Verwaltungsgericht Schwerin Beschluss, 13. März 2014 - 6 B 419/13


Gericht
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für den Antragsteller vorläufig und beginnend ab dem 24. März 2014 - längstens bis zum Unterrichtsende des Schuljahres 2013/2014 - eine Schülerbeförderung vom Wohnort des Antragstellers in der A-Straße, A-Stadt zur Montessori Schule, C-Stadt, Grundschule mit Orientierungsstufe - Staatlich genehmigte Ersatzschule -, ....., C-Stadt (Jahrgangsstufe 1) und zurück durchzuführen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
2. Der Streitwert wird auf 3.510,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Der sechsjährige Antragsteller wird seit dem Schuljahr 2013/2014 an der Montessori-Schule in C-Stadt beschult. Bei der v.g. Schule handelt es sich um eine Evangelische Integrative Grundschule mit Orientierungsstufe, in der in jeder Klasse bis zu drei Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach den Prinzipien der Montessoripädagogik unterrichtet werden.
- 2
Hierzu gehört auch der Antragsteller. Nach dem Ergebnis des Verfahrens zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs wurde bei ihm laut Schreiben des Staatlichen Schulamtes C-Stadt vom 12. April 2013 ein entsprechender Förderbedarf im Förderschwerpunkt Sprache und Lernen „vermutet“ und die Beschulung in einer Diagnoseförderklasse empfohlen.
- 3
Mit Bescheid vom 4. Juli 2013 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Kostenübernahme und Organisation einer Schülerbeförderung für den Antragsteller unter Verweis auf die Beschulungsmöglichkeiten in den eingerichteten Diagnoseförderklassen in den Grundschulen D-Stadt bzw. B-Stadt, ..........., ab. Diese seien die örtlich zuständigen Grundschulen, weil die Grundschule in A-Stadt im aktuellen Schuljahr keine Diagnoseförderklasse eingerichtet habe. Die besuchte Schule sei die örtlich unzuständige Schule. Weder nach § 113 SchulG M-V noch nach der Satzung über die Schülerbeförderung im Landkreis Nordwestmecklenburg vom 19. April 2012 (Schülerbeförderungssatzung) ergebe sich ein Beförderungs- bzw. Kostenerstattungsanspruch.
II.
- 4
Der zuletzt sinngemäß gestellte Antrag des Antragstellers,
- 5
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für den Antragsteller eine individuelle Schülerbeförderung zur Montessori-Schule nach C-Stadt sicherzustellen,
- 6
hat Erfolg.
- 7
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann auf Antrag, auch vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Dies setzt voraus, dass Tatsachen glaubhaft gemacht sind (§ 920 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 123 Abs. 3 VwGO), aus denen sich ergibt, dass ohne die Regelung ein Rechtsnachteil droht, mithin ein rechtlicher Anspruch auf die der begehrten Regelung entsprechende Gestaltung besteht (Anordnungsanspruch), und dass die Regelung besonders dringlich ist (Anordnungsgrund). In gesteigertem Maße ist dies zu fordern, wenn wie hier mit der begehrten einstweiligen Anordnung die im Hauptsacheverfahren erstrebte Entscheidung - wenn auch nur vorläufig - vorweggenommen würde. Damit würde ein Antragsteller nämlich zumindest zeitweise in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht im Wesentlichen so gestellt, als ob er in der Hauptsache in vollem Umfang obsiegt hätte. Das grundsätzliche Verbot, das Ergebnis des vorläufigen Rechtsschutzes in dieser Weise dem des Rechtsschutzes in der Hauptsache anzunähern, wird durch das Gebot effektiver Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) nur in besonderen Ausnahmefällen durchbrochen, die jeweils kennzeichnet, dass die sonst zu erwartenden Nachteile für einen Antragsteller unzumutbar schwer und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache spricht (vgl. OVG M-V, Beschl. v. 19.6.2013 - 2 M 5/13 - m.w.N.).
- 8
Die Anwendung dieser Maßstäbe führt hier zu dem Ergebnis, dass der auf einen individuellen Schülertransport gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erfolgreich ist. Der Antragsteller hat nach den insoweit gesteigerten Anforderungen einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
- 9
Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass die begehrte Regelung eilbedürftig ist. Er besucht seit August 2013 die Montessori-Schule in C-Stadt. Die Eltern des Antragstellers sind aufgrund der im Prozesskostenhilfeverfahren nachgewiesenen wirtschaftlichen Verhältnisse finanziell nicht in der Lage, die Kosten der Beförderung des Antragstellers zur Montessori-Schule und zurück im laufenden Schuljahr durchgängig selbst zu übernehmen und sich diese bei einem etwaigen Erfolg im Hauptsacheverfahren zu einem späteren Zeitpunkt vom Antragsgegner erstatten zu lassen.
- 10
Die Kammer hält es nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung für hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller einen Anspruch auf die begehrte individuelle Beförderung zur Montessori-Schule in C-Stadt durch den Antragsgegner hat.
- 11
Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen Erwägungen:
- 12
Nach § 113 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SchulG M-V haben die Landkreise als Träger der Schülerbeförderung (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 SchulG M-V) für die in ihrem Gebiet wohnenden Schüler vom Beginn der Schulpflicht bis zum Ende - soweit hier maßgeblich - der Jahrgangsstufe 12 der allgemein bildenden Schulen eine öffentliche Beförderung für Schüler der örtlich zuständigen Schulen durchzuführen. Nach Satz 2 können Schüler, die eine in kommunaler Trägerschaft stehende Schule oder eine Schule in freier Trägerschaft besuchen, die jedoch nicht die örtlich zuständige Schule ist, kostenlos an der öffentlichen Schülerbeförderung zur örtlich zuständigen Schule teilnehmen, sofern eine solche eingerichtet ist.
- 13
Abweichend hiervon besteht nach Absatz 4 in den Landkreisen und den kreisfreien Städten auch über deren Gebiet hinaus die Beförderungspflicht bis zur nächstgelegenen Schule im Sinne der Nummern 1 bis 4, wenn Schüler u.a. wegen einer dauernden oder vorübergehenden Behinderung befördert werden müssen (§ 113 Abs. 4 Nr. 2 SchulG M-V).
- 14
Kinder und Jugendliche, die zur Entwicklung ihrer geistigen, körperlichen, seelischen, sozialen oder kommunikativen Fähigkeiten sonderpädagogischer Hilfen bedürfen, haben gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SchulG M-V einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung in der Schule. Nach Absatz 5 Satz 1 der v.g. Vorschrift entscheiden die Erziehungsberechtigten darüber, ob ihr Kind eine allgemein bildende Schule (§ 11 Abs. 2 Nummer 1 Buchstabe a bis e) oder eine Förderschule besucht. Dabei gelten nach Absatz 7 die Regelungen in den Absätzen 3 bis 6 für Schulen in freier Trägerschaft entsprechend.
- 15
Ausgehend von dieser Rechtslage ist zunächst die Annahme des Antragsgegners, die Grundschulen in B-Stadt bzw. D-Stadt seien die örtlich zuständigen Schulen, weil dort Diagnoseförderklassen eingerichtet worden sind, unzutreffend.
- 16
Richtig ist allein, dass das System der „örtlich zuständigen Schule“ nur für den Bereich der staatlichen Schulen Geltung beanspruchen kann. Eine Schule in freier Trägerschaft ist daher niemals örtlich zuständige bzw. unzuständige Schule im Sinne des § 113 Abs. 2 SchulG M-V. Ungeachtet dessen, dass die Schuleinzugsbereichsatzung des Landkreises Nordwestmecklenburg die an bestimmten Grundschulen eingerichteten Diagnoseförderklassen als örtlich zuständige Schulen nicht explizit regelt, verkennt der Antragsgegner die Bedeutung und Tragweise des Elternwahlrechts nach § 34 Abs. 5 SchulG M-V. Entscheiden sich die Eltern für eine Regelschule (hier: Grundschule) ohne eine eingerichtete Diagnoseförderklasse, aber mit einem integrativen Konzept (im staatlichen Bereich sog. „Inklusion“) und widerspricht das Staatliche Schulamt der Schulwahl der Eltern nicht (§ 34 Abs. 5 Satz 2 SchulG M-V), ist die gewählte Schule für den Träger der Schülerbeförderung bindend. Das System der örtlich zuständigen (staatlichen) Schule ist auf Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht uneingeschränkt anwendbar. Da sich die Eltern gegen eine Beschulung in einer Diagnoseförderklasse entschieden haben, wäre eigentlich örtlich zuständige (staatliche) Schule die Grundschule A-Stadt.
- 17
Diese Sichtweise vernachlässigt aber den Umstand, dass der Gesetzgeber in § 34 Abs. 7 SchulG M-V die Schulen in staatlicher bzw. freier Trägerschaft gleichgestellt hat. Folgerichtig hätte der Gesetzgeber eigentlich diese Grundentscheidung in § 113 Abs. 4 SchulG M-V im Bereich der Schülerbeförderung nachzeichnen müssen. Die an sich gebotene rechtliche Verzahnung zwischen den § 34 ff. SchulG M-V einerseits und § 113 SchulG M-V andererseits fehlt indes.
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Nach Ansicht des Gerichts besteht hier eine gesetzgeberische Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung des § 113 Abs. 4 Nr. 2 SchulG M-V geschlossen werden muss (ähnlich VG Greifswald, Urt. v. 19.06.2007, 4 A 168/07). Denn es besteht insoweit eine vergleichbare Interessenlage. Diese beruht auf folgenden Erwägungen:
- 19
Grundsätzlich steht den Schülern ein Beförderungs- bzw. ein Erstattungsanspruch nach § 113 Abs. 1, 2 SchulG M-V nur dann zu, wenn sie die örtlich zuständige (staatliche) Schule besuchen. Für die übrigen Schüler sieht das Gesetz nur einen eingeschränkten Mitnahmeanspruch vor. § 113 Abs. 4 SchulG M-V durchbricht dieses Prinzip der „örtlich zuständigen (staatlichen) Schule“. So hält § 113 Abs. 4 Nr. 1, 3 und 4 SchulG M-V eine abweichende Regelung für die Fälle vor, in denen der Besuch der örtlich zuständigen (staatlichen) Schule aus Kapazitätsgründen nicht möglich ist bzw. die entferntere örtlich unzuständige Schule einen bestimmten schulischen Schwerpunkt oder ein besonderes schulisches Angebot vorhält, welches der Gesetzgeber aus bildungspolitischen Gründen privilegiert hat. Kurzum, er hält für eine abgrenzbare Schülergruppe Sonderregelungen vor. Nichts anderes regelt § 113 Abs. 4 Nr. 2 SchulG, der behinderten Schülern einen Beförderungsanspruch zuerkennt, und zwar unabhängig davon, ob die besuchte Schule örtlich zuständig ist und ob es sich um eine öffentliche oder aber eine Ersatzschule handelt. Die durch den Gesetzgeber gezogene Grenze des Beförderungs- bzw. Erstattungsanspruchs ergibt sich allein aus dem Begriff „nächstgelegene Schule“.
- 20
Nach alledem vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber die Gruppe der behinderten Schüler – bei denen regelmäßig ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird – unabhängig von Art und Grad der Behinderung einer bewussten Sonderregelung zugeführt hat, die Schüler mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf ohne Behinderung aber bewusst nicht erfassen wollte. Hätte er auch diese Schülergruppe in Ansehung der Gleichstellungsvorschrift des § 34 Abs. 7 SchulG M-V aus der Sonderregelung des § 113 Abs. 4 SchulG M-V herausnehmen wollen, so hätte es einer entsprechenden gesetzgeberischen Klarstellung bedurft. § 113 Abs. 4 Nr. 2 SchulG regelt daher nur unvollkommen die Schülergruppe, bei der (regelmäßig) ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden ist und zwar insoweit, als dies mit einer Behinderung einhergeht. Es besteht jedoch eine vergleichbare Interessenlage zwischen den Schülern mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf, die einerseits dauernd oder auch nur vorübergehend behindert und andererseits nicht behindert sind, weil ansonsten der Anspruch auf eine sonderpädagogische Förderung an der von den Eltern gewählten freien Schule in Ermangelung eines korrespondierenden Beförderungs- bzw. Erstattungsanspruchs nach § 113 SchulG M-V im Ergebnis – wie der vorliegende Fall zeigt – leerliefe.
- 21
Streitig ist zwischen den Beteiligten weiter, ob die Montessori-Schule die nächstgelegene (allgemein bildende) Schule im Sinne dieser Ausnahmeregelung ist. Diese Streitfrage wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zugunsten des Antragstellers zu beantworten sein.
- 22
Der zu engen Sichtweise des Antragsgegners, die nächstgelegene Schule sei die Grundschule in B-Stadt, weil die in Rede stehenden privaten und staatlichen Schulen von der Schulart und dem Bildungsgang identisch seien, vermag die Kammer nicht zu folgen.
- 23
Zwar trifft es grundsätzlich zu, dass sich die nächstgelegene Schule nach dem sog. Lokalitätsprinzip richtet. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die gewählte private Grundschule (hier: Montessori-Schule) trotz einer zum Wohnort des Schülers geographisch näher gelegenen staatlichen Grundschule (hier: Grundschule in A-Stadt und Grundschule in B-Stadt) nicht nächstgelegene Schule i.S.v. § 113 Abs. 4 SchulG M-V sein kann. Das anderslautende enge Normverständnis des Antragsgegners hätte nämlich zur Folge, dass Schüler mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf von dem Beförderungsanspruch ausgeschlossen und auf die von ihnen bzw. ihren Eltern nicht gewollte staatliche Grundschule in A-Stadt bzw. B-Stadt verwiesen würden. Ein solches Wortlautverständnis des Begriffs "nächstgelegene Schule" lässt sich jedoch der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs nicht entnehmen. Den Gesetzesmaterialen ist vielmehr die Aussage zu entnehmen, dass behinderte Schüler wie bisher zur besuchten Schule zu befördern sind, unabhängig davon, ob diese örtlich zuständig ist und ob es sich um eine öffentliche Schule oder eine Ersatzschule handelt (vgl. LT-Drucks. 5/1770, Seite 67). Hätte der Gesetzgeber entgegen der erklärten Absicht in den Gesetzesmaterialen tatsächlich gewollt, dass die bisherige Beförderung behinderter Schüler zur privaten Förderschule ersatzlos wegfallen sollte, so hätte er dies im Gesetzestext auch zum Ausdruck bringen müssen. Nichts anderes hat für die vorliegende Fallgestaltung zu gelten. Hieraus kann die Kammer nur schließen, dass der Begriff "nächstgelegene Schule" weit auszulegen ist. Denn laut den Gesetzesmaterialen ist nur diejenige Schule nächstgelegene Schule im Sinne dieser Vorschrift, "die das vom Schüler gewählte oder benötigte Profil anbietet ...".
- 24
Entsprechendes muss für die weiteren Fälle sonderpädagogischen Förderbedarfs im Hinblick auf die erforderliche Förderung gelten.
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Das hier maßgebliche Profil ist nach Ansicht der Kammer in der vom Antragsteller bzw. seinen Eltern gewählten Montessori-Pädagogik verbunden mit dem integrativen pädagogischen Konzept der Montessori-Schule zu erblicken, über das die staatliche Grundschule in A-Stadt nicht verfügt. Der an der Grundschule B-Stadt eingerichteten Diagnoseförderklasse liegt ein völlig anderes (segregatives) Unterrichtsmodell zugrunde (vgl. hierzu § 3 Abs. 1 Verordnung zur Entscheidung und zum Verfahren über den Besuch von Diagnoseförderklassen an Grundschulen- DFKVO M-V - vom 27. April 2009; vgl. auch den Bericht der Universität Rostock zu den Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitstudie des Projekts „Primarstufe“ – Teil II vom März 2010 - Wie effektiv sind Diagnoseförderklassen? - www.sopaed.uni-rostock.de/fileadmin/Isoheilp/2_dfk_bericht.pdfIm Cache).
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Dementsprechend muss sich der Antragsteller vom Antragsgegner nicht darauf verweisen lassen, dass er die Grundschule in B-Stadt mit einer eingerichteten Diagnoseförderklasse besuchen und daher nur dorthin Schülerbeförderung beanspruchen könne. Die Montessori-Schule in C-Stadt ist eine anerkannte Ersatzschule. Ihrer Schulart nach ist sie im Hinblick auf den Primärbereich ebenso wie die Grundschule in A-Stadt oder B-Stadt eine allgemein bildende Schule gem. § 11 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) SchulG M-V. Allerdings bietet sie, wenn sie - wie hier den Antragsteller - Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf im begrenzten Umfang in eine normale Schulklasse integrativ nach der Montessori-Pädagogik aufnimmt, gegenüber den staatlichen Grundschulen ein Profil im Sinne des § 113 Abs. 4 SchulG M-V an, auf das die amtliche Begründung für die Bestimmung der nächstgelegenen Schule maßgeblich abstellt (vgl. hierzu auch OVG M-V, Beschl. v. 5.1.2011 - 2 M 219/10 -). Der Begriff der "nächstgelegenen Schule" ist damit weiter zu verstehen als der der "örtlich zuständigen Schule" i.S.v. § 113 Abs. 2 SchulG M-V, wobei letzterer - wie sich aus der amtlichen Begründung ergibt - die Schule des entsprechenden Bildungsgangs meint.
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Da der Landkreis Nordwestmecklenburg in Abstimmung zwischen den Fachdiensten Bildung und Gesundheit Schüler, die vom Wohnort entfernt gelegene eingerichtete Diagnoseförderklassen im ersten Schuljahr besuchen, grundsätzlich individuell befördert, muss dies nach den vorstehenden Ausführungen auch für Schüler mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf gelten, die eine Schule in freier Trägerschaft mit einem integrativen pädagogischen Konzept besuchen.
- 28
Hinzu kommt, dass der Antragsteller wegen seines Entwicklungsrückstandes (unterdurchschnittliche Intelligenz) jedenfalls derzeit den Schulweg nicht allein bewältigen kann, was einer Behinderung i. S. d. § 113 Abs. 4 Nr. 2 SchulG M-V zumindest gleichsteht.
- 29
Bei der getroffenen Entscheidung hat sich die Kammer auch von der rechtlichen Erwägung leiten lassen, dass die Rechtsfolgen eines lediglich vermuteten pädagogischen Förderbedarfs für den hier betroffenen Bereich bis zur vollen Überzeugung vom Gegenteil dieselben sind, als wenn der sonderpädagogische Förderbedarf mit Gewissheit festgestellt worden ist, um negative Auswirkungen für den betroffenen Schüler zu vermeiden.
- 30
Der getroffenen Entscheidung steht auch nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich lediglich vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache jedoch nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Wie bereits ausgeführt worden ist, kann eine privat organisierte Beförderung des Antragstellers zur Montessori-Schule in C-Stadt im laufenden Schuljahr durchgängig von den Eltern nicht gewährleistet werden, so dass der Antragsteller während des laufenden Schuljahres letztlich an die Grundschule in B-Stadt oder an die noch entferntere Grundschule in D-Stadt wechseln müsste. Durch einen Schulwechsel bestünde aber die Gefahr, dass der Antragsteller die Fortschritte, die er seit dem Schulbesuch in A-Stadt laut dem Bericht des Sozialpädiatrischen Zentrums Mecklenburg vom 21. Oktober 2013 in der Sprachentwicklung genommen hat, wiederum einbüßen bzw. eine Verlangsamung eintreten würde. Die Kammer folgt daher der fachlichen Empfehlung von Dr. K. S., die Beschulung an der Montessori-Schule in C-Stadt fortzusetzen. Angesichts der dem Antragsteller drohenden Nachteile und des Umstandes, dass er nach den vorstehenden Ausführungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf Schülerbeförderung zur v.g. Schule hat, konnte hier die begehrte Regelung getroffen werden. Dies gilt auch dann, wenn man in den Fällen der Vorwegnahme der Hauptsache zusätzlich eine Interessenabwägung vornehmen würde (vgl. Finkelburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl., 2011, Rnr. 201 ff. m.w.N.). Denn dem - wie dargestellt - starken Interesse des Antragstellers am Erlass der begehrten Regelung steht ein vergleichsweise geringeres Interesse des Antragsgegners entgegen, da dieser ohne nennenswert höhere Kosten und ohne größeren Zeitverzug die schon von ihm werktäglich durchgeführten Schülertransporte an eine andere Schule in C-Stadt unter Anfahrt auch der dortigen Montessorischule organisieren kann.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG. Eine im Eilverfahren an sich mögliche Reduzierung des Streitwerts (Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs 2004 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit) kommt aufgrund des Grades der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache nicht in Betracht.

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Annotations
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.