Verwaltungsgericht Mainz Urteil, 13. Dez. 2017 - 3 K 1425/16.MZ

ECLI:ECLI:DE:VGMAINZ:2017:1213.3K1425.16.00
bei uns veröffentlicht am13.12.2017

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, welche diese selbst zu tragen haben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen eine den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zur Vorgartengestaltung mit Errichtung von Stützmauern.

2

Sie sind Eigentümer des in B. gelegenen Grundstücks Im R... ..., Flur ... Flurstücke .../2 und ... (zwischenzeitlich zu einem Flurstück vereinigt). Den Beigeladenen gehört das östlich angrenzende Grundstück Im R... ..., Flur ... Flurstück .../3. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „R. - I. R.“ der Beklagten und fallen von Süd nach Nord ab.

3

Mit Bauschein vom 16. September 1971 wurde dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen die bauaufsichtliche Genehmigung zur Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück Flurstück .../3 erteilt.

4

Mit weiterem Bauschein vom 24. November 1993 erteilte die Beklagte den Beigeladenen die bauaufsichtliche Genehmigung zum Neubau einer Doppelgarage sowie eines geneigten Dachs auf dem bestehenden Flachdach des Wohnhauses.

5

Am 30. Dezember 2015 beantragten die Beigeladenen die bauaufsichtliche Genehmigung zur Neugestaltung des Vorgartens unter Errichtung von Stützmauern. Ausweislich der dem Bauantrag beigefügten Baupläne sollen mehrere parallel zur Straße im R... verlaufende Stützmauern – teils mit Versprüngen - errichtet werden. Dabei verlaufen die als Stützmauern 1 und 2 bezeichneten Mauern mit einer Breite von jeweils 0,3 m und – bezogen auf das vorhandene Grundstücksniveau auf dem Grundstück der Beigeladenen – einer Höhe von 2,47 m (Stützmauer 1) bzw. 2,60 m (Stützmauer 2) senkrecht auf das klägerische Grundstück zu.

6

Mit Bauschein vom 15. Januar 2016 erteilte die Beklagte den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Ein Abdruck wurde den Klägern am 19. Januar 2016 zugestellt.

7

Mit ihrem am 10. Februar 2016 erhobenen Widerspruch trugen die Kläger vor, die genehmigten Stützmauern stünden nicht mit Abstandsflächenrecht in Einklang. Sie seien bereits nach § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO unzulässig, da sie mit 2,47 m bzw. 2,60 m die höchstzulässige Höhe für Stützmauern von 2 m überschritten. Bezogen auf die natürliche Geländeoberfläche auf ihrem Grundstück seien die Stützmauern noch deutlich höher. Überdies seien die Mauern ihnen gegenüber rücksichtslos, da von ihnen eine erdrückende Wirkung ausgehe. Die Belichtung ihres Grundstücks werde speziell in den Sommermonaten bis in den Nachmittag hinein erheblich eingeschränkt.

8

Der Widerspruch der Kläger wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11. November 2016 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Abstandsflächenvorschriften seien nicht verletzt. Insbesondere gingen von den streitgegenständlichen Stützmauern keine Wirkungen wie von oberirdischen Gebäuden aus. Im Übrigen sei hinsichtlich der Höhe der Mauern auf das Grundstücksniveau auf dem Grundstück der Beigeladenen abzustellen, welche vor rund 45 Jahren hergestellt worden und damit natürliche Geländeoberfläche sei.

9

Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids am 15. November 2016 haben die Kläger am 8. Dezember 2016 Klage erhoben. Sie tragen unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens ergänzend vor: In Anbetracht ihres Umfangs und der Größe gingen von den beiden Stützmauern Wirkungen wie von oberirdischen Gebäuden aus. Es sei unzutreffend, dass die Geländeoberfläche auf dem Grundstück der Beigeladenen vor 45 Jahren modelliert worden sei, denn das jetzige Geländeniveau finde seine Grundlage in der 1993 genehmigten Errichtung der Doppelgarage auf dem Grundstück der Beigeladenen. Die Mauern böten eine erhöhte Einsichtsmöglichkeit in ihr Grundstück. Jedenfalls verstießen sie gegen § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO. Insoweit spiele es keine Rolle, dass sie nicht parallel zu ihrer Grundstücksgrenze verliefen, denn eine solche Differenzierung sei dem Abstandsflächenrecht fremd. Schließlich gehe von den Stützmauern eine erdrückende Wirkung in Bezug auf ihr Grundstück aus.

10

Die Kläger beantragen,

11

die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 15. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. November 2016 aufzuheben.

12

Die Beklagte beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Sie trägt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid vor, die Ausführungen der Kläger zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung ihres Grundstücks seien im Hinblick auf die Lage der Grundstücke nicht nachvollziehbar. Die Geländetopografie auf dem Grundstück der Beigeladenen sei ausweislich der Bauakten im Wesentlichen 1971 entstanden. Infolge des senkrechten Verlaufs der Mauern auf das Grundstück der Kläger finde das Stützmauerprivileg keine Anwendung.

15

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

16

Sie tragen vor, seit 1971 sei das Gelände im Bereich der streitgegenständlichen Mauern nicht mehr verändert worden. Die in den 1990er Jahren errichtete Doppelgarage ende vorher. Den Klägern sei beim Kauf ihres Grundstücks im Jahr 1993 das unterschiedliche Geländeniveau bekannt gewesen. Von einer unzumutbaren Verschattung könne aufgrund der Lage der Grundstücke keine Rede sein. Eine Verschattung könne allenfalls von dem 1972 auf ihrem Grundstück errichteten Wohngebäude ausgehen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten in den Gerichtsakten sowie auf die vorgelegten Bau- und Widerspruchsakten der Beklagten einschließlich der Planaufstellungsakten des Bebauungsplans „R. – I. R.“ Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 15. Januar 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

19

Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 der Landesbauordnung – LBauO – ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Der Nachbar kann indes die Aufhebung der Baugenehmigung nur dann und insoweit beanspruchen, als diese gegen Vorschriften verstößt, die gerade auch seinem Schutz zu dienen bestimmt sind. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

20

In bauplanungsrechtlicher Hinsicht beurteilt sich das Vorhaben der Beigeladenen nach § 30 Abs. 1 BauGB, denn es liegt im Geltungsbereich des rechtsgültigen qualifizierten Bebauungsplans „R. – I. R.“ der Beklagten. Dieser setzt hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung für die Grundstücke der Kläger und der Beigeladenen ein reines Wohngebiet (WR) fest. In einem solchen Baugebiet sind Stützmauern und Einfriedungen als ungeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO grundsätzlich zulässig. Dies gilt vorliegend für das streitgegenständliche Vorhaben, denn dieses ist sowohl in seiner Funktion als auch räumlich-gegenständlich dem primären Nutzungszweck des in dem Baugebiet gelegenen Grundstücks der Beigeladenen sowie der diesem Nutzungszweck entsprechenden Wohnbebauung dienend zu- und untergeordnet.

21

Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt auch ansonsten nicht gegen nachbarschützende Vorschriften. Es steht insbesondere mit der das Rücksichtnahmegebot konkretisierenden Abstandsflächenvorschrift des § 8 LBauO in Einklang (1) und erweist sich in Bezug auf das klägerische Grundstück auch ansonsten nicht als rücksichtslos (2).

22

1) Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt nicht zu Lasten der Kläger gegen Abstandsflächenrecht. Zwar überschreiten die beiden Mauern ausweislich der genehmigten Baupläne mit 2,47 m bzw. 2,60 m die in § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO enthaltene Höhenbegrenzung; indes ist diese Vorschrift vorliegend nicht anwendbar (a). Sie sind auch im Übrigen ohne Einhaltung von Abstandsflächen zulässig, weil von dem Vorhaben der Beigeladenen keine gebäudegleiche Wirkung ausgeht (b).

23

a) Gemäß § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO sind ohne eigene Abstandsflächen und in den Abstandsflächen von Gebäuden Einfriedungen und Stützmauern bis zu 2 m Höhe, in Gewerbe- und Industriegebieten ohne Begrenzung der Höhe zulässig. Diese Vorschrift stellt eine für Einfriedungen und Stützmauer spezielle, abschließende Regelung dar, die einen Rückgriff auf § 8 Abs. 8 Sätze 1 und 2 LBauO ausschließt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 22. Februar 2017 – 15 CS 16.1883 –, juris Rn. 24; OVG RP, Urteil vom 28. März 2001 – 8 A 12042/00.OVG –, juris Rn. 37; Beschluss vom 6. Juni 2011 – 8 A 10377/11.OVG –, juris Rn. 7; VG Mainz, Urteil vom 11. November 2015 – 3 K 431/15.MZ –, juris Rn. 37; Jeromin, LBauO RhPf, 4. Auflage 2016, § 8 Rn. 114). § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO ist vorliegend indes nicht anwendbar. Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, stellen die streitgegenständlichen Mauern keine Einfriedungen im Sinne dieser Vorschrift dar. Sie sind in Bezug auf das Grundstück der Kläger aber auch keine Stützmauern.

24

Der Begriff der Stützmauer wird – obgleich in § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO vorausgesetzt – in der Landesbauordnung selbst nicht (legal)definiert. Insofern ist er nach seinem Wortsinn und dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auszulegen. Angesichts des technischen Charakters baulicher Anlagen kann dabei mangels anderer Erkenntnisse auch auf allgemein anerkannte technische Begriffsdefinitionen abgestellt werden (vgl. VGH BW, Urteil vom 22. März 2017 – 11 S 266/13 –, juris Rn. 46). Ausgehend von der Definition des Stützbauwerks – wie sie sich etwa in Ziffer 9.1.2 der DIN EN 1997-1:2014-03 „Eurocode 7 - Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik - Teil 1: Allgemeine Regeln“ findet – sind Stützbauwerke solche Tragwerke, die einen Untergrund abstützen, der Boden, Fels oder Hinterfüllung und Wasser enthält. Ein Material ist danach gestützt, wenn es in steilerer Neigung gehalten wird als die, unter der es sich ohne ein stützendes Tragwerk einstellen würde. Stützbauwerke umfassen alle Arten von Wänden oder Stützsystemen, bei denen Bauteile durch Kräfte aus dem gestützten Material beansprucht werden. Ein Stützbauwerk zur Stützung und Begrenzung von Böschungen oder Hängen ist – nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und damit auch im Sinne des hier anzuwendenden § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO – eine Stützmauer (vgl. VGH BW, Urteil vom 22. März 2017, a.a.O. Rn. 47), und zwar unabhängig davon, ob es aus einzelnen Steinen oder wie im vorliegenden Fall aus Beton besteht.

25

Maßgeblich für die Eigenschaft als Stützmauer ist mithin die Funktion, ein dahinter gelegenes Gelände zu einer bestimmten Seite hin anzufangen. Dies setzt regelmäßig voraus, dass eine Stützwand die Parallelität zu dem dahinter gelegenen Gelände – und soweit sie abstandsflächenrechtlich von Bedeutung ist – zu dem Nachbargrundstück erfordert, um diese Funktion zu erfüllen. Hiernach können die beiden streitgegenständlichen Mauern in Bezug auf das Grundstück der Kläger nicht als Stützmauern (im Sinne von § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO) angesehen werden, denn sie treffen ausweislich der genehmigten Baupläne in einem Winkel von 90° mit einer Breite von jeweils rund 0,3 m auf das klägerische Grundstück und sind insoweit in Bezug auf dieses zum Abfangen des höher gelegenen Grundstücks der Beigeladenen ungeeignet. Die Kläger haben überdies in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, dass die beiden Mauern lediglich gestalterische Funktion im Hinblick auf die Vorgartengestaltung des Grundstücks der Beigeladenen hätten.

26

b) Die streitgegenständlichen Mauern sind auch im Übrigen ohne Einhaltung von Abstandsflächen zulässig. § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO, der die grundsätzliche Pflicht zur Einhaltung von Abstandsflächen statuiert, ist schon deshalb nicht anwendbar, weil es sich bei dem Vorhaben der Beigeladenen nicht um ein Gebäude handelt. Eine Pflicht zur Einhaltung von Abstandsflächen ergibt sich indes auch nicht aus § 8 Abs. 8 Satz 1 LBauO).

27

Nach § 8 Abs. 8 Satz 1 LBauO finden die Absätze 1 bis 7 auf solche baulichen Anlagen Anwendung, von denen Wirkungen wie von oberirdischen Gebäuden ausgehen. Hintergrund dieser Regelung ist, dass nicht nur von oberirdischen Gebäuden, sondern auch von anderen baulichen Anlagen negative Auswirkungen auf die Belichtung und Belüftung benachbarter Gebäude ausgehen können, so dass es sachgerecht ist, die Abstandsflächenregelungen auch auf diese baulichen Anlagen anzuwenden (vgl. Jeromin, a.a.O. § 8 Rn. 104). Bestimmte Mindestmaße für sonstige bauliche Anlagen werden dabei nicht vorgegeben; vielmehr ist die Anwendbarkeit des Abstandsflächenrechts auf sonstige bauliche Anlagen im Einzelfall zu prüfen (Jeromin, a.a.O. § 8 Rn. 105).

28

Wann von einer baulichen Anlage eine gebäudegleiche Wirkung ausgeht, ist, da § 8 Abs. 8 LBauO dies nicht näher regelt, mit Blick auf die Schutzzwecke des Abstandsflächengebots zu ermitteln. Die Abstandsflächen sollen eine Brandübertragung verhindern, eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung in den Räumen der Gebäude und der Gebäude zueinander gewährleisten und nach dem überkommenen Verständnis der Abstandsvorschriften auch sozialen Zwecken, nämlich der Sicherung der „Privatheit“ und der Wahrung des Wohnfriedens dienen. Zentraler Zweck ist es auch, unzumutbare Belästigungen zu verhüten und die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu verwirklichen (vgl. OVG RP, Urteil vom 19. Januar 2006 – 1 A 10845/05.OVG –, NVwZ-RR 2006, 768 = juris Rn. 21). Eine Einschränkung erfährt dieser Schutzzweck aber im Falle von Anlagen, von denen Wirkungen wie von oberirdischen Gebäuden ausgehen; wie sich aus § 8 Abs. 8 Satz 2 LBauO entnehmen lässt, spielen bei solchen Anlagen nur die Belichtung und Besonnung sowie der Brandschutz abstandsrechtlich eine Rolle, nicht aber die Wahrung des Wohnfriedens (vgl. OVG RP, Beschluss vom 03. Januar 2007 – 8 A 11422/06.OVG –, S. 3 BA; Urteil vom 22. September 2000 – 1 A 10952/00.OVG –, NVwZ-RR 2001, 290 = juris Rn. 20). Hiervon ausgehend kommt eine die Einhaltung von Abstandsflächen auslösende gebäudegleiche Wirkung solchen oberirdischen baulichen Anlagen zu, die Gebäuden vergleichbare Abmessungen haben und aus diesem Grund die mit dem Abstandsflächenrecht verfolgten Schutzzwecke beeinträchtigen (vgl. BayVGH, Urteil vom 9. August 2007 – 25 B 05.1341 –, juris Rn. 41; OVG RP, Urteil vom 13. Okto-ber 1993 – 8 A 12355/92.OVG –, AS 24, 149 = juris Rn. 24). Demzufolge kann erst bei sonstigen baulichen Anlagen mit Höhen von mehr als 2 m und Längen ab 3 m bis 5 m davon gesprochen werden, dass die bauliche Anlage eine Gebäudegleiche Wirkung hat und deshalb ein Bedürfnis nach der Einhaltung von Abstandsflächen auslöst (vgl. Saarl.OVG, Urteil vom 26. November 1996 – 2 R 20/95 –, BRS 58 Nr. 175 = juris Rn. 41; VG Neustadt/Wstr, Urteil vom 17. April 2008 – 4 K 25/08.NW –, juris Rn. 34). Hiernach ist davon auszugehen, dass die zwar mehr als 2 m hohen, aber mit einer gegenüber den Klägern wirksamen Breite von ca. 0,3 m geplanten Mauerscheiben keine gebäudegleiche Wirkung entfalten, da sie die Belichtung, Besonnung und Belüftung auf ihrem Grundstück nicht nachteilig beeinflussen können (vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 14. Juni 2016 – 2 CS 16.836 –, juris Rn. 10 [betreffend eine Schallschutzwand mit einer auf das Nachbargrundstück zulaufenden Breite von rund 0,5 m]).

29

2) Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt auch im Übrigen nicht zu Lasten der Kläger gegen das partiellen Drittschutz vermittelnde Gebot der Rücksichtnahme.

30

Das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO bzw. im Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme betrifft das Austauschverhältnis zwischen dem Baugrundstück und der in der unmittelbaren Nähe vorhandenen Bebauung. Es stellt ab auf den engeren Kreis der in nachbarlicher Beziehung stehenden Grundstücke, d. h. auf die gegenseitige Verflechtung der baulichen Situation unmittelbar benachbarter Grundstücke (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 2010 – 4 C 7/10 –, NVwZ 2011, 436 = juris Rn. 23). Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme hiernach im Einzelnen begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer demgegenüber die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 4 C 11/11 –, BVerwGE 145, 290 = juris Rn. 32).

31

Gemessen an diesen Voraussetzungen erweisen sich die beiden Streitgegenständlichen Mauern ungeachtet des Umstandes, dass sie augenscheinlich keine technische Funktion haben, den Klägern gegenüber nicht als rücksichtslos. Insbesondere geht von den Vorhaben aufgrund seiner optischen Gestaltung und seines geplanten Standortes auf dem Baugrundstück in Bezug auf das klägerische Grundstück keine die Grenze der Zumutbarkeit übersteigende Abriegelungswirkung bzw. keine erdrückende Wirkung aus.

32

Eine bauliche Anlage kann bei Beachtung der notwendigen Abstandsflächen, die den Belangen einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung Rechnung tragen sollen, gegenüber dem Nachbargrundstück rücksichtslos sein, wenn aufgrund ihres Erscheinungsbildes und ihres Standortes eine Abriegelungswirkung, das Gefühl des „Eingemauertseins“ oder gar eine „Gefängnishofsituation“ entsteht (vgl. OVG Nds., Beschluss vom 15. Januar 2007, 1 ME 80/07 –, ZfBR 2007, 284 = juris Rn. 13; OVG Bremen, Urteil vom 25. Oktober 2002 – 1 A 88/02 –, BRS 65 Nr. 81 = juris Rn. 36). Eine solche Wirkung liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn die bisherigen Verhältnisse durch eine bauliche Verdichtung nachteilig verändert werden. Vom Neubauvorhaben muss vielmehr aufgrund seiner optischen Präsenz und Lage eine qualifizierte, handgreifliche Störung auf das Nachbargrundstück ausgehen; diesem muss gleichsam die Luft zum Atmen genommen werden (vgl. OVG RP, Beschluss vom 27. April 2015 – 8 B 10304/15.OVG –, juris Rn. 11; OVG Nds., Beschluss vom 25. Januar 2007, a.a.O. = juris Rn. 13). Hiervon ausgehend kommt die Annahme einer Abriegelungswirkung oder eine erdrückende Wirkung nur unter besonderen Umständen in Betracht. So wurde in der Rechtsprechung eine erdrückende Wirkung dann angenommen, wenn in unmittelbarer Nähe eines nur zweieinhalb-geschossigen Gebäudes ein zwölfgeschossiges Hochhaus errichtet werden sollte. Ferner wurde eine solche Fallgestaltung bei einer Situation bejaht, in der drei Silos von jeweils 11,50 m Höhe an der Grenze eines lediglich 7 m breiten Grundstücks errichtet wurden. Daneben wurde ein Einmauerungseffekt oder eine Riegelwirkung in dem Falle für möglich gehalten, in dem das Grundstück auf drei Seiten von jeweils 70 m, 30 m und 20 m langen und ca. 9 m hohen Hallen eingeschlossen werden sollte (vgl. hierzu OVG RP, Beschluss vom 8. September 2014 – 1 A 10851/14.OVG –, S. 5 BA m.w.N.). Hingegen wurde eine erdrückende Wirkung bzw. eine Abriegelungswirkung verneint bei einer zwischen 5,02 m und 7,10 m hohen und 16,87 m bzw. 33,27 m langen Bebauung, die das Nachbargrundstück an 2 Seiten abriegelt (vgl. OVG RP, Beschluss vom 27. April 2015, a.a.O. Rn. 8 f.), ferner bei einem L-förmigen Gebäude mit zum Teil 17,50 m hohen Wänden (vgl. OVG NW, Urteil vom 19. Juli 2010 – 7 A 3199/08 –, BauR 2011, 248 = juris Rn. 6, 60). In Anbetracht dessen kann in Bezug auf die beiden streitgegenständlichen Mauern nicht einmal ansatzweise von einer erdrückenden Wirkung bzw. von einem Abgeriegeltsein gesprochen werden, und zwar auch dann, wenn man bei der Bewertung auf das tatsächlich vorhandene Geländeniveau der beiden Grundstücken abstellt und zudem in Blick nimmt, dass zwischen den bis an die Grundstücksgrenze reichenden Mauerscheiben und dem Wohnhaus der Kläger ein nur rund 4,70 m breiter Grundstücksteil verbleibt, über den der Zugang zum Haus der Kläger führt.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

34

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.

35

Beschluss des Einzelrichters der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 13. Dezember 2017

36

Der Streitwert wird auf 7.500 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.7.1. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Mainz Urteil, 13. Dez. 2017 - 3 K 1425/16.MZ

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(2) Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(3) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt (einfacher Bebauungsplan), richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 oder § 35.

(1) Außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen sind auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Soweit nicht bereits in den Baugebieten nach dieser Verordnung Einrichtungen und Anlagen für die Tierhaltung, einschließlich der Kleintiererhaltungszucht, zulässig sind, gehören zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 auch solche für die Kleintierhaltung. Zu den untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinne des Satzes 1 gehören auch Anlagen zur Erzeugung von Strom oder Wärme aus erneuerbaren Energien. Im Bebauungsplan kann die Zulässigkeit der Nebenanlagen und Einrichtungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

(1a) In den Baugebieten nach den §§ 2 bis 11 sind Nebenanlagen, die der öffentlichen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen dienen, zulässig; Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(2) Die der Versorgung der Baugebiete mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser sowie zur Ableitung von Abwasser dienenden Nebenanlagen können in den Baugebieten als Ausnahme zugelassen werden, auch soweit für sie im Bebauungsplan keine besonderen Flächen festgesetzt sind. Dies gilt auch für fernmeldetechnische Nebenanlagen sowie für Anlagen für erneuerbare Energien, soweit nicht Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 1a Anwendung findet.

(3) Soweit baulich untergeordnete Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie in, an oder auf Dach- und Außenwandflächen oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen innerhalb von Gebäuden nicht bereits nach den §§ 2 bis 13 zulässig sind, gelten sie auch dann als Anlagen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1, wenn die erzeugte Energie vollständig oder überwiegend in das öffentliche Netz eingespeist wird. In Gewerbe-, Industrie- und sonstigen Sondergebieten gilt Satz 1 auch für sonstige baulich untergeordnete Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie.

(4) In einem Gebiet nach § 11 Absatz 2 für Anlagen, die der Nutzung solarer Strahlungsenergie dienen, sind Anlagen zur Herstellung oder Speicherung von Wasserstoff zulässig, wenn die Voraussetzungen entsprechend § 249a Absatz 4 gegeben sind. In Gewerbe- und Industriegebieten gilt Satz 1 entsprechend, wenn dort eine Anlage, die der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient und die keine Nebenanlage im Sinne dieser Vorschrift ist, tatsächlich vorhanden ist. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und zu 2.

III. Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen eine der Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des an der Straße „Z** …“ gelegenen, mit dem Verwaltungsgebäude eines Versandbuchhandels bebauten Grundstücks FlNr. … Gemarkung V* … Die Beigeladene zu 1 betreibt auf den östlich gelegenen Grundstücken FlNr. … und … ein gewerbliches Unternehmen zur Produktion maßgeschneiderter Kabelkonfektionen, Kabelsätze, Schaltschränke und Baugruppen. Nördlich der Grundstücke verläuft auf dem Grundstück FlNr. … der Beigeladenen zu 2 in Ost-West-Richtung die Straße „I* …“. Sämtliche Grundstücke liegen im Geltungsbereich des am 9. Dezember 1997 bekannt gemachten Bebauungsplans „V* … … … *“ der Beigeladenen zu 2 in der Fassung der am 19. April 2016 bekannt gemachten 4. Änderung. Dieser weist die Grundstücke als Gewerbegebiet aus. In den textlichen Festsetzungen der Ursprungsfassung des Bebauungsplans ist unter 1.1 („Maß der baulichen Nutzung“) festgelegt, dass die „höchstzulässige Gebäudehöhe (GbH = Abstand zwischen Erdgeschossfußboden und Schnittpunkt Wand/Dach) im GE-Gebiet < 7,00 m“ betragen darf. In 1.2 („Gebäudeform“) ist festgesetzt, dass der Erdgeschossfußboden nicht höher als 0,30 m über der Geländeoberkante liegen darf. Durch die am 12. Oktober 2011 bekannt gemachte 2. Änderung des Bebauungsplans wurden die auf den Grundstücken FlNr. …, …, … und … ausgewiesenen Bauräume zu einem durchgängigen Baufenster verbunden. Mit der 4. Änderung des Bebauungsplans wurden diese Baugrenzen erneut geändert und zur Ermöglichung einer Betriebserweiterung der Beigeladenen zu 1 ein nach Norden erweitertes, durchgehendes Baufenster geschaffen, das neben diesen Grundstücken auch Teilflächen der Grundstücke FlNr. …, … und … erfasst. Das Baufenster durchschneidet damit in Nord-Süd-Richtung die in der Ursprungsfassung festgesetzten Straßenbegrenzungslinien für die nördlich der Grundstücke FlNr. …, …, … und … verlaufende Straße „I* …“ teilweise, sodass diese an beiden Enden des neuen Bestandes nur noch als „Sackgasse“ erhalten bleibt. Die Bebauungsplanänderung erfolgte im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB.

Mit Bescheid vom 24. Juni 2016 erteilte das Landratsamt N* … … … der Beigeladenen zu 1 zur Erweiterung ihres Betriebes die Baugenehmigung für die Errichtung einer Logistikhalle mit Sozialbereich auf dem zwischen den Grundstücken FlNr. … und FlNr. … gelegenen Grundstück FlNr. … sowie auf Teilflächen der nördlich anschließenden Grundstücke FlNr. …, … und … Zugleich ließ es eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur „Gebäudeform hinsichtlich der Überschreitung der Erdgeschossfußbodenoberkante zur Geländeoberkante um bis zu 2,57 m“ zu. Nach den genehmigten Bauvorlagen soll in Nord-Süd-Richtung eine 126,50 m lange und 37,04 m breite Lagerhalle errichtet werden. Dabei soll das Baugrundstück zur Angleichung des Niveaus zum bestehenden Betriebsgebäude aufgefüllt und das Gelände an der westlichen Grundstücksgrenze durch eine bis zu 2,13 m hohe Stützmauer mit einem Geländer als Absturzsicherung errichtet werden.

Gegen den Bescheid hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Ihre Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und auf sofortiges bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladene zu 1 hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. August 2016 abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage habe voraussichtlich keinen Erfolg. Nachbarschützende Rechte der Antragstellerin würden durch die Baugenehmigung nicht verletzt. Dies gelte unabhängig davon, ob die 4. Änderung des Bebauungsplans wirksam sei. Selbst wenn dann die in der 2. Änderung des Bebauungsplans festgesetzten Baugrenzen durch das Bauvorhaben überschritten würden, ergäbe sich daraus keine Rechtsverletzung der Antragstellerin, weil die Baugrenzen keine drittschützende Funktion hätten. Auch die Durchschneidung der Straße „I* …“ führe nicht zu einer Verletzung von Rechten der Antragstellerin, weil ihr Grundstück FlNr. … bereits von der Straße „Z** …“ erschlossen werde. Die im Ursprungsbebauungsplan festgesetzte Wandhöhe sei ebenfalls nicht drittschützend. Das Bauvorhaben verletze auch nicht das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot. Die Befreiung von der festgesetzten Höhe der Erdgeschossfußbodenoberkante sei gegenüber der Antragstellerin nicht unzumutbar, zumal die Lagerhalle auch unter Berücksichtigung der vorgesehenen Aufschüttung die Abstandsflächen einhalte. Auch die Länge der Logistikhalle sei gegenüber der Antragstellerin nicht rücksichtslos, da in Gewerbegebieten erheblich mehr an verdichteter Bebauung zumutbar sei als in zum Wohnen bestimmten Gebieten. Schließlich ergäben sich durch die an der westlichen Grundstücksgrenze vorgesehene Stützmauer mit dahinter liegender Geländeauffüllung und durch die auf der Mauer zu errichtende Absturzsicherung keine unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Antragstellerin. Es könne dahinstehen, ob es sich bei der Anlage um eine privilegierte Stützmauer nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO handle. Jedenfalls würde von der Anlage keine gebäudeähnliche Wirkung i.S. von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO ausgehen, sodass sie nicht abstandspflichtig sei.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 25. August 2016 zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 24. Juni 2016 anzuordnen.

Der Antragsgegner und die Beigeladenen zu 1 und zu 2 beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Baugenehmigungsakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Sie ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung, auf den die Antragstellerin ihre Beschwerde beschränkt hat (vgl. § 88 VwGO), zu Recht abgelehnt. Dem gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein maßgebenden Beschwerdevorbringen ist nach summarischer Prüfung nicht zu entnehmen, dass die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die im bauaufsichtlichen Verfahren nach Art. 60 BayBO zu prüfen waren und die Rechte der Antragstellerin schützen (Art. 68 Abs. 1 BayBO, § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage der Antragstellerin wird voraussichtlich erfolglos bleiben, sodass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem Interesse am Vollzug der angefochtenen Baugenehmigung nachrangig ist.

1. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass auch im Fall einer Unwirksamkeit der 4. Änderung des Bebauungsplans die Baugenehmigung Nachbarrechte der Antragstellerin nicht verletzen würde. Zwar dürfte das Bauvorhaben dann die mit der 2. Änderung des Bebauungsplans auf dem Grundstück FlNr. … festgesetzte vordere, d.h. zur Straße „I* …“ gerichtete Baugrenze (§ 23 Abs. 1 und 3 BauNVO) überschreiten. Aus diesem Rechtsverstoß dürfte sich aber keine Rechtsverletzung der Antragstellerin (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ergeben, weil dieser Festsetzung keine nachbarschützende Wirkung zukommt.

Eine nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen des Bebauungsplans ist im Allgemeinen nur bei Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung anzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 - 4 B 39/13 - ZfBR 2013, 783 = juris Rn. 3). Denn nur durch diese Festsetzungen wird ein auf jeweils wechselseitigen Berechtigungen und Verpflichtungen beruhendes Gegenseitigkeits- oder Austauschverhältnis zwischen den Eigentümern der Grundstücke im Plangebiet begründet. Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) vermitteln Drittschutz nur dann, wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Plangeberin diese Funktion haben sollen (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 - 4 B 215.95 - NVwZ 1996, 888 = juris Rn. 3; B.v. 13.12.2016 - 4 B 29.16 - juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 29.8.2014 - 15 CS 14.615 - NJW-Spezial 2014, 653 = juris Rn. 24 ff.; B.v. 12.7.2016 - 15 ZB 14.1108 - juris Rn. 11). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln (vgl. BVerwG B.v. 19.10.1995 - 4 B 215.95 - NVwZ 1996, 888 = juris Rn. 3). Ein entsprechender Wille muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan selbst, aus seiner Begründung oder auch aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2014 - 9 CS 14.1171 - juris Rn. 15 m.w.N.). Maßgebend ist, ob eine Festsetzung nach dem Willen des Plangebers nicht nur aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde, sondern (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll. Das kann etwa angenommen werden, wenn der Plangeber hierdurch faktisch einzuhaltende Grenzabstände festsetzt und damit denselben nachbarschützenden Zweck verfolgt wie die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenregelungen des Art. 6 BayBO (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2014 a.a.O. Rn. 25).

Nach diesem Maßstab vermitteln die festgesetzten Baugrenzen entgegen der Auffassung der Antragstellerin hier keinen Nachbarschutz. Dies gilt jedenfalls für die nach Norden zur Straße „I* …“ gerichtete vordere Baugrenze. Weder dem Bebauungsplan noch seiner Begründung oder sonstigen Umständen lässt sich entnehmen, dass dieser Baugrenze nach dem planerischen Willen der Beigeladenen zu 2 nachbarschützende Wirkung zukommen sollte. Dagegen spricht vielmehr, dass diese Baugrenze nicht seitlich zum nachbarlichen Grundstück der Antragstellerin, sondern zur Straße „I* …“ gerichtet ist. Ein vom Planungsgeber gewolltes nachbarliches Austauschverhältnis dürfte aber allenfalls bei Baugrenzen von gegenüberliegenden Nachbargrundstücken in Betracht kommen, nicht dagegen bei einer vorderen, lediglich zu einer Straße gerichteten Baugrenze. Soweit die Antragstellerin auf die Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Juni 2002 (Az. 14 CS 02.1498 - juris Rn. 9) und vom 23. Oktober 2002 (Az. 14 ZB 01.2238 - juris Rn. 4) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. Juni 2007 (Az. 8 S 967/07 - VBlBW 2007, 387 = juris Rn. 3) verweist, ergibt sich daraus nichts Anderes. Die Entscheidungen betreffen jeweils die Überschreitungen einer von der Straße abgewandten, zu Nachbargrundstücken gerichteten, seitlichen bzw. hinteren (rückwärtigen) Baugrenze und sind schon deshalb auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im Übrigen bestätigen sie die Rechtsauffassung des Senats, dass sich selbst bei einer einem Nachbargrundstück gegenüberliegenden Baugrenze die Beantwortung der Frage, ob diese nachbarschützend ist, nach der jeweils im Einzelfall zu ermittelnden Planungsabsicht der Gemeinde richtet. Eine Verkürzung von nach Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO erforderlichen Abstandsflächen wurde entgegen den Angaben der Antragstellerin in der 2. Änderung des Bebauungsplans ebenfalls nicht festgesetzt.

2. Soweit die Antragstellerin in Bezug auf die 4. Änderung des Bebauungsplans formelle Fehler der Auslegungsbekanntmachung vom 7. Januar 2016 (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB) und materielle Mängel der Abwägung ihrer Belange (§ 1 Abs. 7 BauGB), insbesondere hinsichtlich der (teilweise) Überplanung der Straße „I* …“, rügt, verhilft dies der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Ihrem Vortrag lässt sich nicht entnehmen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), inwieweit dieser Fehler zu einer Rechtsverletzung der Antragstellerin durch die angegriffene Baugenehmigung führen könnte (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nicht der Bebauungsplan, sondern allein die Baugenehmigung. Selbst wenn die behaupteten formellen und materiellen Mängel der Planung tatsächlich vorliegen sollten und sich hieraus die Unwirksamkeit der 4. Änderung des Bebauungsplans (vgl. §§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3, § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB) ergäbe, hätte das nicht zwangsläufig zur Folge, dass die Baugenehmigung die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, auch wenn die Genehmigung auf der Grundlage des Bebauungsplans erteilt wurde.

3. Gleiches gilt hinsichtlich des Einwands, die Beigeladene zu 1 würde ihrer Verpflichtung aus Nr. 4.3. des Grünordnungsplans nicht nachkommen, wonach zwischen den einzelnen Quartieren und Parzellen umfangreiche Grünflächen vorzusehen sind, die eine auftretende Monotonie bei zusammenhängenden Industrieanlagen wirkungsvoll unterbrechen sollen. Zwar ist den Festsetzungen im Grünordnungsplan nach Nr. 1.7. der Satzung zur Ursprungsfassung des Bebauungsplans zwingend zu folgen. Ein Verstoß hiergegen verletzt aber keine Nachbarrechte der Antragstellerin, zumal sich ein Wille der Beigeladenen zu 2, der darauf schließen lässt, dass die Festsetzungen zum Grünordnungsplan hier nachbarschützend sein sollen, nicht feststellen lässt. Im Übrigen handelt es sich bei „Nr. 4.3.“ schon gar nicht um eine Festsetzung, sondern lediglich um einen Teil der „Erläuterung und Begründung des Grünordnungsplans“, dem keine Satzungsqualität zukommt (vgl. BVerwG, U.v. 18.3.2004 - 4 CN 4.03 - BVerwGE 120, 239 = juris Rn. 15 zur Planbegründung).

4. Auch der geltend gemachte Verstoß gegen Nr. 1.5 Satz 3 der textlichen Festsetzungen der Ursprungsfassung des Bebauungsplans, wonach Zaunverkleidungen mit Matten und Kunststoffplatten oder Ähnlichem unzulässig sind, verletzt keine Nachbarrechte der Antragstellerin. Auch diese - auf der Grundlage von § 9 Abs. 4 BauGB i.V.m. Art. 98 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1994 erlassene - örtlichen Bauvorschrift über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen dürfte keinen Drittschutz zugunsten von Eigentümern benachbarter Grundstücke vermitteln (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2016 - 15 ZB 14.1108 - juris Rn. 11 m.w.N.). Im Übrigen handelt es sich bei der Stützmauer wohl kaum um eine dieser Reglung von „Einfriedungen“ unterfallende Anlage.

5. Keine Nachbarrechtsverletzung durch die angegriffene Baugenehmigung ergibt sich auch im Hinblick auf den geltend gemachten Mangel der ordnungsgemäßen Niederschlagwasserbeseitigung auf dem Baugrundstück, die hier - anders als in dem vom Senat im Beschluss vom 24. Juli 2014 (Az. 15 CS 14.949 = ZMR 2015, 499) entschiedenen Fall - nach Art. Art. 60 Satz 1 Nr. 2, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO an der Feststellungswirkung der Baugenehmigung teilnimmt.

Nach § 30 Abs. 1 BauGB bzw. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn auch die Erschließung gesichert ist. Hierzu gehört eine ordnungsgemäße Beseitigung des Niederschlagswassers im Sinn von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG. Die Anforderungen an eine gesicherte Erschließung bestehen aber grundsätzlich nur im öffentlichen Interesse und dienen nicht auch dem Nachbarschutz. Etwas anderes kann - unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots - ausnahmsweise dann gelten, wenn durch die unzureichende Erschließung Nachbargrundstücke unmittelbar betroffen sind. Nicht jede durch ein Vorhaben verursachte Veränderung des Wasserabflusses begründet aber zugleich eine unzumutbare Beeinträchtigung nachbarlicher Rechte. Gewisse Veränderungen der Wasserverhältnisse durch ein in der Nähe des eigenen Grundstücks geplantes Vorhaben muss der Nachbar grundsätzlich hinnehmen (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2012 - 15 CS 12.634 - Rn. 14). Das Rücksichtnahmegebot ist nur dann verletzt, wenn das Niederschlagswasser auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und es dadurch zu unzumutbaren Überschwemmungen auf dem Nachbargrundstück kommt (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2006 - 1 CS 06.2717 - BRS 70 Nr. 126 = juris Rn. 20). Anhaltspunkte dafür, dass hier solche Umstände gegeben sein könnten, sind nicht ersichtlich. Im Bereich der zwischen 5 m und etwas über 7 m breiten Feuerwehrzufahrt anfallendes Niederschlagswasser wird nach den genehmigten Eingabeplänen (vgl. Plan „Schnitte Ansichten“ im Maßstab 1:100 und Plan „Geländeauffüllung“ im Maßstab 1:500) durch die über das Niveau der Geländeauffüllung reichende Krone der Stützmauer daran gehindert, nach Westen auf das Grundstück der Antragstellerin abzufließen (vgl. auch Stellungnahme des Landratsamts vom 24.10.2016 unter 3.). Im Übrigen erfolgt die Entwässerung des Baugrundstücks (vgl. Art. 41 Abs. 1 BayBO) nach der Stellungnahme der fachkundigen Stelle Wasserwirtschaft des Landratsamts vom 8. Juni 2016 (Blatt 24 der Behördenakte) ordnungsgemäß über den Mischwasserkanal der Beigeladenen zu 2.

6. Soweit die Antragstellerin eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen einer Beeinträchtigung der Zufahrtsmöglichkeit über die Straße „I* …“ geltend macht, führt auch dies nicht zum Erfolg der Beschwerde.

Die Antragstellerin rügt, dass infolge der mit dem Bauvorhaben verbundenen Sackgassenbildung für sie die bisher durchgehend befahrbar angelegte Straße „I* …“ im Bereich nördlich des Grundstücks FlNr. … als Rangierfläche für eine ungehinderte Warenanlieferung vor dem Wareneingang auf der Nordostseite ihres Grundstücks entfalle. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin nicht dargelegt, inwiefern die Rangiermöglichkeit auf öffentlicher Straße nördlich des Nachbargrundstücks FlNr. … trotz der auf eigenem Grund vorhandenen unbebauten Flächen zur Aufrechterhaltung ihres Betriebs unverzichtbar ist, ist der (teilweise) Wegfall der Straße „I* …“ nicht durch die streitgegenständliche Baugenehmigung erfolgt, sondern nach den Angaben der Beigeladenen zu 2 auf der Grundlage einer von der Antragstellerin nicht angegriffen, bestandskräftigen straßenrechtlichen Einziehung der Fläche (Art. 8 BayStrWG). Die Angabe in § 1 der Satzung über die 4. Änderung des Bebauungsplans vom 18. April 2016, dass die betreffende Teilfläche „künftig nicht mehr als öffentliche Verkehrsfläche, sondern künftig als überbaubare Fläche vorgesehen ist“, steht dem nicht entgegen und begründet ebenfalls keinen Abwehranspruch gegen die Baugenehmigung.

7. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht schließlich angenommen, dass durch das Bauvorhaben zulasten der Antragstellerin keine Abstandsflächenvorschriften verletzt werden.

a) Dies gilt auch hinsichtlich der an der Grenze zu ihrem Grundstück geplanten Stützmauer mit dahinter liegender Geländeauffüllung. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt es nicht darauf an, ob von dieser Anlage eine gebäudegleiche Wirkung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO ausgeht. Diese Bestimmung findet hier keine Anwendung, weil die Anlage nach der spezielleren Regelung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO abstandsflächenfrei ist.

Ob einer Anlage gebäudegleiche Wirkungen im Sinn von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO aufweist, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Abstandsflächenrechts zu bestimmen (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2015 - 2 ZB 13.2522 - juris Rn. 4). Auch wenn von der Anlage an sich gebäudegleiche Wirkungen ausgehen, findet diese Bestimmung keine Anwendung, wenn die Anlage die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO erfüllt. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck dieser besonderen Privilegierung, wie sie den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sind. Nach der der Musterbauordnung 2002 nachgebildeten, mit dem Gesetz vom 14. Juli 2007 (GVBl S. 499) in die Bayerische Bauordnung aufgenommenen Regelung sind Stützmauern und geschlossene Einfriedungen ohne eigene Abstandsflächen in (festgesetzten oder faktischen) Gewerbe- und Industriegebieten ohne Höhenbegrenzung zulässig, außerhalb dieser Baugebiete mit einer Höhe bis zu 2 m. Diese Begünstigung ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers gerechtfertigt, weil die Schutzgüter des Abstandsrechts in Gewerbe- und Industriegebieten durch solche Anlagen regelmäßig nicht berührt werden und insoweit gegebenenfalls im Wege der Bauleitplanung oder durch örtliche Bauvorschriften Regelungen getroffen werden können. Die Beschränkung der abstandsflächenfreie Höhe auf bis zu 2 m hohe Anlagen in den übrigen Baugebieten wurde nach der Begründung zum Gesetzentwurf ausdrücklich auch deswegen getroffen, weil ein Umkehrschluss dahingehend ausgeschlossen werden sollte, ein darunter liegendes Maß könne einen Anhaltpunkt für die Annahme einer gebäudeähnlichen Wirkung bieten (vgl. LT-Drs. 15/7161 S. 44; ebenso die Begründung zur Musterbauordnung 2002; vgl. auch Schwarzer/ König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 56). Hieraus ergibt sich, dass Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO eine Sonderregelung darstellt, die, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen, die Anwendung der Vorschrift für Anlagen mit gebäudegleicher Wirkung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO ausschließt.

Danach scheidet eine Anwendung des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO hier aus, weil die Stützmauer nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 BayBO - ohne Höhenbegrenzung - abstandsrechtlich privilegiert ist. Darauf, dass die Stützmauer die Höhe von 2 m überschreitet, kommt es - wie gesagt - nicht an, weil sowohl das Baugrundstück als auch das Grundstück der Antragstellerin im privilegierten Gewerbegebiet liegen.

Unerheblich ist auch, dass sich an die Stützmauer eine Aufschüttung anschließt. Zwar kann es sich bei einer Aufschüttung grundsätzlich um eine eigenständige bauliche Anlage (vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BayBO) handeln, die auch abstandsflächenrechtlich gesondert zu beurteilen ist. Anders verhält es sich aber, wenn - wie hier - die Stützmauer der Sicherung der Aufschüttung vor dem Abrutschen auf das Nachbargrundstück dient. In diesem Fall bilden Stützmauer und Aufschüttung eine funktionelle Einheit, die in ihrer Gesamtheit der Privilegierung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO unterliegen (vgl. OVG MV, B.v. 14.11.2013 - 3 M 222/13 - NordÖR 2014, 366 = juris Rn. 13; vgl. auch OVG RhPf, U.v. 18.6.2015 - 1 A 10776/14 - juris Rn. 28). Denn für den Nachbarn hat es abstandsrechtlich keine Bedeutung, was sich unmittelbar hinter einer durchgehenden Stützmauer befindet. Ob etwas Anderes zu gelten hat, wenn auf der Aufschüttung eine für den längeren Aufenthalt von Menschen bestimmte Terrasse errichtet wird, die den „Wohnfrieden“ auf dem Nachbargrundstück beeinträchtigen würde, bedarf hier keiner Entscheidung. Das Grundstück der Antragstellerin wird nicht zu Wohnzwecken, sondern gewerblich genutzt, der an die Stützmauer anschließende Bereich auf dem Baugrundstück stellt eine Feuerwehrzufahrt dar.

Dass die Stützmauer kein natürliches Gelände, sondern eine künstliche Aufschüttung sichert, steht der Privilegierung ebenfalls nicht entgegen. Eine Beschränkung auf Stützmauern zur Absicherung lediglich eines natürlichen Geländes hat der Bayerische Gesetzgeber nicht vorgesehen; dies widerspräche auch dem gesetzgeberischen Ziel, durch die Sonderregelung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO für untergeordnete bauliche Anlagen abstandsflächenrechtliche Erleichterungen zuzulassen, um praktischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen (vgl. LT-Drs. 15/7161 S. 38 und 44; ebenso OVG Hamburg, B.v. 14.7.2015 - 2 Bs 131/15 - NVwZ-RR 2016, 93 Rn. 11 zur gleichlautenden Bestimmung des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO; Molodovsky/Waldmann in Molodovsky/Famers, Bayerische Bauordnung, Stand: November 2016, Art. 6 Rn. 284; a.A. OVG NRW, B.v. 22.2.2005 - 7 A 1408/04 - juris Rn.10; Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO, Stand Okt. 2016, Art. 6 Rn. 269; offen gelassen in BayVGH, B.v. 12.9.2013 - 14 CE 13.928 - juris Rn. 14).

Als Stützmauern (mit dahinter liegender Aufschüttung) privilegiert sind allerdings nur solche Anlagen, die erforderlich sind, um eine angemessene und zulässige Nutzung des Baugrundstücks zu ermöglichen (ebenso OVG NW, U.v. 27.11.1989 - 11 A 195/88 - BRS 50 Nr. 185 = juris Rn. 12; VG Würzburg, B.v. 27.7.2012 - W 5 S. 12.617 - juris Rn. 41; Molodovsky/Waldmann in Molodovsky/Famers, Bayerische Bauordnung, a.a.O., Art. 6 Rn. 284). Denn Anlagen, die für eine sinnvolle und zulässige Grundstücksnutzung nicht notwendig sind, rechtfertigen keine Privilegierung zugunsten des Bauherrn und zulasten des Nachbarn. Dass die Stützmauer hier zur angemessenen und zulässigen Nutzung des Baugrundstücks erforderlich ist, erscheint indes nicht zweifelhaft. Sie soll verhindern, dass Erdreich aus dem aufgeschütteten Gelände des Baugrundstücks zum niedrigeren Gelände auf dem Grundstück der Antragstellerin abrutscht. Die Aufschüttung selbst dient der Geländeangleichung des Baugrundstücks und ermöglicht einen niveaugleichen Anbau der streitgegenständlichen Logistikhalle mit Sozialbereich an das bestehende Betriebsgebäude der Beigeladenen zu 1 auf dem Grundstück FlNr. … Hierbei handelt es sich um ein nachvollziehbares Anliegen, das aus Gründen eines möglichst reibungslosen Betriebsablaufs sogar geboten erscheint. Der Einwand der Antragstellerin, eine Angleichung des Geländes sei jedenfalls im Bereich zwischen ihrem Grundstück und der Westseite der Halle für die geplante Umfahrung für Feuerwehrfahrzeuge nicht erforderlich, da die Umfahrung im Süden des Baugrundstücks ende, überzeugt nicht. Die Niveauanhebung dürfte hier jedenfalls zur Angleichung an das Gelände des Betriebsgebäudes auf den nördlich gelegenen Grundstücken FlNr. …, … und … sinnvoll sein, um eine angemessene Nutzung des Baugrundstücks ermöglichen. Eine „Absenkung“ der Feuerwehrzufahrt in dem genannten Bereich hätte im Übrigen auch zur Folge, dass die Bodenplatte der auf dem Baugrundstück zu erstellenden Halle an der Westseite anders und erheblich aufwändiger fundamentiert werden müsste. Eine wesentliche Verbesserung der abstandsrechtlichen Situation gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin wäre mit dieser Maßnahme jedoch nicht verbunden.

b) Das Geländer, das auf der Stützmauer zur Absturzsicherung errichtet werden soll, ist ebenfalls nicht abstandsflächenpflichtig. Es soll nach den genehmigten Bauvorlagen licht- und luftdurchlässig ausgeführt werden, sodass von ihm nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO keine gebäudegleiche Wirkung ausgeht. Im Unterschied zur Formulierung in Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 BayBO („Mauern und Einfriedungen“) ist in Art. 6 Abs. 9 Nr. 3 BayBO ausdrücklich von „geschlossenen“ Einfriedungen die Rede. Dies verdeutlicht, dass bei einer in der Höhe nicht einheitlich aufgebauten Einfriedung abstandsflächenrechtlich nur die Höhe des unteren, „geschlossenen“ Teils anzurechnen ist, nicht aber zusätzlich die Höhe eines darauf gesetzten licht- und luftdurchlässigen Zauns (vgl. auch BayVGH, B.v. 10.10.2002 - 26 ZB 99.3754 - juris Rn. 12; VG Würzburg, B.v. 6.11.2008 - W 5 S. 08.2064 - juris Rn. 15). Entsprechendes gilt für eine auf eine Stützmauer aufgesetzte Umwehrung.

8. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, weil sie mit der Beschwerde unterlegen ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2 werden für erstattungsfähig erklärt, weil diese einen Antrag gestellt und sich damit dem Risiko ausgesetzt habt, selbst Kosten auferlegt zu bekommen (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57 ff.) und folgt der Streitwertfestsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Müller Schweinoch Dr. Seidel

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in einer der Kostenfestsetzung entsprechenden Höhe vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen eine Rückbauverfügung des Beklagten.

2

Sie sind Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks Am l. R. ... in N. (Flur ..., Flurstück .../14). Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „Ober dem langen Rech“ der Stadt N., welcher keine Festsetzungen über die Höhe von Einfriedungen enthält. Das Baugrundstück fällt infolge einer vorhandenen Hanglage zum nördlich angrenzenden Grundstück des Beigeladenen (Flur ... Flurstück .../4) hin über mehrere Meter ab.

3

Anlässlich einer am 23. Mai 2013 durchgeführten Baukontrolle stellte der Beklagte fest, dass auf dem Grundstück der Kläger grenzständig zum Grundstück des Beigeladenen hin eine rund 2,70 m hohe Stützmauer aus leicht versetzten begrünten Hangflorsteinen errichtet worden war.

4

Der Beklagte forderte die Kläger mit Bescheiden vom 24. Juli 2013 unter Androhung eines Zwangsgelds auf, innerhalb einer Frist von 6 Wochen nach Bestandskraft die Stützmauer auf eine Höhe von maximal 2 m zurückzubauen und das dahinter befindliche Gelände gegen Abrutschen zu sichern. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Stützmauer verstoße gegen § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO, da sie mit einer Höhe von rund 2,70 m die maximal zulässige Höhe von 2 m deutlich überschreite. Weder die Tatsache, dass die Gebäude auf dem Grundstück des Beigeladenen zur Grenze einen Abstand von mehr als 5 m einhielten, noch ein möglicherweise zu Gunsten der Stadt N. bestehendes Wegerecht entbinde von der der Verpflichtung zur Einhaltung von Abstandsflächen. Deren Übernahme auf das Grundstück des Beigeladenen komme mangels öffentlich-rechtlicher Sicherung nicht in Betracht. Die Stützmauer sei weder unter Erteilung einer Abweichung genehmigungsfähig noch habe sie der Beigeladene geduldet.

5

Mit ihrem am 24. August 2013 erhobenen Widerspruch trugen die Kläger vor, die standsichere Mauer sei in der Höhe notwendig, um den dahinter liegenden Hang gegen das Abrutschen zum Nachbarn hin abzusichern. Der Beigeladene habe die Stützmauer bislang hingenommen. Er sei ursprünglich Eigentümer der Baugrundstücke gewesen und habe mit dem Verkauf an den Bauträger Beeinträchtigungen in Kauf genommen. Ein Rückbau sei nur mit extrem hohem Aufwand möglich. Im Übrigen sei ein Einschreiten nach 12 Jahren verjährt.

6

Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2014 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde über den angefochten Bescheid hinaus ausgeführt, der angeordnete Rückbau sei ermessensfehlerfrei erfolgt. Entgegen der Auffassung der Kläger komme es nicht darauf an, dass von der Stützmauer keine Gefährdungen für das Grundstück des Beigeladenen ausgingen. Eine Abweichung nach § 69 LBauO könne nicht erteilt werden, da es an einer besonderen Situation im Einzelfall fehle. Diese ergebe sich insbesondere nicht aus der von den Klägern geschilderten Hanglage, denn es sei nichts dafür ersichtlich, dass der Verzicht auf eine Stützmauer in besagter Höhe zu einer Unbebaubarkeit des klägerischen Grundstücks führe. Allein die infolge der Stützmauer mögliche größere Ausnutzung des Grundstücks rechtfertige keine Abweichung. Da ein Verstoß gegen § 8 LBauO und damit gegen eine nachbarschützende Vorschrift vorliege, sei das Ermessen hin zu einer Pflicht zum Einschreiten hin verdichtet. Die Rückbauverfügung verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

7

Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids am 18. März 2015 haben die Kläger am 17. April 2015 Klage erhoben. Sie tragen unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens ergänzend vor: Das Nachbargrundstück werde durch die Stützmauer nur geringfügig beschränkt. Geländeveränderungen seien durch den Bauträger vorgenommen worden. Diese seien aufgrund der hängigen Geländetopographie notwendig gewesen.

8

Die Kläger beantragen,

9

die Bescheide vom 24. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Dezember 2014 aufzuheben.

10

Der Beklagte beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Er bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen.

13

Der Beigeladene beantragt ebenfalls,

14

die Klage abzuweisen.

15

Er trägt vor, dass die streitgegenständliche Stützmauer gegen § 8 LBauO verstoße und auch nicht im Wege einer Abweichung zugelassen werden könne. Sie sei formell und materiell illegal und verletze ihn in seinen nachbarschützenden Rechten. Er habe sein Recht auf Einschreiten nicht verwirkt, denn er habe sich bereits 2002 gegen die Errichtung überhöhter Stützmauern auf den Nachbargrundstücken gewandt. Eine Verjährung nachbarlicher Rechte sei nicht möglich. Abgrabungen auf seinem Grundstücke hätten nicht stattgefunden.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen. Die Verwaltungs- und Widerspruchsakten des Beklagten liegen der Kammer vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

17

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Rückbauverfügungen des Beklagten vom 24. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids 18. Dezember 2014 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

18

(1) Rechtsgrundlage für die angefochtene Rückbauverfügung ist § 81 Satz 1 der Landesbauordnung – LBauO –. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung baulicher Anlagen oder anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 LBauO anordnen, wenn diese gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstoßen. Auf tatbestandlicher Seite erfordert dies, dass die bauliche Anlage ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet wurde und gegen materielle baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt; ist das Vorhaben genehmigungsfrei (§§ 62, 67 LBauO), reicht die materielle Rechtswidrigkeit aus. Auf der Rechtsfolgenseite ist zudem erforderlich, dass die Bauaufsichtsbehörde das ihr zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat. Diese Voraussetzungen liegen vor.

19

a) Die Streitgegenständliche Stützmauer ist formell illegal. Sie bedarf gemäß § 61 LBauO einer Baugenehmigung, da sie höher als 2 m errichtet wurde (Umkehrschluss aus § 62 Abs. 1 Nr. 6 Buchst b) LBauO). Eine Baugenehmigung wurde den Klägern unstreitig nicht erteilt.

20

b) Die Stützmauer ist auch materiell illegal, denn sie verletzt § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO, weil sie die dort enthaltene Höhenbegrenzung von 2 m überschreitet.

21

Nach § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO sind Einfriedungen und Stützmauern außerhalb von Gewerbe- und Industriegebieten ohne eigene Abstandflächen und in den Abstandsflächen von Gebäuden bis zum 2 m Höhe zulässig. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber für die genannten baulichen Anlagen eine spezielle, abschließende Regelung des Abstandsflächenrechts aufgestellt, die einen Rückgriff auf andere Bestimmungen des § 8 LBauO – insbesondere in Abs. 8 Satz 1 und Abs. 9 – ausschließt (vgl. OVG RP, Urteil vom 28. März 2001 – 8 A 12042/00.OVG –, juris Rn. 37; Beschluss vom 6. Juni 2011 – 8 A 10377/11.OVG –, juris Rn. 7). Dies hat zur Folge, dass Einfriedungen und Stützmauern nur dann abstandsflächenrechtlich privilegiert sind, wenn sie die in § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO genannte – abschließende – Höhenbegrenzung von 2 m einhalten (vgl. OVG RP, Urteil vom 28. März 2001, a.a.O. = juris Rn. 37). Angesichts dieser gesetzlichen Systematik kommt es entgegen der Ansicht der Kläger nicht darauf an, ob und inwieweit die grenzständige Stützmauer sich auf die Belichtungsverhältnisse des Nachbargrundstücks auswirkt. Ebensowenig lässt die Gesetzessystematik eine Vergleichsbetrachtung in dem Sinne zu, dass andere abstandsflächenrechtlich zulässige Grenzgestaltungen (etwa in Form von Abböschungen) die Belichtungsinteressen des Nachbarn nachhaltiger berühren würden.

22

Unterer Bezugspunkt für die Höhenbegrenzung des § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO ist – soweit eine Festsetzung der Geländeoberfläche nach § 2 Abs. 6 Hs. 1 LBauO nicht erfolgt ist – grundsätzlich die natürliche, an die Einfriedung angrenzende Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück (OVG RP, Beschluss vom 6. Juni 2011, a.a.O. = juris Rn. 8). Die natürliche Geländeoberfläche bleibt für die Errichtung von Einfriedungen oder Stützmauern nach § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO auch dann maßgeblich, wenn im Grenzbereich Veränderungen der Geländeoberfläche – sei es auf dem Baugrundstück selbst, sei es auf dem Nachbargrundstück – vorgenommen wurden. Allerdings bedarf die Anwendung von § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO in diesen Fällen vor dem Hintergrund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses einer an Sinn und Zweck der Abstandsflächennorm orientierten Anpassung. Angesichts dessen, dass der Nachbar eine bis zu 2 m hohe Einfriedung oder Stützmauer an der Grundstücksgrenze hinzunehmen hat und (lediglich) darüber hinausgehende Anlagen beseitigt verlangen kann, führt dies dazu, dass in den Fällen, in denen der Bauherr sein Grundstück durch Aufschüttung verändert hat, bei der Höhenbegrenzung für Stützmauern oder Einfriedungen die Geländeoberfläche auf dem Nachbargrundstück als unterer Bezugspunkt heranzuziehen ist. Im Übrigen kann zur zweckentsprechenden Anpassung der in § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO enthaltenen Grundaussage in atypischen Fallgestaltungen auch die Erteilung einer Abweichung nach § 69 LBauO in Betracht kommen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 6. Juni 2011, a.a.O. = juris Rn. 12; Jeromin, a.a.O. § 8 Rn. 114).

23

Gemessen an diesen Voraussetzungen, überschreitet die streitgegenständliche Stützmauer der Kläger zum Grundstück der Beigeladenen hin das in § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO genannte Höhenmaß von 2 m und verstößt damit gegen eine Nachbarschutz vermittelnde Vorschrift. Wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung letztlich eingeräumt haben, wurde ihr Grundstück zum Grundstück des Beigeladenen hin aufgeschüttet, so dass für die Ermittlung der Höhenbegrenzung der vorgenannten Vorschrift die an die Grundstücksgrenze angrenzende Geländeoberfläche auf dem Grundstück des Beilgeladenen als unterer Bezugspunkt abzustellen ist. Soweit die Kläger demgegenüber einwenden, das Grundstück des Beigeladenen sei im Grenzbereich im Zuge der Errichtung ihres Hauses seinerseits um zwischen 50 cm und 1 m abgegraben und planiert und nach dem Ende der Bauarbeiten nicht wieder aufgefüllt worden, so dass die Stützmauern tiefer als auf dem natürlichen Geländeverlauf errichtet worden seien, überzeugt dies nicht. Abgesehen davon, dass sowohl Beklagter wie Beigeladener dem nachdrücklich entgegengetreten sind, haben die Kläger dies nicht näher substantiiert. Anhaltspunkte für eine Abgrabung auf dem Grundstück des Beigeladenen ergeben sich insbesondere nicht aus dem im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Lichtbild, welches das Gelände während der Baumaßnahme zeigt. Diesem Lichtbild kann lediglich entnommen werden, dass das Gelände im Bereich des Baukörpers geebnet und im Anschluss daran zum Grundstück des Beigeladenen hin abgeböscht wurde. Ausweislich der dem Bauantrag des Klägers zu 2) vom 4. September 2002 beigefügten Schnittzeichnung sollte die Stützmauer von dem natürlichen Geländeverlauf in abgetreppter Form in eine Höhe bis 3 m aufsteigen. Ist mithin für die Ermittlung der Höhe der Stützmauer von der Geländeoberfläche auf dem Grundstück des Beigeladenen auszugehen, weist die Mauer eine Höhe von etwa 2,70 m bei einem Neigungswinkel von 70° bis 80° auf und überschreitet das Höchstmaß des § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO um rund 70 cm.

24

c) Die angegriffene Rückbauanordnung ist auch unter Ermessengesichtspunkten nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte sich der der Beklagte zur Anordnung des Rückbaus der Einfriedung entschließen, denn bei Nachbarrechte beeinträchtigenden Baulichkeiten ist das der Bauaufsichtsbehörde nach § 81 Satz 1 LBauO zustehende Ermessen regelmäßig dahingehend reduziert, dass – zur Wahrung der Rechte des Nachbarn – nur noch die Pflicht zur Beseitigung des baurechtswidrigen Zustandes verbleibt (vgl. OVG RP, Urteile vom 25. November 2009 – 8 A 10636/09.OVG –, AS 38, 130 = juris Rn. 29, und vom 22. September 2000 – 1 A 10962/00.OVG –, NVwZ-RR 2001, 290 = juris Rn. 16). Eine solche Ermessensreduktion auf Null tritt nur dann nicht ein, wenn eine Abweichung von der nachbarschützenden Vorschrift in Betracht kommt, übergeordnete, sich aus der Sache selbst ergebende öffentliche Interessen einem Einschreiten entgegenstehen oder sich die Abweichung von der nachbarschützenden Vorschrift im Bagatellbereich hält (vgl. OVG RP, Beschluss vom 6. Juni 2011, a.a.O. = juris Rn. 6; Urteil vom 7. Dezember 2005 – 8 A 11062/05.OVG –, S. 8 UA). Diese Ausnahmen sind vorliegend nicht gegeben.

25

Die überhöhte Einfriedung kann nicht im Wege einer Abweichung nach § 69 Abs. 1 LBauO zugelassen werden, da es bereits an den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen hierfür fehlt.

26

Aus den Tatbestandsmerkmalen des § 69 Abs. 1 LBauO ergeben sich hinreichend klare Maßstäbe, wann eine Abweichung zugelassen werden darf. Maßgebend ist entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift die Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen unter Berücksichtigung des Zwecks der gesetzlichen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen, wobei die tatbestandlichen Voraussetzungen restriktiv zu handhaben sind. Dies gebietet allein der Umstand, dass durch die baurechtlichen Vorschriften die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Belange und Interessen regelmäßig schon in einen gerechten Ausgleich gebracht worden sind und die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs ein mehr oder minder beliebiges Abweichen von den Vorschriften der Landesbauordnung nicht gestattet. Angesichts dessen lässt das Merkmal der "Berücksichtigung des Zwecks der gesetzlichen Anforderung" eine Abweichung nur dann zu, wenn im konkreten Einzelfall eine besondere Situation vorliegt, die sich vom gesetzlichen Regelfall derart unterscheidet, dass die Nichtberücksichtigung oder Unterschreitung des normativ festgelegten Standards gerechtfertigt ist. Eine derartige Lage ist gegeben, wenn aufgrund der besonderen Umstände der Zweck, der mit einer Vorschrift verfolgt wird, die Einhaltung der Norm nicht erfordert oder wenn deren Einhaltung aus objektiven Gründen außer Verhältnis zu der Beschränkung steht, die mit einer Versagung der Abweichung verbunden wäre. Um dies sachgerecht beurteilen zu können, sind stets die mit der gesetzlichen Anforderung verfolgten Ziele zu bestimmen und den Gründen gegenüber zu stellen, die im Einzelfall für die Abweichung streiten (vgl. OVG RP, Urteil vom 3. November 1999 – 8 A 10951/99.OVG –, NVwZ 2000, 580 = juris Rn. 25). Ebenso sind die betroffenen nachbarlichen Interessen zu gewichten und angemessen zu würdigen. Je stärker die Interessen des Nachbarn berührt sind, umso gewichtiger müssen die für die Abweichung sprechenden Gründe sein. Soll gar von einer nachbarschützenden Vorschrift abgewichen werden, sind die entgegenstehenden Rechte des Nachbarn materiell mitentscheidend. Eine Abweichung kommt in einer derartigen Situation nur in Betracht, wenn aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles der Nachbar nicht schutzbedürftig ist oder die Gründe, die für eine Abweichung streiten, objektiv derart gewichtig sind, dass die Interessen des Nachbarn ausnahmsweise zurücktreten müssen. Stehen weder der Zweck der gesetzlichen Anforderung noch die nachbarlichen Interessen unüberwindbar entgegen, ist zu prüfen, ob die Abweichung mit den konkret betroffenen öffentlichen Belangen, also allen im öffentlichen Interesse liegenden Anliegen, zu vereinbaren ist (vgl. OVG RP, Urteil vom 3. November 1999, a.a.O.; Beschluss vom 8. Juni 2001 – 8 B 10855/01.OVG –, S. 4 BA).

27

Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die Versagung der Zulassung einer Abweichung durch den Beklagten nicht zu beanstanden, denn es fehlt bereits an einer atypischen Sondersituation, die ein Abweichen von der gesetzlichen Regel rechtfertigt. Zwar kann eine eine Abweichung rechtfertigende atypische Sondersituation auch in Besonderheiten der Geländetopografie begründet sein (vgl. BayVGH, Urteil vom 15. Dezember 2008 – 22 B 07.143 –, juris Rn. 39; OVG NW, Beschluss vom 5. März 2007 – 10 B 274/07 –, NVwZ-RR 2007, 501 = juris Rn. 17). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die zur Begründung der Abweichung angeführte Geländetpopografie nicht nur das Grundstück der Kläger, sondern gleichermaßen weitere Grundstücke in vergleichbarer Situation betrifft, so dass schon aus diesem Grunde an einem für eine Abweichung erforderlichen atypischen Einzelfall fehlen dürfte. Überdies werden vergleichbare Geländesituationen in einer durch hängiges Gelände geprägten Region wie Rheinhessen in einer Vielzahl von Fällen vorkommen, so dass sie letztlich deren Bebaubarkeit prägen. Zwar bedingt der vorhandene, durch eine Hanglage zum Grundstück des Beigeladenen geprägte Geländeverlauf, dass das Grundstück der Kläger bei Einhaltung der abstandsflächenrechtlichen Vorgaben nur eingeschränkt nutzbar ist, wie insbesondere das vorgelegte Lichtbild, aber auch die Schnittzeichnung dokumentieren. Dies ist jedoch Ausfluss der vorhandenen Geländestruktur, die regelmäßig die Bebaubarkeit eines Grundstücks bestimmt und als vorgegeben hinzunehmen ist. Vorliegend führen weder Geländestruktur noch Größe oder Zuschnitt des Grundstücks dazu, dass dieses bei Einhaltung der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften unbebaubar wäre; hiergegen sprechen eindeutig das vorgelegte Lichtbild sowie die Schnittzeichnung, und auch die Kläger haben derartiges nicht dargetan. Hingegen kann der bloße Wunsch des Eigentümers, sein Grundstück (und dessen Freibereich) stärker nutzen zu können als es die Abstandsflächenvorschriften erlauben, keine atypische Einzelfallsituation begründen (vgl. BayVGH, Urteil vom 15. Dezember 2008, a.a.O. Rn. 39; OVG NW, Urteil vom 17. Januar 2008 – 7 A 2761/06 –, juris Rn. 35, und Beschluss vom 5. März 2007, a.a.O. Rn. 17).

28

Die Rückbauverfügung erweist sich auch ansonsten nicht als ermessensfehlerhaft. Soweit die Kläger geltend machen, der Beklagte habe vor dem Hintergrund der vorhandenen Geländesituation keinen angemessenen Interessenausgleich zwischen ihnen und dem Beigeladenen vorgenommen, übersehen sie, dass dieser Interessenausgleich bereits durch den Gesetzgeber in der abstandsflächenrechtlichen Vorschrift des § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO erfolgt ist. Jeder Bauherr hat dafür Sorge zu tragen, dass den gesetzlichen Anforderungen auf seinem Baugrundstück Rechnung getragen wird. Etwas anderes kann auch nicht mit Blick auf den Einwand gelten, die vorhandene Stützmauer sei für den Beigeladenen hinsichtlich der Belichtungssituation günstiger, als wenn die Stützmauer auf 2 m gekürzt und das dahinter liegende Gelände in einem Winkel von 45° abgeböscht würde. Abgesehen davon, dass eine solche Veränderung im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der dann (für die Böschung) anwendbaren Vorschrift des § 8 Abs. 8 Satz 2 LBauO nicht gleichsam auf der Hand liegt, sondern einer Überprüfung durch die Bauaufsichtsbehörde bedarf, müsste der Beigeladene im Falle einer baulichen Zulässigkeit die sich dann bestehende Belichtungssituation in Bezug auf sein Grundstück hinnehmen. Dies wäre die Folge der gesetzgeberischen Systematik des § 8 LBauO.

29

Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, dass das Recht des Beklagten auf bauaufsichtliches Einschreiten verjährt oder verwirkt ist. Bauordnungsrechtliche Eingriffsbefugnisse unterliegen weder der Verjährung (vgl. BayVGH, Beschluss vom 2. April 2013 – 2 ZB 12.1210 –, juris Rn. 10; VG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Mai 2015 – 11 L 1419/15 –, juris Rn. 28) noch der Verwirkung (vgl. OVG RP, Urteil vom 12. Juni 2012 – 8 A 10291/12.OVG –, AS 41, 181 = juris Rn. 34; VGH BW, Urteil vom 1. April 2008 – 10 S 1388/06 –, NVwZ-RR 2008, 696 = juris Rn. 50 m.w.N.). Ungeachtet dessen hat der Beklagte aber auch nicht durch vorangegangenes positives Tun bei den Klägern einen Vertrauenstatbestand geschaffen, der dazu geführt hätte, dass diese im Vertrauen auf ein Nichteinschreiten nicht unerhebliche und nur schwer rückgängig zu machende Vermögensdispositionen getroffen hätten (vgl. OVG RP, Urteil vom 12. Juni 2012, a.a.O. = juris Rn. 34 m.w.N.). Vielmehr hat der Beklagte – wie nicht zuletzt das das Baugrundstück Am l. R. ... (Flur ..., Flurstück .../13) betreffende Verfahren 3 K 1262/10.MZ zeigt – in der Vergangenheit in Ausübung seiner bauaufsichtlichen Befugnisse zweifelsfrei zu erkennen gegeben, dass er gegen eine Überschreitung der in § 8 Abs. 8 Satz 3 LBauO normierten Höhenbegrenzung einschreiten wird. Auch von einer Verwirkung seiner Nachbarrechte durch den Beigeladenen kann keine Rede sein; auch dieser hat bereits 2002 bekundet, eine Überschreitung des Höhenmaßes von 2 m durch die streitgegenständliche Stützmauer nicht hinnehmen zu wollen.

30

Soweit die Kläger schließlich geltend machen, der angeordnete Rückbau erweise sich im Hinblick auf die zu erwartenden erheblichen Kosten als unverhältnismäßig, können sie hiermit ebenfalls nicht durchdringen. Aus der Höhe der Rückbaukosten kann, wenn durch die Errichtung einer baulichen Anlage gegen Vorschriften des materiellen Baurechts – zumal wenn diese nachbarschützend sind – verstoßen wurde und der Rückbau das geeignete und erforderliche Mittel zur Herstellung baurechtmäßiger Zustände ist, kein Umstand hergeleitet werden, der ausnahmsweise zu einem Ermessensfehler bei Erlass der erforderlichen Beseitigungsanordnung führen könnte (OVG Berlin, Beschluss vom 27. November 2001 – 2 N 27.01 –, BRS 64 Nr. 11 = juris Rn. 10).

31

2) Auch die in den streitgegenständlichen Verfügungen enthaltene Verpflichtung zur Absicherung des hinter den Stützmauern gelegenen Geländes gegen Abrutschen begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet als Annex zu dem angeordneten Rückbau der Stützmauer auf das Maß von 2 m ihre Rechtsgrundlage in § 13 Abs. 1 i.V.m. § 59 LBauO und ist auch unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Da der Beigeladene einen Antrag gestellt hat und damit ein Kostenrisiko eingegangen ist, hat er einen Anspruch auf Erstattung seiner eigenen außergerichtlichen Kosten gegenüber den Klägern erworben.

33

Das Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Beschluss der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 11. November 2015

34

1. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten des Beigeladenen im Vorverfahren wird für notwendig erklärt (§ 162 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 VwGO).

35

2. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).

Tenor

Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 8. September 2011 - 8 K 3119/09 - werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben mit Ausnahme der ausscheidbaren, durch die Beweiserhebung mittels Sachverständigengutachten entstanden Gerichtskosten, die der Kläger trägt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen, mit dem seine Klage gegen eine Abbruchsanordnung betreffend eine Natursteinmauer und eine Geländeaufschüttung hinsichtlich des die Natursteinmauer betreffenden Teils abgewiesen worden ist. Die Beklagte wendet sich mit einer Anschlussberufung gegen den stattgebenden Teil des verwaltungsgerichtlichen Urteils, das die Verpflichtung des Klägers zur Abänderung und Abtragung des Geländes aufgehoben hat.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Flst. Nr. ... in ... (...). Die ... verläuft im Bereich dieses Grundstücks in nordsüdlicher Richtung mit einem deutlichen Gefälle nach Süden. Das Grundstück des Klägers, das mit einem Wohnhaus und einer Garage bebaut ist, liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans und der örtlicher Bauvorschriften „Weiherwiesen-Feder“ - Neufassung 2003 - der Beklagten. In den örtlichen Bauvorschriften finden sich u.a. folgende Bestimmungen:
„II.

7. Einfriedigungen (§74 Absatz 1 Nr. 3 LBO):
Es sind nur offene (keine Mauern o.ä.) und lebende Einfriedigungen zuzulässig. Zäune dürfen höchstens 1,20 m, Hecken höchstens 1,50 m über Gelände, im Bereich von Sichtschutzflächen höchstens 0,70 m über der Verkehrsfläche hoch sein. Maschen- oder Spanndrähte sind nur dann zugelassen, wenn sie von einer Hecke eingewachsen werden; Stacheldraht ist unzulässig
9. Aufschüttungen und Abgrabungen (§ 74 Absatz 3 Nr. 1 LBO):
1) Die Baurechtsbehörde kann verlangen, dass das Gelände auf eine bestimmte Höhe abgegraben oder aufgefüllt wird oder dass Abgrabungen und Auffüllungen ganz unterbleiben (vgl. § 10 LBO).
2) Stützmauern dürfen max. 1 m hoch sein und sind aus Naturstein oder begrünt herzustellen.
…“
Von einem Voreigentümer wurde in der Süd-Ost-Ecke des Grundstücks eine Mauer mit einer Höhe von etwa einem Meter zum Nachbargrundstück ... 6 sowie in Höhe von etwa 80 cm zur ... errichtet. Auf der Mauer war ein etwa 1 Meter hoher Scherenzaun angebracht.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 9. Februar 2009 mit, sie habe festgestellt, dass hinter der vorhanden Stützmauer mehrere Steinreihen aufgeschichtet worden seien. Die Gesamthöhe dieser Einfriedigung bzw. Stützmauer dürfte am höchsten Punkt deutlich über zwei Metern liegen. Die Steinreihen seien mit Thujas hinterpflanzt. Diese Maßnahmen stünden nicht im Einklang mit dem Bebauungsplan „Weiherwiesen-Feder“. Stützmauern dürften maximal einen Meter hoch sei. Darüber hinaus könne die Beklagte verlangen, dass das Gelände auf eine bestimmte Höhe abgegraben oder aufgefüllt werde. Um rechtmäßige Zustände wiederherzustellen, sei es notwendig, die Stützmauer bis auf das zulässige Maß von einem Meter abzubauen und die vorgenommene Geländeanfüllung wieder zurückzunehmen.
Nach dem Scheitern von Vergleichsgesprächen zwischen dem Kläger und der Beklagten erließ diese am 19. Mai 2009 gegen den Kläger die folgende Entscheidung:
10 
„1. Die auf die vorhandene Stützmauer zur ... und zum südlich angrenzenden Grundstück „... 6“ aufgeschichteten neuen Natursteinreihen Ihres Grundstücks „... 4“ sind abzubauen.
2. Ab Oberkante der vorhandenen Stützmauer zur ... und der Stützmauer zum Grundstück „... 6“ ist das Gelände bis zum Hausgrund im Verhältnis 1:2 (entspricht 27°) oder flacher bis auf 50 cm über der Höhe des Untergeschoss- Rohfußbodens des Wohnhauses „... 4“ abzuändern bzw. abzutragen.
3. Die Abänderungsarbeiten sind bis spätestens 31. August 2009 vorzunehmen. Sofern Rechtsmittel gegen diese baurechtliche Entscheidung eingelegt werden, sind die Arbeiten bis spätestens 2 Monate nach Eintritt der Bestandskraft dieser Entscheidung bzw. einer etwaigen Anordnung der sofortigen Vollziehung durchzuführen.“
11 
Zur Begründung führt die Beklagte u.a. aus, dass sich die Abänderungsanordnung auf die §§ 47, 65 Satz 1 LBO stütze. Die Natursteinstützmauer und die Geländeveränderungen seien bauliche Anlagen im Sinne des § 2 Abs. 1 LBO. Nach Nr. II. 9.2.2 der örtlichen Bauvorschriften dürften Stützmauern maximal einen Meter hoch sein. Baurechtlich rechtmäßige Zustände könnten nur dann hergestellt werden, wenn die auf die vorhandene Betonstützmauer aufgebrachten Natursteine wieder abgebaut würden. Nach Nr. II. 9.2.1 der örtlichen Bauvorschriften könne die Baurechtsbehörde verlangen, dass das Gelände auf eine bestimmte Höhe abgegraben oder aufgefüllt werde oder dass Abgrabungen und Auffüllungen ganz unterblieben. Nach § 10 LBO könne bei der Errichtung baulicher Anlagen verlangt werden, dass die Oberfläche des Grundstücks erhalten oder ihre Höhenlage verändert werde, um eine Verunstaltung des Straßen, Orts- oder Landschaftsbildes zu vermeiden oder zu beseitigen: Genau diese Situation, die die Landesbauordnung vermeiden wolle, sei eingetreten. Die Stützmauer und die Geländeauffüllung verunstalteten das Straßen- und Ortsbild. Die Entscheidung der Baurechtsbehörde, ob sie eine Änderung der Geländeoberfläche verlange, stehe in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Sie habe bei der Entscheidung das Interesse des Bauherren an eine optimalen Grundstücksausnutzung und die Gründe der Gestaltung, der Sicherheit und der Ökologie sowie die Belange des Nachbarschutzes in ihre Erwägungen einzustellen. Die Baurechtsbehörde könne zur Angleichung der Höhe der Nachbargrundstücke verlangen.
12 
Rechtmäßige Zustände seien nur mit einer Reduzierung der Stützmauer auf die zulässige Höhe zu erreichen. Die Befreiungsvoraussetzungen lägen nicht vor. Weiter sei eine Änderung der Geländeauffüllung erforderlich, da die gestalterischen Störungen erheblich bzw. wesentlich seien. Nach § 11 Abs. 1 LBO seien bauliche Anlagen mit ihrer Umgebung so in Einklang zu bringen, dass sie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalteten. Verunstaltet sei eine Umgebung, wenn der Gegensatz zwischen ihr und der Umgebung von einem, ästhetischen Eindrücken gegenüber offenen Betrachter, dem so genannten gebildeten Durchschnittsbetrachter, als belastend und Unlust erregend empfunden werde. Dieser Zustand liege hier vor. Die Mauer stehe in schroffem Gegensatz zum vorhandenen Gelände und der ... Die Maßnahmen seien in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen.
13 
Die Baurechtsbehörde handele grundsätzlich in Übereinstimmung mit dem Zweck der Ermächtigung und damit rechtmäßig, wenn sie die Beseitigung oder Änderung einer im Widerspruch mit dem materiellen Baurecht erstellten Anlage anordne. Die gestalterischen Anforderungen würden gegenüber dem Erhalt der ohne Abstimmung mit der Beklagten aufgeschichteten Mauer und der Geländeveränderung deutlich höher gewichtet. Geringere Eingriffsmöglichkeiten seien nicht erkennbar.
14 
Der Kläger legte gegen diese Entscheidung am 3. Juni 2009 Widerspruch ein und begründete diesen im Wesentlichen damit, dass die Höhe der Stützmauer nicht über zwei Meter liege. Des Weiteren habe er das Gelände nicht aufgeschüttet. Er habe nur die vorhandene Böschung mit Natursteinen terrassiert und befestigt sowie den Rasenbereich eingeschottert. Auch sei die angegriffene Entscheidung ermessensfehlerhaft.
15 
Das Regierungspräsidium Tübingen wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 25. September 2009 mit der Maßgabe zurück, dass entlang der ... die unterste auf der vorhandenen Mauer aufgesetzte Steinreihe belassen werden dürfe. Der Widerspruch sei zulässig aber nur teilweise begründet. Die seit längerem bestehende Mauer entlang der ... weise eine Höhe von 0,8 m auf. Die Steine der ersten auf die Mauer aufgesetzten Reihe seien zwischen 0,23 und 0,24 m hoch, so dass entlang der ... die bebauungsplanmäßige festgesetzte Höhe nur unwesentlich überschritten werde. Deshalb werde insoweit von der Beseitigungsverfügung Abstand genommen. Hingegen überschreite die Gesamtstützmaueranlage die Festsetzung des Bebauungsplans hinsichtlich der Zulässigkeit von Stützmauern um mehr als das Doppelte. Der Geländeverlauf wirke sehr künstlich und nehme keine Rücksicht auf die ursprüngliche Geländesituation. Die Erteilung einer Befreiung komme daher nicht ernsthaft in Betracht. Die Widerspruchsbehörde teile auch die Auffassung, dass der bestehende Zustand eine Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes sei. Das Ermessen habe die Beklagte fehlerfrei ausgeübt.
16 
Der Kläger hat gegen den am 29. September 2009 zugestellten Bescheid am 23. Oktober 2009 Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, dass § 10 LBO nicht zur Anordnung der Beseitigung einer Stützmauer ermächtige. Auch die §§ 47, 65 LBO deckten die Beseitigungsanordnung hier nicht. Die Stützmauer überschreite die Höhe von einem Meter nicht, wenn die Höhe in analoger Anwendung des § 5 Abs. 9 LBO über den ursprünglichen Geländeverlauf ermittelt werde. Ungeachtet dessen ermächtigten weder § 74 Abs. 3 Nr. 1 LBO noch § 74 Abs. 1 LBO dazu, die Höhe von Stützmauern festzulegen. Die Mauer verstoße auch nicht gegen § 11 Abs. 1 LBO. Sie wirke nicht verunstaltend. Selbst wenn Rechtsverstöße vorlägen, so sei die Ermessensentscheidung fehlerhaft. Denn die von den Behörden eingestellten Belange seien nicht mit den Belangen nach § 65 LBO, Nr. II. 9.2 des Bebauungsplans und § 11 LBO identisch. Nr. II.9.2. stütze sich auf § 74 Abs. 3 Nr. 1 LBO und sei damit eine Vorschrift zur Vermeidung überschüssigen Bodenaushubs. Belange des Ortschaftsbildes, der Sicherheit, der Ökologie und der Nachbarschaft seien dort nicht aufgeführt, so dass die entsprechenden Erwägungen der Behörden sachfremd sei. Gleiches gelte bezogen auf § 11 LBO. Es fehlten nämlich Angaben zur konkreten von der Gemeinde verfolgten Gestaltungsaufgaben. Allein das Ziel einer einheitlichen Gestaltung reiche nicht aus. Die Beseitigungsaufforderung hinsichtlich der Aufschüttung sei ebenfalls rechtswidrig. Diese sei bereits keine bauliche Anlage. Bei der Umgestaltung der Außenanlage sei keine Aufschüttung erfolgt. Im Übrigen sei die Anordnung auch unverhältnismäßig, weil nicht das geringst mögliche Mittel gewählt worden sei.
17 
Die Beklagte verteidigte ihren Bescheid.
18 
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 8. September 2011 den Bescheid der Beklagten vom 19.05.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25.09.2009 hinsichtlich der Regelung aus Nr. 2 und Nr. 3 - soweit sich diese auf Nr. 2 bezieht - aufgehoben, die Klage im Übrigen abgewiesen und die Beiziehung des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Vorverfahren für notwendig erklärt. Die Anordnung, die Stützmauer bis auf die unterste aufgesetzte Steinreihe abzubauen, sei von § 65 Satz 1 LBO gedeckt. Zwar liege kein Verstoß gegen die §§ 10 f. LBO vor, da keine Verunstaltung festzustellen sei. Allerdings verstoße die Natursteinmauer gegen Nr. II. 9.2. der örtlichen Bauvorschriften. Denn danach dürfe eine Stützmauer maximal einen Meter hoch sein. Diese Vorschrift beruhe auf § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO und nicht, wie in der Überschrift der örtlichen Bauvorschriften angedeutet auf § 74 Abs. 3 Nr. 1 LBO. Die letztgenannte Vorschrift beziehe sich auf das ökologische Ziel des sparsamen Bodenverbrauchs. Zu diesem Ziel habe die Regelung zur Höhe von Stützmauern aber keinen Bezug. Bei der Natursteinmauer handele es sich auch um eine Stützmauer. Es sei für die Kammer aufgrund des Augenscheins offenkundig, dass die Natursteinmauer nicht allein dekorative Zwecke erfülle, sondern jedenfalls auch das im Bereich zur Grundstücksgrenze wenig befestigte Erdreich vor einem Abrutschen bewahre. Diese Mauer überschreite auch die zulässige Höhe. Die Mauer erreiche an ihrer höchsten Stelle am Gitterrost zum Gebäude ... eine Höhe von 2,35 m und unterschreite die Höhe von 1 m an keiner Stelle. Es sei nicht zutreffend, dass die Höhe der Stützmauer unter Berücksichtigung des natürlichen Geländeverlaufs durch eine gedachte Verlängerung der Steine bis zum Schnitt mit dem natürlichen Geländeverlaufs zu bestimmen sei. Die Abbruchanordnung sei ermessensfehlerfrei, insbesondere seien Interessen der Nachbarn entgegen der Auffassung des Klägers nicht berücksichtigt worden.
19 
Die Regelung in Nr. 2 des angegriffenen Bescheids erweise sich hingegen als rechtswidrig. Zwar habe auch der Kläger und nicht allein der Voreigentümer Aufschüttungen vorgenommen. Das ergebe ein Vergleich der Erdmassen, wie sie beim Augenschein vorgefunden worden seien mit dem Zustand nach früheren Lichtbildern. Es könne offen bleiben, ob die angegriffene Verfügung mit der Verwendung des Begriffs „Hausgrund“ noch hinreichend bestimmt sei und ob die Bestimmung in Nr. II.9.1 der örtlichen Bauvorschriften hinreichend bestimmt sei. Denn die Beklagte habe jedenfalls der Baufreiheit des Klägers aus Art. 14 Abs. 1 GG nicht ausreichend Rechnung getragen. Baurechtsgemäße Zustände seien auch in anderer Weise herzustellen. Die Aufschüttung könne auch dadurch beseitigt werden, dass der Kläger das Erdreich hinter der Mauer plan einebne und darauf eine zweite Mauer mit einer Höhe von maximal einem Meter errichte. Dies habe der Kläger im Mai 2009 auch vorgeschlagen, ohne dass die Beklagte darauf eingegangen wäre. Damit habe die Beklagte den Kläger zu einer Maßnahme verpflichtet, ohne auf die gleichgeeignete, von ihm vorgeschlagene Maßnahme einzugehen. Daher verstoße die Entscheidung gegen das Übermaßverbot.
20 
Nach der Zulassung der Berufung durch den Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 5. Februar 2013 - zugestellt am 11. Februar 2013 - hat der Kläger die Berufung am 7. März 2013 begründet. Ergänzend zum erstinstanzlichen Vorbringen trägt er im Wesentlichen vor, dass die Natursteinmauer keine Einfriedung im Sinne der örtlichen Bauvorschriften sei. Darüber hinaus bestehe für die textlichen Festsetzungen unter Nr. II. 9.2. der örtlichen Bauvorschriften keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Denn für Stützmauern ermächtige § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO nicht zu Höhenfestsetzungen. Im Übrigen gebe es keine sachliche Rechtfertigung für die Begrenzung der Höhe von Stützmauern. Denn deren Höhe hänge davon ab, welche Erdmassen abgefangen werden müssten. In einem Baugebiet mit einer starken Hanglage sei es geradezu willkürlich, eine Höhe von einem Meter vorzuschreiben.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 8. September 2011 - 8 K 3119/09 -, soweit es die Klage abweist, zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 25. September 2009 auch hinsichtlich dessen Nr. 1 und Nr. 3, soweit sich die Regelung auf Nr. 1 bezieht, aufzuheben.
23 
Die Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Die baurechtliche Entscheidung sei bezüglich der Natursteinreihen zu Recht auf § 65 Satz 1 LBO, hinsichtlich der Verunstaltung in Verbindung mit §§ 10 und 11 LBO gestützt. Die beanstandeten Natursteinreihen verstießen mit ihrer Gesamthöhe von über zwei Metern gegen die örtlichen Bauvorschriften über Stützmauern Nach Nr. II.9.2. dürften diese maximal 1 m hoch sein. Diese Vorschrift sei auf § 74 Abs. 1 Nr. 1 als auch § 74 Abs. 3 Nr. 1 LBO 1995 gestützt. Es handele sich bei den Natursteinreihen um eine Stützmauer. Auch eine terrassierte Stützmauer habe eine Stützfunktion für das Erdreich in dem Sinne, dass dieses Erdreich nicht auf die Straße abrutschten könne. Die Bestimmung in den örtlichen Bauvorschriften stehe mit höherrangigem Recht in Einklang. Nach § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO 1995 könne die Gemeinde insbesondere zur Durchführung baugestalterischer Absichten in bebauten Teilen des Gemeindegebiets örtliche Bauvorschriften erlassen über die Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen. Eine Stützmauer sei ohne weiteres eine bauliche Anlage. Die Begrenzung ihrer Höhe sei auch eine Anforderung an ihre äußere Gestaltung. Die Entscheidung sei auch abwägungsfehlerfrei getroffen worden.
26 
Weiter verletzten die Natursteinreihen auch die örtlichen Bauvorschriften über Einfriedungen. Im Übrigen stellten die Natursteinreihen auch eine Verunstaltung im Sinne der §§ 10 Nr. 1, 11 Abs. 1 Satz 1 LBO dar, weil sie einen das ästhetische Empfingen des gebildeten Durchschnittsbetrachters verletzenden Zustand hervorriefen, der als grob unangemessen empfunden werde, das Gefühl des Missfallens wecke und den Wunsch nach Abhilfe herausfordere. Die Beklagte habe das ihr eröffnete Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Das Interesse des Klägers sei durch die Hinnahme der geringfügigen Überschreitung der Stützmauerhöhe berücksichtigt worden. Im Übrigen bestehe auch kein Anspruch des Klägers auf eine Befreiung.
27 
Die Beklagte hat sich per Fax am 8. März 2013 - in Original beim Verwaltungsgerichtshof am 13. März 2013 eingegangen - der Berufung angeschlossen. Die Berufungsbegründung ist ihr am 12. März 2013 zugestellt worden. Sie trägt hierzu vor, dass ihre Verfügung zur Beseitigung der Aufschüttung entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts rechtmäßig sei. Sie sei auf § 47 Abs. 1 LBO gestützt. Die vorgenommene Aufschüttung sei rechtswidrig. Es sei nicht relevant, ob die Aufschüttung 2008 vorgenommen worden sei. Entscheidend sei, dass in Abweichung von den genehmigten Bauvorlagen eine erhebliche Aufschüttung gegeben sei. Es stimme nicht, dass der Geländeverlauf schon immer in einem sehr steilen Winkel abgeböscht gewesen sei. Dieser Vortrag sei durch die Abbildungen in den Behördenakten zu widerlegen. Wäre es so gewesen, wie es der Kläger behaupte, nämlich dass lediglich der Jägerzaun entfernt und in die Böschung hinein die Natursteine aufgeschichtet worden seien, müsste diese Böschung bereits in den älteren Lichtbildern hinter dem Jägerzaun aufragen. Die Beklagte habe ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es seien auf andere Weise rechtmäßige Zustände herzustellen, teile die Beklagte nicht. Die Verfügung konkretisiere die unbestimmten Rechtsbegriffe „Abgrabung/Auffüllung auf bestimmter Höhe“. Geländeangleichungen und Anforderungen an Geländegestaltungen im Verhältnis 1:2 seien allgemeine baurechtliche Praxis der Beklagten. Sie seien als geeignete und verhältnismäßige Neugestaltung verfügt worden. Die von dem Verwaltungsgericht als denkbar angesehene Gestaltungsvariante sei deutlich aufwändiger als die nun geforderte und sei daher nicht verhältnismäßig. Zudem werde die erste und die zweite Mauer von einem Durchschnittsbetrachter als einheitliche Mauer wahrgenommen.
28 
Die Beklagte beantragt,
29 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 8. September 2011 - 8 K 3119/09 -, soweit es der Klage stattgibt, zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
30 
Der Kläger beantragt,
31 
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
32 
Die Beklagte stütze sich hinsichtlich der Geländeauffüllung auf Nr. II.9.I. der örtlichen Bauvorschriften in Verbindung mit § 10 LBO und begründet ihre Anordnung mit einer angeblichen Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes. Diese habe sie aber nirgends stichhaltig begründet. Im Übrigen habe die Beklagte auch sonst keine Belege für die Behauptung, es seien baurechtswidrige Aufschüttungen vorgenommen worden, geliefert.
33 
Das Verfahren ist am 2. Juli 2014 vom Verwaltungsgerichtshof in Mössingen mündlich verhandelt worden. Der 8. Senat nahm einen Augenschein ein. Ein widerruflich geschlossener Vergleich - Abbau der drei oberen Steinreihen - wurde von der Beklagten fristgerecht widerrufen.
34 
Im Termin zur mündlichen Verhandlung ergänzte die Beklagte die Begründung ihres Bescheids vom 19. Mai 2009 schriftlich. Sie sehe die Natursteinreihen auch als Einfriedung im Sinne der örtlichen Bauvorschriften an.
35 
Der Senat hat sodann mit Beschluss vom 12. Februar 2015 Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage
36 
Fangen die auf dem Grundstück des Klägers, Flst. Nr. ... in ... (... 4) errichten Natursteinreihen, sei es einzeln, sei es als System von Natursteinreihen im Zusammenwirken, seitlichen Druck vom Erdreich ab und leiten ihn vertikal ins Erdreich ab und dienen damit objektiv den Zwecken, einem Abrutschten des Erdreichs vorzubeugen und die Geländeaufschüttung mit dem angelegten Stellplatz zu stabilisieren?
37 
Mit Beschluss vom 2. Oktober 2015 wurde der zunächst bestimmte Sachverständige Dipl. Ing. S. von der Aufgabe entbunden, da er über sieben Monate lang kein Gutachten erstatte und Fristen zur Äußerung wiederholt verstreichen ließ. Mit Beschluss vom 3. November 2015 wurde der Sachverständige Dipl. Ing. B. zum Sachverständigen bestimmt. Nach wiederholten Mahnungen und Durchführung eines Vor-Ort-Termins im Juli 2016 legte er am 24. Januar 2017 sein Gutachten dem Senat vor. Der Sachverständige kommt in diesem Gutachten ausgehend von der Annahme, dass die in den ihm vorgelegten Lieferscheinen bezeichneten Materialien auch zur Herstellung der Hinterfüllung der Natursteinmauer verbaut worden seien und damit rollige, nicht kohäsive Materialien in Form von verschiedenen Kies-Sand-Gemischen oder Splitt-Schotter-Gemischen eingesetzt worden seien, zu dem Ergebnis, dass die Natursteinmauer zur Sicherung des Höhensprungs beitrage. Sie sei notwendig für diese Sicherung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das bei den Gerichtsakten befindliche schriftliche Gutachten verwiesen.
38 
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22. März 2017 wurde der Sachverständige ergänzend zu seinem schriftlichen Gutachten gehört. Insoweit wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung verwiesen.
39 
Dem Senat lagen die Behördenakten sowie die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts vor. Auf diese wird ebenso wie auf die Gerichtsakten des Berufungsverfahrens wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
40 
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet (I.). Ebenfalls unbegründet ist die zulässige Anschlussberufung der Beklagten (II.).
I.
41 
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen Nr. 1 und Nr. 3 - soweit auf Nr. 1 bezogen - des Bescheids der Beklagten vom 19. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 25. September 2009 zu Recht abgewiesen, weil die Abbruchanordnung rechtmäßig ergangen ist und den Kläger nicht in dessen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
42 
1. a) Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung des teilweisen Abbruchs der Natursteinreihen ist § 65 Satz 1 LBO. Nach dieser Vorschrift kann der teilweise oder vollständige Abbruch einer Anlage, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurde, angeordnet werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Der hiernach erforderliche Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften setzt voraus, dass die Anlage nicht baurechtlich genehmigt ist oder war und seit ihrer Errichtung fortdauernd gegen materielles Baurecht verstößt (st. Rspr.: zuletzt: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.09.2015 - 3 S 741/15 -, VBlBW 2016, 115 m.w.N.).
43 
b) Bei den vom Kläger errichteten Natursteinreihen handelt es sich um eine einheitliche bauliche Anlage im Sinne der Landesbauordnung (aa). Diese ist im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden, denn es handelt sich bei der baulichen Anlage um eine Stützmauer im Sinne von Nr. II. 9. 2. der örtlichen Bauvorschriften (bb). Die örtlichen Bauvorschriften sind wirksam. Die Stützmauer überschreitet die nach ihnen zulässige Höhe von einem Meter (cc).
44 
aa) Bei den Natursteinreihen handelt es sich um eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 LBO, denn sie besteht aus Bauprodukten, die durch eigene Schwere auf dem Boden ruht. Es handelt sich um eine einheitliche bauliche Anlage, weil die Steine gemeinsam eine Mauer bilden. Dies ergibt sich aus der Darstellung in der Anlage 2.1 zum Gutachten. Denn die Steine liegen teilweise aufeinander auf; die nächste Reihe ist konstruktiv in ihrer konkreten Ausgestaltung ohne die nächstniedriger Reihe nicht denkbar.
45 
bb) (1) Bei der baulichen Anlage handelt es sich um eine Stützmauer im Sinne der örtlichen Bauvorschriften „Weiherwiesen-Feder“.
46 
Der Begriff der Stützmauer ist zunächst ein autonom satzungsrechtlicher Begriff der Beklagten, der nach seinem Wortsinn und dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auszulegen ist. Angesichts des technischen Charakters baulicher Anlagen ist dabei insbesondere auf allgemein anerkannte, technische Begriffsdefinitionen abzustellen, sofern solche vorhanden sind und sich anderweitige Ansätze, insbesondere in der Satzung und ihrer Begründung, nicht finden lassen.
47 
Ausgehend von der Definition des Stützbauwerks in der DIN EN 1997-1:2009-09, auf die der Sachverständige in seinem Gutachten hinweist, gilt hier folgendes: Zunächst sind Stützbauwerke solche Tragwerke, die einen Untergrund abstützen, der Boden, Fels oder Hinterfüllung und Wasser enthält. Ein Material ist danach gestützt, wenn es in steilerer Neigung gehalten wird als die, unter der es sich ohne ein stützendes Tragwerk einstellen würde. Stützbauwerke umfassen alle Arten von Wänden oder Stützsystemen, bei denen Bauteile durch Kräfte aus dem gestützten Material beansprucht werden. Ein Stützbauwerk zur Stützung und Begrenzung von Böschungen oder Hängen, bestehend aus einzelnen Steinen, ist - nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und damit auch im Sinne der hier anzuwendenden örtlichen Bauvorschriften - eine Stützmauer.
48 
(2) Ausgehend von dem schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen im Sachverständigen ist der Senat davon überzeugt, dass die aus den Natursteinreihen bestehende, einheitliche bauliche Anlage eine Stützmauer im Sinne der örtlichen Bauvorschriften der Beklagten ist.
49 
Die im Termin zur mündlichen Verhandlung mündlich ergänzend erläuterte Vorgehensweise des Gutachtens, zunächst rechnerisch zu klären, dass bei einem ungestützten Bauwerk ein Versagen der Böschung zu besorgen wäre, sodann festzustellen, dass der in diesem Fall zu erwartende Bruchzustand nicht aufzufinden sei und daraus auf den stützenden Charakter der Natursteinmauer zu schließen, ist überzeugend. Zur Plausibilisierung ist sodann untersucht, dass die Mauer rechnerisch in der Lage ist, die Einwirkungen aufzunehmen und abzuleiten. Gegen diese überzeugende Methodik und das nachvollziehbar auf ihr beruhend gefundene Ergebnis der gutachterlichen Untersuchungen ist nichts zu erinnern. Insbesondere beruht die Annahme des Gutachtens, dass die Hinterfüllung der errichten Mauer mit nicht kohäsivem Material erfolgt sei, auf den eigenen Angaben des Klägers im Schriftsatz vom 26. September 2016. Die im Schriftsatz vom 9. März 2017 geäußerte Kritik, die Unterlagen, die am 22. Dezember 2015 vom Kläger an den Sachverständigen übersandt worden seien, wären nicht (hinreichend) beachtet worden, vermag keine vernünftigen Zweifel am erbrachten Gutachten zu wecken. Zum einen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass die Bohrungen, deren Ergebnisse Bestandteil dieser Unterlagen waren, nicht am Hang zur ... erfolgt sind. Damit sind die Aussagen dieser Bohrungen für den hiesigen Rechtsstreits ohne Relevanz. Darüber hinaus hat der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung überzeugend dargetan, weshalb die dargestellten Ergebnisse auch inhaltlich bestenfalls ein niedriger Beweiswert zukommen könnte, nämlich weil die gewählte Methodik nicht zur Findung des Ergebnisses tauglich gewesen ist.
50 
Soweit der Kläger geltend macht, dass die Stützwirkung nur in dem Bereich, welcher noch nicht gegen die Regelungen des Bebauungsplans verstoße, auftrete, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Denn es ist das Gesamtergebnis des Gutachtens, „dass die Natursteinmauer zur Sicherung des Böschungssprunges notwendig wird“ und „zumindest in Teilbereichen als Stützmauer“ wirkt. Da es sich um eine einheitlich zu betrachtende bauliche Anlage handelt, brauchte auch nicht weiter aufgeklärt zu werden, ob jede einzelne Steinreihe für sich den Charakter eines Stützbauwerks aufweist. Denn jedenfalls die oberen Reihen, die - in der konkreten Ausgestaltung der baulichen Anlage - ohne die unteren Reihen undenkbar sind, stützen den Hang - bezogen auf das hinterfüllte Material - gegen ein Brechen und Abrutschen.
51 
cc) Die Stützmauer überschreitet die nach den örtlichen Bauvorschriften zulässige Höhe von einem Meter (2). Dies ist auch rechtlich relevant, insbesondere sind die örtlichen Bauvorschriften wirksam (1).
52 
(1) Die infrage stehende Vorschrift aus den örtlichen Bauvorschriften ist auf § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO 1995 gestützt. Nach dieser Bestimmung können die Gemeinden im Rahmen der Landesbauordnung in bestimmten bebauten oder unbebauten Teilen des Gemeindegebiets zur Durchführung baugestalterischer Absichten, zur Erhaltung schützenswerter Bauteile, zum Schutz bestimmter Bauten, Straßen, Plätze oder Ortsteile von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung sowie zum Schutz von Kultur- und Naturdenkmalen örtliche Bauvorschriften erlassen über Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen, wobei sich die Vorschriften auch auf die Festsetzung der Höchst- oder Mindestgrenzen von Gebäudehöhen sowie der Gebäudetiefe als Höchstgrenze beziehen können.
53 
Eine Regelung über Höhen wird in dieser Ermächtigungsgrundlage zwar allein für Gebäude erwähnt. Diese sind nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung eine Unterkategorie („dabei können sich die Vorschriften auch…“) der Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen. Da eine Höhenregelung für jede bauliche Anlage eine „Anforderung an die äußere Gestaltung“ darstellt, spricht der Wortlaut der Norm dafür, Höhenbestimmungen auch für andere Anlagen als Gebäude zu treffen. Es ist dem Kläger zwar zuzugeben, dass in § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO 1995 die „Gestaltung und Höhe von Einfriedigungen“ ausdrücklich erwähnt wird. Daraus kann hingegen nicht der Schluss gezogen werden, dass damit eine abschließende Regelung zu Höhenregelungen in örtlichen Bauvorschriften getroffen wäre. Denn bei Einfriedigungen kann es sich auch etwa um Hecken - und damit nicht um bauliche Anlagen - handeln. Dies erklärt, weshalb für diese eine eigene Ermächtigung zur Regelung der Höhen erforderlich ist. § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO 1995 will nach Auffassung des erkennenden Senats nicht ausschließen, dass für andere bauliche Anlagen als Gebäude Höhenregelungen getroffen werden.
54 
Die in Nr. II.9.2 der örtlichen Bauvorschriften „Weiherwiesen-Feder“ enthaltene Höhenbegrenzung für Stützmauern ist auch hinreichend bestimmt, denn im Wege der Auslegung lässt sich der Bezugspunkt für das Höhenmaß bestimmen. Zwar ist ein solcher Bezugspunkt für die maximal zulässige Höhe nicht ausdrücklich angegeben, was diese Regelung etwa von derjenigen zur Gebäudehöhe (II.4.) oder zur Höhe von Einfriedigungen (II.7) in der Satzung der Beklagten unterscheidet. Allerdings ist es hier sachlogisch zwingend, dass auf den Schnitt der Mauer mit der Geländeoberfläche abzustellen ist. Entgegen der Auffassung des Klägers ist mangels Anordnung durch den Satzungsgeber auch kein Raum für eine an der Bestimmung der Wandhöhe im Rahmen des Abstandsflächenrechts angelehnte Höhenbestimmung.
55 
Die Regelung ist auch nicht unverhältnismäßig, wie der Kläger meint. Mit seinem Vortrag zur Willkürlichkeit einer starren Höhenbegrenzung für Stützmauern. macht er rechtlich geltend, dass die Gemeinde der Verpflichtung zur Abwägung der öffentlichen und privaten Belange, die sich aus dem Umstand ergibt, dass mit den von ihr erlassenen örtlichen Bauvorschriften Inhalt und Schranken des Eigentums geregelt werden und hierbei die Interessen der Allgemeinheit sowie die privaten Interessen des Einzelnen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen (VGH Bad.-Württ, Urteil vom 22.04.2002 - 8 S 177/02 -, VBlBW 2003, 123 m.w.N.), nicht hinreichend nachgekommen sei, weil ein wesentlicher Belang gar nicht in die Abwägung eingestellt oder jedenfalls dabei fehlerhaft berücksichtigt worden sei. Es gilt aber in den Blick zu nehmen, dass sich Härten über Befreiungen nach § 56 LBO verhindern lassen, ohne dass eine fehlerhafte Abwägung der Belange nahe liegen dürfte. An Stellen, in denen die Höhenbegrenzung zu unbilligen Ergebnissen führt, kann über die Erteilung von Befreiungen im Detail nachgesteuert werden.
56 
(2) Die Stützmauer des Klägers überschreitet die maximal zulässige Höhe von einem Meter. Denn wie bereits dargelegt handelt es sich konstruktiv bei den aufeinander aufbauenden Steinreihen um eine bauliche Anlage, deren Höhe deshalb insgesamt und nicht bezogen auf einzelne Steinreihen festzustellen ist. Nicht in Rede steht hier die Bewertung der Abstandsflächentiefe. Dort gilt zwar für die Höhenbestimmung das Ausgeführte entsprechend, jedoch werden bei der Bestimmung der Abstandsflächentiefe einzelne Terrassenstufen isoliert betrachtet (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.08.2008 - 3 S 1668/07 -, VBlBW 2009, 65). Zur Höhenbestimmung ist - wie von der Widerspruchsbehörde angenommen - auf den Schnitt mit der Verkehrsfläche abzustellen, da die Natursteinreihen und die bereits vorhandene Mauer bei natürlicher Betrachtung als eine Anlage darstellen.
57 
dd) Eine Befreiung von den Höhenbestimmungen der örtlichen Bauvorschriften nach § 56 Abs. 5 LBO kommt erkennbar bereits deshalb nicht in Betracht, weil erst die Aufschüttung nebst Hinterfüllung der Natursteinreihen auf dem Grundstück zu dem Erfordernis der Stützmauer führen. Selbst geschaffene Gründe können aber weder auf Gründe des allgemeinen Wohls noch auf eine offenbar nicht beabsichtigte Härte führen.
58 
2. Die Beklagte hat ihr durch § 65 Satz 1 LBO eröffnetes Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt.
59 
Die allein in den Grenzen des § 114 Satz 1 VwGO zu kontrollierenden Ermessensentscheidung der Beklagten nimmt alle relevanten Umstände in den Blick. Da die Ermessenserwägungen jeweils selbstständig von allen dreien von der Behörde angenommenen Verstößen gegen Bauordnungsrecht getragen werden, kommt es auf das Vorliegen dieser weiteren Verstöße in diesem Zusammenhang nicht an.
II.
60 
1. Die Anschlussberufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist - im Original - am Tag nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift und damit innerhalb der Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingelegt worden. Sie muss sich auch weder im Rahmen der Zulassungsentscheidung bewegen noch auf den prozessualen Anspruch beziehen, der Gegenstand der (Haupt-)berufung ist (BVerwG, Urteil vom 11.04.2002 - 4 C 4.01 -, BVerwGE 116, 169 <174>).
61 
2. Die Anschlussberufung ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Verfügung der Beklagten hinsichtlich der Regelung in Nr. 2 und in Nr. 3, soweit auf Nr. 2 bezogen, aufgehoben. Denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
62 
Jedenfalls die von der Beklagten herangezogenen Erwägungen rechtfertigen die Anordnung einer Abänderung des Geländeverlaufs nicht. Als Ermächtigungsgrundlage kommt allein § 47 Abs. 1 LBO in Betracht (1.). Die angenommene Verunstaltung des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes liegt nicht vor (2.).
63 
1. Weder Nr. II.9.2.1 der örtlichen Bauvorschriften „Weiherwiesen-Feder“ noch § 10 LBO sind hier taugliche Ermächtigungsgrundlage für die angegriffene Verfügung.
64 
a) Nr. II.9.2.1 der örtlichen Bauvorschriften „Weiherwiesen-Feder“ ist mangels eigener Ermächtigungsgrundlage in der Landesbauordnung unwirksam. In ihr wird die Baurechtsbehörde ermächtigt („kann verlangen“), dass ein Gelände auf eine bestimmte Höhe abgegraben oder aufgefüllt wird oder dass Abgrabungen und Auffüllungen ganz unterbleiben. Zu einer solchen Bestimmung ermächtigt § 74 LBO wiederum nicht. Die Bauvorschriften können Regelung zur Höhenlage der Grundstücke zum Zwecke der Verhinderung von überschüssigem Bodenaushub enthalten (§ 74 Abs. 3 Nr. 1 LBO 1995). Zur Schaffung einer Eingriffsermächtigung für die Baurechtsbehörde ermächtigt die Landesbauordnung nicht und dürfte dies - mit Blick auf die Wesentlichkeitstheorie - auch nicht.
65 
b) § 10 Nr. 1 LBO ist tatbestandlich nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift kann bei der Errichtung baulicher Anlagen verlangt werden, dass die Oberfläche des Grundstücks erhalten oder ihre Höhenlage verändert wird, um eine Verunstaltung des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes zu vermeiden oder zu beseitigen.
66 
Die Vorschrift, die eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für die Baurechtsbehörden darstellt (Schlotterbeck, in: Schlotterbeck u.a., LBO, 7. Aufl. 2016, § 10 Rn. 1), setzt ein Tätigwerden der Baurechtsbehörde bei der Errichtung baulicher Anlagen - oder einem der Errichtung nach § 2 Abs. 13 LBO gleichgestellten Vorgang - voraus. Die Abänderungsverfügung darf sich nach dieser Ermächtigungsgrundlage nicht gegen die errichtete bauliche Anlage selbst wenden. Hier begehrt die Beklagte gerade nicht aus Anlass der Errichtung einer baulichen Anlage die Umgestaltung der Höhenlage oder der Oberfläche des Grundstücks. Vielmehr geht es der Beklagten um die Stützmauer und die Geländeaufschüttung und damit um die bauliche Anlage selbst.
67 
2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 LBO liegen nicht vor. Insbesondere verstößt die Aufschüttung nicht gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 LBO.
68 
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (vgl. u.a. Urteile vom 26.07.2016 - 3 S 1241/15 -, juris, vom 09.02.2009 - 3 S 2290/07 -, VBlBW 2009, 466 und vom 12.08.1993 - 5 S 1018/92 -, juris) liegt eine Verunstaltung im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. LBO vor, wenn ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht nur beeinträchtigender, sondern verletzender Zustand geschaffen würde. Dies ist dann der Fall, wenn die Störung erheblich, d.h. wesentlich ist. Maßgebend ist dabei das Empfinden des gebildeten Durchschnittsbetrachters, d.h. eines für ästhetische Eindrücke offenen, jedoch nicht besonders empfindsamen und geschulten Betrachters. Die bauliche Anlage muss zu einem Zustand führen, der als grob unangemessen empfunden wird, das Gefühl des Missfallens weckt sowie Kritik und den Wunsch nach Abhilfe herausfordert.
69 
Die Entscheidung, wann eine Verunstaltung vorliegt, wird auch geprägt von ihrem bauordnungsrechtlichen Schutzzweck, der von der anderweitig geregelten positiven Gestaltungspflege abzugrenzen ist, sowie von einer typisierenden Betrachtungsweise, die auch auf die Funktion und den Charakter des jeweils betroffenen Baugebietes einerseits und der Anlage andererseits (BVerfG, Beschluss vom 26.06.1985 - 1 BvR 588/84 -, NVwZ 1985, 819). Deshalb ist davon auszugehen, dass nicht jede erhebliche Abweichung vom sonst im Baugebiet Üblichen die Schwelle des Verunstaltenden überschreitet, auch wenn sie - wie hier mit der Geländeaufschüttung - sehr auffällig aus dem Rahmen fällt. Denn über § 11 Abs. 1 LBO wird keine Uniformität eines Baugebiets gewährleistet. Vielmehr dient die Vorschrift dazu, nicht mehr hinnehmbare Ausreißer in der Gestaltung zu verhindern. Möchte eine Gemeinde auf eine höhere Uniformität des Baugebiets hinwirken, ist ihr dies über verschiedene Regelungen in örtlichen Bauvorschriften unbenommen (vgl. Schlotterbeck, in: Schlotterbeck u.a., LBO, 7. Aufl. 2016 § 11 Rn. 10).
70 
b) In Anwendung dieser Maßstäbe ist der Senat davon überzeugt, dass hier in der Geländeaufschüttung keine Verunstaltung des Straßen- oder Ortsbildes gesehen werden kann. Ausweislich der vom Verwaltungsgericht gefertigten Bilddateien ist die - dem natürlichen Geländeverlauf widersprechende - Aufschüttung zwar in besonderem Maße auffällig, weil sie in dieser Form in der näheren Umgebung kein Vorbild findet. Hingegen ist es nach Auffassung des Senats aber fernliegend, die Aufschüttung und Geländemodellierung alleine - auf die Stützmauer kommt es insoweit nicht an - als einen krassen Missgriff und grob unangemessen zu charakterisieren.
71 
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kostenaufhebung rechtfertigt sich vor dem Hintergrund, dass Obsiegen und Unterliegen in etwa gleich gewichtig sind. Die durch den Sachverständigenbeweis entstandenen, ausscheidbaren Kosten hat der Kläger zu tragen, nachdem sie sich allein auf den Teil des Berufungsverfahrens beziehen, mit dem der Kläger unterlegen ist. Dies folgt aus dem Grundgedanken der Kostengerechtigkeit, der in § 96 ZPO verkörpert ist (BGH, Urteil vom 28.11.1955 - II ZR 19/55 -, BGHZ 19, 172 <176>; OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.04.2006 - 5 W 22/06 -, MDR 2006, 1317; Jaspersen/Wache, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand: 01.12.2016, § 96 Rn. 1). Dieser Grundgedanke aus dem Zivilprozessrecht ist auch im Verwaltungsprozess anwendbar, da er nicht aus dem Beibringungsgrundsatz abgeleitet wird und gebietet, dass bei einer Beweisaufnahme, die einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes - oder einen eigenen Streitgegenstand - betrifft, derjenige, der in der Sache unterliegt, insoweit auch die Kosten zu tragen hat (vgl. Schulz, in: MüKo-ZPO, 5. Aufl. 2016, § 96 Rn. 2).
72 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
73 
Beschluss vom 22. März 2017
74 
Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG im Anschluss an die Festsetzung durch das Verwaltungsgericht endgültig auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
75 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
40 
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet (I.). Ebenfalls unbegründet ist die zulässige Anschlussberufung der Beklagten (II.).
I.
41 
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen Nr. 1 und Nr. 3 - soweit auf Nr. 1 bezogen - des Bescheids der Beklagten vom 19. Mai 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 25. September 2009 zu Recht abgewiesen, weil die Abbruchanordnung rechtmäßig ergangen ist und den Kläger nicht in dessen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
42 
1. a) Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung des teilweisen Abbruchs der Natursteinreihen ist § 65 Satz 1 LBO. Nach dieser Vorschrift kann der teilweise oder vollständige Abbruch einer Anlage, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurde, angeordnet werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Der hiernach erforderliche Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften setzt voraus, dass die Anlage nicht baurechtlich genehmigt ist oder war und seit ihrer Errichtung fortdauernd gegen materielles Baurecht verstößt (st. Rspr.: zuletzt: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.09.2015 - 3 S 741/15 -, VBlBW 2016, 115 m.w.N.).
43 
b) Bei den vom Kläger errichteten Natursteinreihen handelt es sich um eine einheitliche bauliche Anlage im Sinne der Landesbauordnung (aa). Diese ist im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden, denn es handelt sich bei der baulichen Anlage um eine Stützmauer im Sinne von Nr. II. 9. 2. der örtlichen Bauvorschriften (bb). Die örtlichen Bauvorschriften sind wirksam. Die Stützmauer überschreitet die nach ihnen zulässige Höhe von einem Meter (cc).
44 
aa) Bei den Natursteinreihen handelt es sich um eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 LBO, denn sie besteht aus Bauprodukten, die durch eigene Schwere auf dem Boden ruht. Es handelt sich um eine einheitliche bauliche Anlage, weil die Steine gemeinsam eine Mauer bilden. Dies ergibt sich aus der Darstellung in der Anlage 2.1 zum Gutachten. Denn die Steine liegen teilweise aufeinander auf; die nächste Reihe ist konstruktiv in ihrer konkreten Ausgestaltung ohne die nächstniedriger Reihe nicht denkbar.
45 
bb) (1) Bei der baulichen Anlage handelt es sich um eine Stützmauer im Sinne der örtlichen Bauvorschriften „Weiherwiesen-Feder“.
46 
Der Begriff der Stützmauer ist zunächst ein autonom satzungsrechtlicher Begriff der Beklagten, der nach seinem Wortsinn und dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auszulegen ist. Angesichts des technischen Charakters baulicher Anlagen ist dabei insbesondere auf allgemein anerkannte, technische Begriffsdefinitionen abzustellen, sofern solche vorhanden sind und sich anderweitige Ansätze, insbesondere in der Satzung und ihrer Begründung, nicht finden lassen.
47 
Ausgehend von der Definition des Stützbauwerks in der DIN EN 1997-1:2009-09, auf die der Sachverständige in seinem Gutachten hinweist, gilt hier folgendes: Zunächst sind Stützbauwerke solche Tragwerke, die einen Untergrund abstützen, der Boden, Fels oder Hinterfüllung und Wasser enthält. Ein Material ist danach gestützt, wenn es in steilerer Neigung gehalten wird als die, unter der es sich ohne ein stützendes Tragwerk einstellen würde. Stützbauwerke umfassen alle Arten von Wänden oder Stützsystemen, bei denen Bauteile durch Kräfte aus dem gestützten Material beansprucht werden. Ein Stützbauwerk zur Stützung und Begrenzung von Böschungen oder Hängen, bestehend aus einzelnen Steinen, ist - nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und damit auch im Sinne der hier anzuwendenden örtlichen Bauvorschriften - eine Stützmauer.
48 
(2) Ausgehend von dem schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen im Sachverständigen ist der Senat davon überzeugt, dass die aus den Natursteinreihen bestehende, einheitliche bauliche Anlage eine Stützmauer im Sinne der örtlichen Bauvorschriften der Beklagten ist.
49 
Die im Termin zur mündlichen Verhandlung mündlich ergänzend erläuterte Vorgehensweise des Gutachtens, zunächst rechnerisch zu klären, dass bei einem ungestützten Bauwerk ein Versagen der Böschung zu besorgen wäre, sodann festzustellen, dass der in diesem Fall zu erwartende Bruchzustand nicht aufzufinden sei und daraus auf den stützenden Charakter der Natursteinmauer zu schließen, ist überzeugend. Zur Plausibilisierung ist sodann untersucht, dass die Mauer rechnerisch in der Lage ist, die Einwirkungen aufzunehmen und abzuleiten. Gegen diese überzeugende Methodik und das nachvollziehbar auf ihr beruhend gefundene Ergebnis der gutachterlichen Untersuchungen ist nichts zu erinnern. Insbesondere beruht die Annahme des Gutachtens, dass die Hinterfüllung der errichten Mauer mit nicht kohäsivem Material erfolgt sei, auf den eigenen Angaben des Klägers im Schriftsatz vom 26. September 2016. Die im Schriftsatz vom 9. März 2017 geäußerte Kritik, die Unterlagen, die am 22. Dezember 2015 vom Kläger an den Sachverständigen übersandt worden seien, wären nicht (hinreichend) beachtet worden, vermag keine vernünftigen Zweifel am erbrachten Gutachten zu wecken. Zum einen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass die Bohrungen, deren Ergebnisse Bestandteil dieser Unterlagen waren, nicht am Hang zur ... erfolgt sind. Damit sind die Aussagen dieser Bohrungen für den hiesigen Rechtsstreits ohne Relevanz. Darüber hinaus hat der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung überzeugend dargetan, weshalb die dargestellten Ergebnisse auch inhaltlich bestenfalls ein niedriger Beweiswert zukommen könnte, nämlich weil die gewählte Methodik nicht zur Findung des Ergebnisses tauglich gewesen ist.
50 
Soweit der Kläger geltend macht, dass die Stützwirkung nur in dem Bereich, welcher noch nicht gegen die Regelungen des Bebauungsplans verstoße, auftrete, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Denn es ist das Gesamtergebnis des Gutachtens, „dass die Natursteinmauer zur Sicherung des Böschungssprunges notwendig wird“ und „zumindest in Teilbereichen als Stützmauer“ wirkt. Da es sich um eine einheitlich zu betrachtende bauliche Anlage handelt, brauchte auch nicht weiter aufgeklärt zu werden, ob jede einzelne Steinreihe für sich den Charakter eines Stützbauwerks aufweist. Denn jedenfalls die oberen Reihen, die - in der konkreten Ausgestaltung der baulichen Anlage - ohne die unteren Reihen undenkbar sind, stützen den Hang - bezogen auf das hinterfüllte Material - gegen ein Brechen und Abrutschen.
51 
cc) Die Stützmauer überschreitet die nach den örtlichen Bauvorschriften zulässige Höhe von einem Meter (2). Dies ist auch rechtlich relevant, insbesondere sind die örtlichen Bauvorschriften wirksam (1).
52 
(1) Die infrage stehende Vorschrift aus den örtlichen Bauvorschriften ist auf § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO 1995 gestützt. Nach dieser Bestimmung können die Gemeinden im Rahmen der Landesbauordnung in bestimmten bebauten oder unbebauten Teilen des Gemeindegebiets zur Durchführung baugestalterischer Absichten, zur Erhaltung schützenswerter Bauteile, zum Schutz bestimmter Bauten, Straßen, Plätze oder Ortsteile von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung sowie zum Schutz von Kultur- und Naturdenkmalen örtliche Bauvorschriften erlassen über Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen, wobei sich die Vorschriften auch auf die Festsetzung der Höchst- oder Mindestgrenzen von Gebäudehöhen sowie der Gebäudetiefe als Höchstgrenze beziehen können.
53 
Eine Regelung über Höhen wird in dieser Ermächtigungsgrundlage zwar allein für Gebäude erwähnt. Diese sind nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung eine Unterkategorie („dabei können sich die Vorschriften auch…“) der Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen. Da eine Höhenregelung für jede bauliche Anlage eine „Anforderung an die äußere Gestaltung“ darstellt, spricht der Wortlaut der Norm dafür, Höhenbestimmungen auch für andere Anlagen als Gebäude zu treffen. Es ist dem Kläger zwar zuzugeben, dass in § 74 Abs. 1 Nr. 3 LBO 1995 die „Gestaltung und Höhe von Einfriedigungen“ ausdrücklich erwähnt wird. Daraus kann hingegen nicht der Schluss gezogen werden, dass damit eine abschließende Regelung zu Höhenregelungen in örtlichen Bauvorschriften getroffen wäre. Denn bei Einfriedigungen kann es sich auch etwa um Hecken - und damit nicht um bauliche Anlagen - handeln. Dies erklärt, weshalb für diese eine eigene Ermächtigung zur Regelung der Höhen erforderlich ist. § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO 1995 will nach Auffassung des erkennenden Senats nicht ausschließen, dass für andere bauliche Anlagen als Gebäude Höhenregelungen getroffen werden.
54 
Die in Nr. II.9.2 der örtlichen Bauvorschriften „Weiherwiesen-Feder“ enthaltene Höhenbegrenzung für Stützmauern ist auch hinreichend bestimmt, denn im Wege der Auslegung lässt sich der Bezugspunkt für das Höhenmaß bestimmen. Zwar ist ein solcher Bezugspunkt für die maximal zulässige Höhe nicht ausdrücklich angegeben, was diese Regelung etwa von derjenigen zur Gebäudehöhe (II.4.) oder zur Höhe von Einfriedigungen (II.7) in der Satzung der Beklagten unterscheidet. Allerdings ist es hier sachlogisch zwingend, dass auf den Schnitt der Mauer mit der Geländeoberfläche abzustellen ist. Entgegen der Auffassung des Klägers ist mangels Anordnung durch den Satzungsgeber auch kein Raum für eine an der Bestimmung der Wandhöhe im Rahmen des Abstandsflächenrechts angelehnte Höhenbestimmung.
55 
Die Regelung ist auch nicht unverhältnismäßig, wie der Kläger meint. Mit seinem Vortrag zur Willkürlichkeit einer starren Höhenbegrenzung für Stützmauern. macht er rechtlich geltend, dass die Gemeinde der Verpflichtung zur Abwägung der öffentlichen und privaten Belange, die sich aus dem Umstand ergibt, dass mit den von ihr erlassenen örtlichen Bauvorschriften Inhalt und Schranken des Eigentums geregelt werden und hierbei die Interessen der Allgemeinheit sowie die privaten Interessen des Einzelnen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen (VGH Bad.-Württ, Urteil vom 22.04.2002 - 8 S 177/02 -, VBlBW 2003, 123 m.w.N.), nicht hinreichend nachgekommen sei, weil ein wesentlicher Belang gar nicht in die Abwägung eingestellt oder jedenfalls dabei fehlerhaft berücksichtigt worden sei. Es gilt aber in den Blick zu nehmen, dass sich Härten über Befreiungen nach § 56 LBO verhindern lassen, ohne dass eine fehlerhafte Abwägung der Belange nahe liegen dürfte. An Stellen, in denen die Höhenbegrenzung zu unbilligen Ergebnissen führt, kann über die Erteilung von Befreiungen im Detail nachgesteuert werden.
56 
(2) Die Stützmauer des Klägers überschreitet die maximal zulässige Höhe von einem Meter. Denn wie bereits dargelegt handelt es sich konstruktiv bei den aufeinander aufbauenden Steinreihen um eine bauliche Anlage, deren Höhe deshalb insgesamt und nicht bezogen auf einzelne Steinreihen festzustellen ist. Nicht in Rede steht hier die Bewertung der Abstandsflächentiefe. Dort gilt zwar für die Höhenbestimmung das Ausgeführte entsprechend, jedoch werden bei der Bestimmung der Abstandsflächentiefe einzelne Terrassenstufen isoliert betrachtet (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 13.08.2008 - 3 S 1668/07 -, VBlBW 2009, 65). Zur Höhenbestimmung ist - wie von der Widerspruchsbehörde angenommen - auf den Schnitt mit der Verkehrsfläche abzustellen, da die Natursteinreihen und die bereits vorhandene Mauer bei natürlicher Betrachtung als eine Anlage darstellen.
57 
dd) Eine Befreiung von den Höhenbestimmungen der örtlichen Bauvorschriften nach § 56 Abs. 5 LBO kommt erkennbar bereits deshalb nicht in Betracht, weil erst die Aufschüttung nebst Hinterfüllung der Natursteinreihen auf dem Grundstück zu dem Erfordernis der Stützmauer führen. Selbst geschaffene Gründe können aber weder auf Gründe des allgemeinen Wohls noch auf eine offenbar nicht beabsichtigte Härte führen.
58 
2. Die Beklagte hat ihr durch § 65 Satz 1 LBO eröffnetes Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt.
59 
Die allein in den Grenzen des § 114 Satz 1 VwGO zu kontrollierenden Ermessensentscheidung der Beklagten nimmt alle relevanten Umstände in den Blick. Da die Ermessenserwägungen jeweils selbstständig von allen dreien von der Behörde angenommenen Verstößen gegen Bauordnungsrecht getragen werden, kommt es auf das Vorliegen dieser weiteren Verstöße in diesem Zusammenhang nicht an.
II.
60 
1. Die Anschlussberufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist - im Original - am Tag nach der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift und damit innerhalb der Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingelegt worden. Sie muss sich auch weder im Rahmen der Zulassungsentscheidung bewegen noch auf den prozessualen Anspruch beziehen, der Gegenstand der (Haupt-)berufung ist (BVerwG, Urteil vom 11.04.2002 - 4 C 4.01 -, BVerwGE 116, 169 <174>).
61 
2. Die Anschlussberufung ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Verfügung der Beklagten hinsichtlich der Regelung in Nr. 2 und in Nr. 3, soweit auf Nr. 2 bezogen, aufgehoben. Denn diese ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
62 
Jedenfalls die von der Beklagten herangezogenen Erwägungen rechtfertigen die Anordnung einer Abänderung des Geländeverlaufs nicht. Als Ermächtigungsgrundlage kommt allein § 47 Abs. 1 LBO in Betracht (1.). Die angenommene Verunstaltung des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes liegt nicht vor (2.).
63 
1. Weder Nr. II.9.2.1 der örtlichen Bauvorschriften „Weiherwiesen-Feder“ noch § 10 LBO sind hier taugliche Ermächtigungsgrundlage für die angegriffene Verfügung.
64 
a) Nr. II.9.2.1 der örtlichen Bauvorschriften „Weiherwiesen-Feder“ ist mangels eigener Ermächtigungsgrundlage in der Landesbauordnung unwirksam. In ihr wird die Baurechtsbehörde ermächtigt („kann verlangen“), dass ein Gelände auf eine bestimmte Höhe abgegraben oder aufgefüllt wird oder dass Abgrabungen und Auffüllungen ganz unterbleiben. Zu einer solchen Bestimmung ermächtigt § 74 LBO wiederum nicht. Die Bauvorschriften können Regelung zur Höhenlage der Grundstücke zum Zwecke der Verhinderung von überschüssigem Bodenaushub enthalten (§ 74 Abs. 3 Nr. 1 LBO 1995). Zur Schaffung einer Eingriffsermächtigung für die Baurechtsbehörde ermächtigt die Landesbauordnung nicht und dürfte dies - mit Blick auf die Wesentlichkeitstheorie - auch nicht.
65 
b) § 10 Nr. 1 LBO ist tatbestandlich nicht einschlägig. Nach dieser Vorschrift kann bei der Errichtung baulicher Anlagen verlangt werden, dass die Oberfläche des Grundstücks erhalten oder ihre Höhenlage verändert wird, um eine Verunstaltung des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes zu vermeiden oder zu beseitigen.
66 
Die Vorschrift, die eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für die Baurechtsbehörden darstellt (Schlotterbeck, in: Schlotterbeck u.a., LBO, 7. Aufl. 2016, § 10 Rn. 1), setzt ein Tätigwerden der Baurechtsbehörde bei der Errichtung baulicher Anlagen - oder einem der Errichtung nach § 2 Abs. 13 LBO gleichgestellten Vorgang - voraus. Die Abänderungsverfügung darf sich nach dieser Ermächtigungsgrundlage nicht gegen die errichtete bauliche Anlage selbst wenden. Hier begehrt die Beklagte gerade nicht aus Anlass der Errichtung einer baulichen Anlage die Umgestaltung der Höhenlage oder der Oberfläche des Grundstücks. Vielmehr geht es der Beklagten um die Stützmauer und die Geländeaufschüttung und damit um die bauliche Anlage selbst.
67 
2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 LBO liegen nicht vor. Insbesondere verstößt die Aufschüttung nicht gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 LBO.
68 
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (vgl. u.a. Urteile vom 26.07.2016 - 3 S 1241/15 -, juris, vom 09.02.2009 - 3 S 2290/07 -, VBlBW 2009, 466 und vom 12.08.1993 - 5 S 1018/92 -, juris) liegt eine Verunstaltung im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. LBO vor, wenn ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht nur beeinträchtigender, sondern verletzender Zustand geschaffen würde. Dies ist dann der Fall, wenn die Störung erheblich, d.h. wesentlich ist. Maßgebend ist dabei das Empfinden des gebildeten Durchschnittsbetrachters, d.h. eines für ästhetische Eindrücke offenen, jedoch nicht besonders empfindsamen und geschulten Betrachters. Die bauliche Anlage muss zu einem Zustand führen, der als grob unangemessen empfunden wird, das Gefühl des Missfallens weckt sowie Kritik und den Wunsch nach Abhilfe herausfordert.
69 
Die Entscheidung, wann eine Verunstaltung vorliegt, wird auch geprägt von ihrem bauordnungsrechtlichen Schutzzweck, der von der anderweitig geregelten positiven Gestaltungspflege abzugrenzen ist, sowie von einer typisierenden Betrachtungsweise, die auch auf die Funktion und den Charakter des jeweils betroffenen Baugebietes einerseits und der Anlage andererseits (BVerfG, Beschluss vom 26.06.1985 - 1 BvR 588/84 -, NVwZ 1985, 819). Deshalb ist davon auszugehen, dass nicht jede erhebliche Abweichung vom sonst im Baugebiet Üblichen die Schwelle des Verunstaltenden überschreitet, auch wenn sie - wie hier mit der Geländeaufschüttung - sehr auffällig aus dem Rahmen fällt. Denn über § 11 Abs. 1 LBO wird keine Uniformität eines Baugebiets gewährleistet. Vielmehr dient die Vorschrift dazu, nicht mehr hinnehmbare Ausreißer in der Gestaltung zu verhindern. Möchte eine Gemeinde auf eine höhere Uniformität des Baugebiets hinwirken, ist ihr dies über verschiedene Regelungen in örtlichen Bauvorschriften unbenommen (vgl. Schlotterbeck, in: Schlotterbeck u.a., LBO, 7. Aufl. 2016 § 11 Rn. 10).
70 
b) In Anwendung dieser Maßstäbe ist der Senat davon überzeugt, dass hier in der Geländeaufschüttung keine Verunstaltung des Straßen- oder Ortsbildes gesehen werden kann. Ausweislich der vom Verwaltungsgericht gefertigten Bilddateien ist die - dem natürlichen Geländeverlauf widersprechende - Aufschüttung zwar in besonderem Maße auffällig, weil sie in dieser Form in der näheren Umgebung kein Vorbild findet. Hingegen ist es nach Auffassung des Senats aber fernliegend, die Aufschüttung und Geländemodellierung alleine - auf die Stützmauer kommt es insoweit nicht an - als einen krassen Missgriff und grob unangemessen zu charakterisieren.
71 
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kostenaufhebung rechtfertigt sich vor dem Hintergrund, dass Obsiegen und Unterliegen in etwa gleich gewichtig sind. Die durch den Sachverständigenbeweis entstandenen, ausscheidbaren Kosten hat der Kläger zu tragen, nachdem sie sich allein auf den Teil des Berufungsverfahrens beziehen, mit dem der Kläger unterlegen ist. Dies folgt aus dem Grundgedanken der Kostengerechtigkeit, der in § 96 ZPO verkörpert ist (BGH, Urteil vom 28.11.1955 - II ZR 19/55 -, BGHZ 19, 172 <176>; OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.04.2006 - 5 W 22/06 -, MDR 2006, 1317; Jaspersen/Wache, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand: 01.12.2016, § 96 Rn. 1). Dieser Grundgedanke aus dem Zivilprozessrecht ist auch im Verwaltungsprozess anwendbar, da er nicht aus dem Beibringungsgrundsatz abgeleitet wird und gebietet, dass bei einer Beweisaufnahme, die einen abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes - oder einen eigenen Streitgegenstand - betrifft, derjenige, der in der Sache unterliegt, insoweit auch die Kosten zu tragen hat (vgl. Schulz, in: MüKo-ZPO, 5. Aufl. 2016, § 96 Rn. 2).
72 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
73 
Beschluss vom 22. März 2017
74 
Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG im Anschluss an die Festsetzung durch das Verwaltungsgericht endgültig auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
75 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

I.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 4. April 2016 wird aufgehoben.

II.

Der Antrag der Antragstellerin wird abgelehnt.

III.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

IV.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragsgegnerin nach § 146 VwGO ist zulässig und begründet. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 21. Januar 2016 gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen, ist abzulehnen.

Der Senat sieht in einer einem Eilverfahren wie diesem angemessenen summarischen Prüfung (vgl. BVerfG, B. v. 24.2.2009 - 1 BvR 165.09 - NVwZ 2009, 581) im Rahmen der von ihm eigenständig zu treffenden Ermessensentscheidung keine Notwendigkeit für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin. Die Antragstellerin als Nachbarin kann eine Baugenehmigung mit dem Ziel ihrer Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch ihrem Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage der Antragstellerin wird aller Voraussicht nach jedoch erfolglos bleiben, weil der angefochtene Bescheid nicht an einem derartigen Mangel leidet.

1. Der Erstgericht geht wohl zu Recht davon aus, dass der angefochtene Bescheid objektiv rechtswidrig ist. Die Antragsgegnerin führt selbst in ihrem Bescheid vom 21. Januar 2016 aus: „Für die geplante Nutzung sind die Grundlagen der Planung zwar tangiert.“ Sie geht dann aber rechtsirrig davon aus, der Verstoß gegen § 31 Abs. 2 BauGB könne dadurch ausgeglichen werden, dass aufgrund sorgfältiger Vorprüfungen (Machbarkeitsstudien, Vorberatungen unter Einbeziehung der Gremien und Fachdienststellen) im Rahmen der Ausbauoffensive/Bauprogramm 2014 Gründe des Wohls der Allgemeinheit für die beantragte Nutzung im beantragten Teilbereich des Bebauungsplans geltend gemacht werden. Dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, ist jedoch eine Tatbestandsvoraussetzung für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB, die nicht durch sonstige Überlegungen zu den weiteren Voraussetzungen nach den Nummern 1 bis 3 dieser Vorschrift überwunden werden kann. Auf diese Rechtsverletzung kann sich die Antragstellerin - soweit sie Eigentümerin eines Grundstücks im Plangebiet ist - jedoch nur berufen, wenn die Festsetzung des Bebauungsplans, von der befreit werden soll, nachbarschützenden Charakter hat. Dies ist hier nicht der Fall. Die Festsetzung „P - Öffentliche Parkfläche“ sowie einer Verkehrsfläche im Bebauungsplan Nr. 10a hat - seine Wirksamkeit unterstellt - keine nachbarschützende Wirkung.

Kraft Bundesrechts hat die Festsetzung von Baugebieten im Sinn von § 1 Abs. 2 BauNVO grundsätzlich nachbarschützende Funktion. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Soweit die Gemeinde durch die Baunutzungsverordnung zur Festsetzung von Baugebieten ermächtigt wird, schließt die Ermächtigung deshalb ein, dass die Gebietsfestsetzung grundsätzlich nachbarschützend sein muss (vgl. BVerwG, U. v. 16.9.1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151/155; U. v. 23.8.1996 - 4 C 13.94 - BVerwGE 101, 364/374; B. v. 18.12.2007 - 4 B 55.07 - BayVBl 2008, 765). Ein Baugebiet wird im Bebauungsplan Nr. 10a jedoch nicht festgesetzt. Auch eine Festsetzung nach § 12 Abs. 2 BauNVO liegt nicht vor. Vielmehr werden lediglich öffentliche Parkflächen und eine öffentliche Verkehrsfläche im Sinn von § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB festgesetzt.

Auf andere, die Nutzungsart im weiteren Sinn regelnde flächenhafte Festsetzungen, wie die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB, lassen sich die Grundsätze des bundesrechtlichen Nachbarschutzes und des darauf fußenden Gebietserhaltungsanspruchs nicht übertragen (vgl. König, Baurecht Bayern, 5. Auflage 2015, Rn. 944). Entsprechendes gilt für die vorliegende Festsetzung von Verkehrsflächen und Parkflächen im Sinn von § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB. Ein wechselseitiges Austauschverhältnis im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hier nicht gegeben. Zutreffend weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass gerade bei der Festsetzung von öffentlichen Park- und Verkehrsflächen regelmäßig der Nutzen für die Allgemeinheit im Vordergrund steht. Diese Flächen können grundsätzlich von jedermann ohne besondere Voraussetzungen genutzt werden. Ein Nachbarschutz der Festsetzungen für öffentliche Park- und Verkehrsflächen kann sich ebenso wie bei der Festsetzung von Gemeinbedarfsflächen deshalb allenfalls aus den Umständen des konkreten Bebauungsplans ergeben (vgl. BVerwG, B. v. 21.12.1994 - 4 B 261.94 - juris; VGH BW, B. v. 14.10.1999 - 8 S 2396.99 - BRS 62 Nr. 183; NdsOVG, B. v. 12.3.2009 - 1 LA 184.06 - NVwZ-RR 2009, 630). Hierfür sind im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte gegeben. Vielmehr wird in der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 10a ausgeführt: „Die Parkflächen werden eine Kapazität von rund 7.000 Fahrzeugen besitzen und hauptsächlich während der Fußballspiele im Stadion an der G. Straße benötigt werden“. Auch im Vortrag des Referenten wird zum Planungsvorschlag der Errichtung einer automatischen Auto-Waschanlage ausgeführt, dass dies auch aus sachlichen Gründen zurückzuweisen sei, da auf öffentlichem Parkplatzgelände Auto-Waschanlagen grundsätzlich unerwünscht seien und im vorliegenden Fall der für Sportveranstaltungen im Stadion an der G. Straße benötigte Parkraum unnötig vermindert werden würde. Zu Recht stellt sich deshalb die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren auf den Standpunkt, dass bereits die konkrete Festsetzung als öffentliche Parkfläche eindeutig auf eine öffentliche Zweckbestimmung für die Allgemeinheit hinweise. Es lässt sich nicht im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 19.9.1986 - 4 C 8.84 - BayVBl 1987, 151) aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet. Somit lässt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin im vorliegenden Fall keine bestimmbare Nachbarschaft erkennen, die sich nach dem Inhalt der Norm auf die Festsetzungen öffentliche Parkfläche und öffentliche Straßenfläche berufen können soll.

2. Die Antragstellerin kann sich gegenüber den erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 10a nur auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen, wenn die nachbarlichen Interessen nicht ausreichend gewürdigt worden sind (vgl. BVerwG, U. v. 19.9.1986 - 4 C 8.84 - BayVBl 1987, 151; U. v. 23.8.1996 - 4 C 13.94 - BVerwGE 101, 364/380). Hierzu trägt die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren jedoch nichts vor.

Im Klageverfahren beruft sie sich auf Lärmbelästigungen durch Kinderlärm. Hierzu ist in § 22 Abs. 1a Satz 1 BImSchG geregelt, dass Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen durch Kinder hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädlichen Umwelteinwirkungen sind. Dass hier ein Sonderfall vorliegen könnte, wird seitens der Antragstellerin nicht substantiiert dargetan. Allein die Tatsache, dass die Mietshäuser der Antragstellerin im Bereich stark befahrener Straßen liegen und das Bauvorhaben „L-förmig“ umgeben, besagt noch nichts. Vielmehr kann die Kindertagesstätte teilweise auch lärmabschirmende Wirkung gegenüber den Straßen haben. Zudem hat das Grundstück der Antragstellerin mit der Fl. Nr. ... zum Teil auch eine trennende Wirkung zwischen der Wohnbebauung und dem Bauvorhaben.

Soweit sich die Antragstellerin auf den Wegfall öffentlicher Parkplätze in der Nähe ihrer Mietshäuser beruft, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin der Errichtung dringend benötigter Kindertagesstätten den Vorrang einräumt. Es ist in erster Linie Sache der Antragstellerin selbst, für ihre Mietshäuser die erforderlichen Parkplätze vorzuhalten. Zudem entfallen nicht alle bisherigen Parkplätze im Plangebiet. Ferner ist durch die bestehenden Gebäudecontainer eines Kindergartens, die abgebrochen werden sollen, bereits jetzt der Parkraum eingeschränkt. Demgegenüber legt die Antragstellerin nicht einmal nachvollziehbar dar, wie viele öffentliche Parkplätze durch das Bauvorhaben tatsächlich zusätzlich im Plangebiet entfallen werden.

3. Hinsichtlich der nicht im Plangebiet gelegenen Grundstücke der Antragstellerin ist darauf hinzuweisen, dass es einen plangebietsüberschreitenden Nachbarschutz aus den Festsetzungen eines Bebauungsplans grundsätzlich nicht gibt. Dass die Antragsgegnerin vorliegend ausnahmsweise durch die Festsetzungen des Bebauungsplans den Schutz angrenzender Wohnbebauung erreichen wollte, ist - wie bereits unter Ziffer 1. ausgeführt - nicht ersichtlich. Bezüglich der behaupteten Verletzung des Rücksichtnahmegebots gilt das unter Ziffer 2. Gesagte.

4. Eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften aus Art. 6 Abs. 1 BayBO zulasten der Antragstellerin ist nicht ersichtlich. Die geplante 4 m hohe Lärmschutzwand läuft mit ihrer Breite von ca. 0,5 m senkrecht auf die Grenze zum Grundstück Fl. Nr. ... der Antragstellerin zu. Es handelt sich demnach gegenüber der Antragstellerin bereits nicht um eine andere Anlage im Sinn von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO, von der eine Wirkung wie von Gebäuden ausgeht. Denn bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung ist insbesondere auch die Breite der geplanten Anlage einzubeziehen. Insoweit ist davon auszugehen, dass eine Schallschutzwand mit einer gegenüber der Antragstellerin wirksamen Breite von ca. 0,5 m die Belichtung, Besonnung und Belüftung auf ihrem Grundstück nicht nachteilig beeinflussen kann. So wurde bereits keine gebäudegleiche Wirkung für einen konisch zulaufenden Betonschleudermast mit einem Durchmesser von 1,10 m an der Fundamentoberkante und 0,44 m an der Spitze in 50,18 m Höhe angenommen (vgl. BayVGH, B. v. 14.6.2013 - 15 ZB 13.612 - NVwZ 2013, 1238). Hinter diesen Maßen bleibt die geplante Schallschutzwand gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin noch deutlich zurück.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 47 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.

(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Baugenehmigung.

2

Die Klägerin betreibt auf dem Hafengelände von Norddeich eine Schiffswerft. Mit Datum vom 20. Januar 2005 beantragte sie die Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzung ihrer Bootslagerhalle als Parkhaus für ca. 250 Kraftfahrzeuge in den Sommermonaten und zum Bau von schotterunterlegten Parkplätzen für ca. 750 Kraftfahrzeuge auf der ca. 110 m tiefen, zwischen der Bootslagerhalle und dem östlichen Hafenschutzdamm gelegenen, Freifläche. Die geplanten Stellplätze sind für die Fahrzeuge von Gästen der Inseln Juist und Norderney vorgesehen, die mit den im Hafen ablegenden Fährschiffen vom Festland übersetzen wollen.

3

Die am 2. Juni 2005 erhobene Untätigkeitsklage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, weil das einheitlich nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilende Vorhaben die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten lasse und deshalb den öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtige. § 35 BauGB sei maßgeblich, weil nur die Bootslagerhalle, nicht aber die Freifläche zwischen ihr und dem östlichen Hafenschutzdamm im Innenbereich liege. Der Damm habe trotz Anstiegs und erhöhter Lage keine topografische Bedeutung in dem Sinne, dass der im Zusammenhang bebaute Ortsteil bis an ihn heranreichen würde.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat die von ihm zugelassene Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Dabei könne offen bleiben, ob der Hafenschutzdeich geeignet sei, einen Innenbereich vom Außenbereich abzugrenzen; denn das Vorhaben sei weder nach § 34 BauGB noch nach § 35 BauGB genehmigungsfähig.

5

Beurteile man das Vorhaben nach § 34 BauGB, könne sein Absatz 2 keine Anwendung finden, weil das Gelände allenfalls als faktisches Hafengebiet einzustufen wäre und sich damit als Sondergebiet im Sinne des § 11 BauNVO darstellen würde. Ein Rückgriff auf § 11 BauNVO im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB scheide aber aus, weil sich ein derartiges Baugebiet erst durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans näher definieren lasse. Der auf dem Außengelände anzulegende Stellplatz sowie die Nutzung der vorhandenen Halle als Stellplatz in der Sommersaison fügten sich nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Umgebung ein. Da vergleichbare Stellplätze im Hafengebiet nicht vorhanden seien, überschritte das Vorhaben deutlich den vorhandenen Rahmen. Zwar befänden sich westlich und nordwestlich des Grundstücks der Klägerin einzeilige Autoabstellplätze/Parkplätze parallel zu den vorhandenen Straßen im Hafengelände; jedoch sei ein Abstellplatz für Autos in der von der Klägerin geplanten Größe im eigentlichen Hafengebiet nicht vorhanden. Selbst wenn es im eigentlichen Hafengebiet für das umstrittene Projekt Vorbilder gäbe, löste es städtebauliche Spannungen aus, deren negative Folgewirkungen nicht verlässlich auszuschließen seien. Das Vorhaben würde durch seine Vorbildwirkung dazu führen, dass für weitere nicht (mit Gebäuden) bebaute Grundstücke der Wunsch nach einer Einrichtung von Stellplätzen für die Fahrzeuge der Feriengäste aufkäme. Zusätzlich werfe die Erschließung eines Stellplatzes für annähernd 1 000 Fahrzeuge bewältigungsbedürftige Spannungen auf. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob die Zufahrt zu dem geplanten Parkplatz den zu erwartenden Fahrzeugverkehr aufnehmen könne.

6

Das Vorhaben der Klägerin sei aber auch nicht genehmigungsfähig, wenn das Grundstück dem Außenbereich zuzurechnen wäre. Die geplante Stellplatzanlage sei nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert. Sie sei nicht standortgebunden, weil sie auch außerhalb des Hafengebiets angelegt werden könne. Das Vorhaben beeinträchtige öffentliche Belange. Es sei geeignet, eine vorhandene Splittersiedlung in zu missbilligender Weise zu verfestigen.

7

Die Nutzung allein der Bootslagerhalle zur Einstellung von Kraftfahrzeugen sei ebenfalls aus planungsrechtlichen Gründen unzulässig. Wäre die Halle noch dem Innenbereich zuzuordnen, sei die Nutzung als Stellplatz für nur 250 Kraftfahrzeuge nicht mit der vorhandenen Umgebung zu vereinbaren; denn auch diese gegenüber der Nutzung des gesamten Areals verringerte Nutzung finde in der Umgebung keine Entsprechung. Maßgeblich sei insoweit, ob die Neuerrichtung der Halle mit diesem Nutzungszweck planungsrechtlich zulässig wäre. Das sei sowohl hinsichtlich § 34 BauGB als auch bei Anwendung von § 35 BauGB zu verneinen.

8

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Berufungsurteil ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Da die tatrichterlichen Feststellungen nicht ausreichen, um dem Senat eine abschließende Entscheidung zu ermöglichen, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

1. Die vom Berufungsgericht offen gelassene Frage, ob auf das Vorhaben § 34 oder § 35 BauGB Anwendung findet, kann auf Grund der im angefochtenen Urteil enthaltenen Feststellungen im Revisionsverfahren nicht entschieden werden.

11

§ 34 BauGB setzt nach seinem ersten Absatz für seine Anwendbarkeit voraus, dass die Fläche, auf der ein Vorhaben errichtet werden soll, innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegt. Diese Voraussetzung bestimmt räumlich den Umfang des unbeplanten Innenbereichs und dient gleichzeitig dessen Abgrenzung zum Außenbereich. Nach gesicherter Rechtsprechung reichen Bebauungszusammenhänge des unbeplanten Innenbereichs stets so weit, wie die aufeinander folgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt (vgl. etwa Urteile vom 6. November 1968 - BVerwG 4 C 2.66 - BVerwGE 31, 20 <21>, vom 1. Dezember 1972 - BVerwG 4 C 6.71 - BVerwGE 41, 227 <233 f.>, vom 19. September 1986 - BVerwG 4 C 15.84 - BVerwGE 75, 34 <36> und vom 22. Juni 1990 - BVerwG 4 C 6.87 - ZfBR 1990, 293; Beschluss vom 27. Mai 1988 - BVerwG 4 B 71.88 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG/BauGB Nr. 127). Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern auf Grund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden (Urteile vom 6. Dezember 1967 - BVerwG 4 C 94.66 - BVerwGE 28, 268 <272> und vom 12. Dezember 1990 - BVerwG 4 C 40.87 - BRS 50 Nr. 72 S. 164).

12

Die Klägerin nimmt für sich in Anspruch, dass § 34 BauGB auf ihr Vorhaben Anwendung finde. Sie teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass ihre Bootshalle am Bebauungszusammenhang teilnehme, meint aber, dass der Bebauungszusammenhang nicht an der Rück(Nord-Ost)-Seite der Halle ende, sondern sich bis zum östlichen Hafenschutzdeich erstrecke. Nach dem Berufungsurteil bleibt bereits offen, ob es zutrifft, dass die Bootslagerhalle noch Bestandteil eines Bebauungszusammenhangs ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, könnte der Senat nicht beurteilen, ob dies auch für die sich daran anschließende Freifläche gilt, die für die Außenstellplätze vorgesehen ist. Zwar endet der Bebauungszusammenhang in aller Regel am letzten Baukörper (Urteile vom 22. März 1972 - BVerwG 4 C 121.68 - BRS 25 Nr. 38 und vom 12. Oktober 1973 - BVerwG 4 C 3.72 - BRS 27 Nr. 56; Beschluss vom 12. März 1999 - BVerwG 4 B 112.98 - NVwZ 1999, 763); örtliche Besonderheiten können es aber rechtfertigen, dem Bebauungszusammenhang noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind (Urteil vom 12. Dezember 1990 a.a.O.; Beschlüsse vom 20. August 1998 - BVerwG 4 B 79.98 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 191 und vom 17. Januar 2005 - BVerwG 4 B 3.05 - juris Rn. 7). Um dies zu beurteilen, bedarf es einer "echten Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts" durch den Tatrichter (Urteil vom 6. November 1968 a.a.O.).

13

2. Auf die ungeklärte Frage, ob das Vorhaben im Innen- oder im Außenbereich ausgeführt werden soll, käme es für den Ausgang des Verfahrens nicht an, wenn das Vorhaben entweder nach beiden Vorschriften zulässig oder aber nach beiden Vorschriften unzulässig sein sollte. Dazu lässt sich jedoch derzeit Abschließendes ebenfalls nicht sagen.

14

a) Das Oberverwaltungsgericht hat für den Fall der Innenbereichslage verneint, dass das Vorhaben der Klägerin nach § 34 BauGB zulässig ist. Die hierfür angegebenen Gründe halten der revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht stand.

15

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Für den Fall, dass die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete entspricht, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, ordnet § 34 Abs. 2 BauGB an, dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach beurteilt, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet (allgemein oder ausnahmsweise) zulässig wäre.

16

aa) Das Oberverwaltungsgericht hat es für möglich gehalten, dass das Baugrundstück in einem faktischen Hafengebiet und damit in einem Sondergebiet im Sinne des § 11 BauNVO liegt, einen Rückgriff auf § 11 BauNVO im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB aber aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Dem ist beizupflichten. Im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB "bezeichnet" sind Baugebiete nicht schon dann, wenn sie in der Baunutzungsverordnung namentlich genannt sind. Da § 34 Abs. 2 BauGB auf der Rechtsfolgenseite "allein" auf die nach der Baunutzungsverordnung zulässigen Arten der baulichen Nutzung verweist, können zu den bezeichneten Baugebieten im Sinne des Tatbestandes auch nur diejenigen Baugebiete gehören, für die die Baunutzungsverordnung die zulässige Art der baulichen Nutzung selbst regelt. Sondergebiete nach § 11 BauNVO gehören dazu nicht. Die Vorschrift trifft die Entscheidung, welche Anlagen allgemein zulässig, unzulässig oder ausnahmsweise zulassungsfähig sind, nicht selbst, sondern verlangt sie nach ihrem Absatz 2 Satz 1 vom Planungsträger. Dies gilt auch für die in Absatz 2 Satz 2 aufgelisteten Sondergebiete und namentlich die Hafengebiete (Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 52.87 - BRS 49 Nr. 15 S. 32). Ob es rechtlich zulässig wäre, faktische Sondergebiete für Einkaufszentren und den großflächigen Einzelhandel anzuerkennen (vgl. dazu Urteil vom 11. Februar 1993 - BVerwG 4 C 15.92 - BRS 55 Nr. 174 S. 479 f.; bejahend OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. März 2008 - OVG 2 S 116.07 - BRS 73 Nr. 83 S. 420 ), bedarf hier keiner Entscheidung.

17

bb) Die Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung hat das Oberverwaltungsgericht deshalb zu Recht nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB beurteilt. Es hat kumulativ begründet, dass sich das Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Das Vorhaben sei - erstens - ohne Vorbild, weil die im "eigentlichen" Hafengebiet bereits vorhandenen Parkplätze nach ihrer räumlichen Ausdehnung (einzeilig entlang den bestehenden Straßen) mit ihm nicht vergleichbar seien. Es überschritte daher den aus der Umgebungsbebauung ableitbaren Rahmen. Selbst wenn es - zweitens - im eigentlichen Hafengebiet Vorbilder gäbe, das Vorhaben mithin den Rahmen einhielte, fügte es sich nicht ein, weil es geeignet sei, städtebaulich relevante Spannungen auszulösen. Beide Begründungselemente stehen mit der Rechtslage nicht im Einklang.

18

(1) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass sich ein Vorhaben in der Regel in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, wenn es sich innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält (Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <385>; stRspr). Als richtig unterstellt werden mag auch seine Ansicht, dass die geplante Nutzungsart in der maßgeblichen Umgebung bereits verwirklicht sein muss (vgl. dazu Urteil vom 3. April 1987 - BVerwG 4 C 41.84 - BRS 47 Nr. 63). Nicht berücksichtigt hat es jedoch, dass bei der Frage, ob ein Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung den Rahmen der Umgebungsbebauung einhält, von der Typisierung von Nutzungen in der Baunutzungsverordnung als einer insoweit sachverständigen Konkretisierung allgemeiner städtebaulicher Grundsätze auszugehen (Urteile vom 3. Februar 1984 - BVerwG 4 C 25.82 - BVerwGE 68, 360 <368> und vom 19. September 1986 a.a.O. S. 42) und somit auf die Vorschriften des ersten Abschnitts (§§ 1 bis 15) der Baunutzungsverordnung als Auslegungs- oder Orientierungshilfe zurückzugreifen ist (so schon Urteil vom 23. April 1969 - BVerwG 4 C 12.67 - BVerwGE 32, 31 <36>). Auf diesem Versäumnis beruht sein Irrtum, dass das umstrittene Vorhaben mit den vorhandenen Stellplätzen im "eigentlichen" Hafengebiet nach der Art der baulichen Nutzung nicht vergleichbar ist.

19

Die Zulässigkeit von Stellplätzen und den ihnen gleich gestellten Garagen, zu denen auch Parkhäuser zu zählen sind (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2010, § 12 BauNVO Rn. 33), regelt § 12 BauNVO.

20

Nach § 12 Abs. 1 BauNVO sind Stellplätze und Garagen in allen Baugebieten zulässig, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 6 nichts anderes ergibt. Nach § 12 Abs. 6 BauNVO ist es zwar zulässig, Stellplätze und Garagen dem Umfang nach zu beschränken. Dies ist allerdings nur durch eine entsprechende Festsetzung in einem Bebauungsplan möglich. Das vom Oberverwaltungsgericht gewählte Differenzierungskriterium der unterschiedlichen räumlichen Ausdehnung (Anordnung und Größe) von Stellplatzanlagen (UA S. 8 f.) ist ansonsten in § 12 BauNVO nicht angelegt und kann bei der Prüfung des § 34 Abs. 1 BauGB, soweit es um die Art der Nutzung geht, nicht herangezogen werden. § 12 Abs. 2 BauNVO ordnet an, dass Stellplätze und Garagen in Kleinsiedlungsgebieten, reinen Wohngebieten und allgemeinen Wohngebieten sowie Sondergebieten, die der Erholung dienen, nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind. Stellplätze und Garagen für einen darüber hinausgehenden, außerhalb des Baugebiets ausgelösten Bedarf sind allein in den übrigen, nicht in § 12 Abs. 2 genannten Gebieten zulässig. In diesen Gebieten erlaubt § 12 Abs. 1 BauNVO nicht nur Einstellplätze, die als Nebenanlagen einer Hauptnutzung zugeordnet sind, wie beispielsweise Kundenparkplätze für einen Gewerbebetrieb, sondern auch solche, die keine funktionale Zuordnung zu einer Hauptnutzung aufweisen. Darunter fallen gewerblich betriebene Einstellplätze, die - wie vorliegend geplant - außerhalb öffentlicher Verkehrsflächen errichtet und Dritten gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden sollen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 18. Mai 2000 - 7 A 1155/99 - BRS 63 Nr. 89; Stock, a.a.O. Rn. 35). Der Grundsatz des § 12 Abs. 1 BauNVO und die Einschränkung des § 12 Abs. 2 BauNVO knüpfen an die unterschiedliche Störempfindlichkeit und Schutzbedürftigkeit von Baugebieten, die vorwiegend dem Wohnen und der Erholung dienen, und den übrigen Baugebieten an. Zur Bewahrung des gebietstypischen Immissionsniveaus sollen in den Baugebieten, die in § 12 Abs. 2 BauNVO genannt sind, die mit dem Kraftfahrzeugverkehr unvermeidlich einhergehenden Störungen auf das Maß begrenzt werden, das sich aus dem Bedarf der im Gebiet zugelassenen Nutzungen ergibt (Urteile vom 1. November 1974 - BVerwG 4 C 38.71 - BVerwGE 47, 144 <150> und vom 7. Dezember 2006 - BVerwG 4 C 11.05 - BVerwGE 127, 231 <233 f.>). Für § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gibt die Systematik des § 12 Abs. 1 und 2 BauNVO deshalb nichts her, wenn - wie vorliegend - in der maßgeblichen Umgebung keine Nutzungen ausgeübt werden, die im Sinne des § 12 Abs. 2 BauNVO schutzwürdig sind.

21

Ohne Bedeutung ist, dass für die vorhandenen einzeiligen Stellplätze § 12 BauNVO nicht gilt, wenn sie Bestandteil des öffentlichen Straßenraums sind. Stellplätze auf öffentlichem Straßengrund stellen nicht eine andere Art der Nutzung dar als Stellplätze auf privaten Grundstücken.

22

(2) Der Prüfungsansatz des Oberverwaltungsgerichts, ein Vorhaben, das den Rahmen einhält, sei unzulässig, wenn es geeignet sei, städtebauliche Spannungen auszulösen, ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Hält sich ein Vorhaben - wie hier jedenfalls nach der Art der Nutzung - im vorgefundenen Rahmen, so fügt es sich gleichwohl nicht ein, wenn es gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt (Urteil vom 26. Mai 1978 a.a.O. S. 386). Auf die Eignung zur Auslösung städtebaulicher (bodenrechtlicher) Spannungen kommt es demgegenüber nur an, wenn es um die Beurteilung der Zulässigkeit eines Vorhabens geht, das den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen überschreitet (Urteil vom 26. Mai 1978 a.a.O. S. 386).

23

Das Gebot der Rücksichtnahme ist mit dem Verbot der Begründung oder Erhöhung bodenrechtlich beachtlicher Spannungen nicht in jeder Beziehung identisch. Das Gebot der Rücksichtnahme dient dem Schutz der sonstigen, d.h. vor allem: der in der unmittelbaren Nähe des Vorhabens vorhandenen, Bebauung vor nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen (Urteile vom 18. Oktober 1974 - BVerwG 4 C 77.73 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 45 S. 118 und vom 26. Mai 1978 a.a.O. S. 386); es hebt auf die gegenseitige Verflechtung der baulichen Situation benachbarter Grundstücke ab und will einen angemessenen Ausgleich schaffen, der dem einen das ermöglicht, was für ihn unabweisbar ist, und den anderen vor unzumutbaren Belästigungen oder Benachteiligungen schützt (Urteil vom 13. März 1981 - BVerwG 4 C 1.78 - BRS 38 Nr. 186 S. 412). Bodenrechtlich beachtliche und bewältigungsbedürftige Spannungen sind demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass das Vorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet und das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung zu schaffen (Urteil vom 26. Mai 1978 a.a.O. S. 386 f.; Beschluss vom 25. März 1999 - BVerwG 4 B 15.99 - BRS 62 Nr. 101). Zwar wird ein Vorhaben, das gegenüber der Nachbarschaft "rücksichtslos" ist, auch städtebaulich relevante Spannungen hervorrufen. Umgekehrt ist aber nicht jedes Vorhaben, das bodenrechtlich beachtliche Spannungen begründet oder erhöht und deshalb ein Planungsbedürfnis auslöst, gleichzeitig rücksichtslos.

24

Dass das Vorhaben der Klägerin gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen könnte, ist nicht ersichtlich. Dem angefochtenen Urteil lässt sich nichts dafür entnehmen, dass der mit dem Vorhaben verbundene Zu- und Abgangsverkehr unzumutbare Umgebungsbelastungen erzeugen würde.

25

(3) Auf die Auslösung städtebaulicher Spannungen hätte das Oberverwaltungsgericht zu Recht abgestellt, wenn das Vorhaben - wie von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht - nach dem Maß der baulichen Nutzung den Umgebungsrahmen überschritte. Ob das der Fall ist, kann der Senat indes nicht beurteilen. Der Rahmen wird nämlich nicht nur, wie die Beklagte meint, durch die vorhandenen einzeiligen Kfz-Stellplätze, sondern durch die gesamte Bebauung in der näheren Umgebung abgesteckt.

26

cc) Ob die Erschließung des klägerischen Vorhabens gesichert ist, kann der Senat ebenfalls nicht beantworten. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar die Frage aufgeworfen, ob die Straßen im Hafengebiet dem vorhabenbedingten Zu- und Abgangsverkehr gewachsen sind, zu ihr jedoch keine Feststellungen getroffen, sondern sich insoweit auf Vermutungen beschränkt. Sollte die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens von der Sicherung der Erschließung abhängen, wird das Oberverwaltungsgericht die erforderlichen Ermittlungen anzustellen haben. Als rechtlicher Maßstab gilt: Nicht jede Zunahme der Verkehrsbelastung mit der Folge von Wartezeiten gefährdet die Sicherung der Erschließung des dafür ursächlichen Vorhabens. Die Erschließung wäre allerdings dann nicht gesichert, wenn das Vorhaben zu einer solchen Belastung der Zuwegung führen würde, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht nur in Spitzenzeiten ohne zusätzliche Erschließungsmaßnahmen nicht mehr gewährleistet wäre (Urteil vom 19. September 1986 a.a.O S. 44 f.). Im unbeplanten Innenbereich sind nämlich nur solche Vorhaben zulässig, die sich mit der vorhandenen Erschließung abfinden können.

27

b) Ob dem Oberverwaltungsgericht bei der Prüfung des § 35 BauGB ebenfalls Rechtsfehler unterlaufen sind, kann dahingestellt bleiben. Da das Oberverwaltungsgericht die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 34 BauGB und des § 35 BauGB alternativ verneint hat, genügt es für den Erfolg der Revision, dass der Begründungsteil des Urteils, der § 34 BauGB betrifft, gegen Bundesrecht verstößt. Denn es ist nicht gesichert, dass der andere Begründungsteil das Urteil trägt (vgl. Beschluss vom 26. Mai 1993 - BVerwG 4 NB 3.93 - BRS 55 Nr. 28 S. 73).

28

Gleichwohl und vorsorglich weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte sich das Oberverwaltungsgericht der Ansicht des Verwaltungsgerichts anschließen, dass die Bootslagerhalle dem Innenbereich, der Parkplatz im Freien aber dem Außenbereich zuzuordnen ist, wird es das Vorhaben, falls dieses tatsächlich nur einheitlich beurteilt werden kann, insgesamt an § 35 BauGB zu messen und dabei zu bedenken haben, dass sich der Außenstellplatz selbst nicht unter den Begriff der Splittersiedlung subsumieren lässt; denn eine Siedlung setzt die Existenz von Gebäuden voraus, die wenigstens zum gelegentlichen Aufenthalt von Menschen bestimmt sind (Urteil vom 18. Februar 1983 - BVerwG 4 C 19.81 - BVerwGE 67, 33 <38>). Allerdings kann die Errichtung einer nicht zum Aufenthalt von Menschen bestimmten baulichen Anlage, die die Ausweitung einer in der Splittersiedlung ausgeübten oder auszuübenden Nutzung ermöglicht, die Splittersiedlung verfestigen (Beschluss vom 7. September 1984 - BVerwG 4 B 188.84 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 215). Als Bestandteil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils wäre die Bootshalle indes keine Keimzelle einer Splittersiedlung, weil Splittersiedlung und im Zusammenhang bebauter Ortsteil einen Gegensatz bilden (Roeser, in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, Stand Oktober 2010, § 35 Rn. 84). Anliegen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB ist es, eine zusammenhanglose oder sonst unorganische Streubebauung im Außenbereich zu verhindern (Urteil vom 13. Februar 1976 - BVerwG 4 C 72.74 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 123 S. 17). Wenn ein Vorhaben, das für sich allein den Begriff der Splittersiedlung nicht erfüllt, nach der Vorschrift missbilligt wird, liegt das daran, dass die Splittersiedlung, der es funktional und räumlich zugeordnet ist und deren Verfestigung sie befürchten lässt, ihrerseits missbilligt wird. Das kann aber nur der Fall sein, wenn die Splittersiedlung im Außenbereich liegt.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zurückweisung eines Nachbarwiderspruchs gegen einen ihr erteilten Bauvorbescheid für ein großflächiges Gartencenter in der Nachbarschaft eines sog. Störfallbetriebs.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin von Grundstücken im unbeplanten Innenbereich in D. mit einer Gesamtfläche von über 3 ha, die in der Nachbarschaft des Betriebs der Beigeladenen (eines Störfallbetriebs, der unter die Richtlinie 96/82/EG - kurz: "Seveso-II-Richtlinie" - fällt) liegen und die derzeit u.a. für eine Schrott- und Metallrecyclinganlage genutzt werden. Sie beantragte die Erteilung einer Bebauungsgenehmigung für die Errichtung eines Gartencenters (Verkaufsfläche 9 368 qm, davon 1 340 qm Freifläche). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin das Baugrundstück bereits an die Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 12.11 verkauft. Der Vertrag soll jedoch erst wirksam werden, wenn u.a. der Nachweis des Vorliegens der Bestandskraft des beantragten Vorbescheids oder der Bestandskraft einer Baugenehmigung erbracht worden sei. Die Stadt D. erteilte der Klägerin den Vorbescheid antragsgemäß. Hiergegen erhob die Beigeladene Widerspruch, über den das beklagte Land Hessen bisher nicht (abschließend) entschieden hat.

3

Auf die Untätigkeitsklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, den Widerspruch der Beigeladenen gegen den der Klägerin erteilten Bauvorbescheid zurückzuweisen. Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen blieben erfolglos. Der erteilte Bauvorbescheid - so die Begründung des Berufungsurteils - sei rechtmäßig, so dass die Unterlassung der begehrten Zurückweisung des Widerspruchs die Klägerin in ihren Rechten verletze. Das Bauvorhaben sei bauplanungsrechtlich zulässig und verstoße auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Eine Verletzung der gegenüber dem Störfallbetrieb gebotenen Rücksichtnahme scheide deswegen aus, weil sich innerhalb der gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" bereits verschiedene gewerbliche Nutzungen befänden, darunter auch Baumärkte, die ebenfalls Freiverkaufsflächen aufwiesen und nur unwesentlich weiter als das geplante Gartencenter vom Betriebsgelände der Beigeladenen entfernt lägen. Auch bei etwaiger Nichteinhaltung eines erforderlichen Sicherheitsabstands sei deshalb nicht erkennbar, dass es durch das Heranrücken einer weiteren schutzwürdigen Bebauung zu einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die Beigeladene kommen könne. Eine Verpflichtung der Klägerin zur Einhaltung eines Abstands gegenüber dem Störfallbetrieb ergebe sich auch nicht aus § 50 BImSchG. Selbst wenn man § 50 BImSchG im Rahmen von § 34 BauGB für anwendbar halten wollte, scheitere eine Anwendung im vorliegenden Fall daran, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht um eine raumbedeutsame Maßnahme im Sinne der Vorschrift handle. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen die gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu wahrenden Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die auf die Abwehr städtebaulicher Missstände beschränkt seien. Eine unmittelbare Anwendung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG bzw. eine richtlinienkonforme Auslegung des § 50 BImSchG komme nicht in Betracht. Ein zwingendes Gebot der Abstandswahrung, das auch bei der Zulassung von Einzelvorhaben zu beachten sei, sei der Richtlinie nicht zu entnehmen. Selbst wenn man annehme, dass der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG nicht vollständig umgesetzt habe, fehle es an der für eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie erforderlichen inhaltlichen Unbedingtheit und hinreichenden Genauigkeit.

4

Der Senat hat die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zum Anlass genommen, das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht auszusetzen und den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg im Wege der Vorabentscheidung (Art. 267 AEUV) um Klärung mehrerer Fragen zu bitten (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - juris). Der Senat war der Auffassung, dass die Revisionen auf der Grundlage des nationalen Rechts zurückzuweisen wären, hatte es allerdings für zweifelhaft gehalten, ob die Zulassung des Vorhabens unter den hier gegebenen bzw. unterstellten Umständen mit Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG vereinbar ist (Beschluss vom 3. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 11 ff. und 22 ff.).

5

Mit Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - (ABl EU 2011 Nr. C 319 S. 5 = ZfBR 2011, 763) hat der EuGH über die Vorlagefragen entschieden.

6

Die erste Vorlagefrage hat er wie folgt beantwortet:

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG ist dahin auszulegen, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, auch von einer Behörde wie der für die Erteilung von Baugenehmigungen zuständigen Stadt D. zu beachten ist, und zwar auch dann, wenn sie in Ausübung dieser Zuständigkeit eine gebundene Entscheidung zu erlassen hat.

7

Auf die zweite und dritte Frage hat der EuGH geantwortet:

Die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG vorgesehene Verpflichtung, langfristig dem Erfordernis Rechnung zu tragen, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und öffentlich genutzten Gebäuden andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, schreibt den zuständigen nationalen Behörden nicht vor, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes zu verbieten. Dagegen steht diese Verpflichtung nationalen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen eine Genehmigung für die Ansiedlung eines solchen Gebäudes zwingend zu erteilen ist, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der genannten Abstandsgrenzen im Stadium der Planung oder der individuellen Entscheidung gebührend gewürdigt worden wären.

8

Der Beklagte und die Beigeladene sehen ihre Rechtsauffassungen durch die Vorabentscheidung des EuGH im Wesentlichen bestätigt. Die Verpflichtung zur gebührenden Würdigung der mit einer Neuansiedlung verbundenen Risiken bestehe nicht erst dann, wenn ein hinzukommendes Vorhaben im Hinblick auf die Auswirkungen eines Störfalls einen weitergehenden Schutzbedarf als die bisherige Bebauung auslöse, sondern bereits dann, wenn durch die Neuansiedlung - wie hier - eine wesentliche Verschlechterung des Status quo u.a. im Hinblick auf das Ziel der Begrenzung der Folgen eines schweren Unfalls eintrete. Die vom EuGH geforderten Bewertungen, insbesondere unter Berücksichtigung "sozioökonomischer" Faktoren, seien hier noch nicht vorgenommen worden. Der Entscheidung des EuGH könne im Ergebnis mit der Auslegung des § 34 BauGB entsprechend Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Klage abgewiesen werde. Welche Faktoren dazu führen sollten, dass diese Risikoermittlung und -bewertung nicht maßgeblich sei bzw. überwunden werden könne, sei nicht ersichtlich.

9

Die Klägerin hält das Vorhaben nach wie vor für bauplanungsrechtlich zulässig. Der EuGH habe das Konzept des deutschen Gesetzgebers zur Umsetzung der Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Hinblick auf bereits bebaute Einwirkungsbereiche von Störfallbetrieben akzeptiert. Die von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte störfallrechtliche Risikobewertung sei schon bislang in einem ausreichenden Maße im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB erfolgt.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässigen Revisionen sind begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

11

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Gartencenters und damit die Rechtmäßigkeit des der Klägerin erteilten Bauvorbescheids an § 34 Abs. 1 BauGB und dem über das Tatbestandsmerkmal des Einfügens darin enthaltenen Rücksichtnahmegebot gemessen. Mit Bundesrecht unvereinbar ist allerdings die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Verletzung der gegenüber dem Störfallbetrieb der Beigeladenen gebotenen Rücksichtnahme deshalb ausscheide, weil sich innerhalb der gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" bereits verschiedene gewerbliche Nutzungen befänden und wegen dieser Vorbelastung - die Nichteinhaltung des angemessenen Abstands unterstellt - nicht erkennbar sei, dass es durch die Neuansiedlung zu einer Verschärfung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen für die Beigeladene kommen könne.

12

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG verlangt, dass die Risiken der Zulassung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ungeachtet etwaiger Vorbelastungen gebührend gewürdigt werden (1). Diesem unionsrechtlichen Erfordernis ist durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Geltung zu verschaffen (2). Dessen Anforderungen hat der Verwaltungsgerichtshof verkannt (3). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die hierfür erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlen (4).

13

1. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG schließt es aus, die Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs allein im Hinblick auf bestehende Vorbelastungen zuzulassen, ohne zuvor ermittelt zu haben, welcher Abstand angemessen ist und welche Risiken mit der Neuansiedlung innerhalb dieser Abstandsgrenzen einhergehen.

14

Der EuGH (Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 LS 1) hat Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG dahin ausgelegt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, langfristig dem Erfordernis der Wahrung angemessener Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und öffentlich genutzten Gebäuden Rechnung zu tragen, auch von Baugenehmigungsbehörden bei gebundenen Entscheidungen über die Zulassung von Vorhaben zu beachten ist. Dass der Betrieb der Beigeladenen ein Störfallbetrieb und das von der Klägerin beantragte Gartencenter ein öffentlich genutztes Gebäude im Sinne der Richtlinie ist, ist unstreitig (EuGH a.a.O. Rn. 2 und 3). Die als Baugenehmigungsbehörde tätig gewordene Stadt D. war deshalb bei der Entscheidung über den von der Klägerin beantragten Bauvorbescheid verpflichtet, dem Abstandserfordernis des Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/82/EG Rechnung zu tragen.

15

Diese Verpflichtung hat der EuGH (a.a.O. LS 2) zwar nicht in dem Sinne ausgelegt, dass jede Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb des angemessenen Abstands zwingend untersagt werden müsste. Es ist mit der Richtlinie aber nicht vereinbar, wenn die Ansiedlung zugelassen wird, ohne dass die Risiken einer Ansiedlung innerhalb des angemessenen Abstands gebührend gewürdigt worden wären (EuGH a.a.O. Rn. 49). Die Genehmigungsbehörde muss deshalb in einem ersten Schritt ermitteln, welcher Abstand "angemessen" ist und ob das Neuansiedlungsvorhaben innerhalb dieser Abstandsgrenze liegt. Ist der angemessene Abstand nicht eingehalten, muss sich die Behörde in einem zweiten Schritt darüber Gedanken machen, ob ein Unterschreiten des angemessenen Abstands im Einzelfall vertretbar ist.

16

a) Welcher Abstand "angemessen" ist, ist im Unionsrecht nicht geregelt. Damit obliegt es den zuständigen nationalen Genehmigungsbehörden und Gerichten zumindest implizit, die angemessenen Abstände im jeweiligen Einzelfall anhand aller relevanten störfallspezifischen Faktoren festzulegen (EuGH a.a.O. Rn. 45 und 50).

17

Die nationalen Behörden haben im Falle der Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs den Anstieg des Unfallrisikos oder die Verschlimmerung der Unfallfolgen zu bewerten (Art. 12 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/82/EG; EuGH a.a.O. Rn. 43). Das erfordert jedenfalls dann, wenn die Behörde Anhaltspunkte dafür hat, dass das zur Genehmigung gestellte Vorhaben den angemessenen Abstand nicht einhält (vgl. Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1047>), eine Abschätzung nicht nur der Risiken und Schäden, sondern auch aller anderen in jedem Einzelfall relevanten (störfall-) "spezifischen Faktoren", die je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete unterschiedlich ausfallen können (EuGH a.a.O. Rn. 43 f.). Das wird in aller Regel nicht ohne eine Heranziehung technisch-fachlichen Sachverstands möglich sein. Gegebenenfalls kann auch in Betracht kommen, vom Vorhabenträger die Vorlage eines entsprechenden Gutachtens zu verlangen (Uechtritz, a.a.O. S. 1047).

18

Als störfallspezifische Faktoren, die im jeweiligen Einzelfall relevant sein können, nennt der EuGH (a.a.O. Rn. 44) die Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren Unfalls, die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung, die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung sowie die Leichtigkeit, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen können. Die Nennungen sind nur beispielhaft. In Betracht zu ziehen sind ferner, wie der EuGH (a.a.O. Rn. 43) betont, vorhabenbedingte Veränderungen, etwa die Verschlimmerung von Unfallfolgen durch einen vorhabenbedingten Anstieg der möglicherweise betroffenen Personen. Andererseits können aber auch technische Maßnahmen zur Verminderung des Unfallrisikos oder zur weiteren Begrenzung möglicher Unfallfolgen zu berücksichtigen sein, sei es im Betriebsbereich, soweit diese dem Betreiber des Störfallbetriebs auferlegt werden können, sei es außerhalb des Betriebsbereichs, wie etwa Nutzungseinschränkungen oder besondere bauliche Anforderungen an das an den Störfallbetrieb heranrückende Vorhaben, sofern über diese Maßnahmen mögliche Schadensfolgen und damit auch die Angemessenheit des Abstands beeinflusst werden können (vgl. auch Berkemann, ZfBR 2010, 18 <24>).

19

Im Hinblick auf sonstige - nicht störfallspezifische - Belange unterliegt der angemessene Abstand demgegenüber keiner Relativierung (zutreffend Uechtritz, a.a.O. S. 1046 f.). Insbesondere haben "sozioökonomische" Faktoren, die der EuGH (a.a.O. Rn. 46) in diesem Zusammenhang nennt, bei der Festlegung des "angemessenen" Abstands außer Betracht zu bleiben. Das ergibt sich zum einen daraus, dass der EuGH die vom Senat im Vorlagebeschluss vertretene Auffassung ausdrücklich bestätigt hat, wonach insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange zwar im jeweiligen Einzelfall "abwägungsrelevante" sonstige Faktoren sein können, die den Ausschlag für die Zulassung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb der gegenüber einem Störfallbetrieb grundsätzlich zu wahrenden angemessenen Abstände geben können, aber den störfallspezifischen Faktoren gerade gegenüberstehen. Zum anderen bestimmen die "angemessenen" Abstände generell den Anwendungsbereich der Richtlinie 96/82/EG, und zwar auch insoweit, als die Verhütung schwerer Unfälle sowie die Begrenzung der Unfallfolgen durch Betreiberpflichten nach deren Art. 5 sichergestellt werden soll (EuGH a.a.O. Rn. 37); es ist nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen, dass die Richtlinie den Umfang der Betreiberpflichten und damit auch das Risikopotential eines Störfallbetriebs von sozioökonomischen Faktoren abhängig machen will (Uechtritz, a.a.O.).

20

Der Begriff des "angemessenen" Abstands ist ein zwar unbestimmter, aber technisch-fachlich bestimmbarer Rechtsbegriff. Im Einzelfall können erhebliche Unsicherheiten bestehen, welcher Abstand angemessen ist. Die Angemessenheit kann von einer Vielzahl störfallrelevanter technischer Faktoren abhängen und je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete und den Besonderheiten des Einzelfalls in erheblichem Maße unterschiedlich ausfallen (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 Rn. 44). Präzise, absolute und objektive Grenzen der "Gefahrenzone" um einen Störfallbetrieb kann es insoweit nicht geben (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 14. April 2011 in der Rs. C-53/10 - im Folgenden: Schlussanträge - juris Rn. 39). Gleichwohl unterliegt die behördliche Festlegung des angemessenen Abstands der vollen gerichtlichen Überprüfung (Kraus, ZfBR 2012, 324 <329 f.>; vgl. Berkemann, a.a.O. S. 27); ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum kommt der Genehmigungsbehörde insoweit nicht zu. Die in der Vorabentscheidung (EuGH a.a.O. Rn. 24) verwendete Formulierung, Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 96/82/EG lasse den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser Abstände einen "Wertungsspielraum", von dem aber jedenfalls innerhalb der Grenzen der Verpflichtung, der Wahrung angemessener Abstände Rechnung zu tragen, Gebrauch gemacht werden müsse, bezieht sich nach dem Verständnis des EuGH (z.B. a.a.O. Rn. 45 f.) ersichtlich nicht auf die Ermittlung, sondern auf die "Berücksichtigung" des angemessenen Abstands.

21

b) Dieser Berücksichtigungspflicht hat die Genehmigungsbehörde in einem zweiten Schritt nachzukommen, wenn das Neuansiedlungsvorhaben innerhalb des angemessenen Abstands liegt.

22

Diese Verpflichtung ist nicht im Sinne eines Verschlechterungsverbots zu verstehen. Zwar wird mit jedem Vorhaben, das den angemessenen Abstand unterschreitet, der störfallrechtlich unerwünschte Zustand in der Regel weiter verfestigt. Gleichwohl zwingt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG die Baugenehmigungsbehörden nicht dazu, Neuansiedlungen in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ausnahmslos abzulehnen und das Abstandskriterium damit zum alleinigen Genehmigungs- oder Ablehnungskriterium zu machen. Allein die Zuerkennung eines Wertungsspielraums ermöglicht es, die volle praktische Wirksamkeit des Erfordernisses sicherzustellen (EuGH a.a.O. Rn. 45). Deshalb erscheint es grundsätzlich denkbar, ein öffentlich genutztes Gebäude je nach den Umständen des Einzelfalls auch innerhalb der angemessenen Abstände zuzulassen. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG gestattet es, den "störfalltechnisch" ermittelten angemessenen Abstand zu unterschreiten, wenn im Einzelfall hinreichend gewichtige Belange für die Zulassung des Vorhabens streiten. In Betracht kommen insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange. Diese Auffassung hatte der Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss vertreten. Der EuGH (a.a.O. Rn. 44) hat sie in seiner Vorabentscheidung ausdrücklich bestätigt. Störfallspezifische Faktoren können nach den Worten des EuGH (a.a.O.) mit "sozioökonomischen Faktoren zusammentreffen". Es unterliegt keinen Zweifeln, dass der EuGH ihnen die Eigenschaft von Belangen zumisst, die den störfallspezifischen Faktoren gegenüberstehen, die mithin auf der anderen Seite "in die Gleichung" (Schlussanträge a.a.O. Rn. 41) einzustellen sind.

23

Andererseits kann der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten nicht so ausgelegt werden, dass er es ihnen gestatten würde, von der Berücksichtigung angemessener Abstände abzusehen (EuGH a.a.O. Rn. 49). Die "Berücksichtigung" angemessener Abstände verlangt, dass diese bei der Risikobewertung - sei es auf planerischer Ebene, sei es bei der Vorhabenzulassung - neben anderen Faktoren auch tatsächlich berücksichtigt werden (EuGH a.a.O. Rn. 50). Daraus folgt, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG einer nationalen Regelung entgegensteht, soweit sie vorschreibt, dass die Genehmigung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs zwingend zu erteilen ist, ohne dass die Risiken der Ansiedlung innerhalb der angemessenen Abstände im Genehmigungsverfahren gebührend gewürdigt worden wären (EuGH a.a.O. LS 2 Satz 2 und Rn. 51). Die Genehmigungsbehörde muss sich folglich in jedem Einzelfall darüber Gedanken machen, ob ein Unterschreiten des eigentlich erforderlichen "angemessenen Abstands" im Hinblick auf sonstige - nicht störfallspezifische - Faktoren vertretbar ist (Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1047>), sofern dies nicht bereits seitens der Planungsbehörden geschehen ist (EuGH a.a.O. Rn. 28). Das verkennt die Klägerin, die sich auf den Standpunkt stellt, der EuGH habe das in § 34 Abs. 1 BauGB zum Ausdruck kommende Konzept des deutschen Gesetzgebers gebilligt, der bereits auf gesetzlicher Grundlage eine "generalisierende Risikobewertung" in der Weise vorgenommen habe, dass die Genehmigung im Falle einer Vorbelastung stets zu erteilen sei.

24

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG enthält ferner die zeitliche Vorgabe, dass dem Erfordernis der Wahrung eines angemessenen Abstands "langfristig" Rechnung zu tragen ist. Diese zielt darauf ab, dass Abstände dort, wo sie bereits eingehalten werden, gewahrt bleiben, und dass sie für die Zukunft als langfristiges Ziel aufgestellt werden, wenn sie noch nicht umgesetzt worden sind (EuGH a.a.O. Rn. 47; vgl. auch Schlussanträge a.a.O. Rn. 40). Liegt ein Neuansiedlungsvorhaben innerhalb der angemessenen Abstände, ist deshalb wie folgt zu differenzieren: Die erstmalige Schaffung einer Gemengelage wird im Regelfall unzulässig sein, weil ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, auch in Zukunft - langfristig - gewahrt bleiben muss (Schlussanträge a.a.O.; Uechtritz, a.a.O. S. 1048). Ist der angemessene Abstand demgegenüber schon bisher nicht eingehalten, greift der Wertungsspielraum, den der EuGH den Genehmigungsbehörden im Rahmen des Erfordernisses, der Wahrung angemessener Abstände Rechnung zu tragen, zuerkannt hat.

25

In welcher Weise dieser Wertungsspielraum auszufüllen ist, gibt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG den Mitgliedstaaten nicht vor. Insbesondere legt die Norm die Mitgliedstaaten nicht auf eine durch planerische Gestaltungsspielräume gekennzeichnete, prinzipiell ergebnisoffene Abwägung fest (a.A. Jäde, Publicus 2011.11, 4 <5> (online); vgl. auch Uechtritz, a.a.O. S. 1052), etwa im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB. Der Vorabentscheidung lassen sich auch keine Hinweise entnehmen, die erkennen ließen, dass der EuGH die Berücksichtigung des Abstandserfordernisses im Wege der Vorhabenzulassung verfahrensrechtlich nur um den Preis einer Systemänderung akzeptieren würde (a.A. Jäde, a.a.O. und Uechtritz, a.a.O. S. 1051 ff.). Die Richtlinie verlangt nur, dass das fragliche Erfordernis zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens zur Durchführung der Pläne oder Politiken zur Flächennutzung oder Flächenausweisung beachtet werden muss, der aber von den Mitgliedstaaten frei bestimmt werden kann (EuGH a.a.O. z.B. Rn. 26, 27, 28). Im Übrigen respektiert sie die mitgliedstaatlichen Systementscheidungen. Schon gar nicht erzwingt sie eine "Strukturrevolution" (so aber Jäde, a.a.O.). Auch die auf eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung gerichteten Reformvorschläge der Kommission (KOM(2010)781 vom 21. Dezember 2010; BTDrucks 17/5891 vom 24. Mai 2011) bei allen von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG erfassten "neuen Bauprojekten", stellen den Weg einer Umsetzung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Rahmen der gebundenen Entscheidung nicht in Frage. Öffentlichkeitsbeteiligungen sind auch nach bisherigen nationalrechtlichen Maßstäben einem gebundenen Genehmigungsanspruch nicht fremd (vgl. etwa § 10 Abs. 3 bis 6 BImSchG). Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten mithin auch in instrumenteller Hinsicht Spielräume, um das Abstandserfordernis in bestehende nationalrechtliche Systementscheidungen einzupassen, sei es "in allgemeiner Weise bei der Aufstellung der Flächenausweisungs- oder Flächennutzungspläne", sei es - mangels einer Planung - "in spezifischer Weise ... beim Erlass von Entscheidungen über Baugenehmigungen" (EuGH, Urteil vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - UPR 2011, 443 Rn. 50). Beide Wege sieht der EuGH insoweit grundsätzlich als gleichwertig an. Die Planungsbehörden sind deshalb nicht gehindert, die Pflicht zur Berücksichtigung angemessener Abstände auf die Genehmigungsbehörden zu übertragen (EuGH a.a.O. Rn. 26).

26

Entscheidet sich die Gemeinde für das Instrument der Bauleitplanung, ist den Erfordernissen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG in planerischer Weise Rechnung zu tragen. Die von der Richtlinie geforderten Wertungsspielräume gehen im bauleitplanerischen Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB) auf, in dessen Rahmen der Trennungsgrundsatz (§ 50 BImSchG) als Abwägungsdirektive zu beachten ist. Die Ergebnisse der Planung unterliegen einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Unterbleibt eine Planung, ist dem Abstandserfordernis "in spezifischer Weise" im Rahmen der Vorhabenzulassung Rechnung zu tragen. Unionsrechtlich gefordert, aber auch ausreichend ist insoweit eine "nachvollziehende" Abwägung (im Ergebnis ebenso OVG Münster, Beschluss vom 21. Februar 2012 - 2 B 15/12 - juris Rn. 22 und - vorausgehend - VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2011 - 25 L 581/11 - juris Rn. 62; zum Begriff der "nachvollziehenden" Abwägung BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2001 - BVerwG 4 C 4.00 - BVerwGE 115, 17 <24 f.>; vgl. im Überblick auch Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand November 2012, § 35 Rn. 10), verstanden als ein Vorgang der Rechtsanwendung, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt. Sie ist nicht planerische Abwägung im Sinne rechtsgeleiteter politischer Dezision, sondern sachgeleitete Wertung, und unterliegt insoweit der vollen gerichtlichen Kontrolle (Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1050 f.>; Kraft, in: Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 2009, § 38 Rn. 25).

27

Wie weit die Leistungsfähigkeit des Instruments der "nachvollziehenden" Abwägung reicht, ist keine Frage des Unionsrechts, sondern des nationalen Rechts. Ist die Leistungsfähigkeitsgrenze überschritten, ist der Weg einer gebundenen Entscheidung mit einer lediglich "nachvollziehenden" Abwägung versperrt. Einer Vorhabenzulassung kann dann nur auf der Grundlage eines Bebauungsplans näher getreten werden, bei dessen Aufstellung die Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG im Rahmen des Abwägungsgebots planerisch zu bewältigen und zu verantworten sind.

28

2. Den Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG an die Zulassung von Vorhaben in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs stellt, ist durch eine richtlinienkonforme Auslegung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Rechnung zu tragen.

29

Unter Zugrundelegung der Entscheidung des EuGH (a.a.O.) und der unter 1. b) gemachten Ausführungen ist zunächst davon auszugehen, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG keine unmittelbare Wirkung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (vgl. hierzu etwa Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 288 Rn. 47 ff.) entfaltet. Damit bleibt nationales Recht - hier § 34 Abs. 1 BauGB - weiter anwendbar. Der Senat hat allerdings das nationale Gesetz soweit wie möglich richtlinienkonform auszulegen, um sich dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten (EuGH a.a.O. Rn. 32 bis 34 und 52). Dieses Ziel wird durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots erreicht, die sich auch mit den in § 34 Abs. 1 BauGB angelegten Systemmerkmalen verträgt. Eines Rückgriffs auf die im Schrifttum erörterten sonstigen Möglichkeiten der Implementierung des Unionsrechts (vgl. dazu im Überblick Uechtritz, a.a.O. S. 1049 ff.) bedarf es mithin nicht.

30

a) Einer richtlinienkonformen Auslegung steht nicht entgegen, dass sich das Vorhaben in die Eigenart der "näheren Umgebung" einfügen muss. Schon nach bisherigem Verständnis ist hierbei auf diejenige Umgebung abzustellen, auf die sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und die ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <380>). Störfallrechtliche Konfliktlagen lassen sich hierunter auch insoweit subsumieren, als sie über den unmittelbaren Nahbereich hinausreichen, weil und soweit sie die bodenrechtliche Situation eines Vorhabengrundstücks prägen. Abgesehen davon sind städtebauliche Fernwirkungen dem Entscheidungsprogramm des § 34 BauGB generell nicht mehr fremd, seit der Gesetzgeber mit dem EAG Bau 2004 den Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB in das Prüfprogramm integriert hat (Kraus, ZfBR 2012, 324<329>).

31

b) Das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot bietet eine geeignete Anknüpfung für die unionsrechtlich geforderte "nachvollziehende" Abwägung.

32

Ein Vorhaben, das sich in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, fügt sich in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB dann nicht ein, wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, d.h. vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt (Urteil vom 26. Mai 1978 a.a.O. S. 386 m.w.N.). Ziel des Rücksichtnahmegebots ist es, einander abträgliche Nutzungen in rücksichtsvoller Weise zuzuordnen sowie Spannungen und Störungen zu vermeiden. Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, namentlich davon, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (stRspr; zuletzt Urteil vom 29. November 2012 - BVerwG 4 C 8.11 - juris Rn. 16 m.w.N.). Es wird dabei durch die Begriffsbestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und den auf dieser Grundlage ergangenen rechtsförmlichen technischen Regelwerken und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften näher bestimmt (vgl. Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <319 f.>). Im Übrigen ist eine Einzelfallbeurteilung geboten.

33

Das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme erweist sich insoweit als wertungsoffenes Korrektiv (vgl. auch Berkemann, ZfBR 2010, 18 <30>: "planerisches Korrektiv"), das auch für störfallrechtlich vorgegebene Wertungen offensteht. Es erlaubt die in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte abwägende Gegenüberstellung von störfallspezifischen und nicht störfallspezifischen, insbesondere "sozioökonomischen" Faktoren, um auf dieser Grundlage entscheiden zu können, ob im Einzelfall ein Unterschreiten des eigentlich erforderlichen "angemessenen" Abstands ausnahmsweise vertretbar ist. Insoweit unterscheiden sich störfallrechtliche nicht grundlegend von anderen immissionsschutzrechtlichen Konfliktsituationen. Das Rücksichtnahmegebot ist deshalb ein geeigneter Rahmen auch für die unionsrechtlich geforderte "nachvollziehende" Abwägung, innerhalb derer die Genehmigungsbehörde den ihr nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zukommenden Wertungsspielraum auszufüllen hat. Unerheblich ist, dass der Begriff der "nachvollziehenden" Abwägung in der Senatsrechtsprechung für Fälle im Anwendungsbereich des § 35 BauGB entwickelt und darüber hinaus bisher - soweit ersichtlich - lediglich im Bereich des § 38 BauGB thematisiert worden ist. Der Sache nach ist auch die im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu treffende Entscheidung sachgeleitete Wertung, die ebenfalls der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. Kraft, a.a.O.).

34

Einer Anpassung bedarf die Dogmatik des Rücksichtnahmegebots im störfallrechtlichen Zusammenhang allerdings insoweit, als Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG verlangt, dass der angemessene Abstand bei der Risikobewertung neben anderen Faktoren - wie dargestellt - auch im Fall einer bestehenden Vorbelastung tatsächlich berücksichtigt wird. In Anbetracht der in der Richtlinie zum Ausdruck kommenden besonderen Zielsetzung (Art. 1 der Richtlinie 96/82/EG), die Folgen schwerer Unfälle für Mensch und Umwelt nicht nur durch eine entsprechende Ausgestaltung der Betreiberpflichten (Art. 5 der Richtlinie 96/82/EG), sondern auch durch die Wahrung angemessener Abstände (Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG) zu begrenzen, darf eine bestehende Vorbelastung nicht dazu führen, die durch eine Neuansiedlung im Fall eines Störfalls zusätzlich exponierten Menschen auszublenden. Bedenkt man ferner, dass die erstmalige Schaffung einer störfallrechtlichen Gemengelage - wie dargestellt - im Regelfall ohnehin unzulässig sein wird, weil ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, "langfristig", also auch in Zukunft gewahrt bleiben muss (Beschluss vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - juris Rn. 32; Uechtritz, BauR 2012, 1039 <1048 ff.>), liegt auf der Hand, dass eine bestehende Vorbelastung im Störfallrecht nicht Grenze, sondern vielmehr gerade Voraussetzung des Wertungsspielraums ist, den Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG eröffnet. Das Kriterium der Vorbelastung ist deshalb im Störfallrecht bei richtlinienkonformer Handhabung unbrauchbar.

35

c) Von vornherein überschritten sind allerdings die Leistungsgrenzen des Rücksichtnahmegebots, wenn die nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG zu berücksichtigenden "sozioökonomischen Faktoren" den Rahmen der im Rücksichtnahmegebot abgebildeten gegenseitigen Interessenbeziehung zwischen Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits verlassen, etwa dann, wenn nicht individuelle, sondern städtebauliche Gründe für eine Zulassung eines Vorhabens in der Gefahrenzone eines Störfallbetriebs streiten, oder wenn Alternativstandorte für die Verwirklichung des Vorhabens in Frage stehen. Entsprechendes gilt, wenn ein Neuansiedlungsvorhaben städtebauliche Spannungen bewirkt, die im Wege einer "nachvollziehenden" Abwägung nicht beseitigt werden können, sondern einer planerischen Bewältigung bedürfen, oder wenn eine rechtsfehlerfreie Konfliktbewältigung auf das Festsetzungsinstrumentarium der Bauleitplanung angewiesen ist. In all diesen Fällen ist eine Zulassung des Vorhabens auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB abzulehnen, weil es einen Koordinierungsbedarf auslöst, dem nicht das Konditionalprogramm des Rechts der Vorhabenzulassung, sondern nur eine förmliche Planung Rechnung zu tragen vermag (vgl. Urteil vom 1. August 2002 - BVerwG 4 C 5.01 - BVerwGE 117, 25 <29 f.>; jüngst auch Urteil vom 2. Februar 2012 - BVerwG 4 C 14.10 - BVerwGE 142, 1 ). Entschließt sich die Gemeinde in diesen Fällen zur Bauleitplanung, ist auch dem Abstandserfordernis planerisch Rechnung zu tragen.

36

3. Diesen Einfluss des Unionsrechts auf die Handhabung des Rücksichtnahmegebots hat das Berufungsurteil verkannt.

37

Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar zu Recht angenommen, dass die Pflicht zur Rücksichtnahme grundsätzlich nicht unabhängig von etwaigen Vorbelastungen bewertet werden kann (Beschluss vom 3. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.). Er hat allerdings nicht erkannt, dass das Kriterium der Vorbelastung im Störfallrecht unbrauchbar ist, weil es - wie der EuGH mit bindender Wirkung für die mitgliedstaatliche Rechtsanwendung vorgegeben hat - die Mitgliedstaaten nicht von der sich aus Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG ergebenden Verpflichtung befreit, die Risiken der Neuansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes innerhalb des angemessenen Abstands gebührend zu würdigen.

38

Mangels Bebauungsplanung war die Genehmigungsbehörde in der Pflicht, bei der Entscheidung über den von der Klägerin beantragten Bauvorbescheid dem Abstandserfordernis Rechnung zu tragen. Dieser Verpflichtung ist sie nicht nachgekommen. Sie hat es unterlassen, vor ihrer Entscheidung zu ermitteln, welcher Abstand gegenüber dem Störfallbetrieb der Beigeladenen angemessen ist und ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieser Abstandsgrenze liegt; den TÜV hatte sie erst im Zusammenhang mit dem Bauantrag der Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 12.11 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.

39

Dieses Versäumnis hätte der Verwaltungsgerichtshof zum Anlass nehmen müssen, die erforderlichen Ermittlungen und Bewertung im Rahmen seiner uneingeschränkten gerichtlichen Prüfungskompetenz selbst vorzunehmen. Er hätte feststellen müssen, welcher Abstand angemessen ist und ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieses angemessenen Abstands liegt, etwa weil die vom TÜV gutachtlich ermittelten "Achtungsgrenzen" die Abstandsgrenzen zutreffend wiedergeben. Bejahendenfalls wäre er gehalten gewesen, zu ermitteln, ob und gegebenenfalls welche nicht-störfallspezifischen Faktoren dem Abstandserfordernis gegenüberstehen. Er hätte sich vergewissern müssen, dass die in Betracht kommenden Faktoren das Entscheidungsprogramm des § 34 Abs. 1 BauGB nicht überfordern, etwa, weil nur individuelle Gründe der Vorhabenträgerin in Frage stehen. Schließlich hätte er auf dieser Grundlage im Wege der "nachvollziehenden" Abwägung darüber befinden müssen, ob im Hinblick auf diese Gründe ein Unterschreiten des "angemessenen Abstands" vertretbar und deshalb eine Zulassung des Vorhabens innerhalb der Abstandsgrenzen gerechtfertigt erscheint. An all dem fehlt es.

40

4. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 VwGO). Es fehlen bereits abschließende tatrichterliche Feststellungen zu den maßgeblichen Faktoren zur Bestimmung des angemessenen Abstands (vgl. oben 1.) sowie dazu, ob das streitgegenständliche Gartencenter innerhalb dieses Abstands liegt. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.