Europarecht: Unterscheide: Diffamierung versus „whistle-blowing“

published on 28/03/2017 13:50
Europarecht: Unterscheide: Diffamierung versus „whistle-blowing“
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Author’s summaryDie Kündigung eines Angestellten, der schriftlich und mündlich einem Vorgesetzten Rechtsbeugung vorgeworfen hat, verstößt nicht gegen Europarecht.
Zu diesem Ergebnis kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Gegenstand der Individualbeschwerde war die Frage, ob die Kündigung eines städtischen Angestellten rechtmäßig war, nachdem er dem Wirtschaftsbürgermeister mündlich in einer Personalversammlung und anschließend auch schriftlich Rechtsbeugung vorgeworfen hat. Der Beschwerdeführer sah sich durch die Kündigung in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt.

Der EGMR kam in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass die deutschen Gerichte die Verhältnismäßigkeit der Kündigung des Beschwerdeführers eingehend und unter Berücksichtigung von dessen Meinungsfreiheit geprüft haben. Das Urteil setzt sich eingehend mit der Qualität der Äußerung des Beschwerdeführers auseinander, die zur Kündigung führte. Der Gerichtshof stellte fest, dass der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf der „Rechtsbeugung“ unter den konkreten Umständen des Falls keinen Schutz genießt. Er war auf Diffamierung gerichtet und sei nicht als sachliche Kritik im Sinne eines „whistle-blowing“ zu werten. Der EGMR entschied einstimmig, dass keine Konventionsverletzung vorliege.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 17.09.2015 (14464/11) folgendes entschieden:

Tenor:

Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die der deutsche Staatsangehörige L. am 3. März 2011 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beim Gerichtshof eingereicht hatte.

Der Beschwerdeführer, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, wurde von Herrn F., Rechtsanwalt in D., vertreten. Die deutsche Regierung wurde von ihrem Verfahrensbevollmächtigen Herrn H. J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz vertreten.

Der Beschwerdeführer machte geltend, dass sein Recht auf freie Meinungsäußerung durch die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses aufgrund seiner Äußerungen über seinen Vorgesetzten verletzt worden sei.

Am 24. September 2013 wurde die Beschwerde der Regierung übermittelt.

Tatbestand:

Der Beschwerdeführer wurde 19.. geboren und lebt in P.

Der Beschwerdeführer war seit 1993 als Leiter des Sachgebiets Zweckentfremdung im Amt für Wohnungswesen einer Landeshauptstadt beschäftigt.

Am 9. Dezember 1998 fand eine Personalversammlung für die Mitarbeiter des Amts für Wohnungswesen statt, an welcher auch der beigeordnete Bürgermeister für Wirtschaft und Wohnen W., ein gewählter Beamter, dem unter anderem das Amt für Wohnungswesen unterstand, sowie eine Reihe von Personal- und Gewerkschaftsvertretern teilnahmen. Im Anschluss an eine kurze Ansprache des W., in der es um das Auslaufen der Verordnung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum zum 31. Dezember 1998 ging, ergriff der Beschwerdeführer das Wort und warf W. vor, Rechtsbeugung begangen zu haben, indem er 1995/1996 die Erteilung einer rechtwidrigen Genehmigung für den Abriss einer Wohnanlage angeordnet habe.

Am 11. Dezember 1998 forderte der Amtsleiter des Beschwerdeführers diesen auf, seine Vorwürfe schriftlich zu begründen.

Am 17. Dezember 1998 gab der Beschwerdeführer eine mehrseitige schriftliche Stellungnahme ab, in der er seinen Vorwurf, W. habe Rechtsbeugung begangen, indem er 1995/1996 die Erteilung einer Abrissgenehmigung angeordnet habe, ohne gleichzeitig Ausgleichszahlungen für den durch den Abriss verursachten Verlust von Wohnraum anzuordnen, mehrmals wiederholte. Laut Beschwerdeführer hat W. damit „rücksichtslos wirtschaftspolitische Interessen durchgesetzt“. Der Beschwerdeführer behauptete außerdem, alle Mitarbeiter des Sachgebiets seien der Ansicht, W. habe ihre Arbeit bewusst in Misskredit gebracht. Darüber hinaus habe W. unrechtmäßig die Auflösung des Sachgebiets betrieben und dadurch die Arbeitsplätze der Mitarbeiter aufs Spiel gesetzt. Die Rede des W. auf der Personalversammlung sei entwürdigend und zynisch gewesen und habe Halb- und Unwahrheiten enthalten. W. habe keinerlei persönliche Verantwortung übernommen und keinerlei Interesse dafür erkennen lassen, eine sozialverträgliche Lösung der durch die Sachgebietsauflösung entstehenden Probleme zu finden.

Mit Schreiben vom 24. März 1999 kündigte die Landeshauptstadt das Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers zum 30. Juni 1999. Die Kündigung wurde in erster Linie auf die Äußerung des Beschwerdeführers in der Personalversammlung gestützt. Laut Kündigungsschreiben waren die Vorwürfe des Beschwerdeführers gegen W. nicht gerechtfertigt. Indem er diese Vorwürfe vor einer großen Anzahl von Mitarbeitern sowie vor Personalrats- und Gewerkschaftsvertretern erhoben habe, habe der Beschwerdeführer das Ansehen seines Vorgesetzten beschädigt und damit das für eine nutzbringende Zusammenarbeit erforderliche gegenseitige Vertrauen unwiederbringlich zerstört. Es wurde ferner angemerkt, der Beschwerdeführer habe von der Möglichkeit, seine Bedenken gegenüber seinem Vorgesetzten oder gegenüber dem Oberbürgermeister zu äußern, keinen Gebrauch gemacht. Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer bereits zuvor zweimal wegen illoyalen Verhaltens ermahnt worden sei.

Am 17. Juli 1999 veröffentlichte eine örtliche Tageszeitung einen Leserbrief, in dem der Beschwerdeführer die Meinung vertrat, dem beigeordneten Bürgermeister W. mangele es an jeglicher Kompetenz zur Lösung von Problemen im Wohnungswesen.

Mit Urteil vom 24. Mai 2000 stellte das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet worden sei, da diese nach § 1 Kündigungsschutzgesetz nicht gerechtfertigt sei. Das Arbeitsgericht erachtete es nicht als erforderlich zu entscheiden, ob die Vorwürfe des Beschwerdeführers zutreffend waren, da sie in jedem Fall unter das Recht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung gefallen seien.

Am 8. Januar 2002 wies das Landesarbeitsgericht die Berufung der Landeshauptstadt zurück.

Am 6. November 2003 hob das Bundesarbeitsgericht das Urteil vom 8. Januar 2002 auf Revision der Landeshauptstadt hin auf und verwies die Rechtssache zurück an das Landesarbeitsgericht. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könnten grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder dessen Vertreters, die eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Um die Schwere der Ehrverletzung zu festzustellen, müsse geprüft werden, ob die Vorwürfe des Beschwerdeführers eine sachliche Berechtigung enthielten. In die Erwägungen sei auch einzubeziehen, ob die Kritik unter Mitarbeitern geäußert worden sei oder ob auch andere Personen anwesend gewesen seien. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass Angehörige des öffentlichen Dienstes bestimmten Verhaltenspflichten unterworfen seien.

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte, dass bei der Bewertung verbaler Entgleisungen im Arbeitsverhältnis stets das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zu berücksichtigen sei, und dass die Vorwürfe des Beschwerdeführers in den Schutzbereich seines Rechts auf freie Meinungsäußerung gefallen seien. Dementsprechend habe das Gericht eine Abwägung zwischen diesem Recht und den geschützten Rechtsgütern, die beeinträchtigt worden seien, vorzunehmen.

Das Bundesarbeitsgericht vertrat die Auffassung, das Berufungsgericht habe bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen die Schwere der Vorwürfe des Beschwerdeführers und der Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Bürgermeisters nicht ausreichend gewichtet. Nach dem Strafgesetzbuch stelle die Rechtsbeugung ein Verbrechen dar, das mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werde. Im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung nach dieser Bestimmung würde ein beigeordneter Bürgermeister automatisch sein Amt verlieren. Das Verhalten eines Angehörigen des öffentlichen Dienstes sei an einem strengeren Maßstab zu messen als das eines Beschäftigten in der Privatwirtschaft. Insbesondere habe ein Angehöriger des öffentlichen Dienstes sich so verhalten, dass das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers nicht beeinträchtigt werde. Nach ihren Verhaltenspflichten seien Angehörige des öffentlichen Dienstes bei offener Kritik an Entscheidungen ihrer Vorgesetzten zu besonderer Zurückhaltung verpflichtet. Der öffentliche Vorwurf der Rechtsbeugung gegen einen Vorgesetzten, insbesondere wenn er unbegründet sei, stelle eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Vorgesetzten dar und bedeute regelmäßig eine Verletzung der Verhaltenspflichten.

Dementsprechend müsse das Landesarbeitsgericht bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen im Lichte des Rechts auf freie Meinungsäußerung prüfen, ob die Vorwürfe des Beschwerdeführers berechtigt gewesen seien oder nicht. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Vorwürfe im Rahmen einer Personalversammlung gefallen seien. Bei einem derartigen Anlass geäußerte Kritik dürfe zwar auch einmal überspitzt und polemisch ausfallen, ohne dass der Arbeitgeber berechtigt sei, daraus einen Kündigungsgrund herzuleiten, jedoch finde dieses Recht seine Begrenzung in der Pflicht, den Betriebsfrieden nicht zu stören. Zugunsten des Klägers sei zu berücksichtigen, dass es bei der Personalversammlung um den Wegfall seines Arbeitsgebiets gegangen und die Atmosphäre recht angespannt gewesen sei. Dies rechtfertige es jedoch nicht, völlig außer Acht zu lassen, dass der Vorwurf der Rechtsbeugung nicht das Thema der Personalversammlung betroffen habe, sondern einen mehrere Jahre zurückliegenden, vom Beschwerdeführer seit 1997 nicht mehr angesprochenen Einzelvorgang. Der Beschwerdeführer habe nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Oberbürgermeister über seine rechtlichen Bedenken gegen die Entscheidung des Beigeordneten zu informieren. Zum Zeitpunkt der Personalversammlung habe die Entscheidung bereits so lange zurückgelegen, dass der Versuch, diese noch in Frage zu stellen, aussichtslos habe erscheinen müssen. Folglich habe es den Anschein, als habe die Äußerung des Beschwerdeführers vielmehr darauf abgezielt, den Beigeordneten anzugreifen.

Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Äußerung in Anwesenheit von Personen gefallen sei, die nicht unbedingt zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen seien. Damit habe die Gefahr bestanden, dass die Vorwürfe des Beschwerdeführers über diesen engen Kreis hinaus einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangen könnten. Schließlich stellte das Bundesarbeitsgericht fest, dass die Äußerung des Beschwerdeführers im größeren Zusammenhang seines Verhaltens betrachtet werden müsse, und dass dieser den Konflikt durch den Inhalt seiner schriftlichen Stellungnahme weiter verschärft habe.

Am 16. November 2004 änderte das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts vom 24. Mai 2000 ab und wies die Klage des Beschwerdeführers zurück.

Das Landesarbeitsgericht vertrat die Auffassung, die Kündigung des Beschwerdeführers sei gerechtfertigt gewesen, da dieser den Beigeordneten mit der Äußerung bei der Personalversammlung und in seiner anschließenden schriftlichen Stellungnahme schwer beleidigt und ihm mit dem Vorwurf der Rechtsbeugung übel nachgeredet habe. Aufgrund einer umfassenden Überprüfung der Sach- und Rechtslage in den Jahren 1995/1996 kam das Landesarbeitsgericht zu dem Schluss, dass die damals von dem Beigeordneten getroffene Entscheidung rechtmäßig gewesen sei. Die schriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 17. Dezember 1998 zeige, dass er nicht bereit sei, legitim zustande gekommene Entscheidungen, soweit sie die Zweckentfremdung von Wohnraum durch Hausbesitzer beträfen, zu akzeptieren und umzusetzen. Die im Leserbrief enthaltenen Werturteile kämen keiner Beleidigung gleich. Allerdings könne vom Beigeordneten nicht erwartet werden, weiterhin täglich mit dem Beschwerdeführer zusammenzuarbeiten, nachdem er in diesem Brief als inkompetent beschrieben worden sei. Das Landesarbeitsgericht stellte ferner fest, der Beschwerdeführer habe seine Meinung während des Verfahrens nicht revidiert.

Darüber hinaus vertrat das Landesarbeitsgericht die Auffassung, dass dem Arbeitgeber kein milderes Mittel zur Verfügung gestanden habe. Insbesondere wären eine Abmahnung und eine Umsetzung des Beschwerdeführers auf einen anderen Arbeitsplatz nicht ausreichend gewesen. Das Gericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer derzeit in der Vergabestelle beschäftigt sei und nichts Nachteiliges über sein Verhalten vorgetragen worden sei. Dabei handele es sich um eine zeitweilige Beschäftigung, die der Beschwerdeführer in einem separaten Verfahren gerichtlich durchgesetzt habe. Der Beschwerdeführer habe seine Bereitschaft erklärt, auch einen minder eingruppierten Arbeitsplatz anzunehmen. Allerdings war das Landesarbeitsgericht der Auffassung, dass der Beschwerdeführer seine Einstellung nicht geändert hätte, wenn ihm nicht gekündigt worden wäre. Die Stadt habe Grund zu der Annahme gehabt, dass der Beschwerdeführer seine rechthaberische Haltung beibehalten hätte, wenn ihm nicht gekündigt worden wäre. Abschließend bemerkte das Landesarbeitsgericht, dass der Beschwerdeführer geringe Aussichten auf eine neue Arbeitsstelle habe. Trotzdem überwögen die Interessen des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Beschwerdeführers.

Am 15. März 2005 wies das Bundesarbeitsgericht die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision zurück.

Am 25. August 2010 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen.

Einschlägiges innerstaatliches Recht

Nach § 53 des Bundesangestelltentarifvertrags Ost beträgt die Kündigungsfrist für Angestellte im öffentlichen Dienst bei einer Beschäftigungszeit von mindestens fünf Jahren drei Monate.

Nach § 1 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht u. a. durch Gründe, die in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.

Nach § 339 des Strafgesetzbuchs wird ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft. Nach § 12 StGB sind rechtwidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind, Verbrechen.

Dokumente des Europarats

Der Muster-Verhaltenskodex für Amtsträger und Angehörige des öffentlichen Dienstes, der der Empfehlung Nr. R 10 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über Verhaltensregeln für Amtsträger und Angehörige des öffentlichen Dienstes als Anhang beigefügt ist, lautet, soweit maßgeblich, folgendermaßen:

Artikel 4

Angehörige des öffentlichen Dienstes erfüllen ihre Aufgaben im Einklang mit dem Gesetz und den rechtmäßigen Anweisungen und ethischen Normen, die für ihre Funktion gelten.
Angehörige des öffentlichen Dienstes verhalten sich politisch neutral und unternehmen nicht den Versuch, rechtmäßige Strategien, Entscheidungen oder Handlungen von Behörden zu behindern.

Artikel 5

Angehörige des öffentlichen Dienstes sind verpflichtet, ihrer rechtmäßig aufgebauten nationalen, lokalen oder regionalen Behörde loyal zu dienen.
Von den Angehörigen des öffentlichen Dienstes wird erwartet, dass sie ehrlich, unparteiisch und effizient sind und ihre Aufgaben, so gut sie es vermögen, kompetent, fair und verständig wahrnehmen, wobei sie nur das öffentliche Interesse und die relevanten Umstände der Sache im Blick haben.
Angehörige des öffentlichen Dienstes treten sowohl gegenüber den Bürgern, für die sie tätig sind, als auch gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Untergebenen höflich auf.

Der Beschwerdeführer rügte, dass seine Entlassung aus dem Dienst eine Verletzung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 der Konvention darstelle; dieser lautet, soweit maßgeblich, wie folgt:

“1. Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.
2. Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind... zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen...“

Die Regierung bestritt dieses Vorbringen.

Gründe:

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Individualbeschwerde nicht offensichtlich unbegründet im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention ist. Er stellt ferner fest, dass sie auch nicht aus anderen Gründen unzulässig ist. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer brachte vor, die Teilnahme an Personalversammlungen sei auf die Mitarbeiter des Wohnungsamts begrenzt und nach dem einschlägigen innerstaatlichen Recht nicht öffentlich, um die Mitarbeiter zu ermutigen, offen ihre Meinung kundzutun. Gewerkschaftsvertreter hätten die Möglichkeit zur Teilnahme, seien jedoch zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Personalversammlung sei daher das gesetzlich vorgesehene Forum, um interne Kritik zu äußern. Laut Beschwerdeführer habe sich der Inhalt der von ihm zum Ausdruck gebrachten Kritik einzig und allein auf die Arbeit bezogen. Sie sei nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, sondern er habe einen internen Missstand anprangern wollen.

Bezugnehmend auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts brachte der Beschwerdeführer vor, dass die Äußerung einer irrigen Rechtsansicht nach innerstaatlichem Recht nicht zu Sanktionen durch den Arbeitgeber führen dürfe. Er habe daher das Recht, sich über die Rechtswidrigkeit der von W. getroffenen Entscheidung zu äußern. Mit der Verwendung des Begriffs „Rechtsbeugung“ habe er zum Ausdruck bringen wollen, dass es sich um eine Form des Rechtsbruchs gehandelt habe, unabhängig davon, ob dieser vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt worden sei; keineswegs sei dies jedoch so zu verstehen gewesen, dass er W. vorwerfe, sein Handeln habe sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 339 StGB erfüllt.

Der Beschwerdeführer brachte ferner vor, die Entscheidung des W. in den Jahren 1995/96 habe auch in einem Bezug zu der Auflösung des Sachgebiets gestanden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Beigeordnete bereits angefangen, eine Strategie zu verfolgen, die die Rücknahme der Vorschriften über die Zweckentfremdung von Wohnraum im Blick gehabt habe.

Der Beschwerdeführer erachtet die Kündigung außerdem als unverhältnismäßig. Seine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, der nicht dem Beigeordneten W. unterstellt gewesen sei, hätte ausgereicht, um den Konflikt zu lösen. Die Landeshauptstadt beschäftige 2700 Mitarbeiter in sieben Ämtern, von denen jedes einem anderen Beigeordneten unterstellt sei. Es wäre daher möglich gewesen, den Beschwerdeführer weiterzubeschäftigen, ohne eine weitere Konfrontation mit W. zu riskieren. Zwischen 2002 und 2005 sei der Beschwerdeführer in einem anderen Bereich beschäftigt gewesen und habe sich als zuverlässiger Mitarbeiter erwiesen. Zudem sei der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Kündigung bereits XX Jahre alt gewesen. Seine Berufserfahrung sei auf dem Arbeitsmarkt nur von begrenztem Wert, er habe – mit Ausnahme der Beschäftigung von 2002 bis 2004 – keine Möglichkeit zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt gefunden und lebe von Arbeitslosengeld.

Das Vorbringen der Regierung

Die Regierung räumte ein, dass es einen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers nach Artikel 10 der Konvention gegeben habe, erachtete diesen jedoch als gerechtfertigt, da damit das legitime Ziel verfolgt worden sei, den guten Ruf oder die Rechte anderer zu schützen und die Verbreitung vertraulicher Informationen zu verhindern. Unter weitgehender Bezugnahme auf die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts und des anschließenden Urteils des Landesarbeitsgerichts vom 16. November 2004 betonte die Regierung, dass es dem Beschwerdeführer vorrangig darum gegangen sei, den Beigeordneten persönlich zu diffamieren. Sie argumentierte, der Beschwerdeführer könne den Begriff der „Beugung des Rechts“ nicht undifferenziert so verwenden wie dies vielleicht ein Laie täte, der nicht in einem juristischen Bereich arbeite.

Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer keinerlei Maßnahmen ergriffen, um den Konflikt in den Jahren 1995/96 zu lösen. Diese Angelegenheit sei für die Personalversammlung völlig unerheblich gewesen. Eine Personalversammlung sei jedenfalls nicht dazu da, die allgemeine Verwaltungspraxis der Behörde zu überwachen, sondern es könnten dort nur solche Belange thematisiert werden, die einen unmittelbaren Einfluss auf die Behörde oder deren Mitarbeiter hätten.

Die Regierung kam zu dem Schluss, für die Landeshauptstadt habe Grund zu der Annahme bestanden, dass nicht nur das persönliche Verhältnis des Beschwerdeführers zu dem Beigeordneten W. angespannt sei, sondern dass generell auch gegenüber künftigen Vorgesetzten oder gegenüber der Stadtverwaltung als Arbeitgeber nicht mehr von der Loyalität und Akzeptanz seitens des Beschwerdeführers ausgegangen werden könne.

Abschließend fügte die Regierung hinzu, dass eine mildere Maßnahme als die Kündigung des Beschwerdeführers nicht möglich gewesen sei und sein nicht zu beanstandendes Verhalten während der zeitweiligen Fortsetzung seiner Beschäftigung vermutlich nur der Tatsache geschuldet gewesen sei, dass man ihm gekündigt habe.

Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass der Schutz des Artikels 10 der Konvention für das Arbeitsleben im Allgemeinen und für den öffentlichen Dienst im Besonderen gilt. Dementsprechend gilt der Schutz des Artikels 10 auch für die Äußerungen des Beschwerdeführers in der Personalversammlung am 9. Dezember 1998. Daraus folgt, dass die Entlassung aus dem Dienst, die sich in erster Linie auf diese Äußerungen stützte, einen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung darstellte.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Entlassung aus dem Dienst auf § 53 des Tarifvertrags für Angestellte des öffentlichen Dienstes in Verbindung mit § 1 KSchG gestützt und daher im Sinne des Artikels 10 Absatz 2 der Konvention „gesetzlich vorgesehen“ war. Darüber hinaus verfolgte die Entlassung des Beschwerdeführers das legitime Ziel, die Ehre des Beigeordneten und das professionelle Arbeitsumfeld im Amt für Wohnungswesen und damit den guten Ruf und die Rechte anderer zu schützen.

Somit bleibt festzustellen, ob der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war.

Der Gerichtshof wiederholt die in seinen Urteilen zu Artikel 10 der Konvention dargelegten Grundsätze, die wie folgt zusammengefasst wurden :
„ Die Freiheit der Meinungsäußerung stellt eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft dar und ist eine der grundlegenden Bedingungen für den gesellschaftlichen Fortschritt und die Selbstverwirklichung des Einzelnen. Vorbehaltlich Artikel 10 Absatz 2 gilt sie nicht nur für ,Informationenʻ oder ,Ideenʻ, die positiv aufgenommen oder als unschädlich oder belanglos angesehen werden, sondern auch für solche, die beleidigen, schockieren oder verstören. Dies gebieten der Pluralismus, die Toleranz und die Aufgeschlossenheit, ohne die es eine demokratische Gesellschaft nicht geben kann. Wie in Artikel 10 dargelegt, unterliegt diese Freiheit Ausnahmen, die... jedoch eng auszulegen sind, und die Notwendigkeit einer Einschränkung ist überzeugend darzulegen...
Das Adjektiv ,notwendigʻ im Sinne des Artikels 10 Absatz 2 impliziert das Vorhandensein eines,dringenden gesellschaftlichen Bedürfnissesʻ. Die Vertragsstaaten haben einen gewissen Ermessensspielraum bei der Beurteilung, ob ein solches Bedürfnis gegeben ist, dieser geht jedoch Hand in Hand mit einer europäischen Überwachung, die sich sowohl auf die Gesetzgebung bezieht als auch auf die Entscheidungen, die sie anwenden, auch wenn sie von unabhängigen Gerichten getroffen wurden. Der Gerichtshof ist daher berechtigt, endgültig zu entscheiden, ob eine ,Einschränkungʻ mit der durch Artikel 10 garantierten Meinungsfreiheit vereinbar ist.
Aufgabe des Gerichtshof ist es jedoch nicht, sich bei der Ausübung seiner Überwachungsfunktion an die Stelle der nationalen Behörden zu setzen, er hat vielmehr die von ihnen im Rahmen ihres Ermessensspielraums getroffenen Entscheidungen nach Artikel 10 zu überprüfen. Das bedeutet nicht, dass die Überwachung sich darauf beschränkt, festzustellen, ob der beschwerdegegnerische Staat sein Ermessen in nachvollziehbarer Weise, umsichtig und in gutem Glauben ausgeübt hat; der Gerichtshof hat den gerügten Eingriff unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls zu betrachten und zu entscheiden, ob er in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel stand und ob die von den nationalen Behörden zur Rechtfertigung angeführten Gründe ,stichhaltig und ausreichendʻ sind.... Dabei muss der Gerichtshof sich davon überzeugen, dass die von den nationalen Behörden angelegten Maßstäbe mit den in Artikel 10 verankerten Grundsätzen vereinbar sind, und dass sie sich darüber hinaus auf eine vertretbare Beurteilung der maßgeblichen Tatsachen gestützt haben…”

Ferner weist der Gerichtshof erneut darauf hin, dass Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber gegenüber zu Loyalität, Zurückhaltung und Diskretion verpflichtet sind. Dies gilt insbesondere für den öffentlichen Dienst, da es in dessen Wesen liegt, dass seine Angehörigen einer Loyalitäts- und Diskretionspflicht unterliegen.

Darüber hinaus sollen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die auf ein strafbares oder rechtswidriges Verhalten am Arbeitsplatz aufmerksam machen, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs unter bestimmten Umständen Schutz genießen. Dies kann in solchen Fällen angebracht sein, in denen der betroffene Beschäftigte entweder die einzige Person oder aber Teil einer kleinen Gruppe von Personen ist, denen die Vorgänge am Arbeitsplatz bekannt sind, und er daher am ehesten in der Lage ist, im öffentlichen Interesse zu handeln, indem er den Arbeitgeber oder die Öffentlichkeit auf Missstände aufmerksam macht.

Die Aufgabe des Gerichtshof liegt daher darin, zu entscheiden, ob die gegen den Beschwerdeführer verhängte Sanktion bei Betrachtung der Gesamtumstände in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel stand und ob die von den nationalen Behörden zur Rechtfertigung vorgebrachten Gründe „stichhaltig und ausreichend“ waren. Er hat die Umstände der Rechtssache zu berücksichtigen, darunter unter anderem die Gründe des Beschwerdeführers, die ihn zu seiner Äußerung veranlasst haben, deren rechtliche und tatsächliche Grundlage, den genauen Wortlaut und dessen mögliche Auslegungen sowie die Auswirkungen auf den Arbeitgeber und die gegen den Beschwerdeführer verhängte Sanktion.

Hinsichtlich der Umstände des vorliegenden Falls stellt das Gericht bezüglich der Gründe des Beschwerdeführers fest, dass die Entscheidung des Beigeordneten zum Zeitpunkt der Personalversammlung bereits zwei Jahre zurückgelegen hatte. Außerdem hat der Beschwerdeführer seine Bedenken offenbar weder gegenüber dem Vorgesetzten des W. noch gegenüber den Strafverfolgungsbehörden geäußert. Der Beschwerdeführer sagt selbst, er habe sich nicht an die Öffentlichkeit wenden wollen. Die Angelegenheit hatte auch keinen unmittelbaren Bezug zu einem Tagesordnungspunkt der Personalversammlung.

Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass die Äußerung des Beschwerdeführers nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht darauf abzielte, eine untragbare Situation innerhalb des Amts für Wohnungswesen aufzudecken, sondern eher auf persönlichen Vorbehalten des Beschwerdeführers gegen den Beigeordneten beruhte, die in der Aussicht auf die bevorstehende Auflösung seines Sachgebiets begründet waren. Der vorliegende Fall ist daher von Fällen des sogenannten Whistleblowing zu unterscheiden, in denen ein Beschäftigter Strafanzeige erstattet, um auf ein vermeintliches rechtswidriges Verhalten aufmerksam zu machen, wofür Artikel 10 der Konvention besonderen Schutz gewährt.

Der Gerichtshof weist überdies darauf hin, dass das Landesarbeitsgericht nach eingehender Untersuchung der rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen, die zur Zeit der Erteilung der angegriffenen Abrissgenehmigung vorlagen, zu dem Ergebnis kam, die von dem Beigeordneten getroffene Entscheidung sei rechtmäßig gewesen und der Vorwurf der Rechtsbeugung durch den Beschwerdeführer unbegründet. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass der Beschwerdeführer als langjähriger Leiter des Sachgebiets Zweckentfremdung von Wohnraum mit dem rechtlichen Hintergrund gut vertraut gewesen sein muss. Daher ist der Gerichtshof nicht davon überzeugt, dass er der Verpflichtung zur sorgfältigen Prüfung, ob sein Vorwurf richtig war, nachgekommen ist.

Zu der Behauptung des Beschwerdeführers, er habe den Begriff „Rechtsbeugung“ eher im umgangssprachlichen Sinne verwendet und damit lediglich ausdrücken wollen, dass die betreffende Handlung in den Jahren 1995/96 rechtswidrig gewesen sei, ohne jedoch Herrn W. eine strafrechtlich relevante Absicht unterstellen zu wollen, verweist der Gerichtshof darauf, dass das Bundesarbeitsgericht befunden hat, der Beschwerdeführer sei als Sachgebietsleiter einer Behörde mit rechtlichen Fragen befasst gewesen und daher im Umgang mit juristischen Angelegenheiten versierter als der Durchschnittsbürger. Die Annahme, dass ihm die rechtliche Tragweite des Begriffs „Rechtsbeugung“ bewusst gewesen sein muss, ist daher nicht unbegründet, insbesondere, dass es sich dabei um den vorsätzlichen Missbrauch eines öffentlichen Amts handelt, der nach § 339 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft wird und damit nach innerstaatlichem Recht als Verbrechen gilt. Der Gerichtshof erachtet den unbegründeten Vorwurf eines schweren Verbrechens eher als diffamierende Anschuldigung denn als Kritik im Interesse der Allgemeinheit und merkt an, dass das Landesarbeitsgericht in seinem Urteil von 2004 festgestellt hat, dass der Beschwerdeführer den Vorwurf, W. habe dieses Verbrechen begangen, nie zurückgenommen hat.

Der Gerichtshof stellt weiterhin fest, dass dem Beschwerdeführer die Gelegenheit gegeben worden war, seine Behauptungen zu untermauern, und dass er seine Vorwürfe mehr als eine Woche nach der Personalversammlung in schriftlicher Form wiederholt und dabei den Begriff „Rechtsbeugung“ mehrfach in Fettdruck verwendet hatte. Folglich war die Kündigung nicht nur auf die spontane Äußerung des Beschwerdeführers in der Versammlung gestützt, sondern auch auf eine schriftliche Aussage, die er vorgelegt hatte, nachdem ihm Zeit gegeben worden war, über die Auswirkungen seiner Vorwürfe nachzudenken. Sollte er also Zweifel hinsichtlich der juristischen Bedeutung des Begriffs „Rechtsbeugung“ gehabt haben, so hatte er nach der Personalversammlung Gelegenheit, sich darüber zu informieren.

Was den von der Behörde erlittenen Schaden anbelangt, befanden die innerstaatlichen Gerichte, dass die Anschuldigungen des Beschwerdeführers aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur das Ansehen des Beigeordneten schädigen, sondern auch das Betriebsklima innerhalb des Amts für Wohnungswesen in schwerwiegender Weise beeinträchtigen würden, indem sie die Autorität des Beigeordneten untergraben würden. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Vorwürfe nicht öffentlich, sondern während einer Personalversammlung erhoben wurden. Er verweist jedoch auch darauf, dass das Bundesarbeitsgericht bei der Beurteilung der Auswirkungen der Äußerung des Beschwerdeführers berücksichtigt hat, dass nicht alle Personen, die bei der Personalversammlung anwesend waren, Mitarbeiter der Behörde waren und damit die Gefahr bestand, dass die Vorwürfe des Beschwerdeführers einer breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis gelangen. Der Gerichtshof erkennt an, dass dies die möglichen Auswirkungen der Vorwürfe noch verschärfte, ebenso wie die Tatsache, dass es sich bei der betreffenden Straftat um ein Verbrechen handelt und somit der Angriff auf das Ansehen von Herrn W. noch schwerer wog. Aus diesen Gründen ist dieser Fall vom Fall Rubin./. Lettland zu unterscheiden, in dem die innerstaatlichen Gerichte nicht zu dem Schluss gekommen waren, es seien Beleidigungen geäußert worden und der Beschwerdeführer seine Vorwürfe auf von den beteiligten Parteien unbestrittene Tatsachen gestützt hatte.

Der Gerichtshof weist außerdem darauf hin, dass der Beschwerdeführer nicht im Zusammenhang mit einem laufenden Arbeitskampf gehandelt hatte und in seinem Vorbringen keine gewerkschaftlichen Aktivitäten erwähnt hat oder geltend gemacht hat, selbst ein Gewerkschaftsvertreter zu sein.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Kündigung des Beschwerdeführers die härteste arbeitsrechtlich mögliche Sanktion war. Er weist außerdem darauf hin, dass das Landesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 16. November 2004 die Ansicht vertrat, das nicht zu beanstandende Verhalten des Beschwerdeführers an einem anderen Arbeitsplatz der Landeshauptstadt sei vermutlich auf die Kündigung und das laufende Verfahren zurückzuführen. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass das Landesarbeitsgericht anerkannt hat, dass es für den Beschwerdeführer schwierig sei, im Alter von XX Jahren einen neuen Arbeitsplatz zu finden, die Kündigung aber dennoch als notwendig erachtete, da das Verhalten des Beschwerdeführers – auch während der Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten – gezeigt habe, dass der Beschwerdeführer sehr dazu neige, das Verhalten des Beigeordneten in Anwesenheit anderer Mitarbeiter oder in der Öffentlichkeit zu kritisieren. Die Ansicht des Gerichts, dass die Stadt mit Recht befürchte, der Beschwerdeführer werde im Falle seiner Wiederaufnahme in den Dienst zu seinem früheren Verhalten zurückkehren, ist unter Berücksichtigung weiterer Faktoren wie der schriftlichen Stellungnahme des Beschwerdeführers und seines Leserbriefs nicht unbegründet und daher mit der Konvention vereinbar.

Gestützt auf die oben ausgeführten Erwägungen und insbesondere die Tatsache, dass sowohl das Bundesarbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht in seinem anschließenden Urteil den Fall im Lichte des Rechts des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung sorgfältig geprüft haben, erachtet der Gerichtshof die Begründung der innerstaatlichen Gerichte für ihre Entscheidung, dass das Recht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung nicht schwerer wiege als das Interesse des öffentlichen Arbeitgebers an seiner Entlassung, als stichhaltig und ausreichend.

Die Kündigung ist daher nicht als unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung zu erachten. Der Gerichtshof kommt daher zu dem Schluss, dass keine Verletzung des Artikels 10 der Konvention vorgelegen hat.

Aus diesen Gründen entschied der Gerichtshof einstimmig:

die Individualbeschwerde wird für zulässig erklärt;
Artikel 10 der Konvention ist nicht verletzt worden.

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02/03/2012 15:50

Urlaubsanspruch auch ohne Arbeit- EuGH-Urteil vom 24.01.2012 - Az: C-282/10
06/09/2019 12:00

Im Auftrag der Senatsverwaltung wurde nun ein Rechtsgutachten erstellt, welches belegen soll, dass das Berliner Neutralitätsgesetz sowohl mit dem Grundgesetz als auch mit europarechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Lehrerinnen sollen weiterhin keine Kopftücher tragen dürfen – BSP Rechtsanwälte – Anwalt für Verwaltungsrecht Berlin
03/09/2020 08:42

Der Artikel artikel/bsp/verfassungsrecht-kontroverse-um-den-begriff-rasse-in-art-3-gg zeigt bereits, dass Diskriminierungen ein hoch aktuelles Thema sind. Nun ist der Schutz nicht nur auf grundrechtlicher Ebene wichtig, denn auch in der Arbeitswelt
Artikel zu Antidiskriminierung und Arbeitsrecht

Annotations

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.

(2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.

(3) Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht.

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.