Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 11. Mai 2011 - 8 S 93/11

bei uns veröffentlicht am11.05.2011

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2010 - 13 K 4360/10 - geändert. Der Antrag wird abgelehnt

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Grundstücks, das im Geltungsbereich der Ortsbausatzung der Antragsgegnerin vom 25.06.1935 (Baustaffel 8) sowie einer Erhaltungssatzung für Gebiete der Städtebaulichen Gesamtanlagen vom 16.06.1988 liegt. Es ist mit einer 2½ geschossigen “Stadtvilla“ bebaut, deren Errichtung eine Baugenehmigung vom 04.08.1908 mit Nachtragsbaugenehmigung vom 22.01.1909 zugrunde liegt. In den damals genehmigten Bauzeichnungen reicht das Erdgeschoss an der Rückseite des Gebäudes teilweise über das Obergeschoss hinaus (Anbau); daneben sind eine überdachte Veranda und eine Terrasse eingezeichnet. Am 02.11.1992 erteilte die Antragsgegnerin unter Befreiung von Vorschriften der Ortsbausatzung über Flächenausnützung, Gebäudetiefe und Nutzungsart eine Baugenehmigung zur Nutzung und zum Umbau als städtisches Chemisches Institut einschließlich einer Erweiterung des Anbaus auf den Flächen der ehemals genehmigten Veranda und Terrasse. Am 03.07.2001 erteilte sie ihre Zustimmung und eine Genehmigung nach der Erhaltungssatzung zur Erweiterung und zum Umbau des Gebäudes im ersten Obergeschoss, insbesondere durch Aufstockung des Anbaus mit einem verglasten “Pausenraum“ nebst Balkon.
Der Antragsteller hat das Grundstück 2008 von der Antragsgegnerin erworben und möchte das Gebäude als Rechtsanwaltskanzlei nutzen. Auf seinen Bauantrag vom 25.02.2009 erteilt die Antragsgegnerin ihm am 21.07.2009 unter Abweichung von § 5 Abs. 1 LBO sowie Befreiung von Vorschriften der Ortsbausatzung über Flächenausnützung, Gebäudetiefe und -höhe und Summe der Seitenabstände sowie unter verschiedenen Auflagen und Bedingungen für den Baubeginn eine Baugenehmigung sowie eine Genehmigung nach der Erhaltungssatzung für Umbau und Nutzungsänderung in ein Wohn-/Bürogebäude mit zehn Kfz-Stellplätzen. Im genehmigten Grundriss des Erdgeschosses sind eine Innenwand und die drei Außenwände des Anbaus, soweit sie nicht durch Fenster und Türen unterbrochen werden, grau und rot dargestellt. In den Grundrissen für das Ober- und Dachgeschoss sind im Anbau ein vergrößerter “Pausenraum“ nebst Balkon und darüber ein weiterer Balkon vorgesehen. Durch Wegfall von Dachschrägen soll der Anbau außerdem erhöht werden. Nachdem der von der Antragsgegnerin mit der bautechnischen Prüfung beauftragte Ingenieur am 11.03.2010 u.a. bestätigt hatte, dass die vom Bauherrn vorgelegte Ausführungsplanung der Baugenehmigung entspreche, erteilte die Antragsgegnerin am 12.03.2010 den Baufreigabeschein.
In einem Aktenvermerk über eine Ortsbesichtigung am 13.04.2010 stellte die Antragsgegnerin fest, der Anbau sei komplett abgerissen und teilweise seien neue Außenwände errichtet worden. Mit Bescheid vom selben Tag verfügte sie daraufhin gegenüber dem Antragsteller die Einstellung der Bauarbeiten im Bereich des Anbaus auf der Ostseite des Gebäudes. Ferner drohte sie dem Antragsteller für den Fall der Fortsetzung der Bauarbeiten die Versiegelung der Baustelle an und gab ihm auf, die zur Beurteilung des begonnenen Vorhabens notwendigen Bauvorlagen vorzulegen. Der Abbruch des Anbaus weiche von der Baugenehmigung ab. Die Abweichung sei nicht nach § 50 LBO verfahrensfrei und verstoße nach vorläufiger Prüfung gegen Vorschriften der Ortsbausatzung über Flächenausnützung, Gebäudetiefe sowie Summe der Seitenabstände und gegen § 5 LBO. Mit seinem Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist, macht der Antragsteller unter Hinweis auf Schreiben seines Architekten vom 28.04. und 23.06.2010 sowie eine gutachtliche Stellungnahme eines anderen Architekten vom 16.09.2010 geltend, der Anbau sei nicht vollständig abgebrochen worden. Sein Unterbau mit Fundament, Bodenplatte und Sockelmauerwerk sei weiterhin vorhanden und lediglich saniert worden. Nur aufsteigende Außenwände seien erneuert worden, weil sie infolge Durchfeuchtung und Alterung ihrer Bauteile keine ausreichende Tragfähigkeit für die genehmigte Aufstockung des Anbaus hätten. Die Erneuerung der Außenwände sei in den Plänen dargestellt, die dem Prüfingenieur vorgelegen hätten.
Auf Antrag des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07.12.2010 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet. Der Antrag sei zulässig und begründet. Es bestünden erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Baueinstellung. Zwar sei der Antragsteller von der erteilten Baugenehmigung insoweit abgewichen, als die in den Planunterlagen als Bestand eingetragenen Wände des Anbaus mit der Decke abgebrochen und die Wände fast vollständig neu errichtet worden seien. Diese Abweichung sei bei summarischer Prüfung aber verfahrensfrei, weil es sich um Instandhaltungsarbeiten i. S. des § 50 Abs. 4 LBO handele. Damit entfalle auch die Grundlage für die Androhung der Versiegelung der Baustelle.
Mit ihrer Beschwerde beantragt die Antragsgegnerin,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 09.12.2010 - 13 K 4360/10 - zu ändern und den Antrag abzulehnen.
Abbruch und Erneuerung der Außenwände seien nicht verfahrensfrei, insbesondere keine Instandhaltungsarbeiten i. S. des § 50 Abs. 4 LBO. Dagegen spreche schon, dass mit dem Abbruch des Anbaus der Bestandsschutz dieses selbständigen Gebäudeteils entfallen sei.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
10 
Er verteidigt den angefochtenen Beschluss. Der Anbau könne nicht isoliert betrachtet werden, da er in den Umbau des Gesamtgebäudes einbezogen sei und für sich allein baulich nicht bestehen könnte.
11 
Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Akten der Antragsgegnerin und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
12 
A. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146, 147 VwGO) und begründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe zwingen zur Änderung des angegriffenen Beschlusses und zur Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung, soweit sie Gegenstand des Eilverfahrens ist (1.), das entgegenstehende Aufschubinteresse des Antragstellers, weil diese Verfügung insoweit mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist (2.).
13 
1. Die Verfügung vom 13.04.2010 ist bei sachdienlicher Auslegung des Antragsbegehrens (§ 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO) nur insoweit Gegenstand des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO, als sie die Einstellung der Bauarbeiten anordnet und für den Fall der Fortsetzung dieser Arbeiten die Versiegelung der Baustelle androht. Denn nur insoweit entfällt kraft Gesetzes nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 3 LBO, § 12 LVwVG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs. In Bezug auf die - nicht schon kraft Gesetzes vollziehbare - weitere Anordnung, die zur Beurteilung des begonnenen Vorhabens notwendigen Bauvorlagen vorzulegen, ist die sofortige Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) nicht angeordnet. Der Antragsteller hat insoweit auch keinen faktischen Vollzug geltend gemacht.
14 
2. Die Einstellung der Bauarbeiten (a)) und die Androhung der Versiegelung (b)) sind mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig.
15 
a) Nach § 64 Abs. 1 Satz 1 LBO kann die Baurechtsbehörde die Einstellung von Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder abgebrochen werden. Dies gilt nach § 64 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 a) LBO insbesondere, wenn bei der Ausführung eines Vorhabens von der erteilten Baugenehmigung abgewichen wird, es sei denn die Abweichung ist nach § 50 verfahrensfrei. In diesem Fall sichert die Baueinstellung die strikte Durchsetzung der formellen Genehmigungspflicht nach § 49 LBO und die damit bezweckte Ordnungsfunktion des Genehmigungsverfahrens. Zugleich beugt sie der Schaffung vollendeter Tatsachen vor. Anlass für ihre Anordnung kann mithin der bloße Verstoß gegen die formelle Genehmigungspflicht sein, ohne dass die Baurechtsbehörde verpflichtet ist, auch die materielle Rechtmäßigkeit des Bauens zu prüfen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.07.1970 - II 274/67 - BRS 23 Nr. 203; Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg, 3. Auflage, § 64 Rn. 1 m.w.N.). Ausreichend ist ein durch Tatsachen belegter "Anfangsverdacht". Es genügt, dass objektiv konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass ein mit der Rechtsordnung unvereinbarer Zustand geschaffen wird. Die Errichtung einer formell baurechtswidrigen (ungenehmigten) Anlage darf demgemäß vorbeugend gestoppt werden, wenn ihre Genehmigungsbedürftigkeit jedenfalls ernstlich zweifelhaft ist (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.12.1993 - 3 S 507/93 - VBlBW 1994, 196; vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 20.09.1988 - 8 S 2171/88 - juris und vom 28.06.2010 - 8 S 708/10 - ESVGH 61, 34 ). Die Anordnung der Baueinstellung steht im Entschließungs- und Auswahlermessen der Baurechtsbehörde, das sie pflichtgemäß (§ 40 LVwVfG) auszuüben hat.
16 
aa) Die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 64 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 a) LBO sind erfüllt. Der Antragsteller ist bei der Ausführung seines Vorhabens von der am 21.07.2009 erteilten Baugenehmigung abgewichen und diese abweichende Bauausführung ist nicht nach § 50 LBO verfahrensfrei.
17 
aaa) Die Abweichung liegt darin, dass der Antragsteller eine Innenwand, die drei Außenwände und die Decke des Anbaus abgebrochen und damit begonnen hat, neue Wände zu errichten. Diese Baumaßnahmen sind weder Gegenstand des Bauantrags vom 25.02.2009 noch der Baugenehmigung vom 21.07.2009. Im genehmigten Grundriss des Erdgeschosses vom 18.02.2009 sind eine Innenwand und die drei Außenwände des Anbaus, soweit sie nicht durch Fenster und Türen unterbrochen werden, grau und rot dargestellt, also als vorhandene (bleibende) Bauteile sowie als neues Mauerwerk (§ 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 3 LBOVVO in der bei Einreichung und Genehmigung des Bauantrags noch geltenden a.F.). Lediglich das durch Vergrößerung alter oder Einbau neuer Fenster wegfallende Mauerwerk der alten Außenwände und eine weitere Innenwand (zwischen “Spülküche“ und “Chemielager“ des ehemaligen Chemischen Instituts) sind als zu beseitigende Bauteile gelb dargestellt (§ 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 LBOVVO). Der Einwand des Antragstellers, die Erneuerung der Außenwände sei in den Konstruktionsplänen dargestellt, die nach Erteilung der Baugenehmigung zur Erteilung des Baufreigabescheins eingereicht worden seien und dem Prüfingenieur vorgelegen hätten, greift schon deshalb nicht durch, weil für diese abweichende Ausführung des Bauvorhabens keine (Nachtrags-/Änderungs-) Baugenehmigung erteilt worden ist. Eine solche Genehmigung liegt insbesondere nicht in der Erteilung des Baufreigabescheins (§ 59 Abs. 1 LBO). Denn damit wird lediglich festgestellt, dass die in der Baugenehmigung für den Baubeginn enthaltenen Auflagen und Bedingungen erfüllt sind (§ 59 Abs. 1 Satz 2 LBO), und die Ausführung des Bauvorhabens - durch Aufhebung des mit der Genehmigungspflicht verbundenen präventiven Bauverbots - nur im Umfang der zuvor erteilten Baugenehmigung freigegeben. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin den Baufreigabeschein erteilt, nachdem der beauftragte Prüfingenieur am 11.03.2010 u.a. bestätigt hatte, dass die Ausführungsplanung der Baugenehmigung entspricht. Ob diese Bestätigung unzutreffend war - darauf könnte evtl. die Telefonnotiz über ein Gespräch mit dem Büro des Prüfingenieurs (Bauakte, Blatt 56) hindeuten, in der es heißt “In Schalplan sind neue Wände eingetragen als KSV-Wände“ - kann deshalb offen bleiben.
18 
bbb) Die abweichende Bauausführung ist, wie die Beschwerdebegründung im Ansatz zutreffend einwendet, nicht nach § 50 LBO verfahrensfrei, insbesondere nicht als Instandhaltungsarbeiten i. S. des § 50 Abs. 4 LBO.
19 
(1) Fraglich erscheint bereits, ob die mit der abweichenden Bauausführung verbundenen Baumaßnahmen überhaupt als Instandhaltungsarbeiten i.S. des § 50 Abs. 4 LBO angesehen werden können, wie der Antragsteller und ihm folgend das Verwaltungsgericht annehmen.
20 
Der mit der LBO-Novelle 1995 in Anlehnung an die Musterbauordnung, die Bauproduktenrichtlinie sowie § 5 BauPG übernommene Begriff “Instandhalten“ (§ 2 Abs. 12 Nr. 1 LBO) umfasst die bis dahin in der Landesbauordnung verwendeten Begriffe Instandsetzung und Unterhaltung (LT-Drucks. 11/5337 S. 78). Dies sind bauliche Maßnahmen zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs einer Anlage oder ihrer baulichen Substanz, um die durch Abnutzung, Alterung oder Witterungseinflüsse entstandenen baulichen und sonstigen Mängel ordnungsgemäß zu beseitigen, ohne die Identität der Anlage einschließlich ihres Nutzungszwecks zu ändern (Senatsurteil vom 27.01.1987 - 8 S 3427/86 - juris sowie VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.12.1983 - 3 S 2040/83 - juris; Sauter, a.a.O. § 2 Rn. 130 sowie § 50 Rn. 227; vgl. auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 15.01.2009 - 3 L 124/08 - NordÖR 2009, 134 und 179). Daran fehlt es, wenn die Baumaßnahmen ihrer Qualität nach so intensiv sind, dass sie die Standfestigkeit der Anlage berühren, so dass eine statische Nachberechnung der gesamten Anlage erforderlich wird, oder wenn der Arbeitsaufwand seiner Quantität nach den für eine neue Anlage erreicht oder gar übersteigt. Dabei kann auch das teilweise Auswechseln tragender Gebäudeteile im Einzelfall eine Instandsetzungs- oder Unterhaltungsmaßnahme sein, etwa wenn beschädigte Mauerteile eines Gebäudes nur zu einem Viertel bis einem Drittel der alten Bausubstanz erneuert werden (Senatsurteil vom 27.01.1987, a.a.O.). Instandhaltungsarbeiten sind zudem von der “Errichtung“ und dem “Ändern“ (§ 2 Abs. 12 Nr. 1 LBO) einer baulichen Anlage abzugrenzen, also insbesondere vom Wiederaufbau nach Zerstörung sowie von An- und Umbauten oder Abweichungen im äußeren Erscheinungsbild (vgl. Sauter, a.a.O. § 2 Rn. 126, 128).
21 
Gemessen daran erscheint zweifelhaft, ob Abriss und Wiederaufbau der aufsteigenden Wände des Anbaus sowie von dessen Decke noch als Instandhaltungsarbeiten angesehen werden können. Zwar mag es sein, dass das Mauerwerk der Wände wegen Durchfeuchtung und Alterung zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs des Anbaus und seiner baulichen Substanz erneuerungsbedürftig war, wie dies in den Stellungnahmen des Architekten des Antragstellers beschrieben wird. Auch könnte sich der Umfang des erneuerten Mauerwerks möglicherweise noch in dem vom Senat im Urteil vom 27.01.1987 (a.a.O.) bezeichneten Rahmen von einem Viertel bis zu einem Drittel alter Bausubstanz halten. Bezugsanlage dürfte insoweit nicht nur - wie die Antragsgegnerin meint - der Anbau, sondern das Hauptgebäude zusammen mit dem Anbau sein, da die Räume des Anbaus nach den in der Vergangenheit erteilten Baugenehmigungen funktional in das Hauptgebäude integriert waren, der Anbau also gerade kein selbständiges Gebäude (§ 2 Abs. 2 LBO) war (vgl. Sauter, a.a.O. § 2 Rn. 37). Zudem hat die Antragsgegnerin eingeräumt, dass die Erneuerung der Außenwände des Anbaus keine statische Neuberechnung des Gesamtgebäudes erfordert. Gleichwohl dürfte die Identität des Gesamtgebäudes nicht mehr gewahrt sein. Zum einen führt der vollständige Abriss und Wiederaufbau der aufsteigenden Außenwände des Anbaus zu Abweichungen im äußeren Erscheinungsbild. Zum anderen spricht gegen eine bloße Instandhaltung der in den Stellungnahmen des Architekten des Antragstellers angedeutete Umstand, dass die Erneuerung der Außenwände gerade auch durch die genehmigten Änderungen und Umbauten im Ober- und Dachgeschoss und die damit einhergehende, jedoch offenbar erst nachträglich erkannte Notwendigkeit bedingt ist, die Tragfähigkeit der Außenwände des Anbaus im Erdgeschoss zu erhöhen. Denn damit bezweckt die Erneuerung der Außenwände qualitativ wohl mehr als nur den Erhalt der baulichen Substanz des Anbaus in seiner bisherigen Bestimmung.
22 
(2) Aber selbst wenn es sich um Instandhaltungsarbeiten i. S. des § 50 Abs. 4 LBO handeln sollte, wären sie hier jedenfalls deshalb nicht i. S. des § 64 Abs. 1 Nr. 3 a) LBO “nach § 50 verfahrensfrei“, weil sie als unselbständiger Teil einer gleichzeitig ausgeführten genehmigungspflichtigen Änderung des gesamten Gebäudes und nicht als selbständiges Vorhaben ausgeführt werden sollen, das auch noch nach Fertigstellung des genehmigten Bauvorhabens jederzeit verfahrensfrei vorgenommen werden könnte (vgl. Sauter, a.a.O: § 64 Rn. 12).
23 
Die Genehmigungsplicht eines Vorhabens nach § 49 Abs. 1 LBO erstreckt sich auch auf verfahrensfreie Anlagen oder Einrichtungen, soweit sie unselbständige Teile dieses Vorhabens sind. Denn handelt es sich tatsächlich um ein einheitliches Vorhaben, dann ist auch in rechtlicher Hinsicht nur eine einheitliche Behandlung und Entscheidung möglich (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 24.09.1979 - III 1553/79 - juris; Sauter, a.a.O. § 49 Rn. 21). Dementsprechend erfasst die Verfahrensfreiheit nach § 50 Abs. 1 LBO nur selbständige Einzelvorhaben (Sauter, a.a.O. § 50 Rn. 4 m.w.N.). Für Instandhaltungsarbeiten i. S. des § 50 Abs. 4 LBO kann grundsätzlich nichts Anderes gelten, da auch insoweit nur eine einheitliche Behandlung und Entscheidung möglich ist. Sie sind deshalb ebenfalls genehmigungspflichtig, wenn sie unselbständiger Teil eines einheitlichen genehmigungspflichtigen Gesamtvorhabens sind (so auch schon Senatsurteil vom 27.01.1987, a.a.O.). Zwar ist es an sich Sache des Bauherrn, durch seinen Bauantrag festzulegen, was das Vorhaben und damit der zu beurteilende Verfahrensgegenstand sein soll (vgl. § 29 baugb> BVerwG, Urteil vom 04.07.1980 - 4 C 99.77 - DÖV 1980, 921; im Anschluss daran auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29.06.2007 - 3 L 368/04 - NordÖR 2007, 458). Unter diesem Blickwinkel könnte man die Äußerungen des Antragstellers im Widerspruchs- und Eilverfahren möglicherweise so verstehen, dass er Abriss und Wiederaufbau der aufsteigenden Wände des Anbaus sowie von dessen Decke als gesondertes eigenständiges Vorhaben abtrennen möchte. Eine derartige subjektive Trennung ist materiell-rechtlich jedoch nur erheblich, wenn ihr objektive Gegebenheiten nicht entgegenstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.1980, a. a. O.). Mit anderen Worten, was nach objektiven Kriterien baulich und funktional zusammengehört, kann nicht willkürlich auf Grund einer Willensentscheidung des Bauantragstellers in Einzelteile zerlegt werden (Senatsurteil vom 25.11.2009 - 8 S 2038/08 -; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.07.1998 - 3 S 1935/98 - juris). So liegt es hier. Abriss und Wiederaufbau der aufsteigenden Wände des Anbaus sowie von dessen Decke sind objektiv sowohl baulich als auch funktional Teil der genehmigungspflichtigen (Nutzungs-)Änderung des gesamten Gebäudes, insbesondere der beabsichtigten Aufstockung des Anbaus. Sie sollen und können nicht unabhängig von der Fertigstellung des genehmigten Gesamtvorhabens ausgeführt werden.
24 
Die Frage, ob die abweichend von der Baugenehmigung ausgeführten und noch auszuführenden Baumaßnahmen aus Gründen des Bestandsschutzes als Reparatur-, Instandhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.03.1981 - 4 B 195.80 - NVwZ 1982, 38 m.w.N.; siehe auch BVerwG, Urteil vom 17.01.1986 - 4 C 80.82 - BVerwGE 72, 362 <363> m.w.N.) rechtmäßig sind, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn sie ist eine solche des materiellen und nicht auch des formellen (Bau-)Rechts. Insbesondere gebietet Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht, solche noch vom Bestandsschutz umfassten Baumaßnahmen von vornherein verfahrensfrei zu stellen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.12.1983, a.a.O.).
25 
bb) Die Baueinstellung dürfte auch ermessensfehlerfrei, insbesondere nicht unverhältnismäßig sein. Sie stützt sich tragend auf den Gesichtspunkt der formellen Illegalität sowie die Erwägung, dass die abweichende Bauausführung nach vorläufiger Prüfung zu Verstößen gegen Vorschriften der Ortsbausatzung sowie § 5 LBO führe, so dass die Fortsetzung der Bauarbeiten einen rechtswidrigen Zustand verfestigen und Rechtsschutzmöglichkeiten des Angrenzers verkürzen könnte. Dies alles entspricht dem Zweck von § 64 LBO und erscheint auch sonst sachgerecht. Zwar ist derzeit nicht völlig auszuschließen, dass sich die abweichende Bauausführung bei weiterer Überprüfung doch noch als Reparatur-, Instandhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahme herausstellt, auch wenn dafür aus den oben genannten Gründen derzeit wenig spricht. In diesem Fall könnte sie sich trotz der von der Antragsgegnerin bezeichneten Rechtsverstöße aus Gründen des Bestandsschutzes möglicherweise als genehmigungsfähig erweisen. Zu einer solchen abschließenden Prüfung der materiellen Rechtslage ist die Antragsgegnerin vor Erlass der Baueinstellung aber nicht verpflichtet. Dem ist - ebenso wie der zugleich aufgeworfenen Frage, ob die erteilte Baugenehmigung, soweit sie (nur) Umbau und Aufstockung des alten Anbaus zulässt, durch den Abbruch der aufsteigenden Außenwände und der Decke des Anbaus möglicherweise gegenstandslos geworden ist (vgl. Sauter, a.a.O. § 64 Rn. 13) - im Verfahren zur Erteilung einer (Änderungs-/Nachtrags-) Baugenehmigung nachzugehen.
26 
b) Die Androhung der Versiegelung der Baustelle nach § 64 Abs. 2 LBO als spezialgesetzlich geregelter Fall der Anwendung unmittelbaren Zwangs (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 07.09.1981 - 3 S 1274/81 - juris) findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 2 Nr. 2 LVwVG sowie § 64 Abs. 1 Satz 3 LBO. Rechtliche Bedenken sind insoweit weder geltend gemacht noch ersichtlich.
27 
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG (entsprechend der Wertfestsetzung in erster Instanz).
28 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 11. Mai 2011 - 8 S 93/11

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Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 146


(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltun
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Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

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(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt.

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(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt.

(2) Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Beschwerdegericht eingeht.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. März 2010 - 13 K 45/10 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 01.12.2009 wiederherzustellen und - soweit ein Zwangsmittel angedroht wird - anzuordnen, abgelehnt. Mit diesem Bescheid wird dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs die Nutzung der Räume im Gebäude ... ... in Stuttgart als Sexclub mit Filmvorführungen, Kabinen und Sauna untersagt; für den Fall der Nichtbeachtung dieser Anordnung wird ferner ein Zwangsgeld in Höhe von 50.000,-- EUR angedroht. Die im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben zu einer Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts keinen Anlass.
1. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht zunächst ausgeführt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem Bescheid der Antragsgegnerin den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt, so dass eine auf eine Verletzung dieser Vorschrift gestützte Aufhebung der Anordnung des Sofortvollzugs (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.04.1996 - 1 S 776/96 - VBlBW 1996, 297) nicht in Betracht kommt. Zweck des Begründungserfordernisses in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist es, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts anzuhalten. Außerdem sollen dem Betroffenen die für die Sofortvollzugsanordnung maßgeblichen Gründe zur Kenntnis gebracht werden, die zugleich die Grundlage für eine gerichtliche Kontrolle der Anordnung bilden. Dementsprechend muss aus der Begründung nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt und aus welchen im dringenden öffentlichen Interesse liegenden Gründen sie es für gerechtfertigt oder geboten hält, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs zurückzustellen. Auf die inhaltliche Richtigkeit der von der Behörde für die Anordnung des Sofortvollzugs gegebenen Begründung kommt es für § 80 Abs. 3 VwGO dagegen nicht an (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.12.2005 - 10 S 654/05 - juris m.w.N.).
Den genannten Voraussetzungen entspricht die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, dass wegen des Fehlens von Rettungswegen und des dadurch unzureichenden Brandschutzes eine Gefahr für Leben und Gesundheit der Benutzer des Gebäudes eintreten könne und damit Gefahr in Verzug vorliege. Aus diesen - wenn auch knappen - Ausführungen wird klar, dass die Behörde dem Lebens- und Gesundheitsschutz der Besucher des Gebäudes ... ... in Stuttgart den Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers an der Aufnahme der von ihm beabsichtigten Nutzung einräumen will. Diese einzelfallbezogenen Erwägungen stehen im Einklang mit den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
2. Auch nach Auffassung des Senats ist bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung der wiederstreitenden Interessen dem öffentlichen Vollzugsinteresse der Vorrang einzuräumen. Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 01.12.2009 wird - nach der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung - voraussichtlich keinen Erfolg haben.
a) Zutreffend hat die Antragsgegnerin die Untersagung der Aufnahme der vom Antragsteller beabsichtigten Nutzung auf § 47 Abs. 1 Satz 2 LBO gestützt. Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen, findet der Bescheid insoweit seine Rechtsgrundlage nicht in § 65 Satz 2 LBO. Mit dieser Anordnung wird nicht eine bereits ausgeübte Nutzung für die Zukunft unterbunden, sondern bereits die Aufnahme einer bisher noch nicht ausgeübten Nutzung untersagt. Eine derartige Nutzungsaufnahmeuntersagung findet ihre Rechtsgrundlage nach der Rechtsprechung des beschließenden Gerichtshofs in der allgemeinen Eingriffsermächtigung der Baurechtsbehörde (vgl. Senat, Beschluss vom 20.09.1988 - 8 S 2171/88 - juris [nur LS]; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.06.1996 - 5 S 1211/96 - NVwZ 1997, 601; Sauter, LBO, 3. Aufl. § 65 RdNr. 95 und 102).
b) Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 LBO haben die Baurechtsbehörden unter anderem darauf zu achten, dass die baurechtlichen Vorschriften eingehalten werden; nach Abs. 2 der Vorschrift haben sie zur Wahrnehmung dieser Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich sind. Die Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage sind hier erfüllt. Insbesondere reicht im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Einschreitens der Baurechtsbehörde eine bloße formelle Illegalität der beabsichtigten Nutzung aus. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Art. 14 Abs. 1 GG, denn durch ein Nutzungsaufnahmeverbot, wie es auch hier ausgesprochen worden ist, wird der Betroffene ohne Verlust an Vermögenssubstanz lediglich hinter die formellen Schranken des Baurechts zurückgedrängt und gezwungen, seine Interessen auf dem vorgeschriebenen Weg - Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung - zu verfolgen (vgl. Sauter, a.a.O., § 65 RdNr. 102).
Mit einem Verstoß gegen § 49 LBO ist hier die von § 47 Abs. 1 LBO vorausgesetzte Nichteinhaltung einer baurechtlichen Vorschrift gegeben. Weder für die beabsichtigte Nutzung als Sexclub mit Filmvorführungen, Kabinen und Sauna noch für die vorangegangene Nutzung durch den Saunaclub ... lag zu irgendeinem Zeitpunkt eine Genehmigung im Sinne des § 49 LBO vor, obwohl die genannten Nutzungen - was auch der Antragsteller nicht in Zweifel zieht - einer solchen Genehmigung bedurft hätten.
c) Auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur materiellen Baurechtmäßigkeit der beabsichtigten Nutzung und die von dem Antragsteller hieran geübte Kritik kommt es damit für die hier zu treffende Entscheidung nicht an. Im Übrigen verstoßen auch aus der Sicht des Antragstellers sowohl die von ihm beabsichtigte Nutzung als auch die frühere Nutzung durch den Saunaclub ... gegen die Festsetzungen zweier Bebauungspläne. Die von den Beteiligten unterschiedlich beantwortete Frage, ob die frühere Nutzung vor Inkrafttreten der erwähnten Bebauungspläne planungsrechtlich zulässig gewesen sein und dem Antragsteller, wie er meint, Bestandsschutz vermitteln könnte, lässt sich anhand der dem Senat vorliegenden Unterlagen und des Vorbringens der Beteiligten nicht abschließend klären. Dies wird vielmehr Sache des vom Antragsteller noch durchzuführenden Verfahrens auf Erteilung einer Baugenehmigung sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht jedenfalls kein Anspruch des Antragstellers darauf, die genehmigungsbedürftige, aber nicht von einer Baugenehmigung gedeckte Nutzung vorläufig ausüben zu dürfen; die Untersagung der Nutzungsaufnahme erfüllt damit dieselbe Aufgabe wie eine Baueinstellung nach § 64 LBO (vgl. dazu auch Senat, Beschluss vom 01.02.2007 - 8 S 2606/06 -, VBlBW 2007, 226).
d) Der Rechtmäßigkeit der Nutzungsaufnahmeuntersagung steht schließlich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, auch nicht der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Verwirkung liegt vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde (Vertrauenstatbestand) und er sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung) (vgl. Senat, Urteil vom 08.10.1993 - 8 S 1760/93 - UPR 1994, 236). Selbst wenn man zu Gunsten des Antragstellers deswegen von einer Vertrauensgrundlage ausgehen könnte, weil die Antragsgegnerin gegen den Betrieb des Saunaclubs ...-... nicht eingeschritten ist, fehlt es doch jedenfalls an den beiden weiteren Tatbestandselementen der Verwirkung. Weder ist ersichtlich, dass gerade der Antragsteller tatsächlich darauf vertraut hätte, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde, noch ist erkennbar, dass dem Antragsteller ein unzumutbarer Nachteil drohen würde.
10 
3. Auch nach Einschätzung des Senats besteht schließlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Nutzungsaufnahmeuntersagung. Bereits der Verstoß gegen die Ordnungsfunktion des formellen Baurechts rechtfertigt die Unterbindung des Beginns der genehmigungsbedürftigen, aber nicht genehmigten Nutzung. Damit wird verhindert, dass sich derjenige, der ohne Genehmigung eine Nutzung aufnimmt, gegenüber demjenigen, der ordnungsgemäß das Genehmigungsverfahren betreibt, Vorteile erhält, die ihm nicht zustehen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch Senat, Beschluss vom 01.02.2007 a.a.O.). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der erforderliche Brandschutz nach dem Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 11.02.2010 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach wie vor nicht hinreichend gewährleistet ist, so dass auch der Schutz der Besucher des Gebäudes die Anordnung des Sofortvollzugs zur Gefahrenabwehr rechtfertigt. Der Beschwerdebegründung lässt sich nicht entnehmen, dass die brandschutzrechtlichen Bedenken nunmehr ausgeräumt wären. Die Einhaltung der brandschutzrechtlichen Vorschriften wird ebenfalls in dem Verfahren auf Erteilung der Baugenehmigung zu klären sein.
11 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
12 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.
13 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Für Vorhaben, die die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt haben, und für Aufschüttungen und Abgrabungen größeren Umfangs sowie für Ausschachtungen, Ablagerungen einschließlich Lagerstätten gelten die §§ 30 bis 37.

(2) Die Vorschriften des Bauordnungsrechts und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften bleiben unberührt.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 29. April 2004 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist Eigentümerin zweier Wohngebäude in Rostock, A.-ring. Es handelt sich um sechsstöckige Flachdachgebäude. Unter dem 26.02.2001 erteilte der Beklagte die Genehmigung zur Sanierung und Modernisierung sowie Herstellung von zwei Aufzugsanlagen und Änderung von Grundrissen in 15 Wohneinheiten. Der Hinweis Nr. 1 lautet: "Die Farbgestaltung ist mit dem Amt für Stadtplanung abzustimmen".

2

Im Rahmen der Modernisierungsmaßnahmen im Jahre 2001 wurden vor diesen Gebäuden gläserne Aufzugsschächte angebracht. Auf deren rundgewölbtem Dach wurde jeweils eine Skulptur aufgesetzt, die jeweils eine Höhe von etwa 2,9 m hat. Sie stellen einen Dreizack dar, wie ihn üblicherweise figürliche Gestalten des Meeresgottes Neptun tragen.

3

Für diese Skulpturen beantragte die Klägerin, die in ihrem Firmennamen das Wort "Neptun" trägt, mit Schreiben vom 17.10.2001 die baurechtliche Genehmigung in Form eine Nachtrags. Zugleich wurde eine farbliche Gestaltung der Fassade dargestellt.

4

Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 19.02.2002 ab. Zur Begründung führte er aus: Das Grundstück liege nicht im Bereich eines Bebauungsplans, jedoch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Die nähere Umgebung entspreche einem allgemeinen Wohngebiet. Die beantragte Werbeanlage bestehe aus zwei Stück je 2,903 m hohen Metallelementen, die als Neptun-Dreizack ausgebildet seien. Dieses Symbol sei auch Bestandteil des Firmenlogos der Klägerin. Die Werbung sei als Werbeanlage an der Stätte der Leistung zu beurteilen. Die Art der Nutzung sei planungsrechtlich zulässig. Die Anlagen überragten aber die in der näheren Umgebung vorhandene Bebauung um ca. 1,0 m. Die städtebauliche Wirkung sei mit der einer Dachwerbeanlage vergleichbar, für die es in der näheren Umgebung keine vergleichbaren Anlagen gäbe. Die Anlage überschreite daher das Maß der baulichen Nutzung. Sie füge sich nicht in die vorhandene Bebauung ein und beeinträchtige das Ortsbild.

5

Als Nebenanlage müssten sich Werbeanlagen als ein mögliches Element der Gliederung der Fassade unterordnend einfügen. Die Anlagen wirkten aber in störender Weise mit ihrer Größe und dem Ort der Anbringung auf die vorhandene architektonische Gliederung der Fassade des Gebäudes. Sie fügten sich nicht in die Maßstäblichkeit der vorhandenen Architektur ein. Sie seien so auffallend in ihrer Wirkung, dass sie rücksichtlos eingeordnet werden müssten und verunstaltend auf die Umgebung wirkten. Eine nichtgewollte Vorbildwirkung sei nicht auszuschließen.

6

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, den der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27.03.2002 zurückwies. Dieser Bescheid wurde der Klägerin am 05.04.2002 zugestellt.

7

Bereits am 25.02.2002 hatte der Beklagte eine Ordnungsverfügung erlassen, durch die die Klägerin aufgefordert wurde, die bereits errichteten zwei Werbeanlagen bis zum 28.03.2002 abzubauen; es wurde außerdem ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro angedroht. Zur Begründung wurde ausgeführt: Es handele sich um ein genehmigungspflichtiges Vorhaben, das nicht genehmigungsfähig sei.

8

Mit Bescheid vom 01.03.2002 erhob der Beklagte für das ordnungsbehördliche Verfahren Gebühren in Höhe von 55,00 Euro. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein mit der Begründung, gegen die Ablehnung des Bauantrags habe sie Widerspruch eingelegt. Somit sei für sie der Sachverhalt noch nicht als abgeschlossen zu bewerten.

9

Am 06.05.2002 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie machte geltend:

10

Sie habe den Dreizack ohne Baugenehmigung errichten dürfen, da es eine genehmigungsfreie Skulptur darstelle oder einer Antennenanlage gleichzustellen sei. Es handele sich nicht um eine Werbeanlage. Die Dreizacke stellten ein gestalterisches maritimes Element dar. Der Dreizack stelle nur ein Element des Firmenlogos dar. Sie habe auch einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung. Die Dreizacke wirkten insbesondere nicht verunstaltend, da sie in Größe, Form und Farbe auf das Haus abgestimmt seien.

11

Die Klägerin hat beantragt,

12

die Beseitigungsverfügung des Beklagten vom 25.02.2002, den Gebührenbescheid vom 01.03.2002 und den ablehnenden Baugenehmigungsbescheid vom 19.02.2002 sowie den Widerspruchsbescheid vom 27.03.2002 aufzuheben,

13

hilfsweise,

14

den Beklagten zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen,

15

weiter hilfsweise,

16

festzustellen, dass das Vorhaben baugenehmigungsfrei ist.

17

Der Beklagte hat beantragt,

18

die Klage abzuweisen.

19

Er verteidigt die angefochtenen Bescheide.

20

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 29.04.2004 den Gebührenbescheid vom 01.03.2002 aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei den Dreizacken auf den Dächern der Aufzugstürme A.-ring um baugenehmigungsfreie Anlagen handelt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus:

21

Die Klage gegen die Beseitigungsverfügung sei unzulässig, da das erforderliche Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden sei.

22

Der Gebührenbescheid sei rechtswidrig, da die Beseitigungsverfügung rechtswidrig gewesen sei, denn die Errichtung der Dreizacke verstoße nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften. Zwar sei die rechtswidrige Beseitigungsverfügung bestandskräftig geworden; eine Verwaltungsgebühr könne jedoch nur für einen Bescheid erhoben werden, der rechtmäßig ergangen sei.

23

Die Errichtung der Dreizacke bedürfe keiner Baugenehmigung. Es handele sich um eine Skulptur, nicht um eine Werbeanlage. Skulpturen seien bis zur Höhe von 4 m baugenehmigungsfrei.

24

Gegen dieses dem Beklagten am 05.05.2004 zugestellten Urteil hat er - der Beklagte - den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat durch Beschluss vom 23.02.2006 entsprochen hat. Dieser Beschluss wurde dem Beklagten am 02.03.2006 zugestellt.

25

Die Berufung hat der Beklagte am Montag, den 03.04.2006 wie folgt begründet: Die Feststellung, das Vorhaben sei baugenehmigungsfrei, sei rechtlich fehlerhaft. Der Dreizack sei eine Werbeanlage. Er stelle eine Verbindung zu dem Dreizack her, den die Klägerin an ihrem Geschäftssitz in der X.-straße angebracht habe. Der Dreizack weise darauf hin, dass sie in den Gebäuden A.-ring Mietwohnungen vorhalte. Dies bestätige auch der Umstand, dass der Dreizack beleuchtet werden könne. Der Dreizack sei von der Klägerin bewußt als Abgrenzungsmerkmal gewählt worden. Da es sich um eine Werbeanlage handele, könne sie nicht zugleich eine Skulptur im Sinne der Baufreistellungsvorschriften darstellen. Soweit es auf die Höhe der Anlage von 4 m ankomme, sei sie von der Geländeoberfläche aus zu messen. Daher überschreite die Werbeanlage die maßgebende Höhengrenze.

26

Der Gebührenbescheid sei ebenfalls rechtmäßig, da die Beseitigungsverfügung rechtmäßig ergangen sei. Die Werbeanlage sei nicht genehmigungsfrei. Die genannten Gebäude seien nicht Stätte der Leistung. Die Klägerin habe vielmehr ausweislich ihres Briefkopfes das Sekretariat, die Prokuristin, die Abteilung für die Betriebskosten, die Mietbuchhaltung, die Kasse und die Versicherung etc. in der Liegenschaft X.-straße.

27

Die Klage auf Feststellung der Baugenehmigungsfreiheit sei in Hinblick auf § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig. Soweit die Klage auf Erteilung der Baugenehmigung durch das Verwaltungsgericht abgelehnt worden sei, treffe dies zu, jedoch deswegen, weil das Vorhaben nicht genehmigungsfähig sei.

28

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,

29

das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 29.04.2004 zu ändern und die Klage abzuweisen.

30

Die Klägerin beantragt,

31

die Berufung zurückzuweisen.

32

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

34

1. Gegenstand des Verfahrens ist allein der den Beklagten beschwerende Ausspruch des Urteils des Verwaltungsgerichts. Da die Klägerin keine (Anschluss)Berufung eingelegt hat, ist das Urteil, soweit es sie beschwert, rechtskräftig. Mithin steht ausschließlich zur Beurteilung, ob die zwei Dreizacke baugenehmigungsfrei sind und ob der Gebührenbescheid vom 01.03.2002 rechtmäßig ist.

35

2.a) Der Antrag auf Feststellung der Genehmigungsfreiheit ist zulässig. Entgegen der Auffassung des Beklagten steht ihm nicht § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen, wonach eine Feststellungsklage unzulässig ist, wenn der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Das darin zum Ausdruck kommende Subsidiaritätsprinzip gilt nur dann, wenn durch die Gestaltungs- oder Leistungsklage Rechtsschutz in zumindest gleichem Umfang und mit gleicher Effektivität erreicht würde. Dies ist nicht der Fall, wenn der Kläger die beabsichtigte Handlung als erlaubnisfrei ansieht und deshalb in erster Linie auf dem Standpunkt steht, keiner Genehmigung zu bedürfen und sie auch nicht beantragen zu wollen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage § 43 Rn. 29 mwN.). So liegt der Fall hier.

36

b) Die Genehmigungspflichtigkeit der beiden Dreizacke ergibt sich bereits daraus, dass sie als Bestandteil des einheitlich zu beurteilenden Vorhabens der Sanierung und Modernisierung der Gebäude A.-ring anzusehen sind. Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein einheitliches Vorhaben handelt, das Gegenstand einer einheitlichen Genehmigung ist, und das somit einer isolierten Beurteilung die Genehmigungsfähigkeit entzogen ist, ist, ob der Bauherr ein einheitliches Vorhaben durchführen wollte (vgl. BVerwG, U. v. 04.07.1980 - IV C 99.77 - NJW 1981, 776). Die Anbringung der Dreizacke ist danach Teil des insgesamt genehmigungspflichtigen Vorhabens zum Umbau und Modernisierung der Gebäude. Sie sind Gegenstand des von der Klägerin als Nachtrag bezeichneten Antrags vom 17.10.2001; er ergänzt die Genehmigung vom 26.02.2001. Gegenstand des Nachtrags ist auch die Farbgestaltung. Die Darstellung der Farbgestaltung erfolgte in Erfüllung des Hinweises Nr. 1 der Baugenehmigung, wonach dieser Punkt mit dem Stadtplanungsamt abzustimmen war. Die Klägerin sieht nach eigenem Vortrag die Dreizacke als Teil der Gestaltung der Gebäude an. Aus alledem folgt, dass die Klägerin die Dreizacke nicht als eigenständiges Vorhaben behandelt hat.

37

3. Der angefochtene Gebührenbescheid erweist sich als rechtmäßig.

38

Maßgebend ist das Verwaltungskostengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Landesverwaltungskostengesetz - VwKostG M-V) vom 04.10.1991 - GVOBl. M-V S. 366, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.11.2001 - GVOBl. M-V S. 438. Nach § 1 Abs. 1 S. 2 VwKostG M-V sind Verwaltungsgebühren die Gegenleistung für eine besondere Inanspruchnahme oder Leistung (Amtshandlung) der Behörden des Landes, der Gemeinden, Ämter und Landkreise sowie der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, rechtsfähigen Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und der mit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung beliehenen Personen. Nach § 11 Abs. 1 VwKostG M-V entsteht die Gebührenschuld, soweit ein Antrag notwendig ist, mit dessen Eingang bei der zuständigen Behörde, im übrigen mit der Beendigung der gebührenpflichtigen Amtshandlung.

39

a) Als "Amtshandlung" kommt hier allein der Bescheid des Beklagten vom 25.02.2002 in Betracht. Sollen an eine Handlung einer Behörde für den Betroffenen belastende Wirkungen wie z.B. die Erhebung einer Gebühr geknüpft werden, so ist dies nur zulässig, wenn die behördliche Handlung wirksam ist. Ist die Amtshandlung, an die eine Gebührenregelung anknüpfen soll, ein Verwaltungsakt, so muss dieser wirksam sein. An der Wirksamkeit eines bestandskräftigen Verwaltungsakts fehlt es nicht bei bloßer Rechtswidrigkeit, sondern nur dann wenn er nichtig ist. Die Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes hat zur Folge, dass dieser weder für die Behörde noch für den Betroffenen oder Dritte Rechtswirkungen hat und daher von niemandem befolgt oder beachtet werden muss bzw. darf sowie nicht vollzogen werden kann und darf, auch wenn die Nichtigkeit noch nicht verbindlich festgestellt (§ 44 Abs. 5 VwVfG M-V oder § 43 Abs. 2 Satz 2 VwGO) oder er noch nicht aufgehoben worden ist. Hat die Verfügung keine Rechtswirkungen, so liegt keine "Amtshandlung" vor, die Anlass für eine Gebührenforderung geben könnte (VGH Mannheim, U. v. 19.05.2003 - 10 S 619/03 zit. nach juris). Die Rechtmäßigkeit der Gebührenfestsetzung für einen - bestandskräftigen - Bescheid ist somit nicht von dessen Rechtmäßigkeit abhängig (OVG Münster, B. v. 24.08.2005 - 9 A 1857/03 - NWVBl 2006, 192, zit. nach juris).

40

b) Danach erweist sich der angefochtene Gebührenbescheid als rechtmäßig. Nach dem angefochtenen Urteil ist die Beseitigungsverfügung des Beklagten vom 25.02.2002 bestandskräftig geworden, da die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen worden ist und der Kläger keine Berufung eingelegt hat.

41

Gesichtspunkte dafür, dass der Bescheid nichtig ist, sind nicht erkennbar. In Betracht kommt allein der Nichtigkeitsgrund nach § 44 Abs. 1 VwVfG M-V. Danach ist ein Verwaltungsakt dann nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Mangel leidet, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Solche Mängel sind nicht erkennbar. Soweit in diesem Zusammenhang das Verwaltungsgericht insbesondere darauf abstellt, es handele sich bei den streitbefangenen Dreizacken um Skulpturen, nicht um Werbeanlagen, ist dieser Ausgangspunkt unzutreffend. Im Übrigen wäre die abweichende Beurteilung des Beklagten jedenfalls nicht offensichtlich unrichtig; durch die Beseitigungsverfügung würde die Klägerin auch nicht schwerwiegend betroffen werden. Dazu ist im Einzelnen auszuführen:

42

aa) Die Anbringung der Dreizacke ist nach dem oben Ausgeführten formell baurechtswidrig. Sie sind nicht Gegenstand der genehmigten Bauvorlagen.

43

bb) Als Werbeanlagen sind sie auch materiell baurechtswidrig, einen Gesichtspunkt, auf den der Beklagte in seiner Verfügung auch abgestellt hat.

44

Nach § 53 Abs. 1 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO MV a.F.) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Mai 1998 (GVOBl. M-V S. 468, ber. S. 612), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.03.2001 (GVOBl. M-V S. 60) sind Anlagen in der Außenwerbung (Werbeanlagen) alle ortsfesten Einrichtungen, die der Ankündigung oder Anpreisung oder als Hinweis auf Gewerbe oder Beruf dienen und vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar sind. Hierzu zählen insbesondere Beschriftungen und Bemalungen. Diese Definition ist ausweislich ihres Klammerzusatzes als Legaldefinition für den Anwendungsbereich der Landesbauordnung insgesamt zu verstehen. § 10 Abs. 1 der Landesbauordnung in der Fassung durch Gesetz vom 18.04.2006 (GVOBl. S. 102), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.05.2006 (GVOBl. S. 193) - LBauO n.F. - enthält im übrigen die gleiche Definition.

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Maßgeblich für den hinweisenden, werbenden Charakter sind Funktion und Zweckbestimmung der Einrichtung. Es kommt nicht darauf an, wie eine Anlage oder Einrichtung - so z. B. die vorliegende Skulptur auf den Gebäuden - für sich genommen zu beurteilen ist. Eine solche Prüfung wäre unvollständig und könnte zu unzutreffenden Ergebnissen führen (vgl. OVG Münster, B. v. 18.05.1998 - 11 A 5482/97 - BauR 1998, 1230 = BRS 60 Nr. 129; zum Begriff der Einrichtung im Gegensatz zur baulichen Anlage OVG Koblenz, U. v. 22.01.2003 8 A 11286/02 BRS 66 Nr. 149). Maßgebend ist, ob unter den gegebenen Umständen der Anlage eine Werbe- und Hinweisfunktion dahingehend zukommt, dass sich in den Häusern Mietwohnungen befinden. Dabei ist darauf abzustellen, ob dies von der Bevölkerung dementsprechend verstanden wird. Es spielt keine Rolle, ob die Klägerin subjektiv nur eine Gestaltung der Gebäude und keine Werbewirkung will (vgl. OVG Münster, B. v. 18.05.1998 - 11 A 5482/97 - BauR 1998, 1230 = BRS 60 Nr. 129).

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Bei der Beurteilung eines abstrakten Zeichens kommt es darauf an, ob dieses so in der Bevölkerung insgesamt oder der der näheren Umgebung bekannt ist, dass es mit einer Firma verbunden wird. Die Hinweisfunktion tritt objektiv auch dann auf, wenn das Symbol als ein solcher Zeichenträger nicht gewertet werden kann, die äußeren Umstände aber darauf hinweisen, dass auf eine - der allgemeinen Bevölkerung unbekannte - Firma verwiesen wird. Die Form der Werbung ist dabei unerheblich. Es kann sich auch um Ornamente, Symbole oder Plastiken handeln (Lechner in Simon, BayBO Art. 2 Rn. 138). Auf die von den Beteiligten geführte Auseinandersetzung von Werbeanlage und Skulptur oder Kunstwerk am Bau kommt es daher hier nicht an. Entgegen der Ansicht der Beteiligten kommt es auch deswegen im vorliegenden Verfahren nicht darauf an, ob einer der anderen Tatbestände des § 61 LBauO M-V n.F. bzw. § 65 Abs. 1 LBau M-V a.F. in Betracht kommen. Zum einen ergibt sich aus der Legaldefinition der Werbeanlage in § 53 Abs. 1 LBauO a.F./§ 10 Abs. 1 LBauO n.F., dass auch im Rahmen der die Genehmigungspflicht regelnden Vorschriften das dort vorgesehene Begriffsverständnis zu Grunde zu legen ist. Die Tatbestände der Verfahrens- bzw. Baugenehmigungsfreistellung stehen zum anderen in der Weise nebeneinander, dass diejenigen Anlagen, die grundsätzlich baugenehmigungspflichtig sind und nicht von den genannten Befreiungsvorschriften erfasst sind, auch dann der Genehmigungspflicht unterliegen, wenn sie zugleich einen anderen Tatbestand der genannten Normen erfüllen. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschriften: Der Gesetzgeber hat hinsichtlich Werbeanlagen das Bedürfnis für eine präventive Kontrolle in Hinblick auf die bauplanungs- und bauordnungsrechtlich einzuhaltenden Vorschriften für entbehrlich angesehen, wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Das bedeutet, dass in allen übrigen Fällen von dem Bedürfnis einer präventiven Kontrolle auszugehen ist.

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Unerheblich ist schließlich, ob es sich um Werbung an der Stätte der Leistung oder Fremdwerbung handelt (vgl. Lechner a.a.O.).

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Danach ist es jedenfalls nicht offensichtlich unrichtig, hier von Werbeanlagen auszugehen. Dies ergibt sich daraus, dass die hier gewählte Gestaltung für ein Gebäude, das erkennbar dem Mietwohnungsbau dient oder aus Eigentumswohnungen besteht, ungewöhnlich ist. Dies gilt umso mehr, als über beiden Aufzugsschächten die Skulptur angebracht ist. Die Hinweise der Klägerin auf ähnliche Gestaltungen können auch dahin gewertet werden, dass der unbefangene Betrachter derartige Zeichen in solchem Zusammenhang als Firmenlogos wertet. Als einzelne Elemente vermitteln sie nicht den Eindruck einer geschlossenen ästhetischen Gestaltung. Sie fallen vielmehr durch Gestaltung und Anbringungsort aus dem Gestaltungskonzept heraus: Es ist von deutlichen Linien und kubischen Formen geprägt. Hinzu kommt, dass die Dreizacke die Gebäudehöhen überragen, während die Gestaltung ansonsten auf eine einheitliche horizontale Linie ausgerichtet ist. Zudem ist der Dreizack ein hervorgehobener wesentlicher Teil des Firmenlogos der Klägerin.

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Die Werbeanlagen sind bauordnungsrechtlich unzulässig. Nach § 10 Abs. 4 S. 1 und 2 LBauO M-V n.F. sind in Kleinsiedlungsgebieten, Dorfgebieten, reinen und allgemeinen Wohngebieten Werbeanlagen nur zulässig an der Stätte der Leistung sowie Anlagen für amtliche Mitteilungen und zur Unterrichtung der Bevölkerung über kirchliche, kulturelle, politische, sportliche und ähnliche Veranstaltungen; die jeweils freie Fläche dieser Anlagen darf auch für andere Werbung verwendet werden. In reinen Wohngebieten darf an der Stätte der Leistung nur mit Hinweisschildern geworben werden. § 53 Abs. 4 S. 1 LBauO M-V a.F. bestimmte inhaltlich übereinstimmend: In Kleinsiedlungsgebieten, reinen Wohngebieten, allgemeinen Wohngebieten, besonderen Wohngebieten und Dorfgebieten sind nur zulässig 1. Werbeanlagen an der Stätte der Leistung; dabei darf in reinen Wohngebieten nur mit Hinweisschildern geworben werden; und 2. Anlagen für amtliche Mitteilungen und zur Unterrichtung der Bevölkerung über kirchliche, kulturelle, politische, sportliche und ähnliche Veranstaltungen, wobei die jeweils freie Fläche dieser Anlage auch für andere Werbung verwendet werden darf.

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Die Werbeanlagen befinden sich nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten in einem allgemeinen Wohngebiet. Das Gebäude ist nicht Stätte der Leistung in diesem Sinne. Stätte der Leistung im Sinne des § 10 Abs. 4 S. 1 und 2 LBauO M-V n.F. ist bei der Vermietung von Wohnraum der Ort, an dem regelmäßig die Mietverträge abgeschlossen werden. Bei gewerbsmäßiger Vermietung ist dies der Geschäftssitz des Vermieters (zum Folgenden auch OVG Weimar, U. v. 11.11.2003 - 1 KO 271/01 - BauR 2004, 1932 = BRS 66 Nr. 154). Dies ergibt sich aus Folgendem:

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§ 10 Abs. 4 S. 1 und 2 LBauO M-V n.F. liegt die Intention zugrunde, dass die in der Vorschrift genannten Gebiete weitgehend von Werbeanlagen frei gehalten werden sollen. Werbeanlagen sollen nur dort zulässig sein, wo in den aufgeführten Gebieten zulässigerweise eine Leistung angeboten wird. Damit begrenzt § 10 Abs. 4 S. 1 und 2 LBauO M-V n.F. die Zulässigkeit von Werbeanlagen in Kleinsiedlungsgebieten, Dorfgebieten, reinen Wohngebieten und allgemeinen Wohngebieten in unmittelbarem Bezug auf die in diesen Baugebieten planungsrechtlich zulässige, vor allem gewerbliche Nutzung. Gewerbliche Betätigung ist in diesen Baugebieten indes nur eingeschränkt bzw. ausnahmsweise zulässig. Der Begriff "Stätte der Leistung" in § 10 Abs. 4 S. 1 und 2 LBauO M-V n.F. ist demnach, da er nur eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot der Werbung in den in der Vorschrift genannten Gebieten ermöglichen soll, eng auszulegen. Die Auslegung hat streng am Wortsinn zu erfolgen. Sie ergibt, dass "Stätte der Leistung" der Ort ist, an dem die Leistung erbracht wird, für die geworben wird. Derjenige, der etwa in einem allgemeinen Wohngebiet - ausnahmsweise - gewerblich tätig ist, soll an dem Ort, an der die gewerbliche Tätigkeit stattfindet, werben können, nicht aber auf einem allein Wohnzwecken dienenden Grundstück für eine an einem anderen Ort ausgeübte gewerbliche Betätigung. Abzustellen ist mithin auf die Tätigkeit, die der Werbung Treibende ausübt und nicht auf das Produkt, für das er wirbt. Hielte man eine Werbung am Ort der "Belegenheit" des Produkts unabhängig davon für zulässig, ob der Werbetreibende dort auch seiner gewerblichen Tätigkeit nachgeht, hätte dies beispielsweise zur Folge, dass ein Makler vor jedem der betreuten Objekte Werbung treiben könnte. Dies widerspräche dem dargelegten Sinn und Zweck des § 10 Abs. 4 S. 1 und 2 LBauO M-V n.F.

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cc) Die Werbeanlagen sind auch bauplanungsrechtlich unzulässig. Es handelt sich um eine Anlage nach § 29 S. 1 BauGB. Ob eine Anlage geeignet ist, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen, ist auf der Grundlage einer das einzelne Objekt verallgemeinernden Betrachtungsweise zu beantworten. Städtebauliche Relevanz besteht dann, wenn die Anlage - auch und gerade in ihrer unterstellten Häufung - Belange erfaßt oder berührt, welche im Hinblick auf das grundsätzliche Gebot des § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB in Verbindung mit § 1 Abs. 5 und 6 BauGB auch städtebauliche Betrachtung und Ordnung verlangen. Hierzu zählt auch das Ortsbild der Gemeinde (vgl. §§ 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4, 34 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbs. BauGB). Für das Ortsbild ist in aller Regel auch eine Außenwerbung relevant. Ihr eigentliches Ziel ist es gerade, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; in diesem Sinne muss sie im vorhandenen Ortsbild gerade "auffallend" wirken (BVerwG, U. v. 03.12.1992 - 4 C 27/91-, BRS 54 Nr. 126).

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So liegt der Fall auch hier. Planungsrechtliche Relevanz ergibt sich daraus, dass die Anlage in einem allgemeinen Wohngebiet errichtet worden ist. Jedenfalls hier löst eine Massierung derartiger Anlagen ein Regelungsbedürfnis durch Bauleitplanung aus.

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Bei den Werbeanlagen handelt es sich um keine Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 1 Baunutzungsverordnung (BauNVO). Ihnen fehlt insoweit die notwendige Unterordnung zum Gebäude. Eine Werbeanlage, welche aber keine Nebenanlage darstellt, stellt bauplanerisch eine eigenständige Hauptnutzung dar, wobei sie den Charakter als bauplanerisch selbständig zu beurteilende Hauptnutzung auch nicht dadurch verliert, dass sie mit einer anderen Anlage bautechnisch verbunden ist. Vielmehr bleiben beide Nutzungen (Werbeanlage wie Mietwohngebäude) Hauptnutzungen. Jede dieser beiden Hauptnutzungen besitzt unabhängig von der konkreten bautechnischen Gestaltung ihre eigene städtebaurechtliche Bedeutung und ist daher bauplanungsrechtlich selbständig zu beurteilen (vgl. BVerwG, U. v. 03.12.1992 - 4 C 27/91-, BVerwGE 91, 234 = BRS 54 Nr. 126).

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In diesem Sinne kann eine Werbeanlage, wenn sie bauliche Anlage im Sinne des § 29 Satz 1 BauGB ist, als Fremdwerbung im Sinne der Art der baulichen Nutzung im System des § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB in Verb. mit §§ 2 ff. BauNVO bauplanungsrechtlich zugeordnet werden. Die Werbeanlage, welche als Außenwerbung der Fremdwerbung zu dienen bestimmt ist, kann daher als ein Fall gewerblicher Nutzung über bauplanerische Festsetzungen nach §§ 2 ff. BauNVO entweder zugelassen oder ausgeschlossen werden. Ist in dem Baugebiet eine gewerbliche Nutzung nicht oder nur ausnahmsweise zulässig, so gilt dies auch für die Außenwerbung als Fremdwerbung. Ob die Werbeanlage als bauliche Anlage in ihrer konkreten Gestaltung einen bestimmten Umfang besitzt, bestimmte "optische" und damit werbewirksame Aufmerksamkeit auf sich zieht oder bautechnisch letztlich geringfügig ist, berührt den Charakter der Anlage als selbständig zu beurteilende Hauptnutzung nicht (BVerwG, U. v. 03.12.1992 - 4 C 27/91-, BRS 54 Nr. 126).

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Nach der übereinstimmenden Beurteilung der Beteiligten handelt es sich im vorliegenden Fall um einen unbeplanten Innenbereich, der nach § 34 Abs. 2 BauGB als allgemeines Wohngebiet zu beurteilen ist. Hier ist gemäß § 4 Abs. 2 BauNVO eine derartige gewerbliche Nutzung nicht zulässig. Sie kann auch nicht ausnahmsweise gemäß § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 3 BauNVO zugelassen werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen einer Befreiung nach § 34 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB gegeben sind, sind nicht erkennbar. Die Anlagen sind daher - entgegen der Beurteilung des Beklagten in dem Widerspruchsbescheid - nach Art und Nutzung planerisch unzulässig.

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c) Soweit die Klägerin auf andere Skulpturen mit Dreizack abstellt, ist dies im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da u.a. frei stehende Kunstwerke einer eigenständigen baurechtlichen Beurteilung bedürfen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.

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Die Revision ist nicht zuzulassen; Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht ersichtlich, da es wesentlich um die Auslegung von Landesrecht geht.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.