Verwaltungsgericht Karlsruhe Beschluss, 11. Okt. 2012 - A 9 K 2386/12

bei uns veröffentlicht am11.10.2012

Tenor

Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein mitzuteilen, dass der Antragsteller nicht nach Italien zurückgeschoben werden darf.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Abwendung seiner Abschiebung nach Italien ist bei sachdienlicher Auslegung nach § 123 VwGO statthaft. § 123 Abs. 5 VwGO steht dem nicht entgegen, denn ein Fall des § 80 VwGO liegt nicht vor. Ein Bescheid des Bundesamts, mit dem der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig eingestuft und seine Abschiebung nach Italien angeordnet wird, wurde dem Antragsteller bisher entgegen § 31 Abs. 1 S. 4 AsylVfG nicht zugestellt. Ein solcher Bescheid des Bundesamts muss auch in den sog. „Aufgriffsfällen“ - entgegen der im Vermerk des Bundesamts vom 02.10.2012 in Bezug genommenen Weisung des BMI, nach der ein Asylantrag in derartigen Fällen „nicht in Behandlung zu nehmen“ sei - wohl jedenfalls dann ergehen, wenn der aufgegriffene Ausländer - wie hier - in Deutschland einen Asylantrag stellt und sich in der Sache auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylVfG beruft.
Der somit allein statthafte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist sachdienlich auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin gerichtet, der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein als der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörde mitzuteilen, dass der Antragsteller nicht nach Italien zurückgeschoben werden darf. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - und nicht die Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein - ist hier auch auf Seiten der Antragsgegnerin zur Prozessführung berufen und als zuständige Behörde im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in die Pflicht zu nehmen, da der Rechtsschutz in der Hauptsache in Fällen der vorliegenden Art letztlich auf eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik und damit jedenfalls auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (sog. „Dublin II-VO“) gerichtet ist (vgl. dazu VG Sigmaringen, Beschluss vom 26.10.2009 - A 1 K 1757/09, juris, Rn. 12: Verpflichtung des Bundesamts zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts, keine Pflicht des Gerichts zum Durchentscheiden; weitergehend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2012 - A 2 S 1355/11, juris, Rn. 27 ff.: Verpflichtung des Bundesamts zur inhaltlichen Prüfung des Asylantrags, ggfs. Herstellung der Spruchreife durch das Gericht).
Für die Durchführung eines solchen Asylverfahrens und die dem vorangehende Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach der Dublin II-VO unter Berücksichtigung von Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta (vgl. dazu jüngst EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 21.12.2011 in den verbundenen Rechtssachen C-411/10 und C-493/10 - „N. S./Secretary of State for the Home Department u. a.“, NVwZ 2012, 417), deren einstweiliger Sicherung das vorliegende Eilverfahren dient, ist jedoch das Bundesamt zuständig, da nur dieses über den Asylantrag in der Sache entscheiden kann und darf (vgl. dazu nur Funke-Kaiser, in GK-AsylVfG, § 27a, Rn. 149 ff.).
Etwas anderes ergibt sich weder aus § 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylVfG, noch aus § 3 AsylZBV, da in beiden Vorschriften eine Zuweisung der Zuständigkeit für einen - hier letztlich in der Hauptsache verfahrensgegenständlichen - Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO zu den Grenzbehörden nicht erfolgt. Es bedarf - jedenfalls in „Aufgriffsfällen“ der vorliegenden Art - auch keines zusätzlichen Eilverfahrens gegen die nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG mit der Zurückschiebung gemäß § 18 AsylVfG i.V.m. § 57 AufenthG betraute Grenzbehörde (hier die Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein), da diese von einer Zurückschiebung gemäß § 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylVfG einstweilen abzusehen hat, nachdem das Bundesamt ihr die im Tenor bezeichnete Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland mitgeteilt hat (anders wohl Funke-Kaiser, in GK-AsylVfG, § 18, Rn. 63 sowie derselbe, in GK-AufenthG, § 57, Rn. 65 ff. sowie Rn. 16 ff., dort auch zur Rechtsnatur der Zurückschiebung).
Mit diesem Begehren ist der Antrag auch sonst zulässig. § 34a Abs. 2 AsylVfG vermag die Zulässigkeit des Antrags nicht auszuschließen. Hiernach darf die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat, der - wie hier - auf dem Wege des § 27a AsylVfG zu ermitteln ist, zwar nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden; in verfassungskonformer Auslegung dieser Bestimmung kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes jedoch dann in Betracht, wenn eine die konkrete Schutzgewährung in Zweifel ziehende Sachlage in dem für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gegeben ist.
Dies ist hier der Fall.
Der mit der Bestimmung zum sicheren Drittstaat gemäß Art. 16a Abs. 2 GG einhergehende Ausschluss des Eilrechtsschutzes erfordert, dass in dem jeweiligen Drittstaat die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskommission, - GFK - vom 28.07.1951 (BGBl. 1953 II S. 560) und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - vom 4.11.1950 (BGBl. 1952 II S. 953) sichergestellt ist. Diese Voraussetzung ist für Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union in Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG ausdrücklich normiert, gilt aber aufgrund der gebotenen Wertungsgleichheit entsprechend auch für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Für Letztere sind die aus den genannten Regelungen folgenden Verpflichtungen zudem unter anderem in der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01.12.2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und in der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten konkretisiert worden.
Die feststellbare Verletzung von Kernanforderungen des vorgenannten Rechts, die mit einer Gefährdung des Betroffenen insbesondere in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einhergeht, ist ein Sonderfall im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Eilrechtsschutz bleibt in diesen Ausnahmefällen möglich und zulässig (vgl. VG Gießen, Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A, juris, m.w.N.). Dem entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 14.05.1996 klargestellt, dass die Ausschlussregelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG nur bei sinnentsprechender restriktiver Auslegung mit Art. 16a Abs. 2 S. 3 GG in Einklang steht. Aufgrund des mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten Konzepts normativer Vergewisserung könne sich der Ausländer daher nicht mit Erfolg darauf berufen, dass in seinem Einzelfall die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstünden, könne der Ausländer nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdränge, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen sei (vgl. BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 u.a., BVerfGE 94, 49).
Mit seinen auf Griechenland bezogenen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung bestätigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09, NVwZ 2009, 1281; Beschluss vom 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09, NVwZ 2010, 318). Schließlich ist auch nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil der Großen Kammer vom 21.12.2011 in den verbundenen Rechtssachen C-411/10 und C-493/10 - „N. S./Secretary of State for the Home Department u. a.“, NVwZ 2012, 417) trotz der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der GFK und der EMRK steht, die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechtecharta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Einen solchen Sonderfall hat der Antragsteller glaubhaft gemacht.
10 
Ihm steht auch ein Anordnungsgrund zur Seite, da die Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein seine Überstellung nach Italien betreibt.
11 
Schließlich ist auch ein Anordnungsanspruch gegeben, denn es bestehen schwerwiegende Bedenken, ob die Praxis der Durchführung von Asylverfahren in Italien den oben zitierten Kernanforderungen entspricht. Das Gericht hat nach derzeitigem Erkenntnisstand erhebliche Zweifel an der Gewährleistung der Mindestanforderungen für Asylsuchende in Italien. Dies folgt aus zahlreichen Erkenntnisquellen, die in den -ebenfalls entsprechenden Eilanträgen stattgebenden - Beschlüssen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vom 01.03.2012 - 1 B 234/12.A), der Verwaltungsgerichte Augsburg (vom 17.07.2012 - Au 3 E 12.30208), Stuttgart (vom 01.07.2012 - A 7 K 1877/12), Arnsberg (vom 18.03.2011 - 8 L 92/11.A), Gießen (vom 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A), Freiburg (vom 17.02.2012 - A 2 K 286/12 und vom 24.01.2011 - A 1 K 117/11), Darmstadt (vom 11.01.2011 - 4 L 1889/10.DA.A), Köln (vom 10.01.2011 - 20 L 1920/10.A) und Minden (vom 07.12.2010 - 3 L 625/10.A) sowie in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 06.03.2012 - A 3 K 3069/11 und in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 26.07.2011 - 9 A 346/10 verwertet wurden und die auch das erkennende Gericht seiner Entscheidung zugrunde legt.
12 
Dabei wird nicht verkannt, dass es nach wie vor keine Empfehlung des UNHCR gibt, generell nicht nach Italien zu überstellen, wie dies bei Griechenland der Fall war. Die in den zitierten Gerichtsentscheidungen verwerteten Erkenntnisquellen mögen auch einer abweichenden Gewichtung und Würdigung zugänglich sein. Dementsprechend ist die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung uneinheitlich (vgl. dazu die Aufstellung eine Zulässigkeit der Rückführung nach Italien bejahender Entscheidungen im Entscheiderbrief des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge 7/2011, S. 3 f.).
13 
Gleichwohl spricht auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisquellen vieles dafür, dass der Antragsteller in Italien der Gefahr von Obdachlosigkeit und mangelnder Versorgung ausgesetzt wäre und die gebotene Prüfung und Bescheidung seines Asylantrags nach Maßgabe der unionsrechtlichen Verfahrensgarantien nicht erreichen würde (vgl. zur Situation in Italien jüngst Dominik Bender, Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist, Asylmagazin 2012, 11 ff.). Dieser Eindruck kann mit hinreichender Gewissheit auch nicht durch die Auskunft des Auswärtigen Amts an das Verwaltungsgericht Freiburg vom 11.07.2012 entkräftet werden, da die darin enthaltenen Angaben nur sehr allgemein gehalten sind.
14 
Eine eingehende und abschließende Würdigung der Sach- und Rechtslage kann vor diesem Hintergrund nicht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erfolgen, sondern bedarf - gegebenenfalls nach einer Beweisaufnahme - einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren. Bei dieser Sachlage hat das unionsrechtliche Interesse an der konsequenten Umsetzung der Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO hinter dem Schutzanspruch des Antragstellers zurückzutreten.
15 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG.
16 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Karlsruhe Beschluss, 11. Okt. 2012 - A 9 K 2386/12

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Ant

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver
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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. September 2009 - A 6 K 3484/08 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Der Kläger, ein nach seinen Angaben am ...1985 in Sheikhan geborener irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens, reiste am 3.2.2008 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung machte er geltend, er stamme aus dem im Sheikhan gelegenen Dorf Essya (gemeint wohl Esyan). Seine Familie, zu der außer seinen Eltern sieben Brüder und sechs Schwestern gehörten, lebe noch mit Ausnahme eines Bruders im Sheikhan. Er habe den Irak im Dezember 2004 verlassen und sich zunächst einige Monate in Griechenland aufgehalten. Er sei dann nach Holland geflogen und habe dort einen Asylantrag gestellt. Die holländischen Behörden hätten den Antrag im Mai 2006 abgelehnt und ihn zurück nach Griechenland geschickt, wo er zunächst in Abschiebehaft genommen worden sei. Nach seiner Freilassung sei er in den Irak zurückgekehrt. Am 22.1.2008 habe er den Irak wieder verlassen und sei über die Türkei nach Deutschland gereist. Der Grund dafür sei, dass er als Yezide von den Leuten merkwürdig angeschaut worden sei. Er habe auch schon gehört, dass in anderen yezidischen Dörfern Leute überfallen worden seien. Er selbst sei aber weder bedroht noch in anderer Weise behelligt worden.
Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) festgestellt hatte, dass der Kläger bereits am 23.5.2006 einen Asylantrag in Griechenland gestellt hatte, ersuchte es mit Schreiben vom 10.4.2008 die griechischen Behörden um Aufnahme des Klägers. Das Ersuchen blieb trotz einer mit Schreiben vom 14.5.2008 erfolgten Erinnerung unbeantwortet.
Das Bundesamt lehnte daraufhin mit Bescheid vom 8.9.2008 den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Griechenland an. Zur Begründung führte es aus, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Griechenland aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. e Dublin II-VO für die Behandlung des Antrags zuständig sei.
Der Kläger hat am 9.9.2008 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 8.9.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 S. 2 AufenthG festzustellen, weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG festzustellen. Der Kläger hat ferner am gleichen Tag einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, auf den das Verwaltungsgericht die Beklagte mit Beschluss vom 16.10.2008 durch eine einstweilige Anordnung verpflichtet hat, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig für die Dauer von sechs Monaten auszusetzen und für den Fall, dass die zuständige Ausländerbehörde von der Abschiebungsanordnung bereits in Kenntnis gesetzt worden sei, dieser mitzuteilen, dass eine Abschiebung nach Griechenland vorläufig für die Dauer von sechs Monaten nicht durchgeführt werden dürfe.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Mit Urteil vom 29.9.2009 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Bundesamts vom 8.9.2008 aufgehoben und die Beklagte zu der Feststellung verpflichtet, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen und dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Asylantrag des Klägers sei nicht mehr gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, da die Beklagte inzwischen für das Asylverfahren des Klägers zuständig geworden sei. Zwar sei ursprünglich Griechenland für das Asylverfahren des Klägers zuständig gewesen, da der Kläger bereits am 23.5.2006 auf dem Flughafen von Athen einen Asylantrag gestellt habe. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers sei jedoch gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO von Griechenland auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergangen, da der Kläger nicht innerhalb der in Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO vorgesehenen Frist an Griechenland überstellt worden sei. Zwar habe die erkennende Kammer die Beklagte mit Beschluss vom 16.10.2008 durch eine einstweilige Anordnung verpflichtet, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig für die Dauer von sechs Monaten auszusetzen. Diese einstweilige Anordnung stelle jedoch keinen Rechtsbehelf dar, der aufschiebende Wirkung habe. Der Beschluss habe daher keinen Einfluss auf den Ablauf der für die Überstellung geltenden Frist. Der zulässig gewordene Asylantrag des Klägers sei auch begründet, da dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak eine religiös motivierte Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 4 Buchst. c AufenthG drohe. Die Beklagte gehe bei Yeziden, soweit sie aus dem Zentralirak oder dem Süden des Landes stammten, grundsätzlich von einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure aus. Nach dem Gutachten des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 26.5.2008 liege das Sheikhan-Gebiet im Grenzgebiet zwischen Zentral- und Nordirak. Es gehöre verwaltungstechnisch und rechtlich zur Provinz Niniwe/Mosul und stehe damit de jure unter zentralirakischer Verwaltung. Mithin treffe die von der Beklagten für Yeziden aus dem Zentralirak angenommene Gruppenverfolgung auch für die aus dem Sheikhan-Gebiet stammenden Yeziden zu.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 2.2.2010 zugelassene Berufung der Beklagten. Auf Antrag der Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 29.6.2010 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Beklagte hat das Verfahren am 25.3.2011 wieder angerufen.
Die Beklagte macht geltend, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht der Ansicht, dass die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO von Griechenland auf Deutschland übergangen sei. Die sechsmonatige Frist für den Übergang der Zuständigkeit beginne erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem die Behörde den Bescheid auch vollziehen könne und sich dabei ausschließlich den technischen Problemen der Überstellung widmen könne. Unabhängig davon halte das Verwaltungsgericht den Asylantrag auch zu Unrecht für in der Sache begründet. Nach dem Vorbringen des Klägers sei nicht ersichtlich, dass dieser den Irak unter dem Druck individuell erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung verlassen habe. Eine gruppenspezifische Gefährdung der Yeziden im Irak lasse sich nicht feststellen.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. September 2009 - A 6 K 3484/08 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
15 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Verwaltungsgerichts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Hauptantrag des Klägers zu Unrecht entsprochen. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG liegen entgegen seiner Ansicht nicht vor (unten I). Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 S. 2 AufenthG bzw. § 60 Abs. 5 oder 7 S. 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben, so dass die Klage auch mit den vom Kläger gestellten Hilfsanträgen keinen Erfolg haben kann (unten II).
I.
17 
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht zu der Feststellung verpflichtet, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen und dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist.
18 
1. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die beklagte Bundesrepublik Deutschland sei für das Asylverfahren des Klägers zuständig, auch wenn der Kläger zuvor einen Asylantrag in Griechenland gestellt habe. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
19 
a) Der Kläger hat am 23.5.2006 in Griechenland einen ersten und nach seiner zwischenzeitlichen Rückkehr in den Irak am 3.2.2008 einen weiteren Asylantrag in Deutschland gestellt. Wegen des zuvor in Griechenland durchgeführten Asylverfahrens hat das Bundesamt mit Schreiben vom 10.4.2008 ein Aufnahmeersuchen an Griechenland gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, (im Folgenden: Dublin II-VO) gestellt, auf das Griechenland nicht innerhalb von zwei Monaten geantwortet hat. Nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO ist in einem solchen Fall davon auszugehen, dass der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
20 
Das hat auch das Verwaltungsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt. Es hat gleichwohl angenommen, dass die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO von Griechenland auf die Beklagte übergangen sei, da der Kläger nicht innerhalb der in Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO vorgesehenen Frist an Griechenland überstellt worden sei. Den Umstand, dass die erkennende Kammer die Beklagte mit Beschluss vom 16.10.2008 durch eine einstweilige Anordnung verpflichtet hat, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig für die Dauer von sechs Monaten auszusetzen, hat das Verwaltungsgericht dabei für unerheblich erklärt, da diese Anordnung keinen Rechtsbehelf darstelle, der aufschiebende Wirkung habe. Der Beschluss habe daher keinen Einfluss auf den Ablauf der für die Überstellung geltenden Frist. Das steht, wie die Beklagte zu Recht beanstandet, mit Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO nicht in Einklang.
21 
aa) Die Überstellung des Asylbewerbers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, „sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch den anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat“ (Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO). Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde (Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO).
22 
Nach der im deutschen (nationalen) Recht geltenden Regelung in § 34 a Abs. 2 AsylVfG darf die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Das Gleiche gilt nach der Neufassung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 für die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat. Im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93 - (BVerfGE 94, 49) hat sich das Verwaltungsgericht trotz dieser Regelung für berechtigt gehalten, die Abschiebung des Klägers nach Griechenland auf dessen Antrag auszusetzen, da nach den vorliegenden Erkenntnisquellen zur Situation und Behandlung von Flüchtlingen in Griechenland davon auszugehen sei, dass dem Kläger dort kein Asylverfahren offen stehe, das die Mindestnormen für Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Europäischen Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1.12.2005 einhalte. Ebenso wenig sei gewährleistet, dass in Griechenland die Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern gemäß der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.1.2003 eingehalten würden. Die Verletzung der genannten Normen und die damit einher gehenden Grundrechts- und Menschenrechtsverletzungen seien als Sonderfall anzusehen, in dem § 34 a Abs. 2 AsylVfG nicht anzuwenden sei.
23 
bb) Mit dieser Entscheidung ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts der Lauf der Frist für die Überstellung des Klägers an Griechenland gehemmt worden.
24 
Die in Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO vorgesehene Frist berücksichtigt die organisatorischen Schwierigkeiten, die mit der Durchführung der Überstellung verbunden sind, und verfolgt das Ziel, es den beiden betroffenen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich im Hinblick auf die Durchführung abzustimmen, und es insbesondere dem ersuchenden Mitgliedstaat zu erlauben, die Modalitäten für die Durchführung der Überstellung zu regeln, die nach den nationalen Rechtsvorschriften dieses letztgenannten Staates erfolgt. Das gilt auch für den in der Vorschrift genannten Fall, dass der ersuchende Mitgliedstaat einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung kennt und das Gericht dieses Mitgliedstaats seiner Entscheidung eine derartige Wirkung beilegt, da auch in diesem Fall jeder der beiden betroffenen Mitgliedstaaten bei der Organisation der Überstellung den gleichen praktischen Schwierigkeiten gegenübersteht und deshalb über die gleiche Frist von sechs Monaten verfügen soll, um die Überstellung des Asylbewerbers zu bewerkstelligen. Der Lauf der in Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO vorgesehenen Frist beginnt daher in dem genannten Fall nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die der Durchführung dieses Verfahrens nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urt. v. 29.1.2009 - C-19/08 - NVwZ 2009, 639).
25 
Für den Beginn der in Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO vorgesehenen Frist kann es danach entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht auf den in den §§ 80, 123 VwGO gemachten Unterschied zwischen der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs und einer einstweiligen Anordnung ankommen. Dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16.10.2008 liegt die Auffassung zu Grunde, dass das deutsche (nationale) Recht es unter bestimmten, vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall bejahten Voraussetzungen gestattet, die Abschiebung eines Asylbewerbers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat und damit die Durchführung des in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vorgesehenen Überstellungsverfahrens auszusetzen. Damit greift die genannte Überlegung, wonach die betroffenen Mitgliedstaaten auch für den Fall, dass der ersuchende Mitgliedstaat einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung kennt und das Gericht dieses Mitgliedstaats seiner Entscheidung eine derartige Wirkung beilegt, eine Frist von sechs Monaten verfügen sollen, um die Überstellung des Asylbewerbers zu bewerkstelligen. Ob die Durchführung des Überstellungsverfahrens in Folge einer nach § 80 VwGO oder in Folge einer nach § 123 VwGO getroffenen gerichtlichen Entscheidung ausgesetzt ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
26 
b) Die Zuständigkeit der Beklagten für die Prüfung des Asylantrags des Klägers ergibt sich jedoch aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO.
27 
Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist, und wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung. Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, dessen Ausübung integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, aaO) lässt dieses Asylsystem die Annahme zu, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention finden. Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Sie ist widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren. Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ist in einem solchen Fall verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann.
28 
Nach dem in Anschluss an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.1.2011 (M.S.S./Belgien und Griechenland) ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21.12.2011 (aaO) ist davon auszugehen, dass die große Zahl von Asylbewerbern, die in den letzten Jahren über Griechenland in die Union gelangt sind, es den griechischen Behörden unmöglich gemacht hat, diesen Zustrom zu bewältigen. Der Europäische Gerichtshof ist deshalb der Meinung, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren. Die Beklagte hätte danach den Asylantrag des Klägers nicht als unzulässig abweisen dürfen, sondern den Antrag sachlich prüfen müssen.
29 
2. Das Verwaltungsgericht hat die somit notwendige sachliche Prüfung des Asylantrags des Klägers selbst vorgenommen. Das entspricht der Rechtslage.
30 
Nach § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO spricht das Gericht, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten begünstigenden Verwaltungsaktes rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde zum Erlass dieses Verwaltungsakts aus, wenn die Sache spruchreif ist. Nach § 86 Abs. 1 VwGO hat das Gericht im Rahmen des Klagebegehrens alle für die Entscheidung maßgebenden tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs in eigener Verantwortung festzustellen. Das Gericht muss danach die Streitsache im Sinne des § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO in vollem Umfang spruchreif machen. Es ist deshalb grundsätzlich nicht zulässig, dass das Verwaltungsgericht bei rechtswidriger Verweigerung des begehrten Verwaltungsakts lediglich die Ablehnung aufhebt und der Behörde mit gewissermaßen zurückverweisender Wirkung die Prüfung und Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen aufgibt. Vielmehr hat es die notwendigen Prüfungen und Feststellungen selbst vorzunehmen und sodann abschließend in der Sache zu entscheiden (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 10.2.1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Pflicht des Gerichts, die Streitsache spruchreif zu machen, gilt auch in Verfahren, in denen das Bundesamt - wie hier - einen Asylantrag zu Unrecht als unzulässig abgewiesen hat.
31 
3. Das Verwaltungsgericht ist jedoch bei seiner Prüfung zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen liegen entgegen seiner Ansicht nicht vor.
32 
a) Nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Anders als im Anwendungsbereich des Art. 16a Abs. 1 GG, der grundsätzlich nur Schutz vor staatlicher Verfolgung gewährt, kann eine Verfolgung in diesem Sinne gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehen von (a) dem Staat, (b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder (c) „nichtstaatlichen Akteuren“, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten „Akteure“ einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht Willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Für die Feststellung, ob eine solche Verfolgung vorliegt, sind gemäß § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie, ABl. EU 2004 Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden.
33 
Die Gefahr eigener Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Ausländer selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms - eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss. Diese für die staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind auch auf die private Verfolgung durch „nichtstaatliche Akteure“ übertragbar (BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237).
34 
b) In Anwendung dieser Grundsätze hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG mit der Begründung bejaht, dass die aus dem Sheikhan-Gebiet stammenden Yeziden einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt seien. Es hat dazu näher ausgeführt, die Beklagte gehe bei Yeziden, soweit sie aus dem Zentralirak oder dem Süden des Landes stammten, von einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure aus. Nach dem Gutachten des Europäischen Zentrums für kurdische Studien (EZKS) vom 26.5.2008 liege das Sheikhan-Gebiet im Grenzgebiet zwischen Zentral- und Nordirak. Es gehöre verwaltungstechnisch und rechtlich zur Provinz Niniwe/Mosul und stehe damit de jure unter zentralirakischer Verwaltung. Mithin treffe die von der Beklagten für Yeziden aus dem Zentralirak angenommene Gruppenverfolgung auch für die aus dem Sheikhan-Gebiet stammenden Yeziden zu.
35 
Das reicht als Begründung schon für sich genommen nicht aus. Das Verwaltungsgericht hat zum einen nicht geprüft, ob die Annahme der Beklagten zutrifft, dass Yeziden, soweit sie aus dem Zentralirak oder dem Süden des Landes stammten, einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt sind, sondern hat diese Annahme ohne weiteres als feststehende Tatsache übernommen. Es hat zum anderen hieraus geschlossen, dass auch die aus dem Sheikhan-Gebiet stammenden Yeziden einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt seien, da das Sheikhan-Gebiet de jure unter zentralirakischer Verwaltung stehe, ohne der sich aufdrängenden Frage nachzugehen, ob eine de jure bestehende Verwaltungshoheit auch bedeutet, dass die betreffenden Gebiete de facto unter zentralirakischer Verwaltung stehen. Das ist umso weniger zu verstehen, als in dem auch vom Verwaltungsgericht zitierten Gutachten des EZKS vom 26.5.2008 ausführlich auf diesen Unterschied eingegangen wird.
36 
c) Die Begründung des Verwaltungsgericht trifft davon abgesehen auch in der Sache nicht zu.
37 
aa) Das EZKS unterscheidet in seinen Gutachten vom 26.5.2008 und 17.2.2010 zur Gefährdung der im Irak lebenden Yeziden zwischen verschiedenen Gebieten, nämlich zum einen den de jure (und de facto) von der Kurdischen Regionalverwaltung verwalteten Gebieten, d.h. den - aus Teilen der Provinzen Dohuk, Erbil, Suleymaniya, Kirkuk, Diyala und Niniveh zusammengesetzten - Gebieten, die bereits im Zeitpunkt des Einmarschs der alliierten Truppen in den Irak (19.3.2003) von den damals noch zwei kurdischen Regionalregierungen kontrolliert wurden, sowie den „umstrittenen Gebieten“, d.h. den Gebieten, die sowohl von der Kurdischen Regionalverwaltung als auch der irakischen Zentralregierung beansprucht werden. Was die zuletzt genannten Gebiete betrifft, wird weiter unterschieden zwischen de facto von der Kurdischen Regionalverwaltung verwalteten Gebieten, d.h. Gebieten, in denen bestimmte Verwaltungs- bzw. Schutzaufgaben von der Kurdischen Regionalverwaltung bzw. den kurdischen Parteien KDP und PUK übernommen werden, sowie Gebieten, in denen dies nicht der Fall ist und die somit nicht nur de jure, sondern auch de facto von der irakischen Zentralregierung verwaltet werden.
38 
Eine exakte Benennung der Gebiete, die de facto von der Kurdischen Regionalverwaltung verwaltet werden, ist nach den Ausführungen des EZKS nur mit großen Schwierigkeiten möglich. Nach dem Gutachten vom 17.2.2010 kann jedoch als sicher gelten, dass die Distrikte Sheikhan und al-Sheikhan insgesamt de facto unter kurdischer Kontrolle stehen (Gutachten, S. 12).
39 
bb) Zu der Frage, ob und inwieweit im Sheikhan-Gebiet lebende Yeziden durch andere Bevölkerungsgruppen gefährdet sind, heißt es im Gutachten des EZKS vom 17.2.2010 (S. 23), die Sicherheitslage im Sheikhan sei insbesondere wegen seiner direkten Verbindung zu den de jure kurdisch verwalteten Gebieten grundsätzlich besser als im Sindjar. Auch der Bericht der UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) zur Lage in den umstrittenen Gebieten bezeichne die Sicherheitslage im Sheikhan als vergleichsweise stabil. Für die Zeit zwischen Februar 2007 und September 2008 würden in diesem Bericht nur fünf registrierte Sicherheitsvorfälle genannt. Auch in den diversen Menschenrechtsberichten etc. fänden sich keine Hinweise darauf, dass es im Sheikhan Übergriffe sunnitischer Extremisten auf Yeziden oder Christen gegeben habe. Auch zu Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und yezidischen Kurden wie am 15.2.2007 in Ain Sifni im Anschluss an einen Konflikt zwischen Eheleuten solle es seither nicht mehr gekommen sein. Übergriffe gegenüber Yeziden, die in Opposition zur Politik der kurdischen Allianz stünden, seien ebenfalls nicht dokumentiert. In dem genannten Gutachten werden lediglich Klagen einzelner Yeziden zitiert, nach denen sie von den Kurden aus Dohuk, Erbil und Suleymaniya wie Bürger zweiter Klasse behandelt würden. Von yezidischer Seite werde ferner kritisiert, dass Yeziden innerhalb der Sicherheitskräfte (Peschmerga, Polizei, Geheimdienst) nicht hinreichend repräsentiert seien. Darüber hinaus hätten sich Mitglieder der antikurdischen Yezidischen Bewegung darüber beklagt, dass sie in Sheikhan kein Parteibüro eröffnen dürften (S. 23 f.).
40 
Von einer der aus dem Sheikhan-Gebiet stammenden Yeziden drohenden Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure kann danach offensichtlich keine Rede sein, da es an der dafür erforderlichen Verfolgungsdichte fehlt (im Ergebnis ebenso OVG Saarland, Urt. v. 29.3.2012 - 3 A 456/11 - Juris; OVG NRW, Beschl. v. 28.3.2011 - 9 A 2563/10.A - Juris).
II.
41 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das bedarf, was die in § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG geregelten Abschiebungsverbote betrifft, keiner näheren Begründung. In Betracht zu ziehen ist allein das Bestehen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 2 oder § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG.
42 
1. Nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG, mit dem die sich aus Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 Buchst. c Qualifikationsrichtlinie ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht umgesetzt werden, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u. a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c Qualifikationsrichtlinie nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wofür Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe typische Beispiele sind (BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, aaO).
43 
Die Frage, ob die derzeitige Situation im Irak die landesweit oder auch nur regional gültige Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts rechtfertigt, dürfte hiervon ausgehend zu verneinen sein. Die Frage kann jedoch auf sich beruhen, da selbst bei der Annahme eines solchen Konflikts ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG nur besteht, wenn der Ausländer einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben „im Rahmen“ dieses Konflikts ausgesetzt ist. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht gegeben.
44 
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2009 - 10 C 9.08 - (BVerwGE 134, 188) kann sich die nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG erforderliche Individualisierung der sich aus einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ergebenden allgemeinen Gefahr nicht nur aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann vielmehr unabhängig davon auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nach den oben gemachten Ausführungen zu verneinen. Die erforderliche Individualisierung könnte sich daher nur durch einen besonders hohen Grad der dem Kläger in seiner Heimatregion drohenden allgemeinen Gefahren ergeben, vor denen er auch in den übrigen Teilen des Irak keinen Schutz finden kann. Nach den dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen lässt sich jedoch für die Gegend des Sheikhan, aus welcher der Kläger nach seinen Angaben stammt, ein so hoher Gefahrengrad, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in diesem Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, nicht feststellen.
45 
2. Auch ein (national begründetes) Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ist im Falle des Klägers nicht erkennbar.
46 
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn diesem dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Dies setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer hingegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG, die nicht nur ihn persönlich, sondern zugleich die gesamte Bevölkerung oder seine Bevölkerungsgruppe allgemein treffen, wird - abgesehen von Fällen der richtlinienkonformen Auslegung bei Anwendung von Art. 15 lit. c der Qualifikationsrichtlinie für internationale oder innerstaatliche bewaffnete Konflikte - der Abschiebungsschutz grundsätzlich nur durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 S. 1 AufenthG gewährt. Beim Fehlen einer solchen Regelung kommt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nur zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke in Betracht, d.h. nur zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage in dem Sinne, dass dem Ausländer sehenden Auges der sichere Tod droht oder er schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten hätte (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, aaO). Eine solche extreme konkrete Gefahrenlage besteht für den Kläger im Hinblick auf das oben Ausgeführte nicht.
47 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Gründe

 
16 
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Hauptantrag des Klägers zu Unrecht entsprochen. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG liegen entgegen seiner Ansicht nicht vor (unten I). Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 S. 2 AufenthG bzw. § 60 Abs. 5 oder 7 S. 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben, so dass die Klage auch mit den vom Kläger gestellten Hilfsanträgen keinen Erfolg haben kann (unten II).
I.
17 
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht zu der Feststellung verpflichtet, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen und dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist.
18 
1. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die beklagte Bundesrepublik Deutschland sei für das Asylverfahren des Klägers zuständig, auch wenn der Kläger zuvor einen Asylantrag in Griechenland gestellt habe. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
19 
a) Der Kläger hat am 23.5.2006 in Griechenland einen ersten und nach seiner zwischenzeitlichen Rückkehr in den Irak am 3.2.2008 einen weiteren Asylantrag in Deutschland gestellt. Wegen des zuvor in Griechenland durchgeführten Asylverfahrens hat das Bundesamt mit Schreiben vom 10.4.2008 ein Aufnahmeersuchen an Griechenland gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, (im Folgenden: Dublin II-VO) gestellt, auf das Griechenland nicht innerhalb von zwei Monaten geantwortet hat. Nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO ist in einem solchen Fall davon auszugehen, dass der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
20 
Das hat auch das Verwaltungsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt. Es hat gleichwohl angenommen, dass die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO von Griechenland auf die Beklagte übergangen sei, da der Kläger nicht innerhalb der in Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO vorgesehenen Frist an Griechenland überstellt worden sei. Den Umstand, dass die erkennende Kammer die Beklagte mit Beschluss vom 16.10.2008 durch eine einstweilige Anordnung verpflichtet hat, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig für die Dauer von sechs Monaten auszusetzen, hat das Verwaltungsgericht dabei für unerheblich erklärt, da diese Anordnung keinen Rechtsbehelf darstelle, der aufschiebende Wirkung habe. Der Beschluss habe daher keinen Einfluss auf den Ablauf der für die Überstellung geltenden Frist. Das steht, wie die Beklagte zu Recht beanstandet, mit Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO nicht in Einklang.
21 
aa) Die Überstellung des Asylbewerbers von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, „sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch den anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat“ (Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO). Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde (Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO).
22 
Nach der im deutschen (nationalen) Recht geltenden Regelung in § 34 a Abs. 2 AsylVfG darf die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Das Gleiche gilt nach der Neufassung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 für die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat. Im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93 - (BVerfGE 94, 49) hat sich das Verwaltungsgericht trotz dieser Regelung für berechtigt gehalten, die Abschiebung des Klägers nach Griechenland auf dessen Antrag auszusetzen, da nach den vorliegenden Erkenntnisquellen zur Situation und Behandlung von Flüchtlingen in Griechenland davon auszugehen sei, dass dem Kläger dort kein Asylverfahren offen stehe, das die Mindestnormen für Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß der Europäischen Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1.12.2005 einhalte. Ebenso wenig sei gewährleistet, dass in Griechenland die Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern gemäß der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.1.2003 eingehalten würden. Die Verletzung der genannten Normen und die damit einher gehenden Grundrechts- und Menschenrechtsverletzungen seien als Sonderfall anzusehen, in dem § 34 a Abs. 2 AsylVfG nicht anzuwenden sei.
23 
bb) Mit dieser Entscheidung ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts der Lauf der Frist für die Überstellung des Klägers an Griechenland gehemmt worden.
24 
Die in Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO vorgesehene Frist berücksichtigt die organisatorischen Schwierigkeiten, die mit der Durchführung der Überstellung verbunden sind, und verfolgt das Ziel, es den beiden betroffenen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich im Hinblick auf die Durchführung abzustimmen, und es insbesondere dem ersuchenden Mitgliedstaat zu erlauben, die Modalitäten für die Durchführung der Überstellung zu regeln, die nach den nationalen Rechtsvorschriften dieses letztgenannten Staates erfolgt. Das gilt auch für den in der Vorschrift genannten Fall, dass der ersuchende Mitgliedstaat einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung kennt und das Gericht dieses Mitgliedstaats seiner Entscheidung eine derartige Wirkung beilegt, da auch in diesem Fall jeder der beiden betroffenen Mitgliedstaaten bei der Organisation der Überstellung den gleichen praktischen Schwierigkeiten gegenübersteht und deshalb über die gleiche Frist von sechs Monaten verfügen soll, um die Überstellung des Asylbewerbers zu bewerkstelligen. Der Lauf der in Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO vorgesehenen Frist beginnt daher in dem genannten Fall nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die der Durchführung dieses Verfahrens nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urt. v. 29.1.2009 - C-19/08 - NVwZ 2009, 639).
25 
Für den Beginn der in Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO vorgesehenen Frist kann es danach entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht auf den in den §§ 80, 123 VwGO gemachten Unterschied zwischen der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs und einer einstweiligen Anordnung ankommen. Dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16.10.2008 liegt die Auffassung zu Grunde, dass das deutsche (nationale) Recht es unter bestimmten, vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall bejahten Voraussetzungen gestattet, die Abschiebung eines Asylbewerbers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat und damit die Durchführung des in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vorgesehenen Überstellungsverfahrens auszusetzen. Damit greift die genannte Überlegung, wonach die betroffenen Mitgliedstaaten auch für den Fall, dass der ersuchende Mitgliedstaat einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung kennt und das Gericht dieses Mitgliedstaats seiner Entscheidung eine derartige Wirkung beilegt, eine Frist von sechs Monaten verfügen sollen, um die Überstellung des Asylbewerbers zu bewerkstelligen. Ob die Durchführung des Überstellungsverfahrens in Folge einer nach § 80 VwGO oder in Folge einer nach § 123 VwGO getroffenen gerichtlichen Entscheidung ausgesetzt ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
26 
b) Die Zuständigkeit der Beklagten für die Prüfung des Asylantrags des Klägers ergibt sich jedoch aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO.
27 
Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist, und wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung. Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, dessen Ausübung integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, aaO) lässt dieses Asylsystem die Annahme zu, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention finden. Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Sie ist widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren. Der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ist in einem solchen Fall verpflichtet, den Asylantrag selbst zu prüfen, sofern nicht ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann.
28 
Nach dem in Anschluss an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.1.2011 (M.S.S./Belgien und Griechenland) ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21.12.2011 (aaO) ist davon auszugehen, dass die große Zahl von Asylbewerbern, die in den letzten Jahren über Griechenland in die Union gelangt sind, es den griechischen Behörden unmöglich gemacht hat, diesen Zustrom zu bewältigen. Der Europäische Gerichtshof ist deshalb der Meinung, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren. Die Beklagte hätte danach den Asylantrag des Klägers nicht als unzulässig abweisen dürfen, sondern den Antrag sachlich prüfen müssen.
29 
2. Das Verwaltungsgericht hat die somit notwendige sachliche Prüfung des Asylantrags des Klägers selbst vorgenommen. Das entspricht der Rechtslage.
30 
Nach § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO spricht das Gericht, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten begünstigenden Verwaltungsaktes rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde zum Erlass dieses Verwaltungsakts aus, wenn die Sache spruchreif ist. Nach § 86 Abs. 1 VwGO hat das Gericht im Rahmen des Klagebegehrens alle für die Entscheidung maßgebenden tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs in eigener Verantwortung festzustellen. Das Gericht muss danach die Streitsache im Sinne des § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO in vollem Umfang spruchreif machen. Es ist deshalb grundsätzlich nicht zulässig, dass das Verwaltungsgericht bei rechtswidriger Verweigerung des begehrten Verwaltungsakts lediglich die Ablehnung aufhebt und der Behörde mit gewissermaßen zurückverweisender Wirkung die Prüfung und Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen aufgibt. Vielmehr hat es die notwendigen Prüfungen und Feststellungen selbst vorzunehmen und sodann abschließend in der Sache zu entscheiden (stRspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 10.2.1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Pflicht des Gerichts, die Streitsache spruchreif zu machen, gilt auch in Verfahren, in denen das Bundesamt - wie hier - einen Asylantrag zu Unrecht als unzulässig abgewiesen hat.
31 
3. Das Verwaltungsgericht ist jedoch bei seiner Prüfung zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen liegen entgegen seiner Ansicht nicht vor.
32 
a) Nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Anders als im Anwendungsbereich des Art. 16a Abs. 1 GG, der grundsätzlich nur Schutz vor staatlicher Verfolgung gewährt, kann eine Verfolgung in diesem Sinne gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ausgehen von (a) dem Staat, (b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder (c) „nichtstaatlichen Akteuren“, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten „Akteure“ einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht Willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten. Für die Feststellung, ob eine solche Verfolgung vorliegt, sind gemäß § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie, ABl. EU 2004 Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden.
33 
Die Gefahr eigener Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Ausländer selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms - eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss. Diese für die staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind auch auf die private Verfolgung durch „nichtstaatliche Akteure“ übertragbar (BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237).
34 
b) In Anwendung dieser Grundsätze hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG mit der Begründung bejaht, dass die aus dem Sheikhan-Gebiet stammenden Yeziden einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt seien. Es hat dazu näher ausgeführt, die Beklagte gehe bei Yeziden, soweit sie aus dem Zentralirak oder dem Süden des Landes stammten, von einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure aus. Nach dem Gutachten des Europäischen Zentrums für kurdische Studien (EZKS) vom 26.5.2008 liege das Sheikhan-Gebiet im Grenzgebiet zwischen Zentral- und Nordirak. Es gehöre verwaltungstechnisch und rechtlich zur Provinz Niniwe/Mosul und stehe damit de jure unter zentralirakischer Verwaltung. Mithin treffe die von der Beklagten für Yeziden aus dem Zentralirak angenommene Gruppenverfolgung auch für die aus dem Sheikhan-Gebiet stammenden Yeziden zu.
35 
Das reicht als Begründung schon für sich genommen nicht aus. Das Verwaltungsgericht hat zum einen nicht geprüft, ob die Annahme der Beklagten zutrifft, dass Yeziden, soweit sie aus dem Zentralirak oder dem Süden des Landes stammten, einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt sind, sondern hat diese Annahme ohne weiteres als feststehende Tatsache übernommen. Es hat zum anderen hieraus geschlossen, dass auch die aus dem Sheikhan-Gebiet stammenden Yeziden einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt seien, da das Sheikhan-Gebiet de jure unter zentralirakischer Verwaltung stehe, ohne der sich aufdrängenden Frage nachzugehen, ob eine de jure bestehende Verwaltungshoheit auch bedeutet, dass die betreffenden Gebiete de facto unter zentralirakischer Verwaltung stehen. Das ist umso weniger zu verstehen, als in dem auch vom Verwaltungsgericht zitierten Gutachten des EZKS vom 26.5.2008 ausführlich auf diesen Unterschied eingegangen wird.
36 
c) Die Begründung des Verwaltungsgericht trifft davon abgesehen auch in der Sache nicht zu.
37 
aa) Das EZKS unterscheidet in seinen Gutachten vom 26.5.2008 und 17.2.2010 zur Gefährdung der im Irak lebenden Yeziden zwischen verschiedenen Gebieten, nämlich zum einen den de jure (und de facto) von der Kurdischen Regionalverwaltung verwalteten Gebieten, d.h. den - aus Teilen der Provinzen Dohuk, Erbil, Suleymaniya, Kirkuk, Diyala und Niniveh zusammengesetzten - Gebieten, die bereits im Zeitpunkt des Einmarschs der alliierten Truppen in den Irak (19.3.2003) von den damals noch zwei kurdischen Regionalregierungen kontrolliert wurden, sowie den „umstrittenen Gebieten“, d.h. den Gebieten, die sowohl von der Kurdischen Regionalverwaltung als auch der irakischen Zentralregierung beansprucht werden. Was die zuletzt genannten Gebiete betrifft, wird weiter unterschieden zwischen de facto von der Kurdischen Regionalverwaltung verwalteten Gebieten, d.h. Gebieten, in denen bestimmte Verwaltungs- bzw. Schutzaufgaben von der Kurdischen Regionalverwaltung bzw. den kurdischen Parteien KDP und PUK übernommen werden, sowie Gebieten, in denen dies nicht der Fall ist und die somit nicht nur de jure, sondern auch de facto von der irakischen Zentralregierung verwaltet werden.
38 
Eine exakte Benennung der Gebiete, die de facto von der Kurdischen Regionalverwaltung verwaltet werden, ist nach den Ausführungen des EZKS nur mit großen Schwierigkeiten möglich. Nach dem Gutachten vom 17.2.2010 kann jedoch als sicher gelten, dass die Distrikte Sheikhan und al-Sheikhan insgesamt de facto unter kurdischer Kontrolle stehen (Gutachten, S. 12).
39 
bb) Zu der Frage, ob und inwieweit im Sheikhan-Gebiet lebende Yeziden durch andere Bevölkerungsgruppen gefährdet sind, heißt es im Gutachten des EZKS vom 17.2.2010 (S. 23), die Sicherheitslage im Sheikhan sei insbesondere wegen seiner direkten Verbindung zu den de jure kurdisch verwalteten Gebieten grundsätzlich besser als im Sindjar. Auch der Bericht der UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) zur Lage in den umstrittenen Gebieten bezeichne die Sicherheitslage im Sheikhan als vergleichsweise stabil. Für die Zeit zwischen Februar 2007 und September 2008 würden in diesem Bericht nur fünf registrierte Sicherheitsvorfälle genannt. Auch in den diversen Menschenrechtsberichten etc. fänden sich keine Hinweise darauf, dass es im Sheikhan Übergriffe sunnitischer Extremisten auf Yeziden oder Christen gegeben habe. Auch zu Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und yezidischen Kurden wie am 15.2.2007 in Ain Sifni im Anschluss an einen Konflikt zwischen Eheleuten solle es seither nicht mehr gekommen sein. Übergriffe gegenüber Yeziden, die in Opposition zur Politik der kurdischen Allianz stünden, seien ebenfalls nicht dokumentiert. In dem genannten Gutachten werden lediglich Klagen einzelner Yeziden zitiert, nach denen sie von den Kurden aus Dohuk, Erbil und Suleymaniya wie Bürger zweiter Klasse behandelt würden. Von yezidischer Seite werde ferner kritisiert, dass Yeziden innerhalb der Sicherheitskräfte (Peschmerga, Polizei, Geheimdienst) nicht hinreichend repräsentiert seien. Darüber hinaus hätten sich Mitglieder der antikurdischen Yezidischen Bewegung darüber beklagt, dass sie in Sheikhan kein Parteibüro eröffnen dürften (S. 23 f.).
40 
Von einer der aus dem Sheikhan-Gebiet stammenden Yeziden drohenden Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure kann danach offensichtlich keine Rede sein, da es an der dafür erforderlichen Verfolgungsdichte fehlt (im Ergebnis ebenso OVG Saarland, Urt. v. 29.3.2012 - 3 A 456/11 - Juris; OVG NRW, Beschl. v. 28.3.2011 - 9 A 2563/10.A - Juris).
II.
41 
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Das bedarf, was die in § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG geregelten Abschiebungsverbote betrifft, keiner näheren Begründung. In Betracht zu ziehen ist allein das Bestehen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 2 oder § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG.
42 
1. Nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG, mit dem die sich aus Art. 18 in Verbindung mit Art. 15 Buchst. c Qualifikationsrichtlinie ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht umgesetzt werden, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u. a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c Qualifikationsrichtlinie nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wofür Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe typische Beispiele sind (BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, aaO).
43 
Die Frage, ob die derzeitige Situation im Irak die landesweit oder auch nur regional gültige Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts rechtfertigt, dürfte hiervon ausgehend zu verneinen sein. Die Frage kann jedoch auf sich beruhen, da selbst bei der Annahme eines solchen Konflikts ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG nur besteht, wenn der Ausländer einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben „im Rahmen“ dieses Konflikts ausgesetzt ist. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht gegeben.
44 
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2009 - 10 C 9.08 - (BVerwGE 134, 188) kann sich die nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG erforderliche Individualisierung der sich aus einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ergebenden allgemeinen Gefahr nicht nur aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann vielmehr unabhängig davon auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nach den oben gemachten Ausführungen zu verneinen. Die erforderliche Individualisierung könnte sich daher nur durch einen besonders hohen Grad der dem Kläger in seiner Heimatregion drohenden allgemeinen Gefahren ergeben, vor denen er auch in den übrigen Teilen des Irak keinen Schutz finden kann. Nach den dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen lässt sich jedoch für die Gegend des Sheikhan, aus welcher der Kläger nach seinen Angaben stammt, ein so hoher Gefahrengrad, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in diesem Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, nicht feststellen.
45 
2. Auch ein (national begründetes) Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ist im Falle des Klägers nicht erkennbar.
46 
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn diesem dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Dies setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer hingegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG, die nicht nur ihn persönlich, sondern zugleich die gesamte Bevölkerung oder seine Bevölkerungsgruppe allgemein treffen, wird - abgesehen von Fällen der richtlinienkonformen Auslegung bei Anwendung von Art. 15 lit. c der Qualifikationsrichtlinie für internationale oder innerstaatliche bewaffnete Konflikte - der Abschiebungsschutz grundsätzlich nur durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 S. 1 AufenthG gewährt. Beim Fehlen einer solchen Regelung kommt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nur zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke in Betracht, d.h. nur zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage in dem Sinne, dass dem Ausländer sehenden Auges der sichere Tod droht oder er schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten hätte (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, aaO). Eine solche extreme konkrete Gefahrenlage besteht für den Kläger im Hinblick auf das oben Ausgeführte nicht.
47 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
48 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

(1) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden (Grenzbehörden) sind zuständig für die Maßnahmen und Entscheidungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 3 und Abs. 2 Nr. 1, wenn ein Drittstaatsangehöriger im grenznahen Raum der Bundesrepublik Deutschland in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise aus einem angrenzenden Mitgliedstaat angetroffen wurde und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser oder ein anderer angrenzender Mitgliedstaat nach dem Übereinkommen gemäß § 1 Nr. 1 oder der Verordnung nach § 1 Nr. 2 zuständig ist.

(2) Die in Absatz 1 genannten Behörden sind zuständig für die Maßnahmen und Entscheidungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3, wenn ein Drittstaatsangehöriger aus der Bundesrepublik Deutschland in einen angrenzenden Staat unerlaubt eingereist ist und dort im grenznahen Raum angetroffen wurde und eine mit grenzpolizeilichen Aufgaben betraute Behörde für das Auf- und Wiederaufnahmeersuchen zuständig ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für die Zollverwaltung.

(1) Für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen sind die Ausländerbehörden zuständig. Die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle kann bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. Nach Satz 2 kann durch die zuständigen Stellen der betroffenen Länder auch geregelt werden, dass den Ausländerbehörden eines Landes für die Bezirke von Ausländerbehörden verschiedener Länder Aufgaben zugeordnet werden. Für die Vollziehung von Abschiebungen ist in den Ländern jeweils eine zentral zuständige Stelle zu bestimmen. Die Länder sollen jeweils mindestens eine zentrale Ausländerbehörde einrichten, die bei Visumanträgen nach § 6 zu Zwecken nach den §§ 16a, 16d, 17 Absatz 1, den §§ 18a, 18b, 18c Absatz 3, den §§ 18d, 18f, 19, 19b, 19c und 20 sowie bei Visumanträgen des Ehegatten oder der minderjährigen ledigen Kinder zum Zweck des Familiennachzugs, die in zeitlichem Zusammenhang gestellt werden, die zuständige Ausländerbehörde ist.

(2) Im Ausland sind für Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. Das Auswärtige Amt wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Entscheidung über Anträge auf Erteilung eines Visums zu übertragen. Soweit von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, stehen dem Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten die Befugnisse zur Datenverarbeitung sowie alle sonstigen Aufgaben und Befugnisse einer Auslandsvertretung bei der Erteilung von Visa gemäß Absatz 3 Nummer 3 Buchstabe b sowie gemäß den §§ 54, 66, 68, 69, 72, 72a, 73, 73a, 75, 87, 90c, 91d und 91g zu.

(3) Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden sind zuständig für

1.
die Zurückweisung und die Zurückschiebung an der Grenze, einschließlich der Überstellung von Drittstaatsangehörigen auf Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird,
1a.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bei oder nach der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2016/399 (Binnengrenze) aufgegriffen wird,
1b.
Abschiebungen an der Grenze, sofern der Ausländer bereits unerlaubt eingereist ist, sich danach weiter fortbewegt hat und in einem anderen Grenzraum oder auf einem als Grenzübergangsstelle zugelassenen oder nicht zugelassenen Flughafen, Flug- oder Landeplatz oder See- oder Binnenhafen aufgegriffen wird,
1c.
die Befristung der Wirkungen auf Grund der von ihnen vorgenommenen Ab- und Zurückschiebungen nach § 11 Absatz 2, 4 und 8,
1d.
die Rückführungen von Ausländern aus anderen und in andere Staaten; die Zuständigkeit besteht neben derjenigen der in Absatz 1 und in Absatz 5 bestimmten Stellen,
1e.
die Beantragung von Haft und die Festnahme, soweit es zur Vornahme der in den Nummern 1 bis 1d bezeichneten Maßnahmen erforderlich ist,
2.
die Erteilung eines Visums und die Ausstellung eines Passersatzes nach § 14 Abs. 2 sowie die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2a,
3.
die Rücknahme und den Widerruf eines nationalen Visums sowie die Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009
a)
im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, soweit die Voraussetzungen der Nummer 1a oder 1b erfüllt sind,
b)
auf Ersuchen der Auslandsvertretung, die das Visum erteilt hat, oder
c)
auf Ersuchen der Ausländerbehörde, die der Erteilung des Visums zugestimmt hat, sofern diese ihrer Zustimmung bedurfte,
4.
das Ausreiseverbot und die Maßnahmen nach § 66 Abs. 5 an der Grenze,
5.
die Prüfung an der Grenze, ob Beförderungsunternehmer und sonstige Dritte die Vorschriften dieses Gesetzes und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen und Anordnungen beachtet haben,
6.
sonstige ausländerrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen, soweit sich deren Notwendigkeit an der Grenze ergibt und sie vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hierzu allgemein oder im Einzelfall ermächtigt sind,
7.
die Beschaffung von Heimreisedokumenten im Wege der Amtshilfe in Einzelfällen für Ausländer,
8.
die Erteilung von in Rechtsvorschriften der Europäischen Union vorgesehenen Vermerken und Bescheinigungen vom Datum und Ort der Einreise über die Außengrenze eines Mitgliedstaates, der den Schengen-Besitzstand vollständig anwendet; die Zuständigkeit der Ausländerbehörden oder anderer durch die Länder bestimmter Stellen wird hierdurch nicht ausgeschlossen.

(4) Für die erforderlichen Maßnahmen nach den §§ 48, 48a und 49 Absatz 2 bis 9 sind die Ausländerbehörden, die Polizeivollzugsbehörden der Länder sowie bei Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Bundespolizei und andere mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörden zuständig. In den Fällen des § 49 Abs. 4 sind auch die Behörden zuständig, die die Verteilung nach § 15a veranlassen. In den Fällen des § 49 Absatz 5 Nummer 5 und 6 sind die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. In den Fällen des § 49 Absatz 8 und 9 sind auch die Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und die Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge befugt, bei Tätigwerden in Amtshilfe die erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei ausländischen Kindern oder Jugendlichen, die unbegleitet in das Bundesgebiet eingereist sind, vorzunehmen; diese Maßnahmen sollen im Beisein des zuvor zur vorläufigen Inobhutnahme verständigten Jugendamtes und in kindgerechter Weise durchgeführt werden.

(5) Für die Zurückschiebung sowie die Durchsetzung der Verlassenspflicht des § 12 Abs. 3 und die Durchführung der Abschiebung und, soweit es zur Vorbereitung und Sicherung dieser Maßnahmen erforderlich ist, die Festnahme und Beantragung der Haft sind auch die Polizeien der Länder zuständig.

(6) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat oder die von ihm bestimmte Stelle entscheidet im Benehmen mit dem Auswärtigen Amt über die Anerkennung von Pässen und Passersatzpapieren (§ 3 Abs. 1); die Entscheidungen ergehen als Allgemeinverfügung und können im Bundesanzeiger bekannt gegeben werden.

(1) Ein Ausländer, der in Verbindung mit der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Verordnung (EU) 2016/399 (Außengrenze) aufgegriffen wird, soll zurückgeschoben werden.

(2) Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, der durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, Norwegen oder die Schweiz auf Grund einer am 13. Januar 2009 geltenden zwischenstaatlichen Übernahmevereinbarung wieder aufgenommen wird, soll in diesen Staat zurückgeschoben werden; Gleiches gilt, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird.

(3) § 58 Absatz 1b, § 59 Absatz 8, § 60 Absatz 1 bis 5 und 7 bis 9, die §§ 62 und 62a sind entsprechend anzuwenden.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsanordnung der Antragsgegnerin vom 24.08.2010 wird angeordnet.

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Antragsgegnerin ist sinngemäß darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24.08.2010 anzuordnen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 75 AsylVfG).
Der Antrag ist statthaft; § 34a Abs. 2 AsylVfG, der seinem Wortlaut nach vorläufigen Rechtsschutz bei Abschiebungen nach § 34a Abs. 1 AsylVfG ausschließt, steht nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei der geplanten Abschiebung des Antragstellers um eine solche nach § 34a Abs. 1 AsylVfG. Der Antragsteller soll nach Italien als dem gemäß § 27a AsylVfG i. V. m. Art. 16 Abs. 1 e), Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003, geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1103/2008 - im Folgenden: Verordnung Dublin II - sowie Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 (DVO Dublin II) für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat überstellt werden.
Der generelle Ausschluss vorläufigen Rechtsschutzes in allen Fällen des § 27a AsylVfG ist jedoch mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar; er ist nicht nach Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG zu rechtfertigen. Denn mit § 27a AsylVfG wird nicht von der Drittstaatenregelung des Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG Gebrauch gemacht, sondern die Regelung findet ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung allein in Art. 16a Abs. 5 GG und Art. 23 GG, in deren Anwendungsbereich effektiver Rechtsschutz verfassungsrechtlich in jedem Fall zu gewährleisten ist (vgl. dazu Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Okt. 2009, § 34a, Rnr. 89). Selbst wenn man aber in Rechnung stellt, dass hier von einer Einreise des Antragstellers aus Italien ausgegangen wird und damit auch ein Fall des Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG vorliegt, in dem der Ausschluss vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich verfassungsrechtlich möglich ist, ist die Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG dennoch entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Drittstaatenregelung (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, BVerfGE 94, 49) verfassungskonform einschränkend auszulegen. Danach ist davon auszugehen, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG vorläufigen Rechtsschutz nicht generell verbietet, sondern dieser in Sonderfällen, die außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im EU-Mitgliedsstaat liegen, nach den allgemeinen Regeln möglich bleibt. Dabei kann der Ausländer eine Prüfung, ob der Abschiebung ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem Sonderfall betroffen ist; an diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen. Das Konzept normativer Vergewisserung über die Sicherheit in EU-Mitgliedsstaaten wie in Drittstaaten bezieht sich darauf, dass diese Staaten Flüchtlingen den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Menschenrechtskonvention gebotenen Schutz gewähren. Es setzt voraus, dass es schutzsuchenden Ausländern nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen möglich ist, ein Schutzgesuch tatsächlich anzubringen und dadurch die Verpflichtung einer zuständigen Stelle zu begründen, hierüber nach vorgängiger Prüfung eine Entscheidung zu treffen. Ein Sonderfall, der durch Umstände außerhalb der Grenzen des Konzepts begründet sein muss, kann daher ausnahmsweise dann zu bejahen sein, wenn sich ein Staat von seinen mit dem Beitritt zu den beiden Konventionen eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird (BVerfG, a. a. O.). Ein Sonderfall ist mit Blick auf die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Überstellungen von Flüchtlingen nach Griechenland (Urteil vom 21.01.2001 - 30696/09 -) ebenfalls zu bejahen, wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solch erhebliche strukturelle Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird. Dann verletzt nicht nur der Staat, in den der Flüchtling überstellt wird, sondern auch der überstellende Staat Art. 13 i. V. m. Art. 3 EMRK (vgl. dazu im einzelnen Urteil des EGMR, Nrn. 288 ff., 300 ff., 321, 385 ff.).
Nach den vorliegenden Erkenntnissen spricht Überwiegendes dafür, dass beim Antragsteller ein Sonderfall vorliegt und er bei einer Überstellung nach Italien keinen Schutz entsprechend der europaweit vereinbarten Mindeststandards erlangen würde (ebenso für Fälle der Überstellung nach Italien VG Minden, Beschlüsse vom 28.09.2010 - 3 L 491/10. A - und vom 07.12.2010 - 3 L 625/10. A -, VG Darmstadt, Beschlüsse vom 09.11.2010 - 4 L 1455/10.DA.A (1) und vom 11.01.2011 - 4 L 1889/10.DA.A, VG Weimar, Beschluss vom 15.12.2010 - 5 E 20190/10 We -, VG Köln, Beschlüsse vom 10.01.2011 - 20 L 1920/10.A - und vom 11.01.2011 - 16 L. 1913/10.A -; dagegen VG Düsseldorf, Urteil vom 30.07.2010 - 13 K 3075/10.A - und Beschluss vom 07.01.2011 - 21 L 2285/10.A -, VG München, Beschluss vom 04.01.2011 - M 22 E 10.31257 -, VG Regensburg, Beschlüsse vom 11.11.2010 - RN 7 S 10.10464 - und vom 14.01.2011 - RO 7 S 11.30018 -, VG Trier, Beschluss vom 20.12.2010 - 5 L 1483/10 (TR)).
Daraus ergibt sich zugleich, dass in der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO dem Interesse des Antragstellers an Aussetzung der Abschiebung der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der nach summarischer Prüfung rechtswidrigen Abschiebungsanordnung gebührt.
Der Antragsteller hat nach Aktenlage und eigenen Angaben im Jahr 2007 in Italien einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt worden ist. Mit seinem im März 2010 in der Bundesrepublik gestellten Folgeantrag trägt er vor, Italien im Oktober 2008 verlassen zu haben, nach Togo zurückgekehrt und von dort aus nach erneuten Problemen in die Bundesrepublik geflogen zu sein. Dieser Folgeantrag muss entsprechend der europaweit vereinbarten Verfahrensgarantien geprüft und binnen angemessener Frist schriftlich mit dem Hinweis auf mögliche Rechtsbehelfe beschieden werden (vgl. Art. 32 ff., Art. 34 Abs. 1 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG). Dafür wäre nach Art. 20 i.V.m. Art. 16 Abs. 1e) Verordnung Dublin II i.V.m. Art. 4 DVO-Dublin II mangels Beleg des Antragstellers für seine Rückkehr nach Togo Italien zuständig.
Derzeit spricht aber vieles dafür, dass der Antragsteller in Italien die gebotene Prüfung und Bescheidung seines Schutzgesuchs nicht erreichen wird. Auch wenn Italien, wie die Antragsgegnerin betont, alle europarechtlich vereinbarten Standards zum Flüchtlingsschutz in nationales Recht übernommen hat, ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass seine Praxis von den normativen Vorgaben abweicht, wie etwa die vom UNHCR wie auch von amnesty international ausdrücklich kritisierte Abschiebung von Bootsflüchtlingen nach Libyen ohne Prüfung ihres asylrechtlichen Schutzbedarfs zeigt (vgl. Stellungnahme UNHCR vom 7.5.2009; ai Jahresbericht 2010). Die neueren Berichte von Bethke und Bender nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010 wie auch der schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht von November 2009 deuten darauf hin, dass gerade die von der Antragsgegnerin zitierte Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Sowohl der detaillierte Bericht von Bethke und Bender zur Situation in Rom und Turin als auch derjenige der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht schildern Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden. In beiden Berichten werden die Schwierigkeiten der Asylbewerber beschrieben, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben.
Diesen Berichten hat die Antragsgegnerin nichts substantiiert entgegengesetzt. Die Tatsache, dass es bei Italien keine Empfehlung des UNHCR wie bei Griechenland gibt, Asylsuchenden nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nicht. Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, dass Italien seit mehreren Jahren ein nationales System zum Schutz und zur Unterbringung von Flüchtlingen – SPRAR – unterhalte und dass humanitäre Organisationen die angemessene Unterbringung und Versorgung in den Aufnahmeeinrichtungen sicherstellten, ist dem entgegenzuhalten, dass SPRAR landesweit nur 3.000 Plätze vorhält (vgl. Bethke/Bender, a. a. O.; ebenso Schweizerische Beobachtungsstelle, a. a. O. sowie der vom VG Regensburg zitierte Bericht der evangelischen Landeskirche Baden www.ekiba.de/download/271010-Bericht-Aufnahmebedingungen-Du/110-Dt.pdf). Daneben gebe es zwar einzelne kommunale Unterbringungsprojekte und private, meist kirchliche Unterkünfte, die aber bei weitem nicht ausreichten, um die obdachlosen Flüchtlinge aufzunehmen. Dieser Befund von Bethke/Bender wie auch der Schweizerischen Beobachtungsstelle erscheint nach den von der Antragsgegnerin mitgeteilten Zahlen der Asylanträge in Italien durchaus plausibel. Selbst wenn man zugrunde legt, dass sich die Zahl im Jahr 2009 im Verhältnis zum Vorjahr um mehr als die Hälfte reduziert hat, spricht die Zahl von 15.444 Anträgen im Jahr 2009 – gerade im Verhältnis zu den 3.000 SPRAR-Plätzen - für sich.
Soweit die Antragsgegnerin einwendet, die genannten Berichte befassten sich nicht flächendeckend mit der Situation von Asylbewerbern in Italien, sondern rügten konkret die Zustände für Ausländer aus Somalia, Eritrea und Äthiopien in den Ballungszentren Rom und Turin, während der Antragsteller aus Togo stamme und während seines Italienaufenthalts in Neapel gelebt habe, übersieht sie, dass er nach der Übernahmeerklärung Italiens vom 19.08.2010 nicht nach Neapel, sondern nach Lamezia Terme oder nach Rom abgeschoben werden soll. Mit der Situation in Rom befasst sich der Bericht von Bethke/Bender ausführlich; Lamezia Terme liegt im äußersten Süden Italiens, wo die Strukturen nach dem Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle besonders überlastet sind. Dazu passt, dass nach Aussage der medizinischen Koordinatorin der Organisation „Médecins sans Frontières“ nach einer Ende 2008 durchgeführten Untersuchung der Lebensbedingungen von Migranten in italienischen Zentren das Zentrum in Lamezia Terme sofort geschlossen werden müsste, weil es völlig ungeeignet sei, Menschen unter vernünftigen Lebensbedingungen aufzunehmen (zit. nach www.africa-news.eu/news-italy, Meldung vom 03.02.2010, siehe auch Médecins sans Frontières, Over the Wall, A tour of Italy´s migrant centres, Jan. 2010). Dafür, dass die geschilderten Zustände, wie die Antragsgegnerin wohl meint, nur Flüchtlinge aus Somalia, Eritrea und Äthiopien beträfen, ist den Berichten nichts zu entnehmen. Auch sonst liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller als Togoer in irgendeiner Weise gegenüber anderen afrikanischen Flüchtlingen bevorzugt werden könnte.
10 
Aus den von der Antragsgegnerin angeführten Gerichtsentscheidungen für die Zulässigkeit einer Überstellung nach Italien, darunter auch des schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts vom 15.07.2010 - D-4987/2010 - und des Österreichischen Asylgerichtshofs vom 03.05.2010 - S16412.104-1/2010-4E -, ergeben sich keine neuen Erkenntnisse über die tatsächliche Situation für Asylbewerber in Italien. Der vom Verwaltungsgericht Regensburg als Beleg für die Verbesserung der Aufnahmebedingungen in den letzten Jahren zitierte Bericht der evangelischen Landeskirche Baden (a.a.O.) besagt nur, dass die Umsetzung der Asylverfahrensrichtlinie in Italien erstmals zur Schaffung von Aufnahmezentren geführt hat, enthält aber gerade keine Aussage zu der Mehrheit der Flüchtlinge, die in diesen Zentren keinen Platz findet.
11 
Nach den genannten Berichten erscheint es derzeit auch wenig wahrscheinlich, dass der Antragsteller von Italien aus sein Klagverfahren in Deutschland gegen die Abschiebungsanordnung weiterbetreiben könnte. Post würde ihn als Obdachlosen kaum erreichen; auch den Asylbewerbern, die nicht nur auf der Straße leben, sondern eine Schlafmöglichkeit in einem der besetzten Häuser finden, können nach dem Bericht von Bethke/Bender keine Briefe zugestellt werden. Auch dies ist mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes in der Abwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Gunsten des Antragstellers zu berücksichtigen. Zwar gibt es im Anwendungsbereich der Verordnung Dublin II grundsätzlich kein subjektives Recht auf Durchführung des Asylverfahrens im richtigen Mitgliedstaat; wegen der Möglichkeit, dass das Schutzbegehren des Antragstellers hier in den Schutzbereich von Art. 16a Abs. 1 GG fällt, muss jedoch auch eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle hinsichtlich der Frage der Zuständigkeit Deutschlands erfolgen (vgl. dazu auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 27a, Rn. 138).
12 
Hinter dem Anspruch des Antragstellers auf Schutz entsprechend der europaweit vereinbarten Mindeststandards hat das gemeinschaftsrechtliche Interesse an der Umsetzung der Zuständigkeitsregelungen der Verordnung Dublin II zurückzutreten, zumal die Mängel des derzeitigen europäischen Asylsystems auf Gemeinschaftsebene bekannt sind und u.a. an einer Änderung der Verordnung Dublin II gearbeitet wird (so VG Minden, Beschl. vom 28.09.2010 - 3 L 491/10.A -).
13 
Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Regierungspräsidium Karlsruhe als für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde (§ 8 AAZuVO) bereits die Abschiebungsanordnung übersandt und damit den Vollzug seiner Entscheidung in Gang gesetzt hat, war der Antragsgegnerin zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes für den Antragsteller entsprechend § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO aufzugeben, dem Regierungspräsidium die Aussetzung der Abschiebung mitzuteilen. Ihr bleibt es unbenommen, bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu stellen.
14 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag erübrigt sich angesichts des Erfolgs des Eilrechtsschutzantrags.
15 
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, sein Asylantrag sei unzulässig, und die gleichzeitig verfügte Abschiebungsanordnung nach Italien.
Der am … 1990 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger yezidischer Glaubenszugehörigkeit aus Sheikhan in der Provinz Mosul. Er wurde am 22.10.2011 bei seiner Einreise ins Bundesgebiets in Bad Säckingen aufgegriffen und gab anlässlich seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 23.10.2011 an, dass er nach seiner Ausreise aus dem Irak nach Istanbul gefahren und von dort nach Italien gelangt sei. In Italien habe man ihn gezwungen, sich Fingerabdrücke nehmen zu lassen, weil er sonst nichts zu essen und trinken bekommen hätte. Er sei auch geschlagen und damit bedroht worden, ins Gefängnis gesteckt zu werden. Eine Eurodac-Überprüfung ergab für Italien einen Treffer unter dem 20.10.2011. Ab dem 24.10.2011 befand sich der Kläger aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Bad Säckingen vom 24.10.2011 - UR 2/11 - in Zurückschiebehaft in der JVA Mannheim, aus der er am 31.10.2011 einen Asylantrag stellte.
Am 26.10.2011 richtete die Bundesrepublik Deutschland ein Aufnahmeersuchen an die italienischen Behörden, was von dort am 18.11.2011 positiv beantwortet wurde.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.11.2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Asylantrag deshalb unzulässig sei, weil Italien nach der Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Umstände, die zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland führen könnten, seien weder dargetan noch ersichtlich. Italien erfülle gegenüber Asylbewerbern die Mindeststandards. Da es sich bei Italien um einen sicheren Drittstaat handle, sei aufgrund des Konzepts der normativen Vergewisserung davon auszugehen, dass dort die Anwendung der GFK und der EMRK sichergestellt sei. Auch sei davon auszugehen, dass die einschlägigen Regelungen des EG-Rechts in Italien eingehalten würden. Auch von Seiten des UNHCR gebe es keine Aufforderung an die Mitgliedstaaten, von Überstellungen nach Italien abzusehen.
Der Bundesamtsbescheid wurde dem Kläger-Vertreter am 14.11.2011 zugestellt.
Bereits am 09.11.2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Nach aktuellen Erkenntnissen werde Flüchtlingen in Italien kein faires Asylverfahren eröffnet. Sie erhielten dort keinen Schutz entsprechend den europaweit vereinbarten Mindeststandards. Die große Mehrheit von ihnen sei ungeschützt, ohne Obdach, Integrationshilfe und gesicherten Zugang zu Nahrung. Gerade in den Wintermonaten stelle sich die Situation der Asylsuchenden als sehr prekär dar. Insgesamt seien die Verhältnisse in Italien mit denen in Griechenland zu vergleichen. Danach sei Italien nicht in der Lage, den flüchtlingspolitischen Anforderungen gerecht zu werden.
Am 18.11.2011 hat der Kläger Klage erhoben.
Zu deren Begründung nimmt er auf die Ausführungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Bezug.
Der Kläger beantragt,
10 
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 aufzuheben.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angegriffene Entscheidung und verweist ergänzend auf Beiträge der deutschen Liaison-Beamtin in Italien.
14 
Mit Beschluss vom 28.11.2011 - A 3 K 2985/11 - hat die Einzelrichterin die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Anordnung der Abschiebung nach Italien angeordnet und der Beklagten aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Klägers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden dürfe.
15 
Mit Beschluss vom 07.12.2011 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
16 
Ebenfalls mit Beschluss vom 07.12.2011 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und sein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
17 
Am 22.12.2011 wurde der Kläger beim Bundesamt angehört und hat dort folgende Angaben gemacht: Seine gesamte Familie sei zwischenzeitlich in Deutschland. Er habe ein Jahr lang in Syrien gelebt und bei der Deutschen Botschaft in Damaskus erfolglos ein Visum zur Familienzusammenführung beantragt. Als er danach wieder in den Irak zurückgekehrt sei, habe er nicht gewusst, wohin er habe gehen sollen, da seine Familie das Haus bereits verkauft gehabt habe. Zunächst habe er zwei Tage bei seiner Tante väterlicherseits gewohnt, von dort sei er nach Sulaimaniya und danach nach Arbil gegangen. Dort habe er mit Alkohol gehandelt. Deshalb habe es zunehmend Drohungen gegen ihn gegeben. Außerdem habe man ihn als Yeziden diskriminiert. Da er allein gewesen sei und nicht gewusst habe, wohin er habe gehen sollen, sei er zu seiner in Deutschland lebenden Familie gekommen. Seine bei der polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben zum Reiseweg seien zutreffend.
18 
In der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger ergänzend befragt und hat Folgendes angegeben: Am 07.10.2011 sei er aus dem Irak ausgereist. Seine Familie sei zu dieser Zeit bereits in Deutschland gewesen. Grund für seine Ausreise sei die Lage der Yeziden im Irak gewesen. Er sei bereits zuvor nach Syrien gereist, um von dort aus ein Visum zur Familienzusammenführung mit seinem in Deutschland lebenden Vater zu beantragen. Nachdem dieses abgelehnt worden sei, sei er in den Irak zurückgekehrt. Dort habe er jedoch keine Familie mehr gehabt. Er habe erfolglos versucht, in Arbil und Sulaimaniya Arbeit zu finden. Als Yezide sei ihm dies jedoch nicht gelungen.
19 
Auf Frage nach individuellen Problemen unabhängig von seiner Glaubenszugehörigkeit: Er habe dort nicht mehr leben können und auch kein Geld mehr gehabt.
20 
Auf Vorhalt, dass er bei der Bundesamtsanhörung von Bedrohungen wegen seines Handels mit Alkohol gesprochen habe: Mit Alkohol habe er nicht gehandelt. Er sei in einem Lokal als Bedienung tätig gewesen und habe in Arbil Alkohol ausgeschenkt. Auch in Sulaimaniya habe er keine Arbeit gefunden. Eine Woche habe er in Rania gearbeitet. Dann sei er in seinen Heimatort zurückgekehrt und mit seinem irakischen Reisepass in die Türkei gefahren. Ein Schleuser habe ihn illegal zu Fuß nach Griechenland gebracht. Dieser habe ihm auch versprochen, ihn per Lkw direkt nach Deutschland zu bringen. Mit dem Lkw sei er in vier Tagen bis zur Küste gefahren. Dann habe er in ein mit über 100 Personen völlig überfülltes Boot steigen müssen. In diesem sei er nach Italien gelangt. Die italienischen Behörden hätten ihm gesagt, er müsse seine Fingerabdrücke abgeben, da er sonst nichts zu essen bekäme und verhaftet würde. Zunächst habe er sich geweigert, aber so kein Essen bekommen und hungrig schlafen müssen. Zwei Tage habe man ihn in Haft gehalten und dann vier Tage lang in einer Asylaufnahmeeinrichtung untergebracht. In dieser sei die Lage nicht gut gewesen. Es habe viele Kurden und Yeziden dort gegeben. Es habe sich dem Grunde nach um ein großes Zelt gehandelt, wo sie hätten schlafen müssen. Es habe nur schlechtes und billiges Essen gegeben. Die Bedingungen seien miserabel gewesen. Wäre er dort geblieben, hätte er betteln müssen. Die Kurden und Yeziden seien in wenig von der Kirche unterstützt worden.
21 
Auf Frage: Man habe ihm gesagt, dass er einen Asylantrag stellen solle. Er habe sich jedoch geweigert, weil er zu seinen Eltern habe weiterreisen wollen.
22 
Er habe gesehen, wie die Flüchtlinge hätten betteln müssen. Er habe dort nicht bleiben können und sei deshalb mit einem Pkw zunächst über Mailand in die Schweiz und dann mit einem weiteren Pkw nach Deutschland gekommen.
23 
Eine Rückkehr in den Irak komme für ihn nicht in Betracht. Er habe dort keine Familie, keine Arbeit und kein Geld. Er würde getötet werden und verhungern.
24 
Dem Gericht liegen die einschlägigen Akten des Bundesamtes vor. Diese Akten wurden ebenso wie die Erkenntnismittel, die in der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste aufgeführt sind, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Eingeführt wurden auch die aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlichen aktuellen Erkenntnisse. Beigezogen wurde außerdem die Akte des Eilverfahrens A 3 K 2985/11.

Entscheidungsgründe

 
25 
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß bewirkten Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
26 
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
27 
Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -, juris; VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u.a. -, InfAuslR 2009, 406; v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A.; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27 a Rdnr. 18; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/09.WI.A -; wohl auch VG Sigmaringen, Urt. v. 26.10.2009 - A 1 K 1757/09 -). Im Falle der Aufhebung einer solchen Entscheidung ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens eröffnet. Vergleichbar den Fällen einer Einstellung des Asylverfahrens nach § 32 AsylVfG sowie der gerichtlichen Entscheidung bei einer fiktiven Antragsrücknahme nach § 33 AsylVfG ist im Anschluss an die hierzu ergangene einschlägige Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94, NVwZ 1996, S. 80; Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m.w.N.) auch bei einer Entscheidung nach § 27 a AsylVfG die Verpflichtungsklage mit dem Ziel einer Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht als vorrangig anzusehen. Im Falle des Durchentscheidens des Verwaltungsgerichts durch Verpflichtungsurteil würde dem Kläger nämlich eine Tatsacheninstanz, und zwar die auf inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt, genommen.
28 
Statthafte Klageart gegen die in dem Bescheid vom 10.11.2011 enthaltenen Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG ist gleichfalls die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 34 a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a.a.O., § 34 a Rdnr. 64;).
29 
Dem Kläger steht für seine Klage auch das zwingend erforderliche Rechtsschutzinteresse zu, da er weiterhin nach Italien rücküberstellt werden könnte, nachdem Italien am 18.11.2011 der Rückübernahme des Klägers zugestimmt hat. Zudem läuft die Sechs-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 4 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - im Folgenden: Dublin II-VO -, wonach die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens auf den Mitgliedstaat übergeht, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, sofern die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten ab der Stattgabe des Aufnahmegesuchs im Sinne des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO durchgeführt wird (vgl. auch Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO), erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urt. v. 29.01.2009 - C-19/08, NVwZ 2009, 639 - Petrosian). Der Fristenlauf beginnt somit erst ab Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides der Beklagten vom 10.11.2011.
30 
Die Klage ist auch begründet.
31 
Der Bescheid des Bundesamtes vom 10.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Unrecht den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet. Vielmehr hätte das Bundesamt im Falle des Klägers von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen müssen.
32 
Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der das Selbsteintrittsrecht wahrnehmende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Satz 2). Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (Satz 3).
33 
Der Kläger kann sich auch auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO berufen. Diese Bestimmung ist - anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 25) - nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Vergünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung besitzen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 [24]= NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04.12.1974 - Rs. C-41/74, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53 [71]= NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 124 m.w.N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der EuGH in seinem zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ergangenen Urteil vom 29.01.2009 (C-19/08, NVwZ 2009, S. 639 Rdnr. 38, 48 zu Fragen des Rechtsschutzes - Petrosian) aus. Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO lediglich ein - gegebenenfalls aber auf Null reduziertes - Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08.30122 -; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 134 f. und 223 m.w.N.; Marx, a.a.O., § 27 a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u.a und des Belgischen Conseil d'Etat/Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
34 
Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vor.
35 
Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann abweichend davon jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Kläger fällt als Drittstaatsangehöriger im Sinne des Art. 2 lit. a) Dublin II-VO, der einen Asylantrag gemäß Art. 2 lit. c) Dublin II-VO gestellt hat, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Es steht fest, dass eine Zuständigkeit der Beklagten nach den Kriterien in Kapitel III dieser Verordnung, die sich auf Zugehörigkeit zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen kraft Ehe, eheähnlicher Gemeinschaft oder Sorgeberechtigten im Falle der Minderjährigkeit, sofern diese Minderjährigen ledig und unterhaltsberechtigt sind, nicht gegeben ist. Gleichermaßen verhält es sich mit der humanitären Klausel des Art. 15 Dublin II-VO, für deren Anwendung der vorliegende Sachverhalt keine Anhaltspunkte bietet.
36 
Daher kann der Kläger sich allein auf ein Recht auf Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO als für ihn günstige Norm berufen, um als Ausnahme von den Zuständigkeitsregeln der Verordnung die Prüfung seines Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen.
37 
Aus dem Wortlaut dieser Norm ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck allerdings nicht in der Norm selbst seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 220; Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der Fassung des Amsterdamer Vertrags vom 02.10.1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt.
38 
Nach Art. 63 Satz 1 Nr. 1 a) EG beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erlassen. Nach deren Erwägungsgrund Nr. 4 soll die Verordnung insbesondere die rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ermöglichen, „um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.“ In dem Erwägungsgrund Nr. 5 der Verordnung wird deren Ziel dahingehend bestimmt, dass diese - erstens - im Zusammenhang mit der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylrechts stehe und dass - zweitens - das bis dahin geltende Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15.06.1990 (Dubliner Übereinkommen) die Durchführung der europäischen Asylrechtsharmonisierung gefördert habe und deswegen mit bestimmten Änderungen fortzuentwickeln sei. Weiterhin wird im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 der Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
39 
Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet (ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1): „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.“ Diese Vorschrift ist wie die Charta insgesamt kein unmittelbar geltendes und verbindliches Gemeinschaftsrecht, sondern formell lediglich „soft law“ (vgl. nur Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Erwägungsgründe K 29; Korte, in: Berg/Kampfer [Hrsg.], Verfassung für Europa, 2004, S. 65 [70]). In Art. 6 Abs. 1 des EU- Vertrags wird ausdrücklich auf die Charta der Grundrechte Bezug genommen und diese für den Fall des Inkrafttretens des Vertrags in europäischen Verfassungsrang erhoben. Unabhängig davon hat die Charta der Grundrechte nicht nur in die Verordnung (EG) Nr. 343/2003, sondern in eine Vielzahl von Rechtsakten der Europäischen Union Eingang gefunden (vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 5 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27.01.2003, ABl. L 31 S. 18; Erwägungsgrund Nr. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004, ABl. L 304 S. 12 - so genannte Qualifikationsrichtlinie; Erwägungsgrund Nr. 8 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft vom 01.12.2005, ABl. L 326 S. 13 Erwägungsgrund Nr. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22.09.2003, ABL. L 251 S. 12) und wird vom EuGH als Rechtserkenntnisquelle in ständiger Spruchpraxis mit herangezogen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 27.06.2006 - C-540/03, NJW 2006, 3266 - Parlament vs. Rat; EuGH, Urt. v. 03.09.2008 - C-402/05, NJW 2008, 3697 - Kadi u.a.; EuGH, Urt. v. 16.12.2008 - C-47/07, - Masdar; EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07, NVwZ 2009, 705 - Elgafaji; EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, N.S., juris; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432/05, NJW 2007, 3555 - Angelidaki u.a. sowie EuGH, Urt. v. 20.09.2007 - C-116/06, EuZW 2007, 741 - Kiiski, jeweils zur Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte vom 09.12.1989). Durch die entsprechende Berücksichtigung der Charta der Grundrechte sowohl in unionsrechtlichen Verordnungen und Richtlinien als auch in der Spruchpraxis des EuGH ist auch Art. 18 der Charta der Grundrechte elementarer und zwingend zu berücksichtigender Bestandteil der Rechtsordnung der Europäischen Union.
40 
Unter Berücksichtigung der genannten Richtlinien des Rates, denen das Ziel gemeinsam ist, das in ihnen vergegenständlichte materielle und formelle Asylrecht in ein gemeinsames europäisches Asylrecht der Mitgliedstaaten zu transformieren, ist davon auszugehen, dass die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 mit ihren Bestimmungen, welcher Mitgliedstaat zuständig für ein Asylbegehren ist, im Lichte dieser europäischen Rechtsakte für ein gemeinsames Asylrecht auszulegen ist, und zwar - soweit die Umsetzungsfrist abgelaufen ist - unabhängig von dem Stand ihrer Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Es ist festzustellen, dass die Zuständigkeitsregelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 das Bestehen eines gemeinsamen europäischen Asylrechts voraussetzen, wie sie ihren Ausdruck in den oben genannten Richtlinien gefunden haben (so auch VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.)
41 
Insofern ist es für einen Asylsuchenden grundsätzlich zumutbar, in Ausführung dieser Regeln auf einen anderen Mitgliedstaat verwiesen zu werden, da seine materiellen Rechte kraft dieser Richtlinien in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten sind. Soweit allerdings das mit den oben genannten Richtlinien statuierte materielle oder formelle Asylrecht in einem Mitgliedstaat in nicht genügender Weise transformiert worden ist oder aus anderen Gründen nicht zur Anwendung gelangt, dispensieren die Zuständigkeitsregeln der Verordnung den Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wird, nicht von seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nach der GFK, den Asylantrag zu prüfen. Insoweit ist der Selbsteintritt in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zumindest auch als Instrument zur Gewährleistung des subjektiven Rechts eines Antragstellers auf Prüfung seines Asylantrages auszulegen, und zwar zu dem Zweck, ein richtlinienkonformes Asylverfahren zu gewährleisten, wenn zu erwarten ist, dass ihm ein solches Verfahren in dem Mitgliedstaat der Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht zugänglich ist.
42 
Dann ist auch ein Sonderfall gegeben, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49; Beschl. v. 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann ein Sonderfall etwa dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit dem Beitritt zur GFK und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solch erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 -, M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413). Schließlich ist auch nach Auffassung des EuGH (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) trotz der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der GFK und der EMRK steht, die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechtecharta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
43 
Nach den dem Gericht vorliegenden und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Informationen, wie sie auch den ebenfalls eingeführten Entscheidungen des VG Magdeburg (Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -) und des VG Freiburg (Beschl. v. 17.02.2012 - A 2 K 286/12 - unter Hinweis auf Beschl. v. 02.02.2012, a.a.O.) zugrundelagen, ist in Bezug auf das italienische Asylverfahren von Folgendem auszugehen:
44 
Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-VO dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig. Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im Wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-VO auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
45 
Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im Wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italien-bericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id= 428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat. org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben. All dies wird nochmals von Bender in „Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist“ (Asylmagazin 1-2/12, S. 11) auf den aktuellen Stand gebracht und vollumfänglich bestätigt.
46 
Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die meisten der zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im Wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d 6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/ it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
47 
Schließlich hat auch der Kläger selbst die miserable Versorgung mit dem Allernotnotwendigsten eindrücklich geschildert, insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass er, wäre er länger in Italien geblieben, hätte betteln müssen, um nicht zu verhungern.
48 
Den zitierten Berichten hat die Beklagte nichts Substantiiertes entgegengesetzt und in ihrer Begründung, wie sie zu der Abschiebungsanordnung nach Italien gekommen ist, vorrangig die Erkenntnisquellen verwertet, die vor dem Frühjahr 2011 erhoben wurden. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung des Gerichts nicht; auch das BVerfG hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschl. v. 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Beklagten darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt beruft sich in erster Linie, wie auch die Beklagte im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
49 
Nach alledem ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) dafür vorliegen, dass der Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt.
50 
Diese schwerwiegenden Beeinträchtigungen führen zu der rechtlichen Schlussfolgerung dass dem Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Beklagte nur dadurch genügt werden kann, vorliegend die Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO wegen einer Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen.
51 
Der streitgegenständliche Bescheid vom 10.11.2011 ist daher aufzuheben.
52 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Gründe

 
25 
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß bewirkten Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
26 
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
27 
Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -, juris; VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u.a. -, InfAuslR 2009, 406; v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A.; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27 a Rdnr. 18; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/09.WI.A -; wohl auch VG Sigmaringen, Urt. v. 26.10.2009 - A 1 K 1757/09 -). Im Falle der Aufhebung einer solchen Entscheidung ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens eröffnet. Vergleichbar den Fällen einer Einstellung des Asylverfahrens nach § 32 AsylVfG sowie der gerichtlichen Entscheidung bei einer fiktiven Antragsrücknahme nach § 33 AsylVfG ist im Anschluss an die hierzu ergangene einschlägige Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94, NVwZ 1996, S. 80; Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m.w.N.) auch bei einer Entscheidung nach § 27 a AsylVfG die Verpflichtungsklage mit dem Ziel einer Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht als vorrangig anzusehen. Im Falle des Durchentscheidens des Verwaltungsgerichts durch Verpflichtungsurteil würde dem Kläger nämlich eine Tatsacheninstanz, und zwar die auf inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt, genommen.
28 
Statthafte Klageart gegen die in dem Bescheid vom 10.11.2011 enthaltenen Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG ist gleichfalls die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 34 a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a.a.O., § 34 a Rdnr. 64;).
29 
Dem Kläger steht für seine Klage auch das zwingend erforderliche Rechtsschutzinteresse zu, da er weiterhin nach Italien rücküberstellt werden könnte, nachdem Italien am 18.11.2011 der Rückübernahme des Klägers zugestimmt hat. Zudem läuft die Sechs-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 4 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - im Folgenden: Dublin II-VO -, wonach die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens auf den Mitgliedstaat übergeht, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, sofern die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten ab der Stattgabe des Aufnahmegesuchs im Sinne des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO durchgeführt wird (vgl. auch Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO), erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urt. v. 29.01.2009 - C-19/08, NVwZ 2009, 639 - Petrosian). Der Fristenlauf beginnt somit erst ab Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides der Beklagten vom 10.11.2011.
30 
Die Klage ist auch begründet.
31 
Der Bescheid des Bundesamtes vom 10.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Unrecht den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet. Vielmehr hätte das Bundesamt im Falle des Klägers von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen müssen.
32 
Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der das Selbsteintrittsrecht wahrnehmende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Satz 2). Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (Satz 3).
33 
Der Kläger kann sich auch auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO berufen. Diese Bestimmung ist - anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 25) - nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Vergünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung besitzen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 [24]= NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04.12.1974 - Rs. C-41/74, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53 [71]= NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 124 m.w.N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der EuGH in seinem zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ergangenen Urteil vom 29.01.2009 (C-19/08, NVwZ 2009, S. 639 Rdnr. 38, 48 zu Fragen des Rechtsschutzes - Petrosian) aus. Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO lediglich ein - gegebenenfalls aber auf Null reduziertes - Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08.30122 -; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 134 f. und 223 m.w.N.; Marx, a.a.O., § 27 a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u.a und des Belgischen Conseil d'Etat/Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
34 
Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vor.
35 
Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann abweichend davon jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Kläger fällt als Drittstaatsangehöriger im Sinne des Art. 2 lit. a) Dublin II-VO, der einen Asylantrag gemäß Art. 2 lit. c) Dublin II-VO gestellt hat, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Es steht fest, dass eine Zuständigkeit der Beklagten nach den Kriterien in Kapitel III dieser Verordnung, die sich auf Zugehörigkeit zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen kraft Ehe, eheähnlicher Gemeinschaft oder Sorgeberechtigten im Falle der Minderjährigkeit, sofern diese Minderjährigen ledig und unterhaltsberechtigt sind, nicht gegeben ist. Gleichermaßen verhält es sich mit der humanitären Klausel des Art. 15 Dublin II-VO, für deren Anwendung der vorliegende Sachverhalt keine Anhaltspunkte bietet.
36 
Daher kann der Kläger sich allein auf ein Recht auf Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO als für ihn günstige Norm berufen, um als Ausnahme von den Zuständigkeitsregeln der Verordnung die Prüfung seines Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen.
37 
Aus dem Wortlaut dieser Norm ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck allerdings nicht in der Norm selbst seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 220; Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der Fassung des Amsterdamer Vertrags vom 02.10.1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt.
38 
Nach Art. 63 Satz 1 Nr. 1 a) EG beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erlassen. Nach deren Erwägungsgrund Nr. 4 soll die Verordnung insbesondere die rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ermöglichen, „um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.“ In dem Erwägungsgrund Nr. 5 der Verordnung wird deren Ziel dahingehend bestimmt, dass diese - erstens - im Zusammenhang mit der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylrechts stehe und dass - zweitens - das bis dahin geltende Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15.06.1990 (Dubliner Übereinkommen) die Durchführung der europäischen Asylrechtsharmonisierung gefördert habe und deswegen mit bestimmten Änderungen fortzuentwickeln sei. Weiterhin wird im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 der Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
39 
Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet (ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1): „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.“ Diese Vorschrift ist wie die Charta insgesamt kein unmittelbar geltendes und verbindliches Gemeinschaftsrecht, sondern formell lediglich „soft law“ (vgl. nur Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Erwägungsgründe K 29; Korte, in: Berg/Kampfer [Hrsg.], Verfassung für Europa, 2004, S. 65 [70]). In Art. 6 Abs. 1 des EU- Vertrags wird ausdrücklich auf die Charta der Grundrechte Bezug genommen und diese für den Fall des Inkrafttretens des Vertrags in europäischen Verfassungsrang erhoben. Unabhängig davon hat die Charta der Grundrechte nicht nur in die Verordnung (EG) Nr. 343/2003, sondern in eine Vielzahl von Rechtsakten der Europäischen Union Eingang gefunden (vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 5 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27.01.2003, ABl. L 31 S. 18; Erwägungsgrund Nr. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004, ABl. L 304 S. 12 - so genannte Qualifikationsrichtlinie; Erwägungsgrund Nr. 8 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft vom 01.12.2005, ABl. L 326 S. 13 Erwägungsgrund Nr. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22.09.2003, ABL. L 251 S. 12) und wird vom EuGH als Rechtserkenntnisquelle in ständiger Spruchpraxis mit herangezogen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 27.06.2006 - C-540/03, NJW 2006, 3266 - Parlament vs. Rat; EuGH, Urt. v. 03.09.2008 - C-402/05, NJW 2008, 3697 - Kadi u.a.; EuGH, Urt. v. 16.12.2008 - C-47/07, - Masdar; EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07, NVwZ 2009, 705 - Elgafaji; EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, N.S., juris; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432/05, NJW 2007, 3555 - Angelidaki u.a. sowie EuGH, Urt. v. 20.09.2007 - C-116/06, EuZW 2007, 741 - Kiiski, jeweils zur Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte vom 09.12.1989). Durch die entsprechende Berücksichtigung der Charta der Grundrechte sowohl in unionsrechtlichen Verordnungen und Richtlinien als auch in der Spruchpraxis des EuGH ist auch Art. 18 der Charta der Grundrechte elementarer und zwingend zu berücksichtigender Bestandteil der Rechtsordnung der Europäischen Union.
40 
Unter Berücksichtigung der genannten Richtlinien des Rates, denen das Ziel gemeinsam ist, das in ihnen vergegenständlichte materielle und formelle Asylrecht in ein gemeinsames europäisches Asylrecht der Mitgliedstaaten zu transformieren, ist davon auszugehen, dass die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 mit ihren Bestimmungen, welcher Mitgliedstaat zuständig für ein Asylbegehren ist, im Lichte dieser europäischen Rechtsakte für ein gemeinsames Asylrecht auszulegen ist, und zwar - soweit die Umsetzungsfrist abgelaufen ist - unabhängig von dem Stand ihrer Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Es ist festzustellen, dass die Zuständigkeitsregelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 das Bestehen eines gemeinsamen europäischen Asylrechts voraussetzen, wie sie ihren Ausdruck in den oben genannten Richtlinien gefunden haben (so auch VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.)
41 
Insofern ist es für einen Asylsuchenden grundsätzlich zumutbar, in Ausführung dieser Regeln auf einen anderen Mitgliedstaat verwiesen zu werden, da seine materiellen Rechte kraft dieser Richtlinien in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten sind. Soweit allerdings das mit den oben genannten Richtlinien statuierte materielle oder formelle Asylrecht in einem Mitgliedstaat in nicht genügender Weise transformiert worden ist oder aus anderen Gründen nicht zur Anwendung gelangt, dispensieren die Zuständigkeitsregeln der Verordnung den Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wird, nicht von seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nach der GFK, den Asylantrag zu prüfen. Insoweit ist der Selbsteintritt in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zumindest auch als Instrument zur Gewährleistung des subjektiven Rechts eines Antragstellers auf Prüfung seines Asylantrages auszulegen, und zwar zu dem Zweck, ein richtlinienkonformes Asylverfahren zu gewährleisten, wenn zu erwarten ist, dass ihm ein solches Verfahren in dem Mitgliedstaat der Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht zugänglich ist.
42 
Dann ist auch ein Sonderfall gegeben, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49; Beschl. v. 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann ein Sonderfall etwa dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit dem Beitritt zur GFK und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solch erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 -, M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413). Schließlich ist auch nach Auffassung des EuGH (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) trotz der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der GFK und der EMRK steht, die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechtecharta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
43 
Nach den dem Gericht vorliegenden und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Informationen, wie sie auch den ebenfalls eingeführten Entscheidungen des VG Magdeburg (Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -) und des VG Freiburg (Beschl. v. 17.02.2012 - A 2 K 286/12 - unter Hinweis auf Beschl. v. 02.02.2012, a.a.O.) zugrundelagen, ist in Bezug auf das italienische Asylverfahren von Folgendem auszugehen:
44 
Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-VO dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig. Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im Wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-VO auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
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Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im Wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italien-bericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id= 428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat. org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben. All dies wird nochmals von Bender in „Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist“ (Asylmagazin 1-2/12, S. 11) auf den aktuellen Stand gebracht und vollumfänglich bestätigt.
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Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die meisten der zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im Wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d 6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/ it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
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Schließlich hat auch der Kläger selbst die miserable Versorgung mit dem Allernotnotwendigsten eindrücklich geschildert, insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass er, wäre er länger in Italien geblieben, hätte betteln müssen, um nicht zu verhungern.
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Den zitierten Berichten hat die Beklagte nichts Substantiiertes entgegengesetzt und in ihrer Begründung, wie sie zu der Abschiebungsanordnung nach Italien gekommen ist, vorrangig die Erkenntnisquellen verwertet, die vor dem Frühjahr 2011 erhoben wurden. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung des Gerichts nicht; auch das BVerfG hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschl. v. 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Beklagten darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt beruft sich in erster Linie, wie auch die Beklagte im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
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Nach alledem ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) dafür vorliegen, dass der Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt.
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Diese schwerwiegenden Beeinträchtigungen führen zu der rechtlichen Schlussfolgerung dass dem Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Beklagte nur dadurch genügt werden kann, vorliegend die Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO wegen einer Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen.
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Der streitgegenständliche Bescheid vom 10.11.2011 ist daher aufzuheben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.