft. Der Kläger ist gemäß dem Eintrag in seinem Militärdienstbuch nach der „Einziger-Sohn-Regelung“ vom Militärdienst befreit, weil er der einzige Sohn der Familie ist. Nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wird diese „Einziger-Sohn-Regelung“ von den syrischen staatlichen Stellen im Wesentlichen beachtet.

2.2.4.1 Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch – versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada – Antworten auf Informationsanfragen v. 13. 8.2014, SYR104921.E, S.5).

Im August 2014 erließ Präsident Assad die Gesetzesverordnung Nr. 33, die einige Artikel der Verordnung Nr. 30 aus dem Jahr 2007 zum obligatorischen Militärdienst ersetzt. Dabei wurde unter anderem die Regel angepasst, dass der einzige Sohn der Familie vom Militärdienst befreit werden kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im „Militärbüchlein“ festgehalten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E vom 13.8.2014, S. 2 f).

2.2.4.2 Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Freistellung vom Militärdienst von den syrischen staatlichen Stellen auch vor dem Hintergrund des Charakters des um seine Existenz kämpfenden Staates (s.o. 2.2.1) im Wesentlichen beachtet wird. Diese Beurteilung beruht insbesondere auf Folgendem:

„Seit Herbst 2014 ergriff das syrische Regime verschiedene Maßnahmen, um die durch Desertion und Verluste dezimierte syrische Armee zu stärken. Seither kommt es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen haben. Zudem ergriff das syrische Regime neue Maßnahmen, um gegen Desertion und Wehrdienstentziehung anzukämpfen“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 2f. unter Verweis auf Washington Post, Desperate for soldiers, Assad´s government imposes harsh recruitment measures, 28.12.2014).

„Zusätzlich zur Mobilisierung der Reservisten intensivierte das Regime die Suche nach … jungen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben. Es wurden mobile Checkpoints errichtet und die Sicherheitsdienste führten anhand von Listen, die auch an Checkpoints und an der Grenze genutzt werden, Razzien durch. … Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentiert das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von wehrdienstpflichtigen jungen Männern (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 3 unter Verweis auf Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, 26.2.2015, S.10).

„Im Herbst 2014 erließ das Regime verschiedene Maßnahmen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges verlangen die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt sind, eine offizielle Beglaubigung des Militärs, dass sie vom Dienst freigestellt sind“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 4 unter Verweis auf Institute for the Study of War, The Assad Regime Under Stress: Conscription and Protest among Alawite and Minority Populations in Syria, 15.12.2014). „Männern im wehrpflichtigen Alter wird die Ausreise aus dem Land verboten und der Reisepass vorenthalten“ (Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf v. 2.1.2017, 508-9-516.80/48808).

„Quellen geben an, dass die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am internationalen Flughafen von Damaskus und anderen Eingangshäfen durchgeführt werden, beinhalten zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden“ (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada – Antworten auf Informationsanfragen v. 19.1.2016, SYR105361.E, S. 8f. m.w.N.).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe beruft sich schließlich in einer Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Oktober 2015 zu Syrien: „Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“ auf den Bericht des Dänischen Einwanderungsdienstes (Danish Immigration Service), der im September 2015 eine nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässliche Studie zum Militärdienst veröffentlicht hat (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016). Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass prinzipiell die Freistellung als Einzelsohn noch gilt. Verschiedene Quellen weisen jedoch darauf hin, dass die Umsetzung „nicht immer“ gewährleistet ist. Insgesamt betrachtet ergibt sich das Bild, dass die Freistellung als „einziger Sohn“ zwar je nach Situation willkürlich gehandhabt wird, sie aber im Prinzip umgesetzt wird. (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1 und 3 f.). Nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes sind Einzelkinder bzw. einzige Söhne von der allgemeinen Wehrpflicht freigestellt und auch tatsächlich vom Wehrdienst ausgenommen (Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf vom 2.1.2017, 508-9-516.80/48808).

2.2.4.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem vom Militärdienst freigestellten Kläger bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Seiten der staatlichen Sicherheitskräfte in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung Verfolgung droht.

Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet – und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. 2.2.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht – Essay“ v. 19. 2.2016). Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärdienstpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft (vgl. zu einem Reservisten: Urteil des Senats vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30372 – juris).

Dieser Personengruppe (Wehrpflichtiger, Reservist), die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, gehört der Kläger aber weder an, noch besteht Anlass zu der Annahme, dass ihn die syrischen Behörden bei Rückkehr entsprechend einem Militärdienstverweigerer behandeln und ihm dementsprechend eine oppositionelle Gesinnung unterstellen.

Das syrische Regime hat zwar zur Stärkung seiner Armee seine Maßnahmen gegen wehrdienstpflichtige Männer verschärft, der Kläger ist jedoch aufgrund seiner Freistellung, die im Militärbuch dokumentiert ist, nicht wehrdienstpflichtig und wegen der weiterhin geltenden und auch in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ damit aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte zur Verwirklichung der Kriegsziele durch Militäreinsatz nicht geeignet. Er war aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte nicht verpflichtet, sich für einen möglichen Militär- und Kriegseinsatz im Inland zur Verfügung zu halten, so dass bei seiner Rückkehr im Rahmen der obligatorischen Einreisekontrollen am Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle die syrischen Sicherheitskräfte keinen Anknüpfungspunkt dafür haben, dem Kläger eine oppositionelle Gesinnung wegen seiner Flucht ins Ausland, um einen Militäreinsatz zu vermeiden, zu unterstellen.

Den vereinzelt angegebenen Fällen, dass vom Militärdienst freigestellten Einzelsöhnen an Checkpoints vermehrt die Einziehung angedroht worden sei, um Bestechungsgelder zu erpressen, bzw. es in Syrien grundsätzlich keine Garantie gebe, dass Gesetze respektiert würden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 4), kann eine Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale nicht entnommen werden.

Darin fügt sich ein, dass der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, ob seine Familie durch seine Flucht Nachteile zu befürchten hätte, antwortete: „Nein. Im Übrigen bin ich der einzige Sohn der Familie. Dadurch ergeben sich für uns keine Nachteile von staatlicher Seite.“

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

1

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 7. Kammer - vom 8. November 2016 hat keinen Erfolg.

2

1. Die Klägerin hat den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 Asylgesetz - AsylG -) nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.

3

"Grundsätzliche Bedeutung" im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2016 - 4 A 2103/15.A -, juris). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 9. Oktober 2015 - 8 LA 146/15 -, juris).

4

Hieran gemessen wird die Zulassungsschrift den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht gerecht.

5

a) Die Klägerin wirft zunächst die Frage auf, „ob für syrische Asylbewerber im Falle ihrer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien allein wegen der (illegalen) Ausreise und/oder der Asylantragstellung sowie des Aufenthalts im westlichen Ausland die begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines verfolgungsrelevanten Merkmals besteht“.

6

Sie hält diese Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig und beruft sich zur Begründung u.a. auf die Rechtsprechung verschiedener Oberverwaltungsgerichte, wonach - abweichend von der vorliegend durch das Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung - davon auszugehen sei, dass der syrische Staat bei sämtlichen aus Syrien (illegal) ausgereisten Personen, die sich länger im Ausland aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt haben, dieses Verhalten unterschiedslos als politische Verfolgung werte, da es an eine unterstellte politische Gegnerschaft - oder jedenfalls eine besondere Nähe zu politischen Gegnern - anknüpfe (u.a. OVG LSA, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris; VGH BW, Beschluss vom 19. Juni 2013 - A 11 S 927/13 -, juris).

7

In aller Regel indiziert eine Abweichung des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung eines anderen als des im Instanzenzug übergeordneten Oberverwaltungsgerichts die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Januar 1993 - 2 BvR 1058/92 -, juris Rn. 15; Gemeinschaftskommentar zum Asylgesetz [GK-AsylG], 110. Ergänzungslieferung, November 2016, § 78 Rn. 107). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das angegangene Oberverwaltungsgericht die entscheidungserhebliche Tatsachenfrage bereits entschieden hat. Eine grundsätzliche Bedeutung ist in diesem Fall nicht anzunehmen, wenn beide Oberverwaltungsgerichte die aufgeworfene Tatsachenfrage übereinstimmend beantwortet haben. Auch bei divergierender obergerichtlicher Rechtsprechung gilt dies jedenfalls, wenn sich das angegangene Oberverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung mit der Bewertung des Erkenntnismaterials zu einer bestimmten Tatsachenfrage durch das andere Oberverwaltungsgericht auseinandergesetzt hat (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. März 1996 - 2 BvR 2409/95 -, juris). Denn in diesen Fällen fehlt es an der erforderlichen Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Tatsachenfrage, zumal das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung in Tatsachenfragen nicht beitragen kann, da eine höchstrichterliche Klärung in diesen Fällen in aller Regel weder möglich noch erforderlich ist. Deshalb begründet insbesondere eine abweichende Tatsachenfeststellung oder -würdigung durch ein anderes Berufungsgericht für sich allein keinen weiteren Klärungsbedarf (vgl. GK-AsylG, a.a.O., § 78 Rn. 147 f. m.w.N.).

8

Von vornherein ist nicht die Grundsatzzulassung, sondern allein die Divergenzzulassung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG eröffnet, wenn ein Verwaltungsgericht in einer „prinzipiellen“ Tatsachenfrage bei im Kern unveränderten tatsächlichen Verhältnissen der von dem Berufungsgericht vorgenommenen Klärung der Tatsachenfrage nicht folgt. Andererseits kommt bei Tatsachenfragen eine Divergenzzulassung dann nicht mehr in Betracht, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht nur unwesentlich geändert haben und die Rechtsprechung des Berufungsgerichts deshalb als überholt anzusehen ist (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 2. März 1976 - VII B 22.76 -, juris; Beschluss vom 23. März 2009 - 8 B 2.09 -, juris). Insbesondere im Bereich von Tatsachenfragen ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Verbindlichkeit einer grundsätzlichen Aussage unter dem Vorbehalt der Änderung der Sachlage steht, der Grundsatz also Geltung nur für die ihm zugrunde gelegte tatsächliche Erkenntnislage beansprucht (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 19. Juli 2000 - 5 UZ 2128/96.A -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 13. Januar 2009 - 11 LA 471/08 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 24. Juni 1999 - 14 A 2788/94.A -, juris).

9

Von einer solchen Änderung der maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse ist hier hinsichtlich des Urteils des Senats vom 18. Juli 2012 (a.a.O.) auszugehen.

10

Die genannte Entscheidung ging aufgrund der damals bestehenden Situation davon aus, dass ein Asylantragsteller wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung bedroht sei. Die in diesen Fällen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungsgefahr schlussfolgerte der Senat aus mehreren Gründen, nämlich (1.) der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben worden waren, (2.) der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, (3.) der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 sowie (4.) dem Umgang der syrischen Behörden in Syrien insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig gewesen seien, die Opposition zu unterstützen. Unter Auswertung der seinerzeit zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel ging der Senat in der Gesamtschau davon aus, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam gewesen sei, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung angesehen und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen genommen habe.

11

Seither haben sich jedoch nachhaltige Veränderungen der politischen und militärischen Verhältnisse ergeben (ebenso: Saarl. OVG, Urteil vom 2. Februar 2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 24), wie sich nicht nur der dichten Presseberichterstattung, sondern auch einer Reihe von Berichten und Stellungnahmen verschiedener Organisationen entnehmen lässt (etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015; vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015; Bericht der Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada [Immigration and Refugee Board of Canada] vom 19. Januar 2016; Amnesty Report 2016 vom 24. Februar 2016). Auf Basis dieser und anderer aktuell zur Verfügung stehender Erkenntnismittel geht die obergerichtliche Rechtsprechung derzeit davon aus, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen (so BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30338 -, juris Rn. 70; ähnlich Saarl. OVG, Urteil vom 2. Februar 2017, a.a.O., Rn. 30), bzw. sind der Auffassung, dass zwischenzeitlich auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte, dass die weit überwiegende Anzahl der Flüchtenden aus Angst vor dem Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Folgen ihr Heimatland verlassen haben (in diesem Sinne OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - 14 A 1852/16.A -, juris Rn. 18; OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 -, juris Rn. 40; hierauf ebenfalls hinweisend, aber letztlich offen lassend: OVG RP, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 50 ff.).

12

Bei dieser Sachlage ist die Entscheidung des Senats vom 18. Juli 2012 (a.a.O.) als überholt anzusehen, weshalb eine Zulassung wegen Divergenz ausscheidet und allein die Rüge der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wegen neuerlichen Klärungsbedarfs in Betracht kommt.

13

Was die Indizwirkung divergierender obergerichtlicher Entscheidungen anbelangt, die in diesem Fall jedenfalls mit Blick auf den zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Juni 2013 (a.a.O.) wieder an Bedeutung gewinnen könnte, so ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht - auch nicht von Verfassungs wegen - geboten, jeden Fall der Abweichung eines Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung eines Oberverwaltungsgerichts eines anderen Bundeslandes als Fall einer grundsätzlichen Bedeutung anzusehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. März 1994 - 2 BvR 211/94 -, juris). Die Tatsache der Abweichung hat insbesondere dann keine Indizwirkung (mehr), wenn die (abweichende) Entscheidung des Verwaltungsgerichts - wie hier - neue und gewichtige rechtliche Argumente oder zusätzliche Erkenntnisse enthält. Es ist deshalb vorliegend allein anhand der vorgetragenen Gründe darüber zu befinden, ob der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gegeben ist.

14

Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Tatsachenfrage setzt allerdings eine intensive, fallbezogene Auseinandersetzung mit den von dem Verwaltungsgericht heran-gezogenen und bewerteten Erkenntnismitteln voraus. Es ist Aufgabe des Antragstellers, durch die Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern seine gegenteiligen Bewertungen in der Antragsschrift zutreffend sind, sodass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (GK-AsylG, a.a.O., § 78 Rn. 611). Dies kann durch eine eigenständige Bewertung der bereits vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnismittel geschehen, oder auch durch Berufung auf weitere, neue oder von dem Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Erkenntnismittel. Dabei gilt allgemein, dass die Anforderungen an die Darlegung nicht überspannt werden dürfen, sondern sich nach der Begründungstiefe der angefochtenen Entscheidung zu richten haben (Sächs. OVG, Beschluss vom 19. Januar 2016 - 5 A 553/15.A -, juris Rn. 6).

15

Diesen Anforderungen wird die Zulassungsschrift nicht gerecht.

16

Das Verwaltungsgericht stützt seine grundsätzliche Einschätzung, wonach Rückkehrern, die sich länger im westlichen Ausland aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt haben, bei ihrer hypothetischen Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe, auf eine Auskunft der Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, den Menschenrechtsbericht des US State Department 2015, die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 sowie auf verschiedene Pressemitteilungen, u.a. zu Äußerungen Assads vom 11. Juli 2016. Das Gericht zieht hieraus den Schluss, dass „die Furcht vor Verfolgung für diejenigen begründet ist, die - anders als die Klägerin - aus begründeter Furcht vor einer anlassbezogenen Bestrafung das Land verlassen und um Asyl nachgesucht haben“ (Seite 7). Daneben misst das Verwaltungsgericht den Erklärungen Assads besondere Bedeutung bei, wonach sich dieser in einem Interview mit der ausländischen Presse dahingehend geäußert habe, „dass es sich bei den meisten Menschen, die Syrien verlassen hätten, um gute Bürger handele, die ausschließlich vor dem Krieg geflohen seien“ (Seite 8). Das Gericht geht hiermit der Sache nach - wie mittlerweile etwa auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 12. Dezember 2016, a.a.O.) und das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Urteil vom 2. Februar 2017, a.a.O.) - davon aus, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

17

Mit diesen vom Verwaltungsgericht benannten Erkenntnismitteln setzt sich die Zulassungsschrift nicht weiter auseinander. Sie beruft sich in diesem Zusammenhang lediglich auf die unterschiedliche obergerichtliche Rechtsprechung, was zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung allerdings - wie eingangs festgestellt - nicht genügt.

18

b) Die Klägerin hält anknüpfend an die erste Frage weitergehend für klärungsbedürftig, „ob individuelle Gründe hinzutreten müssen, um eine begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen, wie z.B. die Zugehörigkeit zu einer vulnerablen Gruppe wie z.B. Kinder, Frauen, Angehörige ethnischer Minderheiten einschließlich Kurden, Turkmenen, Assyrer, Tscherkessen und Armenier, Mitglieder religiöser Gruppen, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von ISIS sind, und sich in Gebieten aufhalten, in denen ISIS de facto die Kontrolle oder Einfluss ausübt, pp. wie z.B. die mögliche Einberufung zum Wehrdienst im Falle der hypothetischen Rückkehr in die Arabische Republik Syrien, pp.“.

19

Auch insoweit genügt sie ihren Darlegungserfordernissen allerdings nicht.

20

Hierbei mag dahinstehen, ob die Frage, die mit der Formulierung allen individuellen Besonderheiten Rechnung tragen will, den dargelegten Anforderungen an die Ausformulierung einer klärungsbedürftigen Frage von allgemeiner Bedeutung gerecht wird. Jedenfalls zeigt die Klägerin mit ihren diesbezüglichen Überlegungen nicht auf, dass es auf die angesprochenen Fragestellungen im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ankommt.

21

Was zunächst den Umstand anbelangt, dass die Klägerin kurdischer Volkszugehörigkeit ist und aus dem Norden Syriens stammt, so hat das Verwaltungsgericht dieser Besonderheit keine gefahrerhöhende Bedeutung beigemessen und zur Begründung darauf abgestellt, dass die Kurden im Norden Syriens mit der Ausrufung der autonomen Region am 18. März 2016 weitgehend sich selbst überlassen seien und in den von ihnen kontrollierten Gebieten de facto ein eigenes staatsähnliches Gebilde im Sinne eines autonomen Selbstverwaltungsgebietes geschaffen hätten. Es gebe keine Hinweise für die Annahme, die kurdische Selbstverwaltung würde Rückkehrern aus dem westlichen Ausland eine systemkritische Gesinnung unterstellen. Dass die Klägerin als alleinstehende Frau zum Kreis besonders verletzlicher Personen zählt, hat das Verwaltungsgericht ebenfalls nicht genügen lassen, um von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgungshandlungen ausgehen zu können. Zwar erfülle sie hiermit eines der in den Erwägungen des UNHCR aus November 2015 angeführten Risikoprofile. Dies allein genüge allerdings nicht, um von einer konkreten Gefährdung für die Klägerin ausgehen zu können. Denn den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln lasse sich nicht entnehmen, dass in von Kurden kontrollierten Gebieten Frauen - zumal kurdischer Volkszugehörigkeit - allein ihres Geschlechtes wegen Verfolgungshandlungen ausgesetzt seien.

22

Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin demgegenüber zunächst auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2016 (- 21 B 16.30372 -, juris). Denn diese Entscheidung hatte drohende Verfolgungshandlungen gegen einen 31-jährigen syrischen Reservisten in Anknüpfung an eine ihm wegen der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (unterstellte) oppositionelle Gesinnung zum Gegenstand. Eine solche Fallgestaltung steht vorliegend nicht in Rede. Insoweit fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit für das vorliegende Verfahren.

23

Den grundsätzlichen Klärungsbedarf der aufgeworfenen Fragen vermag die Klägerin auch nicht aus einer Entscheidung der 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 19. Oktober 2016 (Az.: 9 A 144/16 MD) abzuleiten, mit der einem aus Nordsyrien stammenden Asylbewerber mit Blick auf Verfolgungshandlungen des IS die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist. Dieser Entscheidung lag die auf die Auskunft des UNHCR aus November 2015 gestützte Annahme zugrunde, dass der IS im Norden Syriens die Kontrolle über ein weitgehend zusammenhängendes Gebiet ausübe. Demgegenüber ist das Gericht in der hier angegriffenen Entscheidung davon ausgegangen, dass die Heimatregion der Klägerin jedenfalls mit der Ausrufung der kurdischen autonomen Region am 18. März 2016 nicht mehr unter der Kontrolle des IS stehe, weshalb der Auskunft des UNHCR nur eingeschränkte Bedeutung beizumessen sei. Mit diesen durch das Gericht vorliegend festgestellten Besonderheiten setzt sich die Klägerin nicht weiter auseinander. Unabhängig hiervon fehlt es auch an der Erläuterung und Aufarbeitung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Überlegungen, weshalb die einem Rückkehrer durch den IS drohenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verfolgungshandlungen anzusehen sein sollen, die an ein asylrelevantes Merkmal i. S. d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 AsylG anknüpfen. Das Verwaltungsgericht stellt hierzu in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2016 fest, eine Verfolgung von Rückkehrern durch den IS sei wegen „tatsächlicher oder vermeintlicher Infragestellung seines Herrschaftsanspruchs oder bei Verstoß gegen die von ihm aufgestellten Regeln“ mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen und führt weiter aus, „die hemmungslose Gewaltanwendung des IS gegenüber Personen, die anderen Glaubens sind bzw. sich den vom IS vorgegebenen Regeln nicht vorbehaltlos unterwerfen“, lasse die Furcht vor Verfolgung begründet erscheinen, weshalb die „Flucht aus dem Gebiet des IS und die Beantragung von Asyl in einem westlichen Staat […] mit der erforderlichen Beachtlichkeit vom IS als ein gegen diesen und dessen Ziele gewendetes Verhalten aufgefasst werden“ könne. Das Gericht lässt damit letztlich offen, ob etwaige Übergriffe durch den IS, denen Rückkehrer ausgesetzt sein könnten, gerade mit Blick auf eine (unterstellte) politische Überzeugung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 4 AsylG erfolgen oder ob es sich hierbei um religiös motivierte Angriffe i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG handelt. Hieraus wird deutlich, dass die Frage, ob eine (behauptete) Verfolgungshandlung durch den IS an einen Verfolgungsgrund i. S. d. § 3b AsylG anknüpft, von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt und einer über den Einzelfall hinausgehenden, grundsätzlichen Klärung deshalb nicht zugänglich ist (ebenso OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2017 - 13 A 725/16.A -, juris Rn. 6).

24

Auch hinsichtlich der Ausführungen der Klägerin zur besonderen Situation der Frauen fehlt es an der Erläuterung und Aufarbeitung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Überlegungen, insbesondere hinsichtlich der Frage, weshalb die einer (alleinstehenden) Frau bei einer Rückkehr nach Syrien drohenden Gewalthandlungen gerade in Anknüpfung an das Geschlecht (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 5, § 3a Abs. 3, § 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbsatz AsylG) erfolgen sollen (hierzu auch BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30338 -, juris Rn. 91). Zwar werden „Frauen, insbesondere Frauen ohne Schutz durch Männer“ in der Auskunft des UNHCR aus November 2015 als eine der Risikogruppen benannt, die „wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der GFK benötigen“ (Seite 25 f). Allerdings lässt sich den Ausführungen des UNHCR nicht entnehmen, dass diese Personengruppe gerade deshalb Verfolgungshandlungen ausgesetzt sind, weil es sich um Frauen handelt (zum Erfordernis der Verknüpfung zwischen Verfolgungsgrund und Verfolgungshandlung siehe § 3a Abs. 3 AsylG). Auf Seite 14 der Auskunft wird zur Situation der Frauen zwar ausgeführt, dass sich deren Situation durch den fortgesetzten Konflikt dramatisch verschlechtert habe, „da Frauen aufgrund ihres Geschlechts zunehmend Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien“ würden. Weiter heißt es an dieser Stelle, dass Berichten zufolge „Tausende von Frauen bei dem Beschuss ziviler Gebiete und durch Heckenschützen sowie im Rahmen von Überfällen und Massakern getötet“ worden seien. Andere Frauen würden „inhaftiert, als Geisel genommen, gefoltert, sexueller und sonstiger Gewalt ausgesetzt“ oder „als menschliche Schutzschilde verwendet“ oder „Opfer einer strengen Auslegung der Scharia“. Zunehmend würden Frauen die überwiegende oder ausschließliche Versorgung der Familie übernehmen, da die männlichen Familienangehörigen verletzt, behindert, festgenommen, verschwunden, getötet oder aufgrund ihrer Beteiligung am Konflikt nicht vor Ort sind oder aus Angst vor Inhaftierung oder vor Massenhinrichtungen an Kontrollstellen es nicht wagen würden, ihre Häuser zu verlassen. Diese Frauen und Mädchen seien besonderen Schwierigkeiten während ihrer Bemühungen ausgesetzt, ihr Leben neu aufzubauen und trotz erhöhtem Missbrauchs- und Ausbeutungsrisiko für ihre Familien zu sorgen. Die Gewalthandlungen, denen Frauen in besonderer Weise ausgesetzt sind, haben ihre Ursache damit in einer Gemengelage verschiedener Faktoren, die teilweise an das Geschlecht anknüpfen mögen, teilweise religiös motiviert zu sein scheinen, teilweise aber auch ganz allgemein aus den kriegerischen Verhältnissen in Syrien resultieren. Damit hängt die Frage, ob Frauen gerade wegen ihres Geschlechtes Verfolgungshandlungen ausgesetzt sind, auch insoweit von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, weshalb diese Frage einer über den Einzelfall hinausgehenden, grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.

25

Auch mit der weiteren Feststellung der Klägerin, dass sie „einer weiteren Risikogruppe, nämlich der Angehörigen ethnischer Minderheiten“ und zudem der Risikogruppe der Personen angehöre, „die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von ISIS sind, und sich in Gebieten aufhalten, in denen dieser de facto die Kontrolle oder Einfluss ausübt“, wird sie ihren Darlegungsanforderungen nicht gerecht. Zwar werden Angehörige ethnischer Minderheiten (einschließlich Kurden) in der Auskunft des UNHCR ebenfalls als eine der Risikogruppen benannt, die wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der GFK benötigen (Seite 25 f.). Ob Angriffe auf Kurden in Syrien allerdings gerade in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal erfolgen oder ihren Ursprung „lediglich“ in den kriegsbedingten Verhältnissen im Land haben, lässt sich dem Bericht nicht zweifelsfrei entnehmen (zu den Motiven von Angriffen auf religiöse Minderheiten siehe Seite 12 f., Fußnote 76). Im vorliegenden Zulassungsverfahren wäre es Aufgabe der Klägerin gewesen, dieser Frage unter Auseinandersetzung mit den einschlägigen Erkenntnismitteln weiter nachzugehen.

26

II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.

27

III. Der Prozesskostenhilfeantrag war gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO mangels Erfolgsaussichten aus den vorstehenden Gründen abzulehnen.

28

IV. Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 78 Abs. 5 Satz 2, 80 AsylG, 152 Abs. 1 VwGO).


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

(1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ist ein volljähriger Ausländer, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuches geschäftsunfähig oder in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt zu unterstellen wäre.

(2) Bei der Anwendung dieses Gesetzes sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches dafür maßgebend, ob ein Ausländer als minderjährig oder volljährig anzusehen ist. Die Geschäftsfähigkeit und die sonstige rechtliche Handlungsfähigkeit eines nach dem Recht seines Heimatstaates volljährigen Ausländers bleiben davon unberührt.

(3) Im Asylverfahren ist vorbehaltlich einer abweichenden Entscheidung des Familiengerichts jeder Elternteil zur Vertretung eines minderjährigen Kindes befugt, wenn sich der andere Elternteil nicht im Bundesgebiet aufhält oder sein Aufenthaltsort im Bundesgebiet unbekannt ist.

Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

Tenor

1. Die Beklagte wird – unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 2 bis 4 des Bescheids vom 10. Dezember 2012 – verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung des jeweils anderen Beteiligten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der irakische Kläger begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter, hilfsweise die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weiter hilfsweise subsidiären Schutz.

2

Der ausweislich seines irakischen Personalausweises am ... 1957 in Scheichan geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und jesidischen Glaubens. Seine Familie stammt aus der Stadt Scheichan in der Provinz Ninive. Nach der bei der Beklagten vorgelegten Heiratsurkunde vom ... 1985 ist er seit diesem Tag mit der ..., der Klägerin im Verfahren 8 A 1238/12, verheiratet. Er ist Vater des nach eigenen Angaben am ... 1994 geborenen U., dem mit Bescheid vom ... 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (Gz. der Beklagten: 5381754-438), sowie Vater der Klägerinnen in den Verfahren 8 A 1273/12 und 8 A 289/13.

3

Der Kläger erlitt im Jahr 2008 zwei Schlaganfälle und ist seitdem teilweise gelähmt. Bereits im Irak befand er sich deshalb in ständiger ärztlicher Behandlung. Er reiste am ... 2010 mit seinem gültigen irakischen Reisepass und einem darin enthaltenen Visum zur Familienzusammenführung legal ins Bundesgebiet ein. Am ... 2010 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 36 Abs. 1 AufenthG zum Familiennachzug zu seinem damals minderjährigen Sohn U.. Mit anwaltlichem Schreiben vom 11. Oktober 2010 – bei der Beklagten am Folgetag eingegangen – stellt er einen Asylantrag. Mit Bescheid vom ... Oktober 2010 wurde für den weiterhin pflegebedürftigen Kläger ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt.

4

Am ... Februar 2011 hörte die Beklagte den Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal an (Bl. 94 ff. der Asylakte). Mit Bescheid vom ... Dezember 2012 lehnte sie seine Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht bestehen. Er könne nicht als Asylberechtigter anerkannt werden und genieße keinen Flüchtlingsschutz, weil er legal und unverfolgt ausgereist sei. Die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung der Jesiden lägen nicht mehr vor. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gebe es trotz seiner Erkrankung nicht. Es sei nicht ersichtlich, dass ihm eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bei einer Rückkehr in den Irak drohe.

5

Mit seiner am ... Dezember 2012 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Unter Berufung auf verschiedene Gerichtsurteile meint er, dass die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung im Irak noch vorlägen. Es sei zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, weil die medizinische Versorgung im Irak zusammen gebrochen sei.

6

Der Kläger beantragt,

7

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom ... Dezember 2012 zu verpflichten,
1. den Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen;
2. hilfsweise, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
3. weiter hilfsweise, den Kläger als subsidiär Schutzberechtigten anzuerkennen;
4. weiter hilfsweise, Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1, Abs. 5 AufenthG festzustellen.

8

Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich der Antrag,

9

die Klage abzuweisen.

10

Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz. Der Gesetzgeber habe bei § 26 AsylVfG bewusst für die Bestimmung der Minderjährigkeit auf unterschiedliche Zeitpunkte abgestellt. Durch § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG solle allein dem Bedürfnis von Minderjährigen nach familiärer Fürsorge und dem Schutz dieser Personen Rechnung getragen werden. Sei der Stammberechtigte – wie hier – mittlerweile volljährig geworden, bestünde kein Schutzbedürfnis mehr. Dem Kläger sei durch die lange Bearbeitungszeit kein Nachteil entstanden, da die Norm, auf die er sich berufe, erst zum 1. Dezember 2013 in Kraft getreten sei.

11

Bei der Entscheidung haben die Asylakte und die Ausländerakte des Klägers sowie die Asylakte seines Sohnes ... (...-438) vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I.

12

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten (Bl. 18, 20; 87, 88 d. A.) durch den Berichterstatter anstelle der Kammer gemäß § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO und im schriftlichen Verfahren gemäß § 101 Abs. 2 VwGO.

II.

13

Die zulässige Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO ist im Hinblick auf die Anerkennung als Asylberechtigter unbegründet (dazu 1.), hinsichtlich des ersten Hilfsantrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 113 Abs. 5 VwGO begründet (dazu 2.).

14

1. Der Kläger kann schon deshalb nicht als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG anerkannt werden, weil er gemäß § 27a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf dem Landweg – und damit zwingend über einen sicheren Drittstaat – ins Bundesgebiet eingereist ist. Die Ausnahmetatbestände von § 27a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG sind nicht erfüllt.

15

2. Die Versagung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch Bescheid vom ... Dezember 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3, 26 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, 2 AsylVfG i. d. F. des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474; im Folgenden: „Richtlinienumsetzungsgesetz“). Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 5 Satz 1, 2 AsylVfG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlingsschutzberechtigten auf Antrag als Flüchtlinge anerkannt, wenn die in den § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 AsylVfG genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies ist der Fall.

16

2.1 Der Kläger ist der Vater des nach eigenen glaubhaften Angaben am ... 1994 geborenen U., dem mit Bescheid vom ... September 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (Stammberechtigter). Die Altersangaben basieren auf den glaubhaften Angaben der Tante des Stammberechtigten, mit der er ins Bundesgebiet eingereist ist. Er hat bei seiner Anhörung am ... Juli 2009 die Namen seiner Eltern zutreffend angegeben.

17

2.2 Der Stammberechtigte war im maßgeblichen Zeitpunkt der Asylantragstellung des Klägers ledig und noch minderjährig. Zwar ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AsylVfG grundsätzlich für das Erfüllen der Tatbestandsmerkmale auf die Sach- und Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt abzustellen. Von diesem Grundsatz ist jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn sich aus dem materiellen Recht ergibt, dass ein früherer Zeitpunkt maßgeblich ist (Bergmann, in: Renner, Ausländerrecht Kommentar, 9. Aufl. 2011, § 77 AsylVfG, Rn. 2; ausdrücklich für die zeitlichen Anknüpfungspunkte beim Familienasyl auch Hailbronner, Ausländerrecht, 68. EL, Stand: April 2010, § 77 AsylVfG, Rn. 13). Dies ist hier der Fall. Bis auf § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG wird in den übrigen beiden Fällen, in denen § 26 AsylVfG den Rechteerwerb von der Minderjährigkeit eines Familienmitglieds abhängig macht, ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung des Zuziehenden abgestellt (§ 26 Abs. 2 und § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG). Zwar könnte man nach einer grammatischen Auslegung von § 26 Abs. 2 AsylVfG auch auf einen früheren Zeitpunkt, nämlich die Antragstellung des Stammberechtigten abstellen (Das Personalpronomen „seiner“ vor „Antragstellung“ könnte sich auf den Stammberechtigten oder das zuziehende Kind beziehen). Aus der Gesetzgebungsgeschichte wird jedoch deutlich, dass es auf die Antragstellung des zuziehenden Minderjährigen ankommt (BT-Drs. 15/420, S. 109 [zu Nr. 17 Buchstabe c]: „Durch die Wörter 'seiner Asylantragstellung' wird sichergestellt, dass Kinder nur eine abgeleitete Asylberechtigung erhalten, wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Asylantragstellung minderjährig und ledig sind.“). Aus dem Unterlassen bei § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG, den maßgeblichen Zeitpunkt zu benennen, kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass bei dieser Norm auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen wäre. Vielmehr muss auch hierbei für die Bestimmung der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung – in diesem Fall des zuziehenden Elternteils – abgestellt werden. Dies ergeben eine richtlinienkonforme (dazu 2.2.1) und systematische (dazu 2.2.2) Auslegung von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG. Bei diesem Normverständnis ist der Kläger ein Elternteil eines minderjährigen Flüchtlings (dazu 2.2.3).

18

2.2.1 Um den Zweck der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 über „Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes“ (ABl. EU 2011 L 337/9; im Folgenden: „Richtlinie“ oder „Richtlinie 2011/95/EU“) möglichst effektiv zu erreichen, muss für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abgestellt werden. Mit dem Schutzziel der Aufrechterhaltung des Familienverbands (Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie) knüpft die Richtlinie an einen tatsächlichen Zustand an, nämlich daran, dass sich Familienmitglieder in einen Mitgliedstaat geflüchtet haben und nunmehr dort ein (Teil-)Familienverband besteht. Eine vollständige Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie kann im Lichte dieses Schutzziels nur dann erreicht werden, wenn das Recht auf Aufrechterhaltung des Familienverbandes erworben wird, sobald der Familienverband tatsächlich im Fluchtstaat besteht. Würde man dagegen auf den Zeitpunkt der behördlichen (oder gerichtlichen) Entscheidung abstellen, würde das zu schützende Rechtsgut – der tatsächlich bestehende Familienverband – nicht durchgängig geschützt. Da sich das genaue Einreisedatum häufig nicht ermitteln lässt, ist es vom Schutzziel der Richtlinie gedeckt, auf das Datum der Antragstellung des zuziehenden Familienmitglieds abzustellen.

19

Vor diesem Hintergrund geht der Einwand der Beklagten fehl, dass heute – nachdem der Stammberechtigte volljährig geworden ist – das vermeintlich alleinige Ziel der Vorschrift, die im „Bedürfnis von Minderjährigen nach familiärer Fürsorge und dem Schutz dieser Personen“ liegen soll, nicht mehr erreicht werden könne. Das Recht, das die Familienangehörigen durch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erwerben, ist zeitlich nicht – wie bei § 36 AufenthG – auf die Minderjährigkeit beschränkt, sondern hängt vom Bestand des Flüchtlingsschutzes des Stammberechtigten ab, der mit der Minderjährigkeit nicht endet. Eine vollständige Umsetzung der Richtlinie verlangt daher, dass Familienflüchtlingsschutz gewährt werden muss, sobald bei Entstehung des Familienverbandes im Fluchtstaat die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.

20

2.2.2 Selbst wenn man annähme, dass es die Richtlinie 2011/95/EU nicht zwingend erfordert, bei der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen, ergibt sich dies aus der Systematik von § 26 AsylVfG. Die von der Beklagten vertretene Ansicht würde in mehrfacher Hinsicht zu Wertungswidersprüchen führen.

21

Würde man einzig bei § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellen, könnte die Behörde (oder das Gericht) durch die Wahl des Entscheidungszeitpunktes beeinflussen, ob der Tatbestand erfüllt ist. Zwar kommt es vor, dass der Entscheidungszeitpunkt über den Erfolg einer Klage entscheidet, etwa weil es zwischen Antragstellung und endgültiger Entscheidung zu einem Machtwechsel im Fluchtstaat gekommen und daher die Verfolgungsgefahr weggefallen ist. Derartige Umstände liegen jedoch – anders als die Entscheidung, wann über den Fall entschieden wird – außerhalb des Einflussbereichs der Verfahrensbeteiligten und müssen daher hingenommen werden. Die Überlegung, dass sich die Verfahrensdauer nicht nachteilig auf das Entstehen des Familienasyls auswirken soll, hat den Gesetzgeber bei § 26 Abs. 2 AsylVfG dazu bewogen, nicht auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Stammberechtigten (so noch der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens, BT-Drs. 12/2062 v. 12.2.1992, S. 26), sondern auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (so ausdrücklich die Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses, BT-Drs. 12/2718 v. 2.6.1992, S. 20, 60; siehe auch: Bodenbender, in GK-AsylVfG, 82. EL, Juni 2008, § 26 AsylVfG, Rn. 21).

22

Es wäre widersprüchlich, beim Familienflüchtlingsschutz für Eltern, die zu ihren Kindern ziehen (§ 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG), andere Maßstäbe anzulegen als im umgekehrten Fall, in dem die Kinder den Flüchtlingsschutz von den stammberechtigten Eltern (§ 26 Abs. 2 AsylVfG) ableiten. In beiden Fällen geht es um die Wahrung des im Fluchtstaat (neu) bestehenden Familien(teil)verbands (Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie) und die Integration der nahen Angehörigen eines Stammberechtigten (zu diesem gesetzgeberischen Ziel des Familienasyls: BT-Drs. 11/6960, S. 30). Beide Schutztatbestände unterscheiden sich nur hinsichtlich des Familienmitglieds, das zuerst Flüchtlingsschutz erhält, uns basieren auf derselben unionsrechtlichen Grundlage (Art. 23 Abs. 1 und 2 der insoweit gleichlautenden Richtlinien 2011/95/EU und 2004/83/EG). Die Definitionen der jeweils Berechtigten (Art. 2 Buchst. h 2. Anstrich Richtlinie 2004/83/EG bzw. Art. 2 Buchst. j 3. Anstrich Richtlinie 2011/95/EU) geben keinen Anlass zu einer unterschiedlichen Behandlung, weil sie beide den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht festlegen. In der Begründung des Richtlinienumsetzungsgesetzes wird nicht erläutert, warum § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit nicht nennt. Dort wird lediglich mitgeteilt, dass § 26 Abs. 2 AsylVfG unverändert bleiben könne und in § 26 Abs. 3 Satz 1 der „Familienschutz erstmalig auf die Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter“ ausgedehnt werde (BR-Drs. 218/13, S. 30).

23

Noch weniger nachvollziehbar wäre es, minderjährige Stammberechtigte, zu denen ein Elternteil zuziehen will, schlechter zu stellen als solche, zu denen ein Geschwisterkind zuziehen will. Während im ersten Fall die Eltern nach der Auffassung der Beklagten Flüchtlingsschutz nur erhalten sollen, wenn das stammberechtigte Kind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch minderjährig ist, reicht es nach § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG im zweiten Fall aus, dass der Stammberechtigte bei Antragstellung des zuziehenden Geschwisterkindes (das ebenfalls minderjährig sein muss) noch minderjährig ist (hierzu VG Hamburg, Urt. v. 13.11.2013, 8 A 214/12, S. 14f.). Ein solches Ergebnis wäre auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil der Zuzug von (minderjährigen) Geschwistern zu minderjährigen Stammberechtigten nicht von der Richtlinie 2011/95/EU gefordert wird, der Zuzug von Eltern dagegen gemäß Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j) 3. Anstrich der Richtlinie von den Mitgliedstaaten ermöglicht werden muss. Wenn die Gesetzesbegründung für § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG darauf verweist, dass „[z]ur Aufrechterhaltung der Familieneinheit und im Interesse des Minderjährigenschutzes“ minderjährige ledige Geschwister in das Familienasyl einbezogen werden (BR-Drs. 218/13, S. 30) – und hierbei auf die Minderjährigkeit bei Antragstellung abgestellt wird –, muss dies auch für den Fall gelten, dass ein Elternteil zu einem minderjährigen Stammberechtigten zieht.

24

2.2.3 Nach dem hier vertretenen Verständnis von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG war der Kläger ein Elternteil eines minderjährigen ledigen Kindes, weil der Stammberechtigte bei der Asylantragstellung des Klägers am... Oktober 2010 noch minderjährig war. Dass der Stammberechtigte zwischenzeitlich – am ... Mai 2012 – volljährig geworden ist, ist rechtlich unerheblich.

25

2.3 Unschädlich für den Anspruch des Klägers ist, dass bei seiner Asylantragstellung am 12. Oktober 2010 die Anspruchsgrundlage des § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG in der Fassung vom 1. Dezember 2013 noch nicht in Kraft war. Hinsichtlich der Rechtslage verbleibt es nämlich bei dem in § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AsylVfG formulierten Grundsatz, dass es auf den Entscheidungszeitpunkt ankommt. Soweit sich aus dem anzuwendenden Recht nicht etwas Anderes ergibt, ist es eine vom Gesetzgeber gewollte Folge von § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, dass ein ursprünglich begründeter Asylantrag wegen nachträglich veränderter Verhältnisse unbegründet werden kann oder umgekehrt, dass eine anfangs unbegründete Klage wegen Eintritts nachträglicher Ereignisse im maßgeblichen Zeitpunkt Erfolg hat (Marx, AsylVfG 7. Aufl. 2009, § 77 Rn. 7; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, 90. EL, Februar 2011, § 77 AsylVfG, Rn. 3). Anders als beim maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit (siehe oben 2.2), ergibt sich aus dem materiellen Recht für das anzuwendende Recht kein von § 77 Abs. 1 AsylVfG abweichender Zeitpunkt. Wenn es der Gesetzgeber gewollt hätte, dass Familienflüchtlingsschutz nur dann gewährt werden soll, wenn die Voraussetzungen auch bei Inkrafttreten der Norm vorlagen, hätte er Übergangsvorschriften erlassen können. Hierauf hat er jedoch im Hinblick auf § 26 AsylVfG verzichtet (s. Art. 7 des Richtlinienumsetzungsgesetzes).

26

2.4 Auch die übrigen Voraussetzungen von § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG liegen vor. Die Flüchtlingsanerkennung des Stammberechtigten vom ... September 2009 ist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG seit dem... September 2009 unanfechtbar (Bl. 117 der Asylakte des Stammberechtigten). Sie ist nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG). Die Lage im Irak hat sich nicht grundsätzlich zum Besseren gewendet, so dass ein Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht in Betracht kommt. Anhaltspunkte dafür, dass der Stammberechtigte unrichtige Angaben im Verfahren gemacht hat, so dass eine Rücknahme nach § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG in Betracht zu ziehen wäre, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Zwar hat das Einwohner-Zentralamt der Freien und Hansestadt Hamburg mit Schreiben vom ... November 2009 ein Widerrufsverfahren angeregt. Die Beklagte hat jedoch mit Schreiben vom ... Januar 2010 mitgeteilt, dass sie davon absieht (Bl. 123, 161 der Asylakte des Stammberechtigten). Die Familie bestand schon im Herkunftsland (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG). Der Stammberechtigte ist im Jahr 2009 mit seiner Tante ausgereist; bis dahin lebte er mit seiner Familie in Scheichan.

27

Die Antragstellung mit Schreiben vom ... Oktober 2010 erfolgte noch unverzüglich i.S.v. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG nach der Einreise am x. September 2010. Unverzüglich bedeutet – wie im Zivilrecht – „ohne schuldhaftes Zögern“ (Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, §, 26, Rn. 46). Erforderlich ist nicht eine sofortige, aber eine alsbaldige Antragstellung. Dies setzt grundsätzlich eine Antragstellung binnen zweier Wochen voraus (siehe die Nachweise bei Bodenbender, GK-AsylVfG, 82. EL, Stand: Juni 2008, § 26 AsylVfG, Rn. 59). Wie lange das Zögern mit einer Antragstellung dauern darf, bevor es schuldhaft wird, hängt grundsätzlich von einer Würdigung der besonderen Verhältnisse im konkreten Fall ab. Insoweit muss u. a. auch die Möglichkeit gewährleistet sein, Rechtsrat einzuholen (VG Leipzig, Urt. v. 7.1.2004, A 6 K 30241/01, juris, Rn. 18). Nach diesem Maßstab erfolgte die Antragstellung noch unverzüglich. Es muss einem schwerkranken, aus einem fremden Kulturkreis kommenden älteren Mann, der bei der Bewältigung des Alltags auf Hilfe angewiesen ist, vor der Asylantragstellung zugestanden werden, sich zunächst im Zielland zu orientieren. Hierzu gehört es jedenfalls, sich eine Wohnung zu suchen, und die medizinische und pflegerische Versorgung zu organisieren. Da für ihn nicht ohne Weiteres klar sein konnte, welche Auswirkungen die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 36 AufenthG auf einen Asylantrag haben würde, war es vertretbar, zunächst eine anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Diese erfolgte am ... September 2010, mithin knapp drei Wochen nach der Einreise. Vor diesem Hintergrund hat der Kläger den Asylantrag noch unverzüglich gestellt.

28

Der Kläger hatte als Vater des bei Antragstellung minderjährigen Stammberechtigten mangels anderweitiger Anhaltspunkte die Personensorge inne (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG).

29

2.5 Für das Vorliegen von Ausschlussgründen nach §§ 26 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 AsylVfG ist nichts ersichtlich.

III.

30

Da die Klage bereits mit dem ersten Hilfsantrag Erfolg hat, braucht über die weiteren Hilfsanträge nicht entschieden zu werden.

IV.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83b AsylVfG, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 05.08.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am ...1999 in al-Hasaka, Syrien, geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit.
Er reiste am 17.07.2015 zusammen mit seiner Schwester, E. I., geb. 01.01.1998 (BAMF-Az. ...-475), und seinem Onkel, A. I. (BAMF-Az. ...-475), geb. 01.01.1978, in die Bundesrepublik ein und stellte am 11.08.2015 einen Asylantrag. Für den Kläger und dessen Schwester beantragte ausweislich der Bundesamtsakte der Onkel die Vormundschaft; ein entsprechender Nachweis ist hingegen nicht aktenkundig.
Dem ausgefüllten „Syrien-Fragebogen“ ist zu entnehmen, dass der Kläger ein beschleunigtes Verfahren wünschte.
Am 03.08.2016 hörte das Bundesamt den Kläger persönlich gem. § 25 AsylG zu seinen Fluchtgründen an. Hierbei gab der Kläger an, dass er in Syrien keinen Personalausweis und keinen Reisepass besessen habe. Die Kurden würden in Syrien wie Ausländer behandelt und hätten daher keine Papiere bekommen. Der Kläger habe bis zu seiner Ausreise im Januar 2013 in Al-Hasaka im Stadtteil S. zusammen mit seinen Eltern, einem Bruder und drei Schwestern gelebt. Er sei im Juli 2015 nach Deutschland eingereist. Zur Reiseroute gibt er an: „Von Syrien aus sind wir in die Türkei gereist. Von der Türkei aus nach Griechenland mit dem Boot. Von dort weiter nach Mazedonien, Serbien, die weiteren Länder bis nach Deutschland kenne ich nicht.“ Zwischen 2013 und 2015 seien sie fast die ganze Zeit in der Türkei gewesen, wo sie gearbeitet und so die Weiterreise finanziert hätten. Er sei wegen seiner Hörprobleme in Syrien nicht zur Schule gegangen. Wehrdienst habe er nicht abgeleistet. Auf die Frage, ob es in seiner Heimatstadt zu Kriegshandlungen gekommen sei, erklärte der Kläger: „Ja, es gab dort Kriegshandlungen, deswegen sind wir auch ausgereist. Die Stadt Alhassaka stand unter der Kontrolle der Regierung.“
Zu seinen Fluchtgründen führte er aus: „Ich bin mit meiner Familie aus Syrien wegen des Krieges geflüchtet. In Syrien konnte ich meinen Hörschaden nicht behandeln lassen.“ Es habe keine Behandlungsmöglichkeiten gegeben. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien befürchtete der Kläger, vom IS getötet zu werden.
Mit Bescheid vom 05.08.2016, zugestellt am 09.08.2016 an die Schwester des Klägers als dessen gesetzliche Vertreterin, erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutz zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab. Zur Begründung der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führte das Bundesamt aus, der Kläger habe keine persönliche Verfolgung vorgetragen und diese sei auch nicht sonstwie ersichtlich.
Der Kläger hat am 17.08.2016 die vorliegende Klage erhoben. Zu ihrer Begründung verweist er auf die derzeitige Bürgerkriegssituation in seinem Heimatland sowie auf seine Angaben im Rahmen der persönlichen Anhörung. Daraus sei abzuleiten, dass allein aufgrund der illegalen Ausreise, des längeren Auslandsaufenthalts sowie der Asylantragstellung in Deutschland davon auszugehen sei, dass die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorlägen. Ergänzend verweist der Kläger auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 06.07.2016 (Az. RN 11 K 16.30889), dessen Inhalt er zum Gegenstand des Sach- und Rechtsvortrags im vorliegenden Verfahren macht. Ergänzend verweist er ferner auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 08.07.2016 (Az. 1 K 1922/16. TR), einen Gerichtsbescheid der Kammer vom 09.08.2016 (Az. A 3 K 2286/16) sowie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 30.08.2016 (Az. 1 K 20284/16 ME).
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
10 
den Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 hinsichtlich der Ziff. 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
11 
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
14 
Mit Schriftsatz vom 17.08.2016 hat der Kläger sein Einverständnis hinsichtlich einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt und mit weiterem Schriftsatz vom 10.04.2017 hat er auf Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.
15 
Dem Gericht lagen die Behördenakten der Beklagten vor. Darauf, wie auch auf den Inhalt der Gerichtsakte, wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Mit dem Einverständnis der Beteiligten – seitens des Klägers mit Schriftsätzen vom 17.08.2016 und 10.04.2017, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 – entscheidet der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2, 3; 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zum gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung/Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Soweit der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 dem entgegensteht, verletzt er den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1 VwGO.
I.
18 
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Kläger der Bruder der Frau E. I. (Stammberechtigte) ist, welcher mit Urteil vom 28.02.2017 – zugestellt am 09.03.2017 – die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (A X K .../...).
19 
Hieraus folgt, dass der Kläger gem. § 26 Abs. 5, Abs. 3 S. 2 und S. 1 Nr. 1-4 AsylG einen Anspruch auf Familienasyl hat. Denn der Kläger war – ebenso wie seine Schwester als Stammberechtigte – zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährig. Allein hierauf kommt es an. Unerheblich ist hingegen, ob der Kläger bzw. seine Schwester als Stammberechtigte noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung minderjährig sind (ebenso VG Hamburg, Urteil vom 05.02.2014 - 8 A 289/13 - juris Rn. 17; VG München, Urteil vom 14.09.2016 - M 11 K 16.32551 - juris Rn. 17; Schröder, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylG Rn. 26). Für den Kläger ergibt sich dies bereits zwanglos aus dem klaren Wortlaut des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG. Gleiches muss jedoch auch für die Schwester des Klägers als Stammberechtigte gelten. Dies ergibt sich aus teleologischen Gründen – wie das VG Hamburg zutreffend ausführt – daraus, dass § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG (in Abkehr von § 77 Abs. 1 AsylG) explizit den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit benennt. Dieser muss nicht nur maßgeblich für die Minderjährigkeit des Familienangehörigen (hier: des Klägers), sondern zugleich für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten (hier: der Schwester des Klägers) sein (ebenso VG Hamburg, a. a. O. juris Rn. 20 mit weiterer, zutreffender Begründung). Andernfalls liefe der mit der Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG verfolgte Zweck des Minderjährigenschutzes und der Aufrechterhaltung der Familieneinheit leer.
20 
Dass i. R. d. § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG etwas anderes gilt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschl. v. 22.12.2016 – OVG 3 S 106.16 - juris Ls. Nr. 1 = NVwZ-RR 2017, 259), ist unschädlich. Denn bei § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG geht es (und kann es nur gehen) um den Schutz des minderjährigen Stammberechtigten, zu dem dessen Eltern (oder die sonst Sorgeberechtigten) nachziehen können sollen (vgl. OVG Bln-Bbg, a. a. O. juris Ls. Nr. 2). Bei § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG geht es hingegenauch um den Schutz des minderjährigen Familienangehörigen, für dessen Minderjährigkeit es nach dem eindeutigen Wortlaut auf den Zeitpunkt seiner Antragstellung ankommt. Nichts anderes kann daher für den Stammberechtigten gelten, damit der Schutz des minderjährigen Familienangehörigen nicht ins Leere läuft. Denn andernfalls käme es für dessen Schutzanspruch gem. § 26 AsylG darauf dann, dass der Stammberechtigte zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt noch minderjährig ist, wohingegen es – entgegen des klaren Wortlauts des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG – dann unerheblich wäre, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt dann noch minderjährig ist. Ein solcher Wertungswiderspruch vermag nur dadurch aufgelöst werden, dass es – mit dem VG Hamburg und dem VG München – auch hinsichtlich der Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Antragstellung des Familienangehörigen (hier: des Klägers) ankommt.
21 
Die weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 S. 2 i. V. m. S. 1 Nr. 1-4 AsylG sind ebenfalls erfüllt. Insbesondere bestand die geschwisterliche Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat und sie besteht auch derzeit noch fort (vgl. zu diesem Erfordernis BeckOK AuslR/Günther, 13. Ed. 1.2.2017, AsylG § 26 Rn. 23d).
22 
Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Schwester des Klägers ist auch am 10.04.2017 rechtskräftig und damit unanfechtbar i. S. d. § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AsylG geworden.
II.
23 
Der Kläger hat ferner – ohne dass es darauf noch ankäme – einen eigenen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Dies ergibt sich – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung der Kammer, die der erkennende Berichterstatter auf das vorliegende Verfahren überträgt – aus dem Umstand der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung in Deutschland und dem längeren Auslandsaufenthalt hier (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris; sowie das die Schwester des Klägers betreffende Urteil vom 09.03.2017 – A 3 K 3158/16 – n. v.) sowie – selbstständig tragend – aus dem weiteren Umstand, dass der Kläger im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien damit rechnen müsste, zum Wehrdienst eingezogen und sodann zur Teilnahme an Kriegshandlungen bestimmt zu werden (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris Rn. 114-139). Die Gefahrerhöhenden Umstände, die der erkennende Berichterstatter in der Person der Schwester des Klägers im Verfahren A 3 K 3158/16 erkannt hat, treffen uneingeschränkt auch auf den Kläger zu. Hinzu kommt bezüglich diesem, dass er mittlerweile (worauf es gem. § 77 Abs. 1 AsylG allein ankommt), im wehrdienstfähigen Alter ist.
III.
24 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.

Gründe

 
16 
Mit dem Einverständnis der Beteiligten – seitens des Klägers mit Schriftsätzen vom 17.08.2016 und 10.04.2017, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 – entscheidet der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2, 3; 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zum gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung/Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Soweit der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 dem entgegensteht, verletzt er den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1 VwGO.
I.
18 
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Kläger der Bruder der Frau E. I. (Stammberechtigte) ist, welcher mit Urteil vom 28.02.2017 – zugestellt am 09.03.2017 – die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (A X K .../...).
19 
Hieraus folgt, dass der Kläger gem. § 26 Abs. 5, Abs. 3 S. 2 und S. 1 Nr. 1-4 AsylG einen Anspruch auf Familienasyl hat. Denn der Kläger war – ebenso wie seine Schwester als Stammberechtigte – zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährig. Allein hierauf kommt es an. Unerheblich ist hingegen, ob der Kläger bzw. seine Schwester als Stammberechtigte noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung minderjährig sind (ebenso VG Hamburg, Urteil vom 05.02.2014 - 8 A 289/13 - juris Rn. 17; VG München, Urteil vom 14.09.2016 - M 11 K 16.32551 - juris Rn. 17; Schröder, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylG Rn. 26). Für den Kläger ergibt sich dies bereits zwanglos aus dem klaren Wortlaut des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG. Gleiches muss jedoch auch für die Schwester des Klägers als Stammberechtigte gelten. Dies ergibt sich aus teleologischen Gründen – wie das VG Hamburg zutreffend ausführt – daraus, dass § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG (in Abkehr von § 77 Abs. 1 AsylG) explizit den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit benennt. Dieser muss nicht nur maßgeblich für die Minderjährigkeit des Familienangehörigen (hier: des Klägers), sondern zugleich für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten (hier: der Schwester des Klägers) sein (ebenso VG Hamburg, a. a. O. juris Rn. 20 mit weiterer, zutreffender Begründung). Andernfalls liefe der mit der Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG verfolgte Zweck des Minderjährigenschutzes und der Aufrechterhaltung der Familieneinheit leer.
20 
Dass i. R. d. § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG etwas anderes gilt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschl. v. 22.12.2016 – OVG 3 S 106.16 - juris Ls. Nr. 1 = NVwZ-RR 2017, 259), ist unschädlich. Denn bei § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG geht es (und kann es nur gehen) um den Schutz des minderjährigen Stammberechtigten, zu dem dessen Eltern (oder die sonst Sorgeberechtigten) nachziehen können sollen (vgl. OVG Bln-Bbg, a. a. O. juris Ls. Nr. 2). Bei § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG geht es hingegenauch um den Schutz des minderjährigen Familienangehörigen, für dessen Minderjährigkeit es nach dem eindeutigen Wortlaut auf den Zeitpunkt seiner Antragstellung ankommt. Nichts anderes kann daher für den Stammberechtigten gelten, damit der Schutz des minderjährigen Familienangehörigen nicht ins Leere läuft. Denn andernfalls käme es für dessen Schutzanspruch gem. § 26 AsylG darauf dann, dass der Stammberechtigte zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt noch minderjährig ist, wohingegen es – entgegen des klaren Wortlauts des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG – dann unerheblich wäre, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt dann noch minderjährig ist. Ein solcher Wertungswiderspruch vermag nur dadurch aufgelöst werden, dass es – mit dem VG Hamburg und dem VG München – auch hinsichtlich der Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Antragstellung des Familienangehörigen (hier: des Klägers) ankommt.
21 
Die weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 S. 2 i. V. m. S. 1 Nr. 1-4 AsylG sind ebenfalls erfüllt. Insbesondere bestand die geschwisterliche Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat und sie besteht auch derzeit noch fort (vgl. zu diesem Erfordernis BeckOK AuslR/Günther, 13. Ed. 1.2.2017, AsylG § 26 Rn. 23d).
22 
Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Schwester des Klägers ist auch am 10.04.2017 rechtskräftig und damit unanfechtbar i. S. d. § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AsylG geworden.
II.
23 
Der Kläger hat ferner – ohne dass es darauf noch ankäme – einen eigenen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Dies ergibt sich – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung der Kammer, die der erkennende Berichterstatter auf das vorliegende Verfahren überträgt – aus dem Umstand der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung in Deutschland und dem längeren Auslandsaufenthalt hier (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris; sowie das die Schwester des Klägers betreffende Urteil vom 09.03.2017 – A 3 K 3158/16 – n. v.) sowie – selbstständig tragend – aus dem weiteren Umstand, dass der Kläger im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien damit rechnen müsste, zum Wehrdienst eingezogen und sodann zur Teilnahme an Kriegshandlungen bestimmt zu werden (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris Rn. 114-139). Die Gefahrerhöhenden Umstände, die der erkennende Berichterstatter in der Person der Schwester des Klägers im Verfahren A 3 K 3158/16 erkannt hat, treffen uneingeschränkt auch auf den Kläger zu. Hinzu kommt bezüglich diesem, dass er mittlerweile (worauf es gem. § 77 Abs. 1 AsylG allein ankommt), im wehrdienstfähigen Alter ist.
III.
24 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.

(1) Den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, § 25 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 erste Alternative, eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 3 oder nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Absatz 4 besitzt, ist abweichend von § 5 Absatz 1 Nummer 1 und § 29 Absatz 1 Nummer 2 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält.

(2) Sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers kann zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Auf volljährige Familienangehörige sind § 30 Abs. 3 und § 31, auf minderjährige Familienangehörige ist § 34 entsprechend anzuwenden.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 05.08.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am ...1999 in al-Hasaka, Syrien, geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit.
Er reiste am 17.07.2015 zusammen mit seiner Schwester, E. I., geb. 01.01.1998 (BAMF-Az. ...-475), und seinem Onkel, A. I. (BAMF-Az. ...-475), geb. 01.01.1978, in die Bundesrepublik ein und stellte am 11.08.2015 einen Asylantrag. Für den Kläger und dessen Schwester beantragte ausweislich der Bundesamtsakte der Onkel die Vormundschaft; ein entsprechender Nachweis ist hingegen nicht aktenkundig.
Dem ausgefüllten „Syrien-Fragebogen“ ist zu entnehmen, dass der Kläger ein beschleunigtes Verfahren wünschte.
Am 03.08.2016 hörte das Bundesamt den Kläger persönlich gem. § 25 AsylG zu seinen Fluchtgründen an. Hierbei gab der Kläger an, dass er in Syrien keinen Personalausweis und keinen Reisepass besessen habe. Die Kurden würden in Syrien wie Ausländer behandelt und hätten daher keine Papiere bekommen. Der Kläger habe bis zu seiner Ausreise im Januar 2013 in Al-Hasaka im Stadtteil S. zusammen mit seinen Eltern, einem Bruder und drei Schwestern gelebt. Er sei im Juli 2015 nach Deutschland eingereist. Zur Reiseroute gibt er an: „Von Syrien aus sind wir in die Türkei gereist. Von der Türkei aus nach Griechenland mit dem Boot. Von dort weiter nach Mazedonien, Serbien, die weiteren Länder bis nach Deutschland kenne ich nicht.“ Zwischen 2013 und 2015 seien sie fast die ganze Zeit in der Türkei gewesen, wo sie gearbeitet und so die Weiterreise finanziert hätten. Er sei wegen seiner Hörprobleme in Syrien nicht zur Schule gegangen. Wehrdienst habe er nicht abgeleistet. Auf die Frage, ob es in seiner Heimatstadt zu Kriegshandlungen gekommen sei, erklärte der Kläger: „Ja, es gab dort Kriegshandlungen, deswegen sind wir auch ausgereist. Die Stadt Alhassaka stand unter der Kontrolle der Regierung.“
Zu seinen Fluchtgründen führte er aus: „Ich bin mit meiner Familie aus Syrien wegen des Krieges geflüchtet. In Syrien konnte ich meinen Hörschaden nicht behandeln lassen.“ Es habe keine Behandlungsmöglichkeiten gegeben. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien befürchtete der Kläger, vom IS getötet zu werden.
Mit Bescheid vom 05.08.2016, zugestellt am 09.08.2016 an die Schwester des Klägers als dessen gesetzliche Vertreterin, erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutz zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab. Zur Begründung der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führte das Bundesamt aus, der Kläger habe keine persönliche Verfolgung vorgetragen und diese sei auch nicht sonstwie ersichtlich.
Der Kläger hat am 17.08.2016 die vorliegende Klage erhoben. Zu ihrer Begründung verweist er auf die derzeitige Bürgerkriegssituation in seinem Heimatland sowie auf seine Angaben im Rahmen der persönlichen Anhörung. Daraus sei abzuleiten, dass allein aufgrund der illegalen Ausreise, des längeren Auslandsaufenthalts sowie der Asylantragstellung in Deutschland davon auszugehen sei, dass die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorlägen. Ergänzend verweist der Kläger auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 06.07.2016 (Az. RN 11 K 16.30889), dessen Inhalt er zum Gegenstand des Sach- und Rechtsvortrags im vorliegenden Verfahren macht. Ergänzend verweist er ferner auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 08.07.2016 (Az. 1 K 1922/16. TR), einen Gerichtsbescheid der Kammer vom 09.08.2016 (Az. A 3 K 2286/16) sowie auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 30.08.2016 (Az. 1 K 20284/16 ME).
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
10 
den Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 hinsichtlich der Ziff. 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
11 
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
14 
Mit Schriftsatz vom 17.08.2016 hat der Kläger sein Einverständnis hinsichtlich einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt und mit weiterem Schriftsatz vom 10.04.2017 hat er auf Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.
15 
Dem Gericht lagen die Behördenakten der Beklagten vor. Darauf, wie auch auf den Inhalt der Gerichtsakte, wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Mit dem Einverständnis der Beteiligten – seitens des Klägers mit Schriftsätzen vom 17.08.2016 und 10.04.2017, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 – entscheidet der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2, 3; 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zum gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung/Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Soweit der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 dem entgegensteht, verletzt er den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1 VwGO.
I.
18 
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Kläger der Bruder der Frau E. I. (Stammberechtigte) ist, welcher mit Urteil vom 28.02.2017 – zugestellt am 09.03.2017 – die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (A X K .../...).
19 
Hieraus folgt, dass der Kläger gem. § 26 Abs. 5, Abs. 3 S. 2 und S. 1 Nr. 1-4 AsylG einen Anspruch auf Familienasyl hat. Denn der Kläger war – ebenso wie seine Schwester als Stammberechtigte – zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährig. Allein hierauf kommt es an. Unerheblich ist hingegen, ob der Kläger bzw. seine Schwester als Stammberechtigte noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung minderjährig sind (ebenso VG Hamburg, Urteil vom 05.02.2014 - 8 A 289/13 - juris Rn. 17; VG München, Urteil vom 14.09.2016 - M 11 K 16.32551 - juris Rn. 17; Schröder, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylG Rn. 26). Für den Kläger ergibt sich dies bereits zwanglos aus dem klaren Wortlaut des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG. Gleiches muss jedoch auch für die Schwester des Klägers als Stammberechtigte gelten. Dies ergibt sich aus teleologischen Gründen – wie das VG Hamburg zutreffend ausführt – daraus, dass § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG (in Abkehr von § 77 Abs. 1 AsylG) explizit den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit benennt. Dieser muss nicht nur maßgeblich für die Minderjährigkeit des Familienangehörigen (hier: des Klägers), sondern zugleich für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten (hier: der Schwester des Klägers) sein (ebenso VG Hamburg, a. a. O. juris Rn. 20 mit weiterer, zutreffender Begründung). Andernfalls liefe der mit der Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG verfolgte Zweck des Minderjährigenschutzes und der Aufrechterhaltung der Familieneinheit leer.
20 
Dass i. R. d. § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG etwas anderes gilt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschl. v. 22.12.2016 – OVG 3 S 106.16 - juris Ls. Nr. 1 = NVwZ-RR 2017, 259), ist unschädlich. Denn bei § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG geht es (und kann es nur gehen) um den Schutz des minderjährigen Stammberechtigten, zu dem dessen Eltern (oder die sonst Sorgeberechtigten) nachziehen können sollen (vgl. OVG Bln-Bbg, a. a. O. juris Ls. Nr. 2). Bei § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG geht es hingegenauch um den Schutz des minderjährigen Familienangehörigen, für dessen Minderjährigkeit es nach dem eindeutigen Wortlaut auf den Zeitpunkt seiner Antragstellung ankommt. Nichts anderes kann daher für den Stammberechtigten gelten, damit der Schutz des minderjährigen Familienangehörigen nicht ins Leere läuft. Denn andernfalls käme es für dessen Schutzanspruch gem. § 26 AsylG darauf dann, dass der Stammberechtigte zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt noch minderjährig ist, wohingegen es – entgegen des klaren Wortlauts des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG – dann unerheblich wäre, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt dann noch minderjährig ist. Ein solcher Wertungswiderspruch vermag nur dadurch aufgelöst werden, dass es – mit dem VG Hamburg und dem VG München – auch hinsichtlich der Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Antragstellung des Familienangehörigen (hier: des Klägers) ankommt.
21 
Die weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 S. 2 i. V. m. S. 1 Nr. 1-4 AsylG sind ebenfalls erfüllt. Insbesondere bestand die geschwisterliche Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat und sie besteht auch derzeit noch fort (vgl. zu diesem Erfordernis BeckOK AuslR/Günther, 13. Ed. 1.2.2017, AsylG § 26 Rn. 23d).
22 
Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Schwester des Klägers ist auch am 10.04.2017 rechtskräftig und damit unanfechtbar i. S. d. § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AsylG geworden.
II.
23 
Der Kläger hat ferner – ohne dass es darauf noch ankäme – einen eigenen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Dies ergibt sich – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung der Kammer, die der erkennende Berichterstatter auf das vorliegende Verfahren überträgt – aus dem Umstand der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung in Deutschland und dem längeren Auslandsaufenthalt hier (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris; sowie das die Schwester des Klägers betreffende Urteil vom 09.03.2017 – A 3 K 3158/16 – n. v.) sowie – selbstständig tragend – aus dem weiteren Umstand, dass der Kläger im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien damit rechnen müsste, zum Wehrdienst eingezogen und sodann zur Teilnahme an Kriegshandlungen bestimmt zu werden (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris Rn. 114-139). Die Gefahrerhöhenden Umstände, die der erkennende Berichterstatter in der Person der Schwester des Klägers im Verfahren A 3 K 3158/16 erkannt hat, treffen uneingeschränkt auch auf den Kläger zu. Hinzu kommt bezüglich diesem, dass er mittlerweile (worauf es gem. § 77 Abs. 1 AsylG allein ankommt), im wehrdienstfähigen Alter ist.
III.
24 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.

Gründe

 
16 
Mit dem Einverständnis der Beteiligten – seitens des Klägers mit Schriftsätzen vom 17.08.2016 und 10.04.2017, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 – entscheidet der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§ 87a Abs. 2, 3; 101 Abs. 2 VwGO).
17 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat zum gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung/Entscheidung einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Soweit der Bescheid der Beklagten vom 05.08.2016 dem entgegensteht, verletzt er den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben, § 113 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 S. 1 VwGO.
I.
18 
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für den Kläger ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der Kläger der Bruder der Frau E. I. (Stammberechtigte) ist, welcher mit Urteil vom 28.02.2017 – zugestellt am 09.03.2017 – die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (A X K .../...).
19 
Hieraus folgt, dass der Kläger gem. § 26 Abs. 5, Abs. 3 S. 2 und S. 1 Nr. 1-4 AsylG einen Anspruch auf Familienasyl hat. Denn der Kläger war – ebenso wie seine Schwester als Stammberechtigte – zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährig. Allein hierauf kommt es an. Unerheblich ist hingegen, ob der Kläger bzw. seine Schwester als Stammberechtigte noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung minderjährig sind (ebenso VG Hamburg, Urteil vom 05.02.2014 - 8 A 289/13 - juris Rn. 17; VG München, Urteil vom 14.09.2016 - M 11 K 16.32551 - juris Rn. 17; Schröder, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylG Rn. 26). Für den Kläger ergibt sich dies bereits zwanglos aus dem klaren Wortlaut des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG. Gleiches muss jedoch auch für die Schwester des Klägers als Stammberechtigte gelten. Dies ergibt sich aus teleologischen Gründen – wie das VG Hamburg zutreffend ausführt – daraus, dass § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG (in Abkehr von § 77 Abs. 1 AsylG) explizit den maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung der Minderjährigkeit benennt. Dieser muss nicht nur maßgeblich für die Minderjährigkeit des Familienangehörigen (hier: des Klägers), sondern zugleich für die Minderjährigkeit des Stammberechtigten (hier: der Schwester des Klägers) sein (ebenso VG Hamburg, a. a. O. juris Rn. 20 mit weiterer, zutreffender Begründung). Andernfalls liefe der mit der Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG verfolgte Zweck des Minderjährigenschutzes und der Aufrechterhaltung der Familieneinheit leer.
20 
Dass i. R. d. § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG etwas anderes gilt (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschl. v. 22.12.2016 – OVG 3 S 106.16 - juris Ls. Nr. 1 = NVwZ-RR 2017, 259), ist unschädlich. Denn bei § 26 Abs. 3 S. 1 AsylG geht es (und kann es nur gehen) um den Schutz des minderjährigen Stammberechtigten, zu dem dessen Eltern (oder die sonst Sorgeberechtigten) nachziehen können sollen (vgl. OVG Bln-Bbg, a. a. O. juris Ls. Nr. 2). Bei § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG geht es hingegenauch um den Schutz des minderjährigen Familienangehörigen, für dessen Minderjährigkeit es nach dem eindeutigen Wortlaut auf den Zeitpunkt seiner Antragstellung ankommt. Nichts anderes kann daher für den Stammberechtigten gelten, damit der Schutz des minderjährigen Familienangehörigen nicht ins Leere läuft. Denn andernfalls käme es für dessen Schutzanspruch gem. § 26 AsylG darauf dann, dass der Stammberechtigte zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt noch minderjährig ist, wohingegen es – entgegen des klaren Wortlauts des § 26 Abs. 3 S. 2 AsylG – dann unerheblich wäre, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt dann noch minderjährig ist. Ein solcher Wertungswiderspruch vermag nur dadurch aufgelöst werden, dass es – mit dem VG Hamburg und dem VG München – auch hinsichtlich der Minderjährigkeit des Stammberechtigten auf den Zeitpunkt der Antragstellung des Familienangehörigen (hier: des Klägers) ankommt.
21 
Die weiteren Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 S. 2 i. V. m. S. 1 Nr. 1-4 AsylG sind ebenfalls erfüllt. Insbesondere bestand die geschwisterliche Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat und sie besteht auch derzeit noch fort (vgl. zu diesem Erfordernis BeckOK AuslR/Günther, 13. Ed. 1.2.2017, AsylG § 26 Rn. 23d).
22 
Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Schwester des Klägers ist auch am 10.04.2017 rechtskräftig und damit unanfechtbar i. S. d. § 26 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AsylG geworden.
II.
23 
Der Kläger hat ferner – ohne dass es darauf noch ankäme – einen eigenen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Dies ergibt sich – entsprechend der bisherigen Rechtsprechung der Kammer, die der erkennende Berichterstatter auf das vorliegende Verfahren überträgt – aus dem Umstand der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung in Deutschland und dem längeren Auslandsaufenthalt hier (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris; sowie das die Schwester des Klägers betreffende Urteil vom 09.03.2017 – A 3 K 3158/16 – n. v.) sowie – selbstständig tragend – aus dem weiteren Umstand, dass der Kläger im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien damit rechnen müsste, zum Wehrdienst eingezogen und sodann zur Teilnahme an Kriegshandlungen bestimmt zu werden (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 – A 3 K 4482/16 – juris Rn. 114-139). Die Gefahrerhöhenden Umstände, die der erkennende Berichterstatter in der Person der Schwester des Klägers im Verfahren A 3 K 3158/16 erkannt hat, treffen uneingeschränkt auch auf den Kläger zu. Hinzu kommt bezüglich diesem, dass er mittlerweile (worauf es gem. § 77 Abs. 1 AsylG allein ankommt), im wehrdienstfähigen Alter ist.
III.
24 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Tenor

Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Juni 2016 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der am … 1993 geborene Kläger, ein syrische Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste eigenen Angaben zufolge am 22. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.

3

Zur Begründung machte er geltend, Syrien wegen des Krieges und aus Angst vor dem Verhungern verlassen zu haben. A… in der Provinz Homs, wo er gelebt habe, sei mal vom Regime und mal von bewaffneten Milizen übernommen worden. Es sei gefährlich gewesen zwischen den Fronten. Es habe ständig die Gefahr bestanden, von einer Seite gefangen genommen zu werden. Im Jahr 2013 seien Verwandte bei einer Straßenkontrolle mitgenommen worden. Sie seien nicht wiedergekommen; wahrscheinlich seien sie getötet worden. Zudem habe er Angst gehabt, vom Militär mitgenommen und als Soldat eingesetzt zu werden. Offiziell einberufen worden sei er noch nicht. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, eingezogen oder inhaftiert zu werden, weil er vor dem Wehrdienst geflohen sei.

4

Mit Bescheid vom 12. April 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu. Im Übrigen lehnte es den Asylantrag mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne des § 3 Asylgesetz (AsylG) sei.

5

Das Verwaltungsgericht Trier hat auf die hiergegen erhobene Klage die Beklagte mit Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 K 1520/16.TR – unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen. Mit Blick auf die Erkenntnismittel, insbesondere die aktuelle Situation in Syrien, sei davon auszugehen, dass dem Kläger für den Fall der Rückkehr nach dort ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Auf der Grundlage der auch aus der aktuellen Berichterstattung gewonnenen Erkenntnislage sei beachtlich wahrscheinlich, dass im Falle der Rückkehr wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, weil davon auszugehen sei, dass einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

6

Mit Beschluss vom 15. September 2016 – 1 A 10658/16.OVG – hat der Senat auf Antrag der Beklagten die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Am 30. September 2016 hat die Beklagte die Berufung begründet.

7

Sie macht geltend, dass Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin nicht allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung drohe.

8

Die Beklagte beantragt,

9

unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Zur Begründung nimmt er Bezug auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend macht er geltend, dass die von der Beklagten vertretene Auffassung, Rückkehrer nach Syrien unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folterung oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, dem liege jedoch keine unterstellte Regimegegnerschaft zugrunde, lebensfremd sei. Verhaftungen und Folterungen dienten keinem Selbstzweck, sondern der Unterdrückung jeglicher Regimegegnerschaft. Sie richteten sich immer gegen Personen, die der Regimegegnerschaft verdächtigt würden, wofür in Syrien indessen bereits derartige Nichtigkeiten genügten, dass dies aus Sicht eines in einem rechtsstaatlichen System lebenden Betrachters als willkürlich erscheinen möge. Demgemäß genüge auch bereits ein Auslandsaufenthalt für den Verdacht oppositioneller Haltung oder Tätigkeit. Dies gelte umso mehr, da sich das syrische Regime seit Jahren im Kampf um das eigene Überleben befinde. In individueller Hinsicht wirke in seinem Falle gefahrerhöhend, dass er aus der Rebellenhochburg Homs stamme und sich im wehrfähigen Alter befinde. Hinzu komme noch, dass sein 1990 geborener Bruder – dem die Beklagte im Übrigen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe – bereits eine Einberufung zum Militärdienst erhalten, aber nicht befolgt habe, was nochmals zu einer Gefahrerhöhung auch für den Kläger führe.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten der Beklagten betreffend den Kläger (Az. 6513645-475) und dessen Bruder (Az. 6513662-475), jeweils 1 Heft, Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

14

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung ist zulässig und begründet.

16

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.

18

a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK –, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

19

Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung sowie die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde.

20

b. Die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe werden in § 3b Abs. 1 AsylG näher umschrieben.

21

Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst der Begriff der Rasse insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe.

22

Als Religion im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG definiert § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

23

Der Verfolgungsgrund der Nationalität umfasst gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylG über die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen hinaus insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird.

24

Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylG).

25

Den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung definiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG als das Vertreten einer Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft; unerheblich ist, ob der Ausländer aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

26

§ 3b Abs. 2 AsylG stellt schließlich ergänzend fest, dass es für die Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, nicht darauf ankommt, ob er die zur Verfolgung führenden Merkmale tatsächlich aufweist. Ausreichend ist bereits, dass diese ihm von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

27

c. Was den notwendigen Zusammenhang zwischen den in §§ 3 Abs. 1 und 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen angeht, stellt § 3a Abs. 3 AsylG nochmals klar, dass insoweit eine Verknüpfung bestehen muss.

28

d. § 3c AsylG legt fest, von wem Verfolgung ausgehen kann: Über den Staat (Nr. 1) und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), hinaus können dies nach § 3c Nr. 3 AsylG auch nichtstaatliche Akteure sein, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

29

e. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet nach § 3e Abs. 1 AsylG dann aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

30

f. Ob eine Verfolgung der vorstehend näher beschriebenen Art droht, d. h. der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylGaus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 –, BVerwGE 85, 12, juris, m. w. N.).

31

aa. Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern (§ 25 Abs. 1 AsylG).

32

Das Gericht muss sich sodann, um die behaupteten, möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Tatsachen seiner Entscheidung als gegeben zugrunde legen zu können, nach § 108 Abs.1 Satz 1 VwGO die volle Überzeugung von deren Wahrheit – und nicht nur von deren Wahrscheinlichkeit – verschaffen. Zwar gilt hierbei der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Zudem ist die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Insbesondere können in der Regel unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts legt den Tatsachengerichten insoweit nahe, den eigenen Erklärungen des Schutzsuchenden größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Schutzsuchenden keine Beweismittel zur Verfügung stehen. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen; das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Antragstellers auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss – wenn nicht anders möglich – in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Schutzsuchenden glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

33

bb. Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – ABl. EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl. EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24 – einheitlich anhand des Maßstabs der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zu erfolgen (vgl. dazu im einzelnen BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, BVerwGE 140, 22, und vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 –, beide in juris, m. w. N.).

34

(1) Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 –, juris, m. w. N.) eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.

35

(2) Von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung muss das Gericht – wie auch bereits von der Wahrheit des der Prognose zugrunde zu legenden Lebenssachverhalts – die volle richterliche Überzeugung gewonnen haben (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

36

(3) Eine Beweiserleichterung gilt für Vorverfolgte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist; etwas anderes soll nur dann gelten, wenn stichhaltige Gründe gegen eine erneute derartige Bedrohung sprechen. Für denjenigen, der bereits Verfolgung erlitten hat, streitet also die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Die aus der Vorverfolgung resultierende Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Erforderlich ist hierfür, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, BVerwGE 136, 388, juris, m. w. N.).

37

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze droht dem Kläger im Falle einer – ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 12. April 2016 zuerkannten subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und des hieraus resultierenden Abschiebungsverbots (§ 60 Abs. 2 AufenthG) – hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nach Überzeugung des Senats dort nicht beachtlich wahrscheinlich Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.

38

a. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergäbe, hat der Kläger weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht.

39

b. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich auch nicht aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG).

40

aa. Das Verwaltungsgericht hat eine entsprechende Gefährdung ausschließlich unter Hinweis darauf bejaht, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, womit seitens der syrischen Behörden einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

41

Damit folgt das Verwaltungsgericht der Rechtsprechung der überwiegenden Zahl der bislang mit dieser Frage befassten Gerichte (vgl. OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, VGH BW, Beschlüsse vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 – und vom 29. Oktober 2013 – A 11 S 2046/13 –, HessVGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 3 A 917/13.Z.A –, sowie eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen, zuletzt etwa VG Köln, Urteil vom 25. Oktober 2016 – 20 K 2890/16.A –, VG Münster, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 8 K 2127/16.A –, VG Schleswig, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 12 A 651/16 –, m. w. N.; a. A.: in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, zuletzt mit Beschlüssen vom 5. September 2010 – 14 A 1802/16.A – und vom 6. Oktober 2016 – 14 A 1852/16.A –, jeweils m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juli 2016 – 5 K 5853/16.A – und vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16.A –, alle in juris, sowie BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 ZB 16.30338 u. a. –, Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht).

42

Dem vermag sich der Senat indessen nicht anzuschließen.

43

Zwar trifft es zu, dass mangels Referenzfällen – wegen der eskalierenden Lage finden Abschiebungen bereits seit Jahren nicht mehr statt (vgl. dazu auch die entsprechende Empfehlung des Bundesministeriums des Innern an die Länderinnenverwaltungen vom 28. April 2011, Az. M I 3 – 125 242 SYR/O) – die Prognose, ob im Falle einer hypothetischen Abschiebung nach Syrien dort aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, notwendigerweise aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu erfolgen hat.

44

Demgemäß begründen die eine entsprechende Verfolgungsgefahr bejahenden Gerichte ihre Prognosen jeweils mit einer ganzen Reihe von Einzelfaktoren. Hierzu gehören insbesondere (vgl. exemplarisch etwa OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, juris) die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungsstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und der Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition unterstützen. Auch hiergegen ist systematisch nichts zu erinnern.

45

Der erkennende Senat gelangt allerdings im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände zu einem abweichenden Ergebnis im Hinblick auf die allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt bestehende Verfolgungsgefahr.

46

Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist rechtlich zwischen zwei Fragestellungen zu unterscheiden, nämlich dem beachtlich wahrscheinlichen Drohen einer Verfolgungshandlung gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG als solcher und deren ebenfalls beachtlich wahrscheinlicher Verknüpfung (§ 3a Abs. 3 AsylG) mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG.

47

(1) Danach kann für die hier allein streitgegenständliche Frage der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG letztlich offen bleiben, ob dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien dort überhaupt beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG dergestalt droht, einer Befragung unterzogen zu werden, mit der die konkrete Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung einhergeht.

48

Zweifel hieran könnten sich im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats möglicherweise aus dem Umstand ergeben, dass Ende 2015 von den rund 22 Millionen zuvor in Syrien lebenden Menschen bereits rund 4,9 Millionen, mithin knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung, aus dem Land geflohen waren (UNHCR, Global Trends – Forced Displacement in 2015,

49

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

50

Dass es sich hierbei mehrheitlich nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, muss bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch den syrischen Behörden bekannt sein. Dass dem tatsächlich so ist, wird überdies durch eine Äußerung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Ende 2015 in einem Interview im tschechischen Fernsehen bestätigt, wonach es sich bei der Mehrheit der syrischen Flüchtlinge um „gute Syrer“ handele, es aber „natürlich … eine Unterwanderung durch Terroristen“ gebe

51

(http://www.n-tv.de/politik/Assad-lobt-Putins-Eingreifen-in-Syrien-article16478486.html).

52

In diese Richtung deutet auch eine Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016. Danach liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorangegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erwarten haben. Zwar seien Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien; diese stünden allerdings überwiegend im Zusammenhang mit oppositionellen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten und Menschenrechtsverteidigern) oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeiteten.

53

Andererseits ergeben sich bereits aus der zitierten Äußerung des syrischen Präsidenten aber auch deutliche Hinweise darauf, dass die syrischen Sicherheitsbehörden alle Rückkehrer schon deshalb jedenfalls einer eingehenden Befragung unterziehen werden, damit sie einschätzen können, ob Verdachtsmomente für terroristische Aktivitäten – oder möglicherweise auch nur für eine regimegegnerische Haltung des Betroffenen oder für Kenntnisse über oppositionelle Aktivitäten Dritter – gegeben sind. Die mit derartigen Befragungen ausweislich zahlreicher bis zum Jahr 2011 dokumentierter Referenzfälle (vgl. beispielsweise OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, und OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2012 – 14 A 2708/10.A –, beide in juris, jeweils m. w. N.) jedenfalls in der Vergangenheit verbunden gewesenen weiteren Risiken einer Verhaftung und/oder von Misshandlungen vom Schweregrad des § 3a AsylG können auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen massenhaften Ausreise jedenfalls nicht hinreichend verlässlich ausgeschlossen werden.

54

Letztlich bedarf diese Frage hier aber keiner abschließenden Klärung, weil eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben wäre.

55

(2) Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse reichen nicht aus, um seine Überzeugung von einer beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung einer möglicherweise allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt drohenden Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a Abs. 3 AsylG zu begründen; weiterreichende taugliche Erkenntnismittel sind weder von den Beteiligten aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.

56

Eine entsprechende beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers im Sinne des § 3 AsylG würde voraussetzen, dass ihm ein entsprechendes Merkmal von den syrischen Behörden zumindestzugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG). Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der politisch Verfolgte weder tatsächlich noch nach der Überzeugung des verfolgenden Staates selbst Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals sein müssen, sondern politische Verfolgung auch dann vorliegen kann, wenn der oder die Betroffene lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits politischer Verfolgung unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 22. November 1996 – 2 BvR 1753/96 –, juris).

57

Dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden in diesem Sinne letztlich jeden Rückkehrer, der Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hat, ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechnen, gibt es keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse. Im Gegenteil erscheint dies lebensfremd, da angesichts von fast 5 Millionen Flüchtlingen auch dem syrischen Staat – wie bereits dargelegt – bekannt ist, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Regime, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen hat (so auch in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 6. Oktober 2010 – 14 A 1852/16.A – und vom 5. September 2016 – 14 A 1802/16.A – m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, und VG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16-A –, alle in juris).

58

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse (a) zur Behandlung von Personen, die bis zum Abschiebestopp im Jahre 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, (b) zur umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, (c) zur Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und (d) zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.

59

(a) (aa) Das Auswärtige Amt hat in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010 zur Behandlung von Rückkehrern (S. 19 f.) mitgeteilt, dass zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt würden. Diese Befragungen könnten sich (zwar) über mehrere Stunden hinziehen, in der Regel werde dann jedoch die Einreise ohne weitere Schwierigkeiten gestattet; in manchen Fällen werde der Betroffene für die folgenden Tage nochmals zum Verhör einbestellt. (Lediglich) in Einzelfällen würden Personen für die Dauer einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden festgehalten; dies dauere in der Regel nicht länger als zwei Wochen. Im Jahr 2009 seien – bei insgesamt 40 in 2009 und dem ersten Quartal 2010 von Deutschland nach Syrien im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen Rückübernahmeabkommens zurückgeführten Personen – in drei Fällen Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekanntgeworden. In einem Fall könne bestätigt werden, dass eine Inhaftierung über die übliche Befragung durch syrische Behörden nach der Ankunft hinausgegangen sei. Der Betroffene sei unter dem Vorwurf verhaftet worden, in Deutschland Asyl beantragt und „im Ausland bewusst falsche Nachrichten verbreitet zu haben, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“. Später sei der auf Kaution freigelassene und sodann ausgereiste Mann in Abwesenheit wegen „Verbreitung bewusst falscher Tatsachen im Ausland, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“ zu einer Haftstrafe von 4 Monaten sowie einer Geldstrafe von 80 SYP (1,17 €) verurteilt worden. Eigenen – nicht verifizierbaren – Angaben zufolge sei der Betroffene während seiner Haft durch syrische Behördenmitarbeiter körperlich misshandelt worden.

60

Für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich aufgrund einer von den syrischen Behörden vermuteten regimefeindlichen Einstellung die Festnahme und Folter drohe, kann den Feststellungen des Lageberichts letztlich nichts entnommen werden.

61

Fraglich erscheint bereits, ob für die im Rahmen der Verfolgungsprognose hypothetisch zu unterstellende Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat überhaupt von einer Abschiebung auszugehen ist. In diesem Fall müsste der Betroffene ja – um überhaupt abgeschoben werden zu können – nach bestandskräftigem Abschluss des Erstverfahrens zur Ausreise verpflichtet sein. Dann aber stellte sich die Frage, ob eine durch den Umstand, dass der Schutzsuchende nicht dieser rechtlichen Verpflichtung folgend freiwillig ausreist, sondern es auf eine Abschiebung ankommen lässt, bewirkte Gefahrerhöhung nicht entsprechend den Grundsätzen für missbräuchlich geschaffene Nachfluchtgründe (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 10 C 27/07 –, BVerwGE 133, 31, juris) im Rahmen des § 3 AsylG außer Betracht zu bleiben hat. Letztlich kann dies allerdings dahinstehen, da sich aus dem o. a. Lagebericht auch für den hypothetisch unterstellten Fall einer Abschiebung nach Syrien keine zureichenden Anhaltspunkte für eine beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung Gefährdung ergeben.

62

Auf der Grundlage einer Gesamtzahl von rund 40 zurückgeführten Personen wird von insgesamt drei Inhaftierungen berichtet. Da nach dem Lagebericht derartige Inhaftierungen zum Zweck einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden erfolgen können, und in einem der drei berichteten Fälle eine Anklage und Verurteilung wegen Verbreitung falscher, das Ansehen des Staates herabsetzenden Aussagen erfolgt ist, ergibt sich hieraus letztlich bereits keine beachtlich wahrscheinliche Gefährdung von Personen, die derartige Äußerungen im Ausland jedenfalls nicht bekanntermaßen, insbesondere im Rahmen ihrer Asylantragstellung, getätigt haben, überhaupt mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 i. V. m. § 3a AsylG überzogen zu werden. Dies gilt umso mehr, als Rückkehrer aus der Bundesrepublik Deutschland, die – wie der Kläger – ihr Asylbegehren nicht mit einer Verfolgung durch den syrischen Staat, sondern lediglich mit dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und dessen Folgen begründet haben, dies auch noch zusätzlich durch Vorlage der Anhörungsniederschrift sowie des Bescheides des Bundesamtes und ggfls. der hierauf ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteile belegen können.

63

Erst recht lassen sich dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010 keine Hinweise auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verfolgung aus einem der in § 3 AsylG genannten Verfolgungsgründe entnehmen.

64

(bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt seinem Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 – zugrunde gelegten Dokumentationen von amnesty international „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012

65

(https://www.amnesty.de/downloads/download-menschenrechtskrise-syrien-erfordert-abschiebungsstopp)

66

und des kurdischen Informationsdienstes KURDWATCH

67

(http://www.kurdwatch.org/?cid=1&z=en)

68

betreffend die Festnahme von Rückkehrern in insgesamt 9 Fällen im Zeitraum von Juni 2009 bis zum 13. April 2011. In jedem dieser Fälle bestehen nämlich besondere Einzelfallumstände, die als eigenständige Erklärung für die Verhaftung bei der Rückkehr nach Syrien dienen können. In einem Fall war der Betroffene bereits 2005 in Syrien in Haft gewesen. In einem anderen Fall – wohl dem, über den auch bereits das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 27. September 2010 berichtet hat – wurden dem Asylbewerber offenbar konkrete Angaben bei seiner Anhörung durch das Bundesamt vorgehalten. Die weiteren Festnahmen erklären sich durch das Engagement als stellvertretender Direktor eines Vereins syrischer Kurden, der auf die Situation der Kurden in Syrien aufmerksam macht, eine den syrischen Behörden bekannt gewordene Straffälligkeit wegen Diebstahls in Deutschland, falsche Altersangaben im Pass und diverse exilpolitische Aktivitäten wie die Teilnahme an Hungerstreiks und das Berichten hierüber.

69

(cc) Ganz abgesehen davon wäre aber auch selbst eine – nach der Überzeugung des Senats nicht gegebene – beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung in Bezug auf bis zum Jahre 2011 nach Syrien abgeschobene abgelehnte Asylbewerber nur ein schwaches Indiz für eine entsprechende Gefährdung bei heutiger fiktiver Rückkehr allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt.

70

Bis 2011 gibt es keine Hinweise auf eine größere Anzahl von Flüchtlingen aus Syrien, die im Ausland um politisches Asyl nachgesucht haben; im Gegenteil war Syrien Ende des Jahres 2011 mit 755.400 aufgenommenen Flüchtlingen hinter Pakistan und dem Iran und noch vor der Bundesrepublik Deutschland das drittstärkste Aufnahmeland weltweit (UNHCR, Global Trends 2011 – A Year of Crises,

71

http://www.unhcr.org/statistics/country/4fd6f87f9/unhcr-global-trends-2011.html).

72

Angesichts des Nichtvorliegens von Gründen für eine massenhafte Flucht aus Syrien bis dahin mag es für die syrischen Sicherheitsbehörden damals nach der Lebenserfahrung nahegelegen haben, unter denjenigen, welche gleichwohl im Ausland Asyl beantragt hatten, einen beachtlichen Prozentsatz an dem syrischen System kritisch oder sogar feindlich gegenüber stehenden Personen zu vermuten. Diese Vermutung rechtfertigt sich indessen nicht mehr, nachdem zeitlich zusammentreffend mit der ab Januar 2012 eskalierenden Gewaltanwendung in Syrien (siehe dazu näher Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17. September 2012) im Verlauf von 4 Jahren rund 5 Millionen Menschen aus Syrien geflohen sind; vgl. UNHCR, Global Trends 2012 – Displacement, The New 21st Century Challenge, Global Trends 2013 – Wars’s Human Cost, Global Trends 2014 – World at War, und Global Trends 2015 – Forced Displacement in 2015,

73

http://www.unhcr.org/statistics/country/51bacb0f9/unhcr-global-trends-2012.html,

74

http://www.unhcr.org/statistics/country/5399a14f9/unhcr-global-trends-2013.html,

75

http://www.unhcr.org/statistics/country/556725e69/unhcr-global-trends-2014.html

76

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

77

Dass es sich bei den Geflohenen größtenteils nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, ist – wie bereits eingangs dargelegt – auch den syrischen Behörden bekannt.

78

(dd) Erheblich lebensnäher als die Annahme, dass die syrischen Behörden allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt generell das Vorhandensein einer gegen das derzeitige politische System gerichteten Einstellung vermuten und aufgrund dessen gegen den Betroffenen vorgesehen, erscheint es nach alledem, dass mittels der scharfen Einreisekontrollen mit den zurückkehrenden Flüchtlingen ins Land einsickernde Terroristen und Regimegegner aus der Masse der Flüchtlinge herausgefiltert werden sollen. Möglicherweise mag es auch darum gehen, im Einzelfall vorhandene Wahrnehmungen oder Kenntnisse die Tätigkeit der Exilopposition betreffend „abzuschöpfen“, wobei jedoch auch insoweit angesichts von Millionen im Ausland lebender Flüchtlinge nicht davon ausgegangen werden kann, dass die syrischen Sicherheitsbehörden bei jedem oder auch nur bei einer großen Zahl von Rückkehrern derartiges Wissen vermuten.

79

Insgesamt kann sonach nicht festgestellt werden, dass die Gefahr, bei einer fiktiven Rückkehr nach Syrien festgenommen und unter Anwendung von Folter verhört zu werden, an dem Betroffenen vom syrischen Staat zumindest im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG zugeschriebene Merkmale nach den §§ 3 Abs. 1, 3b Abs.1 AsylG anknüpfen würde. Dafür, dass der syrische Staat bei heutiger Rückkehr in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern mehr sehen würde, als bloß potentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene, auf die er sodann möglicherweise wahllos-routinemäßig zugreift, um unter Umständen Hinweise auf Terroristen oder Oppositionelle zu gewinnen, lässt sich jedenfalls aus den Erkenntnissen zur Behandlung von Personen, die bis 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, nichts herleiten.

80

(ee) Eine andere Bewertung insoweit legen schließlich auch nicht Berichte jüngeren Datums über die Behandlung von Rückkehrern aus nichteuropäischen Ländern nahe.

81

So führt das US State Department in seinem Menschenrechtsbericht vom 13. April 2016

82

(http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm)

83

unter Section 2d zum Thema „Emigration and Repatriation“ zwar aus, dass Personen, welche erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht hätten, strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt seien

84

(„On their return to the country, both persons who unsuccessfully sought asylum in other countries and those who had previous connections with the Syrian Muslim Brotherhood faced prosecution.“),

85

erläutert dies jedoch im Folgesatz dahingehend, dass das Gesetz die Verfolgung von Personen vorsehe, welche im Ausland Schutz gesucht hätten, um sich einer Strafe in Syrien zu entziehen

86

(„The law provides for the prosecution of any person who attempts to seek refuge in another country to evade penalty in Syria.“).

87

Für das Vorliegen eines derartigen Falles bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte.

88

Des Weiteren heißt es im Bericht des State Departments, dass die syrischen Behörden routinemäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet hätten, welche nach Jahren oder gar Jahrzehnten selbstauferlegten Exils nach Syrien zurückgekehrt seien

89

(„The government routinely arrested dissidents and former citizens with no known political affiliation who attempted to return to the country after years or even decades of self-imposed exile.“).

90

Insoweit ist dem Bericht indessen bereits nichts dazu entnehmen, ob es sich nach der Dauer der Festnahme und den Umständen der Vernehmung um eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des §§ 3 und 3a AsylG gehandelt hat. Unabhängig davon lässt sich aber auch jedenfalls in Bezug auf die Personen ohne bekannten politischen Hintergrund kein Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG feststellen, da die Festnahme dem Bericht zufolge im bereits umschriebenen Sinne wahllos-routinemäßig („routinely“) erfolgt.

91

Das Immigration and Refugee Board of Canada verweist in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 (Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014-December 2015],

92

http://www.ecoi.net/local_link/320204/445626_en.html),

93

unter Ziffer 3 „Treatment of Failed Refugee Claimants“ auf einen Fernsehbericht von ABC vom 1. Oktober 2015, dem zufolge ein aus Australien zurückkehrender Asylbewerber nach eigenen Angaben 20 Tage lang festgehalten und durch Schläge misshandelt worden sei. Man habe ihm vorgehalten, aus der Provinz Daara, in der der Bürgerkrieg begonnen habe, zu stammen, und – unter Hinweis auf einen von ihm mitgeführten Geldbetrag – ein Finanzier der Revolution zu sein. Über weitergehende und bestätigende Informationen zu diesem Fall verfüge man nicht. Die dieser Berichterstattung zufolge gegen den Rückkehrer erhobenen Vorwürfe gehen indessen über den bloßen Umstand der illegalen Ausreise und erfolglosen Asylantragstellung im Ausland hinaus.

94

Im Weiteren enthält der Jahresbericht sodann zwar Einschätzungen verschiedener namentlich nicht genannter Personen, u. a. eines emeritierten Professors für Anthropologie und Vertreibung der Universität Oxford und eines „Executive Director of the Syria Justice and Accountability Center“, denen zufolge zurückkehrende erfolglose Asylbewerber mit Festnahme und Haft sowie mit Folter zu rechnen hätten, um den Grund für ihre Ausreise zu erfahren oder Informationen über andere Asylbewerber oder die Opposition erlangen. Konkrete Tatsachen, aus denen diese Einschätzungen abgeleitet werden könnten, werden indessen nicht genannt. Damit fehlte es insoweit selbst dann, wenn man diese Einschätzungen ohne nähere Überprüfung als zutreffend unterstellen wollte, jedenfalls an einem zureichenden Beleg für die Annahme, dass die drohenden Übergriffe regelmäßig durch einen den Betroffenen seitens der syrischen Behörden zumindest zugeschriebenen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 AsylG motiviert wären und nicht bloß ein wahllos-routinemäßiges „Fischen“ nach möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen darstellten, wofür wie bereits ausgeführt die Lebenserfahrung spricht.

95

(b) Tragfähige Anhaltspunkte für eine im Fall der Abschiebung nach Syrien dort allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandsaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ergeben sich auch nicht aus den vorliegenden Erkenntnissen zurumfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die syrischen Geheimdienste.

96

(aa) Zur Intensität und Zielrichtung der Beobachtung führt das Bundesministerium des Innern im Verfassungsschutzbericht 2015

97

(https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2015)

98

auf Seite 263 f. aus:

99

„Die syrischen Nachrichtendienste verfügen ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen. Ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.

100

Bei anhaltenden unkontrollierten Einreisen syrischer Staatsangehöriger in die EU ist auch mit weiteren Ausforschungsaktivitäten syrischer Nachrichtendienste zu rechnen.“

101

(bb) Ausweislich des Verfassungsschutzberichts 2015 (Seite 82) des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport

102

(https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/Verfassungsschutz/Dokumente/Verfassungsschutzb_2015_komp_web_neu.pdf)

103

„forcieren“ die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika „ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland“.

104

(cc) Das sächsische Staatsministerium des Innern stellt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015

105

(http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/VSB_2015_INTERNET_05_25.pdf)

106

auf Seite 236 fest:

107

„Arabische und nordafrikanische Nachrichtendienste führen in Deutschland in erster Linie Maßnahmen gegen hier lebende Oppositionelle aus ihren Heimatländern durch. Die politischen Veränderungen der letzten Jahre im arabischen und nordafrikanischen Raum haben daran nichts geändert. Damit dürften die in Sachsen lebenden Einwanderer und Flüchtlinge aus den einschlägigen Krisenregionen nach wie vor als Ziel der jeweiligen Nachrichtendienste gelten, insbesondere, wenn sie sich oppositionell betätigt haben.

108

Insbesondere die syrischen Nachrichtendienste dürften starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden.“

109

110

(dd) Im Verfassungsschutzbericht 2015 des hamburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz

111

(http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/6306408/2016-06-13-bis-pm-verfassungsschutzbericht-2015/)

112

heißt es auf Seite 215:

113

„Verschiedene Nachrichtendienste des Mittleren und Nahen Ostens sowie Afrikas sind in Deutschland und zum Teil auch in Hamburg aktiv. Ein besonderes Interesse haben diese Dienste an oppositionellen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden. Ein weiterer Schwerpunkt war der Bereich der Proliferation ...

114

...

115

Die Nachrichtendienste dieser und weiterer Länder versuchen zudem die jeweiligen Oppositionsgruppen zu überwachen. Dazu werden beispielsweise Hinweisgeber gewonnen oder Informanten in die Gruppen eingeschleust.“

116

(ee) Der Bericht 2015 „Verfassungsschutz in Hessen“ des dortigen Ministeriums des Innern und für Sport

117

(https://lfv.hessen.de/sites/lfv.hessen.de/files/content-downloads/LfV_Bericht-2015final_screen.pdf)

118

stellt auf Seite 162 zu Flüchtlingen aus Syrien fest:

119

„Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nachrichtendienste dieser Länder nach wie vor existent sind. Daher gilt für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: Wer sich im Heimatland gegen das Regime engagierte, gerät eventuell auch in Deutschland in das Visier fremder Nachrichtendienste. Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat können ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert sind, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.“

120

(ff) Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten richten sich mithin nach übereinstimmender Einschätzung der genannten Dienste in erster Linie gegen Regimegegner und Oppositionelle bzw. Gruppierungen von solchen.

121

Von einer systematischen Beobachtung aller in Deutschland lebenden Syrer ist auch nicht nur andeutungsweise die Rede; angesichts der hohen Flüchtlingszahlen in den letzten Jahren, insbesondere im Jahr 2015, erscheint eine solche auch bereits rein faktisch gar nicht möglich. Soweit eben aus diesem Umstand gefolgert wird, dass Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten und dort um internationalen Schutz nachgesucht haben, seitens der syrischen Behörden allein schon aufgrund deren lückenhafter Erkenntnislage mit hoher Wahrscheinlichkeit verdachtsunabhängig Befragungen und Inhaftierungen unterzogen würden, um die Motive der Ausreise und etwaigen Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen in Erfahrung zu bringen (VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 1 K 5093/16.TR –, juris), vermag dies den Senat zumindest nicht von einer beachtlich wahrscheinlich drohenden Gefahr politischer Verfolgung zu überzeugen. Ob eine derartige Befragung oder Inhaftierung angesichts der zwischenzeitlichen massenhaften Flucht der syrischen Bevölkerung vor dem Bürgerkrieg überhaupt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kann dabei dahinstehen. Wie bereits ausgeführt wäre eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben, sondern mangels zureichender anderer Erkenntnisse als bloßer wahllos-routinemäßiger Zugriff aufpotentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene zu werten, mit dem möglicherweise einen konkreten Verdacht begründende Hinweise, aufgrund derer sodann eine „Zuschreibung“ von Merkmalen im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG erfolgen könnte, erst gewonnen werden sollen.

122

(c) Überzeugende Anhaltspunkte für eine erfolglosen Asylbewerbern bei ihrer Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohenden politische Verfolgung ergeben sich auch nicht aus der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 bis hin zum offenen Bürgerkrieg (vgl. zur Entwicklung der innenpolitischen Situation umfänglich OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 12 –, juris, Rn. 45 bis 76 ).

123

Aus dem Umstand, dass der syrische Staat als eine der in den Bürgerkrieg involvierten Parteien mit brutaler Härte gegen seine tatsächlichen und scheinbaren Gegner im Landesinnern vorgeht und dabei offensichtlich – etwa beim Einsatz von tausenden von Fassbomben über Oppositionsgebieten seit dem Jahr 2012 – Opfer unter der Zivilbevölkerung zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016), lassen sich keine zwingenden Schlüsse auf ein beachtlich wahrscheinlich drohendes politisch motiviertes Vorgehen im Sinne des § 3 AsylG gegen aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge ziehen.

124

Gegen eine quasi routinemäßige Einstufung dieser Personengruppe als aus der Sicht des Regimes zu bekämpfende mutmaßliche Regimegegner oder Oppositionelle spricht bereits nach der Lebenserfahrung der – wie dargelegt auch den syrischen Machthabern geläufige – Gesichtspunkt, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg außer Landes geflohen sind, regelmäßig keine Bedrohung des in Syrien zeitweilig um sein politisches und physisches Überleben kämpfenden Regimes darstellen, sondern aus Angst um ihr Leben und ihre Gesundheit dem Konflikt gerade aus dem Weg gegangen sind. Bereits von daher ist auch die teilweise (VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 –, und VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 – A 7 K 2987/12 –, beide in juris) vertretene Auffassung, dass der syrische Staat Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit einer von außen organisierten und finanzierten Verschwörung gegen das Land zurechnen werde, letztlich nicht mehr als eine bloße Mutmaßung.

125

(d) Des Weiteren ergeben sich auch aus den Erkenntnissen zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Anfang 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen, keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme einer bei Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich drohenden politischen Verfolgung.

126

Das Auswärtige Amt beschreibt bereits in seinem Ad hoc-Bericht vom 17. Februar 2012 eine massive Unterdrückung der syrischen Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen. Seit März habe es eine präzedenzlose Verhaftungswelle gegeben, mit der das Regime gegen die Protestbewegung vorgehe. Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränkten sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Es seien vielmehr zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt.

127

Diese Umstände haben sich offensichtlich bis in das Jahr 2016 hinein nicht geändert.

128

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international geht auch in ihrem Bericht „It breaks the human – torture, disease and death in Syria's prisons“ vom 18. August 2016

129

(https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/),

130

Ziffer 4.2: „Profiles of people targeted“, davon aus, dass für jedermann, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, die Gefahr bestehe, willkürlich inhaftiert oder „verschwinden gelassen“ zu werden und in der Haft Folter, andere Misshandlung und möglicherweise auch den Tod zu erleiden. Die Gründe hierfür variierten und könnten auch friedlichen Aktivismus wie die Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger, Journalist oder sonstiger Medienschaffender, die Versorgung der notleidenden Zivilbevölkerung mit humanitärer oder medizinischer Hilfe und die Organisation und Teilnahme an Pro-Reform-Demonstrationen umfassen. Zur Verhaftung könne auch bereits führen, dass ein Verwandter von den Sicherheitskräften gesucht oder man durch einen Denunzianten gemeldet werde – einschließlich von Meldungen, welche durch finanziellen Profit oder persönlichen Groll motiviert seien.

131

Indessen lässt auch der Umstand, dass die syrische Regierung im Inland tatsächliche und vermeintliche Regimegegner und Oppositionelle massiv und in menschenrechtswidriger Weise unterdrückt, keinen hinreichend tragfähigen Schluss auf eine beachtlich wahrscheinliche politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG von aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrenden Bürgerkriegsflüchtlingen allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längeren Auslandsaufenthalt zu.

132

Insoweit spricht nämlich – wie bereits hinsichtlich der Eskalation der innenpolitischen Situation bis hin zum Bürgerkrieg festgestellt – ebenfalls die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

133

bb. Dem Kläger droht im Falle seiner unterstellten Rückkehr nach Syrien auch nicht aus sonstigen Gründen beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

134

(1) Dies gilt zum einen in Bezug auf eine mögliche Wehrdienstentziehung, welche der 1993 geborene Kläger – ebenso wie sein Bruder – begangen haben könnte, indem er Syrien ohne die für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren erforderliche Ausreisegenehmigung (vgl. hierzu Auskunft des Deutschen Orient-Institutes an das OVG Schleswig-Holstein vom 8. November 2016 – 3 LB 17/16 –) verlassen hat.

135

(a) In Syrien besteht für männliche Staatsangehörige eine Militärdienstpflicht. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren; die Wehrpflicht dauert bis zum Alter von 42 Jahren (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, Seite 1,

136

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/syrien-rekrutierung-durch-die-syrische-armee.pdf).

137

Die Möglichkeit eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet. Nach Artikel 68 wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion sieht Artikel 101 fünf Jahre Haft vor bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, a. a. O., Seite 3)

138

(b) Danach bestünde für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien zwar die Gefahr, wegen Wehrdienstentziehung bestraft und zwangsweise von der syrischen Armee eingezogen zu werden. Dabei könnte es sich – was hier letztlich keiner abschließenden Klärung bedarf – angesichts dessen, dass der Militärdienst in der syrischen Armee möglicherweise Verbrechen oder Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde, auch um eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG handeln.

139

Es bestehen jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die dem Kläger drohenden Maßnahmen aus einem der in § 3 AsylG genannten Gründe – konkret: wegen einer als der Wehrdienstentziehung zugrunde liegend vermuteten politischen Opposition zum Regime – ergehen würden.

140

Was die drohende Heranziehung zum Wehrdienst angeht, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten für eine entsprechende Selektion anhand der in § 3 AsylG genannten Kriterien; vielmehr rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig vom ethnischen und religiösen Hintergrund (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, Seite 2,

141

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150328-syr-mobilisierung.pdf).

142

Eine mögliche Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung kann zwar vom Grundsatz her auch politische Verfolgung sein, da es für den Flüchtlingsschutz nicht allein darauf ankommen kann, mit welchen Mitteln der Staat vorgeht, sondern vielmehr entscheidend ist, welches Ziel hinter seinen Maßnahmen steht (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 184, juris). Von einer derartigen politischen Motiviertheit wäre dann auszugehen, wenn dem Kläger wegen seiner Wehrdienstentziehung in Syrien beachtlich wahrscheinlich eine an seine politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich – ein sogenannter Politmalus (BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 –, juris, m. w. N.) – drohen würde. Hierfür liegen indessen keine zureichenden Anhaltspunkte vor.

143

Das syrische Regime hat bereits seit Beginn des Bürgerkrieges die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seit Herbst 2014 kommt es angesichts einer erheblichen Dezimierung der syrischen Armee durch Desertion und Verluste in großem Umfang zur Mobilisierung von Reservisten sowie zur Verhaftung von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Wehrdienst entzogen haben (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.; Washington Post, Desperate for soldiers, Assad’s government imposes harsh recruitment measures, 28. Dezember 2014,

144

www.washingtonpost.com/world/middle_east/desperate-forsoldiers-assads-government-imposes-harsh-recruitment-measures/2014/12/28/62f99194-6d1d-4bd6-a862-b3ab46c6b33b_story.html.

145

vgl. auch etwa – zur Verweigerung der Entlassung in der Armee dienender Wehrpflichtiger – ntv: „Verlangen unsere Entlassung“ – In Assads Armee wächst der Unmut, vom 24. November 2015,

146

http://www.n-tv.de/politik/In-Assads-Armee-waechst-der-Unmut-article16418356.html).

147

Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, werden inhaftiert und verurteilt. In der Haft kommt es zu Folter, und Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt (Schweizer Flüchtlingshilfe, Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.).

148

Im Juli 2015 hat der syrische Staatspräsident Assad als weitere Maßnahme zur personellen Verstärkung der syrischen Armee eine Generalamnestie für Deserteure und Wehrdienstverweigerer erlassen. Ins Ausland geflohene Soldaten hatten sich dazu binnen zwei Monaten bei den Behörden zu melden, Deserteure, die sich in Syrien aufhalten, innerhalb eines Monats. Eine Frist für Wehrdienstverweigerer wurde nicht genannt (Zeit online vom 26. Juli 2015: Assad gehen die Soldaten aus,

149

http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/syrien-baschar-al-assad-buergerkrieg-armee-unterstuetzung).

150

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände bestehen letztlich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Personen, die sich während des Bürgerkrieges dem Wehrdienst entweder in Syrien selbst oder durch Flucht ins Ausland entzogen haben, bei ihrer Ergreifung allein aufgrund dieser Wehrdienstentziehung beachtlich wahrscheinlich eine regimegegnerische Haltung unterstellt würde und sie aus diesem Grunde eine über die gesetzlich vorgesehene Bestrafung für Wehrdienstentzug hinausgehende Verfolgung zu befürchten hätten.

151

Die üblicherweise drohende Verhaftung als solche bewegt sich im Rahmen der nach dem Military Penal Code vorgesehenen Strafandrohung.

152

Dass es in der Haft der Berichterstattung der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 zufolge auch zu Folter kommt, stellt zwar für die hiervon Betroffenen eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 3 AsylG dar. Es fehlt jedoch an zureichenden Anhaltspunkten dafür, dass diese wegen eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale – konkret: der politischen Überzeugung des Betroffenen –erfolgt. Zwar kann es sich bereits bei der Folter als solcher um ein Indiz für den politischen Charakter der Maßnahme handeln. Allerdings bedarf es insoweit regelmäßig der Heranziehung weiterer objektiver Kriterien, die einen Rückschluss auf die subjektive Verfolgungsmotivation gestatten. Derartige objektive Kriterien sind vor allem die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Betroffenen, insbesondere die Eigenart des Staats, sein möglicherweise totalitärer Charakter, die Radikalität seiner Ziele und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung des einzelnen und die Behandlung von Minderheiten. Maßgeblich ist stets, ob der Staat seine Bürger in den genannten persönlichen Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten will und dabei die Überzeugungen seiner Staatsbürger unbehelligt lässt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt, vermögen für sich allein eine politische Verfolgung nicht zu begründen (vgl. zum Ganzen Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 195 m. w. N.).

153

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend nichts hinreichendes dafür ersichtlich, dass die berichtete Folter im Falle der Wehrdienstentziehung – welche für sich genommen bereits zu einer Schutzberechtigung gemäß § 4 AsylG führt – gerade aus einem der besonderen Gründe des § 3 AsylG geschähe.

154

Syrien verfügt zwar über eine formal rechtsstaatliche Verfassung, ist aber aufgrund des seit 1963 bestehenden Ausnahmezustandes in der Praxis bereits seit Jahrzehnten ein von Sicherheitsapparaten und Militär geprägtes autoritäres Regime. Die Sicherheitsdienste waren schon vor Beginn der Unruhen im Jahre 2011 und des nachfolgenden Bürgerkrieges weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen und verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft. Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste wenden systematisch Gewalt an. Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter und anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte bestehen nicht; Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschweren, laufen vielmehr Gefahr, dafür strafrechtlich belangt zu werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27. September 2010). Angesichts der sonach in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizvollzugsorganen stellt die Anwendung von Folter als solche jedenfalls kein gewichtiges Indiz für die politische Motiviertheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung dar.

155

Die Fälle von Exekutionen während der Haft, über die die Schweizer Flüchtlingshilfe (a. a. O.) berichtet, beziehen sich auf Deserteure. In Bezug auf diesen Personenkreis handelt es sich durchaus um einen deutlichen Anhaltspunkt für eine über die bloße Strafverfolgung hinausgehende Gerichtetheit. Für diejenigen, die sich lediglich einer Einberufung entzogen haben – wofür ja auch bereits das Gesetz eine wesentliche mildere Strafe als für Desertion vorsieht – ergibt sich insoweit hingegen ebenfalls kein gewichtiges Indiz für einen Politmalus.

156

Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung spricht überdies das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee. Bei insgesamt fast 5 Millionen Flüchtlingen, die Syrien verlassen haben, dürften sich angesichts des hohen Anteils von Männern im Allgemeinen und jungen Männern im Besonderen (FAZ net, Das sind Deutschlands Flüchtlinge, vom 21. Oktober 2015

157

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/deutschlands-fluechtlinge-in-grafiken-13867210.html)

158

bereits nach der Lebenserfahrung Hunderttausende junger Männer befinden, die noch nicht einberufen worden sind. Jedenfalls hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat vor allem darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich seiner notleidenden Armee zuzuführen. In diese Richtung deutet bereits der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 (a. a. O.), wonach zwar einige der Verhafteten zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere indessen lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt werden. Hinzu kommt die im Juli 2015 erlassene Generalamnestie, welche über Wehrdienstverweigerer hinaus sogar auch Deserteure erfasst hat.

159

Im Übrigen ist den syrischen Machthabern, wie schon dargelegt, bekannt, dass die Flucht aus Syrien – und damit auch die Flucht vor der Einberufung durch die Armee – in aller Regel nicht durch politische Gegnerschaft zum syrischen Staat motiviert ist, sondern durch Angst vor dem Krieg.

160

(2) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Klägers aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass er eigenen Angaben zufolge vor seiner Ausreise in derProvinz Homs gelebt hat.

161

Zwar erfasst der UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, Seite 25 f.,

162

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf)

163

im Rahmen der von ihm als das Erfordernis internationalen Flüchtlingsschutzes indizierend erstellten Risikoprofile auch Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben. Hierzu führt er erläuternd aus (Seite 12 f.):

164

„Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.“

165

Vorliegend kann indessen letztlich dahinstehen, ob die Stadt A... oder der Bauernhof der Familie des Klägers, auf den sich diese den Angaben des Klägers (vgl. Anhörungsprotokoll vom 5. April 2016, Seite 35 ff, 38 der Verwaltungsakte) zufolge zurückgezogen hat, um den Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, in einer vermeintlich regierungsfeindlichen Zone im obigen Sinne gelegen sind.

166

Selbst in diesem Falle wäre zwar unter Zugrundelegung der UNHCR-Erwägungen die Herkunft des Klägers aus einem bestimmten Gebiet in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte möglicherweise ein gewisser Anhaltspunkt für eine oppositionelle Einstellung.

167

Letztlich spricht indessen aber auch insoweit die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

168

cc. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus einer umfassenden Gesamtwürdigung aller vorliegend möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände.

169

Auch dann, wenn man die illegale Ausreise, die Asylantragstellung, den längerfristigen Auslandsaufenthalt, die Wehrdienstentziehung des Klägers und seines Bruders sowie die regionale Herkunft des Klägers aus der Perspektive des syrischen Staates als möglichem Verfolger gleichzeitig wertend in den Blick nimmt, so erscheinen dessen Interessen letztlich allein insoweit berührt, als der Kläger zum einen selbst als Oppositioneller eine Gefahr für das Regime darstellen könnte und zum anderen durch seine Wehrdienstentziehung dazu beigetragen hat, die Schlagkraft der syrischen Armee gegen ihre übrigen Gegner zu beeinträchtigen.

170

Da indessen wie bereits dargestellt die Lebenserfahrung auch aus Sicht der syrischen Behörden dafür spricht, dass der Kläger kein dem Regime möglicherweise gefährlicher Oppositioneller ist, sondern dem Konflikt durch seine Ausreise gerade hat aus dem Wege gehen wollen, fehlt es insoweit bei umfassender Abwägung an ausreichenden Anhaltspunkten jedenfalls für eine Überzeugungsbildung durch den Senat dahingehend, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner politischen Überzeugung drohen. Diese Einschätzung vermögen auch nicht die dem Kläger möglicherweise wegen Wehrdienstentziehung drohenden Sanktionen zu ändern. Das Sanktionsinteresse des syrischen Regimes dürfte zumindest gegenüber denjenigen, die nicht aus der Armee desertiert sind, sondern sich lediglich dem Wehrdienst entzogen haben, hinter dem Interesse an der dringend benötigten Verstärkung der Armee durch Rekrutierung neuer Soldaten zurückbleiben. Insoweit könnte dem Kläger im Falle seiner fiktiven Rückkehr nach Syrien zwar möglicherweise eine strafrechtliche Sanktion und wohl auch beachtlich wahrscheinlich eine Einberufung drohen; in Bezug auf eine politisch motivierte weitergehende Verfolgung fehlt es jedoch ebenfalls an Anhaltspunkten, welche die Prognose einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit tragen könnten.

171

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr.10 ZPO.

172

Gründe, aus denen gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen wäre, liegen nicht vor. Bei der Frage, ob abgelehnten Asylbewerbern im Falle einer Rückkehr nach Syrien dort bereits allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich Verfolgung wegen einer vermuteten Einstellung gegen das dort herrschende Regime droht, handelt es sich – anders als in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (2 BvR 31/14) zugrunde liegenden Fall – um eine Tatsachenfrage, wohingegen die Revision die Überprüfung eines Urteils ausschließlich in rechtlicher Hinsicht zum Gegenstand hat (§ 137 Abs. 1 und 2 VwGO).

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 3. August 2016 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am ... 1993 in Damaskus geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens (Sunnit). Seinen Angaben zufolge reiste er am 28. Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. März 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 8. Juni 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt:

„4 Seinen Personalausweis und Reisepass (mit Stempeln aus dem Libanon und der Türkei) habe er abgegeben. Bis zu seiner Ausreise aus Syrien Anfang September 2015 habe er in Damaskus, Stadtteil ..., gelebt. Seine Eltern lebten noch dort. Seine Mutter sei 47 Jahre alt. Drei Schwestern und die Großfamilien hielten sich noch im Heimatland auf. Von Syrien aus sei er zunächst in den Libanon gelangt, von dort aus über die Türkei (Aufenthalt 4 Monate) nach Griechenland und über die Balkanroute nach Deutschland. Er habe neun Klassen Mittelschule mit Abschluss besucht. Einen Beruf habe er nicht erlernt, sondern er habe verschiedene Tätigkeiten ausgeführt, z.B. habe er als Lagerist gearbeitet. Er sei auch für die Sicherheit des Lagers eines Privatunternehmens zuständig gewesen. Wehrdienst habe er nicht geleistet, er sei der einzige Sohn seiner Familie. Als solcher habe er keinen Wehrdienst leisten müssen. Er sei nicht Mitglied einer nicht staatlichen bewaffneten Gruppierung oder einer politischen Partei gewesen. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Die jungen Männer in seinem Alter müssten sich alle irgendeiner kämpfenden Partei, entweder dem Regime oder Rebellengruppen, anschließen. Er wolle jedoch nicht kämpfen. Seine Eltern hätten ihn mehrfach dazu gedrängt, das Land zu verlassen. Sie hätten schließlich seine Entscheidung zur Ausreise begrüßt. Er selbst oder seine Familie seien nicht persönlich bedroht oder verletzt worden. Seine Wohngegend sei komplett unter der Kontrolle des syrischen Regimes gewesen. Kämpfe hätten in dieser Gegend nicht stattgefunden. Es habe keine konkreten Bemühungen von Gruppierungen gegeben, ihn zu rekrutieren. Bei einer Rückkehr befürchte er getötet zu werden. In Deutschland herrsche Frieden und Sicherheit. Seine Familie habe durch seine Flucht keine Nachteile erlitten. Er sei der einzige Sohn der Familie. Dadurch ergäben sich für ihn und seine Familie keine Nachteile von staatlicher Seite. Einen konkreten Anlass, der ihn bewogen habe das Land zu verlassen, habe es nicht gegeben. Seine Flucht sei letztlich das Ergebnis einer langanhaltenden Entwicklung gewesen. In Syrien herrsche Krieg, deshalb habe er nicht mehr bleiben wollen.

“Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid von 7. Juli 2016 als subsidiären Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Urteil vom 3. August 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung führte es u.a. aus:

Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde – ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen – vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 20. Dezember 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

„Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts könne auf der Grundlage der aktuellen Quellenlage nicht tragfähig darauf geschlussfolgert werden, dass nach Syrien Rückkehrenden regelmäßig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung in Anknüpfung an eine (ggf. illegale) Ausreise, dem Auslandsverbleib und die Asylantragstellung drohen. Dies habe sowohl der erkennende Senat (Urteile vom 12.12.2016 – 21 B 16.30338, 21 B 16.30364, 21 B 16.30371) als auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (U.v. 16.12.2016 – 1 A 10918/16.OVG u.a.) zwischenzeitlich bestätigt. Für einen Anspruch auf den Flüchtlingsstatus bedürfe es neben den kriegsbedingten Gefahren des Hinzutretens individuell gelagerter Risikomerkmale, die beim Kläger nicht erkennbar seien.“

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Die Landesanwaltschaft hat sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt mit Bescheid vom 7. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). § 3 Abs. 4 AsylG gibt dem Kläger in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen darauf gerichteten Anspruch, denn er ist kein Flüchtling im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer – soweit hier von Interesse – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger sein Herkunftsland verlassen hat (2.)

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger weder bei der Anhörung durch das Bundesamt noch im Rahmen der Berufungsverhandlung geltend gemacht.

2. Der Kläger kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht allein deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.

2.1 Davon wäre nur dann auszugehen, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37 und zu Art. 16a GGU.v. 5.11.1991 – 9 C-118/90 – juris Rn. 17).

2.2 Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat der Senat unter Berücksichtigung des Charakters des syrischen Staates (2.2.1) die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen seines Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2.2). Auch das im Grundsatz eine Militärdienstpflichtigkeit begründende Alter des legal ausgereisten (2.2.3) Klägers (23 Jahre) führt nicht beachtlich wahrscheinlich zu einer staatlichen Verfolgung, da der Kläger nach der in Syrien in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ vom Militärdienst freigestellt wurde. Aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte fehlt es damit beim Kläger für die Unterstellung einer illoyalen und oppositionellen Haltung – anders als bei Wehrpflichtigen und Reservisten – am Anknüpfungspunkt der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (2.2.4).

Bei der zusammenfassenden Bewertung aller Umstände haben die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden Gründe. Diese Erkenntnis beruht auf Folgendem:

2.2.1 Eine Auswertung der Erkenntnislage zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http://www.bpb.de/apuz/221168/was-in-syrien-geschieht?p=all) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter – und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150414-syr-amnestien.0.pdf) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 4 – zitiert nach der Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http://www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein wegen seiner Ausreise, seines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (vgl. BayVGH, U. v. 12.12.2016 – 21 B 16.30364 – juris Rn. 62 ff.; so auch OVG NW, U.v. 21.2.2017 – 14 A 2316/16.A – juris Rn. 47 ff.; OVG des Saarlandes, U.v.2.2.2017 – 515/16 – juris Rn. 21 ff.; OVG SH, U.v. 23.11.2016 - 3 LB 17.16 – juris Rn. 37).“

2.2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine „carte blanche“ haben, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle).

2.2.2.2 Zu den Folgen, die sich im Rahmen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber ergeben, ist die Auskunftslage nicht einheitlich.

a) Die Ermittlungsabteilung (Research Directorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015) äußerte sich dahingehend, ein abgelehnter Asylbewerber werde höchstwahrscheinlich festgenommen und inhaftiert; groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass solche Personen gefoltert würden, um eine Aussage zu erhalten, aus welchem Grund sie geflohen seien.

Der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ (Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015) sagte, ein abgelehnter Asylbewerber werde auf jeden Fall festgenommen und inhaftiert. Ihm würde vorgeworfen, im Ausland falsche Informationen verbreitet zu haben, und er würde wie ein Oppositioneller behandelt. Er würde einer Folter unterworfen, wobei die Behörden versuchen würden, Informationen über andere abgelehnte Asylbewerber oder Oppositionelle zu bekommen. Der abgelehnte Asylbewerber riskiere, zu Tode gefoltert zu werden oder gefoltert zu werden und dann für eine sehr lange Zeit in Haft genommen zu werden.

Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, es bestünde die Möglichkeit, dass ein abgelehnter Asylbewerber wegen eines Asylantrags im Ausland festgenommen und inhaftiert werden könnte. Er war aber des Weiteren der Meinung, dass das nicht „automatisch“ der Fall sei. Die mehr traditionsbewussten syrischen Beamten seien der Überzeugung, dass alle Asylbewerber Regierungsgegner seien, und somit einer Festnahme, Inhaftierung und Folter unterworfen werden könnten. Es gebe aber auch Beamte, die verstünden, dass manche Leute vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen hätten. Nichts sei „automatisch“ oder vorhersehbar. Allerdings habe der Konflikt wahrscheinlich das Misstrauen der Beamten erhöht (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6 f.).

Die kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde zitiert in diesem Zusammenhang zudem aus den „Länderberichten über die Handhabung der Menschenrechte für 2014“ des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten (US Department of State´s „Country Reports on Human Rights Practices for 2014“). Danach seien Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl gesucht haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt. Das Gesetz sehe die Strafverfolgung jeglicher Person vor, die in einem anderen Land Zuflucht suche, um der Strafe in Syrien zu entfliehen. Das Regime nehme routinemäßig Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest, die versucht hätten, nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbst auferlegten Exils in das Land zurückzukehren.

b) Demgegenüber beantwortete die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung unter dem 3. Februar 2016 dahin, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden seien oder dauerhaft verschwunden seien. Das stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite.

Die Frage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, ob unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei Rückkehr nach Syrien Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt seien und – bejahendenfalls – wie hoch die Gefahr einzuschätzen sei, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staats ausgesetzt werden, beantwortete das Auswärtige Amt mit Auskunft vom 7. November 2016 wie folgt: Das Amt habe keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass diese Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien (so auch Auswärtiges Amt an das VG Wiesbaden vom 2.1.2017).

Der UNHCR ist für den Fall einer Einzelfallprüfung von Asylanträgen syrischer Asylbewerber der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der in den Erwägungen des UNHCR angeführten Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 25 f.).

2.2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

a) Dabei bleibt nicht außer Betracht, dass der um seine Existenz kämpfende syrische Staat und dessen Machthaber ihre Ziele, nämlich die Wiederherstellung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium Syriens sowie der Machterhalt zugunsten des Präsidenten Assad und der um ihn gruppierten Clans mit größter Härte und menschenrechtswidrigen Mitteln verfolgen. In dieses Bild scheinen sich die Äußerungen der von der Ermittlungsabteilung der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde befragten sachkundigen Personen einzufügen. Gegen deren Annahme, abgelehnte Asylbewerber würden (allein) wegen des Asylantrags im Ausland „auf jeden Fall“ bzw. „höchstwahrscheinlich“ oder möglicherweise festgenommen, inhaftiert und gefoltert, spricht aber neben der Tatsache, dass die Bewertungen der sachkundigen Personen nicht näher konkretisiert sind, Folgendes:

Die im angefochtenen Urteil in Bezug genommenen (UA S. 7), in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 18. Juli 2012 (3 L 147/12) beschriebenen Fälle von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, sind nicht geeignet, eine allein auf die Asylantragstellung zurückzuführende politische Verfolgung zu belegen. Im Gegenteil, die insoweit ausweislich des vorbezeichneten Urteils von Amnesty International („Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und von dem kurdischen Informationsdienst „KURDWATCH“ dokumentierten neun Fälle zeigen, dass Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte nicht allein durch die Asylantragstellung, sondern durch hinzutretende Umstände ausgelöst wurden.

In die gleiche Richtung weisen auch zwei Fallbeispiele der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde im Zusammenhang mit der Behandlung von abgelehnten Asylbewerbern. So soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte. … Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein ´Finanzier der Revolution´ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; sie ´folterten´ ihn 20 Tage lang, dazu gehörten Schläge in das Gesicht, auf den Rücken und die Brust …“. Des Weiteren verweist die kanadische Behörde auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Danach sollen laut dem UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige wurden bei Ankunft am Flughafen festgenommen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6).

b) Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen.

Insoweit führt die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht weiter, der syrische Staat sei infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nehme. Dabei ist nicht nachvollziehbar belegt, dass die syrischen Sicherheitskräfte nunmehr - anders als bis zum Abschiebestopp im Jahr 2011 - allein die Asylantragstellung in Deutschland als Hinweis auf eine oppositionelle Haltung betrachten würden. Solches ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des Verwaltungsgerichts auf eine Zuspitzung der Situation in Syrien und einen Überlebenskampf des Assad-Regimes. Eine derartige Zuspitzung ist schon mit Blick auf die allgemein bekannte Tatsache zweifelhaft, dass sich die militärische Lage aufgrund der seit dem 30. September 2015 massiven militärischen Unterstützung durch die Russische Föderation zugunsten des syrischen Staates, wenn auch nicht entspannt, so doch jedenfalls verbessert hat. Unabhängig davon ließe sich eine Zuspitzung der Situation in Syrien auch dahin interpretieren, dass die syrischen Machthaber zunehmend auf den Zuspruch des ihnen zugeneigten Teils der Bevölkerung angewiesen sind und aus diesem Grund Verfolgungsmaßnahmen im Grundsatz nicht auf einem derart niedrigen Verdachtsniveau ansetzen wie vom Verwaltungsgericht angenommen.

Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts spricht im Übrigen auch, dass laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisen; meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016; SYR105361.E, S. 2 unter Verweis auf den Norwegischen Flüchtlingsrat und das Internationale Rettungskomitee). Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen (vgl. dazu Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f) keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die sich angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter Syrer auch nicht nachvollziehbar aus dem Charakter des syrischen Staates ableiten lässt.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn der Deutschen Botschaft Beirut einerseits keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten, ihr aber andererseits Fälle bekannt sind, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden sind oder dauerhaft verschwunden sind und das jedoch überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst steht. Ebenso ist der Hinweis der Botschaft plausibel, das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3.2.2016).

Diese Auskunft erhält dadurch besonderes Gewicht, dass der UNHCR in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung November 2015) davon ausgeht, im Rahmen einer Einzelfallprüfung benötigten syrische Asylbewerber wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie einem oder mehreren der in den Erwägungen angeführten Risikoprofile zuzuordnen seien. Unter ein solches Risikoprofil sollen nach dem Inhalt der Erwägungen etwa Personen fallen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen. Der UNHCR führt dazu verschiedene Beispiele an wie etwa Wehrdienstverweigerer, Aufständische oder Aktivisten. Personen, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, werden demgegenüber nicht genannt. Dabei handelt es sich ersichtlich nicht um eine Nachlässigkeit, denn der UNHCR betrachtet die von ihm erstellten Risikoprofile als Grundlage für eine „Einzelfallprüfung“. Eine solche wäre aber, wie auch die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts deutlich macht, nicht erforderlich, wenn bereits die Asylantragstellung genügte, einen Asylbewerber dem Risikoprofil „Oppositioneller“ zuzuschlagen.

c) Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2014, den die kanadische Immigrations- und Flüchtlingsbehörde zitiert (s.o. Nr. 2.2.2.2 a)), rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar sollen danach Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl beantragt haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt sein. Allerdings ist dem Bericht in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass die Strafverfolgung nur für solche Personen vorgesehen ist, die in einem anderen Land Zuflucht suchen, um sich der Strafe in Syrien zu entziehen. Ebenso wenig führt hier die Feststellung des amerikanischen Auswärtigen Amts weiter, das Regime nehme routinemäßig nach Jahren oder sogar Jahrzehnten zurückkehrende Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest. Der Kläger zählt nicht zu diesem Personenkreis; er ist kein Dissident und besitzt nach wie vor die syrische Staatsbürgerschaft.

d) Der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die syrischen Geheimdienste die im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen (angeblich) umfassend beobachten, trägt zur Beurteilung nichts Wesentliches bei. Er bestätigt den repressiven Charakter des syrischen Staates, hat aber für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung vor dem Hintergrund der übrigen Erkenntnisse kein besonderes Gewicht.

2.2.3 Es kann dahinstehen, ob eine nach syrischem Recht illegale Ausreise im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte auslöst. Der Kläger hat Syrien nicht illegal verlassen. Er hat seinem Vorbringen in der Berufungsverhandlung zufolge an dem letzten Kontrollpunkt vor der syrisch-libanesischen Grenze (Alsabora) den syrischen Kontrollen seinen Personalausweis vorgelegt und ist sodann von Syrien in den Libanon eingereist. Die syrischen Behörden erfassen im Rahmen der Grenzkontrolle die Ausreisedaten in ihrem elektronischen Datensystem, wo sie bei der Einreise abgerufen werden können (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016 SYR105361.E, S. 8 unter Verweis auf eine telefonische Befragung des Vorstands des „Syrischen Zentrums für Justiz und Rechenschaftspflicht“ am 14.12.2015). Die Erkenntnisquellen gehen übereinstimmend von strengen syrischen Grenzkontrollen aus (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 3).

2.2.4 Es ist zur Überzeugung des Senats auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger von Seiten der syrischen Sicherheitskräfte bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle deshalb in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung eine menschenrechtswidrige Behandlung droht, weil der Kläger in einem Alter ist (23 Jahre), das ihn im Grundsatz der Militärdienstpflichtigkeit unterwirft. Der Kläger ist gemäß dem Eintrag in seinem Militärdienstbuch nach der „Einziger-Sohn-Regelung“ vom Militärdienst befreit, weil er der einzige Sohn der Familie ist. Nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wird diese „Einziger-Sohn-Regelung“ von den syrischen staatlichen Stellen im Wesentlichen beachtet.

2.2.4.1 Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch – versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada – Antworten auf Informationsanfragen v. 13. 8.2014, SYR104921.E, S.5).

Im August 2014 erließ Präsident Assad die Gesetzesverordnung Nr. 33, die einige Artikel der Verordnung Nr. 30 aus dem Jahr 2007 zum obligatorischen Militärdienst ersetzt. Dabei wurde unter anderem die Regel angepasst, dass der einzige Sohn der Familie vom Militärdienst befreit werden kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im „Militärbüchlein“ festgehalten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E vom 13.8.2014, S. 2 f).

2.2.4.2 Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Freistellung vom Militärdienst von den syrischen staatlichen Stellen auch vor dem Hintergrund des Charakters des um seine Existenz kämpfenden Staates (s.o. 2.2.1) im Wesentlichen beachtet wird. Diese Beurteilung beruht insbesondere auf Folgendem:

„Seit Herbst 2014 ergriff das syrische Regime verschiedene Maßnahmen, um die durch Desertion und Verluste dezimierte syrische Armee zu stärken. Seither kommt es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen haben. Zudem ergriff das syrische Regime neue Maßnahmen, um gegen Desertion und Wehrdienstentziehung anzukämpfen“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 2f. unter Verweis auf Washington Post, Desperate for soldiers, Assad´s government imposes harsh recruitment measures, 28.12.2014).

„Zusätzlich zur Mobilisierung der Reservisten intensivierte das Regime die Suche nach … jungen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben. Es wurden mobile Checkpoints errichtet und die Sicherheitsdienste führten anhand von Listen, die auch an Checkpoints und an der Grenze genutzt werden, Razzien durch. … Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentiert das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von wehrdienstpflichtigen jungen Männern (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 3 unter Verweis auf Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, 26.2.2015, S.10).

„Im Herbst 2014 erließ das Regime verschiedene Maßnahmen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges verlangen die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt sind, eine offizielle Beglaubigung des Militärs, dass sie vom Dienst freigestellt sind“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 4 unter Verweis auf Institute for the Study of War, The Assad Regime Under Stress: Conscription and Protest among Alawite and Minority Populations in Syria, 15.12.2014). „Männern im wehrpflichtigen Alter wird die Ausreise aus dem Land verboten und der Reisepass vorenthalten“ (Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf v. 2.1.2017, 508-9-516.80/48808).

„Quellen geben an, dass die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am internationalen Flughafen von Damaskus und anderen Eingangshäfen durchgeführt werden, beinhalten zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden“ (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada – Antworten auf Informationsanfragen v. 19.1.2016, SYR105361.E, S. 8f. m.w.N.).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe beruft sich schließlich in einer Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Oktober 2015 zu Syrien: „Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“ auf den Bericht des Dänischen Einwanderungsdienstes (Danish Immigration Service), der im September 2015 eine nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässliche Studie zum Militärdienst veröffentlicht hat (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016). Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass prinzipiell die Freistellung als Einzelsohn noch gilt. Verschiedene Quellen weisen jedoch darauf hin, dass die Umsetzung „nicht immer“ gewährleistet ist. Insgesamt betrachtet ergibt sich das Bild, dass die Freistellung als „einziger Sohn“ zwar je nach Situation willkürlich gehandhabt wird, sie aber im Prinzip umgesetzt wird. (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1 und 3 f.). Nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes sind Einzelkinder bzw. einzige Söhne von der allgemeinen Wehrpflicht freigestellt und auch tatsächlich vom Wehrdienst ausgenommen (Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf vom 2.1.2017, 508-9-516.80/48808).

2.2.4.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem vom Militärdienst freigestellten Kläger bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Seiten der staatlichen Sicherheitskräfte in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung Verfolgung droht.

Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet – und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. 2.2.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht – Essay“ v. 19. 2.2016). Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärdienstpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft (vgl. zu einem Reservisten: Urteil des Senats vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30372 – juris).

Dieser Personengruppe (Wehrpflichtiger, Reservist), die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, gehört der Kläger aber weder an, noch besteht Anlass zu der Annahme, dass ihn die syrischen Behörden bei Rückkehr entsprechend einem Militärdienstverweigerer behandeln und ihm dementsprechend eine oppositionelle Gesinnung unterstellen.

Das syrische Regime hat zwar zur Stärkung seiner Armee seine Maßnahmen gegen wehrdienstpflichtige Männer verschärft, der Kläger ist jedoch aufgrund seiner Freistellung, die im Militärbuch dokumentiert ist, nicht wehrdienstpflichtig und wegen der weiterhin geltenden und auch in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ damit aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte zur Verwirklichung der Kriegsziele durch Militäreinsatz nicht geeignet. Er war aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte nicht verpflichtet, sich für einen möglichen Militär- und Kriegseinsatz im Inland zur Verfügung zu halten, so dass bei seiner Rückkehr im Rahmen der obligatorischen Einreisekontrollen am Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle die syrischen Sicherheitskräfte keinen Anknüpfungspunkt dafür haben, dem Kläger eine oppositionelle Gesinnung wegen seiner Flucht ins Ausland, um einen Militäreinsatz zu vermeiden, zu unterstellen.

Den vereinzelt angegebenen Fällen, dass vom Militärdienst freigestellten Einzelsöhnen an Checkpoints vermehrt die Einziehung angedroht worden sei, um Bestechungsgelder zu erpressen, bzw. es in Syrien grundsätzlich keine Garantie gebe, dass Gesetze respektiert würden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 4), kann eine Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale nicht entnommen werden.

Darin fügt sich ein, dass der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, ob seine Familie durch seine Flucht Nachteile zu befürchten hätte, antwortete: „Nein. Im Übrigen bin ich der einzige Sohn der Familie. Dadurch ergeben sich für uns keine Nachteile von staatlicher Seite.“

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

1

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 7. Kammer - vom 8. November 2016 hat keinen Erfolg.

2

1. Die Klägerin hat den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 Asylgesetz - AsylG -) nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.

3

"Grundsätzliche Bedeutung" im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2016 - 4 A 2103/15.A -, juris). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 9. Oktober 2015 - 8 LA 146/15 -, juris).

4

Hieran gemessen wird die Zulassungsschrift den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht gerecht.

5

a) Die Klägerin wirft zunächst die Frage auf, „ob für syrische Asylbewerber im Falle ihrer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien allein wegen der (illegalen) Ausreise und/oder der Asylantragstellung sowie des Aufenthalts im westlichen Ausland die begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines verfolgungsrelevanten Merkmals besteht“.

6

Sie hält diese Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig und beruft sich zur Begründung u.a. auf die Rechtsprechung verschiedener Oberverwaltungsgerichte, wonach - abweichend von der vorliegend durch das Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung - davon auszugehen sei, dass der syrische Staat bei sämtlichen aus Syrien (illegal) ausgereisten Personen, die sich länger im Ausland aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt haben, dieses Verhalten unterschiedslos als politische Verfolgung werte, da es an eine unterstellte politische Gegnerschaft - oder jedenfalls eine besondere Nähe zu politischen Gegnern - anknüpfe (u.a. OVG LSA, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris; VGH BW, Beschluss vom 19. Juni 2013 - A 11 S 927/13 -, juris).

7

In aller Regel indiziert eine Abweichung des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung eines anderen als des im Instanzenzug übergeordneten Oberverwaltungsgerichts die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Januar 1993 - 2 BvR 1058/92 -, juris Rn. 15; Gemeinschaftskommentar zum Asylgesetz [GK-AsylG], 110. Ergänzungslieferung, November 2016, § 78 Rn. 107). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das angegangene Oberverwaltungsgericht die entscheidungserhebliche Tatsachenfrage bereits entschieden hat. Eine grundsätzliche Bedeutung ist in diesem Fall nicht anzunehmen, wenn beide Oberverwaltungsgerichte die aufgeworfene Tatsachenfrage übereinstimmend beantwortet haben. Auch bei divergierender obergerichtlicher Rechtsprechung gilt dies jedenfalls, wenn sich das angegangene Oberverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung mit der Bewertung des Erkenntnismaterials zu einer bestimmten Tatsachenfrage durch das andere Oberverwaltungsgericht auseinandergesetzt hat (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. März 1996 - 2 BvR 2409/95 -, juris). Denn in diesen Fällen fehlt es an der erforderlichen Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Tatsachenfrage, zumal das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung in Tatsachenfragen nicht beitragen kann, da eine höchstrichterliche Klärung in diesen Fällen in aller Regel weder möglich noch erforderlich ist. Deshalb begründet insbesondere eine abweichende Tatsachenfeststellung oder -würdigung durch ein anderes Berufungsgericht für sich allein keinen weiteren Klärungsbedarf (vgl. GK-AsylG, a.a.O., § 78 Rn. 147 f. m.w.N.).

8

Von vornherein ist nicht die Grundsatzzulassung, sondern allein die Divergenzzulassung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG eröffnet, wenn ein Verwaltungsgericht in einer „prinzipiellen“ Tatsachenfrage bei im Kern unveränderten tatsächlichen Verhältnissen der von dem Berufungsgericht vorgenommenen Klärung der Tatsachenfrage nicht folgt. Andererseits kommt bei Tatsachenfragen eine Divergenzzulassung dann nicht mehr in Betracht, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht nur unwesentlich geändert haben und die Rechtsprechung des Berufungsgerichts deshalb als überholt anzusehen ist (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 2. März 1976 - VII B 22.76 -, juris; Beschluss vom 23. März 2009 - 8 B 2.09 -, juris). Insbesondere im Bereich von Tatsachenfragen ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Verbindlichkeit einer grundsätzlichen Aussage unter dem Vorbehalt der Änderung der Sachlage steht, der Grundsatz also Geltung nur für die ihm zugrunde gelegte tatsächliche Erkenntnislage beansprucht (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 19. Juli 2000 - 5 UZ 2128/96.A -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 13. Januar 2009 - 11 LA 471/08 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 24. Juni 1999 - 14 A 2788/94.A -, juris).

9

Von einer solchen Änderung der maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse ist hier hinsichtlich des Urteils des Senats vom 18. Juli 2012 (a.a.O.) auszugehen.

10

Die genannte Entscheidung ging aufgrund der damals bestehenden Situation davon aus, dass ein Asylantragsteller wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung bedroht sei. Die in diesen Fällen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungsgefahr schlussfolgerte der Senat aus mehreren Gründen, nämlich (1.) der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben worden waren, (2.) der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, (3.) der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 sowie (4.) dem Umgang der syrischen Behörden in Syrien insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig gewesen seien, die Opposition zu unterstützen. Unter Auswertung der seinerzeit zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel ging der Senat in der Gesamtschau davon aus, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam gewesen sei, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung angesehen und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen genommen habe.

11

Seither haben sich jedoch nachhaltige Veränderungen der politischen und militärischen Verhältnisse ergeben (ebenso: Saarl. OVG, Urteil vom 2. Februar 2017 - 2 A 515/16 -, juris Rn. 24), wie sich nicht nur der dichten Presseberichterstattung, sondern auch einer Reihe von Berichten und Stellungnahmen verschiedener Organisationen entnehmen lässt (etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015; vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015; Bericht der Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada [Immigration and Refugee Board of Canada] vom 19. Januar 2016; Amnesty Report 2016 vom 24. Februar 2016). Auf Basis dieser und anderer aktuell zur Verfügung stehender Erkenntnismittel geht die obergerichtliche Rechtsprechung derzeit davon aus, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen (so BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30338 -, juris Rn. 70; ähnlich Saarl. OVG, Urteil vom 2. Februar 2017, a.a.O., Rn. 30), bzw. sind der Auffassung, dass zwischenzeitlich auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte, dass die weit überwiegende Anzahl der Flüchtenden aus Angst vor dem Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Folgen ihr Heimatland verlassen haben (in diesem Sinne OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - 14 A 1852/16.A -, juris Rn. 18; OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 -, juris Rn. 40; hierauf ebenfalls hinweisend, aber letztlich offen lassend: OVG RP, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 50 ff.).

12

Bei dieser Sachlage ist die Entscheidung des Senats vom 18. Juli 2012 (a.a.O.) als überholt anzusehen, weshalb eine Zulassung wegen Divergenz ausscheidet und allein die Rüge der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wegen neuerlichen Klärungsbedarfs in Betracht kommt.

13

Was die Indizwirkung divergierender obergerichtlicher Entscheidungen anbelangt, die in diesem Fall jedenfalls mit Blick auf den zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Juni 2013 (a.a.O.) wieder an Bedeutung gewinnen könnte, so ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht - auch nicht von Verfassungs wegen - geboten, jeden Fall der Abweichung eines Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung eines Oberverwaltungsgerichts eines anderen Bundeslandes als Fall einer grundsätzlichen Bedeutung anzusehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. März 1994 - 2 BvR 211/94 -, juris). Die Tatsache der Abweichung hat insbesondere dann keine Indizwirkung (mehr), wenn die (abweichende) Entscheidung des Verwaltungsgerichts - wie hier - neue und gewichtige rechtliche Argumente oder zusätzliche Erkenntnisse enthält. Es ist deshalb vorliegend allein anhand der vorgetragenen Gründe darüber zu befinden, ob der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gegeben ist.

14

Die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Tatsachenfrage setzt allerdings eine intensive, fallbezogene Auseinandersetzung mit den von dem Verwaltungsgericht heran-gezogenen und bewerteten Erkenntnismitteln voraus. Es ist Aufgabe des Antragstellers, durch die Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern seine gegenteiligen Bewertungen in der Antragsschrift zutreffend sind, sodass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (GK-AsylG, a.a.O., § 78 Rn. 611). Dies kann durch eine eigenständige Bewertung der bereits vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnismittel geschehen, oder auch durch Berufung auf weitere, neue oder von dem Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Erkenntnismittel. Dabei gilt allgemein, dass die Anforderungen an die Darlegung nicht überspannt werden dürfen, sondern sich nach der Begründungstiefe der angefochtenen Entscheidung zu richten haben (Sächs. OVG, Beschluss vom 19. Januar 2016 - 5 A 553/15.A -, juris Rn. 6).

15

Diesen Anforderungen wird die Zulassungsschrift nicht gerecht.

16

Das Verwaltungsgericht stützt seine grundsätzliche Einschätzung, wonach Rückkehrern, die sich länger im westlichen Ausland aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt haben, bei ihrer hypothetischen Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe, auf eine Auskunft der Botschaft Beirut vom 3. Februar 2016, den Menschenrechtsbericht des US State Department 2015, die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 sowie auf verschiedene Pressemitteilungen, u.a. zu Äußerungen Assads vom 11. Juli 2016. Das Gericht zieht hieraus den Schluss, dass „die Furcht vor Verfolgung für diejenigen begründet ist, die - anders als die Klägerin - aus begründeter Furcht vor einer anlassbezogenen Bestrafung das Land verlassen und um Asyl nachgesucht haben“ (Seite 7). Daneben misst das Verwaltungsgericht den Erklärungen Assads besondere Bedeutung bei, wonach sich dieser in einem Interview mit der ausländischen Presse dahingehend geäußert habe, „dass es sich bei den meisten Menschen, die Syrien verlassen hätten, um gute Bürger handele, die ausschließlich vor dem Krieg geflohen seien“ (Seite 8). Das Gericht geht hiermit der Sache nach - wie mittlerweile etwa auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 12. Dezember 2016, a.a.O.) und das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Urteil vom 2. Februar 2017, a.a.O.) - davon aus, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

17

Mit diesen vom Verwaltungsgericht benannten Erkenntnismitteln setzt sich die Zulassungsschrift nicht weiter auseinander. Sie beruft sich in diesem Zusammenhang lediglich auf die unterschiedliche obergerichtliche Rechtsprechung, was zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung allerdings - wie eingangs festgestellt - nicht genügt.

18

b) Die Klägerin hält anknüpfend an die erste Frage weitergehend für klärungsbedürftig, „ob individuelle Gründe hinzutreten müssen, um eine begründete Furcht vor Verfolgung anzunehmen, wie z.B. die Zugehörigkeit zu einer vulnerablen Gruppe wie z.B. Kinder, Frauen, Angehörige ethnischer Minderheiten einschließlich Kurden, Turkmenen, Assyrer, Tscherkessen und Armenier, Mitglieder religiöser Gruppen, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von ISIS sind, und sich in Gebieten aufhalten, in denen ISIS de facto die Kontrolle oder Einfluss ausübt, pp. wie z.B. die mögliche Einberufung zum Wehrdienst im Falle der hypothetischen Rückkehr in die Arabische Republik Syrien, pp.“.

19

Auch insoweit genügt sie ihren Darlegungserfordernissen allerdings nicht.

20

Hierbei mag dahinstehen, ob die Frage, die mit der Formulierung allen individuellen Besonderheiten Rechnung tragen will, den dargelegten Anforderungen an die Ausformulierung einer klärungsbedürftigen Frage von allgemeiner Bedeutung gerecht wird. Jedenfalls zeigt die Klägerin mit ihren diesbezüglichen Überlegungen nicht auf, dass es auf die angesprochenen Fragestellungen im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ankommt.

21

Was zunächst den Umstand anbelangt, dass die Klägerin kurdischer Volkszugehörigkeit ist und aus dem Norden Syriens stammt, so hat das Verwaltungsgericht dieser Besonderheit keine gefahrerhöhende Bedeutung beigemessen und zur Begründung darauf abgestellt, dass die Kurden im Norden Syriens mit der Ausrufung der autonomen Region am 18. März 2016 weitgehend sich selbst überlassen seien und in den von ihnen kontrollierten Gebieten de facto ein eigenes staatsähnliches Gebilde im Sinne eines autonomen Selbstverwaltungsgebietes geschaffen hätten. Es gebe keine Hinweise für die Annahme, die kurdische Selbstverwaltung würde Rückkehrern aus dem westlichen Ausland eine systemkritische Gesinnung unterstellen. Dass die Klägerin als alleinstehende Frau zum Kreis besonders verletzlicher Personen zählt, hat das Verwaltungsgericht ebenfalls nicht genügen lassen, um von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgungshandlungen ausgehen zu können. Zwar erfülle sie hiermit eines der in den Erwägungen des UNHCR aus November 2015 angeführten Risikoprofile. Dies allein genüge allerdings nicht, um von einer konkreten Gefährdung für die Klägerin ausgehen zu können. Denn den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln lasse sich nicht entnehmen, dass in von Kurden kontrollierten Gebieten Frauen - zumal kurdischer Volkszugehörigkeit - allein ihres Geschlechtes wegen Verfolgungshandlungen ausgesetzt seien.

22

Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin demgegenüber zunächst auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2016 (- 21 B 16.30372 -, juris). Denn diese Entscheidung hatte drohende Verfolgungshandlungen gegen einen 31-jährigen syrischen Reservisten in Anknüpfung an eine ihm wegen der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (unterstellte) oppositionelle Gesinnung zum Gegenstand. Eine solche Fallgestaltung steht vorliegend nicht in Rede. Insoweit fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit für das vorliegende Verfahren.

23

Den grundsätzlichen Klärungsbedarf der aufgeworfenen Fragen vermag die Klägerin auch nicht aus einer Entscheidung der 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 19. Oktober 2016 (Az.: 9 A 144/16 MD) abzuleiten, mit der einem aus Nordsyrien stammenden Asylbewerber mit Blick auf Verfolgungshandlungen des IS die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist. Dieser Entscheidung lag die auf die Auskunft des UNHCR aus November 2015 gestützte Annahme zugrunde, dass der IS im Norden Syriens die Kontrolle über ein weitgehend zusammenhängendes Gebiet ausübe. Demgegenüber ist das Gericht in der hier angegriffenen Entscheidung davon ausgegangen, dass die Heimatregion der Klägerin jedenfalls mit der Ausrufung der kurdischen autonomen Region am 18. März 2016 nicht mehr unter der Kontrolle des IS stehe, weshalb der Auskunft des UNHCR nur eingeschränkte Bedeutung beizumessen sei. Mit diesen durch das Gericht vorliegend festgestellten Besonderheiten setzt sich die Klägerin nicht weiter auseinander. Unabhängig hiervon fehlt es auch an der Erläuterung und Aufarbeitung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Überlegungen, weshalb die einem Rückkehrer durch den IS drohenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verfolgungshandlungen anzusehen sein sollen, die an ein asylrelevantes Merkmal i. S. d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 AsylG anknüpfen. Das Verwaltungsgericht stellt hierzu in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2016 fest, eine Verfolgung von Rückkehrern durch den IS sei wegen „tatsächlicher oder vermeintlicher Infragestellung seines Herrschaftsanspruchs oder bei Verstoß gegen die von ihm aufgestellten Regeln“ mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen und führt weiter aus, „die hemmungslose Gewaltanwendung des IS gegenüber Personen, die anderen Glaubens sind bzw. sich den vom IS vorgegebenen Regeln nicht vorbehaltlos unterwerfen“, lasse die Furcht vor Verfolgung begründet erscheinen, weshalb die „Flucht aus dem Gebiet des IS und die Beantragung von Asyl in einem westlichen Staat […] mit der erforderlichen Beachtlichkeit vom IS als ein gegen diesen und dessen Ziele gewendetes Verhalten aufgefasst werden“ könne. Das Gericht lässt damit letztlich offen, ob etwaige Übergriffe durch den IS, denen Rückkehrer ausgesetzt sein könnten, gerade mit Blick auf eine (unterstellte) politische Überzeugung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 4 AsylG erfolgen oder ob es sich hierbei um religiös motivierte Angriffe i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG handelt. Hieraus wird deutlich, dass die Frage, ob eine (behauptete) Verfolgungshandlung durch den IS an einen Verfolgungsgrund i. S. d. § 3b AsylG anknüpft, von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt und einer über den Einzelfall hinausgehenden, grundsätzlichen Klärung deshalb nicht zugänglich ist (ebenso OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2017 - 13 A 725/16.A -, juris Rn. 6).

24

Auch hinsichtlich der Ausführungen der Klägerin zur besonderen Situation der Frauen fehlt es an der Erläuterung und Aufarbeitung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Überlegungen, insbesondere hinsichtlich der Frage, weshalb die einer (alleinstehenden) Frau bei einer Rückkehr nach Syrien drohenden Gewalthandlungen gerade in Anknüpfung an das Geschlecht (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 5, § 3a Abs. 3, § 3b Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbsatz AsylG) erfolgen sollen (hierzu auch BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30338 -, juris Rn. 91). Zwar werden „Frauen, insbesondere Frauen ohne Schutz durch Männer“ in der Auskunft des UNHCR aus November 2015 als eine der Risikogruppen benannt, die „wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der GFK benötigen“ (Seite 25 f). Allerdings lässt sich den Ausführungen des UNHCR nicht entnehmen, dass diese Personengruppe gerade deshalb Verfolgungshandlungen ausgesetzt sind, weil es sich um Frauen handelt (zum Erfordernis der Verknüpfung zwischen Verfolgungsgrund und Verfolgungshandlung siehe § 3a Abs. 3 AsylG). Auf Seite 14 der Auskunft wird zur Situation der Frauen zwar ausgeführt, dass sich deren Situation durch den fortgesetzten Konflikt dramatisch verschlechtert habe, „da Frauen aufgrund ihres Geschlechts zunehmend Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien“ würden. Weiter heißt es an dieser Stelle, dass Berichten zufolge „Tausende von Frauen bei dem Beschuss ziviler Gebiete und durch Heckenschützen sowie im Rahmen von Überfällen und Massakern getötet“ worden seien. Andere Frauen würden „inhaftiert, als Geisel genommen, gefoltert, sexueller und sonstiger Gewalt ausgesetzt“ oder „als menschliche Schutzschilde verwendet“ oder „Opfer einer strengen Auslegung der Scharia“. Zunehmend würden Frauen die überwiegende oder ausschließliche Versorgung der Familie übernehmen, da die männlichen Familienangehörigen verletzt, behindert, festgenommen, verschwunden, getötet oder aufgrund ihrer Beteiligung am Konflikt nicht vor Ort sind oder aus Angst vor Inhaftierung oder vor Massenhinrichtungen an Kontrollstellen es nicht wagen würden, ihre Häuser zu verlassen. Diese Frauen und Mädchen seien besonderen Schwierigkeiten während ihrer Bemühungen ausgesetzt, ihr Leben neu aufzubauen und trotz erhöhtem Missbrauchs- und Ausbeutungsrisiko für ihre Familien zu sorgen. Die Gewalthandlungen, denen Frauen in besonderer Weise ausgesetzt sind, haben ihre Ursache damit in einer Gemengelage verschiedener Faktoren, die teilweise an das Geschlecht anknüpfen mögen, teilweise religiös motiviert zu sein scheinen, teilweise aber auch ganz allgemein aus den kriegerischen Verhältnissen in Syrien resultieren. Damit hängt die Frage, ob Frauen gerade wegen ihres Geschlechtes Verfolgungshandlungen ausgesetzt sind, auch insoweit von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, weshalb diese Frage einer über den Einzelfall hinausgehenden, grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.

25

Auch mit der weiteren Feststellung der Klägerin, dass sie „einer weiteren Risikogruppe, nämlich der Angehörigen ethnischer Minderheiten“ und zudem der Risikogruppe der Personen angehöre, „die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von ISIS sind, und sich in Gebieten aufhalten, in denen dieser de facto die Kontrolle oder Einfluss ausübt“, wird sie ihren Darlegungsanforderungen nicht gerecht. Zwar werden Angehörige ethnischer Minderheiten (einschließlich Kurden) in der Auskunft des UNHCR ebenfalls als eine der Risikogruppen benannt, die wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der GFK benötigen (Seite 25 f.). Ob Angriffe auf Kurden in Syrien allerdings gerade in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal erfolgen oder ihren Ursprung „lediglich“ in den kriegsbedingten Verhältnissen im Land haben, lässt sich dem Bericht nicht zweifelsfrei entnehmen (zu den Motiven von Angriffen auf religiöse Minderheiten siehe Seite 12 f., Fußnote 76). Im vorliegenden Zulassungsverfahren wäre es Aufgabe der Klägerin gewesen, dieser Frage unter Auseinandersetzung mit den einschlägigen Erkenntnismitteln weiter nachzugehen.

26

II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.

27

III. Der Prozesskostenhilfeantrag war gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO mangels Erfolgsaussichten aus den vorstehenden Gründen abzulehnen.

28

IV. Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 78 Abs. 5 Satz 2, 80 AsylG, 152 Abs. 1 VwGO).


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.