Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Urteil, 27. Aug. 2018 - 4 A 180/17

ECLI:ECLI:DE:VGSH:2018:0827.4A180.17.00
bei uns veröffentlicht am27.08.2018

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Heranziehung zur Entrichtung von Abwassergebühren.

2

Der Kläger wohnt unter der im Rubrum angegebenen Adresse.

3

Der Beklagte versandte unter dem 23. November 2016 ein als „Abrechnung Abwassergebühren“ bezeichnetes Schreiben, in welchem er Abwassergebühren für das Grundstück „         “ für den Zeitraum vom 1. Oktober 2015 bis zum 30. September 2016 in Höhe von 63,00 Euro abrechnete und „Neue Abschläge“ in Höhe von 25,00 Euro zu vier Terminen aufführte. Dieses Schreiben adressierte der Beklagte an „Frau            .,           ,      “. Der Name des Klägers findet in dem Schriftstück keine Erwähnung.

4

Mit Schreiben vom 9. Dezember 2016 erhob der Kläger gegen die vorgenannte Abrechnung von Abwassergebühren für das Grundstück „       ,      “ Widerspruch. Das Widerspruchsschreiben trägt im Briefkopf sowie unter dem Text ausschließlich den Namen des Klägers und ist auch ausschließlich von ihm eigenhändig unterschrieben.

5

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2017 als unbegründet zurück. Er adressierte den Widerspruchsbescheid an „Herrn      .,        ,        “. Inhaltlich erwiderte der Beklagte zu den im Widerspruch vorgebrachten Bedenken gegen die Steigerung der Abwassergebühren. Zusätzlich verteidigte der Beklagte den Beschluss der Gemeinde        über die Gebührenkalkulation Schmutzwasser 2017-2019 in formeller Hinsicht. Der Widerspruchsbescheid enthielt keinen über diese Punkte hinausgehenden Inhalt.

6

Der Kläger hat am 8. März 2017 Klage erhoben.

7

Die Klagschrift trägt ausschließlich den Namen „        “ im Kopf des Schriftsatzes sowie unter dem Text der Klage und ist ausschließlich von dem Kläger eigenhändig unterschrieben.            findet in der Klagschrift keine Erwähnung.

8

Zur Begründung der Klage verweist der Kläger auf die von den Eheleuten          im Parallelverfahren 4 A 173/17 vorgebrachte Begründung der Klage, die er sich ausdrücklich zu eigen macht. Die Klage enthält die Bitte, das Verfahren bis zur Entscheidung in dem Verfahren der Eheleute             ruhend zu stellen.

9

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

10

den gegen ihn erlassenen Abwassergebührenbescheid (bezeichnet als Abrechnung Abwassergebühren) vom 23. November 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. Februar 2017 aufzuheben.

11

Der Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Zur Begründung verweist er darauf, dass der angefochtene Bescheid formell und materiell rechtmäßig sei. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Klagerwiderung vom 11. Mai 2017 Bezug genommen.

14

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

15

I. Das Gericht kann trotz des Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da der mit Ladung vom 2. August 2018, zugestellt am 3. August 2018, geladene Kläger mit der Ladung auf die Möglichkeit dieses Vorgehens hingewiesen wurde (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).

16

II. Die Aussetzung oder das Ruhen des Verfahrens ist auf den Antrag des Klägers aus der Klagschrift nicht anzuordnen. Im vorliegenden Verfahren stellen sich spezielle Rechtsfragen zur Zulässigkeit der Klage, die im Verfahren der Eheleute         (4 A 173/17) nicht zu entscheiden sind. Das Verfahren 4 A 173/17 vermag in diesem Sinne schon keine für die hier zu beurteilende Klage vorgreiflichen Rechtsfragen zu beantworten. Darüber hinaus würde das Vorliegen von acht Parallelverfahren keine Veranlassung zur Anordnung der Aussetzung oder des Ruhens des Verfahrens bieten, da die bloße Identität der Rechtsfragen es noch nicht rechtfertigt, die Rechtsschutzgewährung im konkreten Fall aufzuschieben, bis über den Parallelfall entschieden ist (vgl. zur Thematik Schoch/Schneider/Bier/Rudisile VwGO § 94 Rn. 43, beck-online m.w.N.). Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umkehrschluss aus § 93a VwGO, der eine spezielle Vorschrift zur Aussetzung bei mehr als zwanzig Parallelverfahren enthält. Der Gesetzgeber hat durch diese Vorschrift zum Ausdruck gebracht, dass Parallelverfahren, welche die Voraussetzungen des § 93 VwGO nicht erfüllen, grundsätzlich nicht allein aufgrund der Gleichartigkeit der Rechtsfragen hinsichtlich einer bestimmten behördlichen Maßnahme auszusetzen oder ruhend zu stellen sind.

17

III. Die Klage ist bereits unzulässig.

18

Dem Kläger fehlt die gemäß § 42 Abs. 2 VwGO notwendige Klagebefugnis für die ausweislich der Klagschrift im eigenen Namen erhobene Klage. Er begehrt mit seiner Klage im Sinne des § 42 Abs. 1 Alternative 1 VwGO die Aufhebung eines Verwaltungsaktes (Anfechtungsklage). Eine derartige Klage ist nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Die Verletzung eigener Rechte muss hiernach auf Grundlage des Klagvorbringens zumindest möglich sein. Diese Möglichkeit ist auszuschließen, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Klägers verletzt sein können (OVG Schleswig, Urteil vom 09. November 2017 – 2 LB 22/13 –, Rn.86, juris m.V.a. BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2006 - 6 C 23.05 -, Rn. 15 m.w.N., juris).

19

Dies ist vorliegend der Fall. Der Kläger ist weder Adressat des Abwassergebührenbescheides vom 23. November 2011 noch sonst von dem angegriffenen Bescheid betroffen. Der Beklagte hat mit dem Bescheid Abwassergebühren für das in der Gemeinde A-Stadt gelegene Grundstück „         “ gegenüber             festgesetzt, die Adressatin dieses Bescheides ist. Der Kläger ist durch den streitbefangenen Bescheid demnach nicht belastet, da der Beklagte ihm gegenüber keine Regelung getroffen hat.

20

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Beklagte den Widerspruchsbescheid an den Kläger versandt hat.Es fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid den Gebührenschuldner auswechseln und nunmehr den Kläger statt Frau              zur Entrichtung der Gebühren heranziehen wollte. Es ist ebenfalls nicht erkennbar, dass der Kläger durch den Widerspruchsbescheid als zusätzlicher Gebührenschuldner herangezogen werden sollte.

21

Der Umstand, dass der Beklagte den Widerspruchsbescheid an den Kläger versandt hat, ist zur Überzeugung der Kammer allein in der Tatsache begründet, dass der Kläger den Widerspruch gegenüber dem Beklagten in eigenem Namen erhoben hat. Der Kläger ist dadurch aber nicht zum materiellen Adressaten des Bescheides geworden, der durch die hoheitliche Gebührenfestsetzung des Beklagten verpflichtet worden wäre (sog. Inhaltsadressat; vgl. näher hierzu VG München, Urteil vom 25. November 2015 – M 7 K 15.3411 –, Rn. 16, juris). Der Beklagte hat in der Begründung des Widerspruchsbescheides nämlich klar zum Ausdruck gebracht, dass er den Ausgangsbescheid für rechtmäßig erachtet und an diesem festhalten will. Dies hat denknotwendig zur Folge, dass (auch) der Widerspruchsbescheid nicht die Rechte des Klägers regelt, sondern lediglich die Gebührenfestsetzung gegenüber der              bestätigte. Der Kläger ist lediglich Adressat der Bekanntgabe dieser Widerspruchsentscheidung des Beklagten.

22

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 42


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist
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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

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(1) Ist die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme Gegenstand von mehr als zwanzig Verfahren, kann das Gericht eines oder mehrere geeignete Verfahren vorab durchführen (Musterverfahren) und die übrigen Verfahren aussetzen. Die Beteiligten sind vo

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Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 23.11.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2017 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Kläger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zur Entrichtung von Abwassergebühren.

2

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstückes A-Straße in A-Stadt.

3

Die amtsangehörige Gemeinde A-Stadt erließ für ihr Gemeindegebiet eine Satzung über die Abwasserbeseitigung vom 24. November 1997 (Abwasserbeseitigungssatzung) und eine dazugehörige Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung vom 24. November 1997 (Gebührensatzung).

4

Die Gebührensatzung sah in § 4 zunächst einen Gebührensatz von 1,40 Euro je cbm Abwasser vor. Diesem Gebührensatz lag eine Kalkulation aus dem Jahr 2004 zugrunde, in welcher die Kosten der Teichanlage A-Stadt für das Jahr 2004 und den sich daraus ergebenden Gebührensatz von 1,41 Euro kalkulierte sind. Der Finanzausschuss empfahl im Zusammenhang mit der Kalkulationserstellung eine Absenkung auf 1,40 Euro.

5

Mit 6. Änderungssatzung vom 28.09.2016 änderte die Gemeinde den Gebührensatz in § 4 der Gebührensatzung mit Wirkung zum 01.10.2016 dahingehend, dass sie nunmehr eine monatliche Grundgebühr i.H.v. 6,00 Euro pro Grundstück einführte und eine erhöhte Zusatzgebühr von 1,80 je cbm Schmutzwasser festschrieb. Dieser Änderung lag eine am 08.09.2016 erstellte Kalkulation zugrunde, die als „Schmutzwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt“ „Kalkulation 2017-2019“ überschrieben ist. Die Kalkulation weist Kosten und Erlöse aus, die nach den Jahren 2015 bis 2019 aufgegliedert sind. Sie weist zudem „Bestände zum 31.12. eines Jahres“ aus. Unter dem Punkt „2.“ enthält die Kalkulation den durch die Gemeinde A-Stadt umgesetzten Vorschlag zur „Gebührenerhöhung incl. Grundgebühr“, wobei in dieser Variante der Kalkulation eine „Gebühr je cbm Schmutzwasser ab 2017“ in Höhe von 1,80 Euro und die Einführung einer Grundgebühr „ab 2017“ vorgeschlagen werden.

6

Als Erhebungszeitraum sah § 7 Gebührensatzung zunächst das Kalenderjahr vor. Mit 7. Änderungssatzung vom 15.05.2017 änderte die Gemeinde A-Stadt § 7 der Gebührensatzung rückwirkend zum 01.10.2015 dahingehend, dass nunmehr die Zeit vom 01.10. eines Jahres bis zum 30.09. des Folgejahres den Erhebungszeitraum darstellt.

7

Die Gebührensatzung endet mit „§ 12 Ordnungswidrigkeiten“. Unter dieser Vorschrift findet sich kein weiterer Text.

8

Der Beklagte übersandte den Klägern am 23.11.2016 ein Schreiben, welches er als „Abrechnung Abwassergebühren für den Zeitraum 01.10.2015 bis 30.09.2016“ […] „für: A-Straße“ überschrieb. Unter „Abrechnung Kanal“ führte der Beklagte den „Abrechnungsbetrag“ i.H.v. 63,00 Euro auf. Das Schriftstück weist einen Verbrauch von 45 cbm aus, den der Beklagte mit der Gebühr i.H.v. 1,40 Euro multiplizierte und hieraus den Betrag von 63,00 Euro errechnete. Unter „Neue Abschläge Kanal“ wies der Beklagte eine „Abschlagsrate“ von 25,00 Euro aus, die er mit vier Terminen multiplizierte und auf diese Weise „Gesamtabschläge“ i.H.v. 100,00 Euro errechnete. Das Schriftstück enthält ferner den nachfolgenden Text: „Ab dem 01.10.2016 beträgt die monatliche Grundgebühr 6,00 €. Die Verbrauchsgebühr steigt von 1,40 € auf 1,80 € je m³ Schmutzwasser“.

9

Die Kläger wandten sich mit ihrem Widerspruch vom 30.11.2016 gegen dieses Schreiben und „vornehmlich gegen die für die nächste Gebührenperiode vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 festgesetzten Vorauszahlungen“. Die sich gegenüber der vorherigen Abrechnungsperiode ergebende Gebührensteigerung i.H.v. 243 % sei nicht nachvollziehbar. Die maßgebliche Kalkulation sei vorzulegen.

10

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2017 als unbegründet zurück. Er führte aus, dass die Gebührenerhöhung zum Ausgleich eines Gebührenfehlbetrages, aufgrund gestiegener Kosten der Schmutzwasserbeseitigung und notwendiger Reparaturen geboten sei. Dem Widerspruchsbescheid fügte er die vorgenannte Kalkulation aus dem Jahr 2016 bei. Der Widerspruchsbescheid enthielt zudem die Aussage, dass der Beklagte mit dem Schreiben vom 23.11.2016 unter anderem Vorausleistungen für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 festgesetzt habe.

11

Die Kläger haben am 07.03.2017 Klage erhoben.

12

Sie tragen zur Begründung unter anderem vor, dass das angegriffene Schreiben des Beklagten vom 23.11.2016 unverständlich sei. Die Abrechnung der Abwassergebühren erfülle nicht die Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes. Es komme nicht hinreichend zum Ausdruck, dass eine Entscheidung mit verbindlicher Rechtswirkung nach außen getroffen werden solle. Der Beklagte habe in dem Schreiben zudem vier Vorauszahlungen i.H.v. insgesamt 100,00 Euro vorgesehen. Dabei handele es sich ebenfalls nicht um eine Festsetzung im Sinne eines Verwaltungsaktes, sondern um eine bloße Mitteilung. Dem Bescheid sei der Vorauszahlungszeitraum nicht ausdrücklich zu entnehmen, erst im Widerspruchsbescheid sei eine Klarstellung über den Zeitraum der Vorauszahlungen vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 erfolgt. Es sei unverständlich, dass das Wort „Kanal“ unter dem Punkt „Neue Abschläge“ aufgeführt sei. Es bleibe völlig unklar, was hiermit gemeint sei.

13

Jedenfalls fehle es hinsichtlich der Festsetzung der Gebühren an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. Der angegriffene Bescheid und die ihm zugrundeliegende Satzungsregelung beruhten auf einer nicht ausreichenden Kalkulation. Die seitens des Beklagten vorgelegte Kalkulation umfasse den Zeitraum von 2017 bis 2019. Die Einführung einer Grundgebühr und die Erhöhung der Verbrauchsgebühr zum 01.10.2016 durch die Satzung zur 6. Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt vom 24. November 1997 sei deswegen rechtswidrig.

14

Die streitigen „Abschläge“ habe man gezahlt. Der Beklagte habe sodann mit Bescheid vom 27.11.2017 endgültig über die Abwassergebühren des Zeitraumes vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 abgerechnet und insoweit eine Gebührenschuld von 176,40 Euro ermittelt. Diesen Bescheid habe man mit Widerspruch und Klage (4 A 142/18) ebenfalls angegriffen.

15

Die Kläger beantragen,

16

den gegen sie erlassenen Abwassergebührenbescheid (bezeichnet als Abrechnung Abwassergebühren) vom 23.11.2016 mit der Steuer-Nr. xx / xxx xxx xx / xxx in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2017 aufzuheben und

17

hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid vom 23.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2017 rechtswidrig ist.

18

Der Beklagte beantragt,

19

die Klage abzuweisen.

20

Zur Begründung führt er insbesondere aus, dass der angefochtene Bescheid ein Verwaltungsakt sei. Es komme hinreichend zum Ausdruck, dass es sich um die Abrechnung für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 handele und zum anderen um Vorauszahlungen zu den im Bescheid benannten vier Terminen. Unklarheiten seien spätestens durch den Widerspruchsbescheid ausgeräumt. Die Formulierung der Zahlungsaufforderung als Bitte sei unschädlich.

21

Die hinsichtlich des Vorausleistungszeitraumes vorgelegte Kalkulation erstrecke sich auf den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2019. In der zunächst geltenden Gebührensatzung habe die Gemeinde A-Stadt demgegenüber zwar zunächst das Kalenderjahr als Erhebungszeitraum benannt. Die Gemeinde habe diese Regelung jedoch rückwirkend zum 01.10.2015 geändert und als Erhebungszeitraum nunmehr den 01.10 eines Jahres bis zum 30.09. des Folgejahres bestimmt.

22

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang im vorliegen-den Verfahren und in dem parallel verhandelten Verfahren 4 A 142/18 Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

23

I. Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alternative 1 VwGO zulässig.

24

1. Insbesondere ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart, wenn der Kläger die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes begehrt. Bei dem angegriffenen Schreiben vom 23.11.2016 handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Nach § 35 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere öffentlich-rechtliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Ob eine behördliche Äußerung als formlose Mitteilung bzw. Zahlungsaufforderung oder als Leistungsbescheid in Gestalt eines anfechtbaren Verwaltungsaktes zu qualifizieren ist, richtet sich nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt (BVerwG, Urt. v. 26.10.1978 – V C 52.77, BVerwGE 57, 26-31, Rn. 17 juris).

25

Zwar ist das Schreiben des Beklagten vom 23.11.2016 nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet. Aus dem Schriftstück wird aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers (§§ 133,157 BGB analog) gleichwohl noch hinreichend deutlich ersichtlich, dass der Beklagte gegenüber den Klägern hoheitliche Regelungen eines Einzelfalles mit Außenwirkung getroffen hat. Der Beklagte hat in dem streitbefangenen Bescheid einerseits die zu entrichtenden Abwassergebühren für die Gebührenperiode vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 in Höhe von 63,00 Euro festgesetzt. Dies ergibt sich aus der Kombination der Überschrift „Abrechnung Abwassergebühren“ und dem Zusatz „für den Abrechnungszeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016“ sowie der Angabe „Wasserbezug zum 30.09.16“ „45 cbm“ zu „1,40 EUR“ und der im Wege der Multiplikation errechneten Angabe des „Abrechnungsbetrages“ in Höhe von „63,00 Euro“. Der Beklagte hat den Klägern durch das Schreiben vom 23.11.2016 nicht lediglich formlos eine zu zahlende Summe mitgeteilt, sondern die von ihnen zu entrichtenden Gebühren anhand ihres tatsächlichen Verbrauchs errechnet. Dies ist als Festsetzung mit Regelungscharakter zu qualifizieren, da der Beklagte mittels des Bescheides eine Konkretisierung der von den Klägern geschuldeten Abwassergebühren für den streitbefangenen Erhebungszeitraum vorgenommen hat. Spätestens in dem streitbefangenen Widerspruchsbescheid hat der Beklagte nochmals klargestellt, dass er mit „dem Bescheid vom 23.11.2016 Abwassergebühren für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 abgerechnet“ hat.

26

Gleichzeitig hat der Beklagte mit dem Bescheid vom 23.11.2016 Vorausleistungen für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 in Höhe von vier Mal 25,00 Euro festgesetzt. Dies hat der Beklagte spätestens in dem Widerspruchsbescheid, in dessen Gestalt der Ausgangsbescheid zu beurteilen ist, nochmals eindeutig klargestellt. Dieser enthält die Aussage, dass der Beklagte mit dem Bescheid vom 23.11.2016 Vorauszahlungen für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 festgesetzt habe.

27

Die Kläger haben durch ihr Widerspruchsschreiben, in welchem sie das Schriftstück des Beklagten vom 23.11.2016 als „Abrechnungsbescheid“ bezeichnen und auf die in diesem erfolgte Abrechnung über die Gebührenperiode vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 sowie die Festsetzung von Vorauszahlungen für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 verweisen, zudem eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie die Schreiben des Beklagten selbst als Verwaltungsakt gedeutet haben.

28

2. Ferner steht den Klägern das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Es ist insbesondere nicht dadurch entfallen, dass der angegriffene Verwaltungsakt hinsichtlich des die Vorausleistungen festsetzenden Teils durch den Erlass des endgültigen Gebührenbescheides vom 27.11.2017, in welchem der Beklagte die Abwassergebühren für den vom Vorausleistungsbescheid betroffenen Zeitraum endgültig festsetzt hat, vollständig abgelöst und damit hinsichtlich seiner Regelungswirkung erledigt worden wäre.

29

Die Erledigung eines Verwaltungsaktes tritt ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2008 – 7 C 5.08, Rn. 13 juris und v. 17.11.1998 – 4 B 11.98, Rn. 9 juris). Das Rechtsschutzinteresse für eine Klage gegen einen Vorausleistungsbescheid entfällt in diesem Sinne, soweit dessen Regelung durch einen endgültigen Gebührenbescheid abgelöst und der Vorausleistungsbescheid insoweit erledigt wird (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 14.09.2017 – 2 LB 14/16, Rn. 30 juris).

30

Einem Vorausleistungsbescheid kommen in der Regel zwei rechtlich selbstständige Regelungen zu. Dies ist einerseits die – vorläufige – Festsetzung des vom Gebührenschuldner zu entrichtenden Betrages und andererseits ein an den Adressaten des Bescheides gerichtetes Leistungsgebot, d.h. die Aufforderung zur Zahlung des festgesetzten Betrages (VGH Mannheim, Urt. v. 12.10.2010 – 2 S 2555/09, Rn. 16 juris; BVerwG, Beschl. v. 19.12.1997 – 8 B 244/97, Rn. 9 juris). Beide Regelungsgegenstände sind bei der Beurteilung der Ablösungswirkung grundsätzlich in den Blick zu nehmen.

31

So liegt es auch hier. Der Bescheid vom 23.11.2016 enthält wie zuvor dargelegt Regelungen zur Festsetzung der zu entrichtenden Vorausleistungen auf die Abwassergebühren und den damit verbundenen Zahlungsbefehl über vier Mal 25,00 Euro.

32

a) Zwar ist das Leistungsgebot durch die Zahlung der Kläger auf die in dem Bescheid festgesetzten Vorauszahlungen erloschen (s. zur Erledigung des Leistungsgebotes durch Zahlung VGH Mannheim, Urt. v. 12.10.2010 – 2 S 2555/09, Rn. 16 juris). Der durch die Zahlung gegenstandslos gewordenen Zahlungsaufforderung kommt nämlich keine eigenständige, die Gebührenschuldner weiter belastende Regelungswirkung mehr zu (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 19.12.1997 – 8 B 244/97, Rn. 9 juris).

33

b) Die Festsetzung der geschuldeten Vorausleistungen ist durch den Erlass des endgültigen Gebührenbescheides vom 27.11.2017 jedoch nicht in seiner Regelungswirkung erledigt worden. Zwar rechnete der Beklagte mit diesem Bescheid die Abwassergebühren für denjenigen Zeitraum endgültig ab, für den die vorgenannten Vorauszahlungen zu entrichten waren. Er setzte insoweit eine Gebührenschuld von 176,40 Euro fest. Die bisherige vorläufige Regelung über die Festsetzung von Abwassergebühren i.H.v. von 100,00 Euro wurde damit grundsätzlich hinfällig. Mit dem Erlass des endgültigen Gebührenbescheides bringt der Beklagte zum Ausdruck, dass er vom Entstehen der Gebührenpflicht in der im Bescheid bezeichneten Höhe ausgeht und an der im Vorausleistungsbescheid lediglich prognostizierten Gebührenlast nicht länger festhalten will. Durch den endgültigen Bescheid hat er die Rechtslage mittels der finalen Konkretisierung der Gebührenlast neu gestaltet und einen dauerhaften Behaltensgrund für die entrichteten Zahlungen geschaffen.

34

Die Ablösungswirkung scheitert gleichwohl an der nicht eingetretenen Bestandskraft des endgültigen Heranziehungsbescheides vom 27.11.2017. Das erkennende Gericht hat diesen endgültigen Heranziehungsbescheid in dem parallel verhandelten Verfahren 4 A 142/18 mit Urteil vom 27.08.2018 aufgehoben. Die Frage, ob die einen Vorausleistungsbescheid ablösende Wirkung des endgültigen Abgabenbescheids von dessen Bestandskraft abhängt, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (bejahend OVG Schleswig, Urt. v. 14.04.2016 – 2 LB 1/16, Rn. 44 juris; überblicksartige Darstellung in VGH Mannheim, Urt. v. 12.10.2010 – 2 S 2555/09, Rn. 17 juris). Teilweise wird es für ausreichend erachtet, dass der endgültige Heranziehungsbescheid wirksam wird (siehe OVG Thüringen, Beschl. v. 29.06.2001 – 4 ZEO 917/97, juris; VGH Mannheim, Urt. v. 12.10.2010 – 2 S 2555/09, juris). Hiernach komme es nicht auf das Schicksal des endgültigen Bescheides an. Der Vorausleistungsbescheid lebe auch im Falle einer Aufhebung des endgültigen Heranziehungsbescheides durch das Gericht nicht wieder auf. Soweit auch der Bundesfinanzhof dieser Auffassung folgt (BFH, Vorlagebeschl. v. 23.06.1993 – X B 134/91, juris), liegt dieser Entscheidung die Auffassung zu Grunde, dass der Vorausleistungsbescheid und der Einkommenssteuerbescheid zueinander nicht im Verhältnis wie Erst- und Änderungsbescheid stehen, wie es jedoch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Gebührenrechts für zutreffend erachtet (BVerwG, Beschl. v. 19.12.1997 – 8 B 244/97, Rn. 8 juris).

35

Die Auffassung, nach der es ausschließlich auf die Wirksamkeit des endgültigen Heranziehungsbescheides ankomme, vermag die Kammer vor diesem Hintergrund nicht zu überzeugen. Im Falle der erfolgreichen Anfechtungsklage hebt das Gericht den angegriffenen Vorausleistungsbescheid regelmäßig mit Wirkung für die Vergangenheit (ex-tunc Wirkung) auf. Dies hat zur Folge, dass der Vorausleistungsbescheid gemäß § 112 Abs. 2 LVwG weiterhin wirksam ist. Nach dieser Norm bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Dieser gesetzlichen Regelung liefe es zuwider, wenn man die bloße Wirksamkeit des endgültigen Heranziehungsbescheides für den Eintritt der Ablösungswirkung ausreichen ließe. Im Falle der rückwirkenden Aufhebung des endgültigen Heranziehungsbescheides existiert nämlich aus rechtlicher Perspektive zu keiner Zeit eine endgültige Regelung über die konkrete Gebührenschuld, welche die vorläufige Regelung des Vorausleistungsbescheides abzulösen vermag. Das Schicksal des endgültigen Bescheides ist demnach für den Fortbestand der Regelungswirkung des Vorausleistungsbescheides gerade entscheidend, weswegen die ablösende Wirkung erst mit der Bestandskraft des endgültigen Heranziehungsbescheides eintritt.

36

Der Vorausleistungsbescheid erledigt sich in dieser Fallkonstellation auch nicht durch bloßen Zeitablauf, da dieser Bescheid die Gebührenschuld seinem Regelungsgehalt nach vorläufig regelt und zwar grundsätzlich bis zu einer endgültigen Festsetzung der Gebührenschuld.

37

Im konkret zu beurteilenden Fall hat das erkennende Gericht den endgültigen Heranziehungsbescheid vom 27.11.2017 in dem parallel verhandelten Verfahren 4 A 142/18 durch Urteil vom 27.08.2018 mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben. Der Vorausleistungsbescheid entfaltet daher nach den vorgenannten Maßstäben weiterhin die ihm innewohnende Regelungswirkung.

38

II. Die Klage ist auch begründet.

39

Der streitbefangene Bescheid vom 23.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2017 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

40

1. Der Gebührenbescheid findet, soweit in diesem Abwassergebühren für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 festgesetzt worden sind, in § 6 Abs. 1 KAG i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt (Gebührensatzung) vom 24. November 1997 in der Fassung der 5. Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt (a.F.) sowie der Satzung über die Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt (Abwasserbeseitigungssatzung) seine Rechtsgrundlage.

41

a) Die Kammer hat bereits hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Gebührensatzung erhebliche Bedenken. Die dem erkennenden Gericht seitens des Beklagten zur Verfügung gestellten Unterlagen enthalten – ebenso wie die im Internet abrufbaren Fassungen – keinerlei Informationen darüber, zu welchem Zeitpunkt die Satzung im Sinne des § 68 Satz 1 LVwG bekannt gemacht worden oder gem. § 69 LVwG in Kraft getreten ist. Die gemäß § 4 Abs. 2 GO erforderliche Ausfertigung der Satzung durch den Bürgermeister sowie das nach § 66 Abs. 1 Nummer 4 LVwG auszuweisende Ausfertigungsdatum werden aus den vorgelegten Unterlagen ebenfalls nicht ersichtlich. Lediglich die 7. Änderungssatzung enthält eine entsprechende Ausfertigung. Letztlich kann dieser Gesichtspunkt jedoch aus dem nachfolgenden Grund dahinstehen.

42

b) Die maßgebliche Gebührensatzung der Gemeinde A-Stadt leidet jedenfalls an einem materiellen Satzungsfehler.

43

Die Satzungsbestimmung des § 4 Gebührensatzung a.F. über den Gebührensatz i.H.v. 1,40 Euro je cbm Abwasser verstößt gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 KAG und damit gegen höherrangiges Recht. Hiernach sollen Benutzungsgebühren so bemessen werden, dass sie die erforderlichen Kosten der laufenden Verwaltung und Unterhaltung der öffentlichen Einrichtung decken. Die Kosten sind nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu ermitteln. Die erforderlichen Kosten sind in diesem Sinne regelmäßig im Rahmen einer (Voraus-)Kalkulation für eine Rechnungsperiode zu veranschlagen, um in einem weiteren Schritt unter Berücksichtigung der voraussichtlich in Anspruch genommenen Leistungseinheiten die Gebührenhöhe durch Satzung (§ 2 Abs. 1 KAG) festzulegen (OVG Schleswig Urt. v. 23.09.2009 – 2 LB 34/08, BeckRS 2010, 46355, beck-online).

44

Der Beklagte hat für den Erhebungszeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 keine Kalkulation erstellt und somit entgegen § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 KAG die erforderliche Ermittlung derjenigen Kosten unterlassen, die für den Erhebungszeitraum maßgeblich gewesen sind. Dem in § 4 Gebührensatzung a.F. festgeschriebenen Gebührensatz von 1,40 Euro liegt eine Gebührenkalkulation zugrunde, die aus dem Jahr 2004 datiert. Sie enthält keine Daten über die (voraussichtlichen) Kosten des streitgegenständlichen Erhebungszeitraumes. Die Kalkulation berücksichtigt vielmehr ausschließlich Kosten der Abwasserbeseitigung des Jahres 2004.

45

Der in § 4 Gebührensatzung a.F. geregelte Gebührensatz i.H.v. 1,40 Euro ist wegen des Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam. Wird der Gebührensatz ohne Berücksichtigung der zu stellenden Anforderungen bestimmt, so ist er unabhängig davon ungültig, ob sich durch im Nachgang erstellte Berechnung nachweisen lässt, dass der in der Satzung bestimmte Gebührensatz – gleichsam zufällig - nicht aufwandsüberschreitend ist (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 23.08.2000 – 2 L 226/98 –, Rn. 51, juris). Die Gebührenschuldner sind im Rahmen des § 2 Abs. 1 KAG nicht allein vor einer den gebührenfähigen Aufwand überschreitenden Abgabenerhebung geschützt, sondern auch davor, dass die auf sie im Einzelfall entfallende Gebührenlast in rechtswidriger Weise ermittelt worden ist (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 23.08.2000 – 2 L 226/98 –, Rn. 49, juris).

46

2. Soweit in dem streitbefangenen Bescheid Vorausleistungen auf Abwassergebühren für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2016 festgesetzt worden sind, findet der Gebührenbescheid in § 6 Abs. 1 KAG i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt (Gebührensatzung) vom 24. November 1997 in der Fassung der 6. Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt vom 28. September 2016 sowie der Satzung über die Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt (Abwasserbeseitigungssatzung) seine Rechtsgrundlage.

47

§ 4 der Gebührensatzung i.d.F. der Satzung zur 6. Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt vom 24.11.1997 widerspricht ebenfalls höherrangigem Recht. Die Satzungsbestimmung verstößt in Verbindung mit der ihr zugrundeliegenden Kalkulation gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der Periodengerechtigkeit.

48

Die satzungsrechtlichen Vorschriften zu zeitraumbezogenen Benutzungsgebühren müssen sicherstellen, dass sich Erhebungszeitraum und Kalkulationszeitraum decken, um zu gewährleisten, dass die Gebührenschuldner nur mit denjenigen Kosten belastet werden, die auf die betreffende Erhebungsperiode entfallen (vgl. OVG Frankfurt (Oder), Urt. v. 22.08.2002 – 2 D 10/02.NE, 3. Leitsatz, LKV 2003, 278; vgl. auch Bayerischer VGH, Urt. v. 17.08.2017 – 4 N 15.1685 –, Rn. 28, juris und OVG Schleswig, Urt. v. 23.09.2009 – 2 LB 34/08, Rn. 60 juris). Dieser gebührenrechtliche Grundsatz der Periodengerechtigkeit wird zum Teil als zeitliche Ausprägung des Äquivalenzprinzipes betrachtet, bzw. aus dem Prinzip der Leistungsproportionalität oder speziellen Entgeltlichkeit hergeleitet (siehe Habermann, Kommunalabgabengesetz des Landes Schleswig-Holstein, 1/2018, § 6 Rn. 190 m.w.N.). Er lässt sich zudem aus dem Kostenbegriff des § 6 Abs. 2 Satz 2 KAG herleiten (Habermann, a.a.O., § 6 Rn. 190). Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG wird für die durch Benutzungsgebühren abzudeckenden Kosten auf die erforderlichen Kosten der laufenden Verwaltung und Unterhaltung der öffentlichen Einrichtung abgestellt. Kosten in diesem Sinne sind nach § 6 Abs. 2 Satz 2 KAG nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu ermitteln. Diese Grundsätze verlangen, dass für – wie hier – zeitraumbezogene Leistungen nur diejenigen Kosten umgelegt werden dürfen, die auf die maßgebliche Periode entfallen, für welche die Gebühr erhoben wird. Dieser Grundsatz wird zwar durch § 6 Abs. 2 Satz 8 KAG modifiziert, wonach ungeachtet eines kürzeren Erhebungszeitraumes eine Kalkulation des Gebührensatzes für maximal drei Jahre ermöglicht wird. Für auf ein Jahr bezogene Erhebungszeiträume bedeutet eine Dreijahreskalkulation etwa, dass der Satzungsgeber eine „Mischkalkulation“ der Kosten von drei Erhebungsperioden aufstellen kann und mithin die in einer dieser Erhebungsperioden umgelegten Kosten nicht mehr zwingend den Kosten dieser Erhebungsperiode, sondern nur dem für drei Jahre ermittelten Jahreskostendurchschnitt entsprechen müssen (vgl. VG Potsdam, Urt. v. 25.05.2016 – 9 K 2234/13, BeckRS 2016, 47463, beck-online). § 6 Abs. 2 Satz 8 KAG ermöglicht aber nicht die Durchschnittsbildung unter Einbeziehung von Kosten, die außerhalb von drei jährlichen Erhebungszeiträumen liegen.

49

Den vorgenannten Maßgaben genügt der in § 4 der Gebührensatzung geregelte Gebührensatz nicht.

50

Der mit der 6. Änderungssatzung in § 4 festgelegte Gebührensatz ist von der Gemeinde A-Stadt auf Basis einer Gebührenkalkulation vom 08.09.2016 ermittelt worden. Die Kalkulation erfasst zur Überzeugung der Kammer den Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2019. Dem Beklagten ist in seinem Vortrag, dass die Kalkulation den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2019 erfasse, nicht zu folgen. Gegen dieses Verständnis der Kalkulation spricht, dass dieser Zeitraum in keiner Weise aus der Kalkulation ersichtlich wird. Die Kalkulation wird vielmehr eindeutig als „Kalkulation 2017-2019“ bezeichnet. Bestände sind ebenfalls zum „31.12. eines Jahres“ ausgewiesen. Darüber hinaus sind erhöhte Gebühreneinnahmen nach einer neu einzuführenden Grundgebühr und der erhöhten Verbrauchsgebühr jeweils „ab 2017“ ausgewiesen und in der Kalkulation entsprechend ab dem Jahr 2017 auf der Erlösseite berücksichtigt. Die Kalkulation bezieht sich demnach offensichtlich auf die benannten Kalenderjahre. Hierfür spricht auch, dass die Gebührensatzung zum Zeitpunkt der Kalkulationserstellung (08.09.2016) das Kalenderjahr als Erhebungszeitraum vorgesehen hat. Die Gemeinde A-Stadt hat den Erhebungszeitraum erst nach Kalkulationserstellung durch die Satzung zur 7. Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung vom 15.05.2015 in § 7 Abs. 1 dahingehend geändert, dass rückwirkend seit dem 01.10.2015 der 01.10 eines Jahres bis zum 30.09. eines Folgejahres das Abrechnungsjahr darstellt.

51

Die Kalkulation berücksichtigt demnach die voraussichtlichen Kosten des Zeitraumes vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2019. Die Gebührenschuldner werden durch den in § 4 der Gebührensatzung (i.d.F. der 6. Änderungssatzung) niedergeschriebenen Gebührensatz schon ab dem 01.10.2016 mit den voraussichtlichen Kosten des gesamten Zeitraumes der Jahre 2017 bis 2019 und daher auch mit denjenigen periodenfremden Kosten, die für den Zeitraum vom 01.10. bis zum 31.12.2019 kalkuliert sind, belastet. Diese Kosten sind nicht Bestandteil des zulässigen dreijährigen Kalkulationszeitraumes i.S.v. § 6 Abs. 2 Satz 8 KAG und der sich daraus ergebenden längstens zulässigen Kalkulationsperiode vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2019.

52

Der in § 4 Gebührensatzung geregelte Gebührensatz über die monatliche Grundgebühr von 6,00 Euro je Grundstück und 1,80 Euro je cbm Schmutzwasser ist wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Periodengerechtigkeit nach den oben genannten Grundsätzen unwirksam.

53

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 23.11.2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2017 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Kläger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zur Entrichtung von Abwassergebühren.

2

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstückes A-Straße in A-Stadt.

3

Die amtsangehörige Gemeinde A-Stadt erließ für ihr Gemeindegebiet eine Satzung über die Abwasserbeseitigung vom 24. November 1997 (Abwasserbeseitigungssatzung) und eine dazugehörige Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung vom 24. November 1997 (Gebührensatzung).

4

Die Gebührensatzung sah in § 4 zunächst einen Gebührensatz von 1,40 Euro je cbm Abwasser vor. Diesem Gebührensatz lag eine Kalkulation aus dem Jahr 2004 zugrunde, in welcher die Kosten der Teichanlage A-Stadt für das Jahr 2004 und den sich daraus ergebenden Gebührensatz von 1,41 Euro kalkulierte sind. Der Finanzausschuss empfahl im Zusammenhang mit der Kalkulationserstellung eine Absenkung auf 1,40 Euro.

5

Mit 6. Änderungssatzung vom 28.09.2016 änderte die Gemeinde den Gebührensatz in § 4 der Gebührensatzung mit Wirkung zum 01.10.2016 dahingehend, dass sie nunmehr eine monatliche Grundgebühr i.H.v. 6,00 Euro pro Grundstück einführte und eine erhöhte Zusatzgebühr von 1,80 je cbm Schmutzwasser festschrieb. Dieser Änderung lag eine am 08.09.2016 erstellte Kalkulation zugrunde, die als „Schmutzwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt“ „Kalkulation 2017-2019“ überschrieben ist. Die Kalkulation weist Kosten und Erlöse aus, die nach den Jahren 2015 bis 2019 aufgegliedert sind. Sie weist zudem „Bestände zum 31.12. eines Jahres“ aus. Unter dem Punkt „2.“ enthält die Kalkulation den durch die Gemeinde A-Stadt umgesetzten Vorschlag zur „Gebührenerhöhung incl. Grundgebühr“, wobei in dieser Variante der Kalkulation eine „Gebühr je cbm Schmutzwasser ab 2017“ in Höhe von 1,80 Euro und die Einführung einer Grundgebühr „ab 2017“ vorgeschlagen werden.

6

Als Erhebungszeitraum sah § 7 Gebührensatzung zunächst das Kalenderjahr vor. Mit 7. Änderungssatzung vom 15.05.2017 änderte die Gemeinde A-Stadt § 7 der Gebührensatzung rückwirkend zum 01.10.2015 dahingehend, dass nunmehr die Zeit vom 01.10. eines Jahres bis zum 30.09. des Folgejahres den Erhebungszeitraum darstellt.

7

Die Gebührensatzung endet mit „§ 12 Ordnungswidrigkeiten“. Unter dieser Vorschrift findet sich kein weiterer Text.

8

Der Beklagte übersandte den Klägern am 23.11.2016 ein Schreiben, welches er als „Abrechnung Abwassergebühren für den Zeitraum 01.10.2015 bis 30.09.2016“ […] „für: A-Straße“ überschrieb. Unter „Abrechnung Kanal“ führte der Beklagte den „Abrechnungsbetrag“ i.H.v. 63,00 Euro auf. Das Schriftstück weist einen Verbrauch von 45 cbm aus, den der Beklagte mit der Gebühr i.H.v. 1,40 Euro multiplizierte und hieraus den Betrag von 63,00 Euro errechnete. Unter „Neue Abschläge Kanal“ wies der Beklagte eine „Abschlagsrate“ von 25,00 Euro aus, die er mit vier Terminen multiplizierte und auf diese Weise „Gesamtabschläge“ i.H.v. 100,00 Euro errechnete. Das Schriftstück enthält ferner den nachfolgenden Text: „Ab dem 01.10.2016 beträgt die monatliche Grundgebühr 6,00 €. Die Verbrauchsgebühr steigt von 1,40 € auf 1,80 € je m³ Schmutzwasser“.

9

Die Kläger wandten sich mit ihrem Widerspruch vom 30.11.2016 gegen dieses Schreiben und „vornehmlich gegen die für die nächste Gebührenperiode vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 festgesetzten Vorauszahlungen“. Die sich gegenüber der vorherigen Abrechnungsperiode ergebende Gebührensteigerung i.H.v. 243 % sei nicht nachvollziehbar. Die maßgebliche Kalkulation sei vorzulegen.

10

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2017 als unbegründet zurück. Er führte aus, dass die Gebührenerhöhung zum Ausgleich eines Gebührenfehlbetrages, aufgrund gestiegener Kosten der Schmutzwasserbeseitigung und notwendiger Reparaturen geboten sei. Dem Widerspruchsbescheid fügte er die vorgenannte Kalkulation aus dem Jahr 2016 bei. Der Widerspruchsbescheid enthielt zudem die Aussage, dass der Beklagte mit dem Schreiben vom 23.11.2016 unter anderem Vorausleistungen für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 festgesetzt habe.

11

Die Kläger haben am 07.03.2017 Klage erhoben.

12

Sie tragen zur Begründung unter anderem vor, dass das angegriffene Schreiben des Beklagten vom 23.11.2016 unverständlich sei. Die Abrechnung der Abwassergebühren erfülle nicht die Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes. Es komme nicht hinreichend zum Ausdruck, dass eine Entscheidung mit verbindlicher Rechtswirkung nach außen getroffen werden solle. Der Beklagte habe in dem Schreiben zudem vier Vorauszahlungen i.H.v. insgesamt 100,00 Euro vorgesehen. Dabei handele es sich ebenfalls nicht um eine Festsetzung im Sinne eines Verwaltungsaktes, sondern um eine bloße Mitteilung. Dem Bescheid sei der Vorauszahlungszeitraum nicht ausdrücklich zu entnehmen, erst im Widerspruchsbescheid sei eine Klarstellung über den Zeitraum der Vorauszahlungen vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 erfolgt. Es sei unverständlich, dass das Wort „Kanal“ unter dem Punkt „Neue Abschläge“ aufgeführt sei. Es bleibe völlig unklar, was hiermit gemeint sei.

13

Jedenfalls fehle es hinsichtlich der Festsetzung der Gebühren an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. Der angegriffene Bescheid und die ihm zugrundeliegende Satzungsregelung beruhten auf einer nicht ausreichenden Kalkulation. Die seitens des Beklagten vorgelegte Kalkulation umfasse den Zeitraum von 2017 bis 2019. Die Einführung einer Grundgebühr und die Erhöhung der Verbrauchsgebühr zum 01.10.2016 durch die Satzung zur 6. Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt vom 24. November 1997 sei deswegen rechtswidrig.

14

Die streitigen „Abschläge“ habe man gezahlt. Der Beklagte habe sodann mit Bescheid vom 27.11.2017 endgültig über die Abwassergebühren des Zeitraumes vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 abgerechnet und insoweit eine Gebührenschuld von 176,40 Euro ermittelt. Diesen Bescheid habe man mit Widerspruch und Klage (4 A 142/18) ebenfalls angegriffen.

15

Die Kläger beantragen,

16

den gegen sie erlassenen Abwassergebührenbescheid (bezeichnet als Abrechnung Abwassergebühren) vom 23.11.2016 mit der Steuer-Nr. xx / xxx xxx xx / xxx in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2017 aufzuheben und

17

hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid vom 23.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2017 rechtswidrig ist.

18

Der Beklagte beantragt,

19

die Klage abzuweisen.

20

Zur Begründung führt er insbesondere aus, dass der angefochtene Bescheid ein Verwaltungsakt sei. Es komme hinreichend zum Ausdruck, dass es sich um die Abrechnung für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 handele und zum anderen um Vorauszahlungen zu den im Bescheid benannten vier Terminen. Unklarheiten seien spätestens durch den Widerspruchsbescheid ausgeräumt. Die Formulierung der Zahlungsaufforderung als Bitte sei unschädlich.

21

Die hinsichtlich des Vorausleistungszeitraumes vorgelegte Kalkulation erstrecke sich auf den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2019. In der zunächst geltenden Gebührensatzung habe die Gemeinde A-Stadt demgegenüber zwar zunächst das Kalenderjahr als Erhebungszeitraum benannt. Die Gemeinde habe diese Regelung jedoch rückwirkend zum 01.10.2015 geändert und als Erhebungszeitraum nunmehr den 01.10 eines Jahres bis zum 30.09. des Folgejahres bestimmt.

22

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang im vorliegen-den Verfahren und in dem parallel verhandelten Verfahren 4 A 142/18 Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

23

I. Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alternative 1 VwGO zulässig.

24

1. Insbesondere ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart, wenn der Kläger die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes begehrt. Bei dem angegriffenen Schreiben vom 23.11.2016 handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Nach § 35 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere öffentlich-rechtliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Ob eine behördliche Äußerung als formlose Mitteilung bzw. Zahlungsaufforderung oder als Leistungsbescheid in Gestalt eines anfechtbaren Verwaltungsaktes zu qualifizieren ist, richtet sich nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt (BVerwG, Urt. v. 26.10.1978 – V C 52.77, BVerwGE 57, 26-31, Rn. 17 juris).

25

Zwar ist das Schreiben des Beklagten vom 23.11.2016 nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet. Aus dem Schriftstück wird aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers (§§ 133,157 BGB analog) gleichwohl noch hinreichend deutlich ersichtlich, dass der Beklagte gegenüber den Klägern hoheitliche Regelungen eines Einzelfalles mit Außenwirkung getroffen hat. Der Beklagte hat in dem streitbefangenen Bescheid einerseits die zu entrichtenden Abwassergebühren für die Gebührenperiode vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 in Höhe von 63,00 Euro festgesetzt. Dies ergibt sich aus der Kombination der Überschrift „Abrechnung Abwassergebühren“ und dem Zusatz „für den Abrechnungszeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016“ sowie der Angabe „Wasserbezug zum 30.09.16“ „45 cbm“ zu „1,40 EUR“ und der im Wege der Multiplikation errechneten Angabe des „Abrechnungsbetrages“ in Höhe von „63,00 Euro“. Der Beklagte hat den Klägern durch das Schreiben vom 23.11.2016 nicht lediglich formlos eine zu zahlende Summe mitgeteilt, sondern die von ihnen zu entrichtenden Gebühren anhand ihres tatsächlichen Verbrauchs errechnet. Dies ist als Festsetzung mit Regelungscharakter zu qualifizieren, da der Beklagte mittels des Bescheides eine Konkretisierung der von den Klägern geschuldeten Abwassergebühren für den streitbefangenen Erhebungszeitraum vorgenommen hat. Spätestens in dem streitbefangenen Widerspruchsbescheid hat der Beklagte nochmals klargestellt, dass er mit „dem Bescheid vom 23.11.2016 Abwassergebühren für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 abgerechnet“ hat.

26

Gleichzeitig hat der Beklagte mit dem Bescheid vom 23.11.2016 Vorausleistungen für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 in Höhe von vier Mal 25,00 Euro festgesetzt. Dies hat der Beklagte spätestens in dem Widerspruchsbescheid, in dessen Gestalt der Ausgangsbescheid zu beurteilen ist, nochmals eindeutig klargestellt. Dieser enthält die Aussage, dass der Beklagte mit dem Bescheid vom 23.11.2016 Vorauszahlungen für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 festgesetzt habe.

27

Die Kläger haben durch ihr Widerspruchsschreiben, in welchem sie das Schriftstück des Beklagten vom 23.11.2016 als „Abrechnungsbescheid“ bezeichnen und auf die in diesem erfolgte Abrechnung über die Gebührenperiode vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 sowie die Festsetzung von Vorauszahlungen für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2017 verweisen, zudem eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie die Schreiben des Beklagten selbst als Verwaltungsakt gedeutet haben.

28

2. Ferner steht den Klägern das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Es ist insbesondere nicht dadurch entfallen, dass der angegriffene Verwaltungsakt hinsichtlich des die Vorausleistungen festsetzenden Teils durch den Erlass des endgültigen Gebührenbescheides vom 27.11.2017, in welchem der Beklagte die Abwassergebühren für den vom Vorausleistungsbescheid betroffenen Zeitraum endgültig festsetzt hat, vollständig abgelöst und damit hinsichtlich seiner Regelungswirkung erledigt worden wäre.

29

Die Erledigung eines Verwaltungsaktes tritt ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2008 – 7 C 5.08, Rn. 13 juris und v. 17.11.1998 – 4 B 11.98, Rn. 9 juris). Das Rechtsschutzinteresse für eine Klage gegen einen Vorausleistungsbescheid entfällt in diesem Sinne, soweit dessen Regelung durch einen endgültigen Gebührenbescheid abgelöst und der Vorausleistungsbescheid insoweit erledigt wird (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 14.09.2017 – 2 LB 14/16, Rn. 30 juris).

30

Einem Vorausleistungsbescheid kommen in der Regel zwei rechtlich selbstständige Regelungen zu. Dies ist einerseits die – vorläufige – Festsetzung des vom Gebührenschuldner zu entrichtenden Betrages und andererseits ein an den Adressaten des Bescheides gerichtetes Leistungsgebot, d.h. die Aufforderung zur Zahlung des festgesetzten Betrages (VGH Mannheim, Urt. v. 12.10.2010 – 2 S 2555/09, Rn. 16 juris; BVerwG, Beschl. v. 19.12.1997 – 8 B 244/97, Rn. 9 juris). Beide Regelungsgegenstände sind bei der Beurteilung der Ablösungswirkung grundsätzlich in den Blick zu nehmen.

31

So liegt es auch hier. Der Bescheid vom 23.11.2016 enthält wie zuvor dargelegt Regelungen zur Festsetzung der zu entrichtenden Vorausleistungen auf die Abwassergebühren und den damit verbundenen Zahlungsbefehl über vier Mal 25,00 Euro.

32

a) Zwar ist das Leistungsgebot durch die Zahlung der Kläger auf die in dem Bescheid festgesetzten Vorauszahlungen erloschen (s. zur Erledigung des Leistungsgebotes durch Zahlung VGH Mannheim, Urt. v. 12.10.2010 – 2 S 2555/09, Rn. 16 juris). Der durch die Zahlung gegenstandslos gewordenen Zahlungsaufforderung kommt nämlich keine eigenständige, die Gebührenschuldner weiter belastende Regelungswirkung mehr zu (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 19.12.1997 – 8 B 244/97, Rn. 9 juris).

33

b) Die Festsetzung der geschuldeten Vorausleistungen ist durch den Erlass des endgültigen Gebührenbescheides vom 27.11.2017 jedoch nicht in seiner Regelungswirkung erledigt worden. Zwar rechnete der Beklagte mit diesem Bescheid die Abwassergebühren für denjenigen Zeitraum endgültig ab, für den die vorgenannten Vorauszahlungen zu entrichten waren. Er setzte insoweit eine Gebührenschuld von 176,40 Euro fest. Die bisherige vorläufige Regelung über die Festsetzung von Abwassergebühren i.H.v. von 100,00 Euro wurde damit grundsätzlich hinfällig. Mit dem Erlass des endgültigen Gebührenbescheides bringt der Beklagte zum Ausdruck, dass er vom Entstehen der Gebührenpflicht in der im Bescheid bezeichneten Höhe ausgeht und an der im Vorausleistungsbescheid lediglich prognostizierten Gebührenlast nicht länger festhalten will. Durch den endgültigen Bescheid hat er die Rechtslage mittels der finalen Konkretisierung der Gebührenlast neu gestaltet und einen dauerhaften Behaltensgrund für die entrichteten Zahlungen geschaffen.

34

Die Ablösungswirkung scheitert gleichwohl an der nicht eingetretenen Bestandskraft des endgültigen Heranziehungsbescheides vom 27.11.2017. Das erkennende Gericht hat diesen endgültigen Heranziehungsbescheid in dem parallel verhandelten Verfahren 4 A 142/18 mit Urteil vom 27.08.2018 aufgehoben. Die Frage, ob die einen Vorausleistungsbescheid ablösende Wirkung des endgültigen Abgabenbescheids von dessen Bestandskraft abhängt, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (bejahend OVG Schleswig, Urt. v. 14.04.2016 – 2 LB 1/16, Rn. 44 juris; überblicksartige Darstellung in VGH Mannheim, Urt. v. 12.10.2010 – 2 S 2555/09, Rn. 17 juris). Teilweise wird es für ausreichend erachtet, dass der endgültige Heranziehungsbescheid wirksam wird (siehe OVG Thüringen, Beschl. v. 29.06.2001 – 4 ZEO 917/97, juris; VGH Mannheim, Urt. v. 12.10.2010 – 2 S 2555/09, juris). Hiernach komme es nicht auf das Schicksal des endgültigen Bescheides an. Der Vorausleistungsbescheid lebe auch im Falle einer Aufhebung des endgültigen Heranziehungsbescheides durch das Gericht nicht wieder auf. Soweit auch der Bundesfinanzhof dieser Auffassung folgt (BFH, Vorlagebeschl. v. 23.06.1993 – X B 134/91, juris), liegt dieser Entscheidung die Auffassung zu Grunde, dass der Vorausleistungsbescheid und der Einkommenssteuerbescheid zueinander nicht im Verhältnis wie Erst- und Änderungsbescheid stehen, wie es jedoch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Gebührenrechts für zutreffend erachtet (BVerwG, Beschl. v. 19.12.1997 – 8 B 244/97, Rn. 8 juris).

35

Die Auffassung, nach der es ausschließlich auf die Wirksamkeit des endgültigen Heranziehungsbescheides ankomme, vermag die Kammer vor diesem Hintergrund nicht zu überzeugen. Im Falle der erfolgreichen Anfechtungsklage hebt das Gericht den angegriffenen Vorausleistungsbescheid regelmäßig mit Wirkung für die Vergangenheit (ex-tunc Wirkung) auf. Dies hat zur Folge, dass der Vorausleistungsbescheid gemäß § 112 Abs. 2 LVwG weiterhin wirksam ist. Nach dieser Norm bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Dieser gesetzlichen Regelung liefe es zuwider, wenn man die bloße Wirksamkeit des endgültigen Heranziehungsbescheides für den Eintritt der Ablösungswirkung ausreichen ließe. Im Falle der rückwirkenden Aufhebung des endgültigen Heranziehungsbescheides existiert nämlich aus rechtlicher Perspektive zu keiner Zeit eine endgültige Regelung über die konkrete Gebührenschuld, welche die vorläufige Regelung des Vorausleistungsbescheides abzulösen vermag. Das Schicksal des endgültigen Bescheides ist demnach für den Fortbestand der Regelungswirkung des Vorausleistungsbescheides gerade entscheidend, weswegen die ablösende Wirkung erst mit der Bestandskraft des endgültigen Heranziehungsbescheides eintritt.

36

Der Vorausleistungsbescheid erledigt sich in dieser Fallkonstellation auch nicht durch bloßen Zeitablauf, da dieser Bescheid die Gebührenschuld seinem Regelungsgehalt nach vorläufig regelt und zwar grundsätzlich bis zu einer endgültigen Festsetzung der Gebührenschuld.

37

Im konkret zu beurteilenden Fall hat das erkennende Gericht den endgültigen Heranziehungsbescheid vom 27.11.2017 in dem parallel verhandelten Verfahren 4 A 142/18 durch Urteil vom 27.08.2018 mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben. Der Vorausleistungsbescheid entfaltet daher nach den vorgenannten Maßstäben weiterhin die ihm innewohnende Regelungswirkung.

38

II. Die Klage ist auch begründet.

39

Der streitbefangene Bescheid vom 23.11.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2017 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

40

1. Der Gebührenbescheid findet, soweit in diesem Abwassergebühren für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 festgesetzt worden sind, in § 6 Abs. 1 KAG i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt (Gebührensatzung) vom 24. November 1997 in der Fassung der 5. Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt (a.F.) sowie der Satzung über die Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt (Abwasserbeseitigungssatzung) seine Rechtsgrundlage.

41

a) Die Kammer hat bereits hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Gebührensatzung erhebliche Bedenken. Die dem erkennenden Gericht seitens des Beklagten zur Verfügung gestellten Unterlagen enthalten – ebenso wie die im Internet abrufbaren Fassungen – keinerlei Informationen darüber, zu welchem Zeitpunkt die Satzung im Sinne des § 68 Satz 1 LVwG bekannt gemacht worden oder gem. § 69 LVwG in Kraft getreten ist. Die gemäß § 4 Abs. 2 GO erforderliche Ausfertigung der Satzung durch den Bürgermeister sowie das nach § 66 Abs. 1 Nummer 4 LVwG auszuweisende Ausfertigungsdatum werden aus den vorgelegten Unterlagen ebenfalls nicht ersichtlich. Lediglich die 7. Änderungssatzung enthält eine entsprechende Ausfertigung. Letztlich kann dieser Gesichtspunkt jedoch aus dem nachfolgenden Grund dahinstehen.

42

b) Die maßgebliche Gebührensatzung der Gemeinde A-Stadt leidet jedenfalls an einem materiellen Satzungsfehler.

43

Die Satzungsbestimmung des § 4 Gebührensatzung a.F. über den Gebührensatz i.H.v. 1,40 Euro je cbm Abwasser verstößt gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 KAG und damit gegen höherrangiges Recht. Hiernach sollen Benutzungsgebühren so bemessen werden, dass sie die erforderlichen Kosten der laufenden Verwaltung und Unterhaltung der öffentlichen Einrichtung decken. Die Kosten sind nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu ermitteln. Die erforderlichen Kosten sind in diesem Sinne regelmäßig im Rahmen einer (Voraus-)Kalkulation für eine Rechnungsperiode zu veranschlagen, um in einem weiteren Schritt unter Berücksichtigung der voraussichtlich in Anspruch genommenen Leistungseinheiten die Gebührenhöhe durch Satzung (§ 2 Abs. 1 KAG) festzulegen (OVG Schleswig Urt. v. 23.09.2009 – 2 LB 34/08, BeckRS 2010, 46355, beck-online).

44

Der Beklagte hat für den Erhebungszeitraum vom 01.10.2015 bis zum 30.09.2016 keine Kalkulation erstellt und somit entgegen § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 KAG die erforderliche Ermittlung derjenigen Kosten unterlassen, die für den Erhebungszeitraum maßgeblich gewesen sind. Dem in § 4 Gebührensatzung a.F. festgeschriebenen Gebührensatz von 1,40 Euro liegt eine Gebührenkalkulation zugrunde, die aus dem Jahr 2004 datiert. Sie enthält keine Daten über die (voraussichtlichen) Kosten des streitgegenständlichen Erhebungszeitraumes. Die Kalkulation berücksichtigt vielmehr ausschließlich Kosten der Abwasserbeseitigung des Jahres 2004.

45

Der in § 4 Gebührensatzung a.F. geregelte Gebührensatz i.H.v. 1,40 Euro ist wegen des Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam. Wird der Gebührensatz ohne Berücksichtigung der zu stellenden Anforderungen bestimmt, so ist er unabhängig davon ungültig, ob sich durch im Nachgang erstellte Berechnung nachweisen lässt, dass der in der Satzung bestimmte Gebührensatz – gleichsam zufällig - nicht aufwandsüberschreitend ist (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 23.08.2000 – 2 L 226/98 –, Rn. 51, juris). Die Gebührenschuldner sind im Rahmen des § 2 Abs. 1 KAG nicht allein vor einer den gebührenfähigen Aufwand überschreitenden Abgabenerhebung geschützt, sondern auch davor, dass die auf sie im Einzelfall entfallende Gebührenlast in rechtswidriger Weise ermittelt worden ist (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 23.08.2000 – 2 L 226/98 –, Rn. 49, juris).

46

2. Soweit in dem streitbefangenen Bescheid Vorausleistungen auf Abwassergebühren für den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2016 festgesetzt worden sind, findet der Gebührenbescheid in § 6 Abs. 1 KAG i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt (Gebührensatzung) vom 24. November 1997 in der Fassung der 6. Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt vom 28. September 2016 sowie der Satzung über die Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt (Abwasserbeseitigungssatzung) seine Rechtsgrundlage.

47

§ 4 der Gebührensatzung i.d.F. der Satzung zur 6. Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung der Gemeinde A-Stadt vom 24.11.1997 widerspricht ebenfalls höherrangigem Recht. Die Satzungsbestimmung verstößt in Verbindung mit der ihr zugrundeliegenden Kalkulation gegen den gebührenrechtlichen Grundsatz der Periodengerechtigkeit.

48

Die satzungsrechtlichen Vorschriften zu zeitraumbezogenen Benutzungsgebühren müssen sicherstellen, dass sich Erhebungszeitraum und Kalkulationszeitraum decken, um zu gewährleisten, dass die Gebührenschuldner nur mit denjenigen Kosten belastet werden, die auf die betreffende Erhebungsperiode entfallen (vgl. OVG Frankfurt (Oder), Urt. v. 22.08.2002 – 2 D 10/02.NE, 3. Leitsatz, LKV 2003, 278; vgl. auch Bayerischer VGH, Urt. v. 17.08.2017 – 4 N 15.1685 –, Rn. 28, juris und OVG Schleswig, Urt. v. 23.09.2009 – 2 LB 34/08, Rn. 60 juris). Dieser gebührenrechtliche Grundsatz der Periodengerechtigkeit wird zum Teil als zeitliche Ausprägung des Äquivalenzprinzipes betrachtet, bzw. aus dem Prinzip der Leistungsproportionalität oder speziellen Entgeltlichkeit hergeleitet (siehe Habermann, Kommunalabgabengesetz des Landes Schleswig-Holstein, 1/2018, § 6 Rn. 190 m.w.N.). Er lässt sich zudem aus dem Kostenbegriff des § 6 Abs. 2 Satz 2 KAG herleiten (Habermann, a.a.O., § 6 Rn. 190). Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 KAG wird für die durch Benutzungsgebühren abzudeckenden Kosten auf die erforderlichen Kosten der laufenden Verwaltung und Unterhaltung der öffentlichen Einrichtung abgestellt. Kosten in diesem Sinne sind nach § 6 Abs. 2 Satz 2 KAG nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu ermitteln. Diese Grundsätze verlangen, dass für – wie hier – zeitraumbezogene Leistungen nur diejenigen Kosten umgelegt werden dürfen, die auf die maßgebliche Periode entfallen, für welche die Gebühr erhoben wird. Dieser Grundsatz wird zwar durch § 6 Abs. 2 Satz 8 KAG modifiziert, wonach ungeachtet eines kürzeren Erhebungszeitraumes eine Kalkulation des Gebührensatzes für maximal drei Jahre ermöglicht wird. Für auf ein Jahr bezogene Erhebungszeiträume bedeutet eine Dreijahreskalkulation etwa, dass der Satzungsgeber eine „Mischkalkulation“ der Kosten von drei Erhebungsperioden aufstellen kann und mithin die in einer dieser Erhebungsperioden umgelegten Kosten nicht mehr zwingend den Kosten dieser Erhebungsperiode, sondern nur dem für drei Jahre ermittelten Jahreskostendurchschnitt entsprechen müssen (vgl. VG Potsdam, Urt. v. 25.05.2016 – 9 K 2234/13, BeckRS 2016, 47463, beck-online). § 6 Abs. 2 Satz 8 KAG ermöglicht aber nicht die Durchschnittsbildung unter Einbeziehung von Kosten, die außerhalb von drei jährlichen Erhebungszeiträumen liegen.

49

Den vorgenannten Maßgaben genügt der in § 4 der Gebührensatzung geregelte Gebührensatz nicht.

50

Der mit der 6. Änderungssatzung in § 4 festgelegte Gebührensatz ist von der Gemeinde A-Stadt auf Basis einer Gebührenkalkulation vom 08.09.2016 ermittelt worden. Die Kalkulation erfasst zur Überzeugung der Kammer den Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2019. Dem Beklagten ist in seinem Vortrag, dass die Kalkulation den Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2019 erfasse, nicht zu folgen. Gegen dieses Verständnis der Kalkulation spricht, dass dieser Zeitraum in keiner Weise aus der Kalkulation ersichtlich wird. Die Kalkulation wird vielmehr eindeutig als „Kalkulation 2017-2019“ bezeichnet. Bestände sind ebenfalls zum „31.12. eines Jahres“ ausgewiesen. Darüber hinaus sind erhöhte Gebühreneinnahmen nach einer neu einzuführenden Grundgebühr und der erhöhten Verbrauchsgebühr jeweils „ab 2017“ ausgewiesen und in der Kalkulation entsprechend ab dem Jahr 2017 auf der Erlösseite berücksichtigt. Die Kalkulation bezieht sich demnach offensichtlich auf die benannten Kalenderjahre. Hierfür spricht auch, dass die Gebührensatzung zum Zeitpunkt der Kalkulationserstellung (08.09.2016) das Kalenderjahr als Erhebungszeitraum vorgesehen hat. Die Gemeinde A-Stadt hat den Erhebungszeitraum erst nach Kalkulationserstellung durch die Satzung zur 7. Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die zentrale Abwasserbeseitigung vom 15.05.2015 in § 7 Abs. 1 dahingehend geändert, dass rückwirkend seit dem 01.10.2015 der 01.10 eines Jahres bis zum 30.09. eines Folgejahres das Abrechnungsjahr darstellt.

51

Die Kalkulation berücksichtigt demnach die voraussichtlichen Kosten des Zeitraumes vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2019. Die Gebührenschuldner werden durch den in § 4 der Gebührensatzung (i.d.F. der 6. Änderungssatzung) niedergeschriebenen Gebührensatz schon ab dem 01.10.2016 mit den voraussichtlichen Kosten des gesamten Zeitraumes der Jahre 2017 bis 2019 und daher auch mit denjenigen periodenfremden Kosten, die für den Zeitraum vom 01.10. bis zum 31.12.2019 kalkuliert sind, belastet. Diese Kosten sind nicht Bestandteil des zulässigen dreijährigen Kalkulationszeitraumes i.S.v. § 6 Abs. 2 Satz 8 KAG und der sich daraus ergebenden längstens zulässigen Kalkulationsperiode vom 01.10.2016 bis zum 30.09.2019.

52

Der in § 4 Gebührensatzung geregelte Gebührensatz über die monatliche Grundgebühr von 6,00 Euro je Grundstück und 1,80 Euro je cbm Schmutzwasser ist wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Periodengerechtigkeit nach den oben genannten Grundsätzen unwirksam.

53

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(1) Ist die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme Gegenstand von mehr als zwanzig Verfahren, kann das Gericht eines oder mehrere geeignete Verfahren vorab durchführen (Musterverfahren) und die übrigen Verfahren aussetzen. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Der Beschluß ist unanfechtbar.

(2) Ist über die durchgeführten Verfahren rechtskräftig entschieden worden, kann das Gericht nach Anhörung der Beteiligten über die ausgesetzten Verfahren durch Beschluß entscheiden, wenn es einstimmig der Auffassung ist, daß die Sachen gegenüber rechtskräftig entschiedenen Musterverfahren keine wesentlichen Besonderheiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen und der Sachverhalt geklärt ist. Das Gericht kann in einem Musterverfahren erhobene Beweise einführen; es kann nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen oder eine neue Begutachtung durch denselben oder andere Sachverständige anordnen. Beweisanträge zu Tatsachen, über die bereits im Musterverfahren Beweis erhoben wurde, kann das Gericht ablehnen, wenn ihre Zulassung nach seiner freien Überzeugung nicht zum Nachweis neuer entscheidungserheblicher Tatsachen beitragen und die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde. Die Ablehnung kann in der Entscheidung nach Satz 1 erfolgen. Den Beteiligten steht gegen den Beschluß nach Satz 1 das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

Das Gericht kann durch Beschluß mehrere bei ihm anhängige Verfahren über den gleichen Gegenstand zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbinden und wieder trennen. Es kann anordnen, daß mehrere in einem Verfahren erhobene Ansprüche in getrennten Verfahren verhandelt und entschieden werden.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

Tenor

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer, Einzelrichterin - vom 7. August 2012 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen gemäß § 45 StVO in Bezug auf seine Wohnung in der A-Straße unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden und bis dahin als kurzfristige Maßnahme sofort für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h (Verkehrszeichen 274) anzuordnen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

Für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht werden dem Kläger 3/4 und der Beklagten 1/4 der Kosten des Verfahrens, für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht werden dem Kläger 9/10 und der Beklagten 1/10 der Kosten des Verfahrens auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wohnt (…) in der Wohnanlage X in A-Stadt. Hierbei handelt es sich um ein als Mehrfamilienhaus genehmigtes dreigeschossiges Gebäude mit ca. 2000 Quadratmetern Grundfläche in U-Form. Die Wohnanlage liegt unmittelbar (8,5 m) an der Bundesstraße 76 innerhalb der Anbauverbotszone von 20 Metern (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FernStrG) im Außenbereich, aber vor der Ortstafel (Zeichen 311 der Anlage 3 zur StVO). Westlich hinter der Wohnanlage verläuft die Eisenbahnlinie, an der die G-wiesen anschließen. (…) auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt das Kurgebiet S-strand, das über eine Länge von 1,7 km an die B 76 angrenzt. Für das Gebiet existiert kein Bebauungsplan; auf dem Flächennutzungsplan ist die Wohnanlage als Wohnfläche ausgewiesen. Für den Bau der Wohnanlage wurde seinerzeit (1995) eine Ausnahmegenehmigung nach § 9 Abs. 8 FernStrG mit Auflagen erteilt. Auflage Nr. 12 lautet: „Soweit Schutzmaßnahmen gegen die von der Straße auf das Grundstück einwirkenden Emissionen erforderlich sind, hat der Bauherr diese Maßnahmen auf eigene Kosten zu bewirken. Dies gilt auch für Rechtsnachfolger. Eine Lärmsanierung zu Lasten des Baulastträgers ist ausgeschlossen.“ Diese Auflage ist als Auflage Nr. 40 zugleich Bestandteil der Baugenehmigung geworden.

2

Der Kläger verlangte mit mehreren Schreiben verkehrsberuhigende Maßnahmen im Bereich der Wohnanlage X und des Kurgebietes S-strand von der Beklagten, da das Verkehrsaufkommen auf der B 76 für ihn als Anwohner unzumutbar sei. Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h überschritten viele Fahrer sehr häufig. Zusätzlich sei die Straße aufgrund des Mautumgehungsverkehrs sowohl tagsüber als auch nachts stark belastet. Dies führe dazu, dass ein sicheres Überqueren sowie ein Einbiegen auf die Fahrbahn nur schwer möglich seien. Der erhöhte Straßenlärm sei aufgrund des Status der A-Stadt als Ostseebad und des anliegenden Naturschutzgebietes nicht tragbar. Die Kurortverordnung verpflichte die Stadt, lärmsenkende Maßnahmen zu ergreifen. Die Beklagte habe in dem von ihr im Jahr 2008 aufgestellten Lärmaktionsplan irrtümlich behauptet, dass die B 76 im streitgegenständlichen Bereich kaum Wohnbebauung aufweise. Aus diesem Grund seien entgegen der Feststellungen im Lärmaktionsplan wegen der Überschreitung der Auslösekriterien von 65 dB(A) für den 24-Stundenwert und 55 dB(A) für den Nachtwert planunabhängige Maßnahmen erforderlich.

3

Die Beklagte lehnte das Begehren des Klägers mit Schreiben vom 31. August 2010 – zugleich koordinierend und verbindlich für die beteiligten zuständigen Behörden – ab. Für die Einführung einer Mautpflicht (nach § 5 Abs. 9 StVO) für die B 76 sei sie nicht zuständig; der Landesbetrieb sehe die Voraussetzungen als nicht gegeben an. Ein gefahrloses Kreuzen der Fahrbahn sei für Fußgänger und Radfahrer an der Lichtsignalanlage D-Straße möglich. Seit Jahren sei während der Saison eine verkehrsabhängige Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h angeordnet. Geschwindigkeitsüberschreitungen würden von der Polizei geahndet. Eine Einengung der Straße sei aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Nach den Erhebungen des Landes habe der Gesamtverkehr, auch der Schwerlastverkehr, auf der B 76 abgenommen.

4

Der Kläger legte hiergegen am 1., ergänzend am 21. September 2010 Widerspruch ein, in dem er sein Begehren auf alle verkehrsberuhigenden zielführenden Maßnahmen sowohl für das Gebiet der Wohnanlage X als auch für das Kurgebiet S-strand erweiterte. Zur Begründung wiederholte und vertiefte er sein bisheriges Vorbringen. Die behauptete Geschwindigkeitsbegrenzung erfolge tatsächlich nur in seltenen Ausnahmefällen.

5

Auf mehrere Anforderungen des Klägers, einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erhalten, erklärte die Beklagte zunächst, dass das Ablehnungsschreiben vom 31. August 2010 mangels Regelungscharakters kein Verwaltungsakt sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2011 wies sie sodann den Widerspruch des Klägers als unzulässig und als unbegründet zurück. Sie verwies auf ihr bisheriges Vorbringen und führte weiter aus, dass die Einrichtung einer Tempo-30-Zone aus Verkehrssicherheitsgründen nicht notwendig sei, da kaum Unfälle bekannt seien. Aus Lärmschutzgründen (§ 45 Abs. 9 StVO) sei ebenfalls kein derartiges Handeln angebracht. Zwar gebe es keine aktuellen Lärmuntersuchungen, jedoch sei eine solche Maßnahme im Hinblick auf den Charakter der B 76 als Hauptverkehrsstraße unverhältnismäßig. Die Einrichtung einer Verkehrsinsel müsse vom Straßenbaulastträger gefordert werden, der zudem darauf hinweise, dass es insofern keinen Anspruch geben könne. Der Lärmaktionsplan sei nicht bindend. Ein Geschwindigkeitsanzeiger könne als nicht-amtliches Gerät von ihr nicht aufgestellt werden.

6

Der Kläger hat am 15. April 2011 Klage erhoben.

7

Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend hat er ausgeführt, dass die Beklagte selbst das Überschreiten der zulässigen Immissionsgrenzwerte festgestellt und daher zum Handeln verpflichtet sei. Die Verkehrsstärke auf der B 76 habe kontinuierlich zugenommen. Deshalb habe er einen Anspruch auf planunabhängige Maßnahmen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO, hilfsweise auf Ergreifen geeigneter Maßnahmen aus einem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch.

8

Der Kläger hat beantragt,

9

1. den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 31. August 2010 aufzuheben,

10

2. die Beklagte zu verpflichten, auf der B 76 im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnanlage X" innerhalb vom Gericht zu bestimmender Fristen zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, am Immissionsort

11

• Gesundheitsgefährdungen des Klägers durch Reduzierung der Grenzwertüberschreitungen unter die Schwellwerte 65 dB(A) (LDEN) bzw. 55 dB(A) (LNight) kurzfristig zu vermeiden,

12

• erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Grenzwertüberschreitungen unter die Schwellwerte 60 dB(A) (LDEN) bzw. 50 dB(A) (LNight) mittelfristig zu mindern,

13

• erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Grenzwertüberschreitungen unter die Schwellwerte 55 dB(A) (LDEN) bzw. 45 dB(A) (LNight) langfristig zu vermeiden

14

sowie deren Einhaltung dauerhaft und nachhaltig sicherzustellen,

15

3. die Beklagte zu verpflichten, zukünftig im Bereich des „Kurgebietes S-strand" innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Maßnahmen ermessensfehlerfrei zu ergreifen, die hinsichtlich der B 76 auf eine bestmögliche Beschränkung des innerörtlichen Durchgangs- Ziel- und Quellverkehrs und Beschränkung der verkehrsbedingten Lärmimmissionen zielen und geeignet sind, im gesamten „Kurgebiet S-strand" maximale Immissionswerte am Tage von 45 dB(A) und in der Nacht von 35 dB(A) dauerhaft und nachhaltig sicherzustellen, um Beeinträchtigungen seinerseits im „Kurgebiet S-strand" hinsichtlich der Vorbeugung gegen Krankheiten, der Heilung oder Linderung von Krankheiten und der Erholung sowie um sonstige, verkehrsbedingte Störungen des Kurgebietes bestmöglich zu beschränken.

16

Die Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Sie hat die Auffassung vertreten, dass selbst wenn man unterstelle, dass Immissionsschutzgrenzwerte überschritten seien, sie ermessensfehlerfrei gehandelt habe. Die vom Kläger begehrten Maßnahmen seien entweder nicht möglich oder nicht erforderlich oder rechtlich nicht zulässig.

19

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. August 2012 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

20

§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO gebe zwar einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten bei Beeinträchtigungen durch unzumutbaren Lärm, wobei die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs.1 der 16. BImSchVO als Orientierungshilfe für die Frage der Zumutbarkeit herangezogen werden könnten. Aber auch ein Überschreiten dieser Grenzwerte begründe keinen Anspruch, da dem Kläger der der Funktion der Straße entsprechende Verkehrslärm zuzumuten sei. Der Straßenverkehrslärm habe seit dem Jahr 2009 nicht in einem derartigen Maße zugenommen, dass die Entscheidung über eine verkehrsregelnde Maßnahme durch die Beklagte zwingend erforderlich sei. Das Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung der bisher vorhandenen straßenverkehrlichen Nutzung überwiege die Schutzbedürftigkeit des Klägers vor dem vorhandenen Verkehrslärm. Der vom Kläger behauptete Mautausweichverkehr sei nicht nachgewiesen. Auch bleibe es dem Lkw-Verkehr unbenommen, Bundesstraßen zu benutzen. Zudem sei die Teilstrecke C-Stadt-Gettorf der B 76, die von einem eventuellen Mautausweichverkehr benutzt werden müsste, mit einer Mautpflicht belegt.

21

Im Übrigen habe die Beklagte ohne rechtliche Verpflichtung zutreffende Ermessenserwägungen bezüglich der vom Kläger vorgeschlagenen Maßnahmen getroffen. So sei die vom Kläger begehrte dauerhafte Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit als unangemessen und gegenüber den Verkehrsteilnehmern als nicht vermittelbar angesehen worden. Es könne auch nicht mit einer spürbaren Verminderung des Verkehrslärms gerechnet werden, zumal der Mittelungspegel bei Geschwindigkeiten zwischen 30 und 50 km/h überwiegend von der Fahrweise abhänge. Die Aufstellung eines Geschwindigkeitsanzeigers sei der Beklagten nicht möglich, da es sich um ein nicht amtliches Gerät handele. Eine fest installierte Messanlage komme nicht in Betracht, da derartige Anlagen der Verkehrsüberwachung dienten und an Unfallhäufungsschwerpunkten zum Einsatz kämen, worum es hier nicht gehe.

22

Andere Anspruchsgrundlagen gegenüber der Beklagten auf Reduzierung der Lärmbelästigungen seien nicht ersichtlich. Die Kurortverordnung sei auf der Grundlage des § 10 Abs. 7 KAG erlassen worden und begründe keine Rechte des Klägers, sondern ermögliche die Erhebung von (Kur)Abgaben (vgl. § 10 Abs. 5 KAG).

23

Hiergegen hat der Kläger die vom Senat zugelassene Berufung eingelegt, zu deren Begründung er im Wesentlichen sein bisheriges Klagevorbringen wiederholt und vertieft:

24

Nach der Lärmkartierung 2012 sei auf der B- Straße (Immissionsort) von einem Mittelungspegel von mindestens 70 dB(A) bis 75 dB(A) - 24-Stundenwert - und von mindestens 65 dB(A) bis 70 dB(A) - Nachtwert - auszugehen, in dem Straßenabschnitt Wohnpark X sogar von einem Mittelungspegel von mindestens 75 dB(A) bis 80 dB(A) - 24- Stundenwert. Im Rahmen der Klage sei zu überprüfen, ob und inwieweit die Voraussetzungen sowohl für verkehrsrechtliche Maßnahmen der Straßenverkehrsordnung (StVO) gemäß der 16. BlmSchV (Verkehrslärmschutzverordnung) und / oder VLärmSchR 97 (Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes), als auch für immissionsschutzrechtliche, planunabhängige Maßnahmen gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz (BlmSchG: Lärmkartierung und Lärmaktionsplanung) vorlägen, um ihn - den Kläger - vor gesundheitsgefährdenden Lärmbelastungen zu schützen. Während im Straßenverkehrsrecht ein Mittelungspegel von 70 dB (A) am Tag und 60 dB (A) in der Nacht, der hier erheblich überschritten werde, einen Anspruch auf lärmmindernde Maßnahmen auslöse, gelte im Immissionsschutzrecht ein Pegel von 65 dB(A) (LDEN) bzw. 55 dB(A) (LNight).

25

Zum Beweis des Mautumgehungsverkehrs habe er umfangreiche Bilddokumentationen und Erkenntnisse vorgelegt. Auf der Strecke komme es zu erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen (er habe 766 Fälle dokumentiert, weitere 675 Fälle während der Nachtruhezeiten, tw. über 100 km/h), die er zur Anzeige gebracht und in Videoaufnahmen dokumentiert habe. Die Sperrung der Rader-Hochbrücke habe erhebliche Auswirkungen auf das Verkehrsaufkommen gehabt.

26

Auch aus der Kurortverordnung bestehe ein Anspruch auf Einhaltung von Grenzwerten, die zudem noch niedriger seien (maximale Immissionswerte am Tag von 45 dB(A) und in der Nacht von 35 dB(A). Die Beklagte habe auf der B 76 im Abschnitt Lornsenstraße bis B- Straße (Gewerbebetriebe und Ferienwohnungen) eine (nächtliche) 30 km/h-Zone realisiert, weshalb er ebenfalls einen Anspruch habe.

27

Er ist zudem der Auffassung, dass Fragen zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen an den Gerichtshof der Union vorzulegen seien, und zwar zur Auslegung der Umgebungslärm-Richtlinie - Richtlinie 2002/49/EG -, zum Bestehen eines subjektiven Rechts auf Aufstellung von Lärmaktionsplänen, zum Bestehen subjektiver Ansprüche aus aufgestellten Plänen sowie zur Umweltinformationsrichtlinie (Richtlinie 2003/4/EG).

28

Hierzu trägt er vor, dass er mit Klageschrift vom 15. April 2011 ausschließlich Klaganträge des Immissionsschutzrechts zur Abwehr von Gesundheitsgefährdungen und Lärmbelästigungen durch Umgebungslärm gestellt und hierbei seine Ansprüche primär auf die Anspruchsgrundlagen des Immissionsschutzes gestützt habe, so dass auch zunächst das Verfahren bei der 6. Kammer anhängig gewesen sei (6 A 109/11), welche die Klaganträge zu 2. und 3. abgetrennt und an die 3. Kammer abgegeben habe. Das Urteil der 3. Kammer habe zweifelsfrei auch zum Immissionsschutzrecht entschieden, soweit es ausgeführt habe, dass die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs.1 der 16. BImSchVO als Orientierungspunkte bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbelästigung für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen herangezogen werden könnten. Zudem habe es zum Schluss ausgeführt, dass andere Anspruchsgrundlagen gegenüber der Beklagten, die einen Anspruch auf Reduzierung von Lärmbelästigungen begründen könnten, nicht ersichtlich seien.

29

Entsprechend habe er bereits im Zulassungsantrag geltend gemacht, dass für den weiteren Fortgang der Verwaltungsrechtssache eine Prüfung der Klage nach dem Immissionsschutzrecht des Bundesimmissionsschutzgesetzes unerlässlich und nachzuholen sei. Er mache daher geltend, dass sein Vortrag primär nach dem Immissionsschutz zu entscheiden sei und hierbei die bisherigen Regelungen des Verkehrsrechts auf Unionskonformität im Hinblick auf die EU-Umgebungslärmrichtlinie zu überprüfen seien, sofern das Gericht nicht die unmittelbare Wirkung der Richtlinie annehme. Soweit der Senat zwischen Verkehrsrecht und Immissionsschutzrecht trenne und meine, dass letztere Fragen noch in der 1. Instanz anhängig seien, weiche er vom Urteil des Gerichtshofs der Union vom 25. Juli 2008 (C-237/07) ab, der zur insoweit ähnlichen Luftqualitätsrichtlinie entschieden habe, dass sich die Betroffenen in allen Fällen auf die Nichteinhaltung der Richtlinie, die zwingende Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit vorgebe, berufen könnten. Da er unmittelbar von einer Gefahr der Grenzwertüberschreitung betroffen sei, könne er danach das Erstellen eines solchen Aktionsplans erwirken, der genaue Verpflichtungen für den Fall von Grenzwertüberschreitungen regele. Die EU-Umgebungslärmrichtlinie sei nur unzureichend in nationales Recht umgesetzt worden (unter Verweis auf ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland) und habe deshalb unmittelbare Wirkung, so dass eine getrennte Prüfung ausscheide. Insbesondere seien auch deren Berechnungsmethoden zugrunde zu legen. Die Grenzwerte der 16. BImSchV seien nur vorläufig heranzuziehen und müssten wesentlich unterhalb 65 dB(A) am Tag und 55 dB(A) in der Nacht liegen, wobei die unionsrechtskonformen Berechnungsmethoden nach der 34. BImSchV (VBUS/VBEB) heranzuziehen seien. Dabei sei sein Gebiet als unbeplanter Innenbereich gemäß § 34 Abs. 1 BauGB entsprechend in die Gebiete der Baunutzungsverordnung einzuordnen als reines Wohngebiet iVm § 3 BauNVO bzw. hinsichtlich des Kurgebietes S-strand und des Landschaftsschutzgebiets G-wiesen als sonstiges Sondergebiet zur Erholung nach § 11 Abs. 2 BauNVO.

30

Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016 beantragt hat,

31

1. das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer, Einzelrichterin - vom 7. August 2012, Az.: 3 A 179/11 wird aufgehoben.

32

2. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 31. August 2010 und der entsprechende Widerspruchsbescheid werden aufgehoben.

33

3. Die Beklagte wird verurteilt, auf der B- Straße (B 76) in A-Stadt im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X" innerhalb vom Gericht zu bestimmender Fristen zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Maßnahmen ermessensfehlerfrei zu ergreifen, die geeignet sind,

34

Gesundheitsgefährdungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Schwellwerte 65 dB(A) (LDEN) bzw. 55 dB(A) (LNight) kurzfristig zu vermeiden,

35

erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Schwellwerte 60 dB(A) (LDEN) bzw. 50 dB(A) (LNight) mittelfristig zu mindern,

36

erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Schwellwerte 55 dB(A) (LDEN) bzw. 45 dB(A) (LNight) langfristig zu vermeiden,

37

sowie deren Einhaltung dauerhaft und nachhaltig sicherzustellen,

38

hilfsweise Grenzwertüberschreitungen unter vom Gericht zu bestimmende kurz-, mittel- und langfristige Schwellwerte zu reduzieren.

39

4. Die Beklagte wird verurteilt, gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen durch Straßenlärm der B- Straße (B 76) in A-Stadt im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X" innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist oberhalb von 67 dB(A) am Tag und 57 dB(A) in der Nacht zu verhindern und hierzu unter anderem folgende, planunabhängige Sofortmaßnahmen zur Lärmminderung anzuordnen:

40

Durchfahrtsverbot für Lkws über 12 t am Tag und 7,5 t während der Nachtruhezeiten zwischen 22.00 und 06.00 Uhr,

41

hilfsweise andere, geeignete Maßnahmen, mit denen insbesondere Maut-Umgehungsverkehr unterbindbar ist,

42

maximal zulässige Höchstgeschwindigkeit ganztätig von 30 km/h,

43

hilfsweise während der Nachtruhezeiten zwischen 22.00 und 06.00 Uhr und / oder hilfsweise durch andere, geeignete Maßnahmen, mit denen gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen unterbindbar sind.

44

5. Die Beklagte wird verurteilt, zukünftig auf der B- Straße (B 76) in A-Stadt für den vor Straßenlärm ungeschützten Bereich des „Kurgebietes S-strand" innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Lärmminderungsmaßnahmen ermessensfehlerfrei zu regeln, die ortsüblich auf eine bestmögliche Beschränkung des innerörtlichen Durchgangs-, Ziel- und Quellverkehrs und Beschränkung der verkehrsbedingten Lärmimmissionen zielen und im gesamten ungeschützten Bereich des „Kurgebiet S-strand" eine maximale Lärmbelästigung am Tage von 45 dB(A) und in der Nacht von 35 dB(A) dauerhaft und nachhaltig sicherzustellen,

45

hilfsweise für den ungeschützten Bereich des „Kurgebietes S-strand" Lärmbelästigungen unter vom Gericht zu bestimmende maximale Immissionswerte zu reduzieren.

46

6. Die Beklagte wird verurteilt, auf der B- Straße (B 76) in A-Stadt im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X" die öffentliche Sicherheit und Ordnung - insbesondere Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten und Lkw-Fahrverbote - durch geeignete Maßnahmen sicher zu stellen.

47

beantragt er nunmehr,

48

1. das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 3. Kammer, Einzelrichterin - vom 7. August 2012, Az.: 3 A 179/11, wird aufgehoben.

49

2. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 31. August 2010 und der entsprechende Widerspruchsbescheid werden aufgehoben.

50

3. Die Beklagte wird verurteilt, auf der B- Straße (B 76) in A-Stadt im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X" innerhalb vom Gericht zu bestimmender Fristen zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Lärmschutzmaßnahmen ermessensfehlerfrei zu ergreifen, die geeignet sind,

51

gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen des Klägers oberhalb von unionsrechtskonformen Grenzwerten sofort zu verhindern,

52

Gesundheitsgefährdungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Pegelwerte 65 dB(A) am Tag bzw. 55 dB(A) in der Nacht kurzfristig zu vermeiden,

53

erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Pegelwerte 60 dB(A) am Tag bzw. 50 dB(A) in der Nacht mittelfristig zu mindern,

54

erhebliche Lärmbelästigungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Pegelwerte 55 dB(A) am Tag bzw. 45 dB(A) in der Nacht langfristig zu vermeiden,

55

den ungeschützten Kläger in umliegenden Sondergebieten wie dem Kurgebiet S-strand und / oder dem Naturschutzgebiet G-wiesen durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Schwellwerte 45 dB(A) langfristig vor Gesundheitsgefährdungen zu schützen,

56

sowie deren Einhaltung zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dauerhaft und nachhaltig durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen,

57

hilfsweise Lärmindizes unter vom Gericht zu bestimmende kurz-, mittel- und langfristige Pegelwerte zu reduzieren.

58

Die Beklagte widerspricht der Klagänderung zu Ziffer 3 Unterpunkte 1 und 5 und erklärt, soweit mit diesen Klaganträgen solche aus der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016 zurückgenommen sind, hierzu ihr Einverständnis.

59

Sie beantragt,

60

die Berufung zurückzuweisen.

61

Sie ist der Auffassung, der Kläger müsse sich an seinen erstinstanzlichen Anträgen festhalten lassen.

62

Auf den Mautausweichverkehr habe sie - die Beklagte - keinen Einfluss, Maßnahmen innerhalb des Stadtgebiets brächten tatsächlich nichts, da (die K 14 oder) andere Straßen als Ausweichstrecke ungeeignet seien, so dass sich die Frage nach Maßnahmen im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO von vornherein nicht stelle.

63

Der Kläger könne allenfalls aus § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO einen Anspruch herleiten. Insoweit sei derzeit nicht belegt, dass die Lärmbelastung die Grenze der Zumutbarkeit übersteige. Die Beklagte habe keine Messergebnisse, insbesondere nicht solche einer nach § 26 BImSchG anerkannten Messstelle oder Berechnungen auf der Grundlage der RLS-90. Da die Anlage im Außenbereich liege, könne allenfalls § 2 Abs. 1 Nr. 3 der 16. BImSchV als Orientierungspunkt in Betracht kommen. Unabhängig davon besitze der Einzelne keinen Anspruch auf behördliche Schutzmaßnahmen, wenn ein bestimmter Schallpegel überschritten werde. Selbst wenn ein bestimmter Schallpegel überschritten werde, habe die Behörde in ihre Ermessenserwägungen einzustellen, ob an anderer Stelle Unzuträglichkeiten auftreten würden, etwa durch eine nicht hinnehmbare Verschlechterung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs oder noch gravierendere Lärmbeeinträchtigungen an anderer Stelle (Gesamtbilanz). Von Bedeutung seien dabei auch die Lärmvorbelastung und die Frage, ob der Verkehr die Straßen funktionsgerecht oder funktionswidrig in Anspruch nehme. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 4 FStrG sei von Bundesfernstraßen überörtlicher Verkehr, einschließlich des damit zusammenhängenden Schwerlastverkehrs, abzuwickeln. Maßnahmen die diese funktionsgerechte Nutzung beschränkten, setzten sich in Widerspruch zum Widmungszweck und seien daher unzulässig.

64

Ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit dem Straßenabschnitt B- Straße 30-58 bestehe nicht, da das Grundstück des Klägers weder innerhalb der Ortsdurchfahrt noch im Innenbereich liege.

65

Der Senat hat mit Beweisbeschluss vom 21. November 2014, konkretisiert mit Beschluss vom 14. Oktober 2016 Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Lärmbelastung am Wohngebäude des Klägers durch Straßenlärm. Mit Beschluss vom 18. November 2016 hat der Senat seinen Beweisbeschluss dahingehend geändert, dass zum neuen Sachverständigen Dipl.-Ing. D., , D-Stadt bestellt worden ist. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das eingeholte Gutachten vom 14. Juli 2017 nebst Ergänzung vom 15. September 2017 verwiesen, das der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 erläutert hat. Wegen der weiteren vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016 gestellten Beweisanträge, die der Senat abgelehnt hat, wird Bezug genommen auf die Anlage zum Protokoll, wegen der Begründung der Ablehnungsentscheidung auf das Protokoll.

66

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden; wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

67

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen (I). Soweit der Kläger im Berufungsverfahren einen neuen Klagantrag gestellt hat, war die Klage abzuweisen (II). Im Übrigen ist die Berufung teilweise begründet (III), so dass das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 zu verpflichten war, über den Antrag des Klägers auf straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen gemäß § 45 StVO in Bezug auf seine Wohnung in der A-Straße unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden und bis dahin als kurzfristige Maßnahme sofort (nach Rechtskraft) für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h (Verkehrszeichen 274) anzuordnen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

68

I. Da der Kläger zuvor gestellte Anträge mit seinen in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 gestellten Anträgen nicht mehr verfolgt hat, war das Verfahren insoweit mit Einwilligung der Beklagten einzustellen (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO). Dies betrifft die über die erstinstanzlichen Anträge hinausgehenden, vor dem Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016 zu 4. und 6. gestellten Anträge, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 ausdrücklich nicht mehr gestellt hat.

69

Einer ausdrücklichen Verwendung des Wortes „Klagrücknahme“ oder einer ähnlichen Erklärung bedurfte es nicht, da eine konkludente Erklärung genügt (vgl. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 23. Aufl. 2017, § 92 Rn. 6 f., Wolff in: BeckOK VwGO, Posser/ Wolff, 44. Edition, Stand: 01.10.2016, § 92 Rn. 7, VGH München, Urteil vom 22. April 2008 - 1 B 04.3320 -, Rn. 34, juris, BGH, Urteil vom 06. März 1985 - VIII ZR 123/84 -, Rn. 10, juris). Das Gericht hat hierzu beim Klägervertreter nachgefragt, der diese Anträge nicht mehr weiter verfolgen wollte und die Beklagte hat ausdrücklich ihre Einwilligung zur darin enthaltenen teilweisen Klagrücknahme erklärt. Damit ist der Wille, die erhobene Klage nicht aufrechtzuerhalten, eindeutig zum Ausdruck gekommen. Dies genügt.

70

Soweit der Kläger den in dem vor dem Verwaltungsgericht zu 3. gestellten Antrag als maximalen Immissionswert für die Nacht genannten Wert von 35 dB(A) zwar in dem in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2016 gestellten Antrag zu 5. noch wiederholt hat, nicht aber mehr in den in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 gestellten Anträgen (dort zu 3., Unterpunkt fünf), könnte es Zweifeln unterliegen, ob dies unbeabsichtigt war oder eine teilweise Berufungsrücknahme sein sollte. Dies genügt bereits, insoweit keine eindeutige Erklärung anzunehmen. Zudem hat die Beklagte dazu ihre nach § 126 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Einwilligung nicht erklärt, so dass über den ursprünglich gestellten Antrag in der Sache zu entscheiden ist.

71

II. Der erstmals in der Berufungsinstanz in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 gestellte Klagantrag auf Lärmschutzmaßnahmen auf der B 76 im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X“ in A-Stadt, die geeignet sind, den ungeschützten Kläger in dem Naturschutzgebiet G-wiesen durch Reduzierung der Lärmindizes unter den Schwellwert 45 dB(A) langfristig vor Gesundheitsgefährdungen schützen (Klagantrag zu 3., letzter Unterpunkt) ist unzulässig, so dass die Klage insoweit abzuweisen war und die auch darauf abzielenden Beweisanträge als unerheblich abzulehnen waren.

72

Die Zulässigkeit der grundsätzlich auch noch in der Berufungsinstanz möglichen Klagerweiterung richtet sich, da kein Fall des § 173 VwGO i.V.m. § 264 ZPO gegeben ist, nach § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 91 VwGO. Insoweit müsste, da die Beklagte der Klagerweiterung widersprochen hat, das Gericht sie für sachdienlich halten. Dies ist indes nicht der Fall, da mit dem nunmehr auch begehrten Schutz des Klägers in den G-wiesen vor Lärm ein neuer Streitgegenstand in das gerichtliche Verfahren eingeführt wird. Hierfür hätte es zum einen eines Vorverfahrens nach §§ 69 ff. VwGO bedurft, da es sich – auch wenn der Kläger eine „Verurteilung“ der Beklagten beantragt hat – um ein Verpflichtungsbegehren handelt, § 74 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO. Zum anderen ist dem Gericht vom Tatsächlichen her schon nicht bekannt, ob der Kläger überhaupt die G-wiesen betreten darf oder kann und ob es sich hierbei um ein Naturschutzgebiet handelt. In dem Katalog der ausgewiesenen Naturschutzgebiete des Kreises Rendsburg-Eckernförde sind die G-wiesen nicht enthalten.

73

Der weitere, erstmals in der Berufungsinstanz in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2017 gestellte Klagantrag (Klagantrag zu 3., erster Unterpunkt) auf Lärmschutzmaßnahmen auf der B 76 im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X", die geeignet sind, gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen des Klägers oberhalb von unionsrechtskonformen Grenzwerten sofort zu verhindern, stellt hingegen keine Klagänderung in Gestalt der Klagerweiterung dar (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO).

74

Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Es hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln. Maßgebend für den Umfang des Begehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück. Ist der Rechtschutzsuchende bei der Fassung des Antrags anwaltlich vertreten worden, kommt der Antragsformulierung allerdings eine gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Begründung oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Rechtsschutzziel von der Antragsfassung abweicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2012 - 9 B 7.12 -, Rn. 5 f. m.w.N., juris; BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - 2 BvR 1493/11 -, Rn. 37, juris).

75

Abgesehen davon, dass in dem Klagantrag zu 3., erster Unterpunkt, anders als in den nachfolgenden Unterpunkten, keine konkreten Grenzwerte genannt werden, so dass sich die Frage der hinreichenden Bestimmtheit stellt (dazu sogleich unter III. 4), entspricht dieser Antrag der vom Kläger während des gesamten Verfahrens vertretenen Rechtsauffassung, dass die Regelungen des Unionsrechts zum Lärmschutz anzuwenden seien, so dass nach der gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch im Berufungsverfahren anwendbaren Regelung des § 88 VwGO kein neues Klagebegehren vorliegt.

76

III. Die Berufung ist, soweit der Kläger die ermessensfehlerfreie Neubescheidung über Lärmschutzmaßnahmen in Bezug auf seinen Aufenthalt im Kurgebiet S-strand begehrt, unbegründet (2), ebenso, soweit er die ermessensfehlerfreie Neubescheidung über ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Sicherstellung der Lärmschutzmaßnahmen begehrt (3). Soweit der Kläger die ermessensfehlerfreie Neubescheidung über Lärmschutzmaßnahmen in Bezug auf seine Eigentumswohnung begehrt, ist die Berufung teilweise begründet (4) mit der Folge, dass das entgegenstehende Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die angegriffenen Bescheide der Beklagten aufzuheben waren.

77

1. Wie bereits ausgeführt, darf das Gericht gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 88 VwGO nicht über das Klagebegehren hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Vor dem Hintergrund des sich aus dem Vortrag des Klägers ergebenden Klagebegehrens sind seine Anträge wie folgt auszulegen:

78

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, über straßenverkehrsrechtliche – oder wie er es bezeichnet: planunabhängige – Maßnahmen zur Begrenzung von Lärmimmissionen hinsichtlich des Straßenabschnitts der B 76 vor dem Wohnpark X in A-Stadt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Dabei sollen diese Maßnahmen ihn sowohl vor Lärm in seiner Eigentumswohnung als auch vor Lärm bei einem Aufenthalt im Kurgebiet S-strand schützen, und zwar so, dass die in den Unterpunkten 2 bis 5 zum Klagantrag zu 3. genannten Grenzwerte kurz-, mittel- und langfristig nicht überschritten werden.

79

Dass der Kläger hinsichtlich dieser beiden auf straßenverkehrsrechtliche Lärmschutzmaßnahmen gerichteten Klagebegehren eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt, folgt bereits aus der Antragsformulierung, in der er keine konkreten Maßnahmen nennt, aber dass diese „ermessensfehlerfrei“ ergriffen werden sollen, und die Fristbestimmung dem Gericht überlässt. Kann nur eine ermessensfehlerfreie und nicht eine bestimmte Entscheidung verlangt werden, so spricht das Gericht nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO die Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts aus.

80

Soweit der Kläger die ermessensfehlerfreie Neubescheidung über ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Sicherstellung der – noch zu treffenden (dazu näher unten 3) – Lärmschutzmaßnahmen begehrt, gilt nichts anderes. Auch insoweit benennt sein Klageantrag keine konkreten Maßnahmen, sondern verlangt nur, dass diese geeignet sein sollen.

81

Soweit der Kläger im Rahmen seines Berufungsvorbringens geltend macht, es gehe ihm auch um immissionsschutzrechtliche, planunabhängige Maßnahmen gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz, und zwar um Lärmkartierung und Lärmaktionsplanung sowie Zugang zu Umweltinformationen, um ihn - den Kläger - vor gesundheitsgefährdenden Lärmbelastungen zu schützen; dort gelte ein geringerer Pegel als im Straßenverkehrsrecht von 65 dB(A) (LDEN) bzw. 55 dB(A) (LNight), sind diese Fragen bzw. darauf gerichtete Klaganträge nicht in der Berufungsinstanz anhängig (geworden). Das Verwaltungsgericht hat hierzu nicht entschieden. Die vom Kläger zitierten Stellen der erstinstanzlichen Entscheidung befassen sich mit straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen, nicht aber mit Ansprüchen des Klägers auf eine Lärmkartierung oder eine Lärmaktionsplanung. Ein ausdrücklicher Klagantrag etwa auf Einbeziehung oder Erstellung eines Lärmaktionsplans oder Maßnahmen aus einem Lärmaktionsplan oder auf Umweltinformationen ist weder dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts zu entnehmen noch in der Berufungsinstanz gestellt worden. Solche Anträge hat der Kläger vielmehr etwa im Verfahren 6 A 4/14 (Urteil des Verwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2015, Az des OVG: 1 LA 3/16) gestellt (so auch die Auslegung des eigenen Urteils durch das nachfolgende Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Mai 2016 - 3 A 190/13 -, UA S. 10 u: „Ansprüche auf Lärmminderungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgebungslärm-Richtlinie waren Gegenstand des Verfahrens 6 A 4/14.“, Az des OVG 4 LA 7/17; vgl. auch das weitere Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. Mai 2016 - 3 A 259/13 -, Az des OVG: 4 LA 8/17).

82

Der Senat kann mangels entsprechender Anträge im Berufungsverfahren dahinstehen lassen, ob das angegriffene Urteil insoweit lückenhaft ist oder derartige Ansprüche in der für Immissionsschutzrecht zuständigen 6. Kammer des Verwaltungsgerichts (6 A 109/11) anhängig gewesen waren. Wären entsprechende Anträge in der Berufungsinstanz gestellt oder seine Anträge dahingehend auszulegen, wäre die Berufung insoweit als unzulässig zurückzuweisen. Denn selbst wenn das angegriffene Urteil lückenhaft gewesen wäre, kann eine Vervollständigung des Urteils im Rechtsmittelweg nicht erreicht werden. Ein daraufhin gerichteter Antrag ist mangels Beschwer unzulässig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. August 2009 - 8 B 17.09 -, Rn. 9, juris; VGH München, Beschluss vom 1. Dezember 2009 - 20 ZB 09.2140 -, juris; OVG Schleswig, Beschluss vom 28. Juni 2017 - 2 LA 124/16 -, Rn. 4, juris). Ein Urteil, das unbeabsichtigt einen Teil des Streitgegenstandes unbeschieden ließe, ist zwar fehlerhaft, jedoch hätte der Kläger (beim Verwaltungsgericht) einen Antrag auf Urteilsergänzung gemäß § 120 Abs. 1 VwGO, gegebenenfalls zunächst einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes gemäß § 119 Abs. 1 VwGO stellen müssen. Dementsprechend hat auch der Berufungszulassungsbeschluss des Senats – unabhängig vom Vortrag des Klägers im Berufungszulassungsverfahren – einen derartigen weiteren Streitgegenstand nicht erfassen können.

83

Aus diesem Grund ist auch weder eine Abgabe an den für Immissionsschutzrecht zuständigen 1. Senat zu prüfen gewesen noch ob die vom Kläger im Schriftsatz vom 25. April 2016 zu III. (S. 20 bis 26) formulierten Fragen zur Auslegung der Umgebungslärmrichtlinie - Richtlinie 2002/49/EG - dem Gerichtshof der Union vorzulegen waren.

84

Davon zu unterscheiden sind die materiell-rechtlichen Fragen des Einflusses des Immissionsschutzrechts und des Unionsrechts (insbesondere der EU-Umgebungslärmrichtlinie) auf die streitgegenständliche Prüfung der begehrten straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen zur Lärmreduzierung, die zweifelsfrei Gegenstand des Berufungsverfahrens ist.

85

2. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass keine Anspruchsgrundlagen ersichtlich sind für das Begehren des Klägers auf Lärmschutzmaßnahmen für seinen Aufenthalt im Kurgebiet S-strand (Klagantrag zu 3., letzter Unterpunkt, 1. Alternative). Die Klage ist insoweit bereits unzulässig, weil dem Kläger die Klagebefugnis fehlt. Die Berufung war daher insoweit als unbegründet und darauf gerichtete Beweisanträge waren – insbesondere die Beweisanträge zu I. 5 – als unerheblich abzulehnen.

86

Die Klage auf Erlass eines Verwaltungsaktes setzt nach § 42 Abs. 2 VwGO voraus, dass der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Verletzung eigener Rechte muss hiernach auf der Grundlage des Klagevorbringens wenigstens möglich sein. Diese Möglichkeit ist auszuschließen, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Klägers verletzt sein können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2006 - 6 C 23.05 -, Rn. 15 m.w.N., juris). Dies ist hier der Fall. Der Verweis des Klägers auf die Kurortverordnung in Verbindung mit den Qualitätsstandards für Kurorte des Deutschen Bäderverbandes e.V. und des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes e.V., aus der er meint, einen Anspruch auf Einhaltung von Grenzwerten von maximal von 45 dB(A) am Tag und von 35 dB(A) in der Nacht herleiten zu können, führt nicht weiter. Die zitierten privatrechtlichen Qualitätsstandards können keine öffentlich-rechtlichen Ansprüche begründen. Die Kurortverordnung ist zwar eine öffentlich rechtliche Vorschrift, sie räumt Besuchern von Kurgebieten aber keine subjektiven Rechte ein. Auch sonstige Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

87

Die A-Stadt ist als Ostseebad anerkannt, weil sie die Voraussetzungen der §§ 2 und 3 Nr. 3 KurortVO erfüllt (u.a. Lage an der Meeresküste, mindestens eine Arztpraxis, gepflegter und bewachter Badestrand, Strandpromenaden, vom Verkehr ungestörte Parkanlagen sowie Strand- oder Landschaftswege, Möglichkeiten für Spiel und Sport). Soweit § 2 Abs. 2 KurortVO voraussetzt, dass eine Belastung des Bodens oder des Wassers durch Schadstoffe, der Luft durch gas- oder partikelförmige Beimengungen sowie der Lärmpegel die Möglichkeiten der Vorbeugung gegen Krankheiten, deren Heilung oder Linderung nicht beeinträchtigen dürfen, mag ein zu hoher Lärmpegel zwar zum Widerruf der Anerkennung als Kurort führen (etwa nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 KurortVO). Dieser Vorschrift sind aber keine darüberhinausgehenden Folgen, oder gar subjektiven Ansprüche, etwa solche der Kurgäste, zu entnehmen.

88

Dies folgt auch aus dem Zweck der Verordnung. Die Landesverordnung über die Anerkennung als Kurort, Erholungsort oder Tourismusort (KurortVO) ist aufgrund des § 10 Abs. 1 und 7 KAG aF (heute: § 10 Abs. 1 und 9 KAG) erlassen worden. Die Anerkennung ist Voraussetzung für die Erhebung von Kur- und Fremdenverkehrsabgaben (§ 10 Abs. 1 Satz 2 KAG aF), bzw. seit dem 1. August 2014 für die Erhebung von Kur- und Tourismusabgaben. § 10 Abs. 2 KAG ermöglicht die Erhebung von Kurabgaben für die Herstellung, Verwaltung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten öffentlichen Einrichtungen und § 10 Abs. 6 KAG die Erhebung einer Tourismusabgabe für Zwecke der Tourismuswerbung und zur Deckung von Aufwendungen für die Herstellung, Verwaltung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten öffentlichen Einrichtungen. Während die Kurabgabe von allen Personen erhoben wird, die sich im Erhebungsgebiet aufhalten, ohne dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu haben (Ortsfremde) und denen die Möglichkeit zur Benutzung von öffentlichen Einrichtungen oder Teilnahme an Veranstaltungen geboten wird (§ 10 Abs. 3 KAG), wird die Tourismusabgabe von Personen und Personenvereinigungen erhoben, denen durch den Tourismus wirtschaftliche Vorteile geboten werden (§ 10 Abs. 7 KAG).

89

Soweit die vom Kläger genannten Grenzwerte für Kurorte in der Achtzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) - genannt werden, ist diese schon nicht auf Straßenlärm anwendbar. § 2 Abs. 1 der 18. BImSchV bestimmt, dass Sportanlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass die in den Absätzen 2 bis 4 genannten Immissionsrichtwerte unter Einrechnung der Geräuschimmissionen anderer Sportanlagen nicht überschritten werden. Dabei betragen nach Absatz 2 Nr. 5 der Vorschrift die Immissionsrichtwerte für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden u.a. in Kurgebieten tags 45 dB(A) und nachts 35 dB(A). Die B 76 ist aber keine Sportanlage. Die auf Straßenlärm anwendbare Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetze - Verkehrlärmschutzverordnung (16. BImSchV) - enthält keine Vorgaben besonderer Lärmpegel für Kurgebiete (vgl. § 2 Abs. 2 der 16. BImSchV).

90

§ 45 Abs. 1a StVO erwähnt zwar auch Badeorte und gibt den Straßenverkehrsbehörden die Möglichkeit zur Ergreifung von Maßnahmen nach § 45 Abs. 4 StVO, wenn dadurch anders nicht vermeidbare Belästigungen durch den Fahrzeugverkehr verhütet werden können. § 45 Abs. 1a StVO erweitert die Möglichkeiten der Straßenverkehrsbehörde nach Absatz 1 Satz 2 zu den dort genannten Zwecken bzw. an den dort genannten Orten. Es mag dahinstehen, ob der Einschränkung – wenn dadurch nicht anders vermeidbare Belästigungen durch den Fahrzeugverkehr verhütet werden können – ein eigener Regelungsgehalt zukommt oder sie lediglich eine Ausprägung des allgemeinen Übermaßverbotes darstellt. Gemein ist allen Nummern des Absatzes 1a, dass hiermit der Schutz von Erholungs-, Genesungs- und Zerstreuungszwecken der Bevölkerung im Allgemeinen bezweckt wird (vgl. Wolf in: Freymann/ Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 45 StVO, Rn. 19). Ein Anspruch eines einzelnen Besuchers eines Kurgebietes folgt daraus jedoch nicht.

91

3. Der Kläger begehrt eine Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über ordnungsrechtliche Maßnahmen zur dauerhaften und nachhaltigen Sicherstellung der noch zu treffenden Lärmschutzmaßnahmen. Dies wäre ein zu unbestimmter Antrag, da noch nicht bekannt ist, ob und welche straßenverkehrsrechtlichen Lärmschutzmaßnahmen die Beklagte treffen wird.

92

Allerdings hat der Senat die Beklagte verpflichtet, bereits bis zu ihrer endgültigen Entscheidung als kurzfristige Maßnahme sofort (ab Rechtskraft) für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h (Verkehrszeichen 274) anzuordnen. Auch hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht und in der Berufungsinstanz geltend gemacht, dass eine Vielzahl der Auto- und Lkw-Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten, so dass das Verwaltungsgericht Ansprüche auf Aufstellung eines Geschwindigkeitsanzeigers oder einer Geschwindigkeitsmessanlage zur Einhaltung der derzeit angeordneten Höchstgeschwindigkeit geprüft und verneint hat. So verstanden mangelt es dem Antrag nicht an hinreichender Bestimmtheit.

93

Indes hat das Verwaltungsgericht insoweit den Antrag ebenfalls zu Recht abgelehnt. Zur Begründung ist zunächst auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu verweisen. Darüberhinaus ist noch Folgendes auszuführen:

94

§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVO gewährt dem Einzelnen einen subjektiv-rechtlichen Anspruch auf die in § 45 Abs. 4 StVO bezeichneten straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen. Andere Maßnahmen als die Anordnung von Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen, also hier insbesondere Verkehrsüberwachungsmaßnahmen wie die Durchführung von Geschwindigkeitskontrollen, die Installierung von festen Geschwindigkeitsmessanlagen oder die Aufstellung von Geschwindigkeitsanzeigern kann der Kläger auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht verlangen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. April 2013 - 3 B 59.12 -, Rn. 7, 18; juris; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 26. Januar 1982 - 4 A 2586/80 -, LSe, MDR 1982, 787 f.). Aus den vom Kläger in diesem Zusammenhang genannten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile vom 22. Januar 1971 - 7 C 48.69 - und vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -) folgt nichts Abweichendes.

95

Eine sonstige Vorschrift, die einen individuellen Anspruch auf allgemeine ordnungsrechtliche Maßnahmen zur dauerhaften Überwachung des Straßenverkehrs gewähren könnte, gibt es nicht und eine solche wird auch vom Kläger nicht aufgezeigt.

96

Mangels Anspruchsgrundlage für diesen Klageantrag waren auch darauf abzielende Beweisanträge als unerheblich abzulehnen. Dies betrifft insbesondere die Beweisanträge zu III., wobei zum Beweisantrag zu III. 1. außerdem anzumerken ist, dass das Gericht den Inhalt der Gerichtsakte kennt.

97

4. Soweit der Kläger die ermessensfehlerfreie Neubescheidung über Lärmschutzmaßnahmen in Bezug auf seine Wohnung begehrt, ist seine Berufung teilweise begründet. Der Kläger kann von der Beklagten eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen gemäß § 45 StVO in Bezug auf seine Wohnung in der A-Straße verlangen und bis zur Neubescheidung als kurzfristige Maßnahme sofort (ab Rechtskraft) für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) die Anordnung von 30 km/h (Verkehrszeichen 274) als zulässige Höchstgeschwindigkeit. Einen weitergehenden Anspruch hat er nicht, insbesondere nicht auf Verpflichtung der Beklagten zur ermessensfehlerfreien Entscheidung über straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen, die geeignet sind, die von ihm genannten Lärmpegel bzw. Grenzwerte sofort, kurz- mittel- oder langfristig einzuhalten (a). Anhaltspunkte für Mautausweichverkehr bestehen nicht (b). Die Umgebungslärmrichtlinie gewährt ihm keine subjektiven Rechte (c).

98

Dabei ist der Klagantrag zu 3. im ersten Unterpunkt (Maßnahmen, die geeignet sind, gesundheitsgefährdende Lärmbelästigungen des Klägers oberhalb von unionsrechtskonformen Grenzwerten sofort zu verhindern) bereits unzulässig, da es ihm an einer hinreichenden Bestimmtheit mangelt. Der Kläger nennt selbst keine konkreten Grenzwerte, sondern vertritt nur die Auffassung, dass die Anwendung unionsrechtskonformer Grenzwerte unabdingbar sei, die nicht über 65 dB(A) am Tag und 55 dB(A) in der Nacht festgelegt werden dürften (Schriftsatz vom 25. April 2016, dort unter II. 2., GA Bl. 454). Die Festlegung konkreter Grenzwerte ist ihm auch nicht möglich, da es solche Grenzwerte nicht gibt. Insoweit zitiert er selbst aus Erwägungsgrund Nr. 8 Satz 2 und Art. 3 Buchst. s der Umgebungslärmrichtlinie (Schriftsatz vom 25. April 2016, dort unter II. 2., GA Bl. 452 f.), dass die Mitgliedsstaaten konkrete Grenzwerte festlegen (siehe dazu auch unten c).

99

Die übrigen Klaganträge zu 3. Unterpunkte 2 bis 4 sind zwar hinreichend bestimmt, jedoch hat der Kläger ausschließlich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach den nachfolgend genannten Maßgaben, so dass auch insoweit die Berufung im Übrigen zurückzuweisen war.

100

a) Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken oder verbieten oder den Verkehr umleiten. Die Vorschrift gibt dem Einzelnen einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten, wenn Lärm oder Abgase Beeinträchtigungen mit sich bringen, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss (BVerwG, Urteile vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, LS, Rn. 13, juris, vom 22. Dezember 1993 - 11 C 45.92 -, NJW 1994, 2037 ff. und vom 13. März 2008 - 3 C 18.07 - juris, VGH München, Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 24, juris, OVG Bremen, Beschluss vom 11. Februar 2016 -1 B 241/15 -, Rn. 18, juris).

101

Die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift sind erfüllt (aa); eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten über den Antrag des Klägers liegt bislang nicht vor (bb).

102

aa) Dabei bestimmt kein bestimmter Schallpegel oder Abgaswert die Grenze der Zumutbarkeit. Maßgeblich ist, ob der Lärm Beeinträchtigungen mit sich bringt, die jenseits dessen liegen, was unter Berücksichtigung der Belange des Verkehrs im konkreten Fall als ortsüblich hingenommen und damit zugemutet werden muss. Abzustellen ist auf die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Anlieger sowie auf eine eventuell gegebene Vorbelastung. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind ferner die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer zu würdigen. Schließlich sind die Interessen anderer Anlieger, die durch lärm- oder abgasreduzierende Maßnahmen ihrerseits übermäßig durch Lärm oder Abgase beeinträchtigt würden, in Rechnung zu stellen. Dabei darf die Behörde in Wahrung allgemeiner Verkehrsrücksichten und sonstiger entgegenstehender Belange von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen umso eher absehen, je geringer der Grad der Lärm- oder Abgasbeeinträchtigung ist, dem entgegengewirkt werden soll. Umgekehrt müssen bei erheblichen Lärm- oder Abgasbeeinträchtigungen die verkehrsberuhigenden oder verkehrslenkenden Maßnahmen entgegenstehenden Verkehrsbedürfnisse und Anliegerinteressen schon von einigem Gewicht sein, wenn mit Rücksicht auf diese Belange ein Handeln der Behörde unterbleibt. Die zuständige Behörde darf jedoch selbst bei erheblichen Lärm- oder Abgasbeeinträchtigungen von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen absehen, wenn ihr dies mit Rücksicht auf die damit verbundenen Nachteile gerechtfertigt erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, LS, Rn. 12 f., 15, juris, Beschluss vom 18. Oktober 1999 - 3 B 105.99 -, Rn. 2, juris, VGH München, Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 25, juris, OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 - LS 1, Rn. 9, juris).

103

Die an der Wohnanlage X an (in) der Wohnung des Klägers festzustellende Lärmbelastung überschreitet die nach den vorstehenden Kriterien bestimmte Grenze der Zumutbarkeit. Dabei ist die gebietsbezogene Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Wohnanlage nicht als reines Wohngebiet, sondern – da für die Wohnanlage kein Bebauungsplan existiert und sie sich im Außenbereich befindet – als Kern-, Dorf- oder Mischgebiet anzusetzen. Selbst bei Einbeziehung der erheblichen Vorbelastung durch die B 76, die auch in der Baugenehmigung zum Ausdruck gekommen ist, ist die Lärmbelastung im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO unzumutbar.

104

Die Grenze der zumutbaren Lärmbelastung, bei deren Überschreitung ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO besteht, ist nicht durch auf Rechtsetzung beruhende Grenzwerte festgelegt; davon ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen.

105

Die Richtlinien für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (Lärmschutz-Richtlinien-StV) vom 23. November 2007 (VkBl 2007, 767) gelten zwar für bestehende Straßen und lehnen sich an die Verkehrslärmschutzrichtlinien an. Sie sollen den Straßenverkehrsbehörden aber nur eine Orientierungshilfe zur Entscheidung über straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Wohnbevölkerung an die Hand geben. Diese Richtlinien gehen selbst davon aus, dass die Grenze des zumutbaren Verkehrslärms nicht normativ festgelegt ist (Nr. 1.2 Satz 1) und alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind (Nr. 1.3 Satz 1). In Nr. 2.1 benennen sie Richtwerte für Beurteilungspegel, bei deren Überschreitung straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen „insbesondere“ in Betracht kommen, also eine Ermessensverdichtung auf Null angenommen werden kann, und zwar wenn der vom Straßenverkehr herrührende Mittelungspegel am Immissionsort einer der folgenden Richtwerte überschreitet: In reinen und allgemeinen Wohngebieten, Kleinsiedlungsgebieten sowie an Krankenhäusern, Schulen, Kurheimen und Altenheimen 70 dB (A) zwischen 6.00 und 22.00 Uhr (tags) und 60 dB (A) zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (nachts), in Kerngebieten, Dorfgebieten und Mischgebieten 72 dB (A) zwischen 6.00 und 22.00 Uhr (tags) und 62 dB (A) zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (nachts) sowie in Gewerbegebieten 75 dB (A) zwischen 6.00 und 22.00 Uhr (tags) und 65 dB (A) zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (nachts). Dies besagt jedoch nur, dass sich in derartigen Fällen das Ermessen der Behörde zu einer Pflicht zum Einschreiten verdichten kann; es bedeutet jedoch nicht, dass geringere Lärmeinwirkungen straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen ausschlössen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, Rn. 14, juris, VGH München, Urteil vom 11. Mai 1999 - 11 B 97.695 -, Rn. 32, juris).

106

Ebenso wenig können die Vorschriften der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbelastung im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO unmittelbar angewendet werden. Diese Verordnung bestimmt durch Festlegung von Immissionsgrenzwerten die Schwelle der Zumutbarkeit von Verkehrslärm nur für den Bau und die wesentliche Änderung u.a. von öffentlichen Straßen (vgl. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1). Desgleichen gelten die Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes (Verkehrslärmschutzrichtlinien, VLärmSchR 97 vom 2. Juni 1997, VkBl 1997, 434) lediglich für planerische Maßnahmen bei der Linienführung und Trassierung (Lärmschutz durch Planung), für bauliche Maßnahmen an der Straße (aktiver Lärmschutz) und an lärmbetroffenen baulichen Anlagen (passiver Lärmschutz) beim Neubau und bei der wesentlichen Änderung von Straßen (Lärmvorsorge) und zur Verminderung der Lärmbelastung an bestehenden Straßen (Lärmsanierung) sowie für die Entschädigung wegen verbleibender Beeinträchtigungen (vgl. insbesondere Abschnitte A. I., II.; B. IV.; C. VI. 11 bis 13; D. XIV., 36 f.; E.XVII.). Demgegenüber geht es bei § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO um straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen des Lärmschutzes für bestehende Straßen (zum Ganzen vgl. VGH München, Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 27, juris).

107

Die Immissionsgrenzwerte des § 2 Abs. 1 der Verkehrslärmschutzverordnung können aber im Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO als Orientierungshilfe für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze, deren Überschreitung die Behörde zur Ermessensausübung verpflichtet, herangezogen werden. Die Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung bringen ganz allgemein die Wertung des Normgebers zum Ausdruck, von welcher Schwelle an eine nicht mehr hinzunehmende Beeinträchtigung der jeweiligen Gebietsfunktion, zumindest auch dem Wohnen zu dienen, anzunehmen ist. Eine Unterschreitung der Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung ist danach jedenfalls ein Indiz dafür, dass die Lärmbelastung auch die Zumutbarkeitsschwelle in straßenverkehrsrechtlicher Hinsicht nicht erreicht. Umgekehrt kommt bei einer Überschreitung dieser Immissionsgrenzwerte eine zur fehlerfreien Ermessensausübung verpflichtende Überschreitung der straßenverkehrsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle in Betracht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1993 - 11 C 45.92 -, DVBl 1994, 758 f., Urteil vom 13. März 2008 - 3 C 18.07 -, LS 3, Rn. 33, juris, Beschluss vom 13. Juli 2017 - 4 BN 10.17 -, Rn. 11, juris, VGH München, Urteile vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 28, juris, vom 13. Mai 1997 - 8 B 96.3508 -, BayVBl 1999, 118, und vom 18. Februar 2002 - 11 B 00.1769 -, BayVBl 2003, 80, OVG Münster, Urteile vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01-, LS 1, Rn. 16, juris, und vom 1. Juni 2005 - 8 A 2350/04 -, Rn. 33, juris). Die Orientierung an den Lärmwerten des § 2 Abs. 1 der Verkehrslärmschutzverordnung ist nur aussagekräftig, wenn zur Ermittlung der Lärmbelastung das nach dieser Verordnung vorgesehene Berechnungsverfahren angewendet wird (vgl. OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, LS 2, Rn. 10, juris, vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 11. Februar 2016 - 1 B 241/15 -, Rn. 21 ff., 26, juris).

108

Die Lärmbelastung des klägerischen Grundstücks lässt sich nach Ansicht des Senats aus den in sich widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Berechnungen nach den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen (RLS-90) des vom Gericht in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens ableiten. Diese Berechnungen ergeben auf der Basis der Verkehrsdaten entsprechend der Verkehrserhebung 2015 für die Wohnanlage X an dem am stärksten betroffenen Immissionspunkt (IP 11, im 1. Obergeschoss) der klägerischen Wohnung Beurteilungspegel von 68 dB (A) tags und 61 dB (A) nachts (vgl. S. 17 des Sachverständigengutachtens vom 14. Juli 2017).

109

Soweit die Beklagte hierzu eingewandt hat, dass es sich bei dem Immissionspunkt 11 nicht um den in der Baugenehmigung als Schlafzimmer ausgewiesenen Raum handelt, ist dem entgegenzuhalten, dass es hierauf nicht ankommt. Sämtliche Berechnungsvorschriften (§ 2 der 16. BImSchV, Nr. 2.1 und 2.2 der Lärmschutz-Richtlinien-StV, Nr. 4.0 der RLS-90) unterscheiden nicht nach der Art der genutzten Räume im Einzelnen, sondern es ist eine Lärmberechnung an der Fassade vorzunehmen. Nr. 37.2 der Verkehrslärmschutzrichtlinien unterscheiden zwar nach der Art der Nutzung der Räume, aber nur insoweit als zwischen gewerblichen genutzten Räumen und Räumen, die ganz oder überwiegend zum Wohnen genutzt werden, unterschieden wird. Abgesehen davon, ist es allgemein üblich, Schafzimmer nicht in den der Straße zugewandten Teil einer Wohnung zu legen, wovon auch die Normgeber bei der Festlegung der Richtwerte ausgegangen sind. Schließlich ist die Nutzung der einzelnen Räume dem Kläger überlassen und die Baugenehmigung macht diesbezüglich keine verbindlichen Vorgaben.

110

Der Kläger macht geltend, dass der Senat die Berechnungsmethoden der Umgebungslärmrichtlinie anzuwenden habe. Das ist nicht der Fall (vgl. OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, LS 2, Rn. 10, juris, OVG Bremen, Beschluss vom 11. Februar 2016 - 1 B 241/15 -, Rn. 21 ff., 26, juris). Mit der Vorläufigen Berechnungsmethode für den Umgebungslärm an Straßen (VBUS) können die Lärmindizes LDEN (Tag-Abend-Nacht-Lärmindex) und LNight (Nacht-Lärmindex) der 34. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über die Lärmkartierung - 34. BImSchV) für den Straßenverkehr berechnet werden, die für die Kartierung von Umgebungslärm nach § 47c BImSchG benötigt werden. Die VBUS gilt nicht für Schallberechnungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV). Die VBUS ist angelehnt an die Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen (RLS-90), wurde jedoch an die Erfordernisse der Anhänge I und II der Richtlinie 2002/49/EG angepasst und ist bis zur verbindlichen Einführung eines harmonisierten Berechnungsverfahrens gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2002/49/EG anzuwenden. Um eine Berechnung für die Kartierung von Umgebungslärm nach § 47c BImSchG geht es hier indes nicht. Ansprüche des Klägers aus der Umgebungslärmrichtlinie oder aus den Regelungen der Lärmminderungsplanung bestehen nicht, wie unten (c) noch auszuführen sein wird.

111

Unabhängig davon hat der Senat durch den Sachverständigen auch die Lärmbelastung nach dieser Berechnungsmethode (VBUS) errechnen lassen (S. 18 f. und Anlage 6 des Sachverständigengutachtens vom 14. Juli 2017), wobei für den Nachtzeitraum ähnliche Pegelwerte (59 dB (A) bis 61 dB (A)) ermittelt wurden; der 24-stündige Beurteilungszeitraum ergab Pegelwerte von 68 dB (A) bis 70 dB (A). Irgendeine Aussagekraft ist diesen Ergebnissen aber mangels entsprechender rechtlicher Anspruchsgrundlage (siehe unten c) nicht zu entnehmen. Dasselbe gilt für die Berechnungen zu den im Lärmaktionsplan der Beklagten angenommenen Prognosezahlen für 2018 und der von der Beklagten in einem anderen Verfahren des Klägers angegebenen täglichen Verkehrsstärke von 23.116 Fahrzeugen. Diese Zahlen haben sich durch die aktuelle Verkehrszählung 2015 als nicht aussagekräftig erwiesen und sind nicht zugrundezulegen. Die Daten der aktuellen Verkehrszählung hat der Sachverständige durch einen Eindruck vor Ort bestätigt (S. 8 f. des Sachverständigengutachtens vom 14. Juli 2017).

112

Die ausweislich des Sachverständigengutachtens festgestellten Beurteilungspegel (von 68 dB (A) tags und 61 dB (A) nachts) überschreiten die in § 2 Abs. 1 Nr. 3 der Verkehrslärmschutzverordnung für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete festgelegten Immissionsgrenzwerte von 64 dB (A) tags um 4 dB (A) und von 54 dB (A) nachts um 7 dB (A). Diese Überschreitung ist mehr als erheblich. Sie ist auch angesichts der Funktion der Straße als Bundestraße und der damit bestehenden Vorbelastung im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO unzumutbar. Hierzu kann als Orientierung die Wertung des Normgebers in § 1 Abs. 2 Nr. 2 der Verkehrslärmschutzverordnung herangezogen werden, der eine Erhöhung des Beurteilungspegels um mindestens 3 dB (A) als wesentliche Änderung ansieht (ähnlich die Bewertung in Nr. 2.3 der Lärmschutz-Richtlinien-StV). Dabei bestehen keine Bedenken, auch insoweit die Aufrundungsregel gemäß Anlage 1 und 2 zu § 3 der 16. BImSchV anzuwenden, so dass die Erheblichkeitsschwelle bereits bei 2,1 dB (A) beginnt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 2007 - 9 C 2.06 -, Rn. 28, juris, vgl auch, Urteil vom 13. März 2008 - 3 C 18.07 - Rn. 34 m.w.N., juris).

113

Für den Nachtwert kommt noch hinzu, dass dieser den Beurteilungspegel von 60 dB (A) überschreitet, der nach der Wertung der Verkehrslärmschutzverordnung eine unzumutbare Lärmbeeinträchtigung darstellt. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 der Verkehrslärmschutzverordnung liegt eine wesentliche Lärmzunahme vor, wenn der Beurteilungspegel des Verkehrslärms auf mindestens 60 dB (A) in der Nacht erhöht wird. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 der Verkehrslärmschutzverordnung gilt dasselbe, wenn der Beurteilungspegel von mindestens 60 dB (A) in der Nacht weiter erhöht wird; das gilt nicht in Gewerbegebieten. Dem liegt eine Wertung des Verordnungsgebers zugrunde, die sich auf § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO übertragen lässt. Danach ist auch eine geringere Lärmzunahme als eine solche um 3 dB (A) erheblich, wenn dadurch ein Beurteilungspegel von 60 dB (A) in der Nacht erreicht oder überschritten wird. Dann nämlich droht eine ohnehin bereits unzumutbare Situation noch verschlechtert oder jedenfalls verfestigt zu werden (vgl. zu dieser Wertung: BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 3 C 18.07 -, LS 4, Rn. 43, juris, OVG Bremen, Beschluss vom 11. Februar 2016 -1 B 241/15 -, Rn. 18, juris).

114

Selbst wenn man die in § 2 Abs. 2 Nr. 4 der Verkehrslärmschutzverordnung für Gewerbegebiete festgelegten Grenzwerte von 69 dB (A) tags und 59 dB(A) nachts heranziehen würde – was der Senat nicht für angezeigt hält und wohl auch die Beklagte nicht tun will (vgl. Berufungserwiderungsschrift vom 20. November 2014 S. 7, GA Bl. 358) –, wären auch diese nachts um 2 dB (A) überschritten.

115

Zwar liegen die genannten Beurteilungspegel noch unter den in den Verkehrslärmschutzrichtlinien für den Lärmschutz durch bauliche Maßnahmen an bestehenden Straßen (Lärmsanierung) festgelegten Immissionsgrenzwerten für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete von 72 dB (A) tags und 62 dB (A) nachts. Entsprechendes gilt hinsichtlich der in den Lärmschutz-Richtlinien-StV für straßenverkehrsrechtliche Lärmschutzmaßnahmen bestimmten Richtwerte für Wohnbebauung im Außenbereich, die entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit als Kern,- Dorf- oder Mischgebiet zu beurteilen ist. Insoweit darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Überschreitung dieser Richtwerte nach der Rechtsprechung nicht erst einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO auslöst, sondern bereits die Verdichtung des Ermessens der Behörde zu einer Pflicht zum Einschreiten zur Folge haben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, Rn. 14, juris, Beschluss vom 31. März 1988 - 7 B 52.88 -, Rn. 2, juris, VGH München Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 30, juris).

116

Eine (punkt)genaue Bestimmung des Pegelwertes des noch als zumutbar hinzunehmenden Straßenverkehrslärms muss der Senat nicht vornehmen. Doch sind in Anbetracht der straßenverkehrlichen Vorbelastung durch die B 76 und des Umstands, dass die Wohnanlage X im Außenbereich liegt, Überschreitungen der vom Kläger im Klagantrag zu 3. in den Unterpunkten 2, 3 und 4 genannten (kurz-, mittel- und langfristig zu erreichenden) Pegelwerte im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO als zumutbar hinzunehmen. Der Senat könnte sogar dahinstehen lassen, ob die im Unterpunkt zu 2 genannten Pegelwerte von 65 dB (A) am Tag und 55 dB (A) in der Nacht als unzumutbar bezeichnet werden können. Selbst dann würden sie nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein straßenverkehrsrechtliches Einschreiten auslösen. Beantragt ist aber nicht lediglich eine ermessensfehlerfreie Entscheidung oder gar eine Verpflichtung zu einer ermessensfehlerfreien Entscheidung, sondern der diesbezügliche Antrag geht von einer Verdichtung des Ermessens der Behörde zu einer Pflicht zum – zielgerichteten – Einschreiten aus, wenn es heißt:

117

Die Beklagte wird verurteilt, auf der B- Straße (B 76) in A-Stadt im Bereich des Straßenabschnittes „Wohnpark X" innerhalb vom Gericht zu bestimmender Fristen zielführende, verhältnismäßige und planunabhängige Lärmschutzmaßnahmen ermessensfehlerfrei zu ergreifen, die geeignet sind, (…)

118

Gesundheitsgefährdungen des Klägers durch Reduzierung der Lärmindizes unter die Pegelwerte 65 dB(A) am Tag bzw. 55 dB(A) in der Nacht kurzfristig zu vermeiden, (…)

119

hilfsweise Lärmindizes unter vom Gericht zu bestimmende kurz-, mittel- und langfristige Pegelwerte zu reduzieren.

120

Eine solche Pflicht zum Einschreiten vermag der Senat aber nur hinsichtlich der nächtlich erreichten Pegelwerte zu erkennen und dies auch nur in Anbetracht des Umstandes, dass sich mit der vom Senat bis zur Neubescheidung als kurzfristige Maßnahme angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit 30 km/h (Verkehrszeichen 274) in der Nacht eine erhebliche Reduzierung von bis zu 2,5 dB (A) erreichen lässt und diese Anordnung auch in Anbetracht der Verkehrsfunktion der B 76 an dieser Stelle aufgrund besonderer Umstände keine sonstigen nachteiligen Folgen nach sich zieht. Damit sind aber weder die vom Kläger angestrebten 55 dB (A) erreicht noch hat er einen Anspruch darauf, dass mit den (noch zu treffenden) Maßnahmen ein bestimmter Wert erreicht wird. Im Gegenteil folgt für den Einzelnen aus § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO auch dann grundsätzlich „nur" ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, wenn die in § 2 Abs. 1 der Verkehrslärmschutzverordnung genannten Grenzwerte überschritten werden, also die Lärmbeeinträchtigungen so intensiv sind, dass sie im Rahmen einer Planfeststellung Schutzauflagen auslösen würden. Denn bei straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen ist stets eine Gesamtbilanz vorzunehmen. Zu prüfen ist, ob die Verhältnisse nur um den Preis gebessert werden können, dass an anderer Stelle neue Unzuträglichkeiten auftreten. Es ist eine abwägende Ermessensentscheidung zu treffen, die die Belange des Straßenverkehrs und der Verkehrsteilnehmer sowie die Interessen anderer Anlieger berücksichtigt, die durch lärm- oder abgasreduzierende Maßnahmen ihrerseits übermäßig durch Lärm oder Abgase beeinträchtigt würden. Dabei darf die zuständige Behörde selbst bei erheblichen Lärm- oder Abgasbeeinträchtigungen von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen absehen, wenn ihr dies mit Rücksicht auf die damit verbundenen Nachteile gerechtfertigt erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, Rn. 15, juris, VGH München, Urteil vom 18. Februar 2002 - 11 B 00.1769 -, BayVBl 2003, 80, OVG Münster, Urteile vom 2. Dezember 1997 - 25 A 4997/96 -, NWVBl 1998, 266, vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, VRS 105, 233 und vom 1. Juni 2005 - 8 A 2350/04 -, Rn. 34, juris). Dementsprechend ist auch der Hilfsantrag als nicht weiterführend abzulehnen gewesen.

121

bb) Die Ermessensentscheidung über verkehrsbeschränkende Maßnahmen, die der Kläger aufgrund der die Grenze des Zumutbaren überschreitenden Lärmbelastung seiner Eigentumswohnung beanspruchen kann, ist von der Beklagten bislang jedenfalls nicht fehlerfrei getroffen worden. Hierzu muss im Einzelfall eine Entscheidung getroffen worden sein, die erkennen lässt, welche Maßnahmen abgewogen worden sind und dass die jeweils gegenläufigen Interessen mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Ermessensentscheidung einbezogen worden sind. Dabei kann das Gericht die Ermessensentscheidung der Beklagten nur eingeschränkt daraufhin überprüfen, ob sie die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten hat und ob sie von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO).

122

Bei straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen ist eine Gesamtbilanz vorzunehmen. Zu prüfen ist, ob die Verhältnisse nur um den Preis gebessert werden können, dass an anderer Stelle neue Unzuträglichkeiten auftreten. Im Ergebnis würde sich die Gesamtsituation verschlechtern, wenn die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt oder wegen Änderungen von Verkehrsströmen noch gravierendere Lärmbeeinträchtigungen von Anliegern anderer Straßen drohen würden. Die Straßenverkehrsbehörde darf von Maßnahmen umso eher absehen, je geringer der Grad der Lärmbeeinträchtigung ist, dem entgegen gewirkt werden soll. Umgekehrt müssen bei erheblichen Lärmbeeinträchtigungen entgegenstehende Verkehrsbedürfnisse und Anliegerinteressen von einigem Gewicht sein, wenn mit Rücksicht auf diese verkehrsberuhigende oder verkehrslenkende Maßnahmen unterbleiben (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1986 - 7 C 76.84 -, Rn. 15, juris, OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, Rn. 16, juris).

123

Die Beklagte hat sich in ihrem Widerspruchsbescheid nur mit vom Kläger vorgeschlagenen Maßnahmen (Einengung der Straße/ Verkehrsinsel, gefahrloses Queren für Fußgänger und Radfahrer, Geschwindigkeitsanzeiger/ -kontrollen) befasst und zu Maßnahmen nach § 45 Abs. 9 StVO ausgeführt, dass es zwar keine aktuellen Lärmuntersuchungen gebe, jedoch die Einrichtung einer Tempo-30-Zone im Hinblick auf den Charakter der B 76 als Hauptverkehrsstraße unverhältnismäßig sei. Letzteres ist dem Grunde nach nicht zu beanstanden, da sämtliche Maßnahmen (Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen) nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO nur dort angeordnet werden dürfen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Zudem ist nach § 45 Abs. 1c Satz 2 StVO die Anordnung einer Tempo-30-Zone auf einer Bundestraße, um eine solche handelt es sich bei der B 76, unzulässig.

124

Irgendwelche Ausführungen zu § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO enthalten ihre Bescheide aber nicht, allenfalls soweit es heißt, dass die Einrichtung einer Verkehrsinsel vom Straßenbaulastträger gefordert werden müsse, der zudem darauf hinweise, dass es insofern keinen Anspruch geben könne. Diesen Ausführungen sind keine Ermessenserwägungen im oben dargestellten Sinn zu entnehmen (Ermessensausfall). Ihre Argumentation, es werde seit Jahren während der Saison eine verkehrsabhängige Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h angeordnet, befasst sich mit dem gefahrlosen Überqueren der Straße und betrifft keine Lärmschutzmaßnahmen; zudem wird die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht vor der Wohnanlage des Klägers angeordnet.

125

Unabhängig von der Frage, ob eine im Verwaltungsverfahren unterbliebene Ermessensentscheidung im Sinne des § 114 Satz 2 VwGO überhaupt noch „ergänzt“ werden kann, sind auch die ergänzenden Ausführungen im Berufungsverfahren nicht ermessensfehlerfrei. Voraussetzung für die Eröffnung des behördlichen Ermessens in Bezug auf die Frage, ob überhaupt verkehrsbeschränkende Maßnahmen – und falls ja, welche – ergriffen werden sollen, ist das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift, nämlich das Bestehen unzumutbarer Lärm- und/oder Abgasbelastungen. Insoweit geht die Beklagte unzutreffend pauschal davon aus, dass keine solchen unzumutbaren Belastungen vorhanden seien. Vor diesem Hintergrund konnte sie bereits nicht erkennen, dass ihr im Rahmen der Entscheidung über den vom Kläger gestellten Antrag überhaupt ein Ermessen eingeräumt war. Unabhängig hiervon ist auch nicht erkennbar, dass die von der Beklagten getroffene Entscheidung den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung (vgl. § 73 LVwG) entspricht.

126

Zwar kann die zuständige Verkehrsbehörde im Rahmen einer Abwägung zwischen den unzumutbar beeinträchtigten Interessen der Anwohner und möglicherweise übergeordneten Verkehrsinteressen zu dem Ergebnis kommen, keine oder andere als die von den Betroffenen gewünschten verkehrsbeschränkenden Maßnahmen anzuordnen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass eine solche Abwägung überhaupt nachvollziehbar stattgefunden hat und auch im Ergebnis vertretbar ist. Außer den Ausführungen zur bestimmungsgemäßen Funktion der B 76 fehlt jede Befassung mit den nachteiligen Folgen einer Geschwindigkeitsbeschränkung oder vergleichbarer verkehrsbeschränkender Maßnahmen. Es fehlt schon an einer nachvollziehbaren Befassung mit der Frage, welche verkehrsbeschränkenden Maßnahmen grundsätzlich in Betracht kämen, um eine ausreichende Lärmminderung erzielen zu können. Im Gegenteil wird mit der Feststellung, dass Bundesfernstraßen überörtlichen Verkehr, einschließlich des damit zusammenhängenden Schwerlastverkehrs abzuwickeln hätten, so dass Maßnahmen, die diese funktionsgerechte Nutzung beschränkten, sich in Widerspruch zum Widmungszweck setzten und daher unzulässig seien, von vornherein jede Verkehrsbeschränkungen abgelehnt. Für eine Abwägung im oben dargestellten Sinn ist nichts erkennbar. Zutreffend ist allerdings, dass Verkehrslärm, der von den Anliegern einer Bundesfernstraße (einschließlich Ortsdurchfahrt) oder auch einer Landesstraße bzw. einer Kreisstraße wegen ihrer der Widmung entsprechenden Verkehrsbedeutung ertragen werden muss, den Anliegern einer Ortserschließungsstraße nicht ohne weiteres in gleicher Weise zumutbar ist (vgl. OVG Münster, Urteil vom 21. Januar 2003 - 8 A 4230/01 -, Rn. 20, juris).

127

Soweit die Beklagte darauf verweist, dass kein Anspruch auf Gleichbehandlung mit dem Straßenabschnitt B- Straße 30-58 bestehe, da das Grundstück des Klägers weder innerhalb der Ortsdurchfahrt noch im Innenbereich liege, ist auch dies keine Prüfung im dargestellten Sinn. Die Beklagte verneint damit im Ergebnis unzumutbare Lärmbelastungen des Klägers. Die Beklagte hat im Berufungsverfahren zudem die Endfassung der „Schalltechnischen Berechnungen als Ergänzung zur Lärmaktionsplanung der A-Stadt im Bereich B- Straße 142-156“ des Büro LAIRM Consult GmbH vom 13. Oktober überreicht (Schriftsatz vom 13. Oktober 2016, Bl. 736 ff. GA) und die Einschätzung des von ihm beauftragten Sachverständigen wiedergegeben, der (wohl) zu dem Ergebnis kommt, dass die Lärmbelastungen aufgrund der Einschränkung in der Baugenehmigung zumutbar seien. Nicht in den Blick genommen ist hierbei, dass die Wohnanlage als Mehrfamilienhaus genehmigt worden ist und sich die Einschränkungen zum Immissionsschutz in der Baugenehmigung auf die Frage, wer die Kosten zu tragen hat, bezieht. Eine eigenständige Prüfung von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen an der Wohnanlage X findet nicht statt. Nicht in den Blick genommen ist bei dieser Argumentation zudem, dass die Beklagte auf der B 76 in den Sommermonaten direkt nach der Wohnanlage in südöstlicher Richtung bis zum Ortsausgangsschild als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h ganztägig anordnet und sich in diesem Bereich keine Wohnbebauung befindet.

128

Der Anspruch des Klägers auf fehlerfreie Ausübung des der Beklagten eingeräumten Ermessens ist nach alledem nicht erfüllt, so dass die Beklagte über den Antrag des Klägers erneut entscheiden muss. Bei der Entscheidung wird zu berücksichtigen sein, dass die Wohnruhe grundsätzlich ein besonderes berücksichtigungswürdiges Anliegen ist und deshalb das Bedürfnis nach Wohnruhe mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Ermessensüberlegungen einbezogen und mit den übrigen privaten oder öffentlichen Interessen auf der Basis einer zutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Ermittlung abgewogen werden muss (VGH München, Urteil vom 21. März 2012 - 11 B 10.1657 -, Rn. 34, juris, OVG Münster, Urteil vom 21. August 1989 - 12 A 1859/78 -, Rn. 6, juris). Weiter wird zu erwägen sein, dass die B 76 (B- Straße) aller Voraussicht nach – wie die alljährlichen Erfahrungen aus der Vergangenheit nahelegen, wenn in den Sommermonaten im Straßenabschnitt in südöstlicher Richtung direkt nach der Wohnanlage X bis zum Ortsausgangsschild ganztägig als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h angeordnet ist – auch bei Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung nach wie vor in der Lage sein wird, den über sie abgewickelten Verkehr aufzunehmen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es kein rechtlich geschütztes Individualinteresse von Verkehrsteilnehmern gibt, von der Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen oder sonstigen verkehrsbeschränkenden Maßnahmen verschont zu bleiben, um – bei Missachtung der Verkehrsbeschränkung – nicht mit Bußgeldern überzogen zu werden.

129

In ihre Abwägungen wird die Beklagte aber umgekehrt auch einzustellen haben, dass die B 76 die empfohlene Ausweichstrecke bei Bauarbeiten auf der Rader-Hochbrücke (Streckenabschnitt der BAB 7 über den Nord-Ostsee-Kanal) ist, so dass es bei derartigen Anlässen zu vermehrtem Verkehr, insbesondere auch zu vermehrtem Lkw-Verkehr kommen wird (siehe auch die Beweisanträge des Klägers zu IV). In derartigen Fällen könnte eine Geschwindigkeitsbeschränkung eher nachteilig wirken, wenn sich durch vermehrte Verkehrsflüsse bei unterschiedlichen zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, die sich zudem auf den kurzen Streckenabschnitten (B- Straße 30-58 und Wohnanlage X, jeweils nachts 30 km/h und in dem übrigen, dazwischen und zum Ortsausgang Fahrtrichtung C-Stadt liegenden Streckenabschnitten 50 km/h) abwechseln, Staus bilden, bei denen ständiges Anfahren und Abbremsen zu einer erhöhten Lärmbelastung führen. Dies könnte dazu führen, dass – zeitlich befristet – während derartiger Bauarbeiten eine angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung aufzuheben ist.

130

Der Senat hat die in diesem Zusammenhang gestellten Beweisanträge zu I. als unerheblich abgelehnt. Sie zielen zu I. 1, 2, 4 und 5 auf die hier nicht anzuwendende Berechnung und Bewertung des Verkehrslärms nach der Umgebungslärmrichtlinie bzw. der Vorläufigen Berechnungsmethode für den Umgebungslärm an Straßen (VBUS) und der Vorläufigen Berechnungsmethode zur Ermittlung der Belastetenzahlen (VBEB) sowie auf Einholung einer Auskunft der Beklagten welche diesbezüglichen Daten ihr vorliegen bzw. vorgelegen haben. Ansprüche aus der Lärmkartierung oder Einbeziehung in den Lärmaktionsplan sind nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits (siehe oben 1) bzw. verleihen dem Kläger keine subjektiven Rechte (siehe unten c). Zudem hat die Beklagte die ihr zur Verfügung stehenden Daten vorgelegt. Zu I. 5 sind die Beweisanträge auch deshalb unerheblich, weil sie auf die Lärmbelastung im Kurgebiet S-strand und nicht in bzw. an der Wohnung des Klägers zielen (zum Kurgebiet siehe oben 2). Dem Beweisantrag zu I. 3 a ist der Senat von Amtswegen durch Einholung amtlicher Auskünfte zu den Ergebnissen der Verkehrszählung nachgekommen. Der Beweisantrag zu 1.3 b (sofern es einer ist) zielt auf eine der Beweisaufnahme nicht zugängliche rechtliche Wertung ab.

131

Für die Zeit bis zur ermessensgerechten Entscheidung der Beklagten sieht sich der Senat aufgrund ihres bisherigen, mehr als nur zögerlichen Verhaltens veranlasst, die Beklagte zu verpflichten, als kurzfristige Maßnahme sofort (ab Rechtskraft) für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h (Verkehrszeichen 274) an der Wohnanlage X anzuordnen. Dabei ist zum Einen zu sehen, dass die Nachtwerte bereits die aus § 1 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 der Verkehrslärmschutzverordnung heranzuziehende Unzumutbarkeitsschwelle von 60 dB (A) übersteigen und sich bei einer angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h (Verkehrszeichen 274) in der Nacht bereits eine erhebliche Reduzierung des nächtlichen Verkehrslärms von 61 dB (A) um bis zu 2,5 dB (A) erreichen lässt (nach der Wertung der Nr. 2.3 der Lärmschutzrichtlinen-StV ist eine Pegelminderung ab 2,1 dB (A) bereits erheblich; nach der Wertung des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, Satz 2 der 16. BImSchV ist zudem jede Reduzierung unter 60 dB (A) in der Nacht erheblich). Diese Reduzierung des Pegelwertes, die der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, entnimmt das Gericht dem Lärmaktionsplan der Beklagten von 2013 (S. 41). Zum anderen zieht eine solche Anordnung auch unter Berücksichtigung der Verkehrsfunktion der B 76 an dieser Stelle keine sonstigen nachteiligen Folgen nach sich, wie sich aus dem Umstand ergibt, dass die Beklagte in den Sommermonaten direkt nach der Wohnanlage in südöstlicher Richtung bis zum Ortsausgangsschild ganztägig als zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h anordnet. Insoweit ist mangels von der Beklagten rechtsfehlerfrei angestellten Ermessenserwägungen und angesichts der damit einhergehenden erheblichen Lärmreduzierung ohne dass Nachteile ersichtlich wären derzeit in diesem Einzelfall ausnahmsweise sogar eine vorübergehende Ermessensreduzierung auf Null in Bezug auf eine bestimmte Maßnahme gegeben.

132

Ob die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung zum gleichen Ergebnis kommt oder doch eine oder mehrere andere – auch nicht verkehrsrechtliche – Maßnahmen für angezeigt hält (etwa eine Änderung der Asphaltdecke, die Errichtung einer Lärmschutzwand vor der Wohnanlage oder weitere passive Schallschutzmaßnahmen an der Wohnanlage), wird sie noch zu prüfen haben. Sie wird auch zu prüfen haben, ob 30 km/h als zulässige Höchstgeschwindigkeit ganztägig angeordnet werden kann. Auch kann sich in der Zukunft (nach den Ergebnissen der künftigen Verkehrszählungen, etwa wegen des Ausbaus der BAB 7) eine veränderte Situation ergeben oder auch durch den Umstand, dass neuere Kraftfahrzeuge immer leiser werden (bis hin zu den fast nicht mehr hörbaren Elektromobilen). Schließlich mag eine Geschwindigkeitsreduzierung während der Sperrung der Rader-Hochbrücke sogar kontraproduktiv sein (s.o.). Der Senat weist darauf hin, dass er, da die Verkehrszählungen für 2015 auch die werktägliche Verkehrsstärke ausweisen, den Sachverständigen um eine ergänzende Berechnung gebeten hat, die eine werktägliche Pegelerhöhung um 1,2 dB (A) tags und 1,0 dB (A) nachts ergab (Ergänzung des Sachverständigen vom 15. September 2017). Dies kann die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen einstellen, rechtlich ist sie dazu (bislang) nicht verpflichtet.

133

b) Weitergehende Ansprüche des Klägers aufgrund von Mautausweichverkehr bestehen nicht. Zwar dürfen nach § 45 Abs. 9 Satz 5 StVO sogar Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 der Vorschrift (zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm oder Abgasen) angeordnet werden zur Beseitigung oder Abmilderung von erheblichen Auswirkungen veränderter Verkehrsverhältnisse, die durch die Erhebung der Maut nach dem Bundesfernstraßenmautgesetz hervorgerufen worden sind. Indes bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Mautausweichverkehr.

134

Die am 1. Januar 2005 eingeführte Mautpflicht gilt für Lkw ab einem zulässigen Gesamtgewicht von 7,5 Tonnen grundsätzlich auf allen Bundesautobahnen (BAB) einschließlich Rastanlagen und beginnt mit der Auffahrt auf die Autobahn. Die Tonnagegrenze wurde am 1. Oktober 2015 von 12 Tonnen auf 7,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht herabgesenkt. Daneben sind seit dem 1. Januar 2007 bestimmte Streckenabschnitte einzelner Bundesstraßen mautpflichtig, die in der Anlage zur Mautstreckenausdehnungsverordnung (vom 8. Dezember 2012, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 12. Juli 2011, BGBl I, S. 1378; siehe auch das Bundesfernstraßenmautgesetz (BFStrMG), das am 19. Juli 2011 in Kraft getreten ist und das Autobahnmautgesetz (ABMG) abgelöst hat) aufgeführt sind. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass Teile der B 76, die von einem eventuellen Mautausweichverkehr, der an der Wohnanlage des Klägers vorbeiführt, benutzt werden müssten – nämlich die Teilstrecke C-Stadt - D-Stadt – mit einer Mautpflicht belegt sind (vgl. Bekanntmachung der Zusammenstellung des mautpflichtigen Streckennetzes nach der Verordnung zur Anordnung des Beginns der Mauterhebung auf Abschnitten von Bundesstraßen vom 5. Juli 2012, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, BAnz AT 05.07.2012 B2 S. 1, 4, lfd. Nr. 64). Damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass Lkw die B 76 benutzen, um eine Maut zu vermeiden, weiter herabgesetzt worden.

135

Ausschlaggebend sieht der Senat aber den Umstand an, dass sich nach den offiziellen Verkehrszählungen des Landesbetriebs für Straßenbau (bestätigt durch die Bundesanstalt für Straßenwesen mit Schreiben vom 30. März 2017) im Vergleich der Jahre 2005, 2010 und 2015 nicht nur der Straßenverkehr insgesamt von 21.632 Kfz/24h im Jahr 2000 (bzw. von 19.516 Kfz/24h im Jahr 2010) auf 18.894 Kfz/24h verringert hat, sondern auch der prozentuale Anteil des Lkw-Verkehrs (über 2,8 t) sich mehr als halbiert hat (im Jahr 2010: 6% tags und 7,5% nachts, im Jahr 2015 2,9 % tags und 3,7% nachts; Daten aufgrund der Analyse der Zählstelle Nr. 0405, vgl. Sachverständigengutachten vom 14. Juli 2017, S. 12, Tabelle 1). Damit ist der Lkw-Verkehr auch in absoluten Zahlen deutlich gesunken, was die Annahme eines Mautausweichverkehrs verbietet.

136

Unabhängig davon hat die Beklagte, die im Rahmen der zu § 45 Abs. 9 Satz 5 StVO anzustellenden Ermessenserwägungen ebenfalls eine Gesamtschau vorzunehmen hat, insoweit (in der Berufungsinstanz) ausgeführt, dass Maßnahmen innerhalb des Stadtgebiets tatsächlich nichts brächten, da (die K 14 oder) andere Straßen als Ausweichstrecke ungeeignet seien, so dass sich die Frage nach Maßnahmen im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO von vornherein nicht stelle. Das ist nicht zu beanstanden.

137

Die vom Kläger in diesem Zusammenhang gestellten Beweisanträge (zu II und zu IV) hat der Senat als unerheblich abgelehnt. Dies gilt zunächst für die Anträge zu IV, die den Umleitungsverkehr wegen der Sperrung der BAB 7 auf der Rader-Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal betreffen, denn Umleitungsverkehr ist nicht Mautausweichverkehr. Dabei bestätigen die zu IV 1. a und c vom Kläger erwarteten Beweisergebnisse überdies diese Ermessenserwägungen der Beklagten zu § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO. Für die Annahme zu IV. 1. b und IV 2. i geben die offiziellen Verkehrszählungen zudem keinen Anhalt. Die Beweisanträge zu II zielen zwar auf Mautausweichverkehr, waren aber ebenfalls als unerheblich abzulehnen. Die Anträge zu II. 1 auf Einsichtnahme der vom Kläger vorgelegten Dokumente (hierzu ist anzumerken: das Gericht kennt seine Akte) und zu II. 2 auf eine Augenscheinnahme durch den Senat vor Ort vermögen die amtlichen Zählungen nicht zu ersetzen (vgl. auch Sachverständigengutachten vom 14. Juli 2017 S. 10u) und sind daher zudem untauglich, abgesehen davon, dass der Beweisantrag zu II 2 auf eine der Beweisaufnahme nicht zugängliche Rechtsfrage zielt, nämlich auf die Feststellung, dass der Lärm unzumutbar sei. Angemerkt sei zudem, dass die Örtlichkeit einschließlich der Verkehrssituation dem Senat bekannt ist. Die Daten der aktuellen Verkehrszählung hat der Sachverständige zudem durch einen Eindruck vor Ort bestätigt (S. 8 f. des Sachverständigengutachtens vom 4. Juli 2017). Auch für den Beweisantrag zu II. 3 gilt, dass dieser die eindeutigen Daten aus den amtlichen Verkehrszählungen nicht zu ersetzen vermag. Zudem war dieser Beweisantrag unzulässig, da der Senat nicht im Wege der Beweisaufnahme wie bei einer Verkehrskontrolle Namen, Standorte der Spediteure, Datum und Uhrzeit der Durchfahrten und Fahrzeiten der einzelnen Fahrzeuge ermitteln kann. Irgendeine Rechtsgrundlage für ein solches Vorgehen nennt der Kläger nicht und eine solche gibt es auch nicht.

138

c) Weitergehende Ansprüche des Klägers lassen sich weder aus der Umgebungslärmrichtlinie noch aus den Regelungen der Lärmminderungsplanung herleiten, da diese dem Einzelnen keine subjektiven Rechte verleihen (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 6. April 2017 - OVG 11 N 16.13 -, Rn. 14, juris). Dies folgt bereits daraus, dass sich weder der Umgebungslärmrichtlinie noch den Ausführungsbestimmungen in §§ 47a ff. BImSchG verbindliche, den Schutz lärmbetroffener Dritter bezweckende Grenzwerte entnehmen lassen (ebenso: VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, LS 2, Rn. 28, juris).

139

Aus den Regelungen zur Lärmminderungsplanung in den §§ 47a ff. BImSchG ergeben sich nur Pflichten der zuständigen Behörden zur Erarbeitung von Lärmkarten und zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen, jedoch keine Schutzansprüche einzelner Immissionsbetroffener (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 43.08 -, Rn. 46, juris, vom 10. Oktober 2012 - 9 A 20.11 -, Rn. 30, juris, und - 9 A 18.11 -, Rn. 20 f., juris, vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 -, Rn. 22 ff., juris, und vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 -, Rn. 56, juris, OVG Berlin, Beschluss vom 6. April 2017 - OVG 11 N 16.13 -, Rn. 12, juris). Hinzu kommt, dass der Wohnpark X nicht in die Lärmaktionsplanung der Beklagten einbezogen ist.

140

Das Unionsrecht verleiht dem Kläger ebenfalls kein Klagerecht. Art. 7 und 8 der Umgebungslärmrichtlinie stellen keine unbedingten und hinreichend genauen Be-stimmungen dar, auf die sich ein einzelner nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Union (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 – C-237/07 –, Rn 36, juris) berufen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 -, Rn 23 f., juris, vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 -, Rn 57 f., juris, und vom 10. Oktober 2012 - 9 A 18.11 -, Rn. 21., juris, OVG Berlin, Beschluss vom 6. April 2017 - OVG 11 N 16.13 -, Rn. 12 f., juris,). Dies gilt auch in Zusammenschau mit den Erwägungsgründen der Richtlinie (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, Rn. 36, juris). Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Umgebungslärmrichtlinie stellt die in den Plänen genannten Maßnahmen zudem in das Ermessen der zuständigen Behörden (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, Rn. 40, juris). Die in den Regelungen in Anhang VI der Richtlinie unter Nr. 1.5 und 1.6 angegebenen dB(A)-Werte konkretisieren lediglich die Mitteilungspflichten der Mitgliedstaaten, die nach Art. 10 der Umgebungslärmrichtlinie bestehen und stellen keine drittschützenden Zumutbarkeitsgrenzen dar (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, Rn. 29, 44, juris). Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Umgebungslärm-RL räumt den Mitgliedstaaten zudem die Möglichkeit ein, bis zur verbindlichen Festlegung der Verwendung gemeinsamer Bewertungsmethoden für die Bestimmung von Lden und Lnight die bestehenden, nationalen Lärmindizes sowie die zugehörigen Daten verwenden zu können (VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, Rn. 42, juris).

141

Der Verweis des Klägers auf das Urteil des Gerichtshofs der Union (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 – Rs. C-237/07, Janecek – Slg. 2008, I-6221 Tenor 1 und Rn. 42) zu Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62/EG (in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1882/ 2003), das den von Immissionsgrenzwertüberschreitungen unmittelbar Betroffenen ein Klagerecht einräumt, hilft nicht weiter, da die beiden Richtlinien – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht vergleichbar sind. Während die Luftqualitätsrichtlinie (Richtlinie 96/62/EG) den Mitgliedstaaten (der Rat auf Vorschlag der Kommission) aufgibt, Grenzwerte und/oder Alarmschwellen für das Ausmaß der Luftverschmutzung festzulegen (siehe die nachfolgenden Richtlinien 1999/30/EG und 2008/50/EG, wobei letztere in Art. 31 Abs. 1 die beiden vorgenannten Richtlinien mit Ausnahme der dort gesetzten Fristen aufhebt), was durch die Anhänge I bis III der Richtlinie 1999/30/EG und durch den Anhang XI der Richtlinie 2008/50/EG geschehen ist, und sie dazu verpflichtet, Aktionspläne aufzustellen, die Maßnahmen zur Beeinflussung von Tätigkeiten, die zur Überschreitung der festgesetzten Grenzwerte beitragen (Erwägungsgründe sowie Art. 4, 6, 7, 8 und 9 der Richtlinie 96/62/EG), enthalten müssen, überlässt die Umgebungslärmrichtlinie die Aufstellung von Grenzwerten bisher allein den Mitgliedstaaten (so auch: VGH Kassel, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 9 C 873/15.T -, Rn. 37, juris).

142

Da die Bedingungen, unter denen einer natürlichen Person ein Klagerecht zur Durchsetzung unionsrechtlichen Umweltrechts zusteht, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Union (hier insbes. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 a.a.O.) grundsätzlich geklärt sind und nach den vorherigen Ausführungen die richtige Anwendung des Unionsrechts, insbesondere das Fehlen drittschützender Regelungen in der Umgebungslärmrichtlinie (gerade auch im Vergleich zur Luftqualitätsrichtlinie), derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum verbleibt, ist eine Vorlage an den Gerichtshof der Union entbehrlich (ebenso BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 C 34.13 -, Rn. 26 f., juris und OVG Berlin, Beschluss vom 6. April 2017 - OVG 11 N 16.13 -, Rn. 14, juris).

143

Mangels Bestehen irgendwelcher Ansprüche aus der Umgebungslärmrichtlinie oder den Regelungen der Lärmminderungsplanung waren diesbezügliche Beweisanträge abzulehnen gewesen. Da die Umgebungslärmrichtlinie die Festlegung von Grenzwerten den Mitgliedstaaten selbst überlassen hat und mit dem Verweis auf die entsprechenden Grenzwerte der Mitgliedstaaten bis zur Aufstellung unionsrechtlicher Werte andere, in der Umgebungslärmrichtlinie aufgeführte Werte im Unterschied zu den national festgelegten Grenzwerten rechtlich nicht bindend sind, und die Vorläufige Berechnungsmethode für den Umgebungslärm an Straßen (VBUS) hier nicht anwendbar ist (siehe oben a), sind die vom Kläger gestellten Beweisanträge zu I unerheblich, abgesehen davon, dass die Beklagte die ihr zur Verfügung stehenden Daten mitgeteilt hat und das Gericht von Amtswegen eine amtliche Auskunft zum Ergebnis der Verkehrszählungen (Beweisantrag zu I. 3. a) eingeholt hat. Gleiches gilt für die Beweisanträge zu V, die darauf abzielen, festzustellen, dass die in den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen (RLS-90) festgesetzten Grenzwerte unionsrechtswidrig seien, und damit unerheblich sind. Ergänzend ist zu den Beweisanträgen zu V.1 darauf hinzuweisen, dass die privaten Schallpegelmessungen des Klägers keinen ausreichenden Beweis darstellen und auch hier gilt, dass das Gericht seine Akte kennt. Zu den Beweisanträgen zu V.2. merkt das Gericht ergänzend an, dass es sich überwiegend um Rechtsfragen handelt, die einer Beweisaufnahme nicht zugänglich sind.

144

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 und Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

145

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht München

Aktenzeichen: M 7 K 15.3411

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 25. November 2015

7. Kammer

Sachgebiets-Nr. 440

Hauptpunkte:

Anordnung eines Abschusskontingents für Rotwild;

Inhaltsadressat

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

... Guts- und Forstverwaltung vertreten durch den Verwalter

- Klägerin -

bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...

..., vertreten durch: Landratsamt ...

- Beklagter -

wegen Anordnung eines Abschusskontingents für Rotwild

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 7. Kammer,

durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht ..., die Richterin am Verwaltungsgericht ..., die Richterin ..., die ehrenamtliche Richterin ..., die ehrenamtliche Richterin ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2015 am 25. November 2015 folgendes Urteil:

I.

Der Bescheid des Landratsamts Garmisch-Partenkirchen vom ... Juli 2015 wird aufgehoben.

II.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem ein Abschusskontingent für Rotwild bis Ende September 2015 festgesetzt wurde.

Mit Bescheid vom ... Juli 2015, adressiert an die ... Forst- und Gutsverwaltung ...

ordnete das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen an, dass der Abschussplan für Rotwild des Eigenjagdreviers ... für das Jagdjahr 2015/2016, festgesetzt am 21. Juli 2015, bis 30. September 2015 mindestens zu 40% (18 Stück) zu erfüllen ist (Nummer 1), erklärte diese Anordnung für sofort vollziehbar (Nummer 2) und drohte in Nummer 3 für jedes nicht fristgerecht erlegte Stück Rotwild ein Zwangsgeld in Höhe von 200 Euro an. Zur Begründung wird angeführt, dass die Anordnung eines Abschusskontingents das geeignete Mittel sei, um auf die Erfüllung des Abschussplanes hinzuwirken. Ein frühzeitiger Beginn des Abschusses werde durch diese Maßnahmen gefördert. Der Abschussplan für das Eigenjagdrevier ... für Rotwild sei im letzten Jagdjahr nicht erfüllt worden (Erfüllungsgrad 58%). Laut dem Forstlichen Gutachten und der Revierweisen Aussage aus dem Jahr 2012 sei die Verbissbelastung „deutlich zu hoch“ und die Tendenz der Verbissbelastung „nicht verändert“. Dies habe sich laut einer Stellungnahme des AELF vom ... November 2014 nicht geändert.

Gegen diesen Bescheid ließ die Klägerin am ... August 2015 Klage erheben und beantragte zuletzt,

den Bescheid des Landratsamts Garmisch-Partenkirchen vom ... Juli 2015, betreffend die Anordnung eines Abschusskontingents für Rotwild im Revier ..., aufzuheben.

Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Antragsschriftsatz des Eilverfahrens (M 7 S 15.3607) vom 20. August 2015 verwiesen, ferner auf die Ausführungen in den Verfahren M 7 K 15.3412 und M 7 K 14.4367. Der Bescheid vom ... Juli 2015 sei fehlerhaft adressiert. Der Forst werde vom Bruder des Herrn ... verwaltet, das Jagdrecht hingegen durch Herrn ...; dieser sei Vertreter des Eigenjagdreviers gegenüber der Verwaltungsbehörde und eigentlicher Inhaltsadressat. Dies zeige sich bereits darin, dass im zweiten Verfahren (M 7 K 15.3412) Herr ... der Adressat sei. Die „... Forst- und Gutsverwaltung“ gebe es nicht als parteifähige Einrichtung. Auch das Verwaltungsgericht habe in einer vergleichbaren Entscheidung (M 7 S 13.4047) festgehalten, dass die Anordnung zur Erfüllung des Abschussplans an den nach Art. 7 Abs. 4 BayJG bevollmächtigten Revierinhaber zu ergehen habe. Der Verwaltungsakt sei schon wegen evidenter Falschadressierung an einen jagdrechtlich Unzuständigen unwirksam. In der Sache habe weder ein Anlass noch eine rechtliche Grundlage für die getroffene Anordnung eines Abschusskontingents bestanden. Auch die Zwangsgeldandrohung sei rechtswidrig.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Er erklärte mit Schriftsatz vom ... September 2015, dass Inhaltsadressat die „... Forst- und Gutsverwaltung“ sei, das Eigenjagdrevier stehe im Eigentum der drei Brüder ..., die auch Jagdausübungsberechtigte seien. Herr ... sei nach Art. 7 Abs. 4 BayJG als Bevollmächtigter benannt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen. Das Gericht hat am 25. November 2015 mündlich zur Sache verhandelt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Statthafte Klageart ist vorliegend die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO. Trotz Zeitablaufs des im Bescheid gesetzten Termins (30. September 2015) für die Erfüllung der Anordnung liegt keine Erledigung vor. Eine Erledigung tritt nicht ein, wenn die Nichterfüllung für den abgelaufenen Zeitraum gegenwärtig noch nachteilige Rechtswirkungen für den Betroffenen entfaltet. Das ist der Fall, wenn sie weiterhin Rechtsgrundlage für Vollstreckungsmaßnahmen bildet (vgl. BVerwG, U. v. 20.6.2013 - 8 C 17/12 - juris Rn. 19, 20). Das in Nummer 3 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld bei Nichterfüllung kann noch beigetrieben werden, so dass für die Klägerin weiterhin nachteilige Wirkungen vom Bescheid ausgehen können (vgl. auch Art. 32 Abs. 2 Satz 4 BayJG). Die Klägerin ist ferner klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO, da sie Adressatin des streitgegenständlichen Bescheids ist.

Der Bescheid ist rechtswidrig, weil er an den falschen Inhaltsadressaten gerichtet ist.

Nach Art. 32 Abs. 3 Satz 1 BayJG ergehen Anordnungen nach Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BayJG im Fall des Art. 7 Abs. 4 BayJG an den Bevollmächtigten, dies ist vorliegend Herr Dr. ... Der bevollmächtigte Revierinhaber hat nach Art. 32 Abs. 3 Satz 1 BayJG auf die Erfüllung des Abschussplanes durch die Mitpächter oder die verantwortlichen Personen im Sinne des Art. 7 Abs. 2 BayJG hinzuwirken und nach Art. 32 Abs. 3 Satz 2 BayJG haben die Mitpächter oder verantwortlichen Personen die zur Erfüllung des Abschussplanes erforderliche Handlungen des Bevollmächtigten zu dulden. Er soll als Inhaltsadressat allein rechtlich verpflichtet werden und nicht lediglich als Bekanntgabeadressat fungieren (VG München, B. v. 14.4.2014 - M 7 S 13.4047 - juris Rn.19).

Der materielle Adressat, der durch die hoheitliche Regelung verpflichtet oder berechtigt werden soll (Inhaltsadressat), ist vom Bekanntgabeadressat, dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wird, zu unterscheiden (vgl. zu dieser Differenzierung BVerwG, B. v. 18.6.2014 - 3 B 28/14 - juris Rn. 11, 12). In der Regel ist der Bekanntgabe- mit dem Inhaltsadressat identisch, sie können jedoch auseinanderfallen, da die Behörde Verwaltungsakte auch gegenüber Bevollmächtigten bekanntgeben kann. Für wen der Verwaltungsakt inhaltlich bestimmt ist, ergibt sich in der Regel - aber wegen der Unterscheidung zwischen Bekanntgabe- und Inhaltsadressat nicht zwingend - aus dem Anschriftenfeld des Verwaltungsakts (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 19.12.2002 - 8 L 1823/99 - juris Rn. 30; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 8. Aufl., § 37, Rn. 10, 19).

Im Zweifel ist durch Auslegung zu ermitteln, ob der im Anschriftenfeld des Verwaltungsakts Genannte nicht nur der Bekanntgabe-, sondern auch der Inhaltsadressat des Verwaltungsakts ist (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 19.12.2002 - 8 L 1823/99 - juris Rn. 30; Stelkens/Bonk/Sachs, § 37, Rn. 7, 11). Die Auslegung eines Verwaltungsakts richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen und erfolgt mithin in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB (BVerwG, U. v. 7.6.1991 - 7 C 43.90 - juris Rn. 18). Damit ist auf den objektiven Erklärungswert unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Erklärung abzustellen, ferner darauf, wie ihn der Adressat nach Treu und Glauben verstehen durfte (BVerwG, B. v. 31.1.2008 - 7 B 48.07 - juris Rn. 6 m. w. N.). Bei der Auslegung sind auch die Begleitumstände heranzuziehen, unter denen die Willenserklärung abgegeben wurde (BVerwG, U. v. 31.5.2012 - 3 C 12.11 - juris Rn. 16). Dabei können auch vorhergehende Bescheide zur Auslegung herangezogen werden (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 16.2.2009 - 4 L 344/08 - juris Rn. 3).

Die Auslegung ergibt, dass der Bescheid an Herrn Dr. ... als Bekanntgabeadressat gerichtet wurde. Dies zeigt sich an der Formulierung des Adressfelds in Zusammenschau mit der Anrede und den Ausführungen des Beklagten zur Bevollmächtigung des Herrn Dr. ... Die Bekanntgabe erfolgte damit im Einklang mit der gesetzlichen Regelung aus Art. 7 Abs. 4 BayJG, wonach der nach dieser Norm Bevollmächtigte zur Entgegennahme von Erklärungen berechtigt ist.

Der Bescheid ist jedoch an den falschen materiellen Adressaten gerichtet. Richtiger Inhaltsadressat wäre nach Art. 32 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 BayJG Herr Dr. ... gewesen, da er der nach Art. 7 Abs. 4 BayJG Bevollmächtigte ist. Auf Nachfrage, wer Inhaltsadressat des Bescheids sein soll, hat die Behörde geäußert, dass Inhaltsadressat die „... Forst- und Gutsverwaltung“ sei und dass das Eigenjagdrevier im Eigentum der drei Brüder ... stehe, die auch Jagdausübungsberechtigte seien. So hat auch die Klägerin den Bescheid verstanden. Sie hat sich nicht als für die Anordnung Verantwortliche angesehen und geltend gemacht, dass der Bescheid im Gegensatz zu der Festsetzung der Abschusszahlen für Rotwild erstmals an sie ergangen sei. Eine Auslegung nach den oben genannten Maßstäben ergibt daher, dass der Bescheid nicht nur an die Klägerin adressiert war, sondern sie daraus auch verpflichtet werden sollte. Sie war aber die falsche Inhaltsadressatin.

Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1, Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-)

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.