Kündigungsrecht: Pflichten des Arbeitgebers bei der Verdachtskündigung
Danach ist dieser zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Er darf nicht nur Fakten zulasten des Arbeitnehmers zusammentragen. Er muss auch prüfen, ob es entlastende Fakten gibt, die gegen den Verdacht einer strafbaren Handlung sprechen. Bestehen verschiedene Möglichkeiten, mit denen ein ausgewiesener Differenzbetrag erklärt werden kann, kann nicht einseitig zulasten des Arbeitnehmers davon ausgegangen werden, er habe sich den Betrag durch eine strafbare Handlung angeeignet (LAG Schleswig-Holstein, 3 Sa 208/12).
Die Entscheidung im Einzelnen lautet:
LAG Schleswig-Holstein Urteil vom 19.06.2013 (Az: 3 Sa 208/12)
Vor Ausspruch einer Verdachtskündigung ist der Arbeitgeber zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Dabei darf er nicht nur Fakten zulasten des Arbeitnehmers zusammentragen. Er muss auch prüfen, ob es entlastende Fakten gibt, die gegen den Verdacht einer strafbaren Handlung sprechen.
Bestehen verschiedene Möglichkeiten, mit denen ein ausgewiesener Differenzbetrag erklärt werden kann, kann nicht einseitig zulasten des Arbeitnehmers davon ausgegangen werden, er habe sich den Betrag durch eine strafbare Handlung angeeignet.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 18.04.2012 - 1 Ca 928 b/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren nur noch um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung mit dem Vorwurf der Unterschlagung von Geldbeträgen.
Der am ... 1949 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 03.08.1983 als Servicetechniker mit einem monatlichen Verdienst in Höhe von zuletzt 2.200,00 € brutto beschäftigt. Er füllt und entleert Spielautomaten mit Geldbeträgen in 5-stelliger Höhe und behebt auch Störungen.
Die Beklagte beschäftigt zirka 40 Arbeitnehmer.
Anfang 2011 führte die Beklagte eine neue Gerätegeneration ein. Danach führte sie ca. im März 2011 eine „Erhebung über den Wissensstand“ durch. Diese Erhebung ist u. a. beim Kläger schlecht ausgefallen. Seit Anfang Mai 2011 legte die Beklagte dem Kläger wiederholt den Abschluss eines Aufhebungsvertrages nahe.
Mit Schreiben vom 25.07.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 29.02.2012. Am selben Tage schlossen die Parteien einen Abwicklungsvertrag (Blatt 6 ff. der Akte). Danach sollte das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung aus betrieblichen Gründen mit Ablauf des 29.02.2012 enden, der Kläger ab dem 01.11.2011 freigestellt werden und eine Abfindung in Höhe von 10.000 € brutto erhalten.
Drei Tage später, am 28.07.2011, konfrontierte die Beklagte den Kläger mit dem Vorwurf, er habe am 27.06.2011 anlässlich der Befüllung eines Gerätes bei einem Kunden in H.-N. 203,80 € unterschlagen. Der Kläger erwiderte darauf sinngemäß, dann sei er wohl vor Ort durcheinander gekommen und habe deswegen anscheinend weniger aufgefüllt und dem Kunden wohl zu viel ausgezahlt. Er habe wohl Mist gemacht. Im Zweifel zahle er das. Die genaue Formulierung ist streitig.
Am 5.8.2011 ließ die Beklagte überprüfen, ob der Geldbetrag vom Kläger an sie erstattet worden ist. Das war nicht der Fall. Mit Schreiben vom 09.08.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Nach dem Kündigungsschreiben stützt sie diese Kündigung auf das Fehlen von rund 200,00 Euro, die unterbliebene Einzahlung in die Firmenkasse und eine demotivierende Äußerung gegenüber der Mitarbeiterin W. (Anl. K3, Bl. 9 d. A.).
Der Kläger hat behauptet, er habe kein Geld unterschlagen. Wenn es denn überhaupt tatsächlich fehle, dann sei dieses auf einen Auszahlungsfehler zurückzuführen, der im Zusammenhang mit der Bewältigung einer nachhaltigen Störung des Spielgerätes am 27.6.2011 aufgetreten sein müsse.
Das Arbeitsgericht hat der am 15.08.2011 eingegangenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, die Beklagte habe bereits keinen dringenden Verdacht einer Unterschlagung dargelegt. Auch habe sie eine weitere Sachverhaltsaufklärung unterlassen. Jedenfalls sei auch ein Auszahlungsfehler nicht weniger wahrscheinlich. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Neumünster vom 18.04.2012 verwiesen.
Gegen diese der Beklagten am 04.06.2012 zugestellte Entscheidung hat sie am 27.06.2012 Berufung eingelegt, die innerhalb der verlängerten Frist begründet wurde.
Die Beklagte ergänzt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Grund für die fristlose Kündigung sei der dringende Verdacht der Unterschlagung gewesen. Der Kläger habe ausweislich des Beleges für die Röhrenfüllung (Blatt 64 der Akte) bestätigt, 2.500 € in Münzen in das betreffende Gerät eingefüllt zu haben. Die Auslesung des Datenstreifens habe allerdings ergeben, dass der Kläger lediglich 2.296,20 € eingefüllt habe. Am 28.07.2011 habe der Kläger schließlich zugegeben, „Mist gemacht“ zu haben und zugesagt, das fehlende Geld in die Hauptkasse bar einzuzahlen. Dies sei aber in der Folgezeit nicht geschehen. Der Kläger versuche nun zu suggerieren, die fehlerhafte Befüllung sei durch eine Überlastungssituation entstanden. Das Vorbringen des Klägers sei eine reine Schutzbehauptung und auch nicht glaubhaft. Der Kläger habe jahrelange Berufserfahrung. Ihr sei nicht bekannt, dass das Gerät Störungen gehabt hätte. Angesichts der Funktionsweise des Gerätes sei es auch nicht erklärlich, dass der Kläger mit den Beträgen, die eingefüllt oder ausgeworfen worden seien, durcheinandergeraten sei. Auf der üblichen Maske des Spielgerätes bei eingeschaltetem Spielbetrieb sei der Betrag, der sich im Geldspeicher befinde, für jedermann unzweifelhaft nachzulesen. Vor diesem Hintergrund sei ein Irrtum des Klägers über den Einfüllbetrag höchst unwahrscheinlich. Zudem habe er schließlich eingeräumt, „Mist gemacht“ zu haben. Damit habe er eine Unterschlagung eingestanden. Die Beklagte habe auch keinerlei Veranlassung für weitere Ermittlungen gehabt, da der Kläger erstmals im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens Näheres zu einer Konfliktsituation mit einem Kunden und dem Imbissverkäufer sowie zum Defekt des Geldspielgerätes vorgebracht habe.
Darüber hinaus habe der Kläger entgegen seiner Ankündigung den Differenzbetrag von 203,80 Euro nicht zeitnah zurückgezahlt. Auch habe das Arbeitsgericht nicht gewürdigt, dass er am 04.08.2011 die Mitarbeiterin W. demotiviert habe mit den Worten: „Du wirst wohl die nächste sein. Deine Tage sind auch gezählt.“ Die Gesamtschau aller Vorwürfe rechtfertige die außerordentliche fristlose Kündigung.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 18.04.2012 - 1 Ca 928 b/11 - abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Er trägt vor, das Gerät habe nachhaltige Störungen gehabt. Bei seiner Ankunft sei es ausgeschaltet gewesen. Gleich beim Einschalten habe es angefangen, Zwei-Euro-Stücke in hohem Tempo auszuzahlen. Erst nach 2 Minuten sei auf dem Bildschirm die Summe sichtbar gewesen. Das Gerät habe weiterhin Zwei-Euro-Stücke ausgezahlt. Er habe sich bemüht, die Summe zu zählen. Sodann habe sich insgesamt die Situation in dem Imbiss zugespitzt. Der Imbissbetreiber habe darauf aufmerksam gemacht, dass sein Kunde noch 1.870 € aus dem Gerät bekommen sollte. Der Kunde habe massiv sein Geld verlangt. Währenddessen sei er damit beschäftigt gewesen, auf einem kleinen Bistrotisch die Zwei-Euro-Stücke zu zählen. Die Summe habe mit dem gewünschten Auszahlungsbetrag nicht übereingestimmt. Die Uhr auf dem Gerät habe zirka 1.200 € angezeigt. Da habe der Betreiber des Imbisses einen Sack voller Geld geholt und ihn auf den Bistrotisch geknallt. Er habe auch diese Summe zählen und parallel das Gerät befüllen müssen. Sobald von ihm 100,00 € eingeworfen worden seien, habe sich das Gerät ausgeschaltet und sofort wieder eingeschaltet, um gleich danach mit dem Auszahlen von Zwei-Euro-Stücken weiterzumachen. Dieser Vorgang habe sich mehrfach wiederholt. Parallel dazu habe der Imbissbetreiber noch Geld haben wollen, mit dem er das Gerät zuvor selbst befüllt habe. Er habe dann gegen Quittungen Auszahlungen vorgenommen. Der ganze Vorgang habe etwa gute 3 Stunden gedauert. Er könne jedoch nicht ausschließen, dass ihm in der geschilderten chaotischen Situation ein Fehler unterlaufen sei. Deshalb habe er die Rückzahlung angeboten und gesagt, die Beklagte solle den Betrag ggf. vom Gehalt abziehen. Jedenfalls habe er sich nichts angeeignet.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgebrachten Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgereicht eingereicht und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 09.08.2011 hat das Beschäftigungsverhältnis nicht aufgelöst, da ein wichtiger Grund, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte, nicht vorliegt. Mit ausführlicher, überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben und insbesondere darauf abgestellt, dass kein dringender Tatverdacht feststellbar sei, dass sich der Kläger einen Betrag in Höhe von rund 200,00 Euro anlässlich der Befüllung eines Spielautomaten am 27.06.2011 angeeignet hat. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Lediglich ergänzend und auch auf den neuen Vortrag der Parteien eingehend, wird Folgendes ausgeführt:
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht.
Dem Sinn und Zweck des wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses entspricht es, dass auch bei einem abstrakt durchaus erheblichen Verhalten doch noch in jedem konkreten Einzelfall eine Abwägung aller für und gegen die Lösung des Arbeitsverhältnisses sprechenden Gründe erfolgt. Bei der Prüfung des wichtigen Grundes kommt es nicht darauf an, wie ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich zu würdigen ist, sondern darauf, ob der Gesamtsachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Zweck einer Kündigung wegen einer Vertragsverletzung darf regelmäßig nicht die Sanktion einer Vertragsverletzung sein. Die Kündigung dient der Vermeidung des Risikos weiterer Vertragsverletzungen. Das ist unter dem Gesichtspunkt der negativen Zukunftsprognose zu betrachten. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes trägt der Arbeitgeber.
Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung und Einzelfallprüfung sind alle für das jeweilige Vertragsverhältnis in Betracht kommenden Gesichtspunkte zu bewerten. Dazu gehören u. a. das gegebene Maß der Beschädigung des Vertrauens, das Interesse an der korrekten Handhabung von Geschäftsanweisungen, das vom Arbeitnehmer in der Zeit seiner unbeanstandeten Beschäftigung erworbene „Vertrauenskapital“ ebenso wie ggf. die wirtschaftlichen Folgen des Vertragsverstoßes. Ferner können das Bestehen einer Wiederholungsgefahr, das Maß der dem Arbeitgeber entstandenen Schädigung und auch die Frage in Betracht kommen, ob dem Verhalten des Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit innewohnt. Eine abschließende Aufzählung ist nicht möglich. Insgesamt muss sich die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses als angemessene Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung erweisen. Unter Umständen kann auch eine Abmahnung als milderes Mittel zur Wiederherstellung des für die Fortsetzung des Vertrages notwendigen Vertrauens ausreichen, um einen künftig wieder störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken.
Grundsätzlich kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer sein. Eine Verdachtskündigung liegt dann vor, wenn und sobald der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Bei der Verdachtskündigung sind objektive Tatsachen, die für den Verlust des zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendigen Vertrauens ursächlich sind, der Kündigungsgrund. § 626 Abs. 1 BGB lässt im Fall des Verdachts einer Straftat eine außerordentliche Kündigung dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen; wenn die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geforderte Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss objektiv durch bestimmte, im Zeitpunkt der Kündigung vorliegende (Indiz-)Tatsachen begründet sein. Der Verdacht muss sich aus Umständen ergeben, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Er muss darüber hinaus schwerwiegend sein. Es ist zu prüfen, ob eine große Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der gekündigte Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die außerordentliche Kündigung der Beklagten unwirksam. Die gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe rechtfertigen eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht. Unter Berücksichtigung der konkreten Einzelfallsituation ist dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist zumutbar.
Die von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen begründen auch nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht den hinreichend dringenden Tatverdacht bzw. eine hinreichend große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger tatsächlich Geld unterschlagen hat. Es bestehen diverse verschiedene Möglichkeiten, mit denen die Differenz zwischen den Eintragungen auf dem vom Kläger ausgefüllten Gerätebeleg und dem Datenstreifen des Gerätes erklärt werden kann.
Es besteht die nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit, dass der Geldbetrag gar nicht fehlt. Der Kläger hat das Bestehen eines Fehlbetrages bestritten. Die Beklagte hat einen Fehlbetrag nur auf Basis von zwei Dokumenten „errechnet“. Diese Berechnung erfolgte auch noch beliebig, denn der von der Beklagten genannte Fehlbetrag stimmt nicht mit den Angaben auf dem Datenträger überein. Die Beklagte hat den tatsächlichen Geldbestand in dem Spielautomaten nicht nachgezählt. Es ist daher bereits nicht zwingend davon auszugehen, dass der Beklagten überhaupt Geld fehlt.
Hierzu wäre die Beklagte jedoch verpflichtet gewesen. Das gilt auch dann, wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, dass der Kläger in dem Anhörungsgespräch keine näheren Angaben dazu gemacht hat, warum er vor Ort durcheinander gekommen ist. Die Beklagte hat vorgetragen, ihr sei nicht bekannt, dass das Gerät Störungen gehabt habe. Der von der Beklagten ausgewertete Datenträger (Anlage K 5) weist für den 27.06.2011 diverse Error-Meldungen aus. Das springt sofort ins Auge. Hierüber setzt sich die Beklagte schlicht hinweg. Allein schon aufgrund dieser Fallkonstellation kann sie sich nicht darauf berufen, ihr sei von Störungen nichts bekannt. Die Beklagte ignoriert die Error-Meldungen und geht einseitig zulasten des Klägers davon aus, dass sie nichts zu bedeuten haben. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass das Gerät nachhaltige Störungen hatte. Ebenso wenig ist auszuschließen, dass diese Störungen zu fehlerhaften Anzeigen und Aufzeichnungen geführt haben. Letztendlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger tatsächlich aufgrund dieser Error-Vorgänge nachhaltig durcheinandergeraten ist, weil er mit dem Stress nicht mehr klar kam. Damit hat die Beklagte aber nicht alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, wozu sie jedoch bei einer Verdachtskündigung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung verpflichtet ist. Sie ist nicht mit dem Maßstab eines besonnenen, verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgebers vorgegangen. Im Gegenteil, sie hat auf dem Datenträger ausgewiesene Fakten zulasten des Klägers schlicht ausgeblendet.
Der Kläger hat vorgetragen, dass das gestörte Gerät den Füllbestand nicht korrekt ausgewiesen habe und die Zähluhr sich im Zusammenhang mit dem mehrfachen Ein- und Ausschalten des Gerätes wiederholt erst verspätet betätigt habe, obgleich es schon Zwei-Euro-Stücke in hohem Tempo ausgezahlt habe. Die Beklagte hat das bestritten und den „Normalfall“ geschildert. Das ist unzureichend. Der Kläger hat sich auf den „Ausnahmefall“ berufen. Die Beklagte ist darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen des Kündigungsgrundes. Sie hätte daher vortragen und beweisen müssen, dass kein Ausnahmefall vorlag.
Die Beklagte ordnet das Vorbringen des Klägers schlicht als Schutzbehauptung ein und stützt sich auf seine Äußerung in dem Gespräch vom 28.7.2011 „da habe er wohl Mist gemacht“. Hieraus leitet sie ab, der Kläger habe eine Unterschlagung eingeräumt. Jedenfalls habe man das so verstehen müssen und dürfen. Nach der Überzeugung der Kammer ist dieser Satz keineswegs zwingend dahingehend zu verstehen, dass der Kläger mit seiner unstreitigen Äußerung eine Unterschlagung einräumen wollte. Er ist vom Horizont eines besonnenen Arbeitgebers vielmehr dahingehend zu verstehen, dass ein möglicher Fehler eingeräumt wurde. Anhaltspunkte für das Eingestehen einer Zueignung des Betrages ergeben sich hieraus auch nicht ansatzweise. Gleiches gilt ebenso für das Angebot des Klägers, den Betrag ggf. erstatten zu wollen. Es gibt eine Vielzahl von Fallkonstellationen, in denen Arbeitnehmer Beträge an ihren Arbeitgeber erstatten, obwohl sie diese nicht schulden. Dem Kläger war in den letzten Monaten vor Ausspruch der Kündigung diverse Male der Abschluss eines Aufhebungsvertrages nahegelegt worden. Von ihm war erst drei Tage vor dem Gespräch, nämlich bei Abschluss des Abwicklungsvertrages, absolutes Wohlverhalten während des Laufs der Kündigungsfrist verlangt worden, damit er die Abfindung erhalte.
Das Arbeitsgericht hat im Rahmen der Würdigung des Sachverhaltes auch zutreffend zulasten der Beklagten festgestellt, dass diese es unterlassen hat, den Imbissbetreiber zu befragen. Hierzu wäre sie jedoch verpflichtet gewesen, denn ein besonnener Arbeitgeber darf im Rahmen der notwendigen Sachverhaltsaufklärung vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nicht nur die Fakten zulasten des Arbeitnehmers zusammentragen, muss vielmehr auch überprüfen, ob es entlastende Fakten gibt, die gegen den Verdacht sprechen. Das gilt gerade angesichts der unstreitig dokumentierten Error-Meldungen des Spielgerätes.
Letzten Endes fehlen auch jegliche Anhaltspunkte für das notwendige Vorliegen einer Zueignungsabsicht des Klägers. Auch hierauf hat das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen.
Bereits vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund kann nicht vom Vorliegen eines dringenden Verdachtes für das Vorliegen eines strafbaren Verhaltens des Klägers ausgegangen werden. Es gibt hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Differenz auf den beiden von der Beklagten ausgewerteten Belegen auf einem anderen Sachverhalt als einem Eigentumsdelikt beruhen kann. Dann aber fehlt der dringende Tatverdacht. Auf Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte der Kündigung unter Berücksichtigung des langjährigen Bestehens des Arbeitsverhältnisses war deshalb vorliegend nicht mehr einzugehen.
Die außerordentliche Kündigung ist auch nicht bei einer Gesamtschau aller Vorwürfe gerechtfertigt. Dass der Kläger die 200,00 Euro nicht zurückgezahlt hat, stellt keinen Grund für die außerordentliche fristlose Kündigung des 28 Jahre lang bestehenden Arbeitsverhältnisses dar. Es kann dahinstehen, ob der Kläger die Einzahlung bedingungslos zugesagt hat oder wie die Parteien in Bezug auf eine Rückzahlung verblieben sind. Es steht noch nicht einmal fest, ob der Beklagten der Betrag tatsächlich fehlt. Zudem ist ein Arbeitnehmer nicht per se verpflichtet, etwaige Mankobeträge auszugleichen. Selbst wenn eine Zahlungspflicht bestanden hätte, rechtfertigt die Nichterfüllung einer solchen Pflicht nicht die außerordentliche fristlose Kündigung des 28 Jahre lang bestehenden Arbeitsverhältnisses. Eine derartige Reaktion ist unverhältnismäßig.
Auch die Äußerung des Klägers zu Frau W. stellt keine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Es existiert Meinungsfreiheit. Eine Meinung darf auch geäußert werden. Abgesehen davon gibt es mildere Mittel, wie Ermahnungen, Abmahnungen etc., auf die zunächst zurückgegriffen werden muss, bevor ein Arbeitsverhältnis gekündigt werden kann. Letztere liegen unstreitig nicht vor, müssten zudem einschlägig sein.
Aus den genannten Gründen ist der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben worden. Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.
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Annotations
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.