Verwaltungsgericht München Urteil, 20. Mai 2015 - M 25 K 13.5129

bei uns veröffentlicht am20.05.2015

Gericht

Verwaltungsgericht München

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht München

M 25 K 13.5129

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 20. Mai 2015

25. Kammer

Sachgebiets-Nr. 600

Hauptpunkte:

Ausweisung mit sechsjähriger Wiedereinreisesperre; Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten wegen mehrfacher Vergewaltigung, vorsätzlicher Körperverletzung, Bedrohung und versuchter Nötigung; Deutsches Kind; Herkunftsland Ecuador

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

..., geb. ...1985 z. Zt. ...

- Kläger -

bevollmächtigt: ...

gegen

Landeshauptstadt München

KVR HA II, Ausländerangelegenheiten

vertreten durch den Oberbürgermeister Ruppertstr. 19, 80337 München

- Beklagte -

wegen AuslR; Ausweisung

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 25. Kammer, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ..., den Richter am Verwaltungsgericht ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ..., die ehrenamtliche Richterin ..., den ehrenamtlichen Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Mai 2015 am 20. Mai 2015

folgendes Urteil:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung mit sechsjähriger Wiedereinreisesperre.

Der 1985 geborene Kläger ist ecuadorianischer Staatsgehöriger und hat einen im Februar 2007 in ... geborenen Sohn, der deutscher Staatsangehöriger ist. Der Kläger reiste im Dezember 2002 als Siebzehnjähriger in das Gebiet der Schengenstaaten und nach eigenen Angaben im Februar 2003 erstmals in das Bundesgebiet ein, wo er im Juli 2003 festgenommen (Bl. ... Behördenakte) und mit bestandskräftigem Bescheid vom ... Juli 2003 (Bl. ... ff. Behördenakte) ausgewiesen wurde, weil sein visumsfreier Aufenthalt abgelaufen war. Nach seiner freiwilligen Ausreise heiratete der Kläger am ... September 2003 in Ecuador eine deutsche Staatsangehörige und reiste im April 2004 mit einem Visum zum Familiennachzug (Bl. ... Behördenakte) erneut ins Bundesgebiet ein. Die Eheleute trennten sich im Mai 2006 (Bl. ... Behördenakte) und wurden Ende November 2010 geschieden. Vom ... April 2004 bis zum ... Juni 2010 besaß der Kläger eine mehrfach verlängerte Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug. Seit September 2009 befindet sich der Kläger in Haft.

Im Sommer 2005 lernte der Kläger in ... die damals vierzehnjährige Zeugin L. K. kennen; am ... Februar 2007 kam der gemeinsame Sohn zur Welt. Der Sohn besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit; das alleinige Sorgerecht liegt bei der Mutter. Der Junge lebt im Haushalt der Großmutter zusammen mit deren Ehemann und seiner Tante. Im Juli 2012 übertrug die Kindsmutter der Großmutter das Recht, für ihren Sohn alle Geschäfte und Belange des täglichen Lebens zu regeln (Bl. ... Behördenakte); die berufstätige Mutter besucht ihr Kind an den Wochenenden.

In den fünf Monaten bis kurz vor der Geburt lebte der Kläger zusammen mit der Kindsmutter in deren mütterlichem Haushalt (September 2006 bis Ende Januar 2007). Danach - bis zu seinem Wiedereinzug bei der Kindsmutter im großmütterlichen Haushalt im April 2009 - besuchte der Kläger sein Kind nach Absprache regelmäßig zweimal pro Woche, wobei alle zwei Wochen auch Übernachtungen stattfanden. Vom ... April 2009 bis zu seiner vorläufigen Festnahme am ... Juli 2009 wohnte der Kläger wieder mit dem Sohn und der Kindsmutter im Haushalt der Großmutter.

Am ... Juli 2009 zeigte die Kindsmutter den Kläger wegen häuslicher Gewalt an (u. a. Bl. ... ff. Behördenakte), stellte Strafantrag (Bl. ... Strafakte) und meldete ihn von ihrer Wohnadresse ab. Der Kläger wurde am selben Tag vorläufig festgenommen und erhielt polizeilich einen Platzverweis und ein Kontaktverbot bis zum ... August 2009 zur Kindsmutter und seinem Kind (Bl. ... Strafakte), kam aber am Folgetag wieder auf freien Fuß (Bl. ... Strafakte). Das Amtsgericht erließ am ... August 2009 auf Antrag der Kindsmutter ein Kontaktverbot nach dem Gewaltschutzgesetz für die Dauer von drei Monaten (Bl. ... ff. Strafakte), gegen welches der Kläger nach polizeilichen Ermittlungen aufgrund einer Anzeige am ... August 2009 verstieß (Bl. ... Behördenakte). Am ... August 2009 sprach die Kindsmutter bei der Beklagten vor und machte Angaben zu ihrer Beziehung zum Kläger und zu dessen Beziehung zum gemeinsamen Kind (Bl. ... ff.). Zusammenfassend hat nach Einschätzung der Kindsmutter zum damaligen Zeitpunkt eine gewichtige Vater-Kind-Beziehung nicht bestanden, das väterliche Interesse am Kind war oberflächlich und Vater-Kind-Kontakte wurden von ihr als riskant bis schädlich eingeschätzt. Am ... September 2009 wurde der Kläger inhaftiert und befindet sich seitdem in Untersuchungs- und Strafhaft.

Strafrechtlich ist der Kläger wie folgt in Erscheinung getreten:

1. Auf eine am ... Oktober 2007 erstattete Anzeige gegen den Kläger wegen Hausfriedensbruch (Bl. ... Behördenakte) wurde die Großmutter auf den Privatklageweg verwiesen (Bl. ... Behördenakte).

2. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom ... November 2008 wurde der Kläger zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen wegen zweier tateinheitlicher Fälle des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der versuchten Körperverletzung verurteilt (Bl. ... Behördenakte). Dem lag zugrunde, dass der Kläger sich am ... Mai 2008 Zutritt zum Haus der Großmutter verschaffen wollte, was diese wegen seiner Alkoholisierung verhinderte. Gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten leistete der Kläger dann Widerstand.

3. Mit Urteil vom ... Juli 2010 (Bl. ... bis ... Behördenakte), rechtskräftig seit ... Januar 2011, sprach das Landgericht ... ... den Kläger nach fünf Verhandlungstagen der Vergewaltigung in vier tatmehrheitlichen Fällen, diese jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit fünf tatmehrheitlichen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung, hiervon in einem Fall mit Bedrohung, in Tatmehrheit mit versuchter Nötigung schuldig und verurteilte ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten.

Der Entscheidung lagen Taten zum Nachteil der Kindsmutter im Zeitraum von Mai 2007 bis Juli 2009 zugrunde. Die Strafkammer legte ihrer Verurteilung insbesondere die Aussage der Kindsmutter zugrunde und war von der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt, weil sie glaubhaft, detailreich und in einen situativen räumlichen und zeitlichen Kontext eingebunden waren, ohne Belastungseifer erfolgten und im Kern über mehrere Vernehmungen konstant waren. Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger hatte die damalige Noch-Ehefrau angegeben, dass der Kläger bereits in dieser Beziehung gewalttätig geworden ist (Bl. ... Strafakte); diesen Umstand sowie die Taten zum Nachteil der Zeugin L. K. hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts bestätigt.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom ... Oktober 2013 (Bl. ... ff.) wies die Beklagte den Kläger nach Anhörung aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1) und untersagte die Wiedereinreise für acht Jahre (Nr. 2). Die Abschiebung nach Ecuador bzw. in einen anderen aufnahmebereiten bzw. zur Rückübernahme verpflichteten Staat aus der Haft wurde angeordnet bzw. angedroht (Nr. 3). Die Ausweisung wurde auf § 53 Nr. 2 AufenthG gestützt. Zugunsten des Klägers ging die Beklagte von besonderem Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG aus, weil der Kläger vom... April 2009 bis zum ... Juli 2009 unter derselben Anschrift wie sein Sohn gemeldet gewesen war und sich auch häufig dort aufgehalten hatte. Die Ausweisung wurde gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG als Regelausweisung verfügt, da ein Ausnahmefall von der Regelbewertung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG verneint wurde. Weiter wurde eine Ausnahme von der Regelausweisung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG verneint, weil der Kläger Straftaten aus dem Bereich der Schwerkriminalität begangen habe und die Beklagte beim Kläger auch eine konkrete Gefahr weiterer schwer wiegender Gewalt- und/oder Sexualstraftaten sehe. Das Sorgerecht für seinen deutschen Sohn liege bei der Mutter. Der schwere Eingriff in das Familienleben durch die Ausweisung und die damit verbundene Trennung vom Sohn werde gesehen, ebenso dass das Kind im Zeitpunkt der Haftentlassung zehn Jahre alt und somit in einem Alter sein werde, in dem Kinder durchaus auf den Beistand des Vaters angewiesen seien. Andererseits kenne der Junge ein Familienleben mit dem Kläger als Vater nicht; der Kläger sei in Haft seit der Junge zwei Jahre alt ist und Besuche seitens des Kindes in der Justizvollzugsanstalt fänden erst seit Anfang 2011 statt. Die Beklagte verkenne keinesfalls, dass es für das Kindeswohl optimal wäre, beide Elternteile als Ansprechpartner und Erziehungsberechtigte um sich zu haben, und es sei auch zu berücksichtigen, dass das Kind auch nicht mit der Mutter in familiärer Lebensgemeinschaft lebe, sondern mit der Großmutter. Der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren schweren Gewaltstraftaten sei im Ergebnis aber höher zu bewerten als das Recht des Sohnes auf Anwesenheit beider Elternteile in Deutschland. Weiter sei zu berücksichtigen, dass der Kläger über den Umstand hinaus, dass er während seines fünfjährigen Aufenthalts auf freiem Fuß keine Sozialleistungen bezogen habe, keine weiteren Integrationsleistungen erbracht habe. Seit Juni 2010 verfüge er auch über keinen Aufenthaltstitel mehr. Der Kläger sei in Ecuador aufgewachsen, der Sprache mächtig und kenne die dortigen Lebensgewohnheiten. Seine Mutter lebe nach wie vor dort, so dass er durchaus bei seiner Ursprungsfamilie wieder Fuß fassen könne. Die Ausweisung sei somit im Hinblick auf Art. 8 EMRK verhältnismäßig. Auch Art. 6 GG stehe der Aufenthaltsbeendigung nicht entgegen. Denn der Kläger habe auch von Ecuador aus die Möglichkeit, über Briefe, Telefonate und per Skype Kontakt mit seinem Sohn zu halten; auch Betretenserlaubnisse kämen in Betracht. Hilfsweise wurde die Ausweisung auch im Ermessenswege verfügt. Die Abwägung der öffentlichen (Verhinderung weiterer Sexualstraftaten, Abschreckung anderer Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten) und der persönlichen Interessen (langjähriger Aufenthalt, deutsches Kind) führe zu einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts. Die Ausweisung sei auch aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt.

Mit Schriftsatz vom 8. November 2013, bei Gericht am selben Tag eingegangen, ließ der Kläger durch seine damalige Prozessbevollmächtigte Klage gegen den Bescheid erheben und beantragen,

den Bescheid vom ... Oktober 2013 aufzuheben.

Zur Begründung ließ der Kläger durch seine nunmehrige Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 13. April 2015 im Wesentlichen vortragen, dass er seit ... Oktober 2013 in der sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter untergebracht sei und an Einzel- und Gruppentherapien für Sexualstraftäter teilnehme. Er und sein Sohn hätten ein sehr inniges Verhältnis. Das Stadtjugendamt gehe davon aus, dass der Beziehungsabbruch zum Vater durch die Ausweisung eine endgültige Trennung von Vater und Sohn bedeuten und das Kindeswohl nachhaltig beeinträchtigen und schädigen würde. Von der Regelausweisung des § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG sei wegen eines atypischen Ausnahmegeschehens abzusehen. Der Kläger führe mit seinem achtjährigen Sohn eine familiäre Lebensgemeinschaft. Die Inhaftierung stelle nur ein vorübergehendes, nicht dauerndes Getrenntleben dar. Vom Kläger gehe keine Wiederholungsgefahr aus, da der Kläger durch das Strafverfahren und den anschließenden Vollzug geläutert sei. Eine generalpräventiv motivierte Ausweisung sei unverhältnismäßig.

Die Beklagte legte mit Schreiben vom 20. November 2013 die Behördenakte vor und beantragte,

die Klage abzuweisen.

In der Folge wurden mehrfach Ergänzungen der Ausländerakte vorgelegt.

Das Ende der Haft ist für Januar 2017 vorgesehen; zwei Drittel waren im August 2014 verbüßt.

Die Kammer hat am 20. Mai 2015 mündlich in der Hauptsache verhandelt und die derzeitige Therapeutin des Klägers in der Justizvollzugsanstalt Frau W., eine Mitarbeiterin des Jugendamts der Beklagten Frau B., die Kindsmutter Frau L. K. und die Großmutter des Sohns Frau C. K. als Zeugen gehört.

Die Beklagte hat die Wiedereinreisesperre in der mündlichen Verhandlung auf sechs Jahre reduziert und ihr Ermessen mittels Schriftsatz vom 20. Mai 2015 umfangreich ergänzt. Sie hat u. a. die für den Kläger günstigen Umstände ergänzt, dass er zwischenzeitlich einen erheblichen Teil einer grundsätzlich auf zwei Jahre angelegten Sozialtherapie erfolgreich absolviert und einen Deutschkurs besucht hat, dass er an weiteren therapeutischen Maßnahmen teilnimmt und innerhalb des Strafvollzugs gearbeitet hat. Eingestellt wurden ferner die sozialen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet an seinen Sohn, dessen Großmutter, die Kindsmutter, deren Schwester und seinen Bruder, die den Kläger mehr oder weniger regelmäßig in der Justizvollzugsanstalt besuchen. Das Vollzugsverhalten wird trotz zweier Disziplinarmaßnahmen als ganz überwiegend positiv gewertet. Vorsorglich wird zugunsten des Klägers auch davon ausgegangen, dass er im Bundesgebiet in erheblichem Umfang erwerbstätig gewesen ist. Auf der anderen Seite wird berücksichtigt, dass der Aufenthalt des Klägers mit Ablauf seines letzten Aufenthaltstitels seit 2010 illegal ist und die wirtschaftliche Integration im Hinblick auf die Schulden und den Umstand, dass Unterhaltsbeiträge oftmals umgehend von der Kindsmutter an den Kläger zurückbezahlt wurden, begrenzt gewesen sein muss. Ob und inwieweit eine Suchtproblematik besteht, die laut Vollzugsplan vom Kläger im Hinblick auf Marihuana und Alkohol angegeben wurde (Vollzugsplan vom ...5.2015, S. 7), wird offen gelassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung, die Gerichtsakten, die vorgelegten Behördenakten sowie die beigezogene Strafakte zum Aktenzeichen ...

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig, jedenfalls verletzt sie ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Bereits die Ermessensentscheidung der Beklagten ist auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO). Auch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung erweist sich nicht als rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Bereits die hilfsweise nach Ermessen verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Ob sie auch in anderer - strengerer - Form, etwa als zwingende Ausweisung, hätte erfolgen können, wovon das Gericht ausgeht (s. nachfolgend 1.4.), ist daher letztlich nicht entscheidungserheblich.

1.1. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Gerichts abzustellen (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 19/11 - juris Rn. 12).

1.2. Die tatbestandlichen Ausweisungsvoraussetzungen sind erfüllt: Eine Verurteilung i. S. v. § 53 AufenthG und schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i. S. v. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG liegen vor.

1.2.1. Der Kläger hat durch die rechtskräftige, strafgerichtliche Verurteilung vom ... Juli 2010 wegen vorsätzlicher Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten den zwingenden Ausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Die Angabe der falschen Rechtsgrundlage durch die Beklagte ist als offensichtliches Versehen unschädlich: Die Verurteilung des Klägers wurde nämlich zutreffend unter die Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Nr. 1 AufenthG subsumiert.

1.2.2. Als Folge des besonderen Ausweisungsschutzes gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG, den die Beklagte zwar fehlerhaft (s.o. 1. und nachfolgend 1.4.), aber jedenfalls nicht zum Nachteil des Klägers angenommen hat, ist als weitere Tatbestandsvoraussetzung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG das Vorliegen von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich (vgl. BVerwG, B.v. 1.9.2014 - 1 B 13/14 - juris OS und Rn. 11) und vorliegend auch erfüllt.

1.2.2.1. Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen bei einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung dann vor, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (BVerwG, B.v. 1.9.2014 - 1 B 13/14 - juris Rn. 11).

1.2.2.1.1. In den Fällen des § 53 AufenthG - wie vorliegend - vermutet das Gesetz diese Wiederholungsgefahr in der Regel (§ 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Diese gesetzliche Regelvermutung ist jedoch widerleglich und erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Besonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass nach § 53 AufenthG als weniger gewichtig erscheinen lassen (BVerwG, U.v. 31.8.2004 - 1 C 25/03 - juris Rn. 16 zu §§ 48 Abs. 1 Satz 2, 47 Abs. 1 AuslG). Ausnahmefälle i. S. v. § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG sind durch einen abweichenden Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigt (BayVGH, B.v. 12.1.2010 - 19 C 09.2219 - juris Rn. 8).

Vorliegend ist jedoch kein atypischer Sonderfall dergestalt gegeben, dass unter keinen denkbaren Umständen von einer Wiederholungsgefahr durch den Kläger gesprochen werden kann. Bei seinen Straftaten handelt sich auch nicht um eine sog. „Beziehungstat“, die aus einem nicht wiederholbaren Affektzustand heraus begangen wurde (sog. elementar-eruptive Gewalttat). Eine Beziehungstat in diesem Sinn liegt nämlich nicht immer schon dann vor, wenn die Tat im Rahmen einer Beziehung begangen wurde. Die über einen mehrjährigen Zeitraum begangenen Straftaten waren nicht einem Affektzustand geschuldet.

Ein Regelfall des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und somit schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i. S.v. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sind somit indiziert.

1.2.2.1.2. Darüber hinaus führt auch eine individuelle Prüfung zum Ergebnis, dass schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Klägers rechtfertigen. Diese Beurteilung ergibt sich daraus, dass die Anlasstaten für die Ausweisung (Vergewaltigungen, vorsätzliche Körperverletzungen, Bedrohung, versuchte Nötigung) schwerwiegend waren, vom Strafgericht hoch sanktioniert wurden und der Kläger auch in seiner Ehe gegenüber seiner Ehefrau bereits gewalttätig geworden war. Dies lässt den Rückschluss zu, dass beim Kläger ein Aggressionsproblem vorliegt, das offenbar noch nicht bewältigt ist. Die Sozialtherapie ist noch nicht abgeschlossen und es bleibt abzuwarten, ob der Kläger sich außerhalb des geschützten Raums der Justizvollzugsanstalt bewähren wird. Belastbare Erkenntnisse zum Verhalten des Klägers in Freiheit in einer künftigen Beziehung liegen naturgemäß nicht vor. Der Kläger wurde bislang in seinen beiden längerfristigen Beziehungen mit Frauen massiv gewalttätig; einer solchen Situation ist er in der Haft nicht ausgesetzt.

In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass die Ursachen der Straftaten nach wie vor ungeklärt und somit letztlich nicht aufgearbeitet sind. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung unternommenen Erklärungsversuche - Schulden, Sorge um den erkrankten Großvater in Ecuador - überzeugen das Gericht nicht; sie machen die Sexual- und Gewalttaten gegenüber der körperlich unterlegenen Kindsmutter über einen derart langen Zeitraum nicht im Ansatz plausibel. Die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, die Taten seien „so passiert“, indiziert vielmehr, dass die Taten tatsächlich weiterer therapeutischer Aufarbeitung bedürfen. Das Gericht berücksichtigt in diesem Zusammenhang auch, dass der Kläger sich noch im Februar 2011, also bereits nach Rechtskraft der Verurteilung, keiner Schuld bewusst und somit nicht behandlungsmotiviert war (Vollzugsplan vom ...5.2015, S. 6 unter 4.1) und eine Sozialtherapie u. a. aus diesem Grund noch nicht abgeschlossen ist. Dass der Kläger nach Angaben seiner Therapeutin, der sachverständigen Zeugin W., in seiner Familie gelernt habe, dass Schläge zum Alltag gehören und er dieses Verhalten übernommen habe, bestärkt die gerichtliche Einschätzung, dass eine hinreichende Wiederholungsgefahr weiter besteht ebenfalls. Auf den Umstand, dass das Tatopfer und die Großmutter seines Sohnes sich mit den Umständen offenbar arrangiert haben und sie den Kläger nicht für gefährlich halten, kommt es ersichtlich nicht an.

Für das Vorliegen einer Zäsur im Leben des Klägers durch die Verurteilung und den Strafvollzug fehlen abgesehen von den diesbezüglichen Beteuerungen nachvollziehbare Anhaltspunkte. Aus dem Umstand, dass der Kläger in der Haft einen Deutschkurs besucht und einen Staplerfahrerschein gemacht hat, ergibt sich dies jedenfalls nicht. Vielmehr erwachsen hieran eher Zweifel, wenn man berücksichtigt, dass der Kläger zuletzt im Februar 2015 in der Justizvollzugsanstalt disziplinarisch belangt wurde, auch bei Berücksichtigung des Umstands, dass dem offenbar keine körperliche, sondern eine verbale Auseinandersetzung zugrunde gelegen hat (Vollzugsplan vom ...5.2015, S. 9).

1.2.2.2. Eine Ausweisung aus Gründen der Generalprävention ist bei Ausländern, die einen besonderen Ausweisungsschutz genießen, nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn eine Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, U.v. 31.8.2004, a. a. O., Rn. 16). Vorliegend wiegen die Straftaten des Klägers unzweifelhaft besonders schwer und es besteht ein dringendes Bedürfnis, über die strafrechtlichen Sanktionen hinaus zu signalisieren, dass der vom Kläger mit Frauen gepflegte Umgang in der Bundesrepublik Deutschland nicht toleriert wird. Es entspricht kontinuierlicher Praxis der Beklagten, im Bereich der körperlichen und/oder seelischen Gewalt gegen Frauen bzw. geschlechtsunabhängig bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung aus generalpräventiven Erwägungen die Ausweisung zu verfügen. Die Ausweisung durfte somit zulässig auch auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden.

Somit liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausweisung auch unter Berücksichtigung besonderen Ausweisungsschutzes sowohl in spezial- als auch in generalpräventiver Hinsicht vor; dies sowohl aufgrund der Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG als auch bei individueller Prüfung der Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.

1.3. Die Ausweisung des Klägers ist ermessenfehlerfrei erfolgt (§ 114 Satz VwGO).

1.3.1. Die Beklagte konnte die Ausweisung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG nach Ermessen verfügen. Ob die Ausweisung rechtmäßig auch als Regelausweisung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG hätte verfügt können - wie dies die Beklagte in erster Linie getan hat - bedarf wegen der hilfsweise auf Ermessen gestützten rechtmäßigen Ausweisung keiner Vertiefung. Im nationalen Stufensystem der Ausweisung stellt nämlich die Ermessensausweisung die mildeste Form der Ausweisung dar; wenn bereits sie rechtmäßig ist, hat die Ausweisung in jedem Fall Bestand, ohne dass es darauf ankommt, ob sie auch als zwingende Ausweisung oder als Regelausweisung hätte erfolgen können. Eine Verletzung des Klägers in seinen subjektiven Rechten mit der Folge eines Anspruchs auf Aufhebung einer fehlerhaft begründeten Ausweisung kommt daher nicht in Betracht, wenn bereits die Ermessensausweisung nicht zu beanstanden ist. Dies ist hier der Fall.

1.3.2. Die Beklagte durfte ihre Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO in zulässiger Weise ergänzen und hat dies mit ihrem in der mündlichen Verhandlung übergebenen Schriftsatz vom 20. Mai 2015 auch getan.

§ 114 Satz 2 VwGO erlaubt der Behörde die Ergänzung (defizitärer) Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren, nicht jedoch die nachträgliche, erstmalige Ausübung von Ermessen (vgl. etwa BVerwG, U.v. 5.9.2006 - 1 C 20.05 - juris Ls. und Rn. 22). Vorliegend handelt es sich um eine zulässige Ergänzung von Ermessenserwägungen und nicht um die erstmalige Ermessensausübung.

Die Beklagte hat ihre Ausweisung bereits im Zeitpunkt des Erlasses hilfsweise - in Übereinstimmung mit der Empfehlung des Bundesverwaltungsgerichts an die Ausländerbehörden (BVerwG, U.v. 23.10.2007, a. a. O., Rn. 27) - auf Ermessenserwägungen gestützt und als private Interessen des Klägers am Verbleib im Bundesgebiet seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und den Umstand, dass er ein deutsches Kind hat, eingestellt und in spezialpräventiver Hinsicht gegen die öffentlichen Interessen der Verhinderung weiterer Sexualstraftaten durch den Kläger im Bundesgebiet und in generalpräventiver Hinsicht gegen die Abschreckung anderer Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abgewogen. Auch wenn die diesbezüglichen Ausführungen im Bescheid vergleichsweise knapp gehalten sind, nehmen sie doch die wesentlichen Aspekte in den Blick; von einer erstmaligen Ermessensausübung kann daher nicht die Rede sein. Die Ermessensergänzung war somit zulässig.

1.3.3. Die Ermessensentscheidung der Beklagten, die vom Gericht nur im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO daraufhin zu überprüfen ist, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten sind und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, ist nicht zu beanstanden.

Die Ausweisung ist auch mit Blick auf die Bestimmungen des Völkervertragsrechts in Art. 8 Abs. 1 EMRK und des höherrangigen Verfassungsrechts in Art. 6 GG nicht ermessensfehlerhaft und insbesondere verhältnismäßig (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2015 - 10 ZB 13.1437 - juris Rn. 15, 17). Die Beklagte hat den völkervertraglichen und verfassungsrechtlichen Schutz der familiären Beziehung des Klägers zu seinem Sohn gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. zu Art. 6 GG BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14) erkannt, zutreffend berücksichtigt und ist ihm auch im Ergebnis gerecht geworden.

1.3.3.1. In den Schutzbereich des Rechts des Klägers auf Achtung des Privat- und Familienlebens i. S. v. Art. 8 Abs. 1 EMRK wird durch seine Ausweisung zwar eingegriffen; der Eingriff ist aber gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

In die Ausübung des Rechts i. S. v. Art. 8 Abs. 1 EMRK darf eine Behörde gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zu Verhütung von Straftaten notwendig ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, die Ausweisung ist insbesondere notwendig in diesem Sinn.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. U. v. 2.8.2001 - 54273/00 - [Boultif], InfAuslR 2001, 476, U.v. 18.10.2006 - 46410/99 - [Üner], NVwZ 2007, 1279, U.v. 23.6.2008 - 1683/04 - [Maslov II], InfAuslR 2008, 333, U.v. 25.3.2010 - 40601/05 - [Mutlag], InfAuslR 2010, 325) ist bei der Beurteilung der Notwendigkeit des Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen, den so genannten Boultif/Üner-Kriterien: Dies sind die Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten; das Alter des Ausländers bei der Begehung der Straftaten; die Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet; die seit der Straftat verstrichene Zeit sowie das Verhalten des Klägers während dieser Zeit; die Staatsangehörigkeit der verschiedenen betroffenen Personen; die familiäre Situation des Klägers, wie die Länge der Ehe und andere Faktoren, die die Wirksamkeit des Familienlebens eines Paares ausdrücken; ob der Gatte zu dem Zeitpunkt um die Straftat wusste, als eine familiäre Beziehung aufgenommen wurde; ob Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind und wenn ja, deren Alter; das Gewicht der Schwierigkeiten, auf die die Familienangehörigen wahrscheinlich in dem Land stoßen werden, in das der Kläger ausgewiesen werden soll; die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bande mit dem Gastland und mit dem Heimatland und schließlich, ob der Kläger bereits als Kind, im jugendlichen Alter oder erst als Erwachsener in das Bundesgebiet gekommen ist oder gar hier geboren wurde.

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Vielzahl von Straftaten über einen längeren Zeitraum verübt hat, die zum großen Teil der Schwerkriminalität zuzurechnen sind. Seit fünf Jahren verfügt der Kläger über keinen Aufenthaltstitel mehr; die Ehe, die ihm in der Vergangenheit ein Aufenthaltsrecht vermittelt hatte, besteht rechtlich seit fast fünf Jahren, de facto seit gut neun Jahren nicht mehr. Seit der letzten Straftat sind zwar bereits sechs Jahre vergangen; allerdings hat der Kläger diese Zeit in Haft verbracht. Eine abschließende Aufarbeitung der Tat durch den Kläger vermag das Gericht derzeit nicht zu erkennen (s.o. 1.2.2.1.2); die Sozialtherapie ist noch nicht abgeschlossen. Im Strafvollzug hat der Kläger teilweise gearbeitet, wurde aber auch zweimal disziplinarisch belangt, dabei zuletzt im Februar 2015.

Andererseits ist der Kläger Vater eines mittlerweile acht Jahre alten deutschen Sohnes. Inhaftiert wurde er allerdings bereits, als sein Sohn knapp zweieinhalb Jahre alt war. Zuvor hatte eine häusliche Lebensgemeinschaft mit seinem Kind für knapp vier Monate bestanden, die aber u. a. von Gewalttaten des Klägers gegenüber der Kindsmutter geprägt bzw. zumindest begleitet waren. Im vorhergehenden Zeitraum von zwei Jahren und zwei Monaten zwischen der Geburt des Kindes und dem (Wieder-)Einzug in die mütterliche Wohnung fanden wöchentlich zwei Besuche seitens des Klägers statt. Nach der vorläufigen Festnahme bis zur Inhaftierung im September 2009 war der Kläger mit einem Kontaktverbot hinsichtlich der Kindsmutter und des Kindes belegt. Von September 2009 bis Anfang bzw. Frühjahr 2011 bestand nach Angaben der Zeugin Lisa K. offenbar nur brieflicher Kontakt zum Sohn. Seit Frühjahr 2011 besucht der Sohn seinen Vater zusammen mit der Großmutter zwei Mal pro Monat in der Justizvollzugsanstalt. Es ist beabsichtigt, dass der Kläger nach seiner Haftentlassung zunächst in den Haushalt der Großmutter mit seinem Sohn aufgenommen wird. Ein fachärztliches Attest vom 4. Mai 2015 diagnostiziert beim Sohn des Klägers eine hyperaktive Aufmerksamkeitsstörung, die durch motorische Unruhe, erhöhte Ablenkbarkeit, geringeres Durchhaltevermögen und Reizfilterschwäche gekennzeichnet ist und empfiehlt („sollte“), die Beziehung zum leiblichen Vater auf keinen Fall abzubrechen. Die Zeugin Frau B., hat angegeben, die Familie des Sohnes ein- bis zweimal pro Jahr im Rahmen von Hausbesuchen zu beraten. Nach ihrer Einschätzung hängt das Kind an seinem Vater und vermisst ihn; eine Trennung vom Vater wäre für das Kind danach schmerzhaft. Andererseits wachse der Junge behütet auf, er sei kreativ und sprachgewandt; eine Fehlentwicklung gebe es nicht und es gebe keine Veranlassung von Seiten des Jugendamts einzugreifen. Mutter und Großmutter haben das Kind als Zeuginnen als sehr aktiv, quirlig bzw. in der Schule zurückhaltend, zu Hause jedoch aufgedreht, jedoch nicht sozial auffällig beschrieben. Der Wertung der Prozessbevollmächtigten, dass derzeit eine familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Kind besteht, die durch die Haft nur unterbrochen ist, ist nicht zu folgen. Der Kläger ist zwar Vater eines deutschen Kindes, nimmt aber seit geraumer Zeit, nämlich seit August 2009 - wenn überhaupt je - nicht im Sinne einer Beistandsgemeinschaft am Leben seines Sohnes teil. Es wird nicht bezweifelt, dass eine innige Beziehung von Seiten des Kindes zu seinem Vater mittlerweile besteht und dass der Kläger seinen Sohn liebt. Andererseits ist nicht ersichtlich, welchen Erziehungsbeitrag der Kläger leistet bzw. je geleistet hat. Der Kläger ist im Bundesgebiet nicht verwurzelt: Eine wirtschaftliche Integration hat im Hinblick auf die Schulden des Klägers und die in weitem Umfang von der Kindsmutter an ihn zurückgezahlten Unterhaltsbeiträge für den Sohn nicht stattgefunden, ebenso wenig eine soziale Integration, wie die verübten Straftaten belegen. Über die familiären Kontakte hinaus hat der Kläger offenbar keine nennenswerten Bindungen im Bundesgebiet aufgebaut. Eine Entwurzelung des Klägers hinsichtlich seines Herkunftsstaats Ecuador liegt nicht vor. Der Kläger hat den überwiegenden Teil seines Lebens dort verbracht und dort seine Sozialisation erfahren; seine Mutter lebt nach wie vor dort.

All diese Umstände berücksichtigend, ist die Einschätzung, dass der Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens notwendig i. S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist, zutreffend und die Ausweisung verhältnismäßig. Art und Schwere der vom Kläger begangenen Straftaten dürfen nämlich nicht aus dem Blick gelassen werden. Die Ausweisung als ordnungsrechtliche Maßnahme verfolgt dabei nicht den Zweck der Ahndung eines bestimmten Verhaltens. Sie soll vielmehr künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Beeinträchtigungen sonstiger erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Aufenthalts von Ausländern im Inland verhindern bzw. ihnen vorbeugen (BVerfG, B.v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 - juris Rn. 23). Dieser Aspekt überwiegt im vorliegenden Fall. Auf Seiten des öffentlichen Interesses wird zulässigerweise berücksichtigt, dass beim Kläger mit Blick auf sein bisheriges Verhalten von einer hohen Gefahr der Wiederholung bzw. der Begehung auch schwerer Straftaten auszugehen ist.

Ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 EMRK liegt somit nicht vor.

1.3.3.2. Auch Art. 6 GG schließt die Ausweisung eines Ausländers nicht generell aus (BayVGH, B.v. 14.4.2015 - 10 ZB 14.2534 - juris Rn. 9 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 7.12.2011 - 1 B 6.11 - juris Rn. 8), weil sich auch gewichtige familiäre Belange bei der Abwägung der gegenläufigen öffentlichen und privaten Interessen nicht stets durchsetzen müssen (BayVGH, B.v. 14.4.2015, a. a. O.).

Die Beklagte hat das hohe, gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechende Gewicht der Folgen einer räumlichen Trennung des Klägers von seinem Sohn und die mit der Ausweisung verbundene schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben - wobei unberücksichtigt bleibt, dass momentan eine familiäre Lebensgemeinschaft nicht vorliegt - (Art. 8 Abs. 1 EMRK), des Rechts auf Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und - ungeachtet des Umstands, dass die Mutter allein sorgeberechtigt ist - auf Pflege und Erziehung seines Sohnes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) zutreffend erkannt. Dem Interesse des Kindes am Verbleib des Vaters im Bundesgebiet hat die Beklagte ausdrücklich besonderes Gewicht beigemessen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei ausländerrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob eine tatsächliche persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu würdigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte (BVerfG, Kammerb.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14).

Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass eine innige Verbundenheit des Kindes zu seinem Vater gegeben ist. Auf deren Aufrechterhaltung ist es aber zu seinem Wohl nicht angewiesen. Die Zeugin B. hat bekundet, dass das Kind behütet aufwächst, nach Einschätzung von Mutter und Großmutter ist es quirlig und aktiv, indes nicht sozial auffällig. Aus dem vorgelegten fachärztlichen Attest ergibt sich ebenfalls nicht, dass das Kind zu seinem Wohl auf die Aufrechterhaltung der Beziehung zu seinem Vater angewiesen ist. Das Attest selbst enthält nur eine Empfehlung. Aus ihm ergibt sich aber auch keine Pflicht des Gerichts zur weiteren Amtsermittlung unter unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu den Mindestanforderungen an ein fachärztliches Attest (BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8/07 - juris Rn. 15 hinsichtlich PTBS), weil sich aus dem aus zwei Sätzen bestehenden Attest bereits nicht nachvollziehbar ergibt, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose und Empfehlung gestellt hat. Nach dem Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, wäre es für das Kind wünschenswert, mit Vater und Mutter aufzuwachsen, wie dies für jedes Kind gilt. Allerdings kann hieraus nicht der Gegenschluss gezogen werden, dass ein Kind zu seinem Wohl immer auf die Gegenwart beider Elternteile angewiesen ist. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände des vorliegenden Falls sind trotz der Innigkeit der Beziehung des Kindes zu seinem - bislang überwiegend abwesenden - Vater keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Kind auf dessen permanente Anwesenheit im Bundesgebiet zu seinem Wohl angewiesen ist. Hinzu kommt, dass der Kläger seine Elternverantwortung bislang offenbar im Wesentlichen im Rahmen der Besuche des Kindes und des brieflichen und evtl. telefonischen Kontakts wahrnimmt. Das Kind wächst bei der Großmutter auf, die von der allein sorgeberechtigten Mutter mit einer sog. Alltagsvollmacht ausgestattet ist. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die vorübergehende Trennung durch die Erteilung von Betretenserlaubnissen und das weitere Kontakthalten via Skype, Telefonie und Briefe abgemildert werden kann.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien erweist sich die Ausweisung des Klägers auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG als verhältnismäßig, insbesondere auch als angemessener Ausgleich zwischen den Interessen des Klägers und seines Sohnes sowie der Allgemeinheit. Somit hat die Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise im Hinblick auf die Straftaten des Klägers und die von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr entschieden, dass sowohl der Kläger als auch der Sohn den gravierenden Eingriff in die familiären Beziehungen hinzunehmen haben.

Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist somit weder im Hinblick auf Völkervertrags- noch auf Verfassungsrecht zu beanstanden.

1.3.3.3. Sonstige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Der Umstand, dass die Beklagte davon ausgeht, dass das Kind bereits erhebliche Verhaltensauffälligkeiten zeigt, macht den Bescheid nicht ermessensfehlerhaft. Denn sie hat dies zugunsten des Klägers in ihre Abwägung eingestellt und ist trotzdem zum Ergebnis gelangt, dass die öffentlichen Interessen an der Ausweisung die privaten Interessen des Klägers und seines Sohnes überwiegen.

Die Ausweisung ist ermessensfehlerfrei und insbesondere verhältnismäßig erfolgt.

1.4. Obwohl es für die Rechtmäßigkeit der Ausweisung nicht entscheidend ist, merkt das Gericht an, dass die Ausweisung auch als zwingende Ausweisung in verhältnismäßiger Weise hätte verfügt werden können, weil der Kläger sich nicht auf den besonderen Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG berufen kann. Die Annahme besonderen Ausweisungsschutzes gem. § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG erfordert nämlich, dass in eine bestehende - durch die Haft lediglich unterbrochene - familiäre Lebensgemeinschaft eingegriffen wird. Im Fall ehelicher Lebensgemeinschaften wird dabei gefordert, dass diese unmittelbar vor Beginn der Haft bestanden hat und konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Lebensgemeinschaft unmittelbar nach der Haftentlassung fortgesetzt wird (HessVGH, B.v. 15.7.2013 - 3 B 1429/13 - juris Rn. 14 m. w. N.). Bereits diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt: Der Kläger wurde am ... September 2009 in Untersuchungshaft genommen, die Kindsmutter hatte ihn zum ... Juli 2009 aus der gemeinsamen Wohnung abgemeldet; in der Zwischenzeit unterlag der Kläger zunächst einem polizeilich, danach einem gerichtlich angeordneten Kontaktverbot. Außerdem war der vorherige kurze Zeitraum der Hausgemeinschaft mit seinem Sohn von April 2009 bis Juli 2009 von körperlicher und sexueller Gewalt des Klägers gegenüber der Kindsmutter geprägt. Ob in einem solchen Klima der Einschüchterung und Gewalt und vor dem Hintergrund dessen, was die Kindsmutter bei ihrer Vorsprache am ... August 2009 geschildert hat, eine Vater-Kind-Beziehung in einer derartigen Qualität ent- und bestehen kann, dass sie überhaupt als schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft in Betracht kommt, ist sehr fraglich.

2. Auch die Befristung der Wirkung der Ausweisung auf sechs Jahre ist nicht zu beanstanden.

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, was vorliegend der Fall ist. Bei der Bemessung der Frist ist in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrunds und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Zunächst bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen - das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt - das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorliegen, ist davon auszugehen, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann (BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20/11 - juris Rn. 40).

Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d. h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCharta, Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Klägers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts vollumfänglich zu überprüfen (BVerwG, U.v. 13.12.2012, a. a. O., Rn. 41).

Unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Bindungen des Klägers zum Bundesgebiet erscheint eine Frist von sechs Jahren erforderlich, aber auch ausreichend und angemessen, um einer schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue schwere Sexual- und Gewaltstraftaten zu begegnen. Dabei wurde insbesondere auch berücksichtigt, dass der Kläger einen deutschen Sohn hat, der Kontakt jedoch auch aus dem Ausland aufrechterhalten werden kann und nach dem bisherigen Verhalten davon auszugehen ist, dass die mütterliche Seite den Kontakt des Sohnes zum Vater weiter unterstützen wird.

Auch aus generalpräventiven Gründen ist eine Einreisesperre von sechs Jahren angemessen und erforderlich.

3. Keinen Bedenken begegnet die auf §§ 59, 58 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung bzw. -anordnung.

Die Klage ist somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 5.000,-- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. 8.2. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,-- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Urteil, 20. Mai 2015 - M 25 K 13.5129

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht München Urteil, 20. Mai 2015 - M 25 K 13.5129

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au
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(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

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Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

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Einführungsgesetz zum Rechtsdienstleistungsgesetz - RDGEG | § 3 Gerichtliche Vertretung


(1) Kammerrechtsbeistände stehen in den nachfolgenden Vorschriften einem Rechtsanwalt gleich: 1. § 79 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 1, § 88 Absatz 2, § 121 Absatz 2 bis 4, § 122 Absatz 1, den §§ 126, 130d und 133 Absatz 2, den §§ 135, 157 und 169

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(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

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(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Si

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(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei de

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Gründe Bayerisches Verwaltungsgericht München M 25 K 13.5129 Im Namen des Volkes Urteil vom 20. Mai 2015 25. Kammer Sachgebiets-Nr. 600 Hauptpunkte: Ausweisung mit sechsjähriger Wiedereinreisesperr

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Tatbestand 1 Der im Jahr 1981 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

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Tatbestand 1 Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.
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(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger reiste 1976 in das Bundesgebiet zu seinen Eltern ein. Seine Mutter war von 1969 bis 1982 als Arbeitnehmerin beschäftigt. Nach dem Besuch der Hauptschule schloss er eine Lehre als Elektrokaufmann ab. Im Dezember 1987 erhielt er eine Aufenthaltsberechtigung. Aus der im März 1988 geschlossenen Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen sind zwei Töchter hervorgegangen. Die Ehe wurde mittlerweile geschieden.

3

Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich aufgefallen: Wegen Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau wurde er im November 2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Landgericht Krefeld verhängte gegen ihn im Oktober 2005 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 11 Fällen und Körperverletzung. Dem Strafurteil ist zu entnehmen, dass der Kläger ab Januar 2004 Zeiten berufsbedingter Abwesenheit seiner Ehefrau zur Vornahme sexueller Handlungen an seiner älteren Tochter ausnutzte. Als er bemerkte, dass diese trotz des elterlichen Verbots Kontakt zu einem Jungen hatte, schlug er sie mit der Hand und der Faust ins Gesicht.

4

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 2. Mai 2006 aus und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des assoziationsberechtigten Klägers sei im Ermessenswege zu entscheiden. Wegen der als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltsberechtigung genieße dieser besonderen Ausweisungsschutz, so dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Diese lägen in spezialpräventiver Ausprägung vor, denn der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten und gewalttätigen Übergriffen sei eine überragend wichtige Aufgabe der Gemeinschaft und berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die den Ausweisungsanlass bildende Tat wiege schwer; besonders fielen die Ausnutzung der Vertrauensstellung, die Wehrlosigkeit des Opfers und die Intensität der Tatbegehung ins Gewicht. Angesichts der Gesamtpersönlichkeit des Klägers und seines bisherigen Verhaltens bestehe eine hohe Wiederholungsgefahr. Er sei einschlägig vorbestraft und habe weder Einsicht in das begangene Unrecht gezeigt noch seien eine Aufarbeitung der Geschehnisse und der Versuch einer Überwindung seiner Neigungen erkennbar. Trotz Verwurzelung in den hiesigen Verhältnissen sowie familiärer Bindungen sei die Ausweisung angesichts der künftig vom Kläger ausgehenden Gefahren für elementare Rechtsgüter auch mit Blick auf Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Die Ausweisung werde zunächst auf unbefristete Zeit ausgesprochen, da über eine Befristung erst nach positiven Veränderungen in der Person des Klägers entschieden werden könne. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Düsseldorf am 25. August 2006 zurück.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2007 ab. Die auf § 55 AufenthG und Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gestützte Ermessensausweisung sei nicht zu beanstanden, weil der weitere Aufenthalt des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere, das Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefährdung begründe. Die spezialpräventive Ausweisung stütze sich nicht allein auf die strafrechtliche Verurteilung. Vielmehr bestünden Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch neue Verfehlungen des Klägers drohe, wenn er zu seiner Familie und damit auch zu seiner jüngeren minderjährigen Tochter in das Umfeld komme, das seine Straftaten ermöglicht habe. Art. 8 EMRK und Art. 6 GG seien nicht verletzt, da bei der Abwägung die Art und Schwere der begangenen Straftaten sowie die Wiederholungsgefahr erheblich zulasten des Klägers ins Gewicht fielen.

6

Während des Berufungsverfahrens hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 7. März 2008 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe wegen erhöhter Rückfallgefährdung des Klägers abgelehnt. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 13. Mai 2008 verworfen.

7

Mit Beschluss vom 5. September 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat sich die Begründung des Verwaltungsgerichts zu eigen gemacht und darüber hinaus ausgeführt, dass das Ausweisungsverfahren nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht zu beanstanden sei. Die Ausweisung sei auch materiell rechtmäßig, denn die Gefahrenprognose habe - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - weiterhin Bestand. Der Kläger sei in erhöhtem Maße rückfallgefährdet. Dies verdeutlichten die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

8

Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob sich der Schutz vor Ausweisung gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zugunsten eines türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 gegenüber dem Mitgliedstaat besitzt, in dem er seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren gehabt hat, nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG richtet. Der EuGH hat die Frage mit Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08 - (Ziebell) in einem Parallelverfahren verneint und entschieden, dass Art. 14 ARB 1/80 einer Ausweisung nicht entgegensteht, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 den Vorlagebeschluss aufgehoben.

9

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG (Vier-Augen-Prinzip), das nach der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 weiter anzuwenden sei. Die Befassung der Widerspruchsbehörde im Nachgang zur Ausweisung genüge dem nicht. Bei der Gefahrenprognose seien auch nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Veränderungen zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, der sich nach der Entlassung aus der Strafhaft im September 2009 einer psychotherapeutischen Behandlung unterzogen und straffrei geführt habe. Klärungsbedürftig sei, was der EuGH in der Ziebell-Entscheidung mit der Schranke der Unerlässlichkeit der Ausweisung meine. Im Übrigen verstoße die unbefristete Ausweisung gegen das Übermaßverbot sowie Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Der Kläger sei faktischer Inländer, da er sich wirtschaftlich und sozial integriert habe. Schließlich verletze die Ausweisung Art. 24 Abs. 3 der Grundrechte-Charta. Hilfsweise begehrt der Kläger im Revisionsverfahren, die Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung zu befristen. Er habe einen Befristungsanspruch aus der Rückführungsrichtlinie sowie § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011.

10

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision des Klägers hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, des Befristungsbegehrens und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 5. September 2008 (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12 für die Ausweisung; Urteil vom 22. März 2012 - BVerwG 1 C 3.11 - Rn. 13 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - für die Abschiebungsandrohung). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3044). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

13

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.

14

1.1 Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) - ARB 1/80 -. Denn der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist im Alter von 12 Jahren zum Zweck der Familienzusammenführung erlaubt in das Bundesgebiet eingereist. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass seine Mutter von 1969 bis 1982 dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat. Der Kläger hat bei seinen Eltern gelebt und die Mindestaufenthaltszeiten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfüllt. Nach Abschluss der Lehre zum Elektrokaufmann greift auch Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu seinen Gunsten. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor.

15

1.2 Der Senat hat bereits in dem Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53 Rn. 21) darauf hingewiesen, dass die Vergewaltigung der Ehefrau und der mehrfache sexuelle Missbrauch der älteren Tochter einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht bilden. Das strafrechtlich geahndete persönliche Verhalten des Klägers begründet eine - über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung hinausgehende - tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter der sexuellen Selbstbestimmung und der körperlichen Integrität nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen sehr hohen Rang ein und lösen - insbesondere bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen - staatliche Schutzpflichten aus, die sich auch gegen die Eltern richten.

16

In dem Vorlagebeschluss (a.a.O. Rn. 22) hat der Senat des Weiteren ausgeführt, dass bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen gelten (ebenso Urteile vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 17 und vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <305 f.>). An diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung Kritik geäußert worden, da er dem Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten und der daher gebotenen engen Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen für die Aufenthaltsbeendigung als ultima ratio nicht gerecht werde (VGH Mannheim, Urteile vom 4. Mai 2011 - 11 S 207/11 - NVwZ 2011, 1210 und vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492). Dem vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, da jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Urteile vom 6. September 1974 - BVerwG 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31 <40>; vom 17. März 1981 - BVerwG 1 C 74.76 - BVerwGE 62, 36 <39> und vom 3. Juli 2002 - BVerwG 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <356>). Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O.), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (Urteil vom 27. Oktober 1978 - BVerwG 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 <65>).

17

Diesen Maßgaben genügt die von dem Beklagten gestellte und von den Vorinstanzen bestätigte Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr beim Kläger. Beklagter und Verwaltungsgericht haben die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei dem Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, sowie die mangelnde Überwindung seiner Neigungen durch therapeutische Unterstützung umfassend gewürdigt. Das Berufungsgericht hat sich das zu eigen gemacht. Darüber hinaus hat es darauf abgestellt, dass die Strafvollstreckungskammer wegen der erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt und die Justizvollzugsanstalt sich dahingehend geäußert hat, dass bereits eine Gewährung von Hafturlaub nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken berge. Auf der Grundlage dieser das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) zur erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers ist auch nicht ansatzweise zu erkennen, dass das Berufungsgericht seiner Prognose zulasten des Klägers einen zu niedrigen und damit unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt hat. Die ausführliche Würdigung der Persönlichkeit des Klägers und die aus konkreten Umständen abgeleitete Wiederholungsgefahr belegen, dass der Beklagte nicht allein die strafrechtliche Verurteilung zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen, sondern die zukünftig vom Kläger ausgehende Gefahr in den Blick genommen hat.

18

Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigt die Zeitspanne, die infolge der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an den EuGH zwischen der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und der Verhandlung vor dem Senat verstrichen ist, weder die Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen neuen tatsächlichen Umstände im Revisionsverfahren noch eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht den Streitfall nicht in gleichem Umfang wie das Berufungsgericht prüft und dass es deshalb - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt (Urteil vom 3. Juni 1977 - BVerwG 4 C 37.75 - BVerwGE 54, 73 <75>). Dies schließt auch eine Zurückverweisung der Sache nur wegen nachträglicher Veränderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts grundsätzlich aus. Damit soll gleichzeitig der Gefahr einer "Endlosigkeit" des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgebeugt und verhindert werden, dass einer in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandenden Berufungsentscheidung nachträglich die Grundlage entzogen wird (Urteile vom 28. Februar 1984 - BVerwG 9 C 981.81 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 19 S. 48<51 f.> und vom 20. Oktober 1992 - BVerwG 9 C 77.91 - BVerwGE 91, 104 <105 f.>).

19

Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 und 2, §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Rechtsinstanz wird durch das Unionsrecht nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem Unionsrecht erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll. Dabei dürfen die prozessrechtlichen Regelungen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als bei entsprechenden, nur auf nationales Recht gestützten Rechtsbehelfen (Äquivalenzgrundsatz). Zudem darf nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 57 und vom 10. April 2003 - Rs. C-276/01, Steffensen - Slg. 2003, I-3735 Rn. 60 ff. - jeweils m.w.N.). Beiden Grundsätzen wird die Bindung des Revisionsgerichts aus § 137 Abs. 2 VwGO auch in der vorliegenden Fallkonstellation gerecht. Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - Rs. C-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Im Übrigen steht dem Kläger im Hinblick auf nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der von ihm ausgehenden Gefahr mit sich bringen können, die Möglichkeit zur Beantragung einer Verkürzung der von der Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG bereits mit der Ausweisung festzusetzenden Frist offen (dazu unter 2.).

20

1.3 Da der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht besitzt, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (EuGH, Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 84; so bereits Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet. Zugunsten des Ausländers sind die Gründe für einen besonderen Ausweisungsschutz (§ 56 AufenthG) sowie die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen.

21

Mit Blick auf diese Vorgaben hat der Senat bereits im Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 (a.a.O. Rn. 24) ausgeführt, dass die Ermessensausübung des Beklagten nicht zu beanstanden ist. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung sowie der körperlichen Integrität von Frauen in seiner Umgebung nicht überschritten. Es begegnet keinen Bedenken, dass der Beklagte das durch den Rechtsgüterschutz geprägte und durch grundrechtliche Schutzpflichten zusätzlich verstärkte öffentliche Interesse daran, den Aufenthalt des Klägers zu beenden, höher gewichtet hat als dessen Interesse an einem Verbleib in Deutschland. Zwar schlägt sein über dreißigjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu seinen Gunsten zu Buche. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass er über ausreichende persönliche Bindungen in die Türkei verfügt, so dass ihm die Ausreise dorthin zumutbar ist. Der Schutz des Familienlebens und der elterlichen Sorge genießt hohe Bedeutung, verliert aber an Gewicht, wenn man das Kindeswohl der minderjährigen Tochter mitberücksichtigt, so dass die Aufenthaltsbeendigung auch im Hinblick auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 24 Abs. 3 der GRCh gerechtfertigt ist. In der Gesamtabwägung aller gegenläufigen Belange ist die Ausweisung verhältnismäßig und "unerlässlich" im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Denn mit diesem Begriff hat der Gerichtshof lediglich die gebotene Abwägung der öffentlichen mit den privaten Interessen des Betroffenen, d.h. dessen tatsächlich vorliegende Integrationsfaktoren, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesprochen (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492).

22

1.4 Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.> im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs. C-136/03, Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 2. Mai 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr; stattdessen ist nunmehr Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als unionsrechtlicher Bezugsrahmen für die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 heranzuziehen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79). Nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG steht langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen; die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme ist nicht vorgeschrieben.

23

Im Übrigen hat der Gerichtshof vor Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige damit begründet, dass die im Rahmen von Art. 48 EGV eingeräumten Rechtspositionen so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssen. Um effektiv zu sein, müssten diese (materiellen) Rechte von den türkischen Staatsangehörigen vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Zur Gewährleistung der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes sei es unabdingbar, ihnen die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden. Daher müsse es ihnen ermöglicht werden, sich u.a. auf Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG zu berufen, da die Verfahrensgarantien untrennbar mit den materiellen subjektiven Rechten verbunden seien, auf die sie sich beziehen (EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 a.a.O. Rn. 62 und 67). Da Ausgangspunkt der Betrachtung des Gerichtshofs die Verfahrensgarantien sind, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, erweist sich seine Rechtsprechung zur Übertragung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige schon im Ansatz offen für Fälle von Rechtsänderungen, die die Stellung der Unionsbürger betreffen. Für diese gewährleistet Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG gegen Entscheidungen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung getroffen werden, einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde. Im Rechtsbehelfsverfahren sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Satz 2 gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Demzufolge gebietet Unionsrecht bei Ausweisungen von Unionsbürgern keine behördliche Kontrolle mehr nach dem "Vier-Augen-Prinzip". Dann können assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nach der dynamisch angelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Übertragung von Rechten auf diese Gruppe keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen.

24

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

25

Gegen die Auffassung des Klägers spricht bereits, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG eine merkliche Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall.

26

Im Übrigen entspricht das im vorliegenden Fall durchgeführte Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO den Anforderungen der in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantien (Urteil vom 13. September 2005 a.a.O. S. 221 f.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat mangels durchgreifender neuer Argumente der Revision fest.

27

2. Auf den Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

28

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift soll sich das Revisionsgericht grundsätzlich auf die rechtliche Prüfung des in der Vorinstanz bereits erörterten und aufbereiteten Streitstoffes beschränken, um nicht wegen eines erstmals im Revisionsverfahren gestellten Klageantrags ohne weitere Rechtsprüfung zu einer Zurückverweisung gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO gezwungen zu sein (Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 21.88 - Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 21 = NVwZ 1990, 260<261>). Eine solche Situation liegt aber hier nicht vor. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung hat (s.u. 2.2.2). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung. Durch dessen Einbeziehung wird der Streitstoff auch nicht verändert, da der Befristungsanspruch in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich auf dem gegen die Ausweisung gerichteten Anfechtungsbegehren aufbaut (vgl. Urteil vom 26. Januar 1995 - BVerwG 3 C 21.93 - BVerwGE 97, 331 <342>).

29

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

30

2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Urteil vom 14. Februar 2012 - BVerwG 1 C 7.11 - juris Rn. 28 f.). Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

31

Die Regelungen zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung und Abschiebung sind seit dem Ausländergesetz 1965 kontinuierlich zugunsten der betroffenen Ausländer verbessert worden. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 stand die Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung noch vollumfänglich im Ermessen der Ausländerbehörde. § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 sah vor, dass auf Antrag eine Befristung in der Regel erfolgte (ebenso § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG 2004); die Länge der Frist lag im Auswahlermessen der Behörde. Diese Entwicklung belegt die gewachsene Sensibilität des Gesetzgebers für die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung in zeitlicher Dimension angesichts der einschneidenden Folgen für die persönliche Lebensführung des Ausländers und die ihn ggf. treffenden sozialen, familiären und wirtschaftlichen Nachteile (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <398 ff.>). Denn typischerweise genügt eine zeitlich befristete Ausweisung zur Erreichung der mit dieser ordnungsrechtlichen Maßnahme verfolgten präventiven Zwecke (Urteile vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <147> und vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <371 ff.>).

32

Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung setzte nach den bisher geltenden Vorschriften grundsätzlich die vorherige Ausreise des Ausländers voraus (Beschluss vom 17. Januar 1996 - BVerwG 1 B 3.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 5; Urteil vom 7. Dezember 1999 a.a.O. S. 147; vgl. auch BTDrucks 11/6321 S. 57 zu § 8 Abs. 2 AuslG 1990). Die gesetzliche Systematik von Ausweisung und Befristung war zweitaktig angelegt, da im Zeitpunkt des Erlasses einer (auch) spezialpräventiv motivierten Ausweisung typischerweise kaum zu prognostizieren ist, wie der Betroffene sich zukünftig verhalten wird. Das Verhalten nach der Ausweisung ist aber neben dem Gewicht des Ausweisungsgrundes, der Berücksichtigung des Ausweisungszwecks und der Folgenbetrachtung im Hinblick auf das Übermaßverbot einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren (Urteil vom 11. August 2000 a.a.O. S. 372 ff.). Die im Gesetz angelegte Trennung von Ausweisung einerseits und Befristung ihrer Wirkungen andererseits hat zur Folge, dass eine fehlerhafte Befristungsentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führt, sondern selbstständig angreifbar ist (Beschlüsse vom 31. März 1981 - BVerwG 1 B 853.80 - Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 3 und vom 10. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 160.93 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 2; Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30).

33

Der Senat hat bereits zur früheren Rechtslage mehrfach entschieden, dass die Ausländerbehörde zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Einzelfall auch von Amts wegen verpflichtet sein kann, die Wirkungen der Ausweisung schon bei Erlass der Ausweisung zu befristen. Ob dies erforderlich war, hing bei einer spezialpräventiven Ausweisung von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen ab (Urteile vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 2.04 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 42, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 Rn. 18 und vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 25 sowie Beschluss vom 20. August 2009 - BVerwG 1 B 13.09 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 4 Rn. 8). Bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz war es demgegenüber regelmäßig geboten, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung zu entscheiden. Denn in diesen Fällen lässt sich bereits in dem für die Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt beurteilen, wie lange der Betroffene unter Berücksichtigung seiner schutzwürdigen privaten Belange vom Bundesgebiet ferngehalten werden muss, um die notwendige generalpräventive Wirkung zu erzielen, so dass es unverhältnismäßig wäre, ihn über diesen für seine Lebensplanung wichtigen Umstand im Unklaren zu lassen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 29). Sowohl bei der generalpräventiven als auch bei der spezialpräventiven Ausweisung kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG ausnahmsweise sogar die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung "auf Null" gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet ist (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 LS 4 und Rn. 28).

34

Das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 hat die Rechtslage für die betroffenen Ausländer weiter verbessert: § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. verschafft dem Betroffenen nunmehr - vorbehaltlich der Ausnahmen in Satz 7 der Vorschrift - einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 32 f. - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen). Zugleich ist hinsichtlich der Dauer der Frist geregelt, dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.).

35

Diese Änderungen des § 11 AufenthG dienen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 - Rückführungsrichtlinie (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98). Diese Richtlinie, die auf Art. 63 Abs. 3 Buchst. b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV) gestützt ist und die illegale Einwanderung bekämpfen soll, ergänzt die Migrationspolitik um eine wirksame Rückkehrpolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften (4. Erwägungsgrund). Die Richtlinie findet gemäß Art. 2 Abs. 1 - vorbehaltlich der Opt-out-Klausel in Absatz 2 der Vorschrift - Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese die Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen (5. Erwägungsgrund). Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollen Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden (6. Erwägungsgrund). Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollen für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten (11. Erwägungsgrund). Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen soll einen europäischen Zuschnitt erhalten (14. Erwägungsgrund). Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie definiert die Rückkehrentscheidung als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Rückkehrentscheidungen gehen in den in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie genannten Fällen mit einem Einreiseverbot einher; gemäß Satz 2 der Vorschrift können sie in anderen Fällen mit einem Einreiseverbot einhergehen. Das Einreiseverbot definiert Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt werden und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Die Dauer des Einreiseverbots wird gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Die Dauer des Einreiseverbots kann jedoch nach Satz 2 der Vorschrift fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Verfahrensrechtlich garantiert Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie die Möglichkeit der Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie, also Rückkehrentscheidungen sowie ggf. Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung.

36

Die Begründung des Gesetzentwurfs zum Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 geht davon aus, dass große Teile der in der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Vorgaben durch die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zur Aufenthaltsbeendigung bereits erfüllt werden. Da die Richtlinie - anders als das geltende Aufenthaltsrecht mit der Differenzierung zwischen Ausreisepflichten kraft Verwaltungsakts und kraft Gesetzes - eine "Rückkehrentscheidung" verlange, an die unterschiedliche prozedurale bzw. formelle Garantien geknüpft würden, seien punktuelle gesetzliche Anpassungen erforderlich. Diese erfolgten jedoch innerhalb der geltenden Systematik, indem sie an den die Ausreisepflicht begründenden Verwaltungsakt (z.B. Ausweisung) oder an die Abschiebungsandrohung nach § 59 des Aufenthaltsgesetzes geknüpft würden. Die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie erfordere darüber hinaus die Einführung einer Regelobergrenze von fünf Jahren für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG (BTDrucks 17/5470 S. 17).

37

Das macht deutlich, dass sich der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 11 AufenthG auch hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten gesetzlichen Folgen der Ausweisung und deren Befristung an den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Rückkehrentscheidung orientiert hat. Im Regelungsmodell der Richtlinie ist das Einreiseverbot jedoch als antragsunabhängige, mit einer Rückkehrentscheidung von Amts wegen einhergehende Einzelfallentscheidung ausgestaltet, in der die Dauer der befristeten Untersagung des Aufenthalts in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt wird (Art. 3 Nr. 6 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Richtlinie). Aus der Absicht des Gesetzgebers, dieses Modell trotz der beibehaltenen systematischen Trennung von Ausweisung und Befristung nachzuvollziehen, ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen gebietet § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. den gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung. Zum anderen genügt für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet (anders noch zu § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990: Beschluss vom 14. Juli 2000 - BVerwG 1 B 40.00 - Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18). Dieser Auslegungsbefund des einfachen Rechts trägt zugleich der besonderen Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK Rechnung. Denn der EGMR zieht die Frage der Befristung bei der Prüfung von Ausweisungen am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK als ein wesentliches Kriterium heran (EGMR, Urteile vom 17. April 2003 - Nr. 52853/99, Yilmaz/Deutschland - NJW 2004, 2147; vom 27. Oktober 2005 - Nr. 32231/02, Keles/Deutschland - InfAuslR 2006, 3 <4>; vom 22. März 2007 - Nr. 1638/03, Maslov/Österreich - InfAuslR 2007, 221 <223> und vom 25. März 2010 - Nr. 40601/05, Mutlag/Deutschland - InfAuslR 2010, 325 <327>). Diese grund- und menschenrechtlichen Impulse verbunden mit der Absicht des Gesetzgebers, sich am Regelungsmodell der Rückführungsrichtlinie zu orientieren, führen in der Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass der Erlass einer Entscheidung zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht mehr die vorherige Ausreise des Ausländers voraussetzt.

38

Dagegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, aus § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergebe sich, dass der Gesetzgeber nach wie vor von einer nachträglichen Befristung ausgehe. Nach dieser Vorschrift ist bei der Bemessung der Fristlänge zu berücksichtigen, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist. Es liegt auf der Hand, dass sich diese Umstände erst nach Erlass der Ausweisung feststellen lassen. Dennoch läuft die Vorschrift bei gleichzeitigem Erlass von Ausweisung und Befristung nicht leer. Denn die Ausländerbehörde hat ihre zusammen mit der Ausweisung getroffene Befristungsentscheidung, die sich u.a. auf eine Prognose des künftigen Verhaltens des Ausländers stützt und die Folgen der Ausweisung im Hinblick auf das zeitliche Übermaßverbot berücksichtigt, auf Antrag zu überprüfen und ggf. neu zu fassen, wenn einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren sich im Nachhinein ändert. Neben nachgewiesenen entscheidungserheblichen Änderungen der Sachlage kennzeichnet § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG einen zusätzlichen Punkt, der von der Ausländerbehörde bei einer nachträglich beantragten Verkürzung der Frist zu berücksichtigen ist. Im Übrigen haben auch die Gerichte bei ihrer Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristungsentscheidung, die auch hinsichtlich der Bemessung der Fristdauer seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde steht (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31), die rechtzeitige und freiwillige Ausreise des Betroffenen zu berücksichtigen.

39

2.2.2 Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung entspricht der gesetzlichen Systematik, die nach wie vor zwei getrennte Verwaltungsakte - die Ausweisung einerseits und die Befristung ihrer Wirkungen andererseits - vorsieht (s.o. Rn. 32). Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Das Prozessrecht muss gewährleisten, dass der Ausländer gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen wird. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

40

Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt - wie hier - eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Weiterentwicklung des Urteils vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31).

41

2.2.3 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von sieben Jahren für angemessen.

42

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. Urteile vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> und vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19 ff.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

43

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr erachtet der Senat auch im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einen Zeitraum von sieben Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in der Person des Klägers Rechnung tragen zu können. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei Delikten dieser Art, des Alters des Klägers, seines (Nach-)Tatverhaltens ohne therapeutische Auf- und Verarbeitung des Geschehens sowie seines familiären Umfelds ist nicht zu erwarten, dass er die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vor Ablauf der festgesetzten Frist unterschreiten wird. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der Beklagte auf den bei ihm während des Revisionsverfahrens gestellten Befristungsantrag auf aktueller Tatsachengrundlage zu prüfen hat, ob sich aus dem Vorbringen des Klägers zur Entwicklung seit dem 5. September 2008 Anhaltspunkte für eine Verkürzung der Frist ergeben.

44

3. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltsberechtigung erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die im angefochtenen Bescheid vom Beklagten getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 31 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

45

4. Die Frage, ob die Ausweisung, die Befristung ihrer Wirkungen und die Abschiebungsandrohung an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass die Rückführungsrichtlinie, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, für davor erlassene und mit der Klage angegriffene Abschiebungsandrohungen keine Geltung beansprucht (Urteile vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 35 und vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 15; a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2012 - 11 S 4/12 - juris Rn. 49 ff.; vgl. auch VerwGH Wien, Urteile vom 16. Juni 2011 - Az. 2011/18/0064 - und vom 20. März 2012 - Az. 2011/21/0298). Für den sachlichen Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist zudem umstritten, ob die Ausweisung als Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG angesehen werden kann (dafür: Basse/Burbaum/Richard, ZAR 2011, 361<364>; Hörich, ZAR 2011, 281 <284 Fn. 45>; dagegen: VGH Mannheim, Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412; offen: OVG Münster, Urteil vom 22. März 2012 - 18 A 951/09 - juris Rn. 88). Das alles kann indes hier dahinstehen. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

46

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5. Nachdem der Kläger aber mit seinem Hilfsantrag nur zum Teil obsiegt hat, hat er 9/10 der Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. April 2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Fragen auf,

„ob ein in Deutschland geborener Ausländer, der seit seiner Geburt und seit Jahrzehnten nirgendwo anders als im Bundesgebiet seinen Lebensmittelpunkt hat, in ein für seine dauernde Aufenthaltsnahme bestimmtes Land, dessen Staatsangehörigkeit für ihn nur gemutmaßt wird, ausgewiesen werden darf, ohne dass ein urkundlicher Nachweis (z.B. in Form eines Personalausweises, Reisepasses oder Staatsangehörigkeitszeugnisses) darüber vorliegt, dass er die Staatsangehörigkeit dieses Landes tatsächlich besitzt oder dass er auf sonstiger verlässlicher rechtlicher Grundlage dort wenn nicht ein Freizügigkeitsrecht so zumindest ein auf Dauer gestelltes Aufenthaltsrecht und zudem die rechtliche Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen dieses Landes gewährt bekommt oder dass er soweit eine staatsrechtliche Gleichstellung nicht gegeben ist, sich zumindest auf völkerrechtlich verbindliche Schutzvorkehrungen zur Sicherung seiner sozialen Existenz als Fremder berufen kann."

3

Diese Frage rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung, da sie sich in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht stellen würde. Die Beschwerde unterstellt mit ihrer Fragestellung, das Berufungsgericht habe die Staatsangehörigkeit des Klägers „nur gemutmaßt". Indes hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger die Staatsangehörigkeit des Kosovo besitzt oder sie zumindest durch die Aufnahme in das Staatsangehörigkeitsregister ohne Weiteres erwerben kann (UA S. 21 Mitte). Zudem haben die Behörden nicht nur des Kosovo, sondern auch Serbiens sich zur Aufnahme des Klägers bereit erklärt (UA S. 26). An diese tatsächliche Feststellung, gegen die keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben worden sind (s.u. 3.), wäre das Bundesverwaltungsgericht in dem erstrebten Revisionsverfahren gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.

4

Aus den gleichen Gründen scheidet die Zulassung auch mit Blick auf die im Anschluss gestellte Frage aus, die von fehlenden persönlichen Beziehungen des Klägers zu dem Land der „ihm zugeschriebenen Staatsangehörigkeit" und damit den aus seiner Sicht bestehenden völkerrechtlichen Voraussetzungen eines innerstaatlich anzuerkennenden Staatsangehörigkeitserwerbs ausgeht, obwohl das Berufungsgericht festgestellt und weiter ausgeführt hat, dass der Kläger auch über soziale und kulturelle, gegebenenfalls auch über entfernte familiäre Bindungen zum Herkunftsland seiner Eltern sowie über Kenntnisse der albanischen Sprache verfügt (UA S. 20). Die von dem Kläger herangezogenen völkerrechtlichen Bedenken gegen einen ipso-iure-Erwerb einer Staatsangehörigkeit ohne völkerrechtlich hinreichenden Bezug zu einem bestimmten Staat lassen der Klärung bedürftige Bedenken auch gegen einen Antragserwerb nicht einmal ansatzweise erkennen. Angesichts der erklärten Aufnahmebereitschaft (auch) der Republik Kosovo läge in einem Antragserwerb auch kein dem Kläger nicht abzuverlangendes Verhalten, mit dem die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung erst bewirkt wird, sondern eine angesichts des familiären Hintergrunds ohne Weiteres zumutbare Möglichkeit, etwaige, auch mit der Beschwerde geltend gemachten Folgeprobleme nach einer Abschiebung in die Republik Kosovo abzuwenden.

5

2. Soweit die Beschwerde auf eine Abweichung der angegriffenen Entscheidung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gestützt wird, führt sie ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.

6

Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 15. April 2013 - BVerwG 1 B 22.12 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 66 = NVwZ-RR 2013, 774, jeweils Rn. 21). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.

7

2.1 Die Beschwerde macht insoweit geltend, das Berufungsgericht habe die Ausweisung des Klägers auf § 53 Nr. 1 AufenthG gestützt und ihm besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 AufenthG zugebilligt, so dass die Ausweisung nach Satz 2 der Vorschrift nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulässig sei. Sodann stelle es auf § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ab, wonach solche Gründe in der Regel in den Fällen des § 53 AufenthG vorlägen und prüfe, ob hier eine Ausnahme von der Regel gegeben sei. Die dafür von ihr als maßgeblich angesehene Frage, ob auch in Zukunft durch neue Verfehlungen des Klägers eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung drohe und von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgehe, bejahe die Vorinstanz unter Würdigung der begangenen Straftaten. Demzufolge sei der Kläger nach § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel auszuweisen. Nach Abschluss der Regel-Ausnahme-Überprüfung nehme das Berufungsgericht die Frage nach einer Ausnahme von der Regel gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG noch einmal auf und stelle als weiteren Maßstab in den Raum, ob sich die Ausweisung als unverhältnismäßig und damit nicht gerechtfertigt im Sinne von Art. 8 EMRK bzw. Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG erweise und deshalb zu unterbleiben habe.

8

Die Beschwerde rügt, diese Vorgehensweise widerspreche den Maßgaben des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 23. Oktober 2007 (BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367). Dort habe das Bundesverwaltungsgericht unter Verweis auf die im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländer entschieden, dass das Regel-Ausnahme-Schema in Fällen, in denen durch Art. 6 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs.1 EMRK geschützte Belange zu berücksichtigen seien, unzureichend und eine Ermessensentscheidung notwendig sei. Demgegenüber stünden in der gestuften Prüfung des Berufungsgerichts die strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers im Hauptaugenmerk, denen dadurch eine übermäßige Bedeutung beigemessen werde. Denn vorangestellte Ausführungen zu den Straftaten, der Delinquenz und der Gefahrenprognose ließen eine Ermessensentscheidung zulasten des Ausländers erwarten und stünden einer unvoreingenommenen ergebnisoffenen Wertung entgegen.

9

Mit diesem Vorbringen genügt die Beschwerde schon nicht den Anforderungen an die Darlegung einer Abweichung gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Sie vernachlässigt, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung ausdrücklich die von der Beschwerde herangezogene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Grunde gelegt hat (UA S. 16) und rügt im Gewande der Divergenzrüge damit allenfalls eine - vermeintlich - fehlerhafte Anwendung nicht bestrittener Rechtsgrundsätze.

10

Überdies ist das Berufungsgericht nicht von der Rechtsprechung des beschließenden Senats abgewichen. Denn das Berufungsgericht hat das von der Beschwerde angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2007 (a.a.O.) nicht nur zitiert (UA S. 16), sondern ist ihm auch in der Sache gefolgt. Die Annahme der Beschwerde, die genannte Entscheidung des Senats stehe bei den im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern der vom Berufungsgericht sukzessiv durchgeführten Stufenprüfung der Ausweisung entgegen und gebiete unmittelbar eine Ermessensentscheidung, trifft nicht zu. Denn der besondere Ausweisungsschutz modifiziert sowohl die Tatbestandsvoraussetzungen einer Ausweisung durch die zusätzliche qualifizierte Hürde des Vorliegens schwerwiegender Gründe (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) als auch die Rechtsfolgeseite der §§ 53 und 54 AufenthG durch Herabstufung der zwingenden zur Regelausweisung bzw. der Regel- zur Ermessensausweisung (§ 56 Abs. 1 Satz 4 und 5 AufenthG). Deshalb verlangt die in § 53 und § 56 Abs. 1 Satz 2 bis 4 AufenthG vorgegebene Systematik für den Erlass einer Ausweisung in Fällen, in denen ein zwingender Ausweisungsgrund vorliegt und der Ausländer besonderen Ausweisungsschutz genießt, zu dessen Gunsten zwei prinzipiell voneinander unabhängige Regel-Ausnahme-Prüfungen:

11

- Zum einen ist die Tatbestandsvoraussetzung des Vorliegens schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG anhand der gesetzlichen Regel des Satzes 3 der Vorschrift zu untersuchen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung richtet sich diese Prüfung nach dem Maßstab, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Dazu bedarf es der tatrichterlichen Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Umstände im jeweiligen Einzelfall, aus denen sich eine hinreichend wahrscheinliche Gefahr der Wiederholung gleichartiger Straftaten ergeben soll (Urteil vom 31. August 2004 - BVerwG 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356 <362 f.> m.w.N.). Kommt der Tatrichter zu dem Ergebnis, dass die gesetzliche Regelvermutung des Vorliegens schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG widerlegt ist, ist die in 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG enthaltene Tatbestandsvoraussetzung nicht erfüllt und eine Ausweisung scheidet aus.

12

- Nur wenn schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, wird der Ausländer gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in der Regel ausgewiesen. Die durch die genannte Vorschrift abgeschwächte Rechtsfolge (Regelausweisung) muss jedoch nach der gesetzlichen Systematik ihrerseits im Einzelfall darauf überprüft werden, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der zur Folge hätte, dass an die Stelle der Regel- eine Ermessensausweisung träte. Bei dieser Prüfung sind alle Umstände einer eventuellen strafgerichtlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 Abs. 3 AufenthG nicht abschließend (Urteil vom 19. November 1996 - BVerwG 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 <253>) genannt werden (Urteile vom 26. Februar 2002 - BVerwG 1 C 21.00 - BVerwGE 116, 55 <64 f.> und vom 29. September 1998 - BVerwG 1 C 8.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 16 S. 48).

13

Nur zu der zuletzt genannten Abgrenzung von Regel und Ausnahme auf der Rechtsfolgeseite gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG verhält sich das von der Beschwerde angeführte Urteil des Senats vom 23. Oktober 2007 (a.a.O.) wenn es ausführt (Rn. 24 bis 27): Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - liegt bereits dann vor, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen und hat die vom Beklagten getroffene Ermessensentscheidung gemäß § 114 Satz 1 VwGO überprüft. Das Vorbringen der Beschwerde, bei der gestuften Prüfung sei die Ermessensentscheidung zu Lasten des Ausländers festgelegt, vernachlässigt zudem, dass mit der Absenkung der Schwelle für das Vorliegen eines Ausnahmefalles die Ermessensentscheidung über die Ausweisung auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht negativ präjudiziert ist und zwingend von der Ausweisung abzusehen wäre. Bei Annahme eines von der Regel abweichenden Falles fehlt den Ausweisungsgründen nur das von vornherein ausschlaggebende Gewicht, das ihnen der Gesetzgeber im Regelfall zugemessen hat (Urteil vom 23. Oktober 2007 a.a.O. Rn. 27).

14

2.2 Soweit die Beschwerde die Divergenzrüge erhebt, da der Kläger vom Berufungsgericht - alternativ zu einer Aufenthaltsnahme im Kosovo - darauf verwiesen werde, sich als serbischer Staatsangehöriger in Serbien aufhalten zu können, fehlt es bereits an der ordnungsgemäßen Darlegung einer Abweichung gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Die Beschwerde arbeitet weder einen Rechtssatz aus dem Berufungsurteil noch aus einer Entscheidung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte heraus (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 = NVwZ-RR 1996, 712 <713> - zur Notwendigkeit der Gegenüberstellung divergierender Rechtssätze).

15

2.3 Hinsichtlich der geltend gemachten Abweichung des Berufungsgerichts bei der Prüfung von Duldungsgründen gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gilt Entsprechendes. Mit dem Vorbringen, „(b)ei ausreichender Berücksichtigung der angeführten Rechtsprechung des BVerwG wäre dem Kläger eine Duldung für seinen vorläufigen weiteren Aufenthalt zuzusprechen gewesen" und die Berufungsentscheidung beruhe „auf der Außerachtlassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung", unterstreicht die Beschwerde, dass lediglich eine - vermeintlich - fehlerhafte Rechtsanwendung geltend gemacht wird.

16

3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

17

3.1 Die Beschwerde erhebt die Aufklärungsrüge gemäß § 86 Abs. 1 VwGO, da es das Berufungsgericht versäumt habe, „eine kosovarische Staatsangehörigkeit des Klägers auf ihre verlangten tatsächlichen Umstände hin zu klären." Den in der Berufungsverhandlung gestellten Beweisantrag, ein staatsangehörigkeitsrechtliches Sachverständigengutachten einzuholen, habe das Berufungsgericht unter Verweis auf die eigene Sachkunde abgelehnt. Das Gericht verfehle seine Aufklärungspflicht, wenn es ein solches Gutachten als entbehrlich qualifiziere und im Berufungsurteil die im Beweisantrag bezeichneten völkerrechtlichen Bedenken für einen Statuserwerb ausspare. Dieses Vorbringen lässt keine Verletzung des § 86 VwGO erkennen.

18

Revisionsrechtlich ist die Ermittlung ausländischen Rechts sowie der ausländischen Rechtspraxis nicht dem Bereich der Rechtserkenntnis zuzuordnen, sondern wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln (stRspr; Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 17). § 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO verpflichtet die Verwaltungsgerichte, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihnen zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln. Dabei haben sie nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern auch deren Umsetzung in der Rechtspraxis zu betrachten (Urteil vom 19. Juli 2012 - BVerwG 10 C 2.12 - BVerwGE 143, 369 Rn. 14 f.). Ob das vorinstanzli-che Verfahren insoweit an einem Verfahrensmangel leidet, ist vom materiellrechtlichen Standpunkt der Tatsacheninstanz aus zu beurteilen, selbst wenn dieser - wofür hier nichts ersichtlich ist - verfehlt sein sollte (stRspr; Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119> = Buchholz 451.171 § 7 AtG Nr. 5 S. 58).

19

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist die Vorgehensweise des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat seine Feststellung, dass der Kläger die Staatsangehörigkeit des Kosovo besitzt oder sie zumindest durch die Aufnahme in das Staatsangehörigkeitsregister ohne Weiteres erwerben kann (UA S. 21), aufgrund einer eigenen Prüfung anhand des kosovarischen Staatsangehörigkeitsgesetzes getroffen. Dabei hat es sich zur Ermittlung der kosovarischen Rechtspraxis auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. Januar 2014 gestützt. Schließlich hat es sein Prüfungsergebnis dadurch bestätigt gesehen, dass die Mitarbeiterin der kosovarischen Behörden dem Auswärtigen Amt speziell zu der Person des Klägers bestätigt hat, dass dieser vom kosovarischen Innenministerium als „origin from Kosovo" habe verifiziert werden können und dass das Innenministerium seiner Einreise in den Kosovo nicht widerspreche (VG Akte 19 K 186.10, Bl. 33 f.).

20

Die Beschwerde lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen es angesichts dieser Vorgehensweise bei der Ermittlung der Staatsangehörigkeit des Klägers für die getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts einer verlässlichen Tatsachengrundlage ermangelt und aus welchem Grund ein Sachverständigengutachten einen tauglichen Beitrag zu einer weiteren gerichtlichen Vergewisserung hätte leisten können. Ihr Vorbringen, über Art. 25 GG beachtliche völkerrechtliche Bedenken stünden der Annahme der kosovarischen Staatsangehörigkeit entgegen, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich. Denn dieser normative Einwand betrifft eine Rechtsfrage des revisiblen materiellen Rechts, die auf dem Ergebnis der Auslegung und Anwendung ausländischen Rechts aufbaut und deshalb in revisionsrechtlicher Sicht nicht zur Tatsachenfeststellung gehört. In der Sache trifft es zudem nicht zu, weil der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts - wie ausgeführt (s.o. 1.) - über soziale und kulturelle, gegebenenfalls auch über entfernte familiäre Bindungen zum Herkunftsland seiner Eltern sowie über Kenntnisse der albanischen Sprache verfügt. Daher stellen sich die geltend gemachten völkerrechtlichen Bedenken - allzumal nach einem zugemuteten Antragserwerb der kosovarischen Staatsangehörigkeit - nicht.

21

3.2 Die im Zusammenhang mit der Ablehnung des Duldungsbegehrens erhobene Aufklärungsrüge genügt nicht den Anforderungen an die Bezeichnung einer Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO. Die Beschwerde bezeichnet weder ein Beweisthema noch geeignete und erforderliche Aufklärungsmaßnahmen (vgl. zu den Anforderungen: Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).

22

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

23

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger, ein 1978 in Deutschland geborener und seitdem im Bundesgebiet lebender türkischer Staatsangehöriger, verfolgt mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland weiter.

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; I.) noch wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; II.) zuzulassen.

I. Die Berufung ist zunächst nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, lägen nur vor, wenn der Kläger einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung vom 26. Oktober 2011 ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung oder der Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BVerwG, U. v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 12; U. v. 13.12.2012 - 1 C 20.11 - juris Rn. 15; U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12; U. v. 14.5.2013 - 1 C 13.12 - juris Rn. 9). Zu Recht und vom Kläger unbeanstandet ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass als Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Klägers, der als im Bundesgebiet geborener Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland angehörenden türkischen Arbeitnehmers dort seit mindestens fünf Jahren seinen Wohnsitz und als Kind eines türkischen Arbeitnehmers dort eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und der deshalb nach Art. 7 Satz 1 und 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4; im Folgenden: ARB 1/80) zum Aufenthalt in Deutschland berechtigt ist, nur Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 und § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Betracht kommt. Der Kläger kann daher nur im Ermessenswege aufgrund einer Einzelfallprüfung ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland als des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 82 und 86; BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 13; BayVGH, U. v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421 - juris Rn. 53).

Das Verwaltungsgericht hat auf dieser Grundlage die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig angesehen. Insbesondere ist es davon ausgegangen, dass das persönliche Verhalten des Klägers zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Verwaltungsgericht maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2013 eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland dargestellt habe, dass die Ausweisung auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und des Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehe und dass die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden sei.

1. An der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen zunächst insoweit keine ernstlichen Zweifel, als der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die in Form einer gegenwärtigen tatsächlichen und hinreichend schweren Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland erforderliche konkrete Wiederholungsgefahr bejaht.

Das Verwaltungsgericht hat seine Annahme einer vom Kläger ausgehenden hinreichenden Wiederholungsgefahr im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Die Justizvollzugsanstalt, in der sich der Kläger zur Verbüßung der mit Urteil vom 5. Februar 2002 verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Vergewaltigung aufgehalten habe, sei davon ausgegangen, dass der Kläger seine Tat nicht im erforderlichen Umfang aufgearbeitet und insbesondere eine notwendige Sozialtherapie nicht mit dem erforderlichen Unrechtsbewusstsein aufgenommen habe. Unter Berücksichtigung dieser fachlichen Bewertung sei auch derzeit eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr gegeben. Wie die Verurteilung wegen Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit Bedrohung vom 19. Juni 2009 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten und die Verurteilung vom 20. Mai 2009 wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit 14 sachlich zusammentreffenden Fällen der Erpressung in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit 7 tatmehrheitlichen Fällen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten zeigten, sei ohne eine erfolgreiche therapeutische Behandlung mit der Begehung derartiger Straftaten weiter zu rechnen. Die damit bestehende konkrete Wiederholungsgefahr sei auch nicht in hinreichendem Maße durch eine erfolgreiche sozialtherapeutische Behandlung des Klägers beseitigt worden. Der von der Haftanstalt beauftragte Therapeut gehe zwar davon aus, dass der Kläger keine Straftaten mehr begehen werde. Trotz dieser fachlichen Aussage und der vom Therapeuten bestätigten Teilnahme des Klägers an 44 Therapiesitzungen könne das Gericht nicht erkennen, dass die erneute Begehung von Straftaten durch den Kläger ausgeschlossen sei. Der Therapeut selbst habe in der mündlichen Verhandlung auch nach der Haftentlassung noch eine psychotherapeutische Begleitung von einem Jahr für erforderlich gehalten, um Restzweifel auszuschließen. Die Einschätzung des Gerichts werde dadurch bestätigt, dass der Kläger eine sozialtherapeutische Behandlung in der Haft zunächst abgelehnt und sich einer solchen Behandlung erst ab Mai 2012 unterzogen habe. Bei dieser Sachlage sei nicht erkennbar, dass ohne eine gefestigte Position im Rahmen der therapeutischen Aufarbeitung eine Wiederholungsgefahr mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Das im Strafvollstreckungsverfahren im Zusammenhang mit der Entscheidung über eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung eingeholte Prognosegutachten gehe von einer erhöhten Wiederholungsgefahr aus. Zwar spreche das Gutachten nicht zwingend für eine solche Gefahr, weil es noch nicht abschließend erstellt sei. Jedoch fehle es jedenfalls an einer abschließenden gutachterlichen Äußerung, die eine andere Bewertung der Frage der Wiederholungsgefahr zur Folge haben könne.

Der Kläger macht insoweit geltend, er werde seiner Problematik sowohl im Hinblick auf die Sexual- als auch hinsichtlich der Drogendelikte gerecht. Er habe sich nicht nur im Rahmen seiner ersten, sondern auch während seiner zweiten Inhaftierung Therapiemaßnahmen unterzogen und dafür gesorgt, dass er nach der Haftentlassung nahtlos in sexual- und drogentherapeutische Behandlung übernommen worden sei. Der Therapeut, bei dem er zuletzt in der Justizvollzugsanstalt behandelt worden sei, habe bestätigt, dass von ihm jedenfalls dann keine Gefahr mehr ausgehe, wenn er die Therapie nach der Haftentlassung noch ein Jahr lang fortsetze. Die Wiederholungsgefahr werde daher durch die bereits durchgeführten Therapiemaßnahmen und ihre Fortsetzung nach der Haft dauerhaft gebannt. Das im Rahmen der Strafvollstreckung erstellte Gutachten berücksichtige nicht, dass die Wiederholungsgefahr durch die begleitende Therapie ausgeschlossen werde. Eine gefestigte Position im Rahmen der therapeutischen Aufarbeitung könne nicht gefordert werden, solange durch begleitende Therapien gesichert sei, dass es nicht zu Wiederholungen komme. Außerdem werde der Kläger durch die ständige therapeutische Begleitung innerhalb kurzer Zeit in eine solche Position hineinwachsen. Nach Einschätzung des Therapeuten, bei dem sich der Kläger nach der Haftentlassung einer Verhaltenstherapie mit dem Ziel unterzogen habe, die Ursachen für die wiederholten Straftaten und das frühere Suchtverhalten des Klägers zu erarbeiten, das Unrechtsbewusstsein und die Frustrationstoleranz zu erhöhen und die Impulskontrolle zu erhöhen, gehe vom Kläger nach menschlichem Ermessen keine Gefahr mehr für andere Menschen aus. Auch aus Sicht des für den Kläger im Rahmen der Führungsaufsicht zuständigen Bewährungshelfers sei die Gefahr einer erneuten Straftat äußerst gering.

Durch diese Ausführungen wird aber die Annahme des Verwaltungsgerichts, vom Kläger gehe nach wie vor eine konkrete Wiederholungsgefahr aus, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Bei der Prüfung, ob eine gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft vorliegt, gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind im Rahmen der Gefahrenprognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Demgemäß gelten umso geringere Anforderungen an den Eintritt eines Schadens für ein bedrohtes Rechtsgut, je bedeutender dieses ist. Jedoch reicht auch bei hochrangigen Rechtsgütern nicht jede auch nur entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr aus. Auch insoweit dürfen vielmehr keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerwG, U. v. 10.7.2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 16; U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 16; BayVGH, U. v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421 - juris Rn. 55). Darüber hinaus sind bei der Gefahrenprognose nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse der Gesellschaft darstellen kann (vgl. EuGH, U. v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/08 - juris Rn. 84; BayVGH a. a. O.). Nach diesen Grundsätzen ist die Annahme einer fortdauernden Wiederholungsgefahr aber auch unter Berücksichtigung Verhaltenstherapie, der sich der Kläger nach der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2013 unterzogen hat, nicht zu beanstanden.

Anlass für die Ausweisung des Klägers war seine Verurteilung vom 20. Mai 2009 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung. Dieses Sexual- und Körperverletzungsdelikt, für das das Strafgericht im Rahmen der Gesamtstrafenbildung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten für angemessen hielt und das eine schwerwiegende Beeinträchtigung der sexuellen Selbstbestimmung und der körperlichen Unversehrtheit des Tatopfers und damit von Grundinteressen der Gesellschaft darstellte, beging der Kläger, nachdem er gemeinsam mit dem Opfer, mit dem er parallel zu seiner festen Beziehung zu seiner späteren Ehefrau ein Verhältnis unterhielt, 4 g Kokain und im Anschluss daran Wodka konsumiert hatte. Seiner Verurteilung vom 5. Februar 2002 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten lag ein vergleichbares Sexualdelikt zugrunde. Auch hier handelte es sich um eine Beziehungstat, der der Konsum von Kokain und Alkohol vorangegangen war. Das Opfer war die damalige Freundin des Klägers. Dieser hatte vor der Tat zwischen 0,5 g und 1 g Kokain geschnupft und anschließend zwei Halbe Bier, 0,5 l Kirschgoiß und 4 bis 5 Ouzos getrunken. Zwischen der am 5. August 2001 begangenen Vergewaltigung und dem sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt zwischen dem 1. Juli 2008 und dem 31. August 2008 liegen sieben Jahre. Dies zeigt aber, dass der Kläger, obwohl er sich, wie er vorträgt, bereits nach der Verurteilung wegen der Vergewaltigung sowohl wegen seiner Drogenproblematik als auch wegen des Sexualdelikts in therapeutische Behandlung begeben hat, nicht davor gefeit war, nach dem Konsum von Drogen und Alkohol erneut eine Sexualstraftat zu begehen, deren Opfer eine mit ihm in einer Beziehung lebende Frau war. Dass der Kläger damit trotz einer therapeutischen Behandlung unter im Wesentlichen gleichen Umständen ein weiteres vergleichbares Sexualdelikt begangen hat, rechtfertigt aber die Annahme, dass vom Kläger auch gegenwärtig noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Unversehrtheit von Frauen ausgeht, die mit ihm eine Beziehung eingehen. Dies gilt umso mehr, als der sexuelle Missbrauch im Juli oder August 2008 noch keine sieben Jahre zurückliegt und damit seit dieser Straftat ein kürzerer Zeitraum verstrichen ist als zwischen ihr und der Vergewaltigung im August 2001.

An dieser Einschätzung ändern auch weder die während der Strafhaft und seit ihrem Ende im Dezember 2013 bis zum 10. Februar 2015 vom Kläger absolvierten Therapien noch seine berufliche Weiterqualifizierung durch den Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse C/CE und seine dadurch ermöglichte berufliche Tätigkeit als Kraftfahrer bei einem Logistikunternehmen etwas. Zum einen war der Kläger auch nach Verbüßung der Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung und Vergewaltigung in den Jahren 2005 bis 2009 als Berufskraftfahrer tätig, ohne dass ihn dies von der Begehung eines weiteren Sexualdelikts im Juli oder August 2008 abgehalten hätte. Zum anderen kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung beruhen, nicht ausgegangen werden, solange der betreffende Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftigen drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. etwa BayVGH, U. v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32; B. v. 25.7.2014 - 10 ZB 14.633 - juris Rn. 14; U. v. 22.1.2013 - 10 B 12.2008 - juris Rn. 44). Geht man, wie dies in seinem psychologischen Kurzbericht vom 13. Mai 2014 offenbar auch der Therapeut getan hat, der den Kläger nach seiner Haftentlassung behandelt hat, davon aus, dass der Drogen- und Alkoholkonsum, nach dem der Kläger die Sexualdelikte im August 2001 und im Juli oder August 2008 jeweils begangen hat, Ausdruck eines Suchtverhaltens war, so kann daher ein Wegfall der Wiederholungsgefahr selbst dann nicht angenommen werden, wenn die Verhaltenstherapie des Klägers am 10. Februar 2015 tatsächlich erfolgreich abgeschlossen worden ist. Denn angesichts des kurzen Zeitraums von lediglich drei Monaten, der seitdem vergangen ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die mit einer erfolgreichen Therapie verbundene Erwartung künftigen drogen- und straffreien Verhaltens nach Therapieende bereits hinreichend glaubhaft gemacht hat.

Ein Wegfall der Wiederholungsgefahr im Hinblick darauf, dass die Therapieziele in vollem Umfang erreicht sind und dass der Kläger nach menschlichem Ermessen deshalb keine Gefahr für andere mehr darstellt, wie sein Therapeut im zuletzt vorgelegten psychologischen Therapiebericht vom 11. Februar 2015 bestätigt hat, kann aber auch dann nicht angenommen werden, wenn man wie die Beklagte davon ausgeht, dass beim Kläger nie eine körperliche oder psychische Abhängigkeit von Drogen oder Alkohol bestanden hat. Denn gerade dann weist das bisherige Verhalten des Klägers darauf hin, dass weiterhin die Gefahr der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten besteht, weil der Kläger dann das Sexualdelikt im Juli oder August 2008 nach dem Genuss von Kokain und Alkohol begangen hätte, obwohl er nicht drogen- oder alkoholabhängig war und obwohl er sich gleichwohl einer Therapie unterzogen hatte. Unter diesen Umständen liegen nämlich hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger, der nach der Scheidung von seiner Ehefrau offenbar in einer neuen Beziehung lebt, trotz der nach Ansicht seines Therapeuten erfolgreich abgeschlossenen Verhaltenstherapie auch in Zukunft nach dem Konsum von Alkohol oder Drogen wieder in eine Lage geraten kann, in der es erneut zu sexuellen Übergriffen kommt. Dies gilt umso mehr, als, wie bereits ausgeführt, derzeit seit dem sexuellen Missbrauch im Jahr 2008 noch ein kürzerer Zeitraum verstrichen ist als zwischen dieser Straftat und der Vergewaltigung im Jahre 2001. Schließlich hat sich der Kläger auch seit seiner Haftentlassung bisher nur unter therapeutischer Begleitung und staatlicher Aufsicht bewährt. Denn die Führungsaufsicht dauert auch nach Abschluss der Therapie im Februar 2015 noch bis 1. Dezember 2018 fort.

2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen auch nicht, soweit der Kläger geltend macht, seine Ausweisung verletze den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

a) Dies gilt zunächst, soweit der Kläger meint, die Beklagte habe nicht zwischen Ermessenserwägungen und Verhältnismäßigkeitsprüfung unterschieden und deshalb faktisch keine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt, was zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Ausweisung führe.

Die Frage, ob die Ausweisung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar und insbesondere verhältnismäßig im engeren Sinne ist, stellt sich im Rahmen der Frage, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind, die von den Verwaltungsgerichten nach § 114 Satz 1 VwGO in vollem Umfang zu prüfen ist. Die Gerichte dürfen sich dabei nicht auf die Überprüfung etwaiger Ausführungen der Behörde zur Verhältnismäßigkeit beschränken, sondern haben eine eigene Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Wenn die Behörde erkannt hat, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, und sie die für ihre Entscheidung maßgeblichen Ermessenserwägungen dargelegt hat, kann ein Verwaltungsakt daher auch dann verhältnismäßig sein, wenn seine Begründung Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit nicht enthält. Das Fehlen solcher Ausführungen allein macht daher die Ausweisung entgegen der Ansicht des Klägers weder unverhältnismäßig noch stellt es zwangsläufig einen Ermessensausfall dar.

Auch eine „Vermengung“ von Ermessenserwägungen und Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit führt für sich genommen nicht zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Ausweisung. Ermessensfehlerhaft ist die Ausweisung in solchen Fällen vielmehr allenfalls dann, wenn die fehlende Unterscheidung zwischen Ermessensausübung und Verhältnismäßigkeitsprüfung dazu führt, dass Ermessenserwägungen gänzlich unterbleiben oder die angestellten Erwägungen unzureichend oder unzutreffend sind.

b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung begründen auch die Ausführungen des Klägers nicht, die Beklagte habe die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK unterlassen, wobei dieser Prüfung ein derart großes Gewicht zukomme, dass allein ihr Unterbleiben die Ausweisung rechtswidrig mache. Denn es trifft schon nicht zu, dass die Beklagte eine solche Prüfung nicht vorgenommen hätte. Vielmehr führt die Beklagte in der Ausweisungsverfügung vom 26. November 2011 ausdrücklich die Kriterien auf, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Beeinträchtigungen des Rechts auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK zu berücksichtigen sind, prüft sie im Einzelnen und gelangt zu dem Ergebnis, dass die Ausweisung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig sei und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Ziel stehe (S. 5 ff. des Bescheids).

c) Schließlich stellt der Kläger auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung durch das Verwaltungsgericht nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage, soweit er meint, seine privaten Interessen überwögen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung.

Das Verwaltungsgericht hält die Ausweisung des Klägers für verhältnismäßig. Das Interesse des Klägers, weiter im Bundesgebiet zu bleiben, beruhe darauf, dass er sich während seines gesamten Lebens im Bundesgebiet aufgehalten habe, hier seine schulische und berufliche Ausbildung abgeschlossen und zum Land seiner Staatsangehörigkeit keinen annähernd gleichen Bezug habe. Insbesondere beherrsche der Kläger die deutsche Sprache einwandfrei. Sämtliche näheren Verwandten des Klägers hielten sich im Inland auf. Seit 2010 sei er auch mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Seiner Ehefrau sei aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit ein Verlassen des Bundesgebiets nicht zumutbar, so dass die Ehe nur im Inland geführt werden könne. Eine Ausweisung des Klägers stelle damit einen ganz erheblichen Eingriff in sein Privat- und Familienleben dar. Demgegenüber seien aber auch die vom Kläger begangenen Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen. Der Kläger habe eine erhebliche kriminelle Energie an den Tag gelegt. Die Opfer seien in schwerwiegender Weise verletzt worden. Der Kläger habe ihre Wehrlosigkeit ausgenutzt. Da diese Straftaten eine Verletzung von wesentlichen Grundinteressen der Gesellschaft darstellten, seien sie mit einem ganz erheblichen Gewicht in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen gewesen. Unter Berücksichtigung des Schutzes von Ehe und Familie sowie des besonderen Schutzes des in der Bundesrepublik geborenen und verwurzelten Klägers nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, sei die Kammer wegen der noch bestehenden konkreten Wiederholungsgefahr und der bei einer erneuten Straffälligkeit des Klägers betroffenen Rechtsgüter der Überzeugung, dass die Ausweisungsverfügung im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung verhältnismäßig sei. Dabei werde nicht verkannt, dass der Kläger bei einer Ausreise in die Türkei vor nicht unerhebliche Probleme gestellt werde. Er könne sich jedoch aufgrund seiner Sprachkenntnisse dort seinen Lebensunterhalt sichern. Durch die Befristung der Ausweisung auf zwei Jahre könne ein unzumutbarer Eingriff in die Rechte des Klägers vermieden werden.

Demgegenüber ist der Kläger der Ansicht, seine privaten Interessen überwögen das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung. Der Kläger sei faktischer Inländer. Er sei wirtschaftlich und kulturell tief in der Bundesrepublik Deutschland verwurzelt. Seine gesamte Kernfamilie befinde sich in Deutschland. Er lebe seit seiner Geburt und damit seit mehr als 35 Jahren im Bundesgebiet, verfüge über eine Berufsausbildung und sei einer fast andauernden Vollbeschäftigung nachgegangen. Er habe Rentenansprüche erworben und sei nie von Sozialleistungen abhängig gewesen. Seine prägenden Jahre habe er in Deutschland und nicht in der Türkei verbracht. Zwar wögen seine Straftaten schwer. Eine Wiederholungsgefahr bestehe jedoch nicht mehr. Jedenfalls seien die vom Kläger ausgehenden Gefahren im Hinblick auf seine Therapiebemühungen beherrschbar.

Auch dieses Vorbringen des Klägers stellt aber die Beurteilung der Ausweisung durch das Verwaltungsgericht als verhältnismäßig nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage.

Zwar wiegt das Interesse des Klägers schwer. Der inzwischen 36 Jahre alte Kläger ist faktischer Inländer. Er ist in Deutschland geboren und hat sein gesamtes Leben in Deutschland verbracht. Seine Eltern und Geschwister leben in Deutschland. Er verfügt über einen Realschulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausübung als Gas- und Wasserinstallateur. Er war, soweit er sich nicht in Haft befand, durchgehend berufstätig. Nach der letzten Haftentlassung im Dezember 2013 hat er die Fahrerlaubnis der Klasse C/CE erworben und arbeitet als Berufskraftfahrer. Auch wenn er inzwischen von seiner deutschen Ehefrau geschieden ist, liegen seine wesentlichen wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen ausschließlich im Bundesgebiet. Auch in kultureller Hinsicht ist der Kläger durch seinen langen Aufenthalt in Deutschland geprägt. Allerdings verbindet ihn insoweit mit der Türkei, deren Staatsangehörigkeit besitzt, dass er in einer türkischen Familie aufgewachsen ist und Türkisch spricht.

Jedoch erscheint seine Ausweisung gleichwohl nicht unangemessen. Denn auch dem der Ausweisung zugrunde liegenden Ziel, Gefahren für die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung anderer Personen abzuwehren, die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt sind, kommt großes Gewicht zu. Der Kläger hat diese hochrangigen Rechtsgüter unter Kokain- und Alkoholeinfluss wiederholt gravierend verletzt, wie sich aus den Feststellungen der jeweiligen Strafurteile und den darin ausgesprochenen erheblichen Freiheitsstrafen ergibt. Trotz der inzwischen abgeschlossenen Verhaltenstherapie und der Berufstätigkeit nach der Entlassung aus der Haft, besteht, wie bereits dargelegt, entgegen der Ansicht des Klägers weiterhin eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für die genannten Rechtsgüter. Zwar mag sich diese Gefahr durch die nach Auffassung des Psychotherapeuten und des Bewährungshelfers erfolgreich abgeschlossene Verhaltenstherapie verringert haben. Gleichwohl besteht aber, wie ausgeführt, im Hinblick darauf, dass der Kläger bereits einmal trotz vorangegangener Therapie und Berufstätigkeit rückfällig geworden ist, eine über eine bloß entfernte Möglichkeit deutlich hinausgehende Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung vergleichbarer Straftaten.

Angesichts des hohen Ranges der Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und der sexuellen Selbstbestimmung und der schwerwiegenden Beeinträchtigungen, die ihnen bei einem Rückfall des Klägers drohen, überwiegt aber das öffentliche Interesse an dessen Ausweisung, wenn man berücksichtigt, dass der immerhin über einen Realschulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügende Kläger aufgrund seines Aufwachsens in einer türkischen Familie und seiner Sprachkenntnisse in der Lage sein müsste, mit den Lebensverhältnissen in der Türkei zurecht zu kommen und dort etwa als Kraftfahrer seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Für die Zumutbarkeit einer Rückkehr in die Türkei spricht dabei schließlich auch, dass das Verwaltungsgericht die Wirkungen der Ausweisung auf lediglich zwei Jahre befristet hat, wogegen sich der Kläger in seiner Zulassungsbegründung nicht gewendet hat.

3. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen schließlich auch nicht, soweit der Kläger geltend macht, die Ausweisung sei wegen eines Ermessensfehlgebrauchs ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte sie auf unzutreffende Tatsachen gestützt oder Tatsachen unberücksichtigt gelassen habe, die in Erwägung zu ziehen gewesen wären.

a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen zunächst nicht bereits deshalb, weil die Beklagte die Frage des Ermessens mit der Verhältnismäßigkeit verknüpft hätte. Denn eine solche Verknüpfung führt, wie bereits dargelegt, nicht schon für sich genommen zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Ausweisung, sondern nur dann, wenn sie zur Folge hat, dass Ermessenserwägungen gänzlich unterbleiben oder die angestellten Erwägungen unzureichend oder unzutreffend sind.

b) Keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben sich auch, soweit der Kläger pauschal auf Neubewertungen von persönlichen Interessen in jüngeren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verweist (vgl. EGMR, U. v. 25.3.2010 - Mutlag, Nr. 40601/05 - juris Rn. 55; U. v. 13.10.2011 - Trabelski, Nr. 41548/06 - juris Rn. 54) und geltend macht, die Beklagte habe sich demgegenüber bei ihrer Ermessensausübung auf den sechs Jahre alten Zehn-Punkte-Katalog des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützt. Denn inwieweit sich daraus die Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils und der Ermessensentscheidung der Beklagten ergeben soll, ist mit diesen Ausführungen nicht schlüssig dargelegt. Vielmehr wird ohne nähere Ausführungen dazu, worin diese Neubewertungen bestehen, nicht erkennbar, in welcher Hinsicht die Beklagte bei ihren Ermessenserwägungen von falschen Voraussetzungen ausgegangen sein könnte.

c) Ebenso ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei ihrer Ermessensentscheidung außer Acht gelassen hätte, dass der Kläger faktischer Inländer ist. Zwar hat die Beklagte den Kläger nicht ausdrücklich als faktischen Inländer bezeichnet. Sie ist aber davon ausgegangen, dass der Kläger als langjährig in Deutschland ansässiger Ausländer den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK genießt (S. 5 des Bescheids vom 26. Oktober 2011). Auch hat sie die für die Einordnung des Klägers als faktischer Inländer maßgeblichen Gesichtspunkte benannt, die das im Rahmen der Ermessenserwägungen zu berücksichtigende große Gewicht seines Rechts auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK begründen. Insbesondere hat die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen einbezogen, dass der Kläger in Deutschland geboren ist und hier die Schule besucht, einen qualifizierenden Hauptschulabschluss sowie den Realschulabschluss erworben und eine Berufsausbildung als Gas- und Wasserinstallateur erfolgreich abgeschlossen hat. Auch hat sie berücksichtigt, dass der Kläger nach dem Abschluss seiner Berufsausbildung in Deutschland gearbeitet hat, wenn auch zuletzt nicht mehr in seinem erlernten Beruf, sondern als angelernter Möbelmonteur und Kraftfahrer (S. 10 des Bescheids vom 26. Oktober 2011). Schließlich hat die Beklagte auch in ihre Ermessenserwägungen aufgenommen, dass die Eltern und Geschwister des Klägers und seine (inzwischen geschiedene) Ehefrau in Deutschland leben (S. 12 des Bescheids vom 26. Oktober 2011). Damit hat sie aber alle Gesichtspunkte, die für die Einordnung des Klägers als faktischen Inländer maßgeblich sind, in ihre Ermessenserwägungen einfließen lassen.

d) Der Kläger macht darüber hinaus geltend, die Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass er kein Drogenproblem mehr habe und von ihm auch keine Sexualdelikte mehr zu erwarten seien, weil er sich erfolgreich entsprechenden Therapien unterzogen habe und seit 2004 keine Drogen mehr konsumiere. Auch dieses Vorbringen begründet aber keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

Abgesehen davon, dass der Kläger, wie sich aus dem Strafurteil vom 20. Mai 2009 ergibt, mit dem er wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, noch im Juli oder August 2008 Kokain konsumiert hat, geht, wie ausführlich dargelegt, entgegen der Ansicht des Klägers von ihm trotz der inzwischen nach Einschätzung seines Therapeuten erfolgreich abgeschlossenen Therapien auch heute noch eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung und damit für ein Grundinteresse der Gesellschaft aus. Die Beklagte hat ihren Ermessenserwägungen daher zu Recht eine solche Gefahr zugrunde gelegt.

e) Ein Ermessensfehlgebrauch ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte den beruflichen Werdegang des Klägers und seine Tätigkeit als Kraftfahrer abwertend und diskriminierend dargestellt habe.

Zwar hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 26. Oktober 2011 ausgeführt, dass der Kläger trotz seiner Berufsausbildung als Gas- und Wasserinstallateur nicht mehr in seinem Ausbildungsberuf gearbeitet, sondern als Hilfsarbeiter angelernte Tätigkeiten als Möbelmonteur und Transportfahrer verrichtet habe (S. 10 des Bescheids). Dass dies nicht zuträfe oder diskriminierend für den Kläger wäre und die Beklagte damit von unzutreffenden Tatsachen oder Wertungen ausgegangen wäre, ist jedoch nicht ersichtlich.

Die weitere Erwägung der Beklagten, der Kläger sei in ein randständiges Milieu mit Prostituierten, Alkohol und Drogen abgeglitten (S. 10 des Bescheids vom 26. Oktober 2011), bezieht sich zum einen nicht auf die berufliche Tätigkeit des Klägers. Zum anderen entspricht sie den Feststellungen der Strafgerichte, die seinen Verurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Vergewaltigung vom 5. Februar 2002 und wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung vom 20. Mai 2009 zugrunde liegen.

f) Soweit der Kläger geltend macht, er könne sich aufgrund seiner Arbeitsleistungen auf den Schutz des Assoziationsratsbeschlusses EWG-Türkei Nr. 1/80 berufen und daher nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden, ist ein Ermessensfehlgebrauch ebenfalls nicht ersichtlich. Die Beklagte führt ausdrücklich aus, dass der Kläger sich auf den Assoziationsratsbeschluss berufen könne und deshalb über seine Ausweisung „im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens“ zu entscheiden sei (S. 5 des Bescheids vom 26. Oktober 2011).

g) Als ermessensfehlerhaft stellt sich die Ausweisung des Klägers auch nicht deshalb dar, weil die Beklagte der Ehe des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigen nicht den ihr nach Art. 6 GG zukommenden Stellenwert beigemessen hätte. Denn der Kläger ist inzwischen geschieden, so dass eine stärkere Gewichtung des Schutzes der Ehe zu seinen Gunsten nicht mehr in Betracht kommt.

h) Schließlich begründet auch der Einwand des Klägers, da das Ausweisungsverfahren kein zweites Strafverfahren sei, dürften ihm die begangenen Straftaten nicht mehr entgegen gehalten werden, wenn der Gesellschaft durch ihn keine Gefahren mehr drohten, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Denn eine Wiederholungsgefahr besteht hier, wie ausgeführt, gerade fort.

II. Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.

Das Verwaltungsgericht hat seine Verpflichtung nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, nicht dadurch verletzt, dass es kein Sachverständigengutachten zu den Auswirkungen der Therapiestunden und zu der Frage eingeholt hat, ob die begleitende Therapie die Gefährlichkeit des Klägers bis zur Ungefährlichkeit reduziert.

Denn abgesehen davon, dass ein Gericht seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht verletzt, wenn es wie hier von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat (vgl. BVerwG, B. v. 16.3.2011 - 6 B 47.10 - juris Rn. 12; BayVGH, B. v. 21.3.2012 - 10 ZB 10.100 - juris Rn. 22; B. v. 18.10.2013 - 10 ZB 11.618 - juris Rn. 25; B. v. 25.8.2014 - 10 ZB 12.2673 - juris Rn. 16; B. v. 8.10.2014 - 10 ZB 12.2742 - juris Rn. 52), erfordert insbesondere in Fällen wiederholter Straftaten die Prüfung der Frage, ob die von der Behörde angenommene Befürchtung neuer Verfehlungen tatsächlich besteht, grundsätzlich nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens, weil sich das Gericht mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegt, die dem Richter allgemein zugänglich sind (vgl. BayVGH, B. v. 5.11.2014 - 10 ZB 13.328 - juris Rn. 13; BVerwG, B. v. 4.5.1990 - 1 B 82/89 - juris Rn. 7 m. w. N.). Eine Ausnahme kommt nur dann in Betracht, wenn die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetzt, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich ist, wie etwa im Falle einer seelischen Erkrankung (vgl. BayVGH, B. v. 5.11.2014 - 10 ZB 13.328 - juris Rn. 13; BVerwG, B. v. 13.3.2009 - 1 B 20.08 - juris Rn. 6; B. v. 4.5.1990 - 1 B 82.89 - juris Rn. 7 m. w. N.). Dass der Kläger an einer solchen Erkrankung leidet, wird aber weder im Zulassungsantrag behauptet noch ist es sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Den Beschwerdeführern wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 6. November 2012 - VG 5 K 23/11.A - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht Cottbus zurückverwiesen.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Januar 2013 - OVG 3 N 5.13 - wird damit gegenstandslos.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000,- € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG zugunsten einer afghanischen Familie.

2

1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Der 1981 geborene Beschwerdeführer zu 1. und die 1987 geborene Beschwerdeführerin zu 2. reisten im Jahr 2009 in das Bundesgebiet ein, die im März 2011 geborene Beschwerdeführerin zu 3. ist ihr gemeinsames Kind. Die Asylanträge der miteinander verheirateten Beschwerdeführer zu 1. und 2. wurden als unbegründet abgelehnt.

3

2. Mit ihren hiergegen gerichteten Klagen machten die Beschwerdeführer zu 1. und 2. geltend, in Kandahar von den Taliban mit dem Tode bedroht worden zu sein. Weder in ihrer Heimatregion Kandahar noch in einer sonstigen Provinz Afghanistans könne derzeit eine Familie mit Kleinkind ihre Existenz sichern, wenn sie nicht durch einen Familienverband abgesichert und aufgefangen werde. Auch litten die Beschwerdeführer zu 1. und 2. an Erkrankungen, die in Deutschland behandelt werden müssten.

4

3. Das Verwaltungsgericht Cottbus wies die Klagen durch Urteil vom 6. November 2012 zurück. Die Beschwerdeführer zu 1. und 2. hätten keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Der Beschwerdeführer zu 1. könne hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgung durch die Taliban auf Kabul als inländische Fluchtalternative verwiesen werden. Von ihm könne vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in Kabul aufhalte, da davon auszugehen sei, dass er dort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde und insbesondere das Existenzminimum gesichert sei. Für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche afghanische Staatsangehörige bestehe auch ohne familiären Rückhalt die Möglichkeit, als Tagelöhner mit Aushilfsjobs ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Der Beschwerdeführer zu 1. gehöre zu dieser Personengruppe, da er sich um den Lebensunterhalt der Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. nicht kümmern müsse. Diese könnten in die Heimatregion Kandahar zurückkehren, da ihnen dort keine Verfolgung oder sonst zu berücksichtigende Gefahr drohe. Denn die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. verfügten in Kandahar über familiären Rückhalt, der insoweit an die Stelle des Beschwerdeführers zu 1. treten könne. Es sei auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass sich die vorgetragenen Erkrankungen der Beschwerdeführer zu 1. und 2. im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund zielstaatsbezogener Umstände wesentlich verschlimmern würden.

5

4. Im Berufungszulassungsverfahren rügten die Beschwerdeführer zu 1. und 2., das Verwaltungsgericht habe gegen den in Art. 23 der so genannten Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) niedergelegten Grundsatz der Wahrung des Familienverbandes verstoßen, indem es den Beschwerdeführern zumute, dauerhaft voneinander getrennt in Kabul und Kandahar leben zu müssen. Auch habe das Verwaltungsgericht seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts verletzt, indem es unterstellt habe, die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. könnten ohne Probleme nach Kandahar zurückkehren und würden dort von den Eltern der Beschwerdeführerin zu 2. aufgenommen. Weder habe das Verwaltungsgericht entsprechende Fragen an die Beschwerdeführer gerichtet, noch hätten diese von sich aus darauf eingehen müssen, da die vom Verwaltungsgericht im Urteil zugrundegelegte Trennung der Beschwerdeführer überraschend gewesen sei. Auch die Ablehnung der Beweisanträge hinsichtlich der geltend gemachten Erkrankungen verstoße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör.

6

5. Mit Beschluss vom 24. Januar 2013 lehnte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Dass das Verwaltungsgericht Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie nicht berücksichtigt habe, weise höchstens auf eine materiell unrichtige Entscheidung hin, lasse jedoch nicht erkennen, warum die Vorschrift bei der Entscheidung über ein Abschiebungsverbot für eine Familie mit Kleinkind über den Einzelfall hinaus bedeutsam sei und ihre Reichweite im Interesse der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfe. Der von den Beschwerdeführern erhobene Vorwurf der ungenügenden Aufklärung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht werde vom Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG nicht erfasst. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Beschwerdeführer könnten sich trennen, sei keine unzulässige Überraschungsentscheidung. Es gebe auch keine Anhaltspunkte, dass die Ablehnung der erstinstanzlich gestellten Beweisanträge nicht vom Prozessrecht gedeckt sei.

7

6. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde machen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG geltend, weil das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Gründe für die Zulassung der Berufung überspannt habe. Es stelle sowohl im Hinblick auf Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie als auch hinsichtlich Art. 6 GG und Art. 8 EMRK eine abstrakte Frage dar, ob eine aufenthaltsbeendende Entscheidung in Kauf nehmen dürfe, dass eine Familie dauerhaft getrennt leben müsse. Das Verwaltungsgericht habe gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen, indem es in seinem Urteil von der Zumutbarkeit einer Trennung der Beschwerdeführer ausgegangen sei, ohne vorab auf diese Rechtsansicht hinzuweisen. Dadurch hätten die Beschwerdeführer keine Gelegenheit gehabt, eingehender zu ihrer familiären Situation vorzutragen und gegebenenfalls Beweisanträge zu einzelnen Fragen des Überlebens alleinstehender Frauen in Kandahar zu stellen. Mit ihren Entscheidungen verstießen die Gerichte schließlich gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Bei einer Abschiebung, die eine dauerhafte Trennung der Beschwerdeführer zur Folge habe, hätte eine Abwägung mit ihren familiären Belangen stattfinden müssen. Daran fehle es.

8

7. Das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

9

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

10

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, obwohl sie nicht innerhalb der in § 93 Abs. 1 BVerfGG geregelten Monatsfrist eingelegt und begründet worden ist. Den Beschwerdeführern war insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu gewähren. Sie haben innerhalb der Frist des § 93 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG glaubhaft gemacht, dass sie das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post gegeben haben, dass es bei normalem Verlauf der Dinge das Bundesverfassungsgericht fristgerecht hätte erreichen können. Die Verzögerung der Briefbeförderung durch die Deutsche Post AG darf den Beschwerdeführern nicht als Verschulden zugerechnet werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Januar 2003 - 2 BvR 447/02 -, NJW 2003, S. 1516).

11

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG.

12

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerfGE 51, 386 <396 f.>; 76, 1 <47>; 80, 81 <93>). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; 80, 81 <93>). Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Be-schluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, S. 171 <173>; BVerfGK 2, 190 <194>), auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, S. 67 <68>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>).

13

Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (vgl. BVerfGK 7, 49 <56>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>).

14

Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen (vgl. BVerfGE 56, 363 <384>; 79, 51 <63 f.>). Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfGK 14, 458 <465>).

15

b) Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts wird den dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Bei der nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu erstellenden Gefahrenprognose ist das Verwaltungsgericht von getrennten Aufenthaltsorten der Beschwerdeführer in Afghanistan ausgegangen. Es hat den Beschwerdeführer zu 1. der Personengruppe der alleinstehenden, arbeitsfähigen Männer zugeordnet, denen Kabul als inländische Fluchtalternative offensteht, während es für die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. eine Rückkehr in die Heimatprovinz Kandahar als zumutbar erachtet hat. Obwohl das Verwaltungsgericht damit seiner Entscheidung zugrunde legt, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan ihr künftiges Leben getrennt voneinander führen müssen, fehlt in dem Urteil jede Auseinandersetzung mit den aus Art. 6 GG folgenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an staatliche Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung. Dies zeigt, dass sich das Verwaltungsgericht des Einflusses des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie auf die Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 1 AufenthG (vgl. BVerwGE 90, 364 <369 f.>, zur vergleichbaren früheren Rechtslage) nicht bewusst gewesen ist.

16

c) Das angegriffene Urteil beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 6 GG ergebenden Vorgaben zu einer anderen, den Beschwerdeführern günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG das angegriffene Urteil auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zurück. Damit wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts gegenstandslos. Seiner Aufhebung bedarf es nicht, weil von ihm insoweit keine selbstständige Beschwer ausgeht (vgl. BVerfGE 14, 320 <324>; 76, 143 <170>). Auf das Vorliegen der weiteren gerügten Verfassungsverstöße kommt es nicht an.

III.

17

Mit dieser Entscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

IV.

18

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, mit dem er seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung der Ausweisungsverfügung und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weiter verfolgt, ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), noch ist die geltend gemachte Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt (2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Das ist jedoch nicht der Fall.

1.1. Das Verwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass die Ausweisung des Klägers, der eine Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 besitze, an Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 AufenthG zu messen sei und der Kläger demzufolge nur ausgewiesen werden könne, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Der Kläger sei mehrfach und erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten und wiederholt wegen Gewaltdelikten bestraft worden. Gerade die zuletzt mit Strafurteil vom 8. September 2011 abgeurteilte Tat vom 6. November 2010, bei der der Kläger zusammen mit zwei Mittätern ohne ersichtlichen Grund brutale Gewalt gegen eine ihm unbekannte Person angewandt habe, stelle unter Berücksichtigung des hohen Ranges des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) einen hinreichend schweren Ausweisungsanlass dar, der ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Beim Kläger sei trotz Verbüßens seiner Haftstrafe seit Mai 2013, seiner Teilnahme an einer Therapie im Jahr 2012 und seiner veränderten beruflichen und familiären Situation noch von einer gegenwärtigen tatsächlichen Gefährdung für ein Grundinteresse der Gesellschaft auszugehen. Die (Gewalt-)Taten des Klägers beruhten nicht allein auf seiner Neigung zum Konsum von Alkohol und Drogen, sondern insbesondere auch auf seiner Aggressivität. Die vom Kläger bei seinen Taten gezeigte Aggression sei bisher nicht ausreichend therapiert worden. Das diesbezügliche Gruppentraining, an dem der Kläger derzeit teilnehme, sei noch nicht abgeschlossen. Zudem bestünden aus Sicht des Gerichts erhebliche Zweifel, ob dieses Training vom Umfang und der Zielsetzung eine (erforderliche) Therapie ersetzen könne. Bei der im Jahr 2012 absolvierten stationären Therapie habe es sich um eine Drogenentwöhnungstherapie gehandelt, bei der dem Kläger im Hinblick auf den Drogen- und Alkoholkonsum und die Behandlung seiner Aggressivität zwar Fortschritte bescheinigt worden seien, aber gleichzeitig eine ambulante Weiterbehandlung für unerlässlich erklärt worden sei. Bei der Gefahrenprognose sei zu berücksichtigen, dass den bei einem erneuten Rückfall des Klägers bedrohten Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit nach der Wertordnung des Grundgesetzes ein besonders hohes Gewicht zukomme.

Der Kläger macht dagegen geltend, bei ihm bestehe aktuell keine konkrete Wiederholungsgefahr mehr. Seine letzte Straftat habe sich am 6. November 2010 und damit vor über vier Jahren ereignet. Er habe durch die Verbüßung der Haftstrafe eine Reifung erfahren und sich ausweislich der letzten Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 17. September 2014 gut geführt und an zehn Einheiten einer Gruppenveranstaltung zum Themenkomplex „Alkohol, Drogen, Gewalt und ich“ teilgenommen. Er verfüge nach Haftende über einen sozial festen Empfangsraum und könne seine bereits begonnene Ausbildung zum Hotelfachmann weiterführen. Auch habe er bereits eine stationäre Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und intensiv an sich gearbeitet.

Durch dieses Vorbringen werden aber die Gefahrenprognose und die Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt. Der Kläger ist, wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, ab 2005 innerhalb relativ kurzer Zeit mehrfach insbesondere wegen gravierender Gewaltdelikte wie Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, (schwere) räuberische Erpressung, (schwerer) Raub und wegen Betäubungsmitteldelikten geahndet und auch zu Jugendstrafen verurteilt worden. Die zuletzt mit Urteil des Amtsgerichts München vom 8. September 2011 nach Erwachsenenstrafrecht abgeurteilte Straftat, bei der der Kläger in gemeinschaftlicher Tatbegehung mit zwei Mittätern ohne jeden Grund nachts in einer Bahnunterführung auf den dort zufällig angetroffenen Geschädigten eingeschlagen und, nachdem dieser zu Boden gegangen war, weiter mit den Füßen auf diesen und insbesondere auch gegen dessen Kopf in einer das Leben gefährdenden Weise eingetreten hatte, stellt ein besonders massives und ein - wie im Strafurteil zutreffend festgestellt - besonderes Maß an Menschenverachtung zeigendes Gewaltdelikt dar. Weitere gegen den Kläger wegen Betäubungsmittel- und Körperverletzungsdelikten geführte Ermittlungs- und Strafverfahren wurden daneben nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Dem Kläger sind durch die Strafgerichte zu Recht ein erhebliches Gewaltpotential und eine Neigung zu Aggressivität, charakterliche Mängel und dissoziale Persönlichkeitsanteile sowie die Geringachtung vor allem auch der körperlichen Integrität anderer, eine permanente Rückfälligkeit und krasses Bewährungsversagen bescheinigt worden. Auch die im Rahmen des letzten Strafverfahrens eingeholten testpsychologischen und psychiatrischen Gutachten stellen beim Kläger eine dissoziale Entwicklung und hohe Aggressionsbereitschaft und Gewalttätigkeit sowie mangelnde Empathie, geringe Frustrationstoleranz und eine niedrige Schwelle für aggressives und auch gewalttätiges Verhalten fest. Der Kläger ist wegen seiner massiven Straffälligkeit mehrfach durch die Ausländerbehörde verwarnt und zu einer möglichen Aufenthaltsbeendigung angehört worden, ohne dass (auch) dies bei ihm irgendeine Wirkung gezeigt hätte.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht weiter festgestellt, dass der Kläger wegen seines nach eigenen Angaben bereits ab dem 11. Lebensjahr begonnenen Missbrauchs von Alkohol und Drogen zwar wiederholt und durch Rückfälle begleitete (auch stationäre) Drogentherapien durchgeführt und sich zuletzt von Juni bis Ende September 2012 in einer nach einem erneuten Rückfall aber regulär beendeten stationären Langzeitbehandlung befunden hat, eine ausreichende Therapie aber gerade der Aggressions- und Gewaltproblematik beim Kläger jedoch noch nicht erfolgt ist. Demzufolge ist das Erstgericht bei seiner Gefahrenprognose auch zutreffend davon ausgegangen, dass die konkrete Gefahr der Wiederholung gleichartiger Gewaltstraftaten bei der noch nicht erfolgreich bewältigten Aggressionsproblematik nach wie vor besteht. Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung des Senats, dass in Fällen, in denen die (Mit-)Ursache der Straftaten in einer Suchtmittelabhängigkeit oder einer Persönlichkeitsstörung liegt, die erfolgreiche Absolvierung einer Therapie zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr ist (vgl. z. B. BayVGH, B.v. 26.11.2013 - 10 ZB 13.1873 - juris Rn. 7 m. w. N.).

Dagegen kann der Kläger nicht mit Erfolg einwenden, seit Begehung seiner letzten Straftat am 6. November 2010 sei ein so langer Zeitraum vergangen und er sei inzwischen durch die Verbüßung der Haftstrafe persönlich so gereift, dass die konkrete Gefahr einer hinreichend schweren Gefährdung nicht mehr bestehe. Denn bezüglich des seit dieser Tat verstrichenen Zeitraums ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger von Juni bis Ende September 2012 in einer stationären Therapie und ab 20. Mai 2013 wieder in Haft befand. Nicht durchgreifend ist auch die nicht näher substantiierte Behauptung des Klägers im Zulassungsverfahren, er sei durch die Verbüßung der Haftstrafe gereift und habe seit vier Jahren „intensiv an sich gearbeitet“, so dass es ihm mittlerweile gelungen sei, eine für ihn günstige Prognose zu schaffen. Ein entscheidender Anhaltspunkt dafür, dass vom Kläger künftig keine Wiederholung gleichartiger Gewaltstraftaten mehr zu erwarten sei, ist schließlich auch nicht darin zu sehen, dass das Landgericht A. - auswärtige Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht N. - mit Beschluss vom 16. Dezember 2014 die Vollstreckung des Strafrests der gegen den Kläger mit Urteilen des Amtsgerichts M. vom 18. Oktober 2010 und 8. September 2011 verhängten Jugend- und Freiheitsstrafe ab dem 4. Januar 2015 zur Bewährung (mit einer Bewährungszeit von 4 Jahren) ausgesetzt hat. Zwar sind Entscheidungen der Strafgerichte, die eine Prognose erfordern, ob von einem Verurteilten erneut Straftaten zu erwarten sind, von tatsächlichem Gewicht. Die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte haben aber eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen, sind an die Feststellungen der Strafgerichte nicht gebunden und können aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage, aufgrund eines längerfristigen Prognosezeitraums und einer anderen, eigenständigen Würdigung der Gesamtumstände wie hier zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen (BayVGH, B.v. 6.3.2014 - 10 ZB 11.2854 - juris Rn. 10 m.w. Rspr-nachweisen). Unabhängig davon ist auch die Strafvollstreckungskammer in dem genannten Beschluss lediglich zu der Bewertung gelangt, dass es „nach Auffassung des Gerichts unter Beachtung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit bereits ab dem im Tenor genannten Zeitpunkt verantwortet werden“ könne, „zu erproben, ob sich der Verurteilte (Kläger) künftig straffrei führen wird“. Die verwaltungsgerichtliche Prognose über die Wiederholungsgefahr beim Kläger wird dadurch jedenfalls nicht ernstlich erschüttert. Schließlich führen auch die vom Kläger noch angeführten Umstände eines sozial gefestigten Empfangsraums nach seiner Haft und die Möglichkeit der Fortführung seiner Ausbildung zum Hotelfachmann vor allem angesichts der unbewältigten Gewalt- und Aggressionsproblematik nicht dazu, die Wiederholungsgefahr nunmehr anders als das Erstgericht zu beurteilen. Auch hat das Verwaltungsgericht bei seiner Prognose zu Recht darauf abgestellt, dass bei bedrohten Rechtsgütern mit hervorgehobener Bedeutung wie insbesondere dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) geringere Anforderungen an die zu fordernde Wahrscheinlichkeit eines erneuten Schadenseintritts gelten (BayVGH, B.v. 6.3.2014 - 10 ZB 11.2854 - juris Rn. 14 m. w. N.).

1.2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen auch nicht, soweit der Kläger seine Ausweisung mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK für unverhältnismäßig hält. Er macht geltend, er habe inzwischen seine Verlobte, Frau J., in der Justizvollzugsanstalt geheiratet, so dass ihm auch der Schutz der Ehe zugutekomme und die angefochtene Entscheidung schon deswegen ernstlichen Zweifeln unterliege. Das am 17. Februar 2013 geborene gemeinsame Kind, mit dem er die ersten drei Lebensmonate (zusammen mit der Mutter) in einer gemeinsamen Wohnung gelebt und zu dem er auch über regelmäßige Besuche (von Mutter und Kind) in der Justizvollzugsanstalt den Kontakt und die Bindung aufrechterhalten habe, besitze die deutsche Staatsangehörigkeit, weshalb ihm ein Umzug in die Türkei nicht zumutbar sei. Das Verwaltungsgericht habe sich weder damit auseinandergesetzt, dass die Geburt eines Kindes eine Zäsur in der Lebensführung des Betroffenen darstelle, die in Anbetracht aller Umstände erwarten lasse, dass dieser bei einem legalisierten Aufenthalt keine Straftaten mehr begehen werde, noch habe es das Wohl des Kindes und die gravierenden Folgen auch einer vorübergehenden Trennung vom Kläger hinreichend beachtet. Überdies habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits entschieden, dass das den Staaten im Rahmen von Art. 8 EMRK zustehende Ermessen überschritten werde, wenn die Behörden einen Ausländer wegen lediglich eines schweren Delikts und trotz seither einwandfreien Verhaltens und tatsächlich familiärer Bindungen im Inland ausweisen würden.

Dazu ist zunächst festzustellen, dass weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK eine Ausweisung eines Ausländers generell ausschließen; vielmehr gebieten diese Bestimmungen lediglich, dass anhand einer einzelfallbezogenen Würdigung die für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und die gegenläufigen Interessen des Ausländers gegeneinander abgewogen werden (vgl. BVerwG, B.v. 7.12.2011 - 1 B 6.11 - juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 22.1.2013 - 10 B 12.2008 - juris Rn. 48). Auch gewichtige familiäre Belange setzen sich dabei nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch (BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 23). Davon ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Bezüglich des vom Kläger nunmehr geltend gemachten grundrechtlichen Schutzes seiner Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) ist bei der danach gebotenen Abwägung zu berücksichtigen, dass die während seiner Haft geschlossene Ehe zu einem Zeitpunkt eingegangen worden ist, zu dem der Ehefrau des Klägers die der Ausweisung zugrunde liegende Straftat und die Ausweisung selbst bereits bekannt waren, und dass dem Recht auf Privatleben und dem Schutz der Ehe in solchen Fällen ein vermindertes Gewicht beizumessen sein kann (vgl. EGMR, U.v. 28.6.2011 - Nunez, Nr. 55597/09 - HUDOC Rn. 70; U.v. 4.12.2012 - Butt, Nr. 47017/09 - HUDOC Rn. 79; BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421 - juris Rn. 82).

Das Verwaltungsgericht hat sowohl die verfassungsrechtlichen Maßgaben für die Berücksichtigung der familiären Bindungen des Klägers an seinen im Februar 2013 geborenen Sohn mit deutscher Staatsangehörigkeit (vgl. z. B. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 14) als auch insbesondere das hohe, gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechende Gewicht der Folgen einer (auch nur) vorübergehenden räumlichen Trennung des Klägers von seinem noch sehr kleinen Sohn zutreffend erkannt. Die mit der Ausweisung verbundene Beeinträchtigung des Rechts auf Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK), des Rechts auf Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und auf Pflege und Erziehung seines Sohnes (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) wiegt danach zweifellos schwer. Dem Interesse des Sohnes des Klägers an dessen Verbleib im Bundesgebiet hat aber auch die Beklagte bei ihrer Abwägung und Würdigung der gegensätzlichen Interessen besonderes Gewicht beigemessen (vgl. zuletzt Antragserwiderung vom 28.1.2015, S. 3). Dass die Geburt seines Kindes, wie der Kläger im Zulassungsantrag behauptet, tatsächlich eine "Zäsur" in seiner Lebensführung darstellt, die in Anbetracht aller Umstände erwarten lässt, dass er bei legalisiertem Aufenthalt keine Straftaten mehr begehen wird (vgl. dazu BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 23), ist durch nichts belegt oder glaubhaft gemacht und angesichts der oben bei der Gefahrenprognose festgestellten Umstände und angestellten Erwägungen nach Auffassung des Senats unwahrscheinlich. Insofern kommt entgegen der Auffassung des Klägers bei der Abwägung durchaus ein Vorrang der gegen einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet sprechenden Gründe in Betracht (vgl. BVerfG a. a. O. Rn. 23).

Im Hinblick auf die ganz erhebliche Anzahl an Straftaten des Klägers, die von ihm mehrfach begangenen gravierenden Gewaltdelikte und die besondere Schwere insbesondere der (letzten) Anlasstat sowie das beim Kläger festgestellte erhebliche Gewaltpotential und seine therapeutisch nicht bewältigte Neigung zu Aggressivität hat das Verwaltungsgericht letztlich zu Recht festgestellt, dass der Kläger auch den mit der Ausweisung verbundenen gravierenden Eingriff in seine familiären Beziehungen zu seinem Sohn (und auch seiner Ehefrau) hinnehmen muss. Dabei sind insbesondere die sich aus den Taten des Klägers ergebenden erheblichen Gefahren für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und damit besonders hochrangige Schutzgüter Dritter zu berücksichtigen. Auch der Hinweis des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger bereits einmal verurteilt worden sei, weil er Gewalt gegenüber einer ihm nahestehenden Person angewandt habe, ist zutreffend. Denn mit Urteil des Jugendschöffengerichts beim Amtsgericht M. vom 12. Februar 2008 ist der Kläger unter anderem wegen fahrlässiger Körperverletzung gegenüber seiner damaligen Freundin zu einer Jugendstrafe verurteilt worden. Nach den Feststellungen des Strafgerichts hat der Kläger im Verlauf einer zunächst verbalen Auseinandersetzung mit der Geschädigten diese in den Schwitzkasten genommen, sodann ein Butterfly-Messer gezogen und damit vor ihr herumgefuchtelt, um ihr Angst einzujagen. Dabei hat er die Geschädigte an der Hand getroffen und dieser eine tiefe Schnittverletzung zugefügt. Von der Verfolgung einer (weiteren) Körperverletzung zulasten einer ehemaligen Freundin, der Geschädigten H., wurde vom Jugendschöffengericht des Amtsgerichts M. in der Hauptverhandlung am 18. Oktober 2010 auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 2 StPO abgesehen. Durch diesen Hinweis des Verwaltungsgerichts wird dem Kläger zwar nicht, wie er meint, unterstellt, „er würde nach seiner Haftentlassung Gewalt gegen sein Kind ausüben“. Jedoch belegen die angeführten Vorfälle, dass der Kläger seine Neigung zu Aggressivität in der Vergangenheit selbst bei ihm nahestehenden Personen nicht zu kontrollieren vermochte.

Schließlich ist noch darauf zu verweisen, dass das Erstgericht bei der von ihm in der angefochtenen Entscheidung ausgesprochenen Verpflichtung zur Verkürzung der Wiedereinreisesperre von 5 Jahren auf 2 Jahre 6 Monate das Wohl des Kindes des Klägers und dessen Interesse an einer Anwesenheit auch des Vaters im Bundesgebiet angemessen berücksichtigt hat. Darüber hinaus hat die Beklagte in ihrer Antragserwiderung vom 28. Januar 2015 nochmals ihre Bereitschaft erklärt, gerade im Hinblick auf das Wohl des Kindes des Klägers diesem bei weiterer Bewährung gegebenenfalls großzügig Betretenserlaubnisse zu erteilen.

Die Ausweisung des Klägers stellt nach der rechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung durch das Verwaltungsgericht schließlich auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK und damit das Recht des Klägers auf Achtung seines dadurch geschützten Privat- und Familienlebens dar. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers und insbesondere sein Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in dessen Urteil vom 16. April 2013 (Nr. 12020/09, Udeh - InfAuslR 2014, 179) greifen hier letztlich nicht durch. Denn der Kläger ist - wie oben eingehend dargelegt - entgegen seinem Zulassungsvorbringen gerade kein Ausländer, der von der Behörde wegen lediglich eines schweren Delikts (und trotz seither einwandfreien Verhaltens und tatsächlicher familiärer Bindungen im Inland) ausgewiesen worden ist. Vielmehr hat der Kläger über einen langen Zeitraum hinweg mehrfach gravierende Gewaltdelikte begangen. Auch lässt sich bei ihm jedenfalls derzeit eine positive Entwicklung für die Zukunft noch nicht annehmen. Die im Zulassungsverfahren erhobene Rüge, die Beklagte habe das ihr im Rahmen von Art. 8 EMRK zustehende „gewisse Ermessen“ (auch) in seinem Fall überschritten, ist daher nicht berechtigt.

1.3. (Weitere) Einwendungen gegen die Richtigkeit der Erwägungen, mit denen das Verwaltungsgericht die Verpflichtungsklage des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen der erfolgten Ausweisung als unbegründet abgewiesen hat, sind im Zulassungsverfahren nicht erhoben worden.

2. Eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen der vom Kläger noch geltend gemachten Abweichung des angefochtenen Urteils „von Entscheidungen anderer Obergerichte“ kommt ebenfalls nicht in Betracht. Voraussetzung hierfür wäre, dass das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Divergenzgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Darzulegen wäre vom Kläger insoweit, welcher Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht. Die divergierenden Rechtssätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird. Dagegen genügt es nicht, eine bloß fehlerhafte oder unterbliebene Anwendung derartiger Rechtssätze aufzuzeigen (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2014 - 10 ZB 11.2156 - juris Rn. 13; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 73 m. w. N.). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen des Klägers jedoch nicht.

Im Übrigen wird bezüglich der vom Kläger im Rahmen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel zitierten Rechtsprechung auf die obigen Ausführungen verwiesen. Danach liegt aber die damit etwa auch behauptete Divergenz nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Den Beschwerdeführern wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 6. November 2012 - VG 5 K 23/11.A - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht Cottbus zurückverwiesen.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Januar 2013 - OVG 3 N 5.13 - wird damit gegenstandslos.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000,- € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG zugunsten einer afghanischen Familie.

2

1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Der 1981 geborene Beschwerdeführer zu 1. und die 1987 geborene Beschwerdeführerin zu 2. reisten im Jahr 2009 in das Bundesgebiet ein, die im März 2011 geborene Beschwerdeführerin zu 3. ist ihr gemeinsames Kind. Die Asylanträge der miteinander verheirateten Beschwerdeführer zu 1. und 2. wurden als unbegründet abgelehnt.

3

2. Mit ihren hiergegen gerichteten Klagen machten die Beschwerdeführer zu 1. und 2. geltend, in Kandahar von den Taliban mit dem Tode bedroht worden zu sein. Weder in ihrer Heimatregion Kandahar noch in einer sonstigen Provinz Afghanistans könne derzeit eine Familie mit Kleinkind ihre Existenz sichern, wenn sie nicht durch einen Familienverband abgesichert und aufgefangen werde. Auch litten die Beschwerdeführer zu 1. und 2. an Erkrankungen, die in Deutschland behandelt werden müssten.

4

3. Das Verwaltungsgericht Cottbus wies die Klagen durch Urteil vom 6. November 2012 zurück. Die Beschwerdeführer zu 1. und 2. hätten keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG. Der Beschwerdeführer zu 1. könne hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgung durch die Taliban auf Kabul als inländische Fluchtalternative verwiesen werden. Von ihm könne vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in Kabul aufhalte, da davon auszugehen sei, dass er dort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde und insbesondere das Existenzminimum gesichert sei. Für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche afghanische Staatsangehörige bestehe auch ohne familiären Rückhalt die Möglichkeit, als Tagelöhner mit Aushilfsjobs ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Der Beschwerdeführer zu 1. gehöre zu dieser Personengruppe, da er sich um den Lebensunterhalt der Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. nicht kümmern müsse. Diese könnten in die Heimatregion Kandahar zurückkehren, da ihnen dort keine Verfolgung oder sonst zu berücksichtigende Gefahr drohe. Denn die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. verfügten in Kandahar über familiären Rückhalt, der insoweit an die Stelle des Beschwerdeführers zu 1. treten könne. Es sei auch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass sich die vorgetragenen Erkrankungen der Beschwerdeführer zu 1. und 2. im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund zielstaatsbezogener Umstände wesentlich verschlimmern würden.

5

4. Im Berufungszulassungsverfahren rügten die Beschwerdeführer zu 1. und 2., das Verwaltungsgericht habe gegen den in Art. 23 der so genannten Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) niedergelegten Grundsatz der Wahrung des Familienverbandes verstoßen, indem es den Beschwerdeführern zumute, dauerhaft voneinander getrennt in Kabul und Kandahar leben zu müssen. Auch habe das Verwaltungsgericht seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts verletzt, indem es unterstellt habe, die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. könnten ohne Probleme nach Kandahar zurückkehren und würden dort von den Eltern der Beschwerdeführerin zu 2. aufgenommen. Weder habe das Verwaltungsgericht entsprechende Fragen an die Beschwerdeführer gerichtet, noch hätten diese von sich aus darauf eingehen müssen, da die vom Verwaltungsgericht im Urteil zugrundegelegte Trennung der Beschwerdeführer überraschend gewesen sei. Auch die Ablehnung der Beweisanträge hinsichtlich der geltend gemachten Erkrankungen verstoße gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör.

6

5. Mit Beschluss vom 24. Januar 2013 lehnte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den Antrag auf Zulassung der Berufung ab. Dass das Verwaltungsgericht Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie nicht berücksichtigt habe, weise höchstens auf eine materiell unrichtige Entscheidung hin, lasse jedoch nicht erkennen, warum die Vorschrift bei der Entscheidung über ein Abschiebungsverbot für eine Familie mit Kleinkind über den Einzelfall hinaus bedeutsam sei und ihre Reichweite im Interesse der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfe. Der von den Beschwerdeführern erhobene Vorwurf der ungenügenden Aufklärung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht werde vom Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG nicht erfasst. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Beschwerdeführer könnten sich trennen, sei keine unzulässige Überraschungsentscheidung. Es gebe auch keine Anhaltspunkte, dass die Ablehnung der erstinstanzlich gestellten Beweisanträge nicht vom Prozessrecht gedeckt sei.

7

6. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde machen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG geltend, weil das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Gründe für die Zulassung der Berufung überspannt habe. Es stelle sowohl im Hinblick auf Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie als auch hinsichtlich Art. 6 GG und Art. 8 EMRK eine abstrakte Frage dar, ob eine aufenthaltsbeendende Entscheidung in Kauf nehmen dürfe, dass eine Familie dauerhaft getrennt leben müsse. Das Verwaltungsgericht habe gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen, indem es in seinem Urteil von der Zumutbarkeit einer Trennung der Beschwerdeführer ausgegangen sei, ohne vorab auf diese Rechtsansicht hinzuweisen. Dadurch hätten die Beschwerdeführer keine Gelegenheit gehabt, eingehender zu ihrer familiären Situation vorzutragen und gegebenenfalls Beweisanträge zu einzelnen Fragen des Überlebens alleinstehender Frauen in Kandahar zu stellen. Mit ihren Entscheidungen verstießen die Gerichte schließlich gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Bei einer Abschiebung, die eine dauerhafte Trennung der Beschwerdeführer zur Folge habe, hätte eine Abwägung mit ihren familiären Belangen stattfinden müssen. Daran fehle es.

8

7. Das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

9

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.

10

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, obwohl sie nicht innerhalb der in § 93 Abs. 1 BVerfGG geregelten Monatsfrist eingelegt und begründet worden ist. Den Beschwerdeführern war insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu gewähren. Sie haben innerhalb der Frist des § 93 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG glaubhaft gemacht, dass sie das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post gegeben haben, dass es bei normalem Verlauf der Dinge das Bundesverfassungsgericht fristgerecht hätte erreichen können. Die Verzögerung der Briefbeförderung durch die Deutsche Post AG darf den Beschwerdeführern nicht als Verschulden zugerechnet werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Januar 2003 - 2 BvR 447/02 -, NJW 2003, S. 1516).

11

2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG.

12

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerfGE 51, 386 <396 f.>; 76, 1 <47>; 80, 81 <93>). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; 80, 81 <93>). Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Be-schluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, S. 171 <173>; BVerfGK 2, 190 <194>), auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, InfAuslR 2000, S. 67 <68>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>).

13

Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (vgl. BVerfGK 7, 49 <56>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, S. 682 <683>).

14

Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen (vgl. BVerfGE 56, 363 <384>; 79, 51 <63 f.>). Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfGK 14, 458 <465>).

15

b) Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts wird den dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. Bei der nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu erstellenden Gefahrenprognose ist das Verwaltungsgericht von getrennten Aufenthaltsorten der Beschwerdeführer in Afghanistan ausgegangen. Es hat den Beschwerdeführer zu 1. der Personengruppe der alleinstehenden, arbeitsfähigen Männer zugeordnet, denen Kabul als inländische Fluchtalternative offensteht, während es für die Beschwerdeführerinnen zu 2. und 3. eine Rückkehr in die Heimatprovinz Kandahar als zumutbar erachtet hat. Obwohl das Verwaltungsgericht damit seiner Entscheidung zugrunde legt, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan ihr künftiges Leben getrennt voneinander führen müssen, fehlt in dem Urteil jede Auseinandersetzung mit den aus Art. 6 GG folgenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an staatliche Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung. Dies zeigt, dass sich das Verwaltungsgericht des Einflusses des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie auf die Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 1 AufenthG (vgl. BVerwGE 90, 364 <369 f.>, zur vergleichbaren früheren Rechtslage) nicht bewusst gewesen ist.

16

c) Das angegriffene Urteil beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 6 GG ergebenden Vorgaben zu einer anderen, den Beschwerdeführern günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG das angegriffene Urteil auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zurück. Damit wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts gegenstandslos. Seiner Aufhebung bedarf es nicht, weil von ihm insoweit keine selbstständige Beschwer ausgeht (vgl. BVerfGE 14, 320 <324>; 76, 143 <170>). Auf das Vorliegen der weiteren gerügten Verfassungsverstöße kommt es nicht an.

III.

17

Mit dieser Entscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

IV.

18

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1981 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Vater des Klägers war 1973 in das Bundesgebiet eingereist und hier als Arbeitnehmer tätig. Er ist mittlerweile verstorben. Der Kläger hat vier ältere Brüder, die alle in Deutschland leben. Auch seine pflegebedürftige Mutter lebt hier. Der Kläger wuchs bei seinen Eltern auf und war seit Oktober 1997 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. 1998 schloss er die Hauptschule und 2001 eine Lehre als Verpackungsmittelmechaniker ab.

3

Am 8. April 2004 ordnete das Amtsgericht S. gegen den Kläger Untersuchungshaft an, weil er dringend verdächtig war, als Mitglied einer Bande mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Der Aufenthalt des Klägers war zum damaligen Zeitpunkt unbekannt. Tatsächlich war er in die Niederlande geflohen. Dort hielt er sich 14 Monate auf, bis er am 2. Juni 2005 verhaftet und am 12. August 2005 an die Bundesrepublik Deutschland überstellt wurde.

4

Mit Urteil des Landgerichts S. vom 24. November 2005 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 12 tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren verurteilt. Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857 300 € wurde angeordnet. Der Verurteilung lag ein Handeltreiben mit etwas mehr als 200 kg Marihuana sowie 500 g Kokain zugrunde. Tatsächlich war jedoch unter führender Beteiligung des Klägers nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs von Januar 2002 bis zu seiner Verhaftung im Juni 2005 mit insgesamt 2 Tonnen Marihuana, mindestens 5 kg Kokain und mit Ecstasy-Tabletten gehandelt worden (UA S. 33), davon 1,5 Tonnen Marihuana vor seiner Flucht in die Niederlande (UA S. 20) und 500 kg nach der Flucht. Das war der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung nicht bekannt.

5

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 4. Oktober 2006 aus, ohne die Wirkungen der Ausweisung zu befristen, und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung der Ausweisung stützte sich der Beklagte darauf, dass der Kläger trotz der von ihm erworbenen assoziationsrechtlichen Rechtsposition nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 im Ermessenswege ausgewiesen werden könne, weil die Voraussetzungen des Art. 14 ARB 1/80 erfüllt seien. Mit den Drogenstraftaten habe der Kläger ein persönliches Verhalten an den Tag gelegt, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle. Zudem liege eine konkrete Wiederholungsgefahr vor. Der Kläger sei wegen zahlreicher Einzeltaten verurteilt worden, die sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt hätten. Auch wenn er seit seiner Geburt in Deutschland lebe, sei er doch nicht ohne Bindungen in die Türkei. Das Interesse der Gesellschaft an der Verhinderung weiterer Straftaten sei aber höher zu bewerten als das Interesse des Klägers am Zusammenleben mit seinen Eltern und seinen Brüdern. Die Ausweisung wurde ohne Beteiligung einer weiteren Verwaltungsbehörde erlassen.

6

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. März 2008 ab. Während des Berufungsverfahrens ordnete die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 26. Oktober 2010 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe an und setzte eine Bewährungszeit von drei Jahren fest. Die bedingte Entlassung erfolgte etwa ein halbes Jahr vor der Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe. Zur Begründung der Entscheidung stützte sich die Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen auf ein kriminalprognostisches Gutachten und eine eigene Anhörung des Klägers.

7

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Kläger eingehend zu den Tathintergründen und seinem Verhalten nach der Tat befragt worden. Weiter wurde Kriminalhauptkommissar K., der die Ermittlungen gegen den Kläger und die Drogenbande geleitet hatte, als Zeuge vernommen. Schließlich wurde die Gutachterin aus dem Strafvollstreckungsverfahren zur Erläuterung ihres Gutachtens angehört.

8

Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid vom 4. Oktober 2006 aufgehoben. Der Rechtsstreit wurde insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.

9

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. April 2011 die Berufung hinsichtlich der Ausweisung zurückgewiesen: Der Kläger habe nur bis zum April 2004 ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 besessen. Er sei als Sohn eines in der Vergangenheit dem deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers geboren, was nach fünf Jahren zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 geführt habe. Mit dem Abschluss seiner Lehre habe er auch eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 erworben. Diese Rechte habe er aber durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm drohenden Strafverfolgung verloren, weil er sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands habe aufhalten wollen. Insbesondere die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses und die Fortsetzung der Betäubungsmittelkriminalität von den Niederlanden aus verdeutlichten, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt gehabt habe.

10

Damit sei § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG Rechtsgrundlage für die Ausweisung. Besonderen Ausweisungsschutz genieße der Kläger nicht, weil seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen sei, als er mit seiner Flucht in die Niederlande aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausgereist sei. Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers erweise sich aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch nach Art. 8 EMRK als verhältnismäßig. Der Kläger habe als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme Straftaten verübt, die ihn als Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität auswiesen. Er habe ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt. Auch aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Kläger sei der Senat davon überzeugt, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgehe. Dem kriminalprognostischen Gutachten werde keine entscheidungserhebliche Bedeutung zugemessen, weil es auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruhe und in zentralen Punkten nicht schlüssig sei. Diese Mängel hätten nicht ausgeräumt werden können. Die Gutachterin habe u.a. nicht in den Blick genommen, dass der Kläger mehr als 800 000 € Schulden habe.

11

Die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung noch vor Ablauf des Zweidritteltermins führe nicht dazu, dass die Frage der Wiederholungsgefahr günstiger zu sehen sei. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sei auf das mangelhafte Gutachten gestützt. Auch sei der Senat aufgrund des gewonnenen Eindrucks vom Kläger überzeugt, dass dieser keine nachhaltige Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen habe. Die beanstandungsfreie Führung und Weiterbildung des Klägers im Vollzug lasse nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Gleiches gelte dafür, dass er in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen sei. Die Lebensumstände unterschieden sich nach der Haftentlassung nicht grundlegend von denen, die vor dem Einstieg in die Kriminalität vorgelegen hätten; die immense Schuldenbelastung sei sogar ein zusätzlicher negativer Faktor. Die Ausweisung sei auch unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verhältnismäßig.

12

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung der Ausweisung. Hilfsweise erstrebt er ihre sofortige Befristung. Er rügt, er habe seine Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 mit der Flucht in die Niederlande entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht verloren. Insoweit komme es nicht auf den subjektiven Willen an, sondern auf das objektive Geschehen. Ein Auslandsaufenthalt von etwas mehr als einem Jahr genüge nicht, um die Rechtsposition zum Erlöschen zu bringen. Einer zwingenden Ausweisung stehe weiter entgegen, dass der Kläger im Februar 2011 eine kosovarische Staatsangehörige nach islamischem Ritus geheiratet habe und mit ihr und ihren Kindern nunmehr in familiärer Gemeinschaft zusammenlebe. Die Ausweisung sei darüber hinaus verfahrensfehlerhaft ergangen, weil das Gebot zur Einschaltung einer unabhängigen Stelle im einstufigen Verwaltungsverfahren aus Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG verletzt worden sei. Im Übrigen müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger nach Abschluss des Berufungsverfahrens seine Lebensgefährtin standesamtlich geheiratet habe. Diese sei im November 2012 eingebürgert worden. Die Eheleute seien seit dem 5. Januar 2012 auch Eltern einer deutschen Tochter. Diese neuen Tatsachen seien im Revisionsverfahren jedenfalls insoweit zu berücksichtigen, als sie sich aus Urkunden ergäben.

13

Der Beklagte tritt der Revision entgegen. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des Klägers hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht die Ausweisung als rechtmäßig angesehen (1.). Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von neun Jahren zu befristen (2.).

15

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung und des Befristungsbegehrens ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 15. April 2011 (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl. u. Asylrecht Nr. 47 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl I S. 1224). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

16

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Dabei kann offenbleiben, ob der Kläger in dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt eine Rechtsstellung nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) - ARB 1/80 - besaß oder ob - wovon das Berufungsgericht ausgeht - diese Rechtsstellung erloschen ist und sich die Ausweisung daher allein nach nationalem Aufenthaltsrecht beurteilt. Für den Fall des Erlöschens des assoziationsrechtlich begründeten Aufenthaltsrechts ist das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die verfügte Ausweisung den Voraussetzungen des § 53 Nr. 1 und 2 AufenthG und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Aber selbst wenn die Ausweisung an den Maßstäben des ARB 1/80 zu messen ist, erweist sie sich als rechtmäßig.

17

1.1 Der Kläger hat eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 erworben. Er ist in Deutschland als Sohn eines nach Deutschland gezogenen türkischen Arbeitnehmers geboren und aufgewachsen. Damit erfüllt er - ungeachtet des Umstands, dass er nicht zu seinem Vater nachgezogen ist - die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 (vgl. Urteil vom 6. Oktober 2005 - BVerwG 1 C 5.04 - BVerwGE 124, 243 <246> = Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 45). Er hat im Bundesgebiet zudem eine Berufsausbildung abgeschlossen, so dass er auch nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 privilegiert ist.

18

Geht man davon aus, dass der Kläger seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 nicht verloren hat, bestimmt sich die Rechtmäßigkeit der gegen ihn verfügten Ausweisung nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besitzt der Kläger nicht, da sein nationaler Aufenthaltstitel infolge der Ausreise in die Niederlande im April 2004 erloschen ist (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990). Gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 kann der Kläger nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422 Rn. 86). Das ist hier der Fall.

19

1.2 Die Gefahren, die vom gewerbsmäßigen illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - Rs. C-145/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Er verweist auf die "verheerenden Folgen" gerade des bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln für die Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten (a.a.O. Rn. 46). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen (a.a.O. Rn. 54). Im Übrigen zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - Rs. C-348/09, P.I. - NVwZ 2012, 1095 Rn. 28). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln, selbst wenn er nicht bandenmäßig begangen wird, als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, Arvelo Aponte/Niederlande - Rn. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, Khan/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 2010, 369 Rn. 40 m.w.N.).

20

Nach diesen Maßstäben stellt das persönliche Verhalten des Klägers eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Er hat aus reinem Gewinnstreben bandenmäßig mit Betäubungsmitteln gehandelt, und zwar in führender Position innerhalb der Bande. Der illegale Handel erfolgte über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren und bezog sich auf eine sehr große Menge Marihuana (2 Tonnen) sowie eine erhebliche Menge Kokain (mindestens 5 kg). Der Kläger hat den Drogenhandel auch nach Aufdeckung seines strafbaren Verhaltens vom Ausland aus fortgesetzt.

21

1.3 Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens im Bereich der Drogenkriminalität bejaht. Es hat die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei dem die gebotene Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, seine hohe Schuldenbelastung, aber auch seine beanstandungsfreie Führung im Strafvollzug sowie in der anschließenden Bewährungszeit und die vom Kläger im Vollzug genutzte Möglichkeit zur Weiterbildung umfassend gewürdigt. Nach der Überzeugung des Gerichts lässt sich eine erhebliche Wiederholungsgefahr vor allem aus dem Ausmaß der vom Kläger begangenen Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation ableiten. Das Berufungsgericht kam nach ausführlicher Anhörung des Klägers in der mehrstündigen mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis, dass der Kläger in den Jahren nach Beendigung seiner Taten keinen grundlegenden Persönlichkeitswandel vollzogen hat, der verlässlich den Schluss auf ein zukünftig straffreies Leben zulässt.

22

Dabei hat sich das Gericht eingehend mit dem kriminalprognostischen Gutachten vom September 2010 auseinandergesetzt, das zur Aussetzung der Restfreiheitsstrafe durch die Strafvollstreckungskammer führte. Darin ist die Gutachterin zu dem Ergebnis gekommen, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht. Das Berufungsgericht ist dem Gutachten nicht gefolgt, weil es nach seiner Auffassung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruht, in zentralen Punkten nicht schlüssig ist und die Mängel auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung ausgeräumt werden konnten. So hat sich die Gutachterin als Beleg dafür, dass der Kläger nunmehr andere Ziele im Leben verfolge, auf seine enge Beziehung zu einer türkischstämmigen Frau bezogen, mit der er sich verloben wolle. Tatsächlich hatte er zum Zeitpunkt der Begutachtung schon Kontakt zu seiner heutigen Ehefrau aufgenommen, was er der Gutachterin verschwiegen hatte. Ferner hatte der Kläger gegenüber der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben. Tatsächlich war aber sein langjähriger Freund M., der ebenfalls der Drogenbande angehörte, Trauzeuge bei der Heirat nach islamischem Ritus mit seiner heutigen Ehefrau, und zwar wenige Monate nach der Begutachtung. Ferner ist die Gutachterin davon ausgegangen, dass der Kläger mit Marihuana im Kilogrammbereich gehandelt habe, während sich das Volumen des Handels mit diesem Betäubungsmittel auf 2 Tonnen bezog und dazu noch der Handel mit mindestens 5 kg Kokain und mit Ecstasy-Tabletten kam. Schließlich hatte die Gutachterin die hohe verbliebene Schuldenbelastung des Klägers von mehr als 800 000 € nicht berücksichtigt. Die Einschätzung, dass die Inhaftierung beim Kläger offenkundig zu einem Gesinnungswandel geführt habe, hatte die Gutachterin nach einer lediglich eineinhalbstündigen Exploration gewonnen, während das Berufungsgericht aufgrund seiner mehrstündigen Verhandlung, in der auch der Kläger eingehend angehört und befragt wurde, zu dem gegenteiligen Ergebnis kam.

23

Das Berufungsgericht war bei seiner Gefahrenprognose nicht an die Einschätzung der Strafvollstreckungskammer bei deren Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gebunden. Zwar sind die Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der Prognose ein wesentliches Indiz dar. Eine Bindungswirkung geht von den strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidungen jedoch nicht aus. Die sich nach Unionsrecht bestimmende Prognose, ob der Ausländer eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt, bestimmt sich nämlich nicht nach strafrechtlichen Gesichtspunkten, auch nicht nach dem Gedanken der Resozialisierung. Vielmehr haben die zuständigen Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose über die Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. Urteile vom 28. Januar 1997 - BVerwG 1 C 17.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 = NVwZ 1997, 1119<1120> und vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 <193> = Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 40; Discher, in: GK-AufenthG, Stand: Juni 2009, vor §§ 53 ff. Rn. 1241 ff.). Dabei haben sie auch sonstige, den Strafgerichten möglicherweise nicht bekannte oder von ihnen nicht beachtete Umstände des Einzelfalles heranzuziehen. Sie können deshalb sowohl aufgrund einer anderen Tatsachengrundlage als auch aufgrund einer anderen Würdigung zu einer abweichenden Prognoseentscheidung gelangen. Im vorliegenden Fall erscheint ein Abweichen des Berufungsgerichts von der positiven Sozialprognose der Strafvollstreckungskammer schon deshalb nachvollziehbar, weil die strafrichterliche Entscheidung auf einem als mangelhaft bewerteten kriminalprognostischen Gutachten beruhte und sich das Berufungsgericht zudem auf neuere Erkenntnisse aus der Zeit nach Haftentlassung (z.B. erneuter Kontakt zu einem Mitglied der früheren Drogenbande) und insbesondere auf eine aktuelle ausführliche Befragung des Klägers, der Gutachterin und des ermittelnden Polizeibeamten stützen konnte. Damit ergibt sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, dass das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Art. 14 ARB 1/80 darstellt. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht seine Gefahrenprognose im Rahmen der Prüfung von § 53 AufenthG getroffen hat. Denn die getroffenen Feststellungen und deren tatrichterliche Würdigung ermöglichen dem Revisionsgericht die rechtliche Beurteilung, dass die Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 überschritten ist.

24

1.4 Die Ausweisung des Klägers erweist sich auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Das Berufungsgericht hat die schützenswerten Belange des Klägers, die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien umfassend gewürdigt (vgl. Urteile vom 2. August 2001 - Nr. 54273/00, Boultif/Schweiz - InfAuslR 2001, 476 und vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279). Es hat in den Blick genommen, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die deutsche Sprache beherrscht und seine gesamte Erziehung und Sozialisation in Deutschland erfahren hat. Das Gericht hat auch die familiären Bindungen des Klägers an seine in Deutschland lebende Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien berücksichtigt. Die zunächst erfolgreiche Integration in den deutschen Arbeitsmarkt hat der Kläger allerdings von sich aus gelöst, indem er sich nur noch im illegalen Drogenhandel betätigte. Zugleich hat das Berufungsgericht die in der Haftzeit begonnene und zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits weit fortgeschrittene berufliche Weiterbildung des Klägers zum Mediengestalter positiv gewürdigt. In die Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das Gericht auch die Tatsache einbezogen, dass der Kläger nunmehr in einer Lebensgemeinschaft mit Frau D. und deren minderjährigen Kindern lebt, die Eheschließung mit Frau D. anstrebt und mit ihr einen Kinderwunsch verwirklichen möchte. Die Ausweisung des Klägers ist aber auch unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei verhältnismäßig; sie ist im Hinblick auf die Vorgaben des Unionsrechts und der EMRK nicht zu beanstanden.

25

Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Tatsache, dass der Kläger im Verlauf des Revisionsverfahrens standesamtlich geheiratet hat, seine Ehefrau und deren Kinder deutsche Staatsangehörige geworden sind und der Kläger Vater eines eigenen Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit geworden ist, der Entscheidung des Senats nicht zugrunde gelegt werden. Das Bundesverwaltungsgericht ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt. Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Revisionsinstanz wird durch das Unionsrecht nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem Unionsrecht erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll (vgl. hierzu im Einzelnen: Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Aufnahme in die Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 19). Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) und Art. 13 EMRK. Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - Rs. C-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69; EGMR, Urteil vom 17. Januar 1970 - Nr. 2689/65, Delcourt - EGMR-E 1, 100 Rn. 25). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Vielmehr hängt die Anwendung der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes von den ersichtlichen Besonderheiten des jeweiligen Verfahrens - hier des Revisionsverfahrens - ab (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Januar 1970 a.a.O. Rn. 26). Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei der Überprüfung von Ausweisungsentscheidungen Tatsachen berücksichtigt, die nach der abschließenden nationalen Entscheidung eingetreten sind, ergibt sich daraus keine entsprechende Verpflichtung für die nationalen Gerichte in einem Revisionsverfahren (vgl. Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi/Deutschland - EUGRZ 2012, 11 Rn. 60 f.). Nach nationalem Recht verbleibt die Möglichkeit, nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände zugunsten des Ausländers zu berücksichtigen, indem dieser eine Verkürzung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG beantragt (dazu unter 2.).

26

1.5 Besitzt der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (EuGH, Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 84; so bereits BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet. Zugunsten des Ausländers sind die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und seine schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 20).

27

Mit Blick auf diese Vorgaben ist die Ermessensausübung des Beklagten im Ausweisungsbescheid vom 4. Oktober 2006 nicht zu beanstanden. Der Beklagte geht von einem aus dem Assoziationsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 aus und misst die Rechtmäßigkeit der Ausweisung am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80. Er erkennt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung und beachtet deren gesetzliche Grenzen. In die Ermessensentscheidung sind alle relevanten Gesichtspunkte eingestellt worden. Die erfolgte Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Abwehr der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit im Fall der Fortsetzung des illegalen Drogenhandels gegen das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland ist rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Begründung des öffentlichen Interesses stützt sich der Beklagte ausschließlich auf Gefahren, die vom Kläger selbst ausgehen und nicht auf generalpräventive Gründe. Ausführungen, die der Beklagte schriftsätzlich im Berufungsverfahren zu Fragen der Generalprävention gemacht hat, sind nicht Bestandteil der behördlichen Ermessensentscheidung geworden. Denn für eine Ergänzung von Ermessensentscheidungen gelten nach der Rechtsprechung des Senats strenge Maßstäbe an Form und Handhabung, damit der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 1 C 14.10 - BVerwGE 141, 253 Rn. 18). Diese sind hier nicht erfüllt. Denn der Beklagte hat in seinen Schriftsätzen vom 12. Januar 2011, 16. März 2011 und 7. April 2011 jedenfalls nicht hinreichend deutlich getrennt zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt seiner Entscheidung betreffen, und Ausführungen, mit denen er lediglich als Prozesspartei seine Entscheidung verteidigt. Etwaige Zweifel und Unklarheiten über Inhalt und Umfang nachträglicher Ergänzungen gehen aber zulasten der Behörde (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 18). Die behördliche Entscheidung verstößt auch nicht gegen das Gebot der Aktualität der Ermessenserwägungen. Denn der Beklagte hat ausweislich seines Schriftsatzes vom 7. April 2011 die neue Entwicklung in den persönlichen Verhältnissen des Klägers erkannt und gewürdigt, insbesondere seine Haftentlassung, seine Heirat von Frau D. nach islamischem Ritus und die Betreuungsbedürftigkeit seiner Mutter. Er hat dies aber nicht zum Anlass für eine Ergänzung seiner Ermessensentscheidung genommen. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden, da die Änderungen in dem vorliegenden Fall (noch) kein solches Gewicht hatten, dass sie angesichts der Größe der vom Kläger weiterhin ausgehenden Gefahr einen Anlass für eine Ermessensergänzung gaben. Anders hätte sich die Lage dargestellt, wenn der Kläger im April 2011 bereits mit einer Deutschen verheiratet gewesen und mit ihr ein deutsches Kind gehabt hätte, wie das heute der Fall ist. Dann hätte die Änderung der persönlichen Verhältnisse des Klägers eine Qualität erreicht, die eine Ergänzung der Ermessensentscheidung erfordert hätte, ohne dass deshalb von einer Ausweisung hätte abgesehen werden müssen.

28

1.6 Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.> im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs. C-136/03, Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 4. Oktober 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr.

29

Es kann offenbleiben, ob sich für assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige die unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen nunmehr nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG (betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigte) oder nach Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (betreffend Unionsbürger) bestimmen. Denn in keiner dieser Vorschriften ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme vorgeschrieben. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 8. Dezember 2011 für die Auslegung von Art. 14 ARB 1/80 als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG herangezogen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 74 und 78 f.). Nach Absatz 4 dieser Vorschrift steht langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen. Noch nicht ausdrücklich entschieden wurde, ob die maßgebliche Vorschrift der Richtlinie 2004/38/EG für den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen (Art. 31) auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige entsprechend angewendet werden kann. Selbst wenn das geboten wäre, ergäbe sich daraus nicht die Verpflichtung zur Beteiligung einer unabhängigen Stelle, denn Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG sieht eine solche Beteiligung nicht vor. Vielmehr bestimmt Art. 31 Abs. 1, dass gegen Ausweisungsentscheidungen ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Im Rechtsbehelfsverfahren sind gemäß Art. 31 Abs. 3 die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Das Rechtsbehelfsverfahren gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf den in Art. 28 geregelten Schutz vor Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist (Art. 31 Abs. 3 Satz 2). Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG kompensiert den Wegfall der Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Verwaltungsverfahren, wie sie noch in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vorgeschrieben war, durch einen erhöhten Rechtsschutz im gerichtlichen Verfahren. Die angefochtene Entscheidung unterliegt nunmehr nicht nur einer Rechtskontrolle, sondern das Gericht hat auch die der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen zu überprüfen.

30

Nicht gefolgt werden kann der Auffassung, Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG sehe weiter die Beteiligung einer unabhängigen Stelle vor, was sich zum einen daraus ergebe, dass der Rechtsbehelf nach Art. 31 Abs. 1 "gegebenenfalls" auch bei einer Behörde eingelegt werden könne und sich die Überprüfung im Rechtsbehelfsverfahren gemäß Art. 31 Abs. 3 nicht nur auf Tatsachen, sondern auch auf "Umstände" zu beziehen habe. Denn der Verweis in Art. 31 Abs. 1 auf die Möglichkeit, einen Rechtsbehelf gegebenenfalls bei einer Behörde einzulegen (englische Fassung: "where appropriate"), bezieht sich erkennbar auf die Fälle, in denen das nationale Recht das so vorsieht, etwa wenn der gerichtlichen Überprüfung noch ein behördliches Widerspruchsverfahren vorgeschaltet ist. Eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Beteiligung einer zweiten Stelle im Verwaltungsverfahren ergibt sich daraus jedoch nicht. Entsprechendes gilt für die in Art. 31 Abs. 3 vorgeschriebene Überprüfung der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht. Aus dem Begriff der "Umstände" (englische Fassung: "circumstances") lässt sich eine Zweckmäßigkeitsprüfung - wie sie in Deutschland einer Behörde vorbehalten wäre - nicht ableiten. Die Formulierung ist vielmehr im Zusammenhang mit Art. 31 Abs. 3 Satz 2 zu sehen, der die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Entscheidung im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 vorschreibt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind alle "Umstände" zu berücksichtigen, die Art. 28 bezeichnet.

31

Bereits in seinem Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - hat der Senat ausgeführt (juris Rn. 23), dass assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige nach der Rechtsprechung des EuGH keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen können als Unionsbürger. Für Unionsbürger wurde die behördliche Kontrolle von Ausweisungsentscheidungen nach dem "Vier-Augen-Prinzip", wie sie Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG vorsah, abgeschafft. Dann steht aber auch den Inhabern eines aus dem ARB 1/80 abgeleiteten Aufenthaltsrechts kein solcher erweiterter behördlicher Rechtsschutz mehr zu.

32

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

33

Wie bereits im Urteil vom 10. Juli 2012 ausgeführt (a.a.O. Rn. 25), spricht gegen die Auffassung des Klägers bereits die Tatsache, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG oder Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG eine Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsrechtlich privilegierte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall.

34

Ohne Erfolg rügt der Kläger einen nationalen Verstoß gegen die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 durch das Entfallen des Widerspruchsverfahrens für Ausweisungsentscheidungen in Baden-Württemberg seit 1. Juli 1999. Zum einen stellte die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern - anders als Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - lediglich eine Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen betrifft der Wegfall des Widerspruchsverfahrens türkische Assoziationsberechtigte und Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP (vgl. Urteile vom 19. Februar 2009 - Rs. C-228/06, Soysal u.a. - InfAuslR 2009, 135 Rn. 61 zu Art. 41 ZP und vom 17. September 2009 - Rs. C-242/06, Sahin - Rn. 67 zu Art. 13 ARB 1/80). Demzufolge kann die generelle Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Baden-Württemberg nicht gegen Art. 13 ARB 1/80 verstoßen, da sie auch in Fällen der Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt von Unionsbürgern (§ 6 FreizügG/EU) gilt. Im Übrigen wäre die Aufrechterhaltung des Widerspruchsverfahrens nur für türkische Staatsangehörige nicht mit dem Besserstellungsverbot des Art. 59 ZP vereinbar.

35

2. Auf den Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von neun Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

36

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung hat (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 28). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung.

37

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

38

2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet. Das hat der Senat mit Urteil vom 10. Juli 2012 entschieden (a.a.O. Rn. 30 ff.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest; zur Begründung wird auf das vorgenannte Urteil verwiesen. Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 39 f.). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

39

2.2.2 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von neun Jahren für angemessen.

40

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Zunächst bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorliegen, geht der Senat davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung - insbesondere jüngerer Menschen - kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Leitet sich diese regelmäßige Höchstdauer für die Befristung von zehn Jahren aus dem Umstand ab, dass mit zunehmender Zeit die Fähigkeit zur Vorhersage zukünftiger persönlicher Entwicklungen abnimmt, bedeutet ihr Ablauf nicht, dass bei einem Fortbestehen des Ausweisungsgrundes oder der Verwirklichung neuer Ausweisungsgründe eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden müsste (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG).

41

Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen und ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie gegebenenfalls seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts vollumfänglich zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

42

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Bei der Bemessung der Frist hatte der Senat in einem ersten Schritt zu berücksichtigen, dass beim Kläger die Gefahr der Wiederholung schwerwiegender Drogenstraftaten besteht. Trotz seiner erfolgreichen Fortbildungsanstrengungen im Strafvollzug und in den Folgemonaten sowie erster Ansätze für eine erfolgreiche Integrationsprognose wäre wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr unter Berücksichtigung der fortbestehenden Verbindungen des Klägers zu einzelnen Mitgliedern seiner früheren Drogenbande sowie seines Alters eine Befristung für einen Zeitraum von zehn Jahren erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in seiner Person Rechnung zu tragen. Diese Frist hat der Senat um ein Jahr reduziert und damit den persönlichen Bindungen des Klägers an Deutschland als Land, in dem er geboren und aufgewachsen ist und in dem seine Familie lebt, Rechnung zu tragen. Zu den vom Senat berücksichtigten Bindungen zählen auch die an Frau D. und deren minderjährige Kinder, wobei die Lebensgemeinschaft allerdings zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung erst wenige Monate bestand und in Kenntnis der ergangenen Ausweisungsverfügung eingegangen worden war.

43

Der Senat hat bereits in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Verkürzung der Frist stellen kann. Bei der Bescheidung dieses Antrags sind von der Beklagten dann die Änderungen in den persönlichen Verhältnissen des Klägers zu berücksichtigen, die seit dem Berufungsurteil vom April 2011 eingetreten sind, insbesondere seine standesamtliche Eheschließung mit Frau D., die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit hat, sowie die Geburt einer gemeinsamen Tochter, die ebenfalls deutsche Staatsbürgerin ist. Weiter wird die Beklagte im Fall eines Verkürzungsantrags des Klägers zu prüfen haben, ob auch solche neuen Tatsachen vorliegen, aus denen sich eine Verminderung der Wiederholungsgefahr ableiten lässt.

44

3. Die Frage, ob die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offenbleiben (vgl. dazu Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 45). Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Abgabenangelegenheiten,
3a.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, wenn und soweit diese Hilfsprogramme eine Einbeziehung der Genannten als prüfende Dritte vorsehen,
4.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten,
7.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 als Bevollmächtigte zugelassen, jedoch nur in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen, einschließlich Prüfungsangelegenheiten. Die in Satz 5 genannten Bevollmächtigten müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Vor dem Oberverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Sätze 3, 5 und 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) Kammerrechtsbeistände stehen in den nachfolgenden Vorschriften einem Rechtsanwalt gleich:

1.
§ 79 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 1, § 88 Absatz 2, § 121 Absatz 2 bis 4, § 122 Absatz 1, den §§ 126, 130d und 133 Absatz 2, den §§ 135, 157 und 169 Absatz 2, den §§ 174, 195 und 317 Absatz 5 Satz 2, § 348 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 Buchstabe d, § 397 Absatz 2 und § 702 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung,
2.
§ 10 Absatz 2 Satz 1, § 11 Satz 4, § 13 Absatz 4, den §§ 14b und 78 Absatz 2 bis 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
3.
§ 11 Absatz 2 Satz 1 und § 46g des Arbeitsgerichtsgesetzes,
4.
den §§ 65d und 73 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 5 des Sozialgerichtsgesetzes, wenn nicht die Erlaubnis das Sozial- und Sozialversicherungsrecht ausschließt,
5.
den §§ 55d und 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung,
6.
den §§ 52d und 62 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung, wenn die Erlaubnis die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen umfasst.

(2) Registrierte Erlaubnisinhaber stehen im Sinn von § 79 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung, § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, § 11 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes, § 73 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes, § 67 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und § 62 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung einem Rechtsanwalt gleich, soweit ihnen die gerichtliche Vertretung oder das Auftreten in der Verhandlung

1.
nach dem Umfang ihrer bisherigen Erlaubnis,
2.
als Prozessagent durch Anordnung der Justizverwaltung nach § 157 Abs. 3 der Zivilprozessordnung in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung,
3.
durch eine für die Erteilung der Erlaubnis zum mündlichen Verhandeln vor den Sozialgerichten zuständige Stelle,
4.
nach § 67 der Verwaltungsgerichtsordnung in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung oder
5.
nach § 13 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung
gestattet war. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 bis 3 ist der Umfang der Befugnis zu registrieren und im Rechtsdienstleistungsregister bekanntzumachen.

(3) Das Gericht weist registrierte Erlaubnisinhaber, soweit sie nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 zur gerichtlichen Vertretung oder zum Auftreten in der Verhandlung befugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann registrierten Erlaubnisinhabern durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung oder das weitere Auftreten in der Verhandlung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.§ 335 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.