Verwaltungsgericht Stuttgart Beschluss, 02. Juli 2012 - A 7 K 1877/12

bei uns veröffentlicht am02.07.2012

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung der Antragsteller nach Italien vorläufig auszusetzen, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen und die Asylverfahren der Antragsteller fortzusetzen.

Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt ..., beigeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
I.
Die Antragsteller, nach ihren Angaben staatenlose Palästinenser aus Syrien, reisten nach ihren Angaben am 3.5. bzw. 9.6.2011 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung vom 7.6.2011 gab die Antragstellerin zu 2 an, sie seien von Syrien über die Türkei nach Griechenland gereist. Dort hätten sie sich ca. 2 Wochen aufgehalten, bevor sie mit einem Boot nach Italien gefahren seien. In Italien seien sie von der Polizei aufgegriffen worden, die sie erkennungsdienstlich behandelt habe. Einen Asylantrag hätten sie nicht gestellt. Sie hätten einen Zettel bekommen mit der Aufforderung, so schnell wie möglich das Land zu verlassen. Sie hätten sich einen Tag in einem Asylbewerberheim aufgehalten. Eine Anhörung habe nicht stattgefunden. Der Antragsteller zu 1 gab bei seiner Anhörung am 23.8.2011 an, seine Familie habe Syrien am 1.4.2011 verlassen. Sie seien über die Türkei nach Griechenland gereist, wo sie sich ca. zwei Wochen aufgehalten hätten. Dort seien sie nicht gemeldet gewesen. Sie seien weiter mit einem Boot nach Italien gereist. Dort seien sie von der Polizei aufgegriffen, jedoch nicht angehört worden. Sie hätten eine Aufforderung erhalten, das Land zu verlassen. Sie hätten sich einen Tag in einem Lager aufgehalten. Danach seien sie nach Mailand gereist. Zunächst seien seine Frau und die Kinder ausgereist, ca. einen Monat später sei er ihnen gefolgt. Zu seinen Asylgründen gab er an, sie hätten als staatenlose Palästinenser in Syrien keinerlei Rechte gehabt. Außerdem habe er an Demonstrationen in Damaskus teilgenommen und sei dabei von Sicherheitskräften erkannt worden.
Die Antragsteller ließen in der Folgezeit weitere Unterlagen über ihren Prozessbevollmächtigten an die Antragsgegnerin überreichen. Unter anderem ließen sie von einem ihrer in Deutschland lebenden Verwandten schriftlich darlegen, dass sie am 20.4.2011 in Italien „festgehalten“ worden seien. Morgens seien ihnen Fingerabdrücke genommen worden. Sie hätten an dem Tag im Lager nur einmal zu essen bekommen. Danach seien sie abends mit einem Bus drei Stunden in eine andere Stadt gebracht worden. Ein Dolmetscher sei ihnen nicht zur Verfügung gestellt worden. Im Lager hätten sie ein kleines Zimmer mit einer anderen Familie teilen müssen. Ihnen hätten weder Platz zum Schlafen, noch Decken oder Kopfkissen zur Verfügung gestanden. Sie hätten nur auf dem Boden liegen können und nichts zu essen bekommen. Am nächsten Morgen hätten sie jemanden kennengelernt, der ihnen geholfen habe, nach Deutschland zu reisen.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller bat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29.5.2012 von einer Überstellung nach Italien abzusehen und von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Mit Schreiben vom 2.6.2012 bat er die Antragsgegnerin um Mitteilung, wie im Falle der Antragsteller weiter verfahren werden solle.
Am 11.6.2012 haben die Antragsteller einen Antrag auf Eilrechtsschutz und Gewährung von Prozesskostenhilfe stellen lassen. Zur Begründung führte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller aus, der Eilantrag sei geboten, nachdem er am 22.5.2012 bei einem Telefonat mit dem Bundesamt in Dortmund - Dublin-Referat - erfahren habe, dass ein Übernahmegesuch nach Italien gestellt worden sei und Italien der Übernahme am 6.3.2012 zugestimmt habe. Zudem sei ihm mitgeteilt worden, dass ein Rückführungsbescheid in den nächsten Wochen erlassen werde. Am 11.6.2012 habe er in einem Telefonat erfahren, dass ein Rückführungsbescheid noch nicht fertig gestellt sei. Ein Zusage, dass ihm der Bescheid zugeleitet werde und ein Rechtmittel rechtzeitig erhoben werde könne, sei ihm nicht gemacht worden. Hinsichtlich Italien bestünden Zweifel, dass Asylverfahren den vorgegebenen Standards der Genfer Flüchtlingskonvention, der Qualitätsrichtlinie bzw. der Richtlinie 2004/83 genügten. Diese seien nicht nur wegen der inzwischen allgemein bekannten Mängel im Asylverfahren begründet, sondern insbesondere durch die konkreten Erfahrungen der Antragsteller bei ihrer Aufnahme. Eine Familie mit drei kleinen Kindern bedürfe gefestigter Aufnahmebedingungen, damit sie keinen Schaden erleide.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Maßnahmen zur Verbringung der Antragsteller nach Italien vorläufig auszusetzen, von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen und die Asylverfahren der Antragsteller fortzusetzen,
sowie den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. H., K. Str. …, … K., zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Sie führt aus, vorläufiger Rechtsschutz sei vorliegend nicht zulässig. § 34 a Abs. 2 AsylVfG schließe vorläufigen Rechtsschutz gegen Entscheidungen des Bundesamtes nach § 27 a AsylVfG aus. Nur in Ausnahmefällen sei vorläufiger Rechtsschutz zulässig. Ein solcher liege hinsichtlich Italien nicht vor. Italien erfülle die Mindeststandards gegenüber Ausländern, die dort einen Asylantrag gestellt hätten. Dies belege der Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011. Nach diesem Bericht stehe ebenfalls fest, dass Asylsuchende in Italien einen Anspruch auf freie staatliche Gesundheitsversorgung hätten. Der Bericht von Bethke/Bender über eine Recherchereise im Oktober 2010 sei demgegenüber weniger umfassend und befasse sich insbesondere nicht flächendeckend mit der Situation von Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen in Italien. Auch wenn es vereinzelt zu Problemen bei der Unterbringung von Schutzsuchenden in Italien komme und die medizinische Versorgung nicht immer optimal sei, sei die Situation in Italien nach der überwiegenden Rechtsprechung nicht mit der in Griechenland vergleichbar. Alle im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeführten Personen bekämen von der zuständigen Questura eine Unterkunft zugeteilt und erhielten eine Fahrkarte dorthin mit der Auflage, sich an der zugewiesenen Adresse zu melden. Es sei jedoch bekannt, dass eine Vielzahl dieser Aufforderung nicht Folge leiste. Sollte das Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sein, werde der Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht und das Asylverfahren fortgesetzt. Entsprechend erfolge eine Unterbringung in einem CARA oder in den Einrichtungen des SPRAR. Unterkunftsplätze stünden jedoch oftmals nur für einen befristeten Zeitraum zur Verfügung. In italienischen Aufnahmeeinrichtung seien IOM, UNHCR, Caritas und andere humanitäre Organisationen vor Ort, um sicher zu stellen, dass Flüchtlinge angemessen untergebracht, medizinisch versorgt und ihre Rechte gewahrt würden. Dem Bundesamt sei kein Mitgliedstaat bekannt, der derzeit die Dublin-Überstellungen nach Italien ausgesetzt oder eingeschränkt habe.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
12 
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 AsylVfG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin.
13 
Dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war zu entsprechen, weil die Antragsteller die Kosten der Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln aufbringen können und der Antrag aus nachfolgend genannten Gründen Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).
14 
Der Antrag ist zulässig und begründet.
15 
Die Zulässigkeit des Antrags scheitert nicht daran, dass das Bundesamt über den Asylantrag der Antragsteller - soweit hier bekannt - noch nicht entschieden hat. Im Hinblick auf die gängige Praxis des Bundesamtes, dem Asylbewerber einen entsprechenden Bescheid erst am Tage seiner Überstellung durch die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde persönlich zuzustellen, lässt faktisch keinen einstweiligen Rechtsschutz zu (vgl. hierzu UNHCR, Stellungnahme an das BVerfG zur Verfassungsbeschwerde - 2 BvR 2015/09 - vom Februar 2010, S. 38; VG Gelsenkirchen, B.v. 1.6.2011 - 5a L 576/11.A -, zit. nach juris; Bay VG Regensburg, B.v. 14.6.2011 -RN 7 E 11.30189 - zit. nach juris). Daher muss vorläufiger Rechtsschutz auch schon vor Erlass eines Bescheids möglich sein.
16 
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin eine Rückführung der Antragsteller nach Italien beabsichtigt. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat auf telefonische Nachfrage bei der Antragsgegnerin erfahren, dass eine Rückübernahmeersuchen an Italien gestellt wurde und Italien diesem Ersuchen zugestimmt hat. Zwar war nach telefonischer Auskunft des „Dublin-Referats“ der Antragsgegnerin ein Bescheid bei Antragstellung vor Gericht noch nicht ergangen. Aufgrund der aufgezeigten Sachlage ist es jedoch jederzeit möglich, dass die Antragsteller einen ablehnenden Bescheid mit einer Abschiebungsandrohung nach § 34 a AsylVfG erhalten und umgehend abgeschoben werden. Da es den Antragstellern bzw. ihrem Bevollmächtigten nicht zuzumuten ist, sich immer wieder bei der Antragsgegnerin nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen, um rechtzeitig einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen zu können, besteht in diesen Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis für Eilrechtsschutz.
17 
Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen, wonach eine Abschiebungsanordnung in den Fällen des § 26 a AsylVfG und jenen des § 27 a AsylVfG nicht ausgesetzt werden darf.
18 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49) kann ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurückverbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat zwar grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Deswegen kommen für ihn entsprechend dem mit Art. 16 a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, nicht in Betracht. Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27 a AsylVfG geht.
19 
Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings dann Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden können. Ausnahmen sind nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts u.a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, und wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer den Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird.
20 
Den vom Bundesverfassungsgericht angeführten Sonderfällen liegt die Zielsetzung zugrunde, dem Asylsuchenden den gebotenen Schutz nicht durch die Rückführung in den Drittstaat zu versagen. Ob dies auf einzelfallbezogenen Erwägungen beruht oder auf den allgemeinen Bedingungen in dem jeweiligen Staat, ist insoweit nicht von maßgeblicher Bedeutung. Mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung auf der Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG dann möglich, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG in dem Drittstaat europarechtlich zu gewährleistender Schutz tatsächlich nicht zumindest im Kern sichergestellt ist.
21 
Maßstab dafür, ob die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in den Fällen des § 26 a AsylVfG gegen den Willen des Gesetzgebers ausgesetzt werden kann, ist demnach die Frage, ob der Eintritt einer der vom Bundesverfassungsgericht genannten Fallgruppe konkret zu befürchten ist.
22 
Vorliegend dürften die Antragsteller bei einer Rückführung nach Italien einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein. Italien ist zwar als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gemäß § 26 a Abs. 2 AsylVfG ein sicherer Drittstaat und hat als solcher die Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der europäischen Union anerkannt. Angesichts der aktuellen Situation von Flüchtlingen in Italien bestehen aber Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften derzeit nicht umfassend berücksichtigt werden. Es ist deshalb eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG geboten.
23 
Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-492/10 -, juris, Rn. 80, 86). Danach gilt zunächst die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Ist dagegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i.S. von Art. 4 der Grundrechtscharta implizieren, so wäre die Rücküberstellung von Asylbewerbern mit dieser Bestimmung unvereinbar.
24 
Vorliegend bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Italien die von ihm eingegangenen Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht erfüllt (vgl. OVG NRW, B.v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A -, juris; VG Darmstadt, B.v. 25.4.2012 - 4 L 488/12.DA.A -, juris; VG Regensburg, U.v. 27.3.2012 - RN 9 K 11.30441 -, juris; VG Karlsruhe, U.v. 6.3.2012 - A 3 K 3069/11 -, juris; VG Freiburg, B.v 2.2.2012 - A 4 K 2203/11 -, juris; VG Magdeburg, U.v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -, juris; VG Düsseldorf, , B.v. 29.7.2011 - 21 L 1127/11.A - zit. nach juris; Bay VG Regensburg, B.v. 14.6.2011 - RN 7 E 11.30189 - zit. nach juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 1.6.2011 - 5a L 576/11.A -, zit. nach juris; VG Osnabrück, B.v. 23.5.2011 - 5 B 38/11 -, zit. nach juris; VG Darmstadt, B.v. 4.5.2011 - 2 L 382/11.DA.A - zit. nach juris; VG Wiesbaden, B.v. 12.4.2011 - 7 L 303/11.WI.A - zit. nach juris).
25 
Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingung in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin- Rückkehrende, vom Mai 2011; Antwort der Bundesregierung vom 18.4.2011 auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 17/5579; Bethke und Bender, Zur Situation von Flüchtlingen in Italien, vom 28.2.2011; Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Nov. 2009, Rückschaffung in den „sicheren Drittstaat“ Italien; Bender, Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist, Asylmagazin 2012, S. 11 ff.) ergibt sich, dass die Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge in Italien völlig überlastet sind. Die große Mehrheit der Asylsuchenden muss ohne Obdach und ohne gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität leben. Auch die Gesundheitsversorgung ist nicht ausreichend sichergestellt, da diese teilweise nur mit einer festen Wohnadresse beansprucht werden kann. Nach dem Stellen eines Asylgesuchs sollen Asylsuchende in Italien bis zu einem Asylentscheid an sich in einem CARA (Empfangszentrum für Asylsuchende) aufgenommen werden. Viele Asylsuchende finden keinen Aufnahmeplatz, insbesondere in Süditalien und in den großen Städten sind die Strukturen völlig überlastet. Nach der ersten Registrierungsphase ist vorgesehen, dass Asylsuchende in ein anderes Zentrum verlegt werden, das mehr auf Integration ausgerichtet ist. Diese Zentren sind Teil des SPRAR-Systems (Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge). Hier soll den Flüchtlingen der Zugang zur Arbeit und zur Landessprache erleichtert werden. Landesweit bestehen aber nur 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von jeweils maximal 6 Monaten ermöglicht. In Italien wurden im Jahr 2009 17.603 und im Jahr 2008 31.000 Asylsuchende verzeichnet. Die große Mehrheit der Asylsuchenden ist damit ungeschützt, ohne Obdach, Integrationshilfe und gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität. Die Betroffenen übernachten in Parks, leerstehenden Häusern und überleben nur Dank der Hilfe karitativer Organisationen. In der kalten und feuchten Jahreszeit wird ihre Lage noch schwieriger. In Rom warten über 2.300 Personen auf einen SPRAR Platz, von denen es in Rom nur 200 gibt. Viele melden sich wegen der langen Warteliste gar nicht erst an (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingung in Italien, a.a.O.). „Dublin-Rückkehrer“ werden zwar in Bezug auf Aufnahmeplätze bevorzugt behandelt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingung in Italien, a.a.O.). Wenn jedoch kein Platz vorhanden ist, werden auch sie lediglich auf eine Warteliste gesetzt, was dazu führt, dass die meisten nach Italien zurückgeführten Asylsuchenden obdachlos sind. Nach dem Bericht von Bethke und Bender (Zur Situation von Flüchtlingen in Italien, vom 28.2.2011) gibt es keine bevorzugte Behandlung von „Dublin-Rückkehrern“. Danach seien nach offiziellem Bericht des SPRAR lediglich 12 % der „Dublin-Rückkehrer“ in den Jahren 2008 und 2009 in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden; 88% seien der Obdachlosigkeit überlassen worden. Im Jahr seien von insgesamt 1.308 Rückkehrern 148 in ein SPRAR-Projekt aufgenommen worden. Im Jahr 2009 hätten 315 Personen von 2.658 zurückgeführten Flüchtlingen einen Platz in einer Unterkunft erhalten. Auch für das Jahr 2010 gilt nichts anderes: Von 2739 aus anderen Dublin-Staaten zurückgeschobenen Personen haben 343, als ca 12%, einen SPRAR-Platz erhalten (vgl. Bender, Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist, Asylmagazin 2012, S. 11, 16/17, m.w.N.). Nach Schätzungen von Flüchtlingsorganisationen hat etwa die Hälfte der alleinstehenden männlichen Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen keine Unterkunft (vgl. Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Nov. 2009, Rückschaffung in den „sicheren Drittstaat“ Italien).
26 
Soweit sich aus der Antwort der Bundesregierung zur Kleinen Anfrage (BT-Drs. 17/5579) ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben, ist dies jedoch schon dadurch relativiert, dass zugleich angegeben wird, das belastbare und detaillierte eigene Erkenntnisse über die Unterbringung von Asylbewerbern in Italien nicht vorliegen.
27 
Angesichts der durch die kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströmen von Afrika nach Italien wird sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern. Nach einer Stellungnahme des UNHCR vom 16.8.2011 (Thousands still arriving on Italy’s shores from Libya and Tunisia - UN Agency, www.unhcr.org) seien seit den Unruhen in Nordafrika 52.000 Personen von Libyen und Tunesien nach Italien gekommen.
28 
Nach dieser Sachlage wären die Antragsteller gezwungen, ein Leben unterhalb des Existenzminimums zu führen. Auch aus ihrem eigenen Vortrag ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht erwünscht und die Versorgung mangelhaft war. Die Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 1 berichteten bei ihren Anhörungen vor dem Bundesamt davon, sie seien in Italien nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Zudem habe man sie in eine Unterkunft eingewiesen, wo sie weder Bett noch Decken erhalten hätten. Sie seien zusammen mit einer weiteren Familie in einem kleinem Zimmer untergebracht gewesen. Es habe auch nur einmal am Tag eine Mahlzeit gegeben.
29 
Darüber hinaus wären die Antragsteller nach dem oben Ausgeführten im Falle einer Abschiebung nach Italien mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von Obdachlosigkeit bedroht. Bei einer Rückführung der Antragsteller nach Italien würde daher die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens gegen einen noch zu erlassenden entsprechenden Bescheid des Bundesamts schon an ihrer mangelnden Erreichbarkeit in Italien scheitern (vgl. BVerfG, B.v. 8.9.2009 - 2 BvQ 56.09 -, juris; OVG NRW, B.v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A -, juris).
30 
Die Antragsteller dürften darüber hinaus einen Anspruch darauf haben, dass die Antragsgegnerin von ihrem sog. Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 343/2003 vom 18.2.2003 (Dublin-II-VO) Gebrauch macht. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO gibt den Antragstellern grundsätzlich nur ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. VG Frankfurt/M., B.v. 11.6.2012 - 1 L 1994/12.F.A. - juris; VG Würzburg, B.v. 24.5.2012 - W 3 E 12.30017 -, juris; VG Regensburg, U.v. 27.3.2012 - RN 9 K 11.30441 -, juris; VG Karlsruhe, U.v. 6.3.2012 - A 3 K 3069/11 -, juris; VG Magdeburg, U.v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -, juris). Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29.5.2012 gebeten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-OII-VO Gebrauch zu machen. Über diesen Antrag hat die Antragsgegnerin nach Kenntnis des Gerichts noch nicht entschieden. Nach den oben gemachten Ausführungen zur Lage in Italien ist das Gericht der Überzeugung, dass im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, a.a.O.) ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe dafür vorliegen, dass die Antragsteller aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingung für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK, Art. 4 Europäische Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt. Diese schwerwiegenden Beeinträchtigung dürften zu der rechtlichen Schlussfolgerung führen, dass dem Anspruch der Antragsteller auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Antragsgegnerin nur dadurch genügt werden kann, im Hinblick auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen mit der Folge, dass die Asylverfahren der Antragsteller fortzusetzen sind (vgl. VG Regensburg, U.v. 27.3.2012 - RN 9 K 11.30441 -, juris, m.w.N.).
31 
Der einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegnerin aufgegeben wird, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, steht nicht entgegen, dass mit der einstweiligen Anordnung der Vorläufigkeit dieses Verfahrens entsprechend keine Vorwegnahme der Hauptsache erfolgen soll (vgl. Kopp/Schenke, 17. Aufl., 2011, § 123 Rn. 14). Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nämlich dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h., wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für die Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen sind (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O.). Dies trifft hier zu.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.
33 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Stuttgart Beschluss, 02. Juli 2012 - A 7 K 1877/12

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels
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Gründe 1 Der Eilrechtsschutzantrag ist zulässig und begründet. 2 Dem Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller steht - ausnahmenweise - nicht entgegen, dass - soweit dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt - noch kein Bescheid des Bunde

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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.

(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.

(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 250.000 € (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro) festgesetzt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, sein Asylantrag sei unzulässig, und die gleichzeitig verfügte Abschiebungsanordnung nach Italien.
Der am … 1990 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger yezidischer Glaubenszugehörigkeit aus Sheikhan in der Provinz Mosul. Er wurde am 22.10.2011 bei seiner Einreise ins Bundesgebiets in Bad Säckingen aufgegriffen und gab anlässlich seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 23.10.2011 an, dass er nach seiner Ausreise aus dem Irak nach Istanbul gefahren und von dort nach Italien gelangt sei. In Italien habe man ihn gezwungen, sich Fingerabdrücke nehmen zu lassen, weil er sonst nichts zu essen und trinken bekommen hätte. Er sei auch geschlagen und damit bedroht worden, ins Gefängnis gesteckt zu werden. Eine Eurodac-Überprüfung ergab für Italien einen Treffer unter dem 20.10.2011. Ab dem 24.10.2011 befand sich der Kläger aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Bad Säckingen vom 24.10.2011 - UR 2/11 - in Zurückschiebehaft in der JVA Mannheim, aus der er am 31.10.2011 einen Asylantrag stellte.
Am 26.10.2011 richtete die Bundesrepublik Deutschland ein Aufnahmeersuchen an die italienischen Behörden, was von dort am 18.11.2011 positiv beantwortet wurde.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.11.2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Asylantrag deshalb unzulässig sei, weil Italien nach der Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Umstände, die zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland führen könnten, seien weder dargetan noch ersichtlich. Italien erfülle gegenüber Asylbewerbern die Mindeststandards. Da es sich bei Italien um einen sicheren Drittstaat handle, sei aufgrund des Konzepts der normativen Vergewisserung davon auszugehen, dass dort die Anwendung der GFK und der EMRK sichergestellt sei. Auch sei davon auszugehen, dass die einschlägigen Regelungen des EG-Rechts in Italien eingehalten würden. Auch von Seiten des UNHCR gebe es keine Aufforderung an die Mitgliedstaaten, von Überstellungen nach Italien abzusehen.
Der Bundesamtsbescheid wurde dem Kläger-Vertreter am 14.11.2011 zugestellt.
Bereits am 09.11.2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Nach aktuellen Erkenntnissen werde Flüchtlingen in Italien kein faires Asylverfahren eröffnet. Sie erhielten dort keinen Schutz entsprechend den europaweit vereinbarten Mindeststandards. Die große Mehrheit von ihnen sei ungeschützt, ohne Obdach, Integrationshilfe und gesicherten Zugang zu Nahrung. Gerade in den Wintermonaten stelle sich die Situation der Asylsuchenden als sehr prekär dar. Insgesamt seien die Verhältnisse in Italien mit denen in Griechenland zu vergleichen. Danach sei Italien nicht in der Lage, den flüchtlingspolitischen Anforderungen gerecht zu werden.
Am 18.11.2011 hat der Kläger Klage erhoben.
Zu deren Begründung nimmt er auf die Ausführungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Bezug.
Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angegriffene Entscheidung und verweist ergänzend auf Beiträge der deutschen Liaison-Beamtin in Italien.
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Mit Beschluss vom 28.11.2011 - A 3 K 2985/11 - hat die Einzelrichterin die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Anordnung der Abschiebung nach Italien angeordnet und der Beklagten aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Klägers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden dürfe.
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Mit Beschluss vom 07.12.2011 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
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Ebenfalls mit Beschluss vom 07.12.2011 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und sein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
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Am 22.12.2011 wurde der Kläger beim Bundesamt angehört und hat dort folgende Angaben gemacht: Seine gesamte Familie sei zwischenzeitlich in Deutschland. Er habe ein Jahr lang in Syrien gelebt und bei der Deutschen Botschaft in Damaskus erfolglos ein Visum zur Familienzusammenführung beantragt. Als er danach wieder in den Irak zurückgekehrt sei, habe er nicht gewusst, wohin er habe gehen sollen, da seine Familie das Haus bereits verkauft gehabt habe. Zunächst habe er zwei Tage bei seiner Tante väterlicherseits gewohnt, von dort sei er nach Sulaimaniya und danach nach Arbil gegangen. Dort habe er mit Alkohol gehandelt. Deshalb habe es zunehmend Drohungen gegen ihn gegeben. Außerdem habe man ihn als Yeziden diskriminiert. Da er allein gewesen sei und nicht gewusst habe, wohin er habe gehen sollen, sei er zu seiner in Deutschland lebenden Familie gekommen. Seine bei der polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben zum Reiseweg seien zutreffend.
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In der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger ergänzend befragt und hat Folgendes angegeben: Am 07.10.2011 sei er aus dem Irak ausgereist. Seine Familie sei zu dieser Zeit bereits in Deutschland gewesen. Grund für seine Ausreise sei die Lage der Yeziden im Irak gewesen. Er sei bereits zuvor nach Syrien gereist, um von dort aus ein Visum zur Familienzusammenführung mit seinem in Deutschland lebenden Vater zu beantragen. Nachdem dieses abgelehnt worden sei, sei er in den Irak zurückgekehrt. Dort habe er jedoch keine Familie mehr gehabt. Er habe erfolglos versucht, in Arbil und Sulaimaniya Arbeit zu finden. Als Yezide sei ihm dies jedoch nicht gelungen.
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Auf Frage nach individuellen Problemen unabhängig von seiner Glaubenszugehörigkeit: Er habe dort nicht mehr leben können und auch kein Geld mehr gehabt.
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Auf Vorhalt, dass er bei der Bundesamtsanhörung von Bedrohungen wegen seines Handels mit Alkohol gesprochen habe: Mit Alkohol habe er nicht gehandelt. Er sei in einem Lokal als Bedienung tätig gewesen und habe in Arbil Alkohol ausgeschenkt. Auch in Sulaimaniya habe er keine Arbeit gefunden. Eine Woche habe er in Rania gearbeitet. Dann sei er in seinen Heimatort zurückgekehrt und mit seinem irakischen Reisepass in die Türkei gefahren. Ein Schleuser habe ihn illegal zu Fuß nach Griechenland gebracht. Dieser habe ihm auch versprochen, ihn per Lkw direkt nach Deutschland zu bringen. Mit dem Lkw sei er in vier Tagen bis zur Küste gefahren. Dann habe er in ein mit über 100 Personen völlig überfülltes Boot steigen müssen. In diesem sei er nach Italien gelangt. Die italienischen Behörden hätten ihm gesagt, er müsse seine Fingerabdrücke abgeben, da er sonst nichts zu essen bekäme und verhaftet würde. Zunächst habe er sich geweigert, aber so kein Essen bekommen und hungrig schlafen müssen. Zwei Tage habe man ihn in Haft gehalten und dann vier Tage lang in einer Asylaufnahmeeinrichtung untergebracht. In dieser sei die Lage nicht gut gewesen. Es habe viele Kurden und Yeziden dort gegeben. Es habe sich dem Grunde nach um ein großes Zelt gehandelt, wo sie hätten schlafen müssen. Es habe nur schlechtes und billiges Essen gegeben. Die Bedingungen seien miserabel gewesen. Wäre er dort geblieben, hätte er betteln müssen. Die Kurden und Yeziden seien in wenig von der Kirche unterstützt worden.
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Auf Frage: Man habe ihm gesagt, dass er einen Asylantrag stellen solle. Er habe sich jedoch geweigert, weil er zu seinen Eltern habe weiterreisen wollen.
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Er habe gesehen, wie die Flüchtlinge hätten betteln müssen. Er habe dort nicht bleiben können und sei deshalb mit einem Pkw zunächst über Mailand in die Schweiz und dann mit einem weiteren Pkw nach Deutschland gekommen.
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Eine Rückkehr in den Irak komme für ihn nicht in Betracht. Er habe dort keine Familie, keine Arbeit und kein Geld. Er würde getötet werden und verhungern.
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Dem Gericht liegen die einschlägigen Akten des Bundesamtes vor. Diese Akten wurden ebenso wie die Erkenntnismittel, die in der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste aufgeführt sind, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Eingeführt wurden auch die aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlichen aktuellen Erkenntnisse. Beigezogen wurde außerdem die Akte des Eilverfahrens A 3 K 2985/11.

Entscheidungsgründe

 
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Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß bewirkten Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
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Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -, juris; VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u.a. -, InfAuslR 2009, 406; v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A.; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27 a Rdnr. 18; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/09.WI.A -; wohl auch VG Sigmaringen, Urt. v. 26.10.2009 - A 1 K 1757/09 -). Im Falle der Aufhebung einer solchen Entscheidung ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens eröffnet. Vergleichbar den Fällen einer Einstellung des Asylverfahrens nach § 32 AsylVfG sowie der gerichtlichen Entscheidung bei einer fiktiven Antragsrücknahme nach § 33 AsylVfG ist im Anschluss an die hierzu ergangene einschlägige Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94, NVwZ 1996, S. 80; Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m.w.N.) auch bei einer Entscheidung nach § 27 a AsylVfG die Verpflichtungsklage mit dem Ziel einer Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht als vorrangig anzusehen. Im Falle des Durchentscheidens des Verwaltungsgerichts durch Verpflichtungsurteil würde dem Kläger nämlich eine Tatsacheninstanz, und zwar die auf inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt, genommen.
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Statthafte Klageart gegen die in dem Bescheid vom 10.11.2011 enthaltenen Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG ist gleichfalls die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 34 a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a.a.O., § 34 a Rdnr. 64;).
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Dem Kläger steht für seine Klage auch das zwingend erforderliche Rechtsschutzinteresse zu, da er weiterhin nach Italien rücküberstellt werden könnte, nachdem Italien am 18.11.2011 der Rückübernahme des Klägers zugestimmt hat. Zudem läuft die Sechs-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 4 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - im Folgenden: Dublin II-VO -, wonach die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens auf den Mitgliedstaat übergeht, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, sofern die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten ab der Stattgabe des Aufnahmegesuchs im Sinne des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO durchgeführt wird (vgl. auch Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO), erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urt. v. 29.01.2009 - C-19/08, NVwZ 2009, 639 - Petrosian). Der Fristenlauf beginnt somit erst ab Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides der Beklagten vom 10.11.2011.
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Die Klage ist auch begründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes vom 10.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Unrecht den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet. Vielmehr hätte das Bundesamt im Falle des Klägers von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen müssen.
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Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der das Selbsteintrittsrecht wahrnehmende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Satz 2). Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (Satz 3).
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Der Kläger kann sich auch auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO berufen. Diese Bestimmung ist - anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 25) - nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Vergünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung besitzen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 [24]= NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04.12.1974 - Rs. C-41/74, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53 [71]= NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 124 m.w.N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der EuGH in seinem zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ergangenen Urteil vom 29.01.2009 (C-19/08, NVwZ 2009, S. 639 Rdnr. 38, 48 zu Fragen des Rechtsschutzes - Petrosian) aus. Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO lediglich ein - gegebenenfalls aber auf Null reduziertes - Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08.30122 -; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 134 f. und 223 m.w.N.; Marx, a.a.O., § 27 a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u.a und des Belgischen Conseil d'Etat/Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
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Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vor.
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Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann abweichend davon jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Kläger fällt als Drittstaatsangehöriger im Sinne des Art. 2 lit. a) Dublin II-VO, der einen Asylantrag gemäß Art. 2 lit. c) Dublin II-VO gestellt hat, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Es steht fest, dass eine Zuständigkeit der Beklagten nach den Kriterien in Kapitel III dieser Verordnung, die sich auf Zugehörigkeit zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen kraft Ehe, eheähnlicher Gemeinschaft oder Sorgeberechtigten im Falle der Minderjährigkeit, sofern diese Minderjährigen ledig und unterhaltsberechtigt sind, nicht gegeben ist. Gleichermaßen verhält es sich mit der humanitären Klausel des Art. 15 Dublin II-VO, für deren Anwendung der vorliegende Sachverhalt keine Anhaltspunkte bietet.
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Daher kann der Kläger sich allein auf ein Recht auf Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO als für ihn günstige Norm berufen, um als Ausnahme von den Zuständigkeitsregeln der Verordnung die Prüfung seines Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen.
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Aus dem Wortlaut dieser Norm ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck allerdings nicht in der Norm selbst seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 220; Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der Fassung des Amsterdamer Vertrags vom 02.10.1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt.
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Nach Art. 63 Satz 1 Nr. 1 a) EG beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erlassen. Nach deren Erwägungsgrund Nr. 4 soll die Verordnung insbesondere die rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ermöglichen, „um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.“ In dem Erwägungsgrund Nr. 5 der Verordnung wird deren Ziel dahingehend bestimmt, dass diese - erstens - im Zusammenhang mit der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylrechts stehe und dass - zweitens - das bis dahin geltende Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15.06.1990 (Dubliner Übereinkommen) die Durchführung der europäischen Asylrechtsharmonisierung gefördert habe und deswegen mit bestimmten Änderungen fortzuentwickeln sei. Weiterhin wird im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 der Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
39 
Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet (ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1): „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.“ Diese Vorschrift ist wie die Charta insgesamt kein unmittelbar geltendes und verbindliches Gemeinschaftsrecht, sondern formell lediglich „soft law“ (vgl. nur Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Erwägungsgründe K 29; Korte, in: Berg/Kampfer [Hrsg.], Verfassung für Europa, 2004, S. 65 [70]). In Art. 6 Abs. 1 des EU- Vertrags wird ausdrücklich auf die Charta der Grundrechte Bezug genommen und diese für den Fall des Inkrafttretens des Vertrags in europäischen Verfassungsrang erhoben. Unabhängig davon hat die Charta der Grundrechte nicht nur in die Verordnung (EG) Nr. 343/2003, sondern in eine Vielzahl von Rechtsakten der Europäischen Union Eingang gefunden (vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 5 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27.01.2003, ABl. L 31 S. 18; Erwägungsgrund Nr. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004, ABl. L 304 S. 12 - so genannte Qualifikationsrichtlinie; Erwägungsgrund Nr. 8 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft vom 01.12.2005, ABl. L 326 S. 13 Erwägungsgrund Nr. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22.09.2003, ABL. L 251 S. 12) und wird vom EuGH als Rechtserkenntnisquelle in ständiger Spruchpraxis mit herangezogen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 27.06.2006 - C-540/03, NJW 2006, 3266 - Parlament vs. Rat; EuGH, Urt. v. 03.09.2008 - C-402/05, NJW 2008, 3697 - Kadi u.a.; EuGH, Urt. v. 16.12.2008 - C-47/07, - Masdar; EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07, NVwZ 2009, 705 - Elgafaji; EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, N.S., juris; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432/05, NJW 2007, 3555 - Angelidaki u.a. sowie EuGH, Urt. v. 20.09.2007 - C-116/06, EuZW 2007, 741 - Kiiski, jeweils zur Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte vom 09.12.1989). Durch die entsprechende Berücksichtigung der Charta der Grundrechte sowohl in unionsrechtlichen Verordnungen und Richtlinien als auch in der Spruchpraxis des EuGH ist auch Art. 18 der Charta der Grundrechte elementarer und zwingend zu berücksichtigender Bestandteil der Rechtsordnung der Europäischen Union.
40 
Unter Berücksichtigung der genannten Richtlinien des Rates, denen das Ziel gemeinsam ist, das in ihnen vergegenständlichte materielle und formelle Asylrecht in ein gemeinsames europäisches Asylrecht der Mitgliedstaaten zu transformieren, ist davon auszugehen, dass die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 mit ihren Bestimmungen, welcher Mitgliedstaat zuständig für ein Asylbegehren ist, im Lichte dieser europäischen Rechtsakte für ein gemeinsames Asylrecht auszulegen ist, und zwar - soweit die Umsetzungsfrist abgelaufen ist - unabhängig von dem Stand ihrer Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Es ist festzustellen, dass die Zuständigkeitsregelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 das Bestehen eines gemeinsamen europäischen Asylrechts voraussetzen, wie sie ihren Ausdruck in den oben genannten Richtlinien gefunden haben (so auch VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.)
41 
Insofern ist es für einen Asylsuchenden grundsätzlich zumutbar, in Ausführung dieser Regeln auf einen anderen Mitgliedstaat verwiesen zu werden, da seine materiellen Rechte kraft dieser Richtlinien in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten sind. Soweit allerdings das mit den oben genannten Richtlinien statuierte materielle oder formelle Asylrecht in einem Mitgliedstaat in nicht genügender Weise transformiert worden ist oder aus anderen Gründen nicht zur Anwendung gelangt, dispensieren die Zuständigkeitsregeln der Verordnung den Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wird, nicht von seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nach der GFK, den Asylantrag zu prüfen. Insoweit ist der Selbsteintritt in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zumindest auch als Instrument zur Gewährleistung des subjektiven Rechts eines Antragstellers auf Prüfung seines Asylantrages auszulegen, und zwar zu dem Zweck, ein richtlinienkonformes Asylverfahren zu gewährleisten, wenn zu erwarten ist, dass ihm ein solches Verfahren in dem Mitgliedstaat der Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht zugänglich ist.
42 
Dann ist auch ein Sonderfall gegeben, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49; Beschl. v. 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann ein Sonderfall etwa dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit dem Beitritt zur GFK und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solch erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 -, M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413). Schließlich ist auch nach Auffassung des EuGH (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) trotz der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der GFK und der EMRK steht, die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechtecharta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
43 
Nach den dem Gericht vorliegenden und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Informationen, wie sie auch den ebenfalls eingeführten Entscheidungen des VG Magdeburg (Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -) und des VG Freiburg (Beschl. v. 17.02.2012 - A 2 K 286/12 - unter Hinweis auf Beschl. v. 02.02.2012, a.a.O.) zugrundelagen, ist in Bezug auf das italienische Asylverfahren von Folgendem auszugehen:
44 
Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-VO dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig. Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im Wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-VO auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
45 
Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im Wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italien-bericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id= 428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat. org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben. All dies wird nochmals von Bender in „Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist“ (Asylmagazin 1-2/12, S. 11) auf den aktuellen Stand gebracht und vollumfänglich bestätigt.
46 
Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die meisten der zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im Wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d 6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/ it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
47 
Schließlich hat auch der Kläger selbst die miserable Versorgung mit dem Allernotnotwendigsten eindrücklich geschildert, insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass er, wäre er länger in Italien geblieben, hätte betteln müssen, um nicht zu verhungern.
48 
Den zitierten Berichten hat die Beklagte nichts Substantiiertes entgegengesetzt und in ihrer Begründung, wie sie zu der Abschiebungsanordnung nach Italien gekommen ist, vorrangig die Erkenntnisquellen verwertet, die vor dem Frühjahr 2011 erhoben wurden. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung des Gerichts nicht; auch das BVerfG hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschl. v. 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Beklagten darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt beruft sich in erster Linie, wie auch die Beklagte im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
49 
Nach alledem ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) dafür vorliegen, dass der Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt.
50 
Diese schwerwiegenden Beeinträchtigungen führen zu der rechtlichen Schlussfolgerung dass dem Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Beklagte nur dadurch genügt werden kann, vorliegend die Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO wegen einer Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen.
51 
Der streitgegenständliche Bescheid vom 10.11.2011 ist daher aufzuheben.
52 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Gründe

 
25 
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß bewirkten Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
26 
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
27 
Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -, juris; VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u.a. -, InfAuslR 2009, 406; v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A.; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27 a Rdnr. 18; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/09.WI.A -; wohl auch VG Sigmaringen, Urt. v. 26.10.2009 - A 1 K 1757/09 -). Im Falle der Aufhebung einer solchen Entscheidung ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens eröffnet. Vergleichbar den Fällen einer Einstellung des Asylverfahrens nach § 32 AsylVfG sowie der gerichtlichen Entscheidung bei einer fiktiven Antragsrücknahme nach § 33 AsylVfG ist im Anschluss an die hierzu ergangene einschlägige Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94, NVwZ 1996, S. 80; Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m.w.N.) auch bei einer Entscheidung nach § 27 a AsylVfG die Verpflichtungsklage mit dem Ziel einer Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht als vorrangig anzusehen. Im Falle des Durchentscheidens des Verwaltungsgerichts durch Verpflichtungsurteil würde dem Kläger nämlich eine Tatsacheninstanz, und zwar die auf inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt, genommen.
28 
Statthafte Klageart gegen die in dem Bescheid vom 10.11.2011 enthaltenen Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG ist gleichfalls die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 34 a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a.a.O., § 34 a Rdnr. 64;).
29 
Dem Kläger steht für seine Klage auch das zwingend erforderliche Rechtsschutzinteresse zu, da er weiterhin nach Italien rücküberstellt werden könnte, nachdem Italien am 18.11.2011 der Rückübernahme des Klägers zugestimmt hat. Zudem läuft die Sechs-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 4 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - im Folgenden: Dublin II-VO -, wonach die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens auf den Mitgliedstaat übergeht, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, sofern die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten ab der Stattgabe des Aufnahmegesuchs im Sinne des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO durchgeführt wird (vgl. auch Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO), erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urt. v. 29.01.2009 - C-19/08, NVwZ 2009, 639 - Petrosian). Der Fristenlauf beginnt somit erst ab Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides der Beklagten vom 10.11.2011.
30 
Die Klage ist auch begründet.
31 
Der Bescheid des Bundesamtes vom 10.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Unrecht den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet. Vielmehr hätte das Bundesamt im Falle des Klägers von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen müssen.
32 
Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der das Selbsteintrittsrecht wahrnehmende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Satz 2). Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (Satz 3).
33 
Der Kläger kann sich auch auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO berufen. Diese Bestimmung ist - anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 25) - nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Vergünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung besitzen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 [24]= NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04.12.1974 - Rs. C-41/74, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53 [71]= NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 124 m.w.N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der EuGH in seinem zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ergangenen Urteil vom 29.01.2009 (C-19/08, NVwZ 2009, S. 639 Rdnr. 38, 48 zu Fragen des Rechtsschutzes - Petrosian) aus. Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO lediglich ein - gegebenenfalls aber auf Null reduziertes - Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08.30122 -; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 134 f. und 223 m.w.N.; Marx, a.a.O., § 27 a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u.a und des Belgischen Conseil d'Etat/Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
34 
Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vor.
35 
Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann abweichend davon jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Kläger fällt als Drittstaatsangehöriger im Sinne des Art. 2 lit. a) Dublin II-VO, der einen Asylantrag gemäß Art. 2 lit. c) Dublin II-VO gestellt hat, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Es steht fest, dass eine Zuständigkeit der Beklagten nach den Kriterien in Kapitel III dieser Verordnung, die sich auf Zugehörigkeit zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen kraft Ehe, eheähnlicher Gemeinschaft oder Sorgeberechtigten im Falle der Minderjährigkeit, sofern diese Minderjährigen ledig und unterhaltsberechtigt sind, nicht gegeben ist. Gleichermaßen verhält es sich mit der humanitären Klausel des Art. 15 Dublin II-VO, für deren Anwendung der vorliegende Sachverhalt keine Anhaltspunkte bietet.
36 
Daher kann der Kläger sich allein auf ein Recht auf Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO als für ihn günstige Norm berufen, um als Ausnahme von den Zuständigkeitsregeln der Verordnung die Prüfung seines Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen.
37 
Aus dem Wortlaut dieser Norm ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck allerdings nicht in der Norm selbst seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 220; Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der Fassung des Amsterdamer Vertrags vom 02.10.1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt.
38 
Nach Art. 63 Satz 1 Nr. 1 a) EG beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erlassen. Nach deren Erwägungsgrund Nr. 4 soll die Verordnung insbesondere die rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ermöglichen, „um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.“ In dem Erwägungsgrund Nr. 5 der Verordnung wird deren Ziel dahingehend bestimmt, dass diese - erstens - im Zusammenhang mit der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylrechts stehe und dass - zweitens - das bis dahin geltende Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15.06.1990 (Dubliner Übereinkommen) die Durchführung der europäischen Asylrechtsharmonisierung gefördert habe und deswegen mit bestimmten Änderungen fortzuentwickeln sei. Weiterhin wird im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 der Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
39 
Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet (ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1): „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.“ Diese Vorschrift ist wie die Charta insgesamt kein unmittelbar geltendes und verbindliches Gemeinschaftsrecht, sondern formell lediglich „soft law“ (vgl. nur Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Erwägungsgründe K 29; Korte, in: Berg/Kampfer [Hrsg.], Verfassung für Europa, 2004, S. 65 [70]). In Art. 6 Abs. 1 des EU- Vertrags wird ausdrücklich auf die Charta der Grundrechte Bezug genommen und diese für den Fall des Inkrafttretens des Vertrags in europäischen Verfassungsrang erhoben. Unabhängig davon hat die Charta der Grundrechte nicht nur in die Verordnung (EG) Nr. 343/2003, sondern in eine Vielzahl von Rechtsakten der Europäischen Union Eingang gefunden (vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 5 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27.01.2003, ABl. L 31 S. 18; Erwägungsgrund Nr. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004, ABl. L 304 S. 12 - so genannte Qualifikationsrichtlinie; Erwägungsgrund Nr. 8 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft vom 01.12.2005, ABl. L 326 S. 13 Erwägungsgrund Nr. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22.09.2003, ABL. L 251 S. 12) und wird vom EuGH als Rechtserkenntnisquelle in ständiger Spruchpraxis mit herangezogen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 27.06.2006 - C-540/03, NJW 2006, 3266 - Parlament vs. Rat; EuGH, Urt. v. 03.09.2008 - C-402/05, NJW 2008, 3697 - Kadi u.a.; EuGH, Urt. v. 16.12.2008 - C-47/07, - Masdar; EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07, NVwZ 2009, 705 - Elgafaji; EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, N.S., juris; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432/05, NJW 2007, 3555 - Angelidaki u.a. sowie EuGH, Urt. v. 20.09.2007 - C-116/06, EuZW 2007, 741 - Kiiski, jeweils zur Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte vom 09.12.1989). Durch die entsprechende Berücksichtigung der Charta der Grundrechte sowohl in unionsrechtlichen Verordnungen und Richtlinien als auch in der Spruchpraxis des EuGH ist auch Art. 18 der Charta der Grundrechte elementarer und zwingend zu berücksichtigender Bestandteil der Rechtsordnung der Europäischen Union.
40 
Unter Berücksichtigung der genannten Richtlinien des Rates, denen das Ziel gemeinsam ist, das in ihnen vergegenständlichte materielle und formelle Asylrecht in ein gemeinsames europäisches Asylrecht der Mitgliedstaaten zu transformieren, ist davon auszugehen, dass die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 mit ihren Bestimmungen, welcher Mitgliedstaat zuständig für ein Asylbegehren ist, im Lichte dieser europäischen Rechtsakte für ein gemeinsames Asylrecht auszulegen ist, und zwar - soweit die Umsetzungsfrist abgelaufen ist - unabhängig von dem Stand ihrer Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Es ist festzustellen, dass die Zuständigkeitsregelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 das Bestehen eines gemeinsamen europäischen Asylrechts voraussetzen, wie sie ihren Ausdruck in den oben genannten Richtlinien gefunden haben (so auch VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.)
41 
Insofern ist es für einen Asylsuchenden grundsätzlich zumutbar, in Ausführung dieser Regeln auf einen anderen Mitgliedstaat verwiesen zu werden, da seine materiellen Rechte kraft dieser Richtlinien in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten sind. Soweit allerdings das mit den oben genannten Richtlinien statuierte materielle oder formelle Asylrecht in einem Mitgliedstaat in nicht genügender Weise transformiert worden ist oder aus anderen Gründen nicht zur Anwendung gelangt, dispensieren die Zuständigkeitsregeln der Verordnung den Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wird, nicht von seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nach der GFK, den Asylantrag zu prüfen. Insoweit ist der Selbsteintritt in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zumindest auch als Instrument zur Gewährleistung des subjektiven Rechts eines Antragstellers auf Prüfung seines Asylantrages auszulegen, und zwar zu dem Zweck, ein richtlinienkonformes Asylverfahren zu gewährleisten, wenn zu erwarten ist, dass ihm ein solches Verfahren in dem Mitgliedstaat der Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht zugänglich ist.
42 
Dann ist auch ein Sonderfall gegeben, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49; Beschl. v. 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann ein Sonderfall etwa dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit dem Beitritt zur GFK und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solch erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 -, M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413). Schließlich ist auch nach Auffassung des EuGH (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) trotz der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der GFK und der EMRK steht, die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechtecharta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
43 
Nach den dem Gericht vorliegenden und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Informationen, wie sie auch den ebenfalls eingeführten Entscheidungen des VG Magdeburg (Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -) und des VG Freiburg (Beschl. v. 17.02.2012 - A 2 K 286/12 - unter Hinweis auf Beschl. v. 02.02.2012, a.a.O.) zugrundelagen, ist in Bezug auf das italienische Asylverfahren von Folgendem auszugehen:
44 
Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-VO dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig. Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im Wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-VO auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
45 
Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im Wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italien-bericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id= 428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat. org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben. All dies wird nochmals von Bender in „Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist“ (Asylmagazin 1-2/12, S. 11) auf den aktuellen Stand gebracht und vollumfänglich bestätigt.
46 
Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die meisten der zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im Wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d 6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/ it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
47 
Schließlich hat auch der Kläger selbst die miserable Versorgung mit dem Allernotnotwendigsten eindrücklich geschildert, insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass er, wäre er länger in Italien geblieben, hätte betteln müssen, um nicht zu verhungern.
48 
Den zitierten Berichten hat die Beklagte nichts Substantiiertes entgegengesetzt und in ihrer Begründung, wie sie zu der Abschiebungsanordnung nach Italien gekommen ist, vorrangig die Erkenntnisquellen verwertet, die vor dem Frühjahr 2011 erhoben wurden. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung des Gerichts nicht; auch das BVerfG hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschl. v. 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Beklagten darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt beruft sich in erster Linie, wie auch die Beklagte im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
49 
Nach alledem ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) dafür vorliegen, dass der Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt.
50 
Diese schwerwiegenden Beeinträchtigungen führen zu der rechtlichen Schlussfolgerung dass dem Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Beklagte nur dadurch genügt werden kann, vorliegend die Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO wegen einer Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen.
51 
Der streitgegenständliche Bescheid vom 10.11.2011 ist daher aufzuheben.
52 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (A 4 K 2202/11) gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.08.2011 wird angeordnet.

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
A. Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (A 4 K 2202/11) gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25.08.2011, zugestellt am 02.11.2011, anzuordnen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylVfG), ist zulässig.
I. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes richtet sich vorliegend nach § 80 Abs. 5 VwGO. Der Antragsteller beantragt im Hauptsacheverfahren (A 4 K 2202/11) die isolierte Aufhebung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 25.08.2011, hat folglich eine isolierte Anfechtungsklage erhoben. Die Anfechtungsklage ist in Fällen der §§ 27a, 34a AsylVfG statthafte Klageart. Denn die antragsgemäße Entscheidung des Gerichts - Aufhebung der ablehnenden Entscheidung, mit der die Durchführung eines Asylverfahrens für unzulässig erklärt wurde - führt zu einer formellen und materiellen Prüfung des Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ohne dass dem Kläger eine mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattete Tatsachenentscheidung genommen wird (für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage in Fällen des § 27a AsylVfG auch VG Wiesbaden, Urteil vom 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 07.03.1995 - 9 C 264/94 -, juris; VG Neustadt, Urteil vom 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; ohne nähere Begründung auch VG Braunschweig, Urteil vom 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG München, Urteil vom 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschluss vom 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Frankfurt, Urteil vom 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 01.02.2010  - Au 5 S 10.30014 -, juris; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urteil vom 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris). Ist aber in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft, richtet sich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 Abs. 5 VwGO allein nach § 80 Abs. 5 VwGO.
II. § 34a Abs. 2 AsylVfG, der seinem Wortlaut nach vorläufigen Rechtsschutz bei Abschiebungen nach § 34a Abs. 1 AsylVfG ausschließt, steht dem nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei der geplanten Abschiebung des Antragstellers um eine solche nach § 34a Abs. 1 AsylVfG, denn der Antragsteller soll nach Italien als dem gemäß § 27a AsylVfG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 b und c, Art. 4 und Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II-VO - für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat überstellt werden. Auch im Falle von Italien kommt jedoch angesichts der jüngsten Berichte zur Lage der Flüchtlinge dort eine im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG verfassungskonforme Auslegung bzw. Reduktion des § 34a Abs. 2 AsylVfG, wie sie das Bundesverfassungsgericht in Fällen der Abschiebung nach Griechenland annimmt (vgl. zul. Beschluss vom 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris), zum Tragen.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf § 26a AsylVfG (sicherer Drittstaat) bereits im Jahr 1996 entschieden (Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris), dass die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes trotz der in § 34a Abs. 2 AsylVfG enthaltenen Ausschlussregelung und trotz des der Drittstaatenreglung zugrundeliegenden Konzepts der normativen Vergewisserung gleichwohl statthaft und geboten sein kann, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Ausländer von einem Sonderfall betroffen ist, der vom Vergewisserungskonzept nicht aufgefangen wird. Auch in den Fällen, in denen Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Dublin II-Verordnung zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, kann eine verfassungsrechtlich gebotene Reduktion des § 34a Abs. 2 AsylVfG in Betracht kommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Diese ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf § 27a AsylVfG dann geboten, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Ausländer von einem Sonderfall betroffen ist, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen. Das Konzept normativer Vergewisserung bezieht sich darauf, dass diese Staaten Flüchtlingen den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Menschenrechtskonvention gebotenen Schutz gewähren, was beinhaltet, dass es schutzsuchenden Ausländern nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen möglich ist, ein Schutzgesuch tatsächlich anzubringen und dadurch die Verpflichtung einer zuständigen Stelle zu begründen, hierüber nach vorgängiger Prüfung eine Entscheidung zu treffen. Ein Sonderfall kann daher ausnahmsweise dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit seinem Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996., a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solche erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413). Auch der EuGH hat jüngst (Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10 -, juris) bekräftigt, grundsätzlich sei von einer Vermutung dahingehend auszugehen, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK stehe. Dessen ungeachtet ist nach Auffassung des EuGH jedoch die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechte-Charta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Statuiert der EuGH für diesen Fall eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den im Sinne der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, muss in diesem Ausnahmefall in einschränkender Auslegung des § 34a AsylVfG die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes möglich sein.
2. Unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage bestehen erhebliche Zweifel an einer Befugnis der Antragsgegnerin zur Rücküberstellung des Antragstellers nach Italien auf Grundlage des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Denn jedenfalls nach der im Eilverfahren gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung ist zweifelhaft, ob Italien gegenwärtig seinen übernommenen Verpflichtungen rechtlich und tatsächlich in ausreichendem Umfang nachkommt und die hinreichende Gewähr dafür bietet, dass Ausländer, die dort einen Asyl- oder Schutzantrag gestellt haben bzw. im Falle ihrer Rücküberstellung noch stellen wollen, nicht von individuellen Gefährdungen i.S.d. Art. 4 Grundrechte-Charta, Art. 3 EMRK betroffen sind.
a) Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-Verordnung dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig: Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-Verordnung auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
b) Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italienbericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id=428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat.org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben.
c) Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
d) Diesen Berichten hat die Antragsgegnerin nichts substantiiert entgegengesetzt. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung der Kammer nicht; auch das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschluss vom 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Antragsgegnerin darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Souveränitätsklausel) anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beruft sich in erster Linie, wie auch die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
10 
e) Nach Auffassung der Kammer nach der bisherigen Recherche und Lektüre der aktuellen Informationen zur Lage in Italien liegen damit aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urteil vom 21.12.2011, a.a.O.) für die Annahme vor, der Antragsteller laufe tatsächlich Gefahr, im Falle einer Rücküberstellung nach Italien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Angesichts der konkreten Umstände - insbesondere der unter Flüchtlingen verbreiteten Obdachlosigkeit, welche die Zustellung amtlicher Dokumente und damit auch das Betreiben behördlicher wie gerichtlicher Verfahren maßgeblich erschwert, wenn nicht unmöglich macht, aber auch der gerichtsbekannten langen Laufzeiten italienischer Gerichtsverfahren - bestehen nach Aktenlage auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, die Asylbewerber hätten faktisch die Möglichkeit, die ihnen ausweislich der von Italien unterzeichneten internationalen Abkommen wie auch nationalen Gesetze zustehenden (Menschen-)Rechte innerhalb eines überschaubaren Zeitraums einzuklagen. Daher ist der Antrag des Antragstellers in verfassungs- bzw. europarechtskonformer Reduktion des § 34a Abs. 2 AsylVfG zulässig (so für Fälle der Überstellung nach Italien auch VG Freiburg, Beschluss vom 20.10.2011 - A 1 K 1936/11 -; Beschluss vom 06.09.2011 A 3 K 1738/11 -; Beschluss vom 25.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Arnsberg, Beschluss vom 25.03.2011 - 12 L 165/11.A -, asyl.net; VG Minden, Beschluss vom 01.09.2011 - 3 L 427/11.A -, asyl.net; VG Stuttgart, Beschluss vom 01.08.2011 - A 6 K 2577/11 -, juris; VG Meiningen, Beschluss vom 21.09.2011 - 8 E 20262/11 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2011 - 21 L 1083/11.A -, asyl.net; VG Osnabrück, Beschluss vom 23.05.2011 - 5 B 38/11 -, juris; i.Erg. auch VG Wiesbaden, Beschluss vom 12.04.3022 - 7 L 303/11.WI.A -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 08.07.2011 - Au 6 S 11.30229 -, juris (unter Verweis auf besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers); a.A. VG Saarlouis, Beschluss vom 22.08.2011 - 5 L 744/11 -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 05.09.2011 - Au 6 E 11.1320 -, juris; VG Ansbach, Beschluss vom 21.09.2011 - AN 11 S 11.30425 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 12.09.2011 - 6 L 866/11.A -, juris; VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23.05.2011 - 9 L 1025/11.F.A. -, asyl.net; VG Bremen, Beschluss vom 24.01.2012 - 6 V 1549/11.A -, juris).
11 
B. Der Antrag ist auch begründet. Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung hat das Gericht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Bescheids dem privaten Interesse des Betroffenen an einem Absehen von der sofortigen Vollziehung gegenüber zu stellen und abzuwägen. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgeblich. Lassen sich die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids und damit die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs im Rahmen der summarischen Prüfung nicht ohne weiteres feststellen, hat das Gericht eine Interessenabwägung zu treffen. Dabei hat es die Folgen abzuschätzen, die einträten, wenn der Bescheid sofort vollzogen würde, ein Hauptsacherechtsbehelf des Antragstellers hingegen später Erfolg hätte bzw. wenn der Bescheid nicht sofort vollzogen würde, aber der Hauptsacherechtsbehelf später erfolglos bliebe.
12 
I. Der vorliegende Antrag ist nicht schon deshalb begründet, weil, wie der Antragsteller meint, die zuständigen Behörden der Republik Italien die Übernahme des Asylverfahrens nicht angezeigt hätten und daher nicht feststehe, ob Italien die Übernahme des Antragstellers akzeptiere, so dass die Abschiebungsanordnung rechtswidrig sei. Denn nach Art. 20 Abs. 1 c) Dublin II-VO wird in Fällen, in denen - wie vorliegend - der ersuchte Mitgliedstaat innerhalb der Frist keine Antwort erteilt, davon ausgegangen, dass er die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert.
13 
II. Das Gericht kommt jedoch im Rahmen der ihm nach § 80 Abs. 5 VwGO obliegenden Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das private Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben zu werden, das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Abschiebungsanordnung überwiegt.
14 
Im vorliegenden Fall bestehen, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Die offensichtliche Begründetheit der Klage in der Hauptsache lässt sich jedoch wegen der schwierigen Sach- und Rechtsfragen im Rahmen der summarischen Prüfung nicht feststellen; hierzu bedarf es vielmehr einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren, gegebenenfalls nach Durchführung einer Beweisaufnahme. In der daher vorzunehmenden Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO gebührt dem Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Abschiebung der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der nach summarischer Prüfung rechtswidrigen Abschiebungsanordnung. Denn gegenüber dem Anspruch des Antragstellers auf Schutz entsprechend der europaweit vereinbarten Mindeststandards hat das öffentliche Interesse an der Umsetzung der Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-Verordnung zurückzutreten. Dies gilt umso mehr, als die Rückstellungsfristen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu laufen beginnen dürften, weil die Klage hier ausnahmsweise nach nationalem Recht aufschiebende Wirkung hat, so dass eine Rücküberstellung des Antragstellers im Falle seines Unterliegens in der Hauptsache wohl immer noch möglich sein dürfte (Hess. VGH, Beschluss vom 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A. -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 29.01.2009 - C-19/08 -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 08.07.2011 - Au 6 S 11.30229 -, juris, m.w.N.). Umgekehrt bestünde bei einer Überstellung nach Italien im laufenden Verfahren angesichts der dem Antragsteller dort drohenden Obdachlosigkeit die konkrete Gefahr, behördlich und gerichtlich unerreichbar zu sein mit der Folge, dass selbst im Falle seines Obsiegens in der Hauptsache die Folgen nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 20.10.2011 - A 1 K 1936/11 -).
15 
Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Regierungspräsidium Karlsruhe - Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge - bereits die Abschiebungsanordnung übersandt hat, war der Antragsgegnerin zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes für den Antragsteller entsprechend § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO aufzugeben, dem Regierungspräsidium die Aussetzung der Abschiebung mitzuteilen.
16 
Der Antragsgegnerin bleibt es unbenommen, bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu stellen.
17 
Die Kostenentscheidung folgt § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylVfG).
18 
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, sein Asylantrag sei unzulässig, und die gleichzeitig verfügte Abschiebungsanordnung nach Italien.
Der am … 1990 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger yezidischer Glaubenszugehörigkeit aus Sheikhan in der Provinz Mosul. Er wurde am 22.10.2011 bei seiner Einreise ins Bundesgebiets in Bad Säckingen aufgegriffen und gab anlässlich seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 23.10.2011 an, dass er nach seiner Ausreise aus dem Irak nach Istanbul gefahren und von dort nach Italien gelangt sei. In Italien habe man ihn gezwungen, sich Fingerabdrücke nehmen zu lassen, weil er sonst nichts zu essen und trinken bekommen hätte. Er sei auch geschlagen und damit bedroht worden, ins Gefängnis gesteckt zu werden. Eine Eurodac-Überprüfung ergab für Italien einen Treffer unter dem 20.10.2011. Ab dem 24.10.2011 befand sich der Kläger aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Bad Säckingen vom 24.10.2011 - UR 2/11 - in Zurückschiebehaft in der JVA Mannheim, aus der er am 31.10.2011 einen Asylantrag stellte.
Am 26.10.2011 richtete die Bundesrepublik Deutschland ein Aufnahmeersuchen an die italienischen Behörden, was von dort am 18.11.2011 positiv beantwortet wurde.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.11.2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Asylantrag deshalb unzulässig sei, weil Italien nach der Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Umstände, die zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland führen könnten, seien weder dargetan noch ersichtlich. Italien erfülle gegenüber Asylbewerbern die Mindeststandards. Da es sich bei Italien um einen sicheren Drittstaat handle, sei aufgrund des Konzepts der normativen Vergewisserung davon auszugehen, dass dort die Anwendung der GFK und der EMRK sichergestellt sei. Auch sei davon auszugehen, dass die einschlägigen Regelungen des EG-Rechts in Italien eingehalten würden. Auch von Seiten des UNHCR gebe es keine Aufforderung an die Mitgliedstaaten, von Überstellungen nach Italien abzusehen.
Der Bundesamtsbescheid wurde dem Kläger-Vertreter am 14.11.2011 zugestellt.
Bereits am 09.11.2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Nach aktuellen Erkenntnissen werde Flüchtlingen in Italien kein faires Asylverfahren eröffnet. Sie erhielten dort keinen Schutz entsprechend den europaweit vereinbarten Mindeststandards. Die große Mehrheit von ihnen sei ungeschützt, ohne Obdach, Integrationshilfe und gesicherten Zugang zu Nahrung. Gerade in den Wintermonaten stelle sich die Situation der Asylsuchenden als sehr prekär dar. Insgesamt seien die Verhältnisse in Italien mit denen in Griechenland zu vergleichen. Danach sei Italien nicht in der Lage, den flüchtlingspolitischen Anforderungen gerecht zu werden.
Am 18.11.2011 hat der Kläger Klage erhoben.
Zu deren Begründung nimmt er auf die Ausführungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Bezug.
Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 aufzuheben.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angegriffene Entscheidung und verweist ergänzend auf Beiträge der deutschen Liaison-Beamtin in Italien.
14 
Mit Beschluss vom 28.11.2011 - A 3 K 2985/11 - hat die Einzelrichterin die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Anordnung der Abschiebung nach Italien angeordnet und der Beklagten aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Klägers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden dürfe.
15 
Mit Beschluss vom 07.12.2011 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
16 
Ebenfalls mit Beschluss vom 07.12.2011 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und sein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
17 
Am 22.12.2011 wurde der Kläger beim Bundesamt angehört und hat dort folgende Angaben gemacht: Seine gesamte Familie sei zwischenzeitlich in Deutschland. Er habe ein Jahr lang in Syrien gelebt und bei der Deutschen Botschaft in Damaskus erfolglos ein Visum zur Familienzusammenführung beantragt. Als er danach wieder in den Irak zurückgekehrt sei, habe er nicht gewusst, wohin er habe gehen sollen, da seine Familie das Haus bereits verkauft gehabt habe. Zunächst habe er zwei Tage bei seiner Tante väterlicherseits gewohnt, von dort sei er nach Sulaimaniya und danach nach Arbil gegangen. Dort habe er mit Alkohol gehandelt. Deshalb habe es zunehmend Drohungen gegen ihn gegeben. Außerdem habe man ihn als Yeziden diskriminiert. Da er allein gewesen sei und nicht gewusst habe, wohin er habe gehen sollen, sei er zu seiner in Deutschland lebenden Familie gekommen. Seine bei der polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben zum Reiseweg seien zutreffend.
18 
In der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger ergänzend befragt und hat Folgendes angegeben: Am 07.10.2011 sei er aus dem Irak ausgereist. Seine Familie sei zu dieser Zeit bereits in Deutschland gewesen. Grund für seine Ausreise sei die Lage der Yeziden im Irak gewesen. Er sei bereits zuvor nach Syrien gereist, um von dort aus ein Visum zur Familienzusammenführung mit seinem in Deutschland lebenden Vater zu beantragen. Nachdem dieses abgelehnt worden sei, sei er in den Irak zurückgekehrt. Dort habe er jedoch keine Familie mehr gehabt. Er habe erfolglos versucht, in Arbil und Sulaimaniya Arbeit zu finden. Als Yezide sei ihm dies jedoch nicht gelungen.
19 
Auf Frage nach individuellen Problemen unabhängig von seiner Glaubenszugehörigkeit: Er habe dort nicht mehr leben können und auch kein Geld mehr gehabt.
20 
Auf Vorhalt, dass er bei der Bundesamtsanhörung von Bedrohungen wegen seines Handels mit Alkohol gesprochen habe: Mit Alkohol habe er nicht gehandelt. Er sei in einem Lokal als Bedienung tätig gewesen und habe in Arbil Alkohol ausgeschenkt. Auch in Sulaimaniya habe er keine Arbeit gefunden. Eine Woche habe er in Rania gearbeitet. Dann sei er in seinen Heimatort zurückgekehrt und mit seinem irakischen Reisepass in die Türkei gefahren. Ein Schleuser habe ihn illegal zu Fuß nach Griechenland gebracht. Dieser habe ihm auch versprochen, ihn per Lkw direkt nach Deutschland zu bringen. Mit dem Lkw sei er in vier Tagen bis zur Küste gefahren. Dann habe er in ein mit über 100 Personen völlig überfülltes Boot steigen müssen. In diesem sei er nach Italien gelangt. Die italienischen Behörden hätten ihm gesagt, er müsse seine Fingerabdrücke abgeben, da er sonst nichts zu essen bekäme und verhaftet würde. Zunächst habe er sich geweigert, aber so kein Essen bekommen und hungrig schlafen müssen. Zwei Tage habe man ihn in Haft gehalten und dann vier Tage lang in einer Asylaufnahmeeinrichtung untergebracht. In dieser sei die Lage nicht gut gewesen. Es habe viele Kurden und Yeziden dort gegeben. Es habe sich dem Grunde nach um ein großes Zelt gehandelt, wo sie hätten schlafen müssen. Es habe nur schlechtes und billiges Essen gegeben. Die Bedingungen seien miserabel gewesen. Wäre er dort geblieben, hätte er betteln müssen. Die Kurden und Yeziden seien in wenig von der Kirche unterstützt worden.
21 
Auf Frage: Man habe ihm gesagt, dass er einen Asylantrag stellen solle. Er habe sich jedoch geweigert, weil er zu seinen Eltern habe weiterreisen wollen.
22 
Er habe gesehen, wie die Flüchtlinge hätten betteln müssen. Er habe dort nicht bleiben können und sei deshalb mit einem Pkw zunächst über Mailand in die Schweiz und dann mit einem weiteren Pkw nach Deutschland gekommen.
23 
Eine Rückkehr in den Irak komme für ihn nicht in Betracht. Er habe dort keine Familie, keine Arbeit und kein Geld. Er würde getötet werden und verhungern.
24 
Dem Gericht liegen die einschlägigen Akten des Bundesamtes vor. Diese Akten wurden ebenso wie die Erkenntnismittel, die in der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste aufgeführt sind, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Eingeführt wurden auch die aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlichen aktuellen Erkenntnisse. Beigezogen wurde außerdem die Akte des Eilverfahrens A 3 K 2985/11.

Entscheidungsgründe

 
25 
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß bewirkten Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
26 
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
27 
Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -, juris; VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u.a. -, InfAuslR 2009, 406; v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A.; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27 a Rdnr. 18; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/09.WI.A -; wohl auch VG Sigmaringen, Urt. v. 26.10.2009 - A 1 K 1757/09 -). Im Falle der Aufhebung einer solchen Entscheidung ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens eröffnet. Vergleichbar den Fällen einer Einstellung des Asylverfahrens nach § 32 AsylVfG sowie der gerichtlichen Entscheidung bei einer fiktiven Antragsrücknahme nach § 33 AsylVfG ist im Anschluss an die hierzu ergangene einschlägige Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94, NVwZ 1996, S. 80; Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m.w.N.) auch bei einer Entscheidung nach § 27 a AsylVfG die Verpflichtungsklage mit dem Ziel einer Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht als vorrangig anzusehen. Im Falle des Durchentscheidens des Verwaltungsgerichts durch Verpflichtungsurteil würde dem Kläger nämlich eine Tatsacheninstanz, und zwar die auf inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt, genommen.
28 
Statthafte Klageart gegen die in dem Bescheid vom 10.11.2011 enthaltenen Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG ist gleichfalls die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 34 a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a.a.O., § 34 a Rdnr. 64;).
29 
Dem Kläger steht für seine Klage auch das zwingend erforderliche Rechtsschutzinteresse zu, da er weiterhin nach Italien rücküberstellt werden könnte, nachdem Italien am 18.11.2011 der Rückübernahme des Klägers zugestimmt hat. Zudem läuft die Sechs-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 4 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - im Folgenden: Dublin II-VO -, wonach die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens auf den Mitgliedstaat übergeht, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, sofern die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten ab der Stattgabe des Aufnahmegesuchs im Sinne des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO durchgeführt wird (vgl. auch Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO), erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urt. v. 29.01.2009 - C-19/08, NVwZ 2009, 639 - Petrosian). Der Fristenlauf beginnt somit erst ab Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides der Beklagten vom 10.11.2011.
30 
Die Klage ist auch begründet.
31 
Der Bescheid des Bundesamtes vom 10.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Unrecht den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet. Vielmehr hätte das Bundesamt im Falle des Klägers von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen müssen.
32 
Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der das Selbsteintrittsrecht wahrnehmende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Satz 2). Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (Satz 3).
33 
Der Kläger kann sich auch auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO berufen. Diese Bestimmung ist - anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 25) - nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Vergünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung besitzen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 [24]= NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04.12.1974 - Rs. C-41/74, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53 [71]= NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 124 m.w.N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der EuGH in seinem zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ergangenen Urteil vom 29.01.2009 (C-19/08, NVwZ 2009, S. 639 Rdnr. 38, 48 zu Fragen des Rechtsschutzes - Petrosian) aus. Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO lediglich ein - gegebenenfalls aber auf Null reduziertes - Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08.30122 -; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 134 f. und 223 m.w.N.; Marx, a.a.O., § 27 a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u.a und des Belgischen Conseil d'Etat/Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
34 
Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vor.
35 
Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann abweichend davon jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Kläger fällt als Drittstaatsangehöriger im Sinne des Art. 2 lit. a) Dublin II-VO, der einen Asylantrag gemäß Art. 2 lit. c) Dublin II-VO gestellt hat, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Es steht fest, dass eine Zuständigkeit der Beklagten nach den Kriterien in Kapitel III dieser Verordnung, die sich auf Zugehörigkeit zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen kraft Ehe, eheähnlicher Gemeinschaft oder Sorgeberechtigten im Falle der Minderjährigkeit, sofern diese Minderjährigen ledig und unterhaltsberechtigt sind, nicht gegeben ist. Gleichermaßen verhält es sich mit der humanitären Klausel des Art. 15 Dublin II-VO, für deren Anwendung der vorliegende Sachverhalt keine Anhaltspunkte bietet.
36 
Daher kann der Kläger sich allein auf ein Recht auf Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO als für ihn günstige Norm berufen, um als Ausnahme von den Zuständigkeitsregeln der Verordnung die Prüfung seines Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen.
37 
Aus dem Wortlaut dieser Norm ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck allerdings nicht in der Norm selbst seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 220; Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der Fassung des Amsterdamer Vertrags vom 02.10.1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt.
38 
Nach Art. 63 Satz 1 Nr. 1 a) EG beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erlassen. Nach deren Erwägungsgrund Nr. 4 soll die Verordnung insbesondere die rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ermöglichen, „um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.“ In dem Erwägungsgrund Nr. 5 der Verordnung wird deren Ziel dahingehend bestimmt, dass diese - erstens - im Zusammenhang mit der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylrechts stehe und dass - zweitens - das bis dahin geltende Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15.06.1990 (Dubliner Übereinkommen) die Durchführung der europäischen Asylrechtsharmonisierung gefördert habe und deswegen mit bestimmten Änderungen fortzuentwickeln sei. Weiterhin wird im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 der Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
39 
Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet (ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1): „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.“ Diese Vorschrift ist wie die Charta insgesamt kein unmittelbar geltendes und verbindliches Gemeinschaftsrecht, sondern formell lediglich „soft law“ (vgl. nur Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Erwägungsgründe K 29; Korte, in: Berg/Kampfer [Hrsg.], Verfassung für Europa, 2004, S. 65 [70]). In Art. 6 Abs. 1 des EU- Vertrags wird ausdrücklich auf die Charta der Grundrechte Bezug genommen und diese für den Fall des Inkrafttretens des Vertrags in europäischen Verfassungsrang erhoben. Unabhängig davon hat die Charta der Grundrechte nicht nur in die Verordnung (EG) Nr. 343/2003, sondern in eine Vielzahl von Rechtsakten der Europäischen Union Eingang gefunden (vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 5 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27.01.2003, ABl. L 31 S. 18; Erwägungsgrund Nr. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004, ABl. L 304 S. 12 - so genannte Qualifikationsrichtlinie; Erwägungsgrund Nr. 8 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft vom 01.12.2005, ABl. L 326 S. 13 Erwägungsgrund Nr. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22.09.2003, ABL. L 251 S. 12) und wird vom EuGH als Rechtserkenntnisquelle in ständiger Spruchpraxis mit herangezogen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 27.06.2006 - C-540/03, NJW 2006, 3266 - Parlament vs. Rat; EuGH, Urt. v. 03.09.2008 - C-402/05, NJW 2008, 3697 - Kadi u.a.; EuGH, Urt. v. 16.12.2008 - C-47/07, - Masdar; EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07, NVwZ 2009, 705 - Elgafaji; EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, N.S., juris; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432/05, NJW 2007, 3555 - Angelidaki u.a. sowie EuGH, Urt. v. 20.09.2007 - C-116/06, EuZW 2007, 741 - Kiiski, jeweils zur Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte vom 09.12.1989). Durch die entsprechende Berücksichtigung der Charta der Grundrechte sowohl in unionsrechtlichen Verordnungen und Richtlinien als auch in der Spruchpraxis des EuGH ist auch Art. 18 der Charta der Grundrechte elementarer und zwingend zu berücksichtigender Bestandteil der Rechtsordnung der Europäischen Union.
40 
Unter Berücksichtigung der genannten Richtlinien des Rates, denen das Ziel gemeinsam ist, das in ihnen vergegenständlichte materielle und formelle Asylrecht in ein gemeinsames europäisches Asylrecht der Mitgliedstaaten zu transformieren, ist davon auszugehen, dass die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 mit ihren Bestimmungen, welcher Mitgliedstaat zuständig für ein Asylbegehren ist, im Lichte dieser europäischen Rechtsakte für ein gemeinsames Asylrecht auszulegen ist, und zwar - soweit die Umsetzungsfrist abgelaufen ist - unabhängig von dem Stand ihrer Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Es ist festzustellen, dass die Zuständigkeitsregelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 das Bestehen eines gemeinsamen europäischen Asylrechts voraussetzen, wie sie ihren Ausdruck in den oben genannten Richtlinien gefunden haben (so auch VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.)
41 
Insofern ist es für einen Asylsuchenden grundsätzlich zumutbar, in Ausführung dieser Regeln auf einen anderen Mitgliedstaat verwiesen zu werden, da seine materiellen Rechte kraft dieser Richtlinien in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten sind. Soweit allerdings das mit den oben genannten Richtlinien statuierte materielle oder formelle Asylrecht in einem Mitgliedstaat in nicht genügender Weise transformiert worden ist oder aus anderen Gründen nicht zur Anwendung gelangt, dispensieren die Zuständigkeitsregeln der Verordnung den Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wird, nicht von seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nach der GFK, den Asylantrag zu prüfen. Insoweit ist der Selbsteintritt in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zumindest auch als Instrument zur Gewährleistung des subjektiven Rechts eines Antragstellers auf Prüfung seines Asylantrages auszulegen, und zwar zu dem Zweck, ein richtlinienkonformes Asylverfahren zu gewährleisten, wenn zu erwarten ist, dass ihm ein solches Verfahren in dem Mitgliedstaat der Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht zugänglich ist.
42 
Dann ist auch ein Sonderfall gegeben, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49; Beschl. v. 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann ein Sonderfall etwa dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit dem Beitritt zur GFK und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solch erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 -, M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413). Schließlich ist auch nach Auffassung des EuGH (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) trotz der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der GFK und der EMRK steht, die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechtecharta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
43 
Nach den dem Gericht vorliegenden und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Informationen, wie sie auch den ebenfalls eingeführten Entscheidungen des VG Magdeburg (Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -) und des VG Freiburg (Beschl. v. 17.02.2012 - A 2 K 286/12 - unter Hinweis auf Beschl. v. 02.02.2012, a.a.O.) zugrundelagen, ist in Bezug auf das italienische Asylverfahren von Folgendem auszugehen:
44 
Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-VO dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig. Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im Wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-VO auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
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Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im Wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italien-bericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id= 428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat. org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben. All dies wird nochmals von Bender in „Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist“ (Asylmagazin 1-2/12, S. 11) auf den aktuellen Stand gebracht und vollumfänglich bestätigt.
46 
Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die meisten der zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im Wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d 6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/ it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
47 
Schließlich hat auch der Kläger selbst die miserable Versorgung mit dem Allernotnotwendigsten eindrücklich geschildert, insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass er, wäre er länger in Italien geblieben, hätte betteln müssen, um nicht zu verhungern.
48 
Den zitierten Berichten hat die Beklagte nichts Substantiiertes entgegengesetzt und in ihrer Begründung, wie sie zu der Abschiebungsanordnung nach Italien gekommen ist, vorrangig die Erkenntnisquellen verwertet, die vor dem Frühjahr 2011 erhoben wurden. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung des Gerichts nicht; auch das BVerfG hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschl. v. 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Beklagten darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt beruft sich in erster Linie, wie auch die Beklagte im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
49 
Nach alledem ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) dafür vorliegen, dass der Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt.
50 
Diese schwerwiegenden Beeinträchtigungen führen zu der rechtlichen Schlussfolgerung dass dem Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Beklagte nur dadurch genügt werden kann, vorliegend die Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO wegen einer Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen.
51 
Der streitgegenständliche Bescheid vom 10.11.2011 ist daher aufzuheben.
52 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Gründe

 
25 
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß bewirkten Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
26 
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
27 
Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -, juris; VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u.a. -, InfAuslR 2009, 406; v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A.; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27 a Rdnr. 18; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/09.WI.A -; wohl auch VG Sigmaringen, Urt. v. 26.10.2009 - A 1 K 1757/09 -). Im Falle der Aufhebung einer solchen Entscheidung ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens eröffnet. Vergleichbar den Fällen einer Einstellung des Asylverfahrens nach § 32 AsylVfG sowie der gerichtlichen Entscheidung bei einer fiktiven Antragsrücknahme nach § 33 AsylVfG ist im Anschluss an die hierzu ergangene einschlägige Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94, NVwZ 1996, S. 80; Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m.w.N.) auch bei einer Entscheidung nach § 27 a AsylVfG die Verpflichtungsklage mit dem Ziel einer Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht als vorrangig anzusehen. Im Falle des Durchentscheidens des Verwaltungsgerichts durch Verpflichtungsurteil würde dem Kläger nämlich eine Tatsacheninstanz, und zwar die auf inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt, genommen.
28 
Statthafte Klageart gegen die in dem Bescheid vom 10.11.2011 enthaltenen Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG ist gleichfalls die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 34 a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a.a.O., § 34 a Rdnr. 64;).
29 
Dem Kläger steht für seine Klage auch das zwingend erforderliche Rechtsschutzinteresse zu, da er weiterhin nach Italien rücküberstellt werden könnte, nachdem Italien am 18.11.2011 der Rückübernahme des Klägers zugestimmt hat. Zudem läuft die Sechs-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 4 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - im Folgenden: Dublin II-VO -, wonach die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens auf den Mitgliedstaat übergeht, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, sofern die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten ab der Stattgabe des Aufnahmegesuchs im Sinne des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO durchgeführt wird (vgl. auch Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO), erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urt. v. 29.01.2009 - C-19/08, NVwZ 2009, 639 - Petrosian). Der Fristenlauf beginnt somit erst ab Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides der Beklagten vom 10.11.2011.
30 
Die Klage ist auch begründet.
31 
Der Bescheid des Bundesamtes vom 10.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Unrecht den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet. Vielmehr hätte das Bundesamt im Falle des Klägers von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen müssen.
32 
Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der das Selbsteintrittsrecht wahrnehmende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Satz 2). Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (Satz 3).
33 
Der Kläger kann sich auch auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO berufen. Diese Bestimmung ist - anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 25) - nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Vergünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung besitzen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 [24]= NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04.12.1974 - Rs. C-41/74, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53 [71]= NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 124 m.w.N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der EuGH in seinem zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ergangenen Urteil vom 29.01.2009 (C-19/08, NVwZ 2009, S. 639 Rdnr. 38, 48 zu Fragen des Rechtsschutzes - Petrosian) aus. Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO lediglich ein - gegebenenfalls aber auf Null reduziertes - Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08.30122 -; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 134 f. und 223 m.w.N.; Marx, a.a.O., § 27 a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u.a und des Belgischen Conseil d'Etat/Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
34 
Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vor.
35 
Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann abweichend davon jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Kläger fällt als Drittstaatsangehöriger im Sinne des Art. 2 lit. a) Dublin II-VO, der einen Asylantrag gemäß Art. 2 lit. c) Dublin II-VO gestellt hat, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Es steht fest, dass eine Zuständigkeit der Beklagten nach den Kriterien in Kapitel III dieser Verordnung, die sich auf Zugehörigkeit zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen kraft Ehe, eheähnlicher Gemeinschaft oder Sorgeberechtigten im Falle der Minderjährigkeit, sofern diese Minderjährigen ledig und unterhaltsberechtigt sind, nicht gegeben ist. Gleichermaßen verhält es sich mit der humanitären Klausel des Art. 15 Dublin II-VO, für deren Anwendung der vorliegende Sachverhalt keine Anhaltspunkte bietet.
36 
Daher kann der Kläger sich allein auf ein Recht auf Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO als für ihn günstige Norm berufen, um als Ausnahme von den Zuständigkeitsregeln der Verordnung die Prüfung seines Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen.
37 
Aus dem Wortlaut dieser Norm ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck allerdings nicht in der Norm selbst seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 220; Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der Fassung des Amsterdamer Vertrags vom 02.10.1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt.
38 
Nach Art. 63 Satz 1 Nr. 1 a) EG beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erlassen. Nach deren Erwägungsgrund Nr. 4 soll die Verordnung insbesondere die rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ermöglichen, „um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.“ In dem Erwägungsgrund Nr. 5 der Verordnung wird deren Ziel dahingehend bestimmt, dass diese - erstens - im Zusammenhang mit der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylrechts stehe und dass - zweitens - das bis dahin geltende Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15.06.1990 (Dubliner Übereinkommen) die Durchführung der europäischen Asylrechtsharmonisierung gefördert habe und deswegen mit bestimmten Änderungen fortzuentwickeln sei. Weiterhin wird im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 der Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
39 
Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet (ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1): „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.“ Diese Vorschrift ist wie die Charta insgesamt kein unmittelbar geltendes und verbindliches Gemeinschaftsrecht, sondern formell lediglich „soft law“ (vgl. nur Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Erwägungsgründe K 29; Korte, in: Berg/Kampfer [Hrsg.], Verfassung für Europa, 2004, S. 65 [70]). In Art. 6 Abs. 1 des EU- Vertrags wird ausdrücklich auf die Charta der Grundrechte Bezug genommen und diese für den Fall des Inkrafttretens des Vertrags in europäischen Verfassungsrang erhoben. Unabhängig davon hat die Charta der Grundrechte nicht nur in die Verordnung (EG) Nr. 343/2003, sondern in eine Vielzahl von Rechtsakten der Europäischen Union Eingang gefunden (vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 5 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27.01.2003, ABl. L 31 S. 18; Erwägungsgrund Nr. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004, ABl. L 304 S. 12 - so genannte Qualifikationsrichtlinie; Erwägungsgrund Nr. 8 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft vom 01.12.2005, ABl. L 326 S. 13 Erwägungsgrund Nr. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22.09.2003, ABL. L 251 S. 12) und wird vom EuGH als Rechtserkenntnisquelle in ständiger Spruchpraxis mit herangezogen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 27.06.2006 - C-540/03, NJW 2006, 3266 - Parlament vs. Rat; EuGH, Urt. v. 03.09.2008 - C-402/05, NJW 2008, 3697 - Kadi u.a.; EuGH, Urt. v. 16.12.2008 - C-47/07, - Masdar; EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07, NVwZ 2009, 705 - Elgafaji; EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, N.S., juris; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432/05, NJW 2007, 3555 - Angelidaki u.a. sowie EuGH, Urt. v. 20.09.2007 - C-116/06, EuZW 2007, 741 - Kiiski, jeweils zur Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte vom 09.12.1989). Durch die entsprechende Berücksichtigung der Charta der Grundrechte sowohl in unionsrechtlichen Verordnungen und Richtlinien als auch in der Spruchpraxis des EuGH ist auch Art. 18 der Charta der Grundrechte elementarer und zwingend zu berücksichtigender Bestandteil der Rechtsordnung der Europäischen Union.
40 
Unter Berücksichtigung der genannten Richtlinien des Rates, denen das Ziel gemeinsam ist, das in ihnen vergegenständlichte materielle und formelle Asylrecht in ein gemeinsames europäisches Asylrecht der Mitgliedstaaten zu transformieren, ist davon auszugehen, dass die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 mit ihren Bestimmungen, welcher Mitgliedstaat zuständig für ein Asylbegehren ist, im Lichte dieser europäischen Rechtsakte für ein gemeinsames Asylrecht auszulegen ist, und zwar - soweit die Umsetzungsfrist abgelaufen ist - unabhängig von dem Stand ihrer Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Es ist festzustellen, dass die Zuständigkeitsregelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 das Bestehen eines gemeinsamen europäischen Asylrechts voraussetzen, wie sie ihren Ausdruck in den oben genannten Richtlinien gefunden haben (so auch VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.)
41 
Insofern ist es für einen Asylsuchenden grundsätzlich zumutbar, in Ausführung dieser Regeln auf einen anderen Mitgliedstaat verwiesen zu werden, da seine materiellen Rechte kraft dieser Richtlinien in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten sind. Soweit allerdings das mit den oben genannten Richtlinien statuierte materielle oder formelle Asylrecht in einem Mitgliedstaat in nicht genügender Weise transformiert worden ist oder aus anderen Gründen nicht zur Anwendung gelangt, dispensieren die Zuständigkeitsregeln der Verordnung den Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wird, nicht von seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nach der GFK, den Asylantrag zu prüfen. Insoweit ist der Selbsteintritt in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zumindest auch als Instrument zur Gewährleistung des subjektiven Rechts eines Antragstellers auf Prüfung seines Asylantrages auszulegen, und zwar zu dem Zweck, ein richtlinienkonformes Asylverfahren zu gewährleisten, wenn zu erwarten ist, dass ihm ein solches Verfahren in dem Mitgliedstaat der Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht zugänglich ist.
42 
Dann ist auch ein Sonderfall gegeben, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49; Beschl. v. 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann ein Sonderfall etwa dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit dem Beitritt zur GFK und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solch erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 -, M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413). Schließlich ist auch nach Auffassung des EuGH (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) trotz der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der GFK und der EMRK steht, die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechtecharta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
43 
Nach den dem Gericht vorliegenden und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Informationen, wie sie auch den ebenfalls eingeführten Entscheidungen des VG Magdeburg (Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -) und des VG Freiburg (Beschl. v. 17.02.2012 - A 2 K 286/12 - unter Hinweis auf Beschl. v. 02.02.2012, a.a.O.) zugrundelagen, ist in Bezug auf das italienische Asylverfahren von Folgendem auszugehen:
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Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-VO dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig. Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im Wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-VO auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
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Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im Wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italien-bericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id= 428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat. org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben. All dies wird nochmals von Bender in „Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist“ (Asylmagazin 1-2/12, S. 11) auf den aktuellen Stand gebracht und vollumfänglich bestätigt.
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Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die meisten der zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im Wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d 6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/ it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
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Schließlich hat auch der Kläger selbst die miserable Versorgung mit dem Allernotnotwendigsten eindrücklich geschildert, insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass er, wäre er länger in Italien geblieben, hätte betteln müssen, um nicht zu verhungern.
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Den zitierten Berichten hat die Beklagte nichts Substantiiertes entgegengesetzt und in ihrer Begründung, wie sie zu der Abschiebungsanordnung nach Italien gekommen ist, vorrangig die Erkenntnisquellen verwertet, die vor dem Frühjahr 2011 erhoben wurden. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung des Gerichts nicht; auch das BVerfG hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschl. v. 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Beklagten darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt beruft sich in erster Linie, wie auch die Beklagte im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
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Nach alledem ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) dafür vorliegen, dass der Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt.
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Diese schwerwiegenden Beeinträchtigungen führen zu der rechtlichen Schlussfolgerung dass dem Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Beklagte nur dadurch genügt werden kann, vorliegend die Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO wegen einer Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen.
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Der streitgegenständliche Bescheid vom 10.11.2011 ist daher aufzuheben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.