Bundesarbeitsgericht Urteil, 22. Feb. 2012 - 5 AZR 232/11 (F)

bei uns veröffentlicht am22.02.2012

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 9. Oktober 2008 - 20 Sa 1736/07 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten nach Aufnahme des Revisionsverfahrens über die Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle.

2

Die Klägerin war bei der W GmbH & Co. KG (frühere Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte, im Folgenden nur: Schuldnerin), einem Unternehmen der Elektroindustrie, beschäftigt. Sie ist Mitglied der IG-Metall. Im Arbeitsvertrag vereinbarten die Klägerin und die Schuldnerin ua.:

        

„1.     

Frau S,

                 

wird als kaufmännische Angestellte

                 

eingestellt.

                 

Das Anstellungsverhältnis hat am 16. März 1987 begonnen. ...

        

2.    

Als Vergütung erhält Frau S

                 

Gehalt gem. Gehaltsgruppe K 2

DM    

                 

Freiwillige übertarifliche Zulage

DM    

                 

Bruttomonatsgehalt

DM 3.450,--

        

Bei der übertariflichen Zulage handelt es sich um eine freiwillige, jederzeit widerrufliche Leistung, auf die auch bei wiederholter Gewährung kein Rechtsanspruch für die Zukunft besteht. Diese Leistung kann auch jederzeit ganz oder teilweise anläßlich von tariflichen Höher-, Herab- oder Umgruppierungen angerechnet werden.

        

...     

        

Sonstige in diesem Vertrag nicht vereinbarte Leistungen des Arbeitgebers an den Angestellten sind freiwillig und jederzeit widerruflich. Auch wenn der Arbeitgeber sie mehrmals und regelmäßig erbringen sollte, erwirbt der Angestellte dadurch keinen Rechtsanspruch für die Zukunft.

        

...     

        

14.     

Im übrigen gelten die Bestimmungen der Tarifverträge der Eisen-, Metall und Elektroindustrie des Landes Hessen in der jeweils gültigen Fassung.“

3

Die Schuldnerin war (Voll-)Mitglied des Arbeitgeberverbands der Hessischen Metallindustrie, bis sie im Juni 2003 in eine OT-Mitgliedschaft wechselte. Zu diesem Zeitpunkt betrug das tarifliche Grundgehalt in der Gehaltsgruppe K 2, in die die Klägerin damals eingruppiert war, 2.171,00 Euro brutto. Im Zeitraum Dezember 2006 bis April 2007 erhielt die Klägerin darüber hinaus monatlich 43,40 Euro brutto und im Mai und Juni 2007 79,00 Euro brutto, die in den Abrechnungen als übertarifliche Zulage bezeichnet waren.

4

§ 3 des Gehaltsrahmentarifvertrags für die Angestellten in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom 15. Januar 1982 idF vom 6. Mai 1990 (GRTV) sieht Leistungszulagen vor und bestimmt unter Abschn. I:

        

„1.     

Die Tätigkeit von Angestellten wird mit dem tariflichen Grundgehalt bezahlt.

                 

Die Festsetzung des Tarifgehaltes erfolgt aufgrund der am Arbeitsplatz gestellten Anforderungen und der sich daraus ergebenden tariflichen Einstufung.

        

2.    

Angestellte haben je nach Beurteilung ihrer Leistung einen Rechtsanspruch auf eine Leistungszulage zu ihrem tariflichen Grundgehalt.

                 

Die Leistungszulagen aller Tarifangestellten müssen im Betriebsdurchschnitt mindestens 10 % der Summe der tariflichen Grundgehälter betragen.

                 

...     

                 

Bei Neueinstellungen erfolgt die Beurteilung der Leistung und die Festlegung der Leistungszulage spätestens bis zum Ablauf einer Tätigkeitszeit von 3 Monaten. Bis zu diesem Zeitpunkt bleiben diese Angestellten bei der Ermittlung des Betriebsdurchschnitts der Leistungszulagen unberücksichtigt.

        

3.    

Leistungszulagen bleiben auch nach Aufrücken in eine höhere Altersstufe bestehen. Beim Aufrücken in eine höher bewertete Tätigkeitsgruppe können sie entfallen oder neu festgesetzt werden.“

5

§ 3 Abschn. II GRTV enthält ein Beurteilungsschema und ordnet an, dass bei der Beurteilung der persönlichen Leistung von diesem Beurteilungsschema auszugehen ist. Außerdem heißt es dort unter Nr. 4:

        

„Die relative Höhe der Leistungszulagen ist nicht abhängig von der Gehaltsgruppe des Angestellten.“

6

Zu dem tariflichen Beurteilungsschema regelt § 3 Abschn. III GRTV weiter:

        

„1.     

Zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ist in einer Betriebsvereinbarung zu dem vorgenannten Beurteilungsschema folgendes festzulegen:

        

a)    

die Gesamtpunktzahl und ihre Verteilung auf die Grundmerkmale (Gewichtung)

        

b)    

ggf. die Funktionsbereiche, die mit unterschiedlichen Gewichtungen versehen werden können und

        

c)    

die Kündigungsfrist der Betriebsvereinbarung.

        

Durch die Kündigung der Betriebsvereinbarung bleiben im Einzelarbeitsvertrag ausgewiesene Leistungszulagen unberührt.

        

2.    

Wird über Ziffer 1 keine Einigung erzielt, so sind auf Antrag des Arbeitgebers oder des Betriebsrates die Tarifvertragsparteien mit dem Ziel einer Vermittlung hinzuzuziehen.

                 

Kommt es dabei zu keiner Einigung, so entscheidet die Einigungsstelle gemäß Betriebsverfassungsgesetz.

        

...     

        
        

4.    

In Betrieben bis zu 25 Tarifangestellten kann der Arbeitgeber unter Zugrundelegung der Beurteilungsmerkmale und -stufen eine globale Beurteilung der Leistung des Angestellten durchführen und entsprechend dem Ergebnis die Zuordnung in eine der Leistungsstufen vornehmen.

                 

In diesem Fall entfällt die Betriebsvereinbarung gemäß Abschnitt III, Ziffer 1.

        

...     

        
        

6.    

Die Beurteilung der Leistung obliegt dem Arbeitgeber oder seinem Beauftragten.

                 

Für jeden Angestellten sind Beurteilungsunterlagen anzulegen, aus denen alle Angaben über die Beurteilung ersichtlich sind.

        

7.    

Der Arbeitgeber hat dem Angestellten die Leistungszulage, ausgedrückt in Prozenten des tariflichen Grundgehalts, in schriftlicher Form mitzuteilen. Die ermittelte Leistungszulage ist auf volle DM-Beträge aufzurunden.

        

...     

        
        

10.     

Die Leistungsbeurteilung soll einmal im Jahr überprüft werden.

        

...“   

        
7

Im Betrieb der Schuldnerin bestand ein Betriebsrat. Eine Betriebsvereinbarung gem. § 3 Abschn. III GRTV wurde nicht geschlossen, ebenso wenig erfolgten Leistungsbeurteilungen.

8

Nach erfolgloser Geltendmachung hat die Klägerin mit der am 12. Juli 2007 eingereichten und mit Schriftsatz vom 10. September 2007 erweiterten Klage eine Leistungszulage gem. § 3 Abschn. I Nr. 2 GRTV für den Zeitraum September 2006 bis August 2007 verlangt und die Auffassung vertreten, die tarifliche Leistungszulage betrage (mindestens) 10 % des tariflichen Grundgehalts, wenn der Arbeitgeber die tariflich vorgeschriebene Leistungsbeurteilung nicht vornehme. Das ergebe sich zumindest aus § 315 BGB. Jedenfalls stehe ihr wegen der unterlassenen Leistungsbeurteilung ein Schadensersatzanspruch in dieser Höhe zu.

9

Die Klägerin hat in den Tatsacheninstanzen zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.605,20 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

10

Die Schuldnerin hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, den Anspruch auf Zahlung einer tariflichen Leistungszulage durch eine übertarifliche Vergütung erfüllt zu haben. § 315 BGB könne nicht angewendet werden, weil die Tarifvertragsparteien die Höhe der Leistungszulage nicht in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt hätten. Ein Schadensersatzanspruch scheitere am Fehlen einer Pflichtverletzung.

11

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Schuldnerin abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision hat die Klägerin zunächst die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt. Nachdem am 1. September 2009 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 25. März 2011 das Verfahren gegen die Insolvenzverwalterin aufgenommen und beantragt nunmehr die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils mit der Maßgabe, die ausgeurteilte Forderung zur Insolvenztabelle festzustellen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine tarifliche Leistungszulage in bestimmbarer Höhe. Ob ihr die Klageforderung als Schadensersatz zusteht, kann der Senat nicht feststellen, § 181 InsO.

13

I. Die Klage auf Feststellung der auf den Anspruchsgrund „tarifliche Leistungszulage“ gestützten Forderung nebst Zinsen ist zulässig, aber unbegründet.

14

1. Wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin kann die Klägerin nicht mehr wie in den Vorinstanzen Zahlung an sich verlangen. Die streitgegenständliche Forderung ist keine Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO), sondern eine Insolvenzforderung, die nach § 174 InsO zur Tabelle anzumelden ist. Im Falle des Bestreitens der Forderung muss die Feststellung gegen den Bestreitenden betrieben werden, § 179 Abs. 1 InsO. Bei Anhängigkeit eines Rechtsstreits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt dies durch die Aufnahme des Rechtsstreits, § 180 Abs. 2 InsO.

15

Die Klägerin hat nach ihrem unbestrittenen Sachvortrag und den mit dem Wiederaufnahmeschriftsatz vorgelegten Unterlagen eine als „tarifliche Leistungszulage“ bezeichnete Forderung und eine hierauf entfallende Zinsforderung zur Insolvenztabelle angemeldet. Dass dabei die Hauptforderung höher beziffert ist und Zinsen für einen längeren Zeitraum geltend gemacht werden als im unterbrochenen und wieder aufgenommenen Rechtsstreit verlangt, ist unschädlich (vgl. LAG Niedersachsen 10. Juli 2003 - 4 Sa 3/03 - NZA-RR 2004, 317; Uhlenbruck/Sinz 13. Aufl. § 181 InsO Rn. 11 mwN; zu § 146 Abs. 4 KO ebenso BGH 14. Dezember 1987 - II ZR 170/87 - zu I der Gründe, BGHZ 103, 1). Haupt- und Zinsforderung sind von der Insolvenzverwalterin bestritten worden.

16

2. Die Klage ist unbegründet. Die Höhe der Leistungszulage ist wegen der von der Schuldnerin nicht vorgenommenen Leistungsbeurteilung nicht bestimmbar.

17

a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der GRTV Anwendung, § 3 Abs. 1 und Abs. 3, § 4 Abs. 1 TVG. Dass die Nachbindung der Schuldnerin geendet hätte, hat weder sie selbst noch die Insolvenzverwalterin geltend gemacht.

18

Nach § 3 Abschn. I Nr. 2 GRTV haben Angestellte je nach Beurteilung ihrer Leistung einen Rechtsanspruch auf eine Leistungszulage zu ihrem tariflichen Grundgehalt. Schon aus dem Wortlaut der Tarifnorm ergibt sich, dass der Tarifvertrag damit dem Angestellten einen Anspruch auf eine Leistungszulage als Bestandteil der tariflichen Vergütung einräumt. Die Formulierung „je nach Beurteilung ihrer Leistung“ ist keine den Anspruch entfallen lassende Einschränkung, sondern betrifft - wie sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt - die Höhe des Anspruchs auf die tarifliche Leistungszulage. Diese soll sich aus der nach § 3 Abschn. III Nr. 6 GRTV dem Arbeitgeber obliegenden Beurteilung der Leistung des Angestellten ergeben, wobei der Tarifvertrag für die Leistungsbeurteilung in § 3 Abschn. II und Abschn. III GRTV detaillierte Vorgaben macht. Auch die Einordnung in die Leistungsstufe 1, einer „Null-Stufe“ (§ 3 Abschn. III Nr. 3 GRTV), lässt den Anspruch auf die Leistungszulage nicht entfallen, sondern führt nur dazu, dass die Höhe der Leistungszulage in der betreffenden Beurteilungsperiode ggf. Null beträgt.

19

b) Die Höhe der Leistungszulage nach § 3 Abschn. I Nr. 2 GRTV ist nicht bezifferbar, weil eine Beurteilung der Leistung der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum und darüber hinaus generell nicht stattgefunden hat.

20

aa) § 3 GRTV enthält keine - ausdrückliche - Regelung darüber, was gelten soll, wenn der Arbeitgeber die ihm nach § 3 Abschn. III Nr. 6 GRTV obliegende Leistungsbeurteilung nicht vornimmt. Der Tarifvertrag bestimmt zwar in § 3 Abschn. I Nr. 2 Abs. 2 GRTV, dass die Leistungszulagen aller Tarifangestellten im Betriebsdurchschnitt mindestens 10 % der Summe der tariflichen Grundgehälter betragen muss. Damit ist jedoch nur das Gesamtvolumen festgelegt, das der Arbeitgeber als Leistungszulagen an alle in seinem Betrieb beschäftigten Angestellten zu verteilen hat. Einen Verteilungsgrundsatz dergestalt, dass bei einer Nichtbeurteilung der Angestellten diese jeweils 10 % ihres tariflichen Grundgehalts als Leistungszulage sollen beanspruchen können, enthält die Tarifnorm nicht. Auch einen „Sockelbetrag“, der bei jeder (schlechten) Leistung mindestens zu zahlen wäre, hat der Tarifvertrag nicht festgesetzt.

21

bb) Diese tarifliche Regelungslücke darf nicht von der Rechtsprechung geschlossen werden.

22

Handelt es sich bei der Nichtregelung der Höhe der Leistungszulage bei fehlender Leistungsbeurteilung durch den Arbeitgeber um eine bewusste Auslassung durch die Tarifvertragsparteien, kommt eine Lückenschließung schon deshalb nicht in Betracht, weil die Gerichte nicht befugt sind, gegen den Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen zu „schaffen“. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie (BAG 25. Februar 2009 - 4 AZR 964/07 - Rn. 20 mwN, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 215).

23

Handelt es sich um eine unbewusste Regelungslücke im GRTV, ist für eine Lückenschließung erforderlich, dass sich aus dem Tarifvertrag selbst hinreichende Anhaltspunkte ergeben, wie die Tarifvertragsparteien nach ihrem mutmaßlichen Willen die nicht berücksichtigte Fallkonstellation geregelt hätten, wenn sie die Lückenhaftigkeit erkannt hätten. Bestehen dagegen keine sicheren Anhaltspunkte für die mutmaßliche Regelung der Tarifvertragsparteien und sind verschiedene Regelungen denkbar, scheidet eine Ausfüllung der tariflichen Regelungslücke durch die Gerichte ebenfalls aus. Sie würde wiederum in die durch Art. 9 Abs. 3 GG allein den Tarifvertragsparteien zugewiesene Gestaltungsfreiheit eingreifen(BAG 24. Februar 1988 - 4 AZR 614/87 - BAGE 57, 334; 21. April 2010 - 4 AZR 750/08 - Rn. 34, ZTR 2010, 571).

24

Das ist vorliegend der Fall. Es sind verschiedene Regelungen denkbar, wie die Tarifvertragsparteien bei einer fehlenden Leistungsbeurteilung durch den Arbeitgeber die Höhe der tariflichen Leistungszulage hätten regeln können. So hätten die Tarifvertragsparteien den Arbeitnehmer zur Bestimmung der Anspruchshöhe auf eine Klage auf Beurteilung oder die Anrufung der in § 3 Abschn. III Nr. 13 GRTV vorgesehenen paritätischen Kommission verweisen können. Sie hätten auch bestimmen können, dass in einem solchen Falle das Gesamtvolumen, das der Arbeitgeber nach § 3 Abschn. I Nr. 2 Abs. 2 GRTV für die Leistungszulagen zur Verfügung stellen muss, gleichmäßig auf alle Angestellten des Betriebs verteilt wird oder der Angestellte - wie die Klägerin meint - eine Leistungszulage pauschal in Höhe von 10 % seines tariflichen Grundgehalts beanspruchen kann. Sichere Anhaltspunkte dafür, welche Regelung die Tarifvertragsparteien getroffen hätten, bestehen nicht, zumal nach § 3 Abschn. II Nr. 4 GRTV die relative Höhe der Leistungszulage nicht von der Gehaltsgruppe des Angestellten abhängig sein soll.

25

c) Die Höhe der Leistungszulage kann nicht durch Urteil gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB bestimmt werden. Denn der Tarifvertrag hat die Bestimmung der Höhe der Leistungszulage nicht dem Arbeitgeber überlassen, § 315 Abs. 1 BGB.

26

aa) § 315 Abs. 1 BGB regelt, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist, wenn die Leistung durch einen Vertragsschließenden bestimmt werden soll. Entspricht die getroffene Bestimmung nicht der Billigkeit, so wird sie nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 BGB durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt gem. § 315 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 BGB, wenn die Bestimmung verzögert wird. Die Vertragshilfe des § 315 BGB greift aber nur dort, wo die Parteien das vereinbart, sich also autonom der richterlichen Schlichtung durch Ersatzleistungsbestimmung unterworfen haben(BAG 12. Dezember 2007 - 10 AZR 97/07 - Rn. 24, BAGE 125, 147).

27

bb) Die Tarifautonomie als Möglichkeit oder Aufgabe der Tarifvertragsparteien, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eigenverantwortlich zu regeln, schließt es zwar grundsätzlich nicht aus, die Rechtsetzungsbefugnis zu delegieren (BAG 16. Juni 2010 - 4 AZR 944/08 - Rn. 29). Die Tarifvertragsparteien haben aber in § 3 GRTV nicht vereinbart, dass die Höhe der Leistungszulage der Arbeitgeber soll bestimmen können. Vielmehr heißt es in § 3 Abschn. I Nr. 2 GRTV ausdrücklich, die (Höhe der) Leistungszulage der Angestellten solle sich „je nach Beurteilung ihrer Leistung“ richten. Bei der nach § 3 Abschn. III Nr. 6 GRTV dem Arbeitgeber obliegenden Leistungsbeurteilung hat dieser zwar einen gewissen Beurteilungsspielraum. Das liegt in der Natur einer Leistungsbeurteilung und ergibt sich zudem aus § 3 Abschn. III Nr. 13 GRTV. Danach hat die paritätische Kommission ua. zu prüfen, „ob die Leistungsbeurteilung objektiv und nach billigem Ermessen durchgeführt wurde“. Der Tarifvertrag gibt aber in § 3 Abschn. II GRTV dem Arbeitgeber ein Beurteilungsschema vor, das nach § 3 Abschn. III Nr. 1 und Nr. 2 GRTV durch Betriebsvereinbarung und bei Nichteinigung durch die Einigungsstelle auszufüllen ist. Die dem Arbeitgeber für die Leistungsbeurteilung erteilten Vorgaben sind derart detailliert, dass von einer Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber nicht gesprochen werden kann.

28

II. Ob die Klägerin die festzustellende Forderung als Schadensersatz wegen der von der Schuldnerin nicht vorgenommenen Leistungsbeurteilung beanspruchen kann, obliegt nach § 181 InsO nicht der Prüfung des Senats. Insoweit ist die Feststellungsklage unzulässig.

29

1. Nach § 181 InsO kann die Feststellung nach Grund, Betrag und Rang der Forderung nur in der Weise begehrt werden, wie die Forderung in der Anmeldung oder im Prüfungstermin bezeichnet worden ist. Es handelt sich dabei um eine Sachurteilsvoraussetzung. Einer Klage, mit der die Feststellung einer unangemeldeten und ungeprüften Forderung beantragt wird, fehlt das - auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende - Feststellungsinteresse und ist als unzulässig abzuweisen (BAG 16. Juni 2004 - 5 AZR 521/03 - zu I der Gründe, BAGE 111, 131; BGH 5. Juli 2007 - IX ZR 221/05 - zu B I 2 der Gründe mwN, BGHZ 173, 103).

30

2. Grund der Forderung in § 181 InsO meint den Klagegrund und damit den (Lebens-)Sachverhalt, aus dem die Forderung entspringt(BGH 22. Januar 2009 - IX ZR 3/08 - Rn. 10 mwN, ZIP 2009, 483; Uhlenbruck/Sinz 13. Aufl. § 181 InsO Rn. 5 mwN). Der Grund bestimmt, soweit die Forderung als anerkannt in die Tabelle eingetragen wird, den Umfang der Rechtskraft der Eintragung gegenüber den Gläubigern (§ 178 Abs. 3 InsO) und, soweit die Forderung bestritten wird, den Umfang der Rechtskraft des im Feststellungsprozess ergehenden Urteils, § 183 Abs. 1 InsO(vgl. dazu BGH 27. September 2001 - IX ZR 71/00 - ZIP 2001, 2099).

31

Der bei der Anmeldung nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin (nur) angegebene Grund „tarifliche Leistungszulage“ umfasst nicht den Streitgegenstand „Schadensersatzanspruch“. Dieser beruht auf einem anderen Sachverhalt als der Klagegrund tarifliche Leistungszulage, nämlich einer behaupteten Pflichtverletzung der Schuldnerin, und ist zudem rechtlich wesentlich anders zu beurteilen. Muss - wie hier - dem in der Feststellungsklage geltend gemachten Anspruchsgrund eine andere Verteidigung entgegengesetzt werden als dem angemeldeten, handelt es sich stets um eine wesentliche Änderung des Grundes der Forderung, die ohne ein neues Anmeldungs- und Prüfungsverfahren die Unzulässigkeit der Feststellungsklage bedingt (vgl. BGH 5. Juli 2007 - IX ZR 221/05 - Rn. 19, BGHZ 173, 103; Uhlenbruck/Sinz 13. Aufl. § 181 InsO Rn. 6, jeweils mwN).

32

III. Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    Reinders    

        

    Ilgenfritz-Donné    

                 

Urteilsbesprechung zu Bundesarbeitsgericht Urteil, 22. Feb. 2012 - 5 AZR 232/11 (F)

Urteilsbesprechungen zu Bundesarbeitsgericht Urteil, 22. Feb. 2012 - 5 AZR 232/11 (F)

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 315 Bestimmung der Leistung durch eine Partei


(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist. (2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. (3) Sol
Bundesarbeitsgericht Urteil, 22. Feb. 2012 - 5 AZR 232/11 (F) zitiert 17 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 315 Bestimmung der Leistung durch eine Partei


(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist. (2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. (3) Sol

Tarifvertragsgesetz - TVG | § 4 Wirkung der Rechtsnormen


(1) Die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 9


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverstä

Tarifvertragsgesetz - TVG | § 1 Inhalt und Form des Tarifvertrags


(1) Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen könne

Tarifvertragsgesetz - TVG | § 3 Tarifgebundenheit


(1) Tarifgebunden sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrags ist. (2) Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten für alle Betriebe, der

Insolvenzordnung - InsO | § 55 Sonstige Masseverbindlichkeiten


(1) Masseverbindlichkeiten sind weiter die Verbindlichkeiten: 1. die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzv

Insolvenzordnung - InsO | § 174 Anmeldung der Forderungen


(1) Die Insolvenzgläubiger haben ihre Forderungen schriftlich beim Insolvenzverwalter anzumelden. Der Anmeldung sollen die Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, in Abdruck beigefügt werden. Zur Vertretung des Gläubigers im Verfahren nach die

Insolvenzordnung - InsO | § 179 Streitige Forderungen


(1) Ist eine Forderung vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden, so bleibt es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben. (2) Liegt für eine solche Forderung ein vollstreckbar

Insolvenzordnung - InsO | § 178 Voraussetzungen und Wirkungen der Feststellung


(1) Eine Forderung gilt als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren (§ 177) ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird oder soweit ein erhobener Widerspruch bes

Insolvenzordnung - InsO | § 180 Zuständigkeit für die Feststellung


(1) Auf die Feststellung ist im ordentlichen Verfahren Klage zu erheben. Für die Klage ist das Amtsgericht ausschließlich zuständig, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist oder anhängig war. Gehört der Streitgegenstand nicht zur Zuständigkeit de

Insolvenzordnung - InsO | § 183 Wirkung der Entscheidung


(1) Eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet erklärt wird, wirkt gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. (2) Der obsiegenden Partei obliegt es, beim Insolve

Insolvenzordnung - InsO | § 181 Umfang der Feststellung


Die Feststellung kann nach Grund, Betrag und Rang der Forderung nur in der Weise begehrt werden, wie die Forderung in der Anmeldung oder im Prüfungstermin bezeichnet worden ist.

Referenzen - Urteile

Bundesarbeitsgericht Urteil, 22. Feb. 2012 - 5 AZR 232/11 (F) zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesarbeitsgericht Urteil, 22. Feb. 2012 - 5 AZR 232/11 (F) zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Juli 2007 - IX ZR 221/05

bei uns veröffentlicht am 05.07.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IX ZR 221/05 Verkündet am: 5. Juli 2007 Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja InsO §§ 38, 39 Abs. 1

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Jan. 2009 - IX ZR 3/08

bei uns veröffentlicht am 22.01.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IX ZR 3/08 Verkündet am: 22. Januar 2009 Fritz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja InsO § 174 Abs. 2 Die ord

Bundesarbeitsgericht Urteil, 16. Juni 2010 - 4 AZR 944/08

bei uns veröffentlicht am 16.06.2010

Tenor 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 8. Oktober 2008 - 3 Sa 254/08 - teilweise aufgehoben.

Referenzen

(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.

Die Feststellung kann nach Grund, Betrag und Rang der Forderung nur in der Weise begehrt werden, wie die Forderung in der Anmeldung oder im Prüfungstermin bezeichnet worden ist.

(1) Masseverbindlichkeiten sind weiter die Verbindlichkeiten:

1.
die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören;
2.
aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muß;
3.
aus einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse.

(2) Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, gelten nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. Gleiches gilt für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.

(3) Gehen nach Absatz 2 begründete Ansprüche auf Arbeitsentgelt nach § 169 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch auf die Bundesagentur für Arbeit über, so kann die Bundesagentur diese nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. Satz 1 gilt entsprechend für die in § 175 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch bezeichneten Ansprüche, soweit diese gegenüber dem Schuldner bestehen bleiben.

(4) Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Den Umsatzsteuerverbindlichkeiten stehen die folgenden Verbindlichkeiten gleich:

1.
sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben,
2.
bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern,
3.
die Luftverkehr- und die Kraftfahrzeugsteuer und
4.
die Lohnsteuer.

(1) Die Insolvenzgläubiger haben ihre Forderungen schriftlich beim Insolvenzverwalter anzumelden. Der Anmeldung sollen die Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, in Abdruck beigefügt werden. Zur Vertretung des Gläubigers im Verfahren nach diesem Abschnitt sind auch Personen befugt, die Inkassodienstleistungen erbringen (registrierte Personen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes).

(2) Bei der Anmeldung sind der Grund und der Betrag der Forderung anzugeben sowie die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, eine vorsätzliche pflichtwidrige Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht oder eine Steuerstraftat des Schuldners nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung zugrunde liegt.

(3) Die Forderungen nachrangiger Gläubiger sind nur anzumelden, soweit das Insolvenzgericht besonders zur Anmeldung dieser Forderungen auffordert. Bei der Anmeldung solcher Forderungen ist auf den Nachrang hinzuweisen und die dem Gläubiger zustehende Rangstelle zu bezeichnen.

(4) Die Anmeldung kann durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments erfolgen, wenn der Insolvenzverwalter der Übermittlung elektronischer Dokumente ausdrücklich zugestimmt hat. Als Urkunde im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 kann in diesem Fall auch eine elektronische Rechnung übermittelt werden. Auf Verlangen des Insolvenzverwalters oder des Insolvenzgerichts sind Ausdrucke, Abschriften oder Originale von Urkunden einzureichen.

(1) Ist eine Forderung vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden, so bleibt es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben.

(2) Liegt für eine solche Forderung ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, so obliegt es dem Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen.

(3) Das Insolvenzgericht erteilt dem Gläubiger, dessen Forderung bestritten worden ist, einen beglaubigten Auszug aus der Tabelle. Im Falle des Absatzes 2 erhält auch der Bestreitende einen solchen Auszug. Die Gläubiger, deren Forderungen festgestellt worden sind, werden nicht benachrichtigt; hierauf sollen die Gläubiger vor dem Prüfungstermin hingewiesen werden.

(1) Auf die Feststellung ist im ordentlichen Verfahren Klage zu erheben. Für die Klage ist das Amtsgericht ausschließlich zuständig, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist oder anhängig war. Gehört der Streitgegenstand nicht zur Zuständigkeit der Amtsgerichte, so ist das Landgericht ausschließlich zuständig, zu dessen Bezirk das Insolvenzgericht gehört.

(2) War zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig, so ist die Feststellung durch Aufnahme des Rechtsstreits zu betreiben.

(1) Tarifgebunden sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrags ist.

(2) Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist.

(3) Die Tarifgebundenheit bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet.

(1) Die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Diese Vorschrift gilt entsprechend für Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen.

(2) Sind im Tarifvertrag gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorgesehen und geregelt (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw.), so gelten diese Regelungen auch unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtung und das Verhältnis der Einrichtung zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

(3) Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.

(4) Ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte ist nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Die Verwirkung von tariflichen Rechten ist ausgeschlossen. Ausschlußfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte können nur im Tarifvertrag vereinbart werden.

(5) Nach Ablauf des Tarifvertrags gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden.

(1) Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können.

(2) Tarifverträge bedürfen der Schriftform.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 8. Oktober 2008 - 3 Sa 254/08 - teilweise aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 23. Mai 2008 - 1 Ca 1092b/07 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und im Hauptausspruch zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 889,35 Euro brutto nebst Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6. September 2007 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Parteien haben die Kosten erster und zweiter Instanz je zur Hälfte zu tragen. Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten zuletzt noch über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger einen Stundenlohn in Höhe von 15,04 Euro brutto nach dem Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin vom 20. August 2007 (TV Lohn/West) statt der von ihnen einzelvertraglich vereinbarten 13,54 Euro brutto zu zahlen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten in der Zeit vom 6. Juni 2006 bis zum 18. Juli 2007 als Fliesenleger beschäftigt. Er ist Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), vormals Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden (IG BSE). Die Beklagte ist Mitglied der Innung des Baugewerbes Neumünster. Diese ist seit Ende der 1980er Jahre nicht mehr Mitglied im Baugewerbeverband Schleswig-Holstein. Sie schloss aber unter dem 23. Mai 1990 mit der IG BSE, Landesverband Nordmark, den Tarifvertrag über die Anwendung der Tarifverträge des Bauhauptgewerbes (Anwendungs-TV). Der darin ua. in Bezug genommene „Bezirkslohntarifvertrag … für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein“ wurde zuletzt am 19. April 2000 als Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabellen) für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein gültig vom 1. April 2000 bis 31. März 2002 (Bezirkslohn-TV) zwischen dem Bauindustrieverband Schleswig-Holstein e.V., dem Baugewerbeverband Schleswig-Holstein und der IG BAU, Landesverband Nord, abgeschlossen. Kraft ausdrücklicher Regelung galt dieser Bezirkslohn-TV mit der Kündigung des zentralen Lohntarifvertrages, der ebenfalls am 19. April 2000 abgeschlossen worden war, als gleichzeitig gekündigt. Dieser zentrale Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin - TV Lohn/West 2000 - wurde zum 31. März 2002 gekündigt.

3

Der Kläger beansprucht für den Klagezeitraum einen tariflichen Stundenlohn von 15,04 Euro brutto statt der arbeitsvertraglich vereinbarten 13,54 Euro brutto und daraus sich ergebend ein Differenzentgelt von 864,00 Euro brutto. Mit dem Anwendungs-TV werde die Gleichbehandlung mit den Beschäftigungsverhältnissen bei Arbeitgebern, die unmittelbar an die Tarifverträge im Bauhauptgewerbe gebunden seien, bezweckt. Da seit dem 1. April 2002 kein Bezirkslohntarifvertrag mehr abgeschlossen worden sei, fänden nunmehr aufgrund der Verweisung in § 2 Nr. 1 Anwendungs-TV die Lohnsätze des bezirksübergreifenden TV Lohn/West vom 20. August 2007 - abgeschlossen mit Wirkung zum 1. April 2007 zwischen dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes e.V., dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. und der IG BAU - Anwendung auf sein Arbeitsverhältnis. Die Bezirkslohntarifverträge seien über viele Jahre als zusätzliche regionale Regelungen zum TV Lohn/West vereinbart worden. Sie stellten lediglich dessen Ausformungen dar, den sie nicht veränderten, sondern nur ergänzten. Mit Schreiben vom 28. Juni 2007 hat der Kläger die Differenzbeträge für die Monate April und Mai 2007 (240,00 Euro und 252,00 Euro) geltend gemacht. Die Beklagte kam dem nicht nach, woraufhin der Kläger unter dem 30. August 2007 Klage erhob, mit der er zugleich seine Ansprüche für die Monate Juni und Juli 2007 (252,00 Euro und 120,00 Euro) geltend gemacht hat.

4

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 864,00 Euro brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30. August 2007 zu zahlen.

5

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Vergütung nach den Lohnsätzen des TV Lohn/West vom 20. August 2007. Der Anwendungs-TV sei nach seinem eindeutigen Wortlaut lediglich auf den Bezirkslohn-TV bezogen. Bei dessen Wegfall ergebe sich keine automatische Bezugnahme auf der TV Lohn/West. Vielmehr sei in einem solchen Fall gemäß § 3 Abs. 3 Anwendungs-TV zwischen den Tarifvertragsparteien neu zu verhandeln.

6

Beide Vorinstanzen haben der Klage, die unter Einschluss einer Forderung auf Zahlung des tariflichen 13. Monatseinkommens ursprünglich auf einen Gesamtbetrag von 1.753,35 Euro gerichtet war, insgesamt stattgegeben. Die Beklagte verfolgt mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision ihren Klageabweisungsantrag nur noch weiter, soweit sie zur Zahlung von 864,00 Euro verurteilt worden ist. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten, soweit sie in der Revisionsinstanz angefallen ist, zu Unrecht zurückgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der beanspruchten Entgeltdifferenz von 864,00 Euro brutto. Der TV Lohn/West vom 20. August 2007 ist nicht lückenfüllend nach § 2 Nr. 1 Anwendungs-TV an die Stelle des nicht mehr neu abgeschlossenen, nur noch nachwirkenden Bezirkslohn-TV getreten. Zudem besteht auch kein Anspruch auf den Tariflohn in der Höhe des letzten Bezirkslohn-TV, da dieser nach seiner Kündigung einzelvertraglich durch eine andere Abmachung iSd. § 4 Abs. 5 TVG ersetzt werden konnte und ersetzt wurde.

8

I. Im Anwendungs-TV heißt es auszugsweise:

        

㤠1

        

Geltungsbereich           

        

Fachlich und räumlich:

Alle Betriebe und selbständigen Betriebsabteilungen der Innung des Baugewerbes Neumünster, die unter den fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Bauhauptgewerbes fallen.

        

Persönlich:

Alle gewerblichen Arbeitnehmer, Angestellte und Auszubildende, die unter den fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Bauhauptgewerbes fallen.

        

§ 2

        

Leistungen           

        

Es gelten alle allgemeinverbindlichen Tarifverträge des Bauhauptgewerbes sowie alle nachfolgend aufgeführten Tarifverträge für das Bauhauptgewerbe in der jeweils geltenden Fassung:

                 

Gewerbliche Arbeitnehmer           

                 

1.    

Bezirkslohntarifvertrag und Ausbildungsvergütungen für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein

                 

2. - 4.

…       

                 

Angestellte           

                 

5. - 13.

…       

        

§ 3

        

Inkrafttreten und Laufdauer           

        

Dieser Tarifvertrag tritt am 01. April 1990 in Kraft und ist mit einer Kündigungsfrist von zwei Monaten - erstmalig zum 31. März 1991 - kündbar.

        

Die Parteien sind sich einig, daß, wenn sich die Zugehörigkeit der Tarifvertragsparteien dieses Vertrages zu den Tarifvertragsparteien des Baugewerbes verändert, dieser Tarifvertrag ohne Kündigung endet.

        

Werden für das Bauhauptgewerbe andere als die in diesem Vertrag aufgeführten Verträge abgeschlossen, so verpflichten sich die Tarifvertragsparteien dieses Tarifvertrages, unverzüglich in Verhandlungen hierüber einzutreten.“

9

II. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts verweist § 2 Nr. 1 Anwendungs-TV nicht mangels Fortschreibung der Bezirkslohntarifverträge über den Wortlaut hinaus auf den jeweils aktuellen, bundesweit geltenden Entgelttarifvertrag TV Lohn/West.

10

1. Der Anwendungs-TV findet normativ auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien Anwendung.

11

a) Zweifel an der Tarifzuständigkeit der Innung des Baugewerbes Neumünster zum Abschluss des Anwendungs-TV bestehen nicht. Ihr ist nach § 54 Abs. 3 Nr. 1 HwO Tarifsetzungsbefugnis verliehen, der auch nicht die vom Innungsverband - hier Baugewerbeverband Schleswig-Holstein - geschlossenen Tarifverträge entgegenstehen, weil die Innung vor Abschluss des Anwendungs-TV aus dem Innungsverband ausgetreten ist.

12

b) Der ungekündigte, zwischen der Innung des Baugewerbes Neumünster und der IG BSE, Landesverband Nordmark, geschlossene Anwendungs-TV gilt zwischen dem Kläger und der Beklagten gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend.

13

aa) Die Beklagte führt als Mitglied der Innung des Baugewerbes Neumünster einen Betrieb, der unter den fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Bauhauptgewerbes iSd. § 1 Abs. 2 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe(BRTV) fällt.

14

bb) Die Tarifgebundenheit des Klägers, der gewerblicher Arbeitnehmer im Sinne des persönlichen Geltungsbereichs nach § 1 Anwendungs-TV ist, folgt gemäß § 3 Abs. 1 TVG aus seiner Mitgliedschaft in der IG BAU, die Rechtsnachfolgerin der tarifschließenden Gewerkschaft IG BSE ist. Die normative Geltung des Anwendungs-TV wurde durch die Fusion und Umbenennung der IG BSE in die IG BAU zum 1. Januar 1996 nicht berührt (vgl. im Einzelnen BAG 12. Dezember 2007 - 4 AZR 996/06 - BAGE 125, 169).

15

2. Es bestehen keine Zweifel an der Zulässigkeit der Verweisung in § 2 Nr. 1 Anwendungs-TV als Delegation tariflicher Rechtssetzungsbefugnis(zu den Kriterien ua. BAG 29. August 2007 - 4 AZR 561/06 - Rn. 28, AP TVG § 4 Nr. 27 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 41). Der betriebliche, fachliche und persönliche Geltungsbereich des Bezirkslohn-TV und des Anwendungs-TV stimmen überein und die Bezugnahme ist hinreichend bestimmt. Die in Bezug genommenen Tarifverträge werden genau bezeichnet.

16

3. § 2 Nr. 1 Anwendungs-TV enthält eine zeitdynamische Bezugnahme, die den TV Lohn/West nicht erfasst.

17

a) Die Anwendbarkeit des TV Lohn/West ergibt sich nicht aus einer am Wortlaut und dem im Tarifvertrag zum Ausdruck gekommenen Sinn des Anwendungs-TV orientierten Auslegung.

18

aa) Die Auslegung eines Tarifvertrages durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 19. September 2007 - 4 AZR 670/06 - Rn. 30, BAGE 124, 110). Dabei folgt die Auslegung des normativen Teiles eines Tarifvertrages nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Somit ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., etwa 23. September 2009 - 4 AZR 382/08 - Rn. 14, AP TVG § 1 Tarifverträge: Arzt Nr. 3 und 26. Januar 2005 - 4 AZR 6/04 - mwN, BAGE 113, 291, 299).

19

bb) § 2 Anwendungs-TV ist eine zeitdynamische Verweisungsbestimmung, weil in ihm die betreffenden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung in Bezug genommen werden.

20

cc) Die Bezugnahme in § 2 Anwendungs-TV erfasst nach ihrem Wortlaut nicht den TV Lohn/West. § 2 Anwendungs-TV enthält eine genaue Bezeichnung der Tarifverträge, die im Geltungsbereich des Anwendungs-TV maßgebend sein sollen. Der TV Lohn/West gehört nicht dazu.

21

(1) Verwiesen wird einerseits auf „alle allgemeinverbindlichen Tarifverträge des Bauhauptgewerbes“. Dies löst keine über einen Hinweis auf die Rechtslage hinausgehenden Wirkungen aus, weil diese Tarifverträge auch ohne den Anwendungs-TV bereits aufgrund ihrer Allgemeinverbindlichkeit nach § 5 Abs. 4 TVG die nicht durch Mitgliedschaft tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihres Geltungsbereichs erfassen.

22

(2) Verwiesen wird auf der anderen Seite auf „alle nachfolgend aufgeführten Tarifverträge für das Bauhauptgewerbe in der jeweils geltenden Fassung“. Damit wird aus der Gesamtzahl der Tarifverträge für das Bauhauptgewerbe durch „nachfolgend aufgeführt“ eine konkret bezeichnete und abschließende Auswahl vorgenommen. Hierzu gehören unter der Rubrik „Gewerbliche Arbeitnehmer“ der „Bezirkslohntarifvertrag und Ausbildungsvergütungen für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein“, womit der Bezirkslohn-TV gemeint ist. Der TV Lohn/West ist nicht aufgeführt und von der Verweisung nicht erfasst.

23

(a) Die Verweisung auf „Bezirkslohntarifvertrag und Ausbildungsvergütungen für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein“ ordnet die Anwendung des Bezirkslohn-TV an, auch wenn dessen Überschrift nicht die „Ausbildungsvergütungen“ enthält. Diese sind jedoch im Bezirkslohn-TV geregelt. Mit der Verweisung wird nur zusätzlich klargestellt, dass sich im Geltungsbereich des Anwendungs-TV nicht nur die Löhne, sondern auch die Ausbildungsvergütungen nach den bezirkstariflichen Festlegungen richten sollen.

24

(b) Die Liste der „nachfolgend aufgeführten Tarifverträge für das Bauhauptgewerbe“ in § 2 Anwendungs-TV bezeichnet unter dreizehn Ordnungsziffern dreizehn konkrete Tarifverträge, die für gewerbliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie für Angestellte im Bereich der Innung des Baugewerbes Neumünster gelten sollen. Diese Aufzählung ist abschließend. Der Tarifvertragstext enthält keinen Hinweis darauf, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien weitere oder andere Tarifverträge wie der TV Lohn/West ebenfalls übernommen werden sollen.

25

dd) Diese Auslegung des insoweit eindeutigen Tarifwortlauts entspricht dem erkennbaren Sinn der Erklärung der Tarifvertragsparteien des Anwendungs-TV, so wie er sich auch im tariflichen Gesamtzusammenhang widerspiegelt. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, dass vom Sinn und Zweck des Anwendungs-TV abgewichen würde, wenn bei Nichtabschluss von Bezirkslohntarifverträgen im Land Schleswig-Holstein die Mitglieder der Innung des Baugewerbes Neumünster in der Folge auch von dem den Bezirkslohntarifverträgen zugrunde liegenden bundesweit geltenden TV Lohn/West abgekoppelt würden, findet nicht nur keinen Niederschlag im Anwendungs-TV. Dessen Tarifvertragsparteien haben vielmehr sogar in § 3 Abs. 3 Anwendungs-TV einen dem entgegenstehenden Regelungswillen zum Ausdruck gebracht.

26

(1) Bezüglich der Höhe der Arbeitsentgelte haben die Tarifvertragsparteien auf den regionalen Tarif Bezug genommen, der auch gegolten hätte, wenn die Innung des Baugewerbes Neumünster Mitglied im Baugewerbeverband Schleswig-Holstein geblieben wäre. Dazu hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass es Sinn und Zweck des Anwendungs-TV vom 23. Mai 1990 war zu verhindern, dass der nur auf innerorganisatorische Streitigkeiten zurückzuführende Austritt der Innung des Baugewerbes Neumünster aus dem Baugewerbeverband Schleswig-Holstein dazu führt, die Tarifbindung der Mitglieder dieser Innung im Hinblick auf die Vergütungsansprüche der beschäftigten tarifgebundenen Arbeitnehmer entfallen zu lassen.

27

(2) Dieser Regelungshintergrund könnte zunächst dafür sprechen, den TV Lohn/West als in der Sache von § 2 Nr. 1 Anwendungs-TV mitumfasst anzusehen. Denn nach der Beendigung der Fortführung der Bezirkslohntarifverträge im Land Schleswig-Holstein läuft bei Wortlaut getreuer Umsetzung des Anwendungs-TV das Entgeltgefüge der Innungen des Baugewerbes des Landes auseinander, weil für die Mitglieder der Innung des Baugewerbes Neumünster anders als für die Mitglieder anderer Innungen, die nach wie vor Mitglied im Baugewerbeverband des Landes sind, der TV Lohn/West nicht zur Anwendung kommt.

28

(3) Davon abgesehen, dass dieser Regelungshintergrund und ein daraus gefolgerter Gleichstellungswille in den materiell-rechtlichen Bestimmungen des Anwendungs-TV nicht zum Ausdruck kommt, steht der vom Landesarbeitsgericht vertretenen Auslegung durchgreifend § 3 Abs. 3 Anwendungs-TV entgegen. In dieser auf das Zustandekommen anderer als der aufgelisteten Tarifverträge im Bauhauptgewerbe bezogenen Bestimmung kommt der Wille der Tarifvertragsparteien zum Ausdruck, nur die in § 2 Anwendungs-TV ausdrücklich genannten Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung ohne weiteres zur Geltung zu bringen. Neue Tarifentwicklungen im Bauhauptgewerbe außerhalb der aufgeführten Tarifwerke sollen erst auf der Grundlage einer Einigung in Neuverhandlungen zwischen der Innung des Baugewerbes Neumünster und der IG BSE/IG BAU, zu deren unverzüglicher Aufnahme sich beide Tarifvertragsparteien verpflichten, für das Baugewerbe Neumünster übernommen - oder auch nicht übernommen - werden.

29

(a) Die Tarifautonomie als Möglichkeit und Aufgabe der Tarifvertragsparteien, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eigenverantwortlich zu regeln, schließt es zwar nicht aus, die Rechtssetzungsbefugnis zu delegieren oder auf jeweils andere Tarifnormen zu verweisen. Mit einer insoweit zulässigen Verweisung geht jedoch die jederzeit bestehende Möglichkeit der Tarifvertragsparteien einher, die Delegation oder Verweisung wieder aufheben (vgl. BAG 10. November 1982 - 4 AZR 1203/79 - BAGE 40, 327, 335), modifizieren oder ersetzen zu können und nicht durch die Ausgestaltung der Kündigungsregelungen eine zeitlich zu lange Bindung einzugehen (BAG 29. August 2007 - 4 AZR 561/06 - Rn. 28 mwN, AP TVG § 4 Nr. 27 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 41). Diese grundsätzliche Wertung ist auch bei der Auslegung einer tarifvertraglichen Verweisung zu berücksichtigen. Sie spricht dafür, eine Verweisung im Zweifel eng auszulegen.

30

(b) Der Verhandlungsvorrang des § 3 Abs. 3 Anwendungs-TV erfasst auch den Fall der Ersetzung des nicht fortgeführten Bezirkslohn-TV durch einen anderen nicht bezirklichen Tarifvertrag.

31

(aa) Die Tarifvertragsparteien haben in § 3 Abs. 3 Anwendungs-TV vereinbart, dass sie sich zum unverzüglichen Eintritt in Verhandlungen verpflichten, wenn für das Bauhauptgewerbe andere als die im Anwendungs-TV aufgeführten Verträge abgeschlossen werden.

32

(bb) Damit haben sie für den Fall, dass anstelle eines der in § 2 Einleitungssatz und Nr. 1 bis 13 aufgeführten Verträge ein anderer Tarifvertrag abgeschlossen oder in den bezirklichen Arbeitsverhältnissen des Bauhauptgewerbes außerhalb von Neumünster heranzuziehen ist, eine in sich abgeschlossene Auffangregelung vereinbart. Der Tatbestand von § 3 Abs. 3 Anwendungs-TV ist nicht, wie das Landesarbeitsgericht annimmt, auf „andere Tarifverträge“ iSv. thematisch „zusätzlichen“ Tarifverträgen beschränkt. „Andere“ Tarifverträge idS sind nach dem Tarifwortlaut sämtliche Tarifverträge des Bauhauptgewerbes, die weder allgemeinverbindlich noch in § 2 Nr. 1 bis 13 Anwendungs-TV aufgeführt sind. Dieses Auslegungsergebnis steht auch in Übereinstimmung mit dem vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Regelungshintergrund. Bei verbliebener Mitgliedschaft der Innung des Baugewerbes Neumünster im Baugewerbeverband Schleswig-Holstein hätte die Innung bei jedem Neuabschluss von Tarifverträgen die Möglichkeit der Einflussnahme auf den innerverbandlichen Willen gehabt, ob der betreffende Tarifvertrag abgeschlossen oder übernommen werden soll. Die nach dem Austritt fehlende Einflussnahmemöglichkeit gleicht § 3 Abs. 3 Anwendungs-TV aus. Damit ist eine Erstreckung der Geltungsanordnung auf andere Tarifverträge, auch wenn diese noch so sehr mit einem der in § 2 Nr. 1 bis 13 Anwendungs-TV aufgeführten Tarifverträge verbunden sein sollten, angesichts des tariflichen Regelungsziels des Anwendungs-TV ausgeschlossen. Daran ändert auch eine gemeinsame Kündigungsregelung für die Bezirkslohntarifverträge und den TV Lohn/West wie in § 10 Abs. 2 TV Lohn/West nichts. Sie dokumentiert die Verbundenheit der beiden Regelungen, die ohne Mitwirkung der Baugewerbeinnung Neumünster zustande gekommen sind, ändert aber an dem Rechtssetzungsvorbehalt der Parteien des Anwendungs-TV in § 3 Abs. 3 Anwendungs-TV nichts.

33

b) Die Anwendbarkeit der Regelungen des vom Kläger angeführten TV Lohn/West vom 20. August 2007 ergibt sich auch nicht aufgrund einer ergänzenden Auslegung von § 2 Nr. 1 Anwendungs-TV nach Nichtfortschreibung des Bezirkslohn-TV.

34

aa) Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung ist, dass eine Vereinbarung eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit aufweist (statt aller BAG 9. Dezember 2008 - 3 AZR 431/07 - Rn. 25; 21. April 2009 - 3 AZR 640/07 - Rn. 31, AP BetrAVG § 2 Nr. 60).

35

bb) Die Kündigung des Bezirkslohn-TV 2000 und die unterbliebene Fortschreibung der Bezirkslohntarifverträge für das Bauhauptgewerbe im Land Schleswig-Holstein lässt innerhalb des Anwendungs-TV keine Regelungslücke entstehen. Die Verweisung auf den Bezirkslohn-TV im Anwendungs-TV bezieht sich seit dessen Kündigung auf den nachwirkenden Bezirkslohn-TV 2000.

36

(1) Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass die Tarifvertragsparteien in Anerkennungstarifverträgen die Übernahme fremder Tarifregelungen im jeweiligen Geltungszustand vereinbaren können. Dies ist Inhalt ihrer allgemeinen Rechtssetzungsbefugnis (29. August 2007 - 4 AZR 561/06 - Rn. 28, AP TVG § 4 Nr. 27 = EzA TVG § 4 Nachwirkung Nr. 41; 18. Februar 2003 - 1 AZR 142/02 - zu D II der Gründe, BAGE 105, 5; 13. August 1986 - 4 ABR 2/86 - AP MTV Ang-DFVLR § 2 Nr. 1 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 15; 3. Dezember 1985 - 4 ABR 7/85 - BAGE 50, 277, 285, 287; vgl. auch 24. November 1999 - 4 AZR 666/98 - zu I 1 e bb der Gründe, BAGE 93, 34; anders noch 30. Januar 1990 - 1 ABR 98/88 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 64, 94, 98). Darin eingeschlossen ist auch der Geltungszustand der Nachwirkung iSv. § 4 Abs. 5 TVG.

37

(2) Die Einbeziehung des Bezirkslohn-TV in den Anwendungs-TV „in der jeweils geltenden Fassung“ führt zu dessen Einbeziehung mit seinem jeweiligen Inhalt und in seinem jeweiligen Geltungszustand. Dies ergibt sich bereits aus dem Wort „geltend“ in der Verweisungsnorm in § 2 Einleitungssatz Anwendungs-TV. Für eine Übereinstimmung im Geltungszustand spricht zudem, dass die Tarifvertragsparteien des Anwendungs-TV im Wesentlichen den Zustand herzustellen beabsichtigten, welcher bei unmittelbarer Tarifgeltung der in Bezug genommenen Tarifverträge bestünde.

38

(3) Auch der Wegfall der Dynamik des Bezirkslohn-TV und deren Ersetzung innerhalb des Bauhauptgewerbes im Übrigen durch die Entwicklung des TV Lohn/West hat nicht zu einer lückenhaften Regelung im Anwendungs-TV geführt. Dessen Tarifvertragsparteien haben für eine derartige Tarifentwicklung eine Verhandlungspflicht zur Prüfung der Übernahme festgelegt. Wenn es auf dieser Grundlage nicht zu der Übernahme einer anderweitigen, zwingend wirkenden Entgeltdynamik kommt, entspricht dies einer der von den Tarifvertragsparteien des Anwendungs-TV von vornherein mit einbezogenen Möglichkeit.

39

III. Die angegriffene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Ein höherer als der vereinbarte Stundenlohn von 13,54 Euro brutto ergibt sich nicht aus § 2 Nr. 1 Anwendungs-TV iVm. Lohntabelle Abschnitt A Nr. 3 III 2 (Fliesenleger) des nachwirkenden Bezirkslohn-TV 2000.

40

Es kann dahinstehen, ob auf der Grundlage des Klagebegehrens durch die Gerichte für Arbeitssachen auch der nachwirkende Bezirkslohn-TV 2000 zur - teilweisen - Rechtfertigung der Klageforderung herangezogen werden könnte. Die Parteien des Rechtsstreits haben für ihr am 6. Juni 2006 begründetes Arbeitsverhältnis eine arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarung über 13,54 Euro brutto je Stunde als andere Abmachung iSv. § 4 Abs. 5 TVG getroffen. Diese geht dem nach § 2 Nr. 1 Anwendungs-TV im Arbeitsverhältnis der Parteien nur noch nachwirkend geltenden Bezirkslohn-TV 2000 vor.

41

IV. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits in dem Umfang zu tragen, in dem er unterlegen ist (§ 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Bepler    

        

    Creutzfeldt    

        

    Winter    

        

        

        

    Zugleich für den ehrenamtlichen Richter
Jürgens, der wegen Endes seiner Amtszeit
an einer Unterzeichnung verhindert ist.
Bepler    

        

    Grimm    

                 

Die Feststellung kann nach Grund, Betrag und Rang der Forderung nur in der Weise begehrt werden, wie die Forderung in der Anmeldung oder im Prüfungstermin bezeichnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 221/05
Verkündet am:
5. Juli 2007
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
EG Art. 87 Abs. 1, Art. 88 Abs. 2 und 3

a) Meldet der Gesellschafter ein eigenkapitalersetzendes Darlehen zur Insolvenztabelle
an, ist aber der Vertrag wegen Verstoßes gegen das Verbot der Durchführung
staatlicher oder aus staatlichen Mitteln gewährter Beihilfen nach dem EGVertrag
nichtig, ist die Klage auf Feststellung des vom Verwalter bestrittenen Anspruchs
als Darlehensforderung unzulässig; es bedarf einer Neuanmeldung des
Rückforderungsanspruchs.

b) Ist die Bundesrepublik Deutschland aufgrund einer Entscheidung der Europäischen
Kommission zur Rückforderung einer Beihilfe verpflichtet, ist diese Rückforderung
eine einfache Insolvenzforderung im Rang des § 38 InsO; dem Umstand
, dass sie den Regeln über eigenkapitalersetzende Darlehen unterliegt,
kommt keine Bedeutung zu.
BGH, Urteil vom 5. Juli 2007 - IX ZR 221/05 - OLG Naumburg
LG Magdeburg
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter Raebel
, Dr. Kayser, Cierniak und die Richterin Lohmann

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 18. Mai 2005 und der 5. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 8. Dezember 2004 aufgehoben, soweit der Feststellungsklage hinsichtlich der als Darlehen angemeldeten Forderungen nebst Zinsen stattgegeben worden ist. Insoweit wird die Klage als unzulässig abgewiesen.
Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat 94,6 %, der Beklagte 5,4 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin gewährte der S. GmbH (i. F.: Schuldnerin) in der Zeit von Juli 1997 bis März 2000 15 Darlehen in Höhe von insgesamt ca. 54,9 Mio. DM und stundete ihr darüber hinaus eine Kaufpreisforderung in Höhe von 3.116.626,33 DM = 1.593.505,74 €. Die Schuldnerin sollte so neu strukturiert und saniert werden; die Darlehen sollten vorbehaltlich einer Genehmigung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (i. F.: Kommission) in Zuschüsse umgewandelt werden. Wegen einiger der Darlehen erklärte die Klägerin im Verlauf der Umstrukturierung Rangrücktritte.
2
Seit Oktober 1998 war die L. GmbH i. L. alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin. Alleingesellschafterin dieser Gesellschaft war seit September 1999 die Klägerin.
3
Wegen der Darlehen leitete die Kommission im August 2000 ein Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EGV gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Im September 2000 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin meldete die Darlehensforderungen - teilweise nachrangig - und die Kaufpreisforderung , jeweils zuzüglich Zinsen, im Oktober 2000 zur Insolvenztabelle an. Der Beklagte bestritt sie vorläufig.
4
Die Kommission entschied am 9. April 2002, dass von der Bundesrepublik Deutschland an die Schuldnerin vergebene Beihilfen in Höhe von 34,26 Mio. Euro, darunter die hier in Rede stehenden Darlehen sowie die gestundete Forderung, mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar seien, und forderte die Bundesrepublik auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Beihilfen zuzüglich Zinsen zurückzufordern (ABlEG - L 314/75, 84 f).
5
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr in Höhe der Darlehen und der gestundeten Forderung nebst Zinsen eine Insolvenzforderung sowie eine nachrangige Insolvenzforderung wegen der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufenen Zinsen zustehe. Das Landgericht hat der Klage im We- sentlichen stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt er seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe:


6
Die Revision hat weitgehend Erfolg.

A.


7
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Klage sei begründet. Der Klägerin stehe ein Bereicherungsanspruch zu; die Darlehensverträge seien nichtig (§ 134 BGB), weil sie gegen Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG-Vertrag verstießen. Der Bereicherungsanspruch gewähre der Klägerin eine nicht nachrangige Insolvenzforderung (§ 38 InsO). § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO greife nicht ein, weil die Rückzahlungsansprüche wirksam durchgesetzt werden müssten. Die Eigenkapitalersatzregeln stünden dem entgegen und seien deshalb nicht anzuwenden.

B.


8
Diese Begründung des Berufungsgerichts trifft zu. Gleichwohl hält seine Entscheidung rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit es der Feststellungsklage hinsichtlich der als Darlehen angemeldeten Forderungen nebst Zinsen stattgegeben hat. Insoweit ist die Klage unzulässig.

I.


9
in Auch der Revisionsinstanz ist von Amts wegen zu prüfen, ob die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen; der Bundesgerichtshof ist insoweit Tatsacheninstanz (vgl. BGHZ 85, 288, 290; 86, 184, 188; 100, 217, 219; 166, 1, 2; BGH, Urt. v. 21. Februar 2000 - II ZR 231/98, WM 2000, 891, 892).
10
1. Dass der Beklagte die Forderungen der Klägerin nur vorläufig bestritten hat, steht der Zulässigkeit der Klage allerdings nicht entgegen. Denn das Gesetz sieht nicht vor, dass der Insolvenzverwalter im Prüfungstermin (§ 176 InsO) eine angemeldete Forderung lediglich vorläufig bestreitet. Daher ist auch ein solches vorläufiges Bestreiten als ein Bestreiten im Sinne des § 179 Abs. 1 InsO anzusehen (BGH, Beschl. v. 9. Februar 2006 - IX ZB 160/04, WM 2006, 731, 732).
11
2. Die Klage ist aber überwiegend unzulässig, weil die Klägerin ihre als Darlehen angemeldeten Forderungen nicht in der rechtlich gebotenen Form zur Tabelle angemeldet hat.
12
Die Feststellung kann nach Grund, Betrag und Rang der Forderung nur in der Weise begehrt werden, wie die Forderung in der Anmeldung oder im Prüfungstermin bezeichnet worden ist (§ 181 InsO). Die Anmeldung zur Tabelle ist Sachurteilsvoraussetzung; eine Feststellungsklage ohne Anmeldung ist unzulässig (BGH, Urt. v. 27. September 2001 - IX ZR 71/00, WM 2001, 2180, 2181; v. 23. Oktober 2003 - IX ZR 165/02, WM 2003, 2429, 2432; MünchKomm-InsO/ Schumacher, § 181 Rn. 3). Der Grund für das vorrangig zu betreibende Anmeldungs - und Prüfungsverfahren liegt darin, dass das Feststellungsurteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Gläubigern wirkt (§ 183 Abs. 1 InsO); diese müssen ebenso wie der Verwalter selbst zunächst Gelegenheit erhalten, die angemeldete Forderung zu prüfen und gegebenenfalls zu bestreiten. Maßgebend für diese Prüfung ist der Sachverhalt, der in der Anmeldung angegeben worden ist (§ 174 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO). Dieser Sachverhalt (der "Grund" des Anspruchs) bestimmt, soweit die Forderung als anerkannt in die Tabelle eingetragen wird, den Umfang der Rechtskraft der Eintragung gegenüber den Gläubigern (§ 183 InsO) und, soweit die Forderung bestritten wird, den Umfang der Rechtskraft des im Feststellungsprozess ergehenden Urteils. Deswegen muss der Anspruchsgrund bei der Anmeldung zur Tabelle angegeben werden. Wird er nach der insolvenzrechtlichen Prüfung geändert, so bedarf es einer neuen Anmeldung; ohne sie ist eine auf den anderen Anspruchsgrund gestützte Feststellungsklage ebenso unzulässig wie eine Klage ohne jede Anmeldung (BGH, Urt. v. 27. September 2001 und v. 23. Oktober 2003, jew. aaO).
13
a) Der beklagte Insolvenzverwalter hat die Unzulässigkeit der Klage nicht gerügt; er hat vielmehr mehrfach geäußert, dass sie seiner Ansicht nach zulässig sei. Dieser von der Revisionserwiderung hervorgehobene Umstand führt nicht zur Zulässigkeit der Klage. § 296 Abs. 3 ZPO ist nicht anwendbar. Der Insolvenzverwalter kann auf die ordnungsgemäße Anmeldung nicht verzichten (vgl. BGH, Urt. v. 27. September 2001, aaO); denn § 181 InsO will die übrigen Insolvenzgläubiger schützen, weil das Feststellungsurteil auch ihnen gegenüber wirkt (§ 183 Abs. 1 InsO).
14
Die b) europarechtlichen Regelungen und der auf ihnen beruhende Rückforderungsbescheid der Kommission zwingen nicht dazu, von den Voraussetzungen des § 181 InsO abzuweichen. Die Forderung kann auch nach Ablauf der Frist des § 28 Abs. 1 Satz 1 InsO jederzeit angemeldet werden (§ 177 InsO; vgl. im Übrigen BGH, Beschl. v. 15. Dezember 2005 - IX ZB 135/03, WM 2006, 778, 779).
15
c) Die Klägerin hat ihre auf den Darlehen beruhenden Forderungen teilweise mit einem anderen Rang als dem von ihr nunmehr bezeichneten zur Tabelle angemeldet, nämlich als nachrangig (§ 39 InsO). Im Übrigen hat sie die Forderungen als Darlehensforderungen und damit unter Angabe eines anderen Grundes angemeldet.
16
aa) Die Klägerin hat wegen der von ihr ausgereichten Darlehen nicht nachrangige Insolvenzforderungen (vgl. § 38 InsO) nur in einer Höhe von 16.297.095,73 € angemeldet. Davon entfallen 14.391.843,87 € auf die Hauptforderung und 1.905.251,86 € auf die - nicht nachrangigen - Zinsen. Die übersteigende Forderung von 16.892.060,61 € hat sie nur als nachrangig (vgl. § 39 Abs. 1 InsO), also mit einem anderen Rang, angemeldet. Die anderen Gläubiger hatten bislang keine Gelegenheit, einen besseren Rang des übersteigenden Betrags zu prüfen.
17
Der von der Klägerin erklärte Rangrücktritt ist allerdings unwirksam, weil der Beihilfegeber sich auf diese Weise nicht seiner Rückforderungsverpflichtung entziehen darf (vgl. Bork, Festschrift für Lutter, Seite 301, 308 f). Darauf kommt es aber nicht an. Denn auch wenn dem die Feststellung begehrenden Gläubiger ein besserer als der von ihm angemeldete Rang zusteht, müssen die übrigen Insolvenzgläubiger doch Gelegenheit erhalten, sich zu diesem besseren Rang zu äußern. Gerade darin liegt der Sinn des § 181 InsO.
18
bb) Wegen der von ihr ausgereichten Darlehen im Übrigen hat die Klägerin Forderungen in Höhe der restlichen 16.297.095,73 € mit einem anderen Grund angemeldet.
19
(1) Ob eine Änderung zwischen dem Grund der Anmeldung und dem der Klage vorliegt, bestimmt sich nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen (vgl. BGHZ 105, 34, 37; BGH, Urt. v. 23. Oktober 2003, aaO). Die Frage der Änderung ist anhand des Schutzzwecks des § 181 InsO zu beurteilen. § 181 InsO, der § 146 Abs. 4 KO entspricht, soll, wie bereits ausgeführt, sicherstellen, dass die übrigen Widerspruchsberechtigten Gelegenheit zur Mitwirkung bei der Feststellung der Insolvenzforderungen erhalten (Hahn, Die Gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Band IV KO, S. 329). Es darf keine Insolvenzforderung eingeklagt werden, welche nicht der vorschriftsmäßigen Prüfung unterworfen worden ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine Änderung des das Wesen der Forderung bestimmenden Schuldgrundes gegeben ist (Hahn, aaO). In einem solchen Fall müssen die übrigen Gläubiger Gelegenheit erhalten, sich zu dem neuen Anspruchsgrund zu äußern, weil sie in ihrer aufgrund der Anmeldung vorgenommenen Prüfung noch nicht alle nunmehr in der Klage wesentlichen Aspekte berücksichtigen konnten. Das ist insbesondere dann anzunehmen , wenn die den Klagegrund der Feststellungsklage begründende Forderung rechtlich wesentlich anders zu beurteilen ist als die angemeldete, es also nicht lediglich um eine andere rechtliche Qualifizierung der schon angemeldeten Forderung geht (vgl. BGH, Urt. v. 23. Oktober 2003, aaO). Muss dem in der Klage geltend gemachten Anspruchsgrund eine andere Verteidigung entgegengesetzt werden als dem angemeldeten, so handelt es sich um eine wesentliche Änderung des Grundes der Forderung. Wegen des Schutzzwecks des § 181 InsO genügt es nicht, dass der beklagte Insolvenzverwalter den gemeinsamen Gegenstand des Anspruchsgrundes erkennen kann (BGH, Urt. v. 27. September 2001, aaO S. 2181; Graf-Schlicker, InsO § 174 Rn. 16).
20
(2) Vorliegend beruht die der Feststellungsklage zugrunde liegende Forderung auf einem anderen Sachverhalt und ist rechtlich wesentlich anders zu beurteilen als die angemeldete. Die Klägerin hat ihre Forderungen als Darlehensforderungen angemeldet. Tatsächlich stehen der Klägerin aber Bereicherungsansprüche gegen die Schuldnerin zu, weil die zwischen den Parteien vereinbarten Darlehen gegen das Durchführungsverbot des Art. 88 Abs. 3 Satz 3 (früher Art. 93 Abs. 3 Satz 3) EG-Vertrag (i. F.: EGV) verstießen. Diese Norm ist unmittelbar anwendbar und betrifft nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs insbesondere jede Beihilfemaßnahme, die ohne die in Art. 88 Abs. 3 Satz 1 EGV vorgeschriebene Notifizierung durchgeführt wird (EuGH, Rs. 120/73, Slg. 1973, 1471 Rn. 8; Rs. C-354/90, Slg. 1991, I-5505 Rn. 11; Rs. C-39/94, Slg. 1996, I-3547 Rn. 39). Eine Notifizierung der Darlehensverträge ist hier unterblieben (vgl. Entscheidung der Kommission vom 9. April 2002 - ABlEG L 314/75, Rn. 87). Dieser Verstoß führt zur Nichtigkeit des Vertrages; denn Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EGV ist ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB (BGH, Urt. v. 4. April 2003 - V ZR 314/02, WM 2003, 1491, 1492; v. 24. Oktober 2003 - V ZR 48/03, VIZ 2004, 77, 78; vgl. auch EuGH, Rs. 354/90, Slg. 1991, I-5505 Rn. 12).
21
Die der Feststellungsklage zugrunde liegenden Bereicherungsansprüche unterscheiden sich erheblich von den angemeldeten Darlehensforderungen, weil sie von anderen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen abhängen. Darlehen eines Gesellschafters können den Restriktionen des Eigenkapitalersatzrechts unterliegen. Da auch das Stehen lassen von Forderungen zur Anwendung der Regelungen über den Eigenkapitalersatz (§§ 32a, 32b GmbHG) führt (BGHZ 127, 336, 345), unterfallen Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz sogar regelmäßig diesen Einschränkungen. Sie sind dann nur als nachrangige Insolvenzforderungen zu berücksichtigen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Meldet ein Gesellschafter Darlehensforderungen zur Insolvenztabelle an, können und werden die übrigen Gläubiger darauf vertrauen, dass der Insolvenzverwalter prüft, ob diese eigenkapitalersetzend waren, und dass dies in aller Regel zu bejahen sein wird. Die Bereicherungsansprüche sind hingegen, wie sich aus den Ausführungen unter Ziff. II. ergibt, aufgrund der europarechtlichen Vorgaben im Insolvenzverfahren als nicht nachrangige Insolvenzforderungen zu behandeln (§ 38 InsO). Daraus folgt, dass die Bereicherungsansprüche im Insolvenzverfahren rechtlich wesentlich anders zu behandeln sind als die von der Klägerin angemeldeten Darlehensansprüche. Insoweit ist die Klage daher unzulässig.

II.


22
Die Revision ist hingegen unbegründet, soweit sie sich gegen die Feststellung der von der Klägerin angemeldeten Kaufpreisforderung wendet.
23
1. Insoweit ist die Feststellungsklage zulässig. Insbesondere hat die Klägerin ihre Kaufpreisforderung in der rechtlich gebotenen Weise angemeldet. Der Rang und der Grund des Anspruchs haben sich nicht geändert (§ 181 InsO).
24
Das 2. Berufungsgericht hat dem Feststellungsbegehren der Klägerin insoweit auch mit Recht stattgegeben. Auf die zwischen den Parteien nicht streitige Forderung ist § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht anzuwenden.
25
Zwar führt auch das Stehen lassen von Forderungen zur Anwendung der Regelungen über den Eigenkapitalersatz (§§ 32a, 32b GmbHG; vgl. BGHZ 127, 336, 345). Die Kaufpreisforderung ist aber nicht als nachrangige Insolvenzforderung zu berücksichtigen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO), denn sie ist aufgrund der europarechtlichen Rückforderungsbestimmungen durchzusetzen, um die durch die unerlaubte Beihilfe eingetretene Wettbewerbsbeeinträchtigung zu beseitigen. Zwar führt der Verstoß gegen das formelle Durchführungsverbot des Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EGV allein noch nicht dazu, dass die Beihilfe endgültig zurückzufordern ist (Art. 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Artt. 7 Abs. 5, 14 Abs. 1 der EG-Verordnung 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 EGV vom 22. März 1999, ABlEG L 83/1, S. 1 f - i. F.: EG-VO 659/1999). Aufgrund des Verstoßes gegen das Durchführungsverbot steht noch nicht fest, dass die Darlehen eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe darstellten und deshalb gegen das Beihilfeverbot gemäß Art. 87 Abs. 1 EGV (früher Art. 92 Abs. 1 EGV) verstießen. Diese Bestimmung entfaltet in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erst dann unmittelbare Wirkung, wenn sie insbesondere durch eine Entscheidung der Kommission nach Art. 88 Abs. 2 EGV (früher Art. 93 Abs. 2 EGV) in Verbindung mit den vorgenannten Artikeln der EG-VO 659/1999 konkretisiert wurde (EuGH, Rs. 77/72, Slg. 1973, 611 Rn. 6; Rs. 78/76, Slg. 1977, 595 Rn. 10; Rs. C-301/87, Slg. 1990, I-307 Rn. 9 f, 21). Mit der Entscheidung der Kommission vom 9. April 2002 steht hier aber fest, dass die Beihilfen auch materiell-rechtlich mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar waren und von der Bundesrepublik Deutschland zurückzufordern sind.
26
a) Der Mitgliedstaat, an den eine Entscheidung gerichtet ist, die ihn zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen verpflichtet, hat alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Durchführung der Entscheidung sicherzustellen (EuGH, Rs. C-209/00, Slg. 2002, I-11695 Rn. 31; Rs. C-404/00, Slg. 2003, I-6695 Rn. 21; Rs. C-232/05, EuZW 2007, 56, 58 [Rn. 42]). Er muss erreichen, dass der Beihilfegeber die geschuldeten Beträge tatsächlich wiedererlangt (EuGH, Rs. C-277/00, Slg. 2004, I-3925 Rn. 75; Rs. C-415/03, Slg. 2005, I-3875 Rn. 44; Rs. C-232/05, EuZW 2007, 56, 58 Rn. 42). Mit der Rückzahlung verliert nämlich der Empfänger den Vorteil, den er auf dem Markt gegenüber seinen Konkurrenten besaß, und die Lage vor der Zahlung der Beihilfe wird wiederhergestellt (EuGH, Rs. C-350/93, Slg. 1995, I-699 Rn. 22; Rs. C-277/00, Slg. 2004, I-3925 Rn. 75). Die Rückforderung hat nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 EG-VO 659/1999 unverzüglich zu erfolgen. Das Hauptziel der Rückerstattung liegt darin, die Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen, die durch den mit der Beihilfe verbundenen Wettbewerbsvorteil verursacht wurde (EuGH, Rs. C-277/00, Slg. 2004, I-3925 Rn. 76).
27
Die Beihilfen sind nach Art. 3 Abs. 3 der Entscheidung der Kommission vom 9. April 2002 von der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe des deutschen Rechts zurückzufordern (vgl. Art. 14 Abs. 3 Satz 1 EG-VO 659/1999). Die nationalen Regelungen dürfen aber die Rückforderung nicht ausschließen oder faktisch unmöglich machen (vgl. Art. 14 Abs. 3 Satz 1 EG-VO 659/1999 und EuGH, Rs. 94/87, Slg. 1989, 175 Rn. 12; Rs. C-24/95, Slg. 1997, I-1591 Rn. 24; EuGH, Rs. C-480/98, Slg. 2000, I-8717 Rn. 34; Rs. C209 /00, Slg. 2002, I-11695 Rn. 35; Rs. C-232/05, EuZW 2007, 56, 58 Rn. 49). Im Fall von rechtswidrigen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren Beihilfen muss ein wirksamer Wettbewerb wiederhergestellt und dazu die betreffende Beihilfe unverzüglich zurückgefordert werden (EuGH, Rs. C-209/00, Slg. 2002, I-11695 Rn. 35). Die Anwendung der nationalen Verfahren darf somit die Wiederherstellung eines wirksamen Wettbewerbs nicht erschweren, indem sie die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kom- missionsentscheidung verhindert (EuGH, Rs. C-232/05, EuZW 2007, 56, 58 Rn. 50). Generell sind bei der Durchführung der Rückforderung auch die mit dem Beihilfeverbot verfolgten Ziele zu berücksichtigen (EuGH, Rs. C-334/99, Slg. 2003, I-1139 Rn. 118). Falls zwischen dem unmittelbar anwendbaren Recht der Europäischen Gemeinschaften und dem nationalen deutschen Recht ein Widerspruch auftritt, kommt dem EG-Recht nach Art. 24 Abs. 1 Grundgesetz ein Anwendungsvorrang zu (BVerfGE 73, 339, 375; 75, 223, 244; 85, 191, 204). Verhindert also die Anwendung des deutschen Rechts die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kommissionsentscheidung und erschwert sie dadurch die Wiederherstellung eines wirksamen Wettbewerbs, sind die entsprechenden deutschen Normen nicht anzuwenden (vgl. EuGH, Rs. C-232/05, EuZW 2007, 56, 58 Rn. 53). Das nationale Gericht ist dabei verpflichtet, einen Schutz gegen die Auswirkung der rechtswidrigen Durchführung von Beihilfen sicherzustellen (EuGH, Rs. C-39/94, Slg. 1996, I-3547 Rn. 67).
28
Die b) Verpflichtung zur Rückforderung besteht aber nicht uneingeschränkt. Befindet sich das Unternehmen in der Insolvenz, genügt es, dass der Beihilfegeber, wie hier, seine Rückerstattungsforderung zur Tabelle anmeldet (EuGH, Rs. C-142/87, Slg. 1990, I-959 Rn. 62; Rs. C-277/00, Slg. 2004, I-3925 Rn. 85; BGH, Beschl. v. 15. Dezember 2005 - IX ZB 135/03, WM 2006, 778, 779). Denn durch das Insolvenzverfahren und die Liquidation des Beihilfeempfängers wird die durch die unerlaubte Beihilfe hervorgerufene Beeinträchtigung des Wettbewerbs in aller Regel bereinigt. Durch die Liquidation haben in der Vergangenheit benachteiligte Wettbewerber die Möglichkeit, die durch das Ausscheiden des Beihilfeempfängers frei werdende Lücke am Markt zu nutzen. Sie können auch die Vermögensgegenstände des Beihilfeempfängers vom Insolvenzverwalter erwerben und ihrerseits einsetzen (EuGH, Rs. C-328/99 u. C-399/00, Slg. 2003, I-4035 Rn. 69). Auf die Rückforderung der Beihilfe sind mit der vorgenannten Einschränkung grundsätzlich die jeweiligen nationalen Insolvenzvorschriften anzuwenden.
29
c) Die Verpflichtung zur Rückforderung wird mit der Anmeldung im Insolvenzverfahren aber nur dann effektiv und unverzüglich umgesetzt, wenn die Rückforderungsansprüche als nicht nachrangige Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) behandelt werden. Nur unter dieser Voraussetzung wird die mit der rechtswidrigen Beihilfe verbundene Wettbewerbsverzerrung wirksam beseitigt. Der Vorrang der europarechtlichen Regelungen der Art. 88 Abs. 2 EGV, Art. 14 Abs. 3 Satz 1 EG-VO 659/1999 führt zur Nichtanwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.
30
aa) In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, der Rückforderungsanspruch für staatliche Beihilfen, die als eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen zu werten seien, gewähre gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nur eine nachrangige Insolvenzforderung; das Europarecht gebiete nichts anderes (Bork, aaO S. 315 f; Smid, Festschrift für Uhlenbruck S. 405, 417 f; Kübler/Prütting/Holzer, InsO § 39 Rn. 20e u. 20f; Geuting/Michels ZIP 2004, 12, 15; a. A. von der Lühe/Lösler ZIP 2002, 1752, 1755 f; zweifelnd Quardt in Heidenhain , Handbuch des europäischen Beihilfenrechts § 54 Rn. 16). Die Vorschriften des Eigenkapitalersatzrechts seien wettbewerbsneutral. Entscheidend sei allein die Liquidation des Beihilfeempfängers, weil dadurch die Wettbewerbsbeeinträchtigung beseitigt werde. Wer den Liquidationserlös erhalte, sei dann aus Sicht der Wettbewerber ohne Bedeutung (Geuting/Michels aaO). Darüber hinaus seien die Gläubigervorrechte mit der Insolvenzrechtsreform abgeschafft worden; ihre Wiedereinführung sei richterlicher Rechtsfortbildung entzogen (Smid, InsO 2. Aufl. § 39 Rn. 18).
31
bb) Diese Auffassung trifft nicht zu. Der Beihilfegeber ist auch in der Insolvenz des Beihilfeempfängers zur Rückforderung verpflichtet; nur so wird die unerlaubte Beeinträchtigung des Wettbewerbs bereinigt.
32
(1) Mit der Nichtanwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wird kein Gläubigervorrecht eingeführt. Die Klägerin wird vielmehr wie jeder andere Gläubiger behandelt. Die Nichtanwendung ist auch keine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung , sondern folgt aus dem Anwendungsvorrang des europäischen Rechts und der den nationalen Gerichten im Rahmen des Art. 88 Abs. 2 EGV zugewiesenen Funktion (EuGH, Rs. C-39/94, Slg. 1996, I-3547 Rn. 67).
33
(2) Der Mitgliedstaat wird durch die Entscheidung der Kommission nach Art. 88 Abs. 2 EGV i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Satz 2, Art. 7 Abs. 5, Art. 14 Abs. 1, 3 EG-VO 659/1999 verpflichtet, die Beihilfe effektiv und unverzüglich zurückzufordern. Daran ändert die Insolvenz des Beihilfeempfängers grundsätzlich nichts; die Anwendung des deutschen Insolvenzrechts darf die Rückforderung nicht faktisch verhindern (von der Lühe/Lösler aaO S. 1758). Die Teilnahme des Rückforderungsanspruchs am Insolvenzverfahren ist allein der rein tatsächlichen Unmöglichkeit der vollständigen Befriedigung aller Gläubiger des Beihilfeempfängers geschuldet. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens soll den Beihilfegeber hingegen nicht von seiner Rückforderungspflicht entbinden. Er ist vielmehr verpflichtet, alle Gläubigerrechte im Rahmen des Insolvenzverfahrens zur bestmöglichen Befriedigung des Beihilferückforderungsanspruchs aktiv wahrzunehmen (EuGH, Rs. C-328/99 u. C-399/00, Slg. 2003, I-4035 Rn. 69; Ehricke ZIP 2000, 1656, 1660; Borchardt ZIP 2001, 1301, 1302; Quardt, aaO § 54 Rn. 1; vgl. auch Koenig BB 2000, 573, 580). Wenn die Rückforderung aber nur zu einer nachrangigen Insolvenzforderung führte, hätte der Beihilfegeber nicht einmal die uneingeschränkte Möglichkeit, die Rückforderung zur Ta- belle anzumelden, sondern könnte der entsprechenden Pflicht nur nachkommen , wenn das Insolvenzgericht ihn zur Anmeldung aufforderte (vgl. § 174 Abs. 3 InsO). Er stünde also noch schlechter, als dies wegen der Zahlungsunfähigkeit des Beihilfeempfängers ohnehin schon der Fall ist. Die Einordnung als nachrangige Insolvenzforderung gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO würde selbst die auf der Zahlungsunfähigkeit beruhende quotale Rückforderung faktisch unmöglich machen. Denn die auch nur teilweise Befriedigung nachrangiger Insolvenzforderungen ist regelmäßig nicht zu erwarten. Die nur theoretische Möglichkeit, dass grundsätzlich auch eine nachrangige Forderung befriedigt werden kann, reicht für die von Art. 88 Abs. 2 EGV, Art. 14 Abs. 3 Satz 1 EG-VO 659/1999 geforderte effektive Durchsetzung der Rückforderung nicht aus (entgegen Kübler /Prütting/Holzer, aaO Rn. 20f).
34
(3) Falls Sicherungsrechte bestehen sollten, könnte der Beihilfegeber auf diese nicht zurückgreifen, weil sie nicht verwertbar sind, wenn sie kapitalersetzende Darlehen besichern (vgl. BGHZ 133, 298, 305). Mit der Möglichkeit, Sicherheiten zu verwerten, kann aber ein effektiver Weg beschritten werden, um die Beihilfe unverzüglich zurückzuerhalten und damit die durch sie bewirkte Wettbewerbsbeeinträchtigung schon im noch laufenden Insolvenzverfahren zu beseitigen. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn der Beihilfegeber in diesem Fall nicht auf die Sicherheit zurückgreifen dürfte.
35
(4) Die Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO würde darüber hinaus die Einflussnahme des Rückforderungsgläubigers auf das Insolvenzverfahren des Beihilfeempfängers ausschalten, die notwendig ist, um den mit der Beihilfe erlangten Wettbewerbsvorteil vollständig abzuschöpfen und sein teilweises Weiterwirken auch im Falle einer (übertragenden) Sanierung des Schuldnerunter- nehmens zu verhindern (vgl. EuGH, Rs. C-277/00, Slg. 2004, I-3925 Rn. 75, 76, 85, 86).
36
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist die Gefahr weiterer Beeinträchtigungen des Wettbewerbs noch nicht gebannt. Der Insolvenzverwalter kann den Betrieb des Beihilfeempfängers - möglicherweise über längere Zeit - fortführen. Damit nutzt er den auf der unerlaubten Beihilfe beruhenden Wettbewerbsvorteil aus. Diese Gefahr besteht auch dann, wenn es zu einem Insolvenzplanverfahren kommt. Schließlich ist es denkbar, dass der Betrieb des Beihilfeempfängers an eine Auffanggesellschaft veräußert wird, die gemäß § 138 Abs. 2 InsO als nahe stehend anzusehen ist (vgl. § 162 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Auch dann liegt es nahe, dass die mit Hilfe der verbotenen Beihilfe erworbenen Vermögensgegenstände des Beihilfeempfängers zu einem nicht marktgerechten Preis veräußert werden, wodurch sich die Wettbewerbsbeeinträchtigung fortsetzt (vgl. EuGH, Rs. C-277/00, Slg. 2004, I-3925 Rn. 86).
37
Als nachrangiger Insolvenzgläubiger wäre der Beihilfegeber nicht berechtigt , die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen (vgl. § 75 Abs. 1 Nr. 3 InsO); er wäre in ihr auch nicht stimmberechtigt (§ 77 Abs. 1 Satz 2 InsO). Er könnte also weder einer Fortführung des Unternehmens durch den Insolvenzverwalter ohne vollständige Rückzahlung der Beihilfe noch einer Veräußerung an eine nahe stehende Gesellschaft widersprechen. Ein Erfolg versprechender Widerspruch gegen einen Insolvenzplan wäre ihm ebenfalls nicht möglich; denn mit einer Quote hat er regelmäßig nicht zu rechnen (vgl. § 245 Abs. 1, § 225 Abs. 1 InsO).
38
(5) Entschiede man anders (vgl. OLG Jena WM 2006, 222), wäre es für den Mitgliedstaat ein Leichtes, seine Verpflichtung zur Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen zu umgehen, indem er sich zum Gesellschafter macht.
39
3. Eine Vorlage gemäß Art. 234 EGV an den Europäischen Gerichtshof ist nicht angezeigt. Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 234 Abs. 3 EGV besteht dann nicht, wenn das letztinstanzliche nationale Gericht in dem bei ihm schwebenden Verfahren feststellt, dass die betreffende entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof war oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts offenkundig für einen vernünftigen Zweifel keinen Raum lässt (EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1982, Rs. 283/81 - C.I.L.F.I.T. - Slg. 1982, 3415, 3430 Rn. 16; vgl. BVerfG NJW 1988, 1456; BGHZ 109, 29, 35). So liegt der Fall hier.
Fischer Raebel Kayser
Cierniak Lohmann
Vorinstanzen:
LG Magdeburg, Entscheidung vom 08.12.2004 - 5 O 92/04 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 18.05.2005 - 5 U 5/05 -

Die Feststellung kann nach Grund, Betrag und Rang der Forderung nur in der Weise begehrt werden, wie die Forderung in der Anmeldung oder im Prüfungstermin bezeichnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 3/08
Verkündet am:
22. Januar 2009
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die ordnungsgemäße Anmeldung einer Forderung im Insolvenzverfahren setzt
die schlüssige Darlegung des Lebenssachverhalts voraus, aus dem der Gläubiger
seinen Zahlungsanspruch herleitet. Handelt es sich um die Sammelanmeldung
einer Mehrzahl von Forderungen, ist der Darlegungslast für jede Einzelforderung
zu genügen.
Entspricht die Anmeldung einer Forderung nicht den zu beachtenden Mindestanforderungen
oder wird der Forderungsgrund nach der Anmeldung ausgetauscht
, erfordert die Zulässigkeit der Forderungsfeststellungsklage sowohl eine
Neuanmeldung als auch die Durchführung eines hierauf bezogenen Prüfungstermins.
BGH, Urteil vom 22. Januar 2009 - IX ZR 3/08 - OLG Brandenburg
LG Neuruppin
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Januar 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer
und Grupp

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 4. Dezember 2007 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Beklagte ist Verwalter in dem am 1. Juli 2002 über das Vermögen der M. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin ) eröffneten Insolvenzverfahren.
2
Die Klägerin vereinbarte mit der Schuldnerin am 23. November 2001 einen "Vertrag über die Mitgliedschaft in der N. (Anschlussvertrag )", durch den die Schuldnerin mit ihren Betriebsstätten in den Verbund der von der Klägerin geschaffenen Handelsorganisation eintrat. Danach war die Schuldnerin berechtigt, Waren des von der Klägerin angebotenen Sortiments entweder bei der Klägerin oder direkt bei einem ihrer Vorlieferanten zu beziehen. Die Schuldnerin erwarb vorwiegend Ware unmittelbar bei Lieferanten der Klägerin. Wie bei Wahl dieses Bezugswegs vertraglich vorgesehen, beglich die Klägerin die Zahlungsforderungen ihrer Lieferanten gegen die Schuldnerin. Die Lieferanten traten ihre Forderungen an die Klägerin ab, die sie sodann nach Maßgabe der ihr von den Lieferanten übermittelten Rechnungen bei der Schuldnerin geltend machte. Dazu erstellte die Klägerin zweimal monatlich Debitorenabrechnungen über vor Insolvenzeröffnung begründete Forderungen , die für den Abrechnungszeitraum Januar 2002 bis Februar 2003 zu ihren Gunsten einen Forderungsbestand von 3.016.126,47 € ausweisen. Die Abrechnungen für die Monate Januar und Februar 2002 zahlte die Schuldnerin durch Schecks in Höhe von 925.060,60 €, während sie für den Restbetrag einen Wechsel über 914.000 € ausstellte, der im Unterschied zu den Schecks nicht eingelöst wurde. Damit war nach der Behauptung der Klägerin ein Forderungsbestand von 2.091.065,87 € verblieben.
3
Die Klägerin meldete am 7. August 2002 in dem von dem Insolvenzverwalter gefertigten Anmeldeformular eine Hauptforderung aus "Warenlieferung" in Höhe von 2.038.811,05 € und Zinsen in Höhe von 23.219,80 € zur Insolvenztabelle an. Der Beklagte widersprach der Forderungsanmeldung. Die Klägerin beantragt - nach Wegfall eines "Valutabestandes" von 1.482,23 € - die Feststellung einer Hauptforderung in Höhe von 2.035.614,60 € und einer Zinsforderung in der genannten Höhe. Das Landgericht hat teilweise Forderungen zur Tabelle festgestellt und die weitergehende Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin insgesamt abgewiesen. Mit ihrer von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision hat keinen Erfolg.

I.


5
Das Berufungsgericht (vgl. NJW-Spezial 2008, 278) hat ausgeführt, die Klage sei mangels einer wirksamen Anmeldung der Forderungen insgesamt unzulässig. Die Anmeldung der Klägerin stelle eine Sammelanmeldung dar, die einer Spezifizierung der einzelnen Forderungen bedürfe. Der Anmeldung sei zu entnehmen, dass die Klägerin als Zentralreguliererin halbmonatlich Abrechnungen vornehme. Es sei aber nicht ersichtlich, ob die Schuldnerin aus den die jeweiligen Standortgesellschaften betreffenden Forderungen verpflichtet sei. Da die Klägerin der Anmeldung keine Rechnungen beigefügt habe, könne auch die Fälligkeit der Forderungen nicht festgestellt werden.
6
Die Klägerin habe den Anmeldungsfehler auch im Rechtsstreit nicht behoben. Deswegen könne dahinstehen, ob eine Heilung überhaupt möglich sei. Bis heute habe die Klägerin die erforderlichen Rechnungen und Lieferscheine ihrer Vorlieferanten nicht vorgelegt. Aus den Debitorenabrechnungen seien der Rechnungsaussteller, das Rechnungsdatum und der Rechnungsbetrag ersichtlich , aber nicht, an wen und wann Lieferungen erfolgt seien. Eine Forderungsprüfung könne anhand der Debitorenabrechnung weder durch den Beklagten noch durch die übrigen Insolvenzgläubiger vorgenommen werden. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, dass der Schuldnerin die Einzelrechnungen der Vorlieferanten vorlägen. Vielmehr sei die Klägerin gehalten, entsprechende Informationen und Unterlagen bei ihren Vorlieferanten zu beschaffen. Ohne Erfolg berufe sich die Klägerin erstmals im Berufungsrechtszug darauf, eine Kontokorrentforderung angemeldet zu haben, weil die Vereinbarung eines Kontokorrents nicht substantiiert dargetan sei.
7
Im Blick auf den Betrag von 914.000 € fehle es an einer wirksamen Anmeldung einer Forderung aus Warenlieferung, hinsichtlich einer Wechselforderung überhaupt an einer Anmeldung. Die angemeldete Forderung aus Warenlieferung stelle eine Restkaufpreisforderung der Klägerin aus den Monaten Januar und Februar 2002 dar. Es fehle an der Anmeldung des Grundes und des Betrages dieser Restforderung. Da als Rechtsgrund der Forderung Warenlieferung genannt worden sei, könne nicht von der Anmeldung einer Wechselforderung ausgegangen werden. Die Anmeldung der Warenlieferung umfasse nicht die Wechselforderung, weil es sich um einen anderen Streitgegenstand handele.

II.


8
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Die Feststellungsklage ist als unzulässig abzuweisen, weil es an der Sachurteilsvoraussetzung einer ordnungsgemäßen Anmeldung und Prüfung der geltend gemachten Forderung mangelt (BGH, Urt. v. 8. November 1961 - VIII ZR 149/60, NJW 1962, 153, 154; Urt. v. 21. Februar 2000 - II ZR 231/98, WM 2000, 891, 892 m.w.N.).
9
1. Bei der Anmeldung sind gemäß § 174 Abs. 2 InsO der Grund und der Betrag der Forderung anzugeben.
10
a) Mit dem Grund der Forderung ist der Klagegrund und damit der Sachverhalt gemeint, aus dem die Forderung entspringt (RGZ 93, 13, 14; BFHE 149, 98, 101). Da die Anmeldung eine Form der Rechtsverfolgung darstellt und der Gläubiger aus der Eintragung als Titel die Zwangsvollstreckung betreiben kann (§ 178 Abs. 3 InsO), muss die Forderung zur Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft eindeutig konkretisiert werden (BGH, Urt. v. 27. September 2001 - IX ZR 71/00, NZI 2002, 37; BFHE 141, 7, 9; BAG NJW 1986, 1896; MünchKomm -InsO/Nowak, 2. Aufl. § 174 Rn. 10). Die Individualisierung der Forderung dient daneben dem Zweck, den Verwalter und die übrigen Insolvenzgläubiger in den Stand zu versetzen, den geltend gemachten Schuldgrund einer Prüfung zu unterziehen (MünchKomm-InsO/Nowak, aaO; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 174 Rn. 17; Eickmann in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl. § 63 Rn. 10). Mithin hat der Gläubiger bei der Anmeldung den Lebenssachverhalt schlüssig darzulegen, der in Verbindung mit einem - nicht notwendig ebenfalls vorzutragenden - Rechtssatz die geltend gemachte Forderung als begründet erscheinen lässt (RGZ 93, 13, 14; MünchKomm-InsO/Nowak, aaO; HmbKomm-InsO/Preß/ Henningsmeier, 2. Aufl. § 174 Rn. 15; Braun/Specovius, InsO 3. Aufl. § 174 Rn. 26; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 174 Rn. 27; Uhlenbruck, aaO Rn 16; Eickmann aaO § 63; Ernestus in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl. § 11 Rn. 7). Wird eine Forderung aus fremdem Recht geltend gemacht, bedarf es näheren Sachvortrags zum Rechtserwerb des Gläubigers (Pape, aaO). Ebenso ist zum Verpflichtungsgrund des Schuldners vorzutragen, wenn sich die Forderung ursprünglich nicht gegen ihn, sondern gegen einen Dritten richtete.
11
b) Zwar kann der Gläubiger zur Darlegung seiner Forderung auf beigefügte Unterlagen Bezug nehmen. Die Verweisung auf Anlagen ist jedoch unzureichend , wenn daraus der Grund der Forderung nicht hervorgeht (MünchKomm -InsO/Nowak, aaO; Pape, aaO; Ernestus, aaO). Die Vorlage einer den Rechtsgrund und die erbrachte Leistung nicht näher aufschlüsselnden Rechnung ist folglich zur Spezifizierung einer Forderung ungeeignet (HmbKommInsO /Preß/Henningsmeier, aaO; Braun/Specovius, aaO). Handelt es sich um eine Sammelanmeldung, der mehrere Forderungen eines Berechtigten oder mehrerer Berechtigter zugrunde liegen, hat für jede einzelne Forderung eine Substantiierung zu erfolgen (BAG, aaO; MünchKomm-InsO/Nowak, aaO § 174 Rn. 12; Eickmann, aaO § 63 Rn. 9; Uhlenbruck, aaO Rn. 15).
12
2. Die Anmeldung der Hauptforderung über 2.038.811,05 € genügt nicht diesen Anforderungen.
13
a) Die Forderungsanmeldung vom 7. August 2002 lässt nicht ansatzweise erkennen, wer ursprünglich Gläubiger und - weil die Schuldnerin auch für die Bestellungen ihrer sämtlichen Betriebsstätten einstehen soll - Schuldner der einzelnen Forderung war, welche konkrete Ware jeweils geliefert wurde und welcher Rechtsgrund der einzelnen Lieferung zugrunde lag. Folglich waren entgegen der Revisionsbegründung - unabhängig davon, ob es weiterer Angaben zur Fälligkeit der Forderungen bedurfte - weder der Beklagte noch die weiteren Insolvenzgläubiger in der Lage, "ein eindeutiges Bild von der geltend gemachten Forderung" zu gewinnen. Tatsächlich ist nicht annähernd ersichtlich, auf welchen konkreten Einzelforderungen die Sammelanmeldung beruht.
14
b) Eine ordnungsgemäße Anmeldung der Forderung kann nicht in der mit der Klage eingereichten Debitorenabrechnung erkannt werden; überdies fehlt es an der Sachurteilsvoraussetzung einer Prüfung der Forderung.
15
aa) Auch nach Vorlage der Debitorenabrechnung ist nicht den Anforderungen einer hinreichenden Darlegung der Forderungen genügt. Der Debitorenabrechnung können lediglich der Rechnungsaussteller, das Rechnungsdatum und der Rechnungsbetrag entnommen werden. Da daraus jedoch weder der Schuldner noch der Gegenstand und die rechtliche Grundlage der Leistung hervorgeht, können die einzelnen Forderungen auch mit Hilfe der Debitorenabrechnung nicht rechtlich nachvollzogen werden.
16
bb) Selbst wenn man von einer genügenden nachträglichen Substantiierung ausginge, wäre jedenfalls die weitere Sachurteilsvoraussetzung einer Forderungsprüfung (§ 176 InsO) nicht erfüllt.
17
Im Streitfall war die Forderungsanmeldung der Klägerin vom 7. August 2002 mangels der gebotenen Darlegung des Grundes unwirksam. Dieser Mangel kann, weil es an den Mindestanforderungen einer wirksamen Anmeldung fehlt, nur durch eine Neuanmeldung behoben werden (BGH, Urt. v. 27. September 2001, aaO; Urt. v. 23. Oktober 2003 - IX ZR 165/02, WM 2003, 2429, 2432; MünchKomm-InsO/Nowak, aaO § 174 Rn. 15; Pape, aaO § 174 Rn. 32; FK-InsO/Kießner, 5. Aufl. § 174 Rn. 23; Becker in Nerlich/Römermann, InsO § 174 Rn. 19; Braun/Specovius, aaO § 174 Rn. 31). Es kann dahinstehen, ob in der Klagebegründung eine Neuanmeldung (§ 177 Abs. 1 Satz 3 InsO) erblickt werden kann. Jedenfalls fehlt es an der Sachurteilsvoraussetzung der Durchführung eines Prüfungstermins, in dem die Forderung einen Widerspruch erfahren hat. Eine Heilung von wesentlichen Mängeln der Anmeldung ist ohne die Durchführung eines Prüfungstermins nicht möglich (BGH, Urt. v. 8. November 1961, aaO; Urt. v. 21. Februar 2000, aaO m.w.N.; BFHE 94, 4, 5 f; MünchKomm -InsO/Nowak, aaO; Pape, aaO; Uhlenbruck, aaO § 174 Rn. 22).
18
c) Vergeblich macht die Revision geltend, den Anforderungen des § 174 Abs. 2 InsO durch die Anmeldung eines Saldos der halbmonatlichen Abrechnungsperioden genügt zu haben.
19
Zwar aa) ist bei einem Kontokorrent lediglich der Saldo anzumelden (Eickmann, aaO § 63 Rn. 8). Voraussetzung ist aber, dass es sich - was im Streitfall nicht gegeben ist - um einen anerkannten Saldo handelt. Außerdem hat die Klägerin nach dem Inhalt des Schreibens vom 7. August 2002 indessen ausschließlich Forderungen aus "Warenlieferung" und keine Kontokorrentforderungen angemeldet. Auch die Vorlage der Debitorenabrechnung im vorliegenden Rechtsstreit belegt, dass außerhalb eines Kontokorrents stehende Einzelforderungen angemeldet wurden. Die Klägerin war nicht infolge der äußeren Gestaltung des Anmeldeformulars, wo sich eine besondere Spalte zur Anmeldung nicht näher bestimmter Forderungen befand, gehindert, eine Kontokorrentforderung anzumelden. Überdies ist ein Gläubiger nicht zur Verwendung eines von dem Insolvenzverwalter - wie im Streitfall - für die Forderungsanmeldung erstellten Formblatts gezwungen, sondern vielmehr berechtigt, seine Forderung in der ihm geeignet erscheinenden Weise schriftlich anzumelden (Keller, Insolvenzrecht Rn. 697). Dessen ungeachtet entbehrt die Anmeldung jeder Darlegung über ein zwischen der Klägerin und der Schuldnerin vereinbartes Kontokorrentverhältnis. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, spricht das in den Vertragsbedingungen zu Lasten der Schuldnerin enthaltene Aufrechnungsverbot nachdrücklich gegen ein Kontokorrentverhältnis.
20
bb) Selbst wenn man von einer nachträglichen hinreichenden Substantiierung einer Kontokorrentforderung im vorliegenden Rechtsstreit ausginge, wäre die Klage unzulässig.
21
Wie bereits ausgeführt (vgl. oben b bb), bedarf es stets einer Neuanmeldung , wenn der Grund des Anspruchs im laufenden Verfahren geändert wird. Ohne sie ist eine auf einen anderen Anspruchsgrund gestützte Feststellungsklage ebenso unzulässig wie eine Klage ohne jede Anmeldung. Der Übergang von der Geltendmachung einzelner kausaler Forderungen auf eine Kontokorrentforderung bildet eine Klageänderung, weil es sich dabei um eine neue, auf einen anderen Entstehungsgrund gestützte Forderung handelt.
22
Legt man die Klagebegründung als Neuanmeldung (§ 177 Abs. 1 Satz 3 InsO) aus, fehlt es jedenfalls - auch dies ist bereits oben ausgeführt - an der Zulässigkeitsvoraussetzung der Durchführung eines Prüfungstermins. Durch die Einbeziehung einer umgestalteten, ungeprüften Forderung in den Feststellungsprozess würde einem Gläubiger, der die angemeldete Forderung nicht bestritten hatte, das Recht zum Widerspruch vorenthalten (BFHE 141, 7, 10; 149, 98, 100 f). Die Notwendigkeit der Durchführung eines Prüfungstermins ist nicht durch eine Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Kläger oder durch einen Rügeverzicht des Insolvenzverwalters abdingbar (BGH, Urt. v. 21. Februar 2000, aaO).
23
3. Ebenso hat die Revision keinen Erfolg, soweit sich die Klägerin darauf beruft, eine Wechselforderung in Höhe von 914.000 € angemeldet zu haben.
24
a) Infolge der ausdrücklichen Anmeldung aus "Warenlieferung" hergeleiteter Forderungen scheidet die Anmeldung einer Wechselforderung aus. Die bloße Erwähnung des Wechsels bei der Berechnung der Sammelforderung unter dem Begriff "Wechselrückruf" sollte ersichtlich nur der Erläuterung der weiter allein auf Warenlieferung gestützten Gesamtforderung dienen (vgl. RGZ 39, 37, 45). Die Klägerin hat nicht von der in dem Anmeldeformular vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, mit dem Wechsel eine sonstige Forderung anzumelden und deren tatsächlichen Voraussetzungen substantiiert darzulegen.
25
b) Da die Wechselurkunden mit der Klage vorgelegt und erst damit die Forderungen substantiiert wurden (vgl. RGZ 39, 37, 45; FK-InsO/Kießner, aaO § 174 Rn. 20), wurde zugleich der Grund des Anspruchs geändert. Die Klage aus dem Wechsel anstatt aus dem Grundgeschäft stellt eine Klageänderung dar (vgl. BGH, Urt. v. 26. Mai 1986 - II ZR 237/85, NJW-RR 1987, 58). Infolge der Änderung des Anspruchsgrundes bedarf es als Zulässigkeitsvoraussetzung der Forderungsfeststellungsklage sowohl der Neuanmeldung als auch der - hier nach den Ausführungen unter 2. c bb) ebenfalls fehlenden - Prüfung der Forderung.
26
4. Die Anmeldung der Zinsforderung über 23.219,80 € entbehrt bereits mangels schlüssigen Vortrags der Hauptforderung der gebotenen Darlegung. Die Klägerin hat sich überdies damit begnügt, den beanspruchten Zinssatz von 5 % mitzuteilen, lässt aber jeden Vortrag zu den Fälligkeitszeitpunkten der einzelnen Rechnungen vermissen.

III.


27
Schließlich hat die Rüge der Klägerin keinen Erfolg, das Berufungsgericht sei verpflichtet gewesen, dem Beklagten gemäß §§ 421 ff ZPO bzw. gemäß § 142 ZPO die Vorlage der in der Debitorenabrechnung genannten Einzelrechnungen aufzugeben.
28
1. Es fehlt bereits an der gebotenen Darlegung, dass die angefochtene Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruht (§ 545 Abs. 1 ZPO). Mit Hilfe der Rechnungen wäre die Klägerin zwar möglicherweise imstande ge- wesen, ihre Forderung im vorliegenden Rechtsstreit ordnungsgemäß darzulegen. Die nachträgliche Substantiierung hätte jedoch für sich genommen nicht zu einem Prozesserfolg geführt, weil es neben der Anmeldung außerdem einer Prüfung der umgestalteten Forderung bedurft hätte. Die Revision lässt jedoch jeglichen Vortrag zum Erfordernis einer Forderungsprüfung vermissen.
29
2. Davon abgesehen war der Beklagte nicht zur Vorlage der Rechnungen verpflichtet.
30
a) Der Antrag auf Vorlegung einer Urkunde durch den Gegner erfordert gemäß § 424 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die Bezeichnung der Tatsachen, die durch die Urkunde bewiesen werden sollen. Der Antrag ist folglich unzulässig, wenn er mangels einer Substantiierung der zu beweisenden Tatsachen lediglich eine Ausforschung bezweckt (Zöller/Geimer, ZPO 27. Aufl. § 424 Rn. 2; Musielak /Huber, ZPO 6. Aufl. § 424 Rn. 2; MünchKomm-ZPO/Schreiber, 3. Aufl. § 422 Rn. 5). Ebenso dient § 142 ZPO nicht dazu, einer Partei die Darlegungslast dadurch zu erleichtern, dass das Gericht Ausforschung betreibt (BGH, Beschl. v. 14. Juni 2007 - VII ZR 230/06, NJW-RR 2007, 1393, 1394).
31
b) Im Streitfall oblag es der Klägerin, die angemeldeten Einzelforderungen schlüssig darzulegen. Eine solche Darlegung hat die Klägerin versäumt, obwohl sie mit Hilfe der ihr von ihren Vorlieferanten übermittelten Rechnungen hierzu ohne weiteres in der Lage gewesen wäre. Mithin war der Beklagte nicht zur Vorlage der die angemeldete Sammelforderung ausfüllenden Rechnungen verpflichtet. Der Verwalter ist grundsätzlich nicht gehalten, den Anspruch zu ermitteln und zugunsten des Gläubigers etwaige Urkunden zu beschaffen (MünchKomm-InsO/Nowak, aaO § 174 Rn. 10; HmbKomm-InsO/Preß/Henningsmeier , aaO). Vielmehr hat umgekehrt der Gläubiger dem Verwalter nach § 174 Abs. 1 Satz 2 InsO die Urkunden zur Verfügung zu stellen, die eine Forderungsprüfung ermöglichen (FK-InsO/Kießner, aaO § 174 Rn. 19).
Ganter Gehrlein Vill
Fischer Grupp

Vorinstanzen:
LG Neuruppin, Entscheidung vom 21.09.2006 - 6 O 25/03 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 04.12.2007 - 6 U 109/06 -

(1) Eine Forderung gilt als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren (§ 177) ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird oder soweit ein erhobener Widerspruch beseitigt ist. Ein Widerspruch des Schuldners steht der Feststellung der Forderung nicht entgegen.

(2) Das Insolvenzgericht trägt für jede angemeldete Forderung in die Tabelle ein, inwieweit die Forderung ihrem Betrag und ihrem Rang nach festgestellt ist oder wer der Feststellung widersprochen hat. Auch ein Widerspruch des Schuldners ist einzutragen. Auf Wechseln und sonstigen Schuldurkunden ist vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle die Feststellung zu vermerken.

(3) Die Eintragung in die Tabelle wirkt für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern.

(1) Eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet erklärt wird, wirkt gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern.

(2) Der obsiegenden Partei obliegt es, beim Insolvenzgericht die Berichtigung der Tabelle zu beantragen.

(3) Haben nur einzelne Gläubiger, nicht der Verwalter, den Rechtsstreit geführt, so können diese Gläubiger die Erstattung ihrer Kosten aus der Insolvenzmasse insoweit verlangen, als der Masse durch die Entscheidung ein Vorteil erwachsen ist.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)