Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Sept. 2018 - L 3 U 365/17

bei uns veröffentlicht am11.09.2018
vorgehend
Sozialgericht München, S 9 U 663/15, 25.10.2017

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 25. Oktober 2017 und der Bescheid vom 24. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Dezember 2015 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 22. April 2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

II. Die Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren in vollem Umfang.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1988 geborene Kläger begehrt die Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 22.04.2015 um einen versicherten Wegeunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) gehandelt hat.

Der Kläger arbeitete im Rahmen seiner Masterarbeit im Gebäude der Sektion für Physik der L.-Universität Am C. 1 in C-Stadt. Dort bereitete er am 22.04.2015 seine Präsentation für den nächsten Tag vor, an dem er die Ergebnisse seiner Vorbereitungsphase vorstellen und die Masterarbeit offiziell anmelden wollte.

Nach Aussagen von Kollegen verließ er gegen 19.00 Uhr das Universitätsgebäude, um mit dem Fahrrad nach Hause in die K-Straße 10, A-Stadt zu fahren. Der Kläger begab sich jedoch nicht unmittelbar nach Hause, sondern besuchte nach einem weiteren Aufenthalt in der Universität zunächst seinen Freund S. W. und S. L. in der S-Straße 6, 80805 A-Stadt. - Streitig ist zwischen den Parteien vor allem, ob sich der Kläger dort mehr als zwei Stunden aufhielt. - Nachfolgend verunfallte der Kläger gegen 23.30 Uhr an der Kreuzung D-Straße, als er als Fahrradfahrer unbehelmt bei Rot in südlicher Richtung die Kreuzung überquerte und hierbei in einen mit etwa 40 bis 50 km/h querenden VW-Bus hineinfuhr. Nach notärztlicher Erstversorgung wurde der Kläger in das Klinikum B. aufgenommen. Dort wurde ein offenes Schädel-Hirn-Trauma Grad III mit Felsenbeinfraktur rechts, eine Kalottenfraktur temporoparietooccipital rechts, ein Subduralhämatom links sowie diverse Kontusionsblutungen frontal bei Mittellinienshift diagnostiziert.

Zu dem zeitlichen Ablauf im Einzelnen: Die Mutter des Klägers teilte mit telefonischer Unfallmeldung vom 27.05.2015 mit, dass der Kläger am 22.04.2015 um 23.30 Uhr verunfallt sei. Am 01.06.2015 ergänzte die Mutter des Klägers, dass er einen Freund vor dem Unfall privat in dessen Wohnung besucht habe und sie zusammen zu Abend gegessen hätten. Der Kläger sei so gegen 21.00 Uhr bei dem Freund eingetroffen. Nach 23.00 Uhr habe er die Wohnung verlassen. Die genauen Zeiten würden noch mitgeteilt. Die Mutter des Klägers präzisierte mit weiterem Telefonat vom 03.06.2015, dass der Kläger um 20.28 Uhr bei dem Freund angerufen und sich zum Abendessen verabredet hätte. Laut Internet wäre er dann um 21.10 Uhr bis 21.15 Uhr dort gewesen. Kurz nach 23.00 Uhr hätte er dessen Wohnung verlassen. Laut Polizeibericht habe sich der Unfall um ca. 23.30 Uhr ereignet.

S. W. teilte mit Schreiben vom 16.06.2015 mit, dass er am Abend des 22.04.2015 länger als gewöhnlich im Büro gewesen sei. Gegen 20.15 Uhr habe er sein Büro im A. A-Stadt in der A-Straße verlassen und sich auf den Nachhauseweg begeben. Von dort habe er 30 Minuten mit dem Bus nach Hause benötigt, um die Wohnung in der S-Straße 6 zu erreichen. Bei seiner Ankunft zu Hause gegen 20.45 Uhr habe seine Mitbewohnerin S. L. berichtet, dass der Kläger angerufen habe und auf seinem Nachhauseweg kurz bei ihnen vorbeikommen würde. Im Nachhinein hätten die Eltern des Klägers nachvollziehen können, dass dieser den Anruf um 20.28 Uhr von seinem Smartphone abgesetzt hätte. Für S. L. hörte es sich so an, dass er zu diesem Zeitpunkt in C-Stadt mit dem Fahrrad losgefahren sei. Die beiden hätten rund fünf Minuten telefoniert. Er selbst hätte noch genügend Zeit gehabt, um zu Hause zu duschen und sich umzuziehen. Der Kläger müsse demnach um ca. 21.15 Uhr eingetroffen sein. Nachdem er unter der Woche spätestens um 23.15 Uhr bis 23.30 Uhr schlafen gehe, lasse sich daraus schlussfolgern, dass der Kläger die Wohnung in der S-Straße 6 zwischen 22.45 Uhr und 23.00 Uhr verlassen haben müsse.

Frau K./P.-Institut C-Stadt teilte am 23.06.2015 mit, dass der Kläger das Gebäude der L. (Campus C-Stadt) gegen 19.00 Uhr verlassen hätte. Der Vater des Klägers ergänzte mit Telefonat vom 07.07.2015, dass sich nach 19.00 Uhr noch mehrere Studenten bis ca. 20.00 Uhr zusammengesetzt hätten. Es müsse noch eruiert werden, was sein Sohn (der Kläger) von 19.00 Uhr bis 19.30 Uhr auf dem Gelände in C-Stadt gemacht habe. Der Vater des Klägers präzisierte mit Telefonat vom 14.07.2015, sein Sohn habe sich mit Kommilitonen, mit welchen er die Forschungen durchgeführt habe, von 19.00 Uhr bis 20.30 Uhr auf dem Gelände getroffen. Sie hätten dann ihre Experimente und die Durchführung besprochen. Der für die Masterarbeit des Klägers mitverantwortliche wissenschaftliche Mitarbeiter der L. und Doktorand H. C. teilte mit E-Mail vom 24.07.2015 mit, er habe das Gelände um etwa 20.30 Uhr verlassen und sei zur Bahn gegangen (Abfahrt 20.33 Uhr), während der Kläger zu seinem Fahrrad gegangen sei.

Nach Auswertung des Polizeiberichts lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.08.2015 die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Kläger am 22.04.2015 mit dem Fahrrad das Campus-Gelände in C-Stadt in Richtung A-Stadt verlassen habe. Zuvor habe er noch mit einem Freund telefoniert, um sich mit ihm zum Abendessen in dessen Wohnung in der S-Straße 6 zu treffen. Er habe den direkten Heimweg unterbrochen, als er in die S-Straße (Seitenstraße der U-Straße) eingebogen sei. Gegen 21.15 Uhr sei er in der Wohnung des Freundes eingetroffen. Laut Mitteilung des Freundes habe er die Wohnung gegen 22.45 Uhr bis 23.00 Uhr verlassen, um den direkten Heimweg fortzusetzen. Hierbei sei es laut Polizeibericht zu dem Unfall um 23.33 Uhr gekommen. Nach dem Routenplaner sei der Weg von der S-Straße zum Unfallort in zwei Minuten mit dem Fahrrad zurückzulegen. Aufgrund dieser Tatsache habe er die S-Straße erst kurz vor 23.33 Uhr verlassen. Die 2-Stunden-Grenze sei somit überschritten. Wegen der Unterbrechung des Heimweges aus privaten Gründen um mehr als zwei Stunden habe der Kläger nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.

Die Eltern des Klägers hoben mit Widerspruch vom 23.09.2015 hervor, dass der Kläger gegen 23.00 Uhr die Wohnung verlassen habe. Für die Wegstrecke (ca. 700 m) würden im günstigsten Fall etwa fünf Minuten benötigt werden. Nachdem es dunkel gewesen sei, habe der Kläger zuerst die Beleuchtung am Rad montieren und prüfen müssen, eventuell sogar die Batterien wechseln, sein abgestelltes und versperrtes Rad aufschließen und vorbereiten müssen; er hätte sich mit seinem Rucksack fahrbereit richten müssen. Nicht zuletzt sei auch eine gewisse Zeit zwischen dem Unfall/Zusammenstoß und dem Notruf in Ansatz zu bringen. Nach Vermutung der Eltern hätte der Kläger auch sein Rad während der Fahrt funktionsfähig richten müssen, z. B. eine herausgesprungene Kette, fehlende Luft im Reifen, Platten . Es sei immer wieder zu Problemen mit der Fahrtüchtigkeit des Rades gekommen.

Die Beklagte recherchierte im Internet bei google-maps, dass die Entfernung S-Straße 6 in A-Stadt bis zum Unfallort nur 550 m betrug und als Fahrzeit mit dem Fahrrad zwei Minuten angegeben wurden. Nachfolgend wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2015 zurück. Nach den im Verwaltungsverfahren eingeholten Auskünften der beteiligten Personen sowie den Angaben in der Polizeiermittlungsakte stehe fest, dass der Kläger um 21.15 Uhr in der Wohnung seines Freundes S. W. eingetroffen sei und sich der Unfall um 23.30 Uhr ereignet habe. Zudem werde für die Wegstrecke zwischen der S-Straße 6 in A-Stadt und dem Unfallort je nach gefahrener Geschwindigkeit eine Zeitdauer von unter fünf Minuten benötigt. Somit habe der Kläger sich mehr als zwei Stunden bei S. W. aufgehalten. Dies bedinge eine Lösung von der betrieblichen Tätigkeit, so dass der Versicherungsschutz endgültig beendet sei und für den Rest des Weges nicht wiederauflebe.

Hiergegen hat die (ehemalige) Bevollmächtigte des Klägers mit Telefax vom 10.12.2015 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, das Unfallereignis vom 22.04.2015 als Wegeunfall anzuerkennen.

Das SG hat die Unfallakten der Beklagten und vom Klinikum B. das Notarztprotokoll beigezogen. In der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2017 hat das SG die Zeugen Dr. H. G. (Notarzt) sowie S. W. und S. L. gehört.

Der Notarzt Dr. G. hat ausgeführt, er habe sich die Unterlagen nochmals angeschaut. Der Alarm sei um 23.36 Uhr bei ihm im Notarztwagen eingegangen. Das heiße, der Notruf sei bei der Leitstelle 1 bis 2 Minuten vorher eingetroffen. Der Alarm 23.36 Uhr stehe zweifelsfrei fest, da dies auch in einem Fax so dokumentiert sei. Die Ankunftszeit 23.41 Uhr habe er aus den Aufzeichnungen der Rettungssanitäter entnommen.

Der Zeuge W. hat darauf hingewiesen, dass er den Bericht für die Beklagte vom 16.06.2015 nach bestem Wissen und Gewissen erstellt habe, auch wenn es schon damals nach sieben Wochen nicht einfach gewesen sei, die Zeiten auf eine Viertelstunde genau anzugeben. Er habe aber versucht, noch irgendwelche Anknüpfungspunkte zu finden, die belegen würden, wann er oder der Kläger wo gewesen sei. Manchmal sei er erst um 22.00 Uhr aus dem Büro gekommen. Befragt zu der E-Mail vom 22.04.2015 hat der Zeuge S. W. erläutert, er könne anhand der E-Mail sehen, dass er noch eine E-Mail um 19.14 Uhr aus dem Büro geschickt habe. Der Ausdruck sei farbig. Später dann um 20.46 Uhr habe er eine E-Mail von seinem I-Phone gesendet. Das sehe er an dem andersfarbigen Druck. Das heiße, er sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Büro gewesen. Er nehme an, dass er zum Zeitpunkt 20.46 Uhr an der Bushaltestelle gewesen sei, da er es sich in Absprache mit seiner Mitbewohnerin abgewöhnt hatte, zu Hause E-Mails zu beantworten und auch die Kürze der Mail dafür spreche, dass er sie an der Bushaltestelle geschrieben habe. Er habe sich den Busfahrplan der Buslinie 53 schicken lassen. Dort sei die Busabfahrt A-Straße um 20.52 Uhr angegeben. Laut Fahrplan sei die Ankunft an der M. 21.05 Uhr. Er sei dann immer von der M. zu Fuß nach Hause gelaufen. Das seien laut Google ca. 13 Minuten. Er sei also ca. um 21.15 Uhr bis 21.18 Uhr zu Hause gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger noch nicht da gewesen. Seine Mitbewohnerin Frau L. habe ihm erzählt, dass der Kläger angerufen habe und auf dem Nachhauseweg vorbeikommen habe wollen. Entsprechend seiner Angewohnheit sei er dann unter die Dusche gegangen, habe sich umgezogen und mit Frau L. angefangen, das Essen und den Salat vorzubereiten. Das brauche etwa 20 bis 30 Minuten und dann sei der Kläger zu ihnen gekommen. Da sei es ungefähr 20 Minuten vor 10.00 Uhr gewesen (= 21.40 Uhr). Später hätten sie herausgefunden, dass Frau L. und der Kläger um 20.28 Uhr telefoniert hätten. Der Kläger habe gesagt, er würde jetzt an der Uni losfahren, ob er noch bei ihnen vorbeikommen könne.

Weiterhin hat der Zeuge W. ausgesagt, dass der Kläger immer an der I. entlang geradelt sei. Dafür brauche man 1 Stunde und 1 Minute. Er nehme an, dass der Kläger mit seinem alten Stadtrad wirklich 1 Stunde Fahrzeit gebraucht habe, nachdem er die Strecke mit seinem Mountainbike abgefahren sei. Er meine, mit dem Vorbereiten nach dem Telefonat um ca. 20.30 Uhr würde dies zur Ankunft bei ihnen um 21.40 Uhr passen. Das Abendessen sei in guter Stimmung verlaufen.

Befragt zum Abfahrtszeitpunkt hat der Zeuge W. auf sein Schreiben vom 16.06.2015 (Abfahrtzeit 22.45 Uhr bis 23.00 Uhr) verwiesen. Auf Nachfrage des Beklagtenvertreters, ob der Zeuge möglicherweise den Bus früher genommen und die E-Mail im Bus geschrieben habe, hat der Zeuge W. angegeben, er habe die Angewohnheit, E-Mails nicht im Bus zu schreiben; da lese er in seinem Kindle.

Die Zeugin S. L. hat berichtet, dass sie am 20.04.2015 gegen 20.28 Uhr mit dem Kläger telefoniert habe. Wie lange das Telefonat gewesen sei, könne sie nicht mehr sagen. Das könnten ungefähr fünf Minuten gewesen sein. Wann Herr W. nach Hause gekommen sei, könne sie nicht mehr genau sagen; normalerweise sei er so zwischen 21.00 Uhr und 21.30 Uhr nach Hause gekommen, meist ziemlich spät. Als Herr W. gekommen sei, habe er erst einmal geduscht, sich umgezogen und dann hätten sie angefangen, Salat und die Brotzeit vorzubereiten. Der Kläger sei dann dazu gestoßen. Zu diesem Zeitpunkt sei noch nicht alles auf dem Tisch gestanden. Sie habe da nicht auf die Uhr geschaut und könne also zur Uhrzeit nichts sagen. Auf Nachfrage hat die Zeugin L. mitgeteilt, sie hätten in dem Schreiben vom 16.06.2015 eben versucht, möglichst genaue Angaben zu machen. Jetzt hätten sie auch nochmals nachrecherchiert, z. B. wann genau der Bus gefahren sei.

Nach Vertagung hat das SG die Beteiligten mit Schreiben vom 24.07.2017 zu dem beabsichtigten Erlass eines klageabweisenden Gerichtsbescheids gehört. Nachfolgend hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.10.2017 abgewiesen. Der Unfallzeitpunkt 23.30 Uhr stehe aus der Sicht des Gerichts fest. Denn der behandelnde Notarzt Dr. G. hätte nachvollziehbar berichtet, dass ein Alarm um 23.36 Uhr im Notarztwagen eingegangen sei. Ausgehend von einem Beginn des Heimwegs um 20.30 Uhr und dem Unfallzeitpunkt 23.30 Uhr habe der Kläger den Nachhauseweg um mehr als 2 Stunden unterbrochen. Im Schreiben vom 16.06.2015 der Zeugen S. W. und S. L. sei als Ankunftszeit 21.15 Uhr und als Zeitpunkt des Verlassens der S-Straße der Zeitrahmen 22.45 Uhr bis 23.00 Uhr angegeben worden. Die später genannte Ankunftszeit 21.45 Uhr sei nicht gesichert, da auf Annahmen beruhend. Damit gelinge aber nicht der Nachweis, dass die Unterbrechung anlässlich des eigenwirtschaftlichen Besuchs der Freunde kürzer als zwei Stunden gewesen sei. Im Übrigen sei aus der Sicht des SG vorliegend ein Versicherungsschutz in Zusammenhang mit der vom Kläger selbst geschaffenen Gefahr zu verneinen (Überfahren des Rotlichts und die verminderte Aufmerksamkeit durch Tragen von Kopfhörern mit Beschallung von lauter Musik). Ob die Gefahr zusätzlich durch fehlende Fahrradbeleuchtung erhöht gewesen sei, bedürfe daher keiner weiteren Aufklärung mehr.

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 29.11.2017 geht am 30.11.2017 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) ein. Die (nunmehrigen) Bevollmächtigten des Klägers heben mit Schriftsatz vom 31.01.2018 hervor, dass der Zeuge S. W. im Rahmen seiner Einvernahme vor dem SG schlüssig und überzeugend dargelegt habe, dass der Kläger (erst) gegen 21.40 Uhr in der S-Straße 6 in A-Stadt eingetroffen sei. Seine Heimfahrt habe der Kläger vor 23.40 Uhr fortgesetzt, denn der Notruf sei von der Polizei um 23.33 Uhr abgesetzt worden. Der Unfall müsse also vorher passiert sein. Damit stehe fest, dass der Kläger seine Weiterfahrt vor Ablauf der zwei Stunden begonnen habe. Im Übrigen sei das SG zu Unrecht von einer selbst geschaffenen Gefahr ausgegangen. Auch wenn der Kläger als routinierter Radfahrer die Strecke gekannt habe, lasse der Rotlichtverstoß den Versicherungsschutz nicht entfallen.

Von Seiten des Senats werden die Unfallakten der Beklagten und die erstinstanzlichen Streitakten beigezogen. Nach Überprüfung werden die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 16.03.2018 auf folgende Problematik aufmerksam gemacht: Der Kläger müsse sich kurz vor 20.30 Uhr von Herrn C. getrennt haben, weil dieser die U-Bahn um 20.33 Uhr habe erreichen wollen und der Weg zur U-Bahn etwa fünf bis acht Minuten dauere. Dies korrespondiere mit dem Telefonanruf des Klägers um 20.28 Uhr mit Frau L. von etwa fünf Minuten. Für diese habe es sich so angehört, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt (etwa 20.33 Uhr) in C-Stadt mit dem Fahrrad habe losfahren wollen. Hiervon ausgehend ergebe die Kontrollüberlegung des Senats, dass der Kläger, wäre er direkt nach Hause gefahren, die Unfallstelle in der U-Straße in A-Stadt nach 43 Minuten (so die übliche Fahrzeit nach Google) um 21.16 Uhr erreicht hätte. Rechne man die zweistündige Unterbrechungszeit hinzu, hätte sich der Unfall spätestens um 23.16 Uhr ereignen dürfen. Somit habe der Unfall um 23.30 Uhr nicht mehr unter dem Versicherungsschutz des § 8 Abs. 2 SGB VII gestanden. Dies gelte auch, wenn man für vertretbare Wege durch die I. 11 Minuten hinzurechne (dann würde sich als Ankunftszeit 21.27 Uhr ergeben und der Versicherungsschutz hätte sich bis 23.27 Uhr erstreckt). - Im Übrigen teile der Berichterstatter die Auffassung nicht, der Kläger sei einer selbst geschaffenen Gefahr aufgrund seines verkehrswidrigen Verhaltens erlegen, die einen Versicherungsschutz ausschließe (vgl. § 7 Abs. 2 SGB VII; BSG, Urteil vom 04.06.2002 - B 2 U 11/01 R).

Die Bevollmächtigten des Klägers verweisen mit Schreiben vom 08.04.2018 nochmals auf die Angaben des Zeugen S. W. in der mündlichen Verhandlung vor dem SG und legen einen Google-maps-Ausdruck vor, nach welchem der Radweg von dem Institut am C. 1 in C-Stadt durch die I. bis in die S-Straße 6 in A-Stadt 1 Std. 5 Minuten beträgt. Die Beklagte entgegnet mit Schriftsatz vom 28.06.2018, dass entsprechend den Erstangaben der Zeugen S. W. und S. L. der Unfallzeitpunkt nicht in den noch versicherten 2-Stunden-Zeitraum transferiert werden könne. Zudem hätte die im vorgelegten Google-maps-Ausdruck angegebene Zeitdauer von 1 Std. 5 Minuten nicht reproduziert werden können. Dabei habe sich lediglich eine durchschnittliche Fahrtdauer von 48 Minuten ergeben. Die Bevollmächtigten des Klägers heben in ihrer Replik vom 16.08.2018 hervor, dass der Kläger nicht mit einem Rennrad oder Mountainbike unterwegs gewesen sei, sondern mit einem älteren Fahrrad. Die Aussage der Beklagten sei daher spekulativ, dass der Kläger die Strecke in wesentlich geringerer Zeit hätte zurücklegen können.

In der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2018 verweist der Kläger darauf, dass er mit einem „Bergradl“ gefahren sei. Sein Vater erläutert, dass es sich um ein altes sogenanntes „Bahnhofsradl“ gehandelt habe, bei welchem etwaige Beschädigungen oder gar eine Entwendung durch Dritte verschmerzbar gewesen wären.

Zur Problematik, welche Fahrwege von der Universität in C-Stadt nach Hause in Betracht gekommen wären (aus der Sicht des Senats kommen grundsätzlich drei Wegevarianten gleichwertig in Betracht, vergl. die Entscheidungsgründe), räumt der Bevollmächtigte der Beklagten ein, dass aufgrund einer mangelnden Beleuchtung (gemeint: im Bereich des I.-Radweges) am Abend durchaus auch eine Fahrt über die U-Straße naheliegend sei.

Der Vorsitzende weist darauf hin, dass unter Anwendung einer sehr genauen Wander- und Radfahrapp (K.; siehe auch www.k...de) eine sehr differenzierte Fahrroute darstellbar ist. Dabei geht der Senat von einer Fahrt im Wesentlichen entlang des I.-Radweges aus. Dies stellt eine Strecke von 15,9 km (von Am C. 1 in C-Stadt bis S-Straße 6 in A-Stadt) dar. Je nach Leistungsniveau des Fahrradfahrers ergeben sich unterschiedliche Fahrzeiten. Diese wurden im Einzelnen besprochen und in der mündlichen Verhandlung angegeben: Bei 10 km/h 1 Std. 36 Min., bei 12 km/h 1 Std. 19 Min., bei 15 km/h 1 Std. 04 Min., bei 20 km/h 48 Min. (wobei K. letztes als „Profi-Niveau“ bezeichnet). Außerdem ergibt sich aus K., dass die Strecke von C-Stadt nach A-Stadt stetig leicht bergauf führe.

Die Bevollmächtigte des Klägers stellt den Antrag,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 25.10.2017 sowie den Bescheid vom 24.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 22.04.2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Unfallakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) zulässig (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 8/11 R -, BSGE 111, 37 und juris Rdnr. 13 m. w. N.) und begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 25.10.2017 und der Bescheid der Beklagten vom 24.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2015 verletzen den Kläger in seinen Rechten und sind zu aufzuheben. Denn das Ereignis vom 22.04.2015 stellt einen versicherten Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) dar.

Der Kläger gehörte zum Unfallzeitpunkt dem versicherten Personenkreis gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8c SGB VII an. Denn er fertigte seine Masterarbeit an der L.-Universität A-Stadt und war somit als dort Studierender versichert.

Das Vorliegen eines Wegeunfalls im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII ist zur Überzeugung des Senats auch nachgewiesen. Nach dieser Rechtsnorm sind versicherte Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Das Zurücklegen des Weges ist das Sichfortbewegen auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und Zielpunkt begrenzt ist, mit der objektivierten Handlungstendenz, den jeweils versicherten Ort zu erreichen (BSG, Urteil vom 31.08.2017 - B 2 U 2/16 R -). Ausgangspunkt ist vorliegend das Institut für Physik, Am C. 1 in C-Stadt; Endpunkt ist die damalige Wohnung des Klägers in der K-Straße 10, A-Stadt gewesen.

Gängige Routenplaner wie google-maps, aber auch weniger bekannte Routenplaner wie K., gehen übereinstimmend davon aus, dass für einen Radfahrer im Wesentlichen drei Wegevarianten in Betracht kommen, um von C-Stadt nach Hause in die K-Straße 10 in A-Stadt zu gelangen: Es handelt sich um eine westliche Variante von C-Stadt-Süd über die M.- und F. Landstraße sowie anschließend durch die U-Straße und die Stadtmitte, um eine mittlere Variante westlich der I. (= I.-Radweg) weitgehend durch den E. und eine Variante östlich der I. durch die dortigen I..

Ein Wechsel von der mittleren Variante zu westlichen Variante ist hierbei ohne relevanten Umweg insbesondere im Bereich der O-Straße auf Höhe der S-Straße möglich, wenn es zum Beispiel gilt, bei Dunkelheit von dem weitgehend unbeleuchteten I.-Radweg auf die auch des Nachts regelmäßig verkehrsreiche, aber beleuchtete Strecke durch die U-Straße zu wechseln. Dies hat auch der Bevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2018 als naheliegend angesehen.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger zunächst den I.-Radweg befuhr und nach dem Abendessen über die U-Straße nach Hause fahren wollte. Dies stützte Senat zunächst auf den glaubhaften Vortrag der Bevollmächtigten, des Vaters des Klägers und wird auch durch den Zeugen W. in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vom 20.06.2017 bestätigt. Dieser bestätigte dabei, der Kläger habe den Weg durch die I. bevorzugt. Im Übrigen ist dies nahe liegend, da die Strecke am I.-Radweg oder in den I. für Fahrradfahrer wesentlich angenehmer zu befahren ist, als die sehr verkehrsreiche westliche Route an der Straße.

Der Kläger hat sich folglich immer noch auf einem sinnvollen Nachhauseweg befunden, wenn er durch die S-Straße gefahren ist, um von der mittleren Wegevariante auf die westliche Streckenvariante zu wechseln. Der Wohnort der Zeugen W. und L. in der S-Straße 6 liegt somit auf einem der möglichen und sinnvollen Nachhausewege des Klägers.

In der Konsequenz liegt auch der Unfallort an der Kreuzung D-Straße auf dem versicherten Nachhauseweg des Klägers (westliche Variante). Dies gilt sowohl unter dem Gesichtspunkt, dass der Kläger (entgegen seinen Gepflogenheiten) von Anfang an die westliche Wegevariante hätte wählen können, als auch unter dem Gesichtspunkt, dass er unabhängig von der Unterbrechung bei den Zeugen W. und L. in diesem Bereich die Wegevarianten von der mittleren zur westlichen Variante gewechselt hat. In Anbetracht der zwischenzeitlich eingetretenen Dunkelheit im April ist der Wechsel von der mittleren zur westlichen Variante, welche beleuchtet ist, auch aus diesem Grund sinnvoll.

Auch in zeitlicher Hinsicht hat der Kläger noch unter dem Unfallversicherungsschutz des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gestanden. Denn eine Lösung von der versicherten Tätigkeit tritt ein, wenn der Versicherte den Weg vom Tätigkeitsort um mehr als zwei Stunden durch private Verrichtungen (einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Wege) unterbrochen hat (BSG, Urteil vom 02.12.2008 - B 2 U 26/06 R, Rz. 28, BSGE 102, S. 111 ff.; BSG, Urteil vom 27.10.2009 - B 2 U 23/08 R -, UV-Recht aktuell 2010, S. 114 ff.).

Ausnahmen von der strikten Zeitgrenze von zwei Stunden kommen aus Gründen der Rechtssicherheit weder zu Lasten noch zugunsten des Versicherten in Betracht (Keller in Hauck/Noftz, Gesetzliche Unfallversicherung, K § 8 Rz. 265 m. w. N.). Beweispflichtig für das Einhalten der 2-Stunden-Grenze ist der Kläger (Kasseler Kommentar § 8 Rz. 273 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 27.10.2009 - B 2 U 23/08 R -). Ihm obliegt die Beweislast, dass er den Nachhauseweg nicht länger als zwei Stunden unterbrochen hat (BSG, Urteil vom 02.12.2008 - B 2 U 26/06 R -; BSGE 102, 111-121, SozR 4-2700 § 8 Nr. 29).

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Verwaltungsverfahren und vor dem Sozialgericht München lässt sich zur Überzeugung des Senats gesichert der Beweis führen, dass der Kläger den Unfallort an der Kreuzung D-Straße nach einer Unterbrechung von weniger als zwei Stunden erreicht hat. Danach hat sich der Kläger kurz vor 20.30 Uhr von Herrn C. getrennt, da dieser die U-Bahn um 20.33 Uhr erreichen wollte und der Weg zur U-Bahn etwa fünf bis acht Minuten dauert.

Dies korrespondiert mit dem Telefonanruf des Klägers um 20.28 Uhr der Zeugin L. von etwa fünf Minuten. Für diese hörte es sich so an, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt (etwa 20.33 Uhr) in C-Stadt mit dem Fahrrad losfahren wollte. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger anschließend die übliche mittlere Wegvariante über den I.-Radweg gewählt hat, um abseits der verkehrsreichen Straßen bei hereinbrechender Dunkelheit seinen Nachhauseweg anzutreten. Der Weg von Am C. 1 in C-Stadt nach S-Straße 6 in A-Stadt beträgt hierbei etwa 15,8 km.

Hierfür benötigt der Kläger nach dem gängigen Routenplaner Google-Maps etwa 48 Minuten, worauf auch die Beklagte mit Schriftsatz vom 28.06.2018 hingewiesen hat. Der Vergleich mit der in der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2018 eingehend erläuterten Wander- und Fahrrad-App K. ergibt jedoch, dass hierbei eine Durchschnittsgeschwindigkeit vom 20 km/h zugrunde gelegt worden ist, die K. dem „Profi-Niveau“ zuordnet.

Auch wenn es sich bei dem Kläger zum Unfallzeitpunkt um einen kräftigen jungen Mann gehandelt hat (so der Eindruck des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vom 11.09.2018 von dem Kläger, auch wenn dieser nunmehr auf einen Rollstuhl angewiesen ist), ist zu berücksichtigen, dass dieser ein älteres „Berg- oder Bahnhofsradl“ gefahren hat, das nicht so hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten zulässt wie ein Rennsportrad. Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die gesamte Strecke entsprechend dem Verlauf der I. stetig leicht bergauf führt, und deswegen eine niedrigere Durchschnittsgeschwindigkeit anzusetzen ist.

Legt man auch in Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger ein älteres Fahrrad gefahren hat und der Weg stets leicht bergauf gegangen ist, die zweithöchste (von insgesamt 5 Leistungsstufen) „sehr sportliche“ Durchschnittsgeschwindigkeit zugrunde, die K. mit 15,3 km/h vorsieht, ergibt sich bei einer Wegstrecke von 15,8 km/h eine Fahrzeit von 1 Std. 01 Min. von Am C. 1 in C-Stadt nach S-Straße 6 in A-Stadt. Bei niedrigerem Leistungsniveau von 12 km/h oder 10 km/h verlängert sich die Fahrtzeit laut K. entsprechend. Dies bedingt, dass der Kläger von einer gesicherten Abfahrtszeit in C-Stadt um 20.33 Uhr und einer Fahrzeit von 1 Std. 01 Min., die der Senat zugrunde legt, frühestens um 21.34 Uhr in der S-Straße 6 in A-Stadt angekommen ist.

Dies entspricht den korrigierten Angaben des Zeugen W. in der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2017. Dort hat der Zeuge W. in sich schlüssig dargelegt, warum er entgegen seinen Erstangaben mit Schreiben vom 16.06.2015 nicht mehr an der Ankunftszeit 21.15 Uhr festhält, sondern nach reiflicher Überlegung von einer Ankunftszeit des Klägers um 21.40 Uhr ausgeht.

Seine vor dem Sozialgericht München korrigierte Aussage ist für den Senat schlüssig und überzeugend, weil der Zeuge W. nunmehr anhand von konkreten Anknüpfungspunkten versucht hat, den genauen Zeitpunkt der Ankunft des Klägers bei ihm zu Hause zu rekonstruieren und die Anknüpfungspunkte (zwei E-Mails vom Büro bzw. von Unterwegs aus, übliche Fahrzeiten mit dem Bus Nr. 53 von der A-Straße in A-Stadt zur M., nachgewiesen durch den konkreten Busfahrplan, häusliche Gepflogenheiten wie Duschen, anschließendes Herrichten des Abendessens und Richten des Salats mit der Zeugin L.) ausreichend objektivierbar einen Rückschluss auf die tatsächliche Ankunftszeit des Klägers in der S-Straße 6 in A-Stadt ergeben.

Die zeitliche Differenz von 6 Minuten (vom Senat errechnete und zugrunde gelegte Ankunftszeit 21.34 Uhr - von dem Zeugen W. genannte Ankunftszeit 21.40 Uhr) erklärt sich durch die Notwendigkeit, das Fahrrad ordnungsgemäß abzustellen und zu verschließen bzw. sich nach dem Fahrradfahren etwas zu richten.

Ausgehend von der Ankunftszeit 21.34 Uhr in der S-Straße 6 in A-Stadt hätte der Kläger sich maximal zwei Stunden bei den Zeugen W. und L. aufhalten dürfen, um den Versicherungsschutz des § 8 Abs. 2 SGB VII durch die dortige Unterbrechung nicht zu verlieren.

Der Kläger hat sich jedoch wenige Minuten vor dem fiktiven Ablauf des Versicherungsschutzes um 23.34 Uhr wieder auf dem versicherten Nachhauseweg befunden.

Denn der Unfallzeitpunkt 23.30 Uhr bis 23.32 Uhr ist für den Senat aufgrund der Aussage des Notarztes Dr. G. gesichert. Der Alarm ist bei ihm um 23.36 Uhr im Notarztwagen eingegangen. Der Notruf bei der Polizei ist wenige Minuten zuvor um 23.33 Uhr dort eingegangen. Unter Berücksichtigung, dass auch das Absetzen des Notrufes durch einen Ersthelfer ein oder zwei Minuten umfasst, ist der Unfallzeitpunkt zwischen 23.30 Uhr und 23.32 Uhr gesichert. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass der Kläger von der S-Straße 6 auch noch einige Minuten bis zum Unfallort benötigte. Wie bereits oben ausgeführt wurde, handelte es sich bei der Fahrt über die S.straße 6 auch nicht um einen unversicherten Abweg.

Der Kläger hat sich somit aus zeitlicher Sicht eben noch im Versicherungsschutz des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII befunden. Denn er hat nach den vorstehenden Ausführungen seinen Nachhauseweg um weniger als 2 Stunden unterbrochen.

In diesem Zusammenhang kann der Senat offenlassen, dass der genaue Zeitpunkt des Verlassens der Wohnung S-Straße 6 in A-Stadt nicht gesichert ist. Die reine Fahrtzeit von der S-Straße 6 in A-Stadt bis zum Unfallort Kreuzung D-Straße kann bei etwa 550 m auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass vor dem erneuten Antritt der Weiterfahrt das Rad gerichtet werden muss, in wenigen Minuten zurückgelegt werden. Ausgehend von dem Unfallzeitpunkt 23.30 Uhr bis 23.32 Uhr muss der Kläger somit spätestens gegen 23.20 Uhr bis 23.25 Uhr die Zeugen W. und L. verlassen haben. Wenn die Zeugen in ihrem Schreiben vom 16.06.2015 von einem früheren Verlassen der Wohnung zwischen 22.45 Uhr und 23.00 Uhr ausgegangen sind und dies nachfolgend in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht München am 20.06.2017 nicht mehr haben bestätigen können, ist dies unschädlich. Denn selbst wenn man von einer weiteren zeitlichen Unterbrechung des Klägers durch nicht mehr aufklärbare Umstände (z.B. längeres Richten des Fahrrads) ausgeht, lässt dies den Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII nicht entfallen, da die Gesamtzeit der Unterbrechung unter 2 Stunden betragen hat, wie vorstehend bereits dargelegt.

Im Übrigen ist der Rechtsauffassung des Sozialgerichts München nicht zu folgen, der Kläger sei einer selbst geschaffenen Gefahr aufgrund seines verkehrswidrigen Verhaltens erlegen. Denn der Gesetzgeber hat in § 7 Abs. 2 SGB VII normiert, dass selbst ein verbotswidriges Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt. Auch wenn der Kläger sich möglicherweise in mehrfacher Hinsicht selbst gefährdet hat (Fahren ohne Helm, Rotlichtverstoß und Tragen von Kopfhörern bzw. Hören von Musik), schließt dies einen Versicherungsschutz nicht aus (Keller in Hauck/Noftz, Gesetzliche Unfallversicherung, K § 2 Rz. 7 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 04.06.2002 - B 2 U 11/01 R -, SozR 3-2700 § 8 Nr. 10).

Die Problematik eines Alkoholeinflusses stellt sich hier nicht (vergl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 24/05 R -; juris, BSGE 97, 54-63, SozR 4-2700 § 8 Nr. 18). Denn der Kläger hat ausweislich des aktenkundigen Laborberichts des Notfallzentrums am Klinikum B. vom 23.04.2015 diesbezüglich ein unauffälliges Blutbild gehabt. Dies gilt auch hinsichtlich anderer möglicherweise die Sinne beeinträchtigende Substanzen wie Opiate, Cocain, starke Schmerzmittel usw.

Vielmehr hat das BSG (Urteil vom 12.04.2005 - B 2 U 11/04 R -; juris, SGb 2006, 166-172) bestätigt, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen der Arbeitsverrichtung (hier: Wegeunfall) und dem Unfallereignis nur dann ausnahmsweise entfallen kann, wenn die betrieblichen Umstände durch eine selbst geschaffene Gefahr so weit in den Hintergrund gedrängt werden, dass letztere als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen sind.

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor, weil ausweislich der Verkehrsunfallanzeige der Verkehrspolizeiinspektion A-Stadt / T. Landstraße vom 24.07.2015 sich ausschließlich Gefahren realisiert haben, die aus der Teilnahme am Straßenverkehr resultieren, nämlich das vorstehend erwähnte selbstgefährdende Verhalten des Klägers im Straßenverkehr und das zeitlich unglückliche Kreuzen des vorfahrtberechtigten VW-Busses, in den der Kläger seitlich rechts hinten mit so hoher Geschwindigkeit hineingefahren ist, dass sogar das Fenster des VW-Busses rechts hinten gesplittert ist.

Nach alledem ist der Berufung des Klägers stattzugeben gewesen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Sept. 2018 - L 3 U 365/17

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig
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Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kos

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(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem G

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(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. (2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

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bei uns veröffentlicht am 15.05.2012

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die gerichtliche Feststellung eines Arbeitsunfalls.

2

Am 5.5.2006 brachte sie während ihrer Freistellungsphase aufgrund vereinbarter Altersteilzeit ihrem Arbeitgeber ein von ihm auszufüllendes Formular für eine sog Vorausbescheinigung von Arbeitsentgelt, um sie sodann beim Rentenversicherungsträger vorzulegen, damit dieser ihr nahtlos zum Eintritt in den Ruhestand Rente wegen Alters in richtiger Höhe zahlen sollte. Dabei stolperte sie auf einer Treppe im Betriebsbereich, stürzte auf ihr linkes Handgelenk und erlitt dadurch einen Speichenbruch des linken Unterarms.

3

Die Beklagte lehnte es ab, deswegen einen Arbeitsunfall festzustellen (Bescheid vom 17.8.2006; Widerspruchsbescheid vom 17.1.2007). Von einer versicherten Tätigkeit sei nicht auszugehen, da die Abgabe der Bescheinigung im eigenwirtschaftlichen Interesse der Klägerin gelegen habe.

4

Die Klagen und die Berufung sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG Landshut vom 29.3.2010 und Urteil des Bayerischen LSG vom 8.2.2011). Das LSG hat ausgeführt: Ein sachlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit als Beschäftigte und der Überbringung des Formulars liege nicht vor. Das private Interesse der Klägerin im Rahmen ihrer Sozialversicherungsangelegenheit stehe hierbei im Vordergrund. Soweit auch Belange des Arbeitgebers berührt seien, beträfen diese weder seine unmittelbaren Pflichten aus dem Arbeitsvertrag noch seine allgemeine Fürsorgepflicht. Dass die Gewährung von Altersrente zugleich Voraussetzung für die Gewährung einer Betriebsrente sei und dass der Arbeitgeber bei fehlerhafter oder verspäteter Ausstellung der Bescheinigung sich möglicherweise schadensersatzpflichtig mache, rechtfertige kein anderes Ergebnis. Zwar habe das BSG einen Arbeitnehmer auf dem Weg zum Personalbüro als versichert angesehen, wenn er dort eine Arbeitsbescheinigung abholen wollte, die er für die weitere Aufenthaltserlaubnis benötige (Urteil vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78). Während der Arbeitgeber die Ausstellung der Arbeitsbescheinigung aufgrund seiner Fürsorgepflicht aus dem Arbeitsverhältnis schulde, diene die Vorausbescheinigung jedoch wesentlich dem eigenwirtschaftlichen Interesse der Realisierung von Sozialleistungsansprüchen.

5

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 8 Abs 1 SGB VII. Das Überbringen des Formulars für eine Vorausbescheinigung des Arbeitgebers stehe im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Die ordnungsgemäße Ausfüllung einer Vorausbescheinigung iS des § 194 SGB VI stelle neben der Erfüllung seiner Fürsorgepflicht aus dem Arbeitsverhältnis eine eigene gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers dar und habe daher nicht ausschließlich in ihrem privaten Interesse gelegen. Eine unrichtige oder verspätete Ausstellung der Bescheinigung hätte nicht nur dazu geführt, dass die Klägerin nicht nahtlos die rentenversicherungsrechtliche Altersrente erhalten hätte. Der Bezug der Altersrente sei auch Voraussetzung für den Bezug der betrieblichen Altersrente gewesen. Die Ausstellung der Bescheinigung habe also im Hinblick auf ihre möglicherweise entstehenden Schadensersatzansprüche im wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers gelegen. Sie habe ohne weiteres der Auffassung sein können, mit der Überbringung des Formulars und der beabsichtigten gemeinsamen Ausfüllung desselben mit dem zuständigen Mitarbeiter des Arbeitgebers, eine sich aus ihrem Arbeitsverhältnis ergebende Nebenpflicht zu erfüllen. Schließlich müsse die Entscheidung des BSG (Urteil vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78) - anders als das LSG meint - aufgrund der in beiden Fällen vergleichbaren Motivation der Arbeitnehmer zur Zurechnung der Abgabe des Formulars zur versicherten Tätigkeit führen. In beiden Fällen bestehe eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis.

6

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 2011 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 29. März 2010 aufzuheben und unter Aufhebung der die Feststellung eines Versicherungsfalls ablehnenden Entscheidung in dem Bescheid der Beklagten vom 17. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2007 festzustellen, dass das Ereignis vom 5. Mai 2006 ein Arbeitsunfall der Klägerin ist.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend. Die Entscheidung des BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe die Vorausbescheinigung zur Berechnung ihrer Altersrente und nicht für ihre Arbeitstätigkeit benötigt. Mangels Aufforderung zum Tätigwerden sei auch die Motivationslage in beiden Fällen unterschiedlich gewesen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat die zulässige Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen, da das SG ihre zulässigen Klagen zutreffend als unbegründet abgewiesen hat.

10

Gemäß § 54 Abs 1 iVm § 55 Abs 1 Nr 1, § 56 SGG ist die Kombination einer Anfechtungs- mit einer Feststellungsklage zulässig.

11

Die Anfechtungsklage richtet sich zulässig gegen die Ablehnung des von der Klägerin bei der Beklagten verfolgten Anspruchs auf Feststellung des geltend gemachten Arbeitsunfalls.

12

Die Feststellungsklage ist statthaft auf die gerichtliche Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses iS des § 55 Abs 1 Nr 1 SGG, nämlich des geltend gemachten Versicherungsfalls, gerichtet. Der Eintritt eines Versicherungsfalls iS des § 7 Abs 1 SGB VII bedeutet die Begründung eines konkreten, nach Inhalt und Umfang durch den Versicherungsfall bestimmten Leistungsrechtsverhältnisses zwischen dem Versicherten und einem bestimmten Unfallversicherungsträger, aus dem konkrete Rechte auf Versicherungsleistungen entstehen können, aber nicht müssen.

13

Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen gerichtlichen Feststellung, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, also das Leistungsrechtsverhältnis besteht. Insbesondere fehlt es hieran nicht deshalb, weil sie nach ständiger Rechtsprechung des BSG zulässig auch eine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Arbeitsunfalls, also auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes, erheben könnte. Der prozessuale Nachrang der Feststellungsklage im Verhältnis zu den (Gestaltungs- und) Leistungsklagen (Verpflichtungsklagen, allgemeine Leistungsklagen) besteht nur, wenn das jeweilige Rechtsschutzbegehren umfassend und effektiv durch eine dieser spezieller ausgestalteten Klagen verfolgt werden kann. Die Feststellungsklage ist aber gerade bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Versicherungsfalls jedenfalls gleich rechtsschutzintensiv, da die gerichtliche Feststellung des Versicherungsfalls mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit für die Beteiligten auch materiell rechtskräftig wird (§§ 141 Abs 1, 179, 180 SGG). Allerdings kann die Verpflichtungsklage dem maßgeblichen (§ 123 SGG) Begehren des Verletzten im Einzelfall eher entsprechen. Daher erkennt das BSG ein Wahlrecht des Verletzten zwischen einer zulässigen Feststellungs- und einer zulässigen Verpflichtungsklage an (zuletzt BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 mwN; BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 23/09 R - Juris RdNr 9 mwN - UV-Recht Aktuell 2010, 897 und BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25 RdNr 8 mwN).

14

Die Klagen sind, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nicht begründet.

15

Die Anfechtungsklage ist unbegründet, weil die Ablehnung der Feststellung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte rechtmäßig und die Klägerin dadurch nicht in einem ihr zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Sie hat nämlich gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, da kein Arbeitsunfall vorliegt. Deswegen ist der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig und auch die Feststellungsklage unbegründet, weil das umstrittene Rechtsverhältnis nicht besteht.

16

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines Arbeitsunfalls vom 5.5.2006.

17

Der Versicherte kann vom zuständigen Unfallversicherungsträger gemäß § 102 SGB VII die Feststellung eines Versicherungsfalls, hier eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB VII, beanspruchen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).

18

Nach § 8 Abs 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit(versicherte Tätigkeit, S 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 S 2).

19

Ein Arbeitsunfall setzt danach voraus: Eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis muss den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Diese Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese Einwirkung muss schließlich einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität; vgl ua BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 16; BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 9/10 R - BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr 17, RdNr 10; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 27/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 30 RdNr 10 mwN).

20

Die Klägerin hat keine versicherte Tätigkeit verrichtet, war also keine Versicherte und hat deshalb keinen Arbeitsunfall erlitten, als sie ihrem Arbeitgeber das Formular für eine Vorausbescheinigung von Arbeitsentgelt für den Rentenversicherungsträger brachte und dabei auf einer Treppe im Betriebsbereich stürzte. Versicherter ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer (in der freiwilligen Versicherung nach § 6 Abs 1 SGB VII nur kraft Antrags iS des Abs 2 aaO) versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt.

21

Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) und (subjektiv) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese auch als "Handlungstendenz" bezeichnete subjektive Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten ist eine innere Tatsache.

22

Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes, soweit die Intention objektiviert ist (sog objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung (erst recht nicht eine niedrigere Vorsatzstufe) reicht hingegen nicht.

23

Zwar liegt die objektive Grundvoraussetzung der Verrichtung einer versicherten Tätigkeit, das von außen beobachtbare Handeln an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, mit dem Begehen der Treppe vor. Dieses sehr unspezifische Verhalten lässt aber aus sich heraus keinen Schluss auf die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes einer versicherten Tätigkeit zu. Jedoch steht es in natürlicher Handlungseinheit mit der Überbringung des Formulars, dessen Ausfüllung als Vorausbescheinigung die Klägerin von ihrem Arbeitgeber beanspruchte. Daher kommt, wie die Vorinstanzen zutreffend angesprochen haben, als einziger Tatbestand einer versicherten Tätigkeit der der Beschäftigtenversicherung, also die Tätigkeit als "Beschäftigte" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII in Betracht.

24

Die Klägerin hat die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift sind "Beschäftigte" versichert.

25

Das Gesetz stellt für die Versicherteneigenschaft nicht abstrakt auf einen rechtlichen "Status" als "Beschäftigter" ab. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind Rechte auf Versicherungsleistungen nach den §§ 26 ff SGB VII bei Arbeitsunfällen iS des § 8 Abs 1 S 1 SGB VII nur wegen solcher Unfälle vorgesehen, die infolge "einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)" entstanden sind. Die Tatbestände der versicherten Tätigkeiten sind jeweils gesondert materiell gesetzlich bestimmt und begründen eigenständige "Sparten" der gesetzlichen Unfallversicherung mit eigenen Schutzbereichen. Nur wenn, solange und soweit jemand den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eine eigene Verrichtung erfüllt, ist er gegen Unfälle (§ 8 Abs 1 S 2 SGB VII) versichert, die rechtlich wesentlich durch diese Verrichtung verursacht werden.

26

Deswegen reicht die Fiktion einer Beschäftigung für Personen nach § 7 Abs 1a SGB IV, die wegen Altersteilzeit von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt sind, zur Begründung der Versicherteneigenschaft nicht aus. § 7 Abs 1 und 1a SGB IV lassen die unfallversicherungsrechtliche Bedeutung des Rechtsbegriffs "Beschäftigte" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII unberührt, soweit sie davon abweichen(§ 1 Abs 3 SGB IV). Erforderlich ist auch bei solchen Freigestellten stets die tatsächliche Verrichtung einer Beschäftigung.

27

1. Eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als "Beschäftigter" setzt tatbestandlich voraus, dass der Verletzte eine eigene Tätigkeit(vgl auch § 121 Abs 1 SGB VII) in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (vgl § 7 Abs 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII).

28

Das ist nur der Fall, wenn

-       

seine Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen,

-       

er eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht,

-       

er eigene unternehmensbezogene Rechte aus der Beschäftigung ausübt.

29

a) Für die Verrichtung einer Tätigkeit als Beschäftigter iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII kommt es nach dem Wortlaut dieser Vorschrift im Zusammenhang des SGB VII objektiv auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile nur für das Unternehmen des anderen bringen soll. Denn nur unter diesen Voraussetzungen ist nicht der die Tätigkeit Verrichtende selbst Unternehmer im unfallversicherungsrechtlichen Sinne (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII), sondern der andere, der durch sie unmittelbar begünstigt wird. Der "Beschäftigte" verrichtet seine Beschäftigung also nur, wenn er Handlungen in Unterordnung zur selbständigen Tätigkeit eines anderen und zu deren unmittelbaren Förderung vornimmt.

30

b) Auch die Entstehungsgeschichte des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII führt zu diesem Ergebnis.

31

Nach den Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz ) vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) erfasst § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII die Beschäftigten iS des § 7 Abs 1 SGB IV(vgl BT-Drucks 13/2204, S 74 zu § 2 Abs 1 SGB VII). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (S 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (S 2).

32

§ 7 Abs 1 SGB IV ist mit Wirkung vom 1.7.1977 durch Gesetz vom 23.12.1976 (BGBl I 3845, 3846) eingeführt worden. Eine entsprechende Vorschrift gab es bis dahin nicht. Der Begriff der Beschäftigung war jedoch Gegenstand einer umfangreichen Rechtsprechung zu allen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, die mit der Begriffsbestimmung zu § 7 SGB IV im Wesentlichen übereinstimmt. Nach § 7 Abs 1 SGB IV liegt eine Beschäftigung zwar immer dann vor, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht; sie kann allerdings auch ohne ein Arbeitsverhältnis gegeben sein (vgl BT-Drucks 7/4122, S 31). Hierin ist eine Konkretisierung und behutsame Weiterentwicklung der in der Rechtsprechung bereits vorher herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze zu sehen (vgl Knospe in Hauck/Noftz, SGB IV, Stand August 2009, K § 7 RdNr 9 unter Hinweis auf BSGE 37, 10, 13; 41, 24, 25; 41, 41, 53; vgl zur Entwicklung des § 7 SGB IV in der Folgezeit: Seewald in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV RdNr 1, Stand April 2012 sowie Rittweger in BeckOK SGB IV, § 7 RdNr 1, Stand 1.3.2012). Auch Dienstleistungsverhältnisse anderer Art werden erfasst, soweit das Handeln des Dienstverpflichteten sich in das Unternehmen des Dienstberechtigten einfügt und dessen unmittelbarer Förderung dient.

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Ein Verletzter hat nach den allgemeinen Anhaltspunkten des § 7 Abs 1 SGB VII dann eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII ausgeübt, wenn er sich in ein fremdes Unternehmen (eine fremde Arbeitsorganisation) eingliedert und seine konkrete Handlung sich dem Weisungsrecht eines Unternehmers, insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer und Art der Verrichtung, unterordnet(vgl hierzu etwa BSG vom 29.1.1981 - 12 RK 63/79 - BSGE 51, 164, 167 = SozR 2400 § 2 Nr 16 mwN sowie BSG vom 17.3.1992 - 2 RU 22/91 - SozR 3-2200 § 539 Nr 16 S 57). Naturgemäß ist dieses Weisungsrecht besonders bei Diensten höherer Art erheblich eingeschränkt; es genügt für die Unterordnung unter die Tätigkeit des anderen die "funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess" (vgl hierzu schon BSG vom 14.12.1999 - B 2 U 38/98 R - BSGE 85, 214, 216 = SozR 3-2200 § 539 Nr 48 S 202 mwN).

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c) Ferner sind die unfallversicherungsrechtlichen Bedeutungen der Begriffe des "Beschäftigten" und der Verrichtung einer Beschäftigung iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII eigenständig nach dem Zweck dieses Versicherungstatbestandes im Gefüge des SGB VII zu bestimmen.

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Die Schutzzwecke der Beschäftigtenversicherung und ihre Stellung im Rechtssystem begrenzen den Anwendungsbereich des Versicherungstatbestandes des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII gleichfalls auf die oben umschriebenen Voraussetzungen.

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Zweck der Beschäftigtenversicherung ist vor allem anderen der umfassende Unfallversicherungsschutz aller Beschäftigten vor und bei Gesundheitsschäden (oder Tod) infolge der Verrichtung der Beschäftigung, unabhängig davon, ob ein anderer den Unfall überhaupt mitverursacht und ggf dabei rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat.

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Die Versicherung zielt primär auf die Verhütung von Gesundheitsschäden und Tod infolge der Gefahren ab, denen die Beschäftigten gerade durch die Verrichtung der Beschäftigung in Eingliederung in den fremdbestimmten Unternehmensbereich ausgesetzt sind (Prävention nach §§ 14 ff SGB VII). Ferner wird ihnen, falls die Prävention versagt, bei Gesundheitsschäden eine umfassende medizinische Rehabilitation sowie berufliche und soziale Teilhabe gesichert. Zudem werden sie gegen die wirtschaftlichen Folgen einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit oder Minderung der Erwerbsfähigkeit geschützt. Bei unfallbedingtem Tod sollen auch ihre Familienangehörigen gegen den Unterhaltsverlust abgesichert werden.

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Daneben soll die Beschäftigtenversicherung auch den sog Betriebsfrieden nach Unfällen infolge der Verrichtung der Beschäftigung schützen, wenn umstritten sein könnte, ob der Unternehmer (oder ein ihm gesetzlich gleichgestellter Dritter) den Gesundheitsschaden oder den Tod mitverursacht und ggf dabei rechtswidrig und fahrlässig oder sogar grob fahrlässig gehandelt hat und dem Verletzten deswegen nach Zivilrecht/Arbeitsrecht haftet. Da die Versicherung dem Verletzten die Schadensfolgen weitgehend ausgleicht, besteht insoweit kein Bedarf für einen Rechtsstreit zwischen dem Verletzten und dem Unternehmer (oder ihm gleichgestellten Dritten), wenn dieser nicht vorsätzlich gehandelt hat. Deshalb entzieht das SGB VII dem Verletzten insoweit seine ggf nach Zivilrecht entstandenen Schadensersatzansprüche (einschließlich der Schmerzensgeldansprüche) gegen den Unternehmer (§§ 104 bis 109 SGB VII).

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Schließlich bezweckt sie auch eine gerechte Lastenverteilung unter den beitragszahlenden Unternehmern, die durch ihre Umlagebeiträge zu ihrer Berufsgenossenschaft den Versicherungsschutz in der Beschäftigtenversicherung bezahlen. Ein Unternehmer, der den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig mitverursacht hat, haftet dem Unfallversicherungsträger (also mittelbar auch den anderen Unternehmern) auf Ersatz der Ausgaben für Versicherungsleistungen an den Verletzten (§§ 110 bis 113 SGB VII).

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Die Beschäftigtenversicherung hat also in diesem Sinne und in diesen Grenzen eine möglicherweise gegebene zivilrechtliche Haftung der Unternehmer (oder gleichgestellter Dritter) gegenüber den Beschäftigten aus Gefährdungshaftung, Delikt oder aus der Verletzung von arbeitsrechtlichen Schutz- oder Fürsorgepflichten ersetzt (vgl BSG vom 19.12.2000 - B 2 U 37/99 R - BSGE 87, 224 = SozR 3-2200 § 548 Nr 41; Gitter/Nunius in Schulin, HS-UV, § 5 RdNr 28, 51, 119; zu §§ 539 Abs 1 Nr 1, 636 ff RVO: BSG vom 25.10.1989 - 2 RU 26/88 - SozR 2200 § 548 Nr 96; ferner auch BSG vom 26.6.2007 - B 2 U 17/06 R - BSGE 98, 285 = SozR 4-2700 § 105 Nr 2, RdNr 16 ff).

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Sie bildet jeher den Kern des Systems der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl schon § 95 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884, RGBl 69; §§ 898 f RVO vom 19.7.1911, RGBl 509; die Vorläufervorschrift in § 636 Abs 1 RVO). Sie versichert im genannten Sinn die Beschäftigten unter weitgehendem Ausschluss ihrer zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche nur gegen solche Gesundheits- und Lebensgefahren, die sich spezifisch daraus ergeben, dass sie Tätigkeiten für einen anderen unter Eingliederung in dessen Tätigkeit und nur zu dessen unmittelbarem Vorteil verrichten.

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2. Auch die Entwicklung der Rechtsprechung des BSG zu § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII und dessen Vorgängervorschriften führt zu dem Ergebnis, dass nur unter den drei oben genannten Voraussetzungen eine Beschäftigung verrichtet wird.

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a) Nach der Rechtsprechung des BSG wird eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII verrichtet, wenn der Verletzte zumindest dazu ansetzt, eine ihn gegenüber dem Unternehmer treffende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis tatsächlich zu erfüllen.

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aa) Dies ist dann der Fall, wenn die Verrichtung eine Hauptpflicht des Beschäftigten erfüllt, weil sie die vertragsgemäß geschuldete Arbeits- oder Dienstleistung ist (vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris RdNr 18; BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 19; BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 47/03 R - Juris RdNr 26 - SozR 4-2700 § 8 Nr 11).

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bb) Der Tatbestand der versicherten Tätigkeit iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII wird auch erfüllt, wenn die Verrichtung eine Nebenpflicht des Beschäftigten gegenüber dem Unternehmer aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllen soll.

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Als Nebenpflichten kommen vor allem die Mitwirkungspflichten des Beschäftigten als Gläubiger von Leistungspflichten des Unternehmers (§§ 293 ff BGB) und die Pflichten zur Rücksichtnahme auf dessen Rechte, Rechtsgüter und Interessen in Betracht. Diese seit dem 1.1.2002 in § 241 Abs 2 BGB ausdrücklich normierte Pflicht wurde zuvor aus § 242 BGB hergeleitet(BAG vom 22.1.2009 - 8 AZR 161/08 - Juris RdNr 27, NZA 2009, 608; vgl auch Müller-Glöge in Münchener Kommentar zum BGB, § 611, RdNr 985 f). Arbeitsrechtlich muss jeder Vertragspartner seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so erfüllen, seine Rechte so ausüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Vertragspartners so wahren, wie dies unter Berücksichtigung der wechselseitigen Belange verlangt werden kann (vgl BAG vom 16.2.2012 - 6 AZR 553/10 - Juris RdNr 12, zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen; BAG vom 13.8.2009 - 6 AZR 330/08 - Juris RdNr 31 - BAGE 131, 325; BAG vom 19.5.2010 - 5 AZR 162/09 - Juris RdNr 26 - BAGE 134, 296; Müller-Glöge in Münchener Kommentar zum BGB, § 611, RdNr 984, 1074). Gleiches gilt für Beschäftigte und Unternehmer, die nicht durch ein Arbeitsverhältnis, sondern durch ein anderes Beschäftigungsverhältnis miteinander verbunden sind. Auch für den Beschäftigten zählt dazu die sog Treuepflicht, sich im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses so zu verhalten, dass Leben, Körper, Eigentum und sonstige absolute Rechtsgüter des Unternehmers nicht verletzt werden (vgl dazu BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16).

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Das BSG hat bisher zumeist nicht zwischen Haupt- oder Nebenpflichten des Beschäftigten unterschieden. Die Erfüllung des Tatbestandes des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII (bzw nach früherem Sprachgebrauch: der innere Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit) wurde als gegeben erachtet, wenn die Verrichtung Teil der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung des Beschäftigten war, bzw dann, wenn der Beschäftigte zur Erfüllung einer sich aus seinem Arbeitsvertrag ergebenden Verpflichtung handelte(vgl BSG vom 30.6.2009 - B 2 U 22/08 R - Juris RdNr 14 - UV-Recht Aktuell 2009, 1040; BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 31/07 R - Juris RdNr 11 - UV-Recht Aktuell 2009, 485; so auch noch einleitend, später aber differenzierend BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 8/06 R - Juris RdNr 12 - UV-Recht Aktuell 2007, 860; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 14; BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 47/03 R - Juris RdNr 26 - SozR 4-2700 § 8 Nr 11).

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Es hat aber seit dem genannten Urteil vom 18.3.2008, insbesondere in seinen Entscheidungen vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - (SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 19) und vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - (Juris RdNr 18 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen - SGb 2012, 148 ), ausdrücklich die Erfüllung beider Pflichtenarten aus dem Beschäftigungsverhältnis als Verrichtung einer versicherten Beschäftigung anerkannt (vgl auch BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 21). Es hat schon im Urteil vom 18.3.2008 (B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16 ff) entschieden, dass auch die Erfüllung allein einer Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis den Tatbestand der versicherten Tätigkeit iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII zu erfüllen vermag. Den Arbeitnehmer treffe die aus § 241 Abs 2 BGB folgende Nebenpflicht, sich bei der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses so zu verhalten, dass Leben, Körper, Eigentum und sonstige absolute Rechtsgüter des Arbeitgebers nicht verletzt werden. Das Aufstellen eines Warndreiecks sei eine Nebenpflicht eines Beschäftigten, der in Verrichtung der Beschäftigung mit dem Pkw des Unternehmers an einem Verkehrsunfall beteiligt sei. Dadurch würden die Unfallstelle gesichert, der nachfolgende Verkehr gewarnt und damit Folgeschäden vermieden, die sich zu Lasten des Unternehmers auswirken könnten (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 16 ff). Es hat dazu festgestellt, dass der Verletzte durch sein Handeln objektiv seine Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt hatte. Daher kam es nicht darauf an, ob er dabei das Rechtsbewusstsein hatte, auch einer Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis nachzukommen, oder ob er in erster Linie sich und andere schützen und seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht genügen wollte. Das Bewusstsein, dem Unternehmer rechtlich zu der Handlung verpflichtet zu sein, ist weder notwendige subjektive Voraussetzung des Versicherungstatbestandes der Beschäftigung noch einer Verrichtung einer Beschäftigung. Es reicht, wenn die Intention auch darauf gerichtet war, etwas zu tun, das objektiv dem Unternehmer geschuldet war.

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cc) Eigene Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber dem Unternehmer erfüllt der Verletzte auch, wenn er Mitwirkungshandlungen vornimmt, die ihm zu dem Zweck obliegen (vgl §§ 241 Abs 2, 293 ff BGB), dass der Unternehmer seine ihm aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber dem Beschäftigten treffenden Haupt- oder Nebenpflichten erfüllen kann.

50

Das ist der Fall bei Handlungen des Verletzten zwecks Empfangnahme des Lohnes (BSG vom 1.12.1960 - 5 RKn 69/59 - BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO unter Bezugnahme auf RVA EuM Bd 20, 31; 26, 165; 33, 270) oder zur Geltendmachung von (vermeintlichen) Fehlern bei der Lohnabrechnung (BSG vom 1.12.1960 - 5 RKn 69/59 - BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO) oder zum Abtransport von Deputatholz als Teil der Vergütung (BSG vom 4.5.1999 - B 2 U 21/98 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 34). In diesen Fällen ist der Beschäftigte zivilrechtlich gehalten, dem Unternehmer zu ermöglichen, seine Hauptpflicht (§ 611 Abs 1 BGB) zu erfüllen, die Vergütung zur rechten Zeit, am rechten Ort, in rechter Weise und in richtiger Höhe zu leisten (vgl BSG vom 4.5.1999 - B 2 U 21/98 R - SozR 3-2200 § 548 Nr 34 ua unter Hinweis auf BSGE 13, 178 = SozR Nr 31 zu § 543 RVO aF; BSGE 41, 207 = SozR 2200 § 548 Nr 16; BSGE 43, 119, 121 = SozR 2200 § 548 Nr 28).

51

Gleiches gilt für eine ggf bestehende Obliegenheit des Beschäftigten, dem Unternehmer die Erfüllung seiner Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis zu ermöglichen. Solche Nebenpflichten des Beschäftigten können sich aus § 241 Abs 2 BGB, der nicht nur in Arbeitsverhältnissen gilt, ergeben. Voraussetzung ist, dass eine solche Haupt- oder Nebenpflicht des Unternehmers bereits entstanden ist und er sie nur erfüllen kann, wenn der Beschäftigte in bestimmter und ihm zumutbarer Weise mitwirkt. Denn der Beschäftigte und der Unternehmer müssen bei ihrem Zusammenwirken jeweils auf das Wohl und die berechtigten Interessen des anderen Rücksicht nehmen (vgl BAG vom 16.11.2010 - 9 AZR 573/09 - BAGE 136, 156 mwN; vgl zu den Einzelheiten Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 12. Aufl 2012, § 611 BGB RdNr 610 ff).

52

In diesem Sinn hat das BSG die Verrichtung einer Beschäftigung in einer Mitwirkungshandlung gesehen, als ein Beschäftigter den Weg zum Ort seiner bisherigen Tätigkeit zurücklegte, um sich dort seine Arbeitspapiere aushändigen zu lassen. Der Beschäftigte hatte den Unternehmer in gebotener Rücksichtnahme auf die Belange seines bisherigen Arbeitgebers durch die (beabsichtigte) Empfangnahme der Arbeitspapiere von der diesem obliegenden (nachgehenden) Nebenpflicht entlastet, ihm seine Arbeitspapiere - nach erfolglosem ersten Abholversuch - auf seine Rechnung und Gefahr zu übersenden (BSG vom 30.8.1963 - 2 RU 68/60 - BSGE 20, 23, 25 = SozR Nr 43 zu § 543 RVO aF). Die Verrichtung einer Beschäftigung lag auch bei einer Mitwirkungshandlung des Verletzten vor, der vom Arbeitgeber eine Arbeitsbescheinigung abholte, die er auf Verlangen der Ausländerbehörde für seine weitere Aufenthaltserlaubnis und damit für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses benötigte. Er hat vom Arbeitgeber eine Handlung begehrt, die dieser ihm aus dem Arbeitsverhältnis schuldete; das Abholen der Bescheinigung war vertragsgemäße arbeitsrechtliche Nebenpflicht des Beschäftigten (BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - Juris RdNr 11 - SozR 2200 § 548 Nr 78).

53

b) Keine Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII durch Erfüllung einer Nebenpflicht liegt hingegen dann vor, wenn der Verletzte zur Mitwirkungshandlung bei der Pflichtenerfüllung des Unternehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis nicht verpflichtet war. Dasselbe gilt, wenn die Pflicht des Unternehmers nur entstanden ist, weil der Beschäftigte nach freiem Ermessen ein Recht gegen ihn ausgeübt hatte, das nicht auf die Förderung des Unternehmens gerichtet ist und auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die den Unternehmer hoheitlich für den Staat zugunsten von Verwaltungsverfahren in Dienst nimmt. In beiden Fällen erfüllt nämlich der Beschäftigte keine Haupt- oder Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis, sondern begibt er sich freiwillig in den unternehmerischen Gefahrenbereich, um daraus unmittelbar nur eigene Vorteile zu erlangen (sog eigenwirtschaftliche Verrichtung).

54

War er zur Mitwirkung nicht verpflichtet, unterlag er dem unternehmerischen Gefahrenbereich nicht kraft des Beschäftigungsverhältnisses, sondern kraft freien Entschlusses, wie zB bei einer Gefälligkeit. Entstand die Pflicht des Unternehmers nicht aus dem Beschäftigungsverhältnis, sondern durch die freiwillige Ausübung eines anderweitig begründeten Rechts des Beschäftigten, ist seine Mitwirkungshandlung an der Durchsetzung seines eigenen Rechts nicht "der Beschäftigung geschuldet", sondern allein der Verfolgung eigener Interessen, also gleichfalls ein freiwilliger Eintritt in den unternehmerischen Gefahrenbereich. Das wird durch die Beschäftigtenversicherung nicht versichert. Denn sie soll nur gegen solche Gefahren begründet werden, denen der Beschäftigte wegen der Ausübung seiner Beschäftigung im fremden Gefahrenbereich, nicht aber aus eigenem Entschluss in Verfolgung nur eigener Belange ausgesetzt ist. Haupt- und Nebenpflichten aus dem Beschäftigungsverhältnis sind also nur solche, die das Zusammenwirken des Unternehmers mit dem Beschäftigten zur Förderung der Unternehmenszwecke betreffen. In beiden Fallgruppen fehlt es an der aus der Beschäftigung entstehenden Nebenpflicht des Beschäftigten, in der zweiten außerdem an der Förderung der Unternehmenszwecke.

55

In der arbeitsrechtlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass den Arbeitgeber treffende öffentlich-rechtliche Pflichten (zumeist aus dem Steuer- und Sozialversicherungsrecht), die an das Arbeitsverhältnis tatbestandlich anknüpfen und durch die der Arbeitgeber hoheitlich für den Staat in Dienst genommen wird, zugleich zivilrechtliche (arbeitsrechtliche) Nebenpflichten des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitnehmer sind. Sie werden arbeitsrechtlich als Konkretisierungen der privatrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstanden (vgl die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen; BAG vom 29.3.2001 - 6 AZR 653/99 - NZA 2003, 105; BAG vom 11.6.2003 - 5 AZB 1/03 - BAGE 106, 269 ; BAG vom 15.1.1992 - 5 AZR 15/91 - BAGE 69, 204, 210 ; BAG vom 13.5.1970 - 5 AZR 385/69 - BAGE 22, 332 ; BAG vom 30.1.1969 - 5 AZR 229/68 - BB 1969, 407 ; BAG vom 2.6.1960 - 2 AZR 168/59 - BB 1960, 983 ; Linck in Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 14. Aufl 2011, § 106, RdNr 56 mwN; Ring in Handkommentar zum Arbeitsrecht, 2. Aufl 2010, § 611 BGB, RdNr 658; vgl zum Begriff der Fürsorgepflicht auch Boemke in Handkommentar zum Arbeitsrecht, 2. Aufl 2010, § 611 BGB, RdNr 378 mwN, danach stellt die Fürsorgepflicht selbst keine eigenständige Pflicht, sondern ein Bündel einzelner Nebenpflichten dar und soll nach im Vordringen befindlicher Auffassung sogar ganz fallen gelassen werden).

56

Hierauf ist nicht näher einzugehen, da es für die Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII nicht entscheidend auf die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers oder deren öffentlich-rechtliche "Konkretisierungen" ankommt. Entscheidend ist, ob der Beschäftigte zur Mitwirkung an der Erfüllungshandlung des Arbeitgebers aus dem Beschäftigungsverhältnis verpflichtet war. Falls überhaupt eine Mitwirkungspflicht bestand, ist er nicht "aus dem Beschäftigungsverhältnis" zur Mitwirkung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber seine Handlung nur deshalb vornehmen muss, weil der Beschäftigte ein Recht ohne Bindungen aus dem Beschäftigungsverhältnis im ausschließlich eigenen Interesse ausgeübt hat, das ihm durch öffentliches Recht verliehen wurde.

57

c) Ferner verrichtet der Verletzte eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII, wenn er in der vertretbaren, aber objektiv irrigen Annahme handelt, dazu aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses verpflichtet zu sein. Die Annahme dieser Pflicht ist vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung (ex ante) und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht. Die durchgeführte Verrichtung muss objektiviert darauf ausgerichtet sein, die angenommene Pflicht zu erfüllen.

58

Die Einbeziehung dieser Fallgruppe der vermeintlichen Pflichterfüllung durch den Beschäftigten rechtfertigt sich aus dem genannten ersten Schutzzweck der Beschäftigtenversicherung. Jeder, der etwas in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dessen unmittelbarem Vorteil tut, muss, außer bei völliger Weisungsabhängigkeit, seine Pflichten kennen. Er kann durch die Beschäftigung aber auch in Umstände geraten, in denen er sofort entscheiden muss, ob ihn eine Haupt- oder Nebenpflicht zur Vornahme bestimmter Handlungen trifft. Dies ist ggf Teil seiner Pflichten aus seiner Beschäftigung.

59

In diesem Sinne hat das BSG die Verrichtung einer Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII bejaht, als ein Versicherter aus gutem Grund der Auffassung sein konnte, sich "betriebsdienlich" zu verhalten(BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14 unter Verweis auf BSGE 20, 215, 218 = SozR Nr 67 zu § 542 RVO aF; BSG SozR Nr 30 zu § 548 RVO; BSGE 52, 57, 59 = SozR 2200 § 555 Nr 5). Daher liegt bei einem "nur" eigenwirtschaftlichen Zwecken dienenden Verhalten, also bei einer Handlung mit der Absicht (dolus directus ersten Grades), nur andere Zwecke zu verfolgen als die Erfüllung des Versicherungstatbestandes der Beschäftigung, auch dann keine Verrichtung einer Beschäftigung vor, wenn das Handeln zugleich dem Unternehmen objektiv nützlich ist (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14 unter Bezugnahme auf BSG vom 25.10.1989 - 2 RU 26/88 - SozR 2200 § 548 Nr 96; BSG vom 20.1.1987 - 2 RU 15/86 - SozR 2200 § 539 Nr 119). Entscheidend ist nur, ob der Verletzte von seinem Standpunkt aufgrund objektiver Anhaltspunkte der Auffassung sein durfte, seine Verrichtung sei von ihm geschuldet, um den Interessen des Unternehmens zu dienen. Dafür reichen aber subjektive Vorstellungen ohne bestätigende objektive Anhaltspunkte nicht aus.

60

d) Den Tatbestand einer versicherten Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfüllt ein Verletzter schließlich auch dann, wenn er handelt, um eigene unternehmensbezogene Rechte wahrzunehmen. Dabei handelt es sich um die Wahrnehmung von Rechten, die die Regelung innerbetrieblicher Belange zum Gegenstand haben und/oder den Zusammenhalt in der Belegschaft und mit der Unternehmensführung fördern. Hierzu zählen ua:

die Teilnahme an Betriebsversammlungen (vgl hierzu etwa Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011; Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3. Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 40; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 179, Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 103, Stand Mai 2010),

die Tätigkeit als Betriebsratsmitglied bei der Ausübung der im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Aufgaben (vgl etwa BSG vom 20.5.1976 - 8 RU 76/75 - BSGE 42, 36, 37 = SozR 2200 § 539 Nr 19 RdNr 18 und BSG vom 20.2.2001 - B 2 U 7/00 R - SozR 3-2200 § 539 Nr 54; vgl ferner Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011; Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3. Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 38; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 180, Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 102, Stand Mai 2010),

und die Tätigkeiten zur Vorbereitung und Durchführung der zur Bildung der Räte erforderlichen Wahlen (Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 8 RdNr 65, Stand Mai 2011; Ricke in Kasseler Kommentar, § 8 SGB VII RdNr 59, Stand Dezember 2011; Schmitt, 3. Aufl 2008, § 8 SGB VII RdNr 40; Schwerdtfeger in Lauterbach, § 8 SGB VII RdNr 180, Stand August 2009; Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 103, Stand Mai 2010; vgl hierzu insgesamt zuletzt auch Krasney, SGb 2012, 130).

61

3. Die Klägerin hat vor ihrem Treppensturz keine versicherte Beschäftigung im Sinne der abschließend aufgeführten Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII verrichtet.

62

Nach § 194 Abs 1 S 1 SGB VI(in der bis zum 31.12.2007 geltenden und damit hier maßgeblichen Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 21.7.2004 - BGBl I 1791 - erhalten hatte ) haben die Arbeitgeber auf Verlangen des Beschäftigten, der für die Zeit nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses eine Altersrente beantragt hat, die Pflicht, das voraussichtliche Arbeitsentgelt bis zu drei Monate im Voraus zu bescheinigen (vgl Finke in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 194 RdNr 1, Stand Juli 1996).

63

Die Klägerin beabsichtigte, von ihrem Arbeitgeber eine sog Vorausbescheinigung iS des § 194 SGB VI zu verlangen. Dazu wollte sie ihm das einschlägige Formular vorlegen und hatte sich deshalb auf das Betriebsgelände begeben. Sie hatte also mit der Verrichtung, deren unfallversicherungsrechtliche Bedeutung hier umstritten ist, begonnen.

64

Die Abgabe des Formulars für eine Vorausbescheinigung erfüllt aber weder eine vertragliche Haupt- oder Nebenleistungspflicht der Klägerin aus ihrem Beschäftigungsverhältnis (s sogleich unter a>). Ferner durfte die Klägerin nicht annehmen, sie treffe eine solche Pflicht (dazu unter b>). Schließlich hat sie auch keine unternehmensbezogenen Rechte wahrgenommen (dazu unter c>).

65

a) Die Abgabe des Formulars für die Ausstellung der Vorausbescheinigung iS des § 194 SGB VI ist augenfällig keine sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergebende Hauptpflicht der Klägerin.

66

Sie hat damit auch keine gegenüber dem Unternehmer treffende Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt, sondern, wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, nur eigene Vorteile angestrebt. Mit ihrem Vortrag, sie habe auch abstrakt denkbare mittelbare Schadensersatzansprüche aus verzögerter Betriebsrentenzahlung vom Arbeitgeber abwehren wollen, hat sie keine solche eigene Nebenpflicht dargetan. Sie hat nicht zur Abwendung von Gefahren, die absolut geschützte Rechtsgüter des Unternehmers betrafen, gehandelt, sondern Gefahren bedacht, die allenfalls mittelbar seinen Vermögensinteressen drohten. Nach den Feststellungen des LSG gab es aber keine allgemeine oder spezielle Vermögensfürsorgepflicht der Klägerin für ihren Arbeitgeber. Hierfür sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich.

67

Die beabsichtigte Vorlage des Formulars erfüllte auch keine sie treffende Mitwirkungspflicht, dem Unternehmer dabei Hilfe zu leisten, eine ihm aus dem Beschäftigungsverhältnis ihr gegenüber obliegende Haupt- oder Nebenleistungspflicht zu erfüllen.

68

Die begehrte Ausstellung der Vorausbescheinigung durch den Arbeitgeber ist für die Erfüllung seiner Hauptleistungspflicht gegenüber der Klägerin - nämlich seiner Pflicht zur Vergütung iS des § 611 Abs 1 BGB - offensichtlich ohne rechtlichen Belang. Eine Mitwirkungspflicht der Klägerin zur Ermöglichung der Hauptleistung des Arbeitgebers bestand somit nicht.

69

Sie hatte zudem keine Mitwirkungspflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis gegenüber ihrem Arbeitgeber, von diesem die Ausstellung einer Vorausbescheinigung zu verlangen und ihm dies dann durch Vorlage des Formulars zu ermöglichen. Aufgrund ihrer Beschäftigung war sie nicht verpflichtet, vom Unternehmer die Vorausbescheinigung zu verlangen, die ausschließlich der Durchsetzung ihres allein gegen den Rentenversicherungsträger gerichteten Rechts auf nahtlose richtige Zahlung der dort beantragten Altersrente diente.

70

Dass der Unternehmer allein aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses, ohne § 194 SGB VI, nicht verpflichtet war, eine Vorausbescheinigung zu erteilen, liegt auf der Hand. Daher bestand allein auf dieser Grundlage keine Mitwirkungspflicht der Klägerin. Notwendige Voraussetzungen der Entstehung dieser Pflicht waren das Bestehen einer gesetzlichen Vorschrift, die dem Beschäftigten das Recht gegen den Arbeitgeber gewährt, nach freiem Willen die Ausstellung der Bescheinigung zu verlangen, und die Ausübung dieses Rechts. Dieses dient allein dem privaten Interesse der Klägerin an richtiger Rentenzahlung durch den Rentenversicherungsträger. Dasselbe gilt daher auch für ihre Mitwirkung an der Ausstellung der Vorausbescheinigung durch den Arbeitgeber, dessen Unternehmen dadurch nicht berührt wird.

71

Entgegen der Ansicht der Klägerin unterscheidet sich ihr Fall grundlegend von dem der Erteilung einer Arbeitsbescheinigung zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis, die auch die Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses ermöglichte. Der Arbeitnehmer hat, wie oben schon gesagt, vom Arbeitgeber eine Handlung begehrt, die dieser ihm unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis schuldete; das Abholen der Bescheinigung war vertragsgemäße arbeitsrechtliche Nebenpflicht des Beschäftigten (vgl BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 76/84 - SozR 2200 § 548 Nr 78).

72

b) Die Klägerin hat ferner keine objektiv nicht geschuldete Handlung vorgenommen in der vertretbaren, aber irrigen Annahme, damit eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen. Die Annahme dieser Pflicht ist nur vertretbar, wenn der Beschäftigte nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung (ex ante) aufgrund objektiver Anhaltspunkte und nach Treu und Glauben annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (BSG vom 18.3.2008 - B 2 U 12/07 R - SozR 4-2700 § 135 Nr 2 RdNr 14; BSG vom 29.1.1986 - 9b RU 18/85 - BSGE 59, 291 = SozR 2200 § 539 Nr 115 und BSG vom 27.6.1991 - 2 RU 17/90 - Juris RdNr 15; vgl auch Wagner in jurisPK-SGB VII, § 8 RdNr 34 f, Stand Mai 2010).

73

Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin der Auffassung sein durfte, eine vermeintliche eigene Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen, sind jedoch nicht ersichtlich. Die von ihr angenommene Vermögensbetreuungspflicht für das Vermögen des Arbeitgebers besteht nicht.

74

c) Schließlich hat die Klägerin durch die beabsichtigte Formularabgabe auch kein eigenes unternehmensbezogenes Recht wahrgenommen. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Handlung die Regelung innerbetrieblicher Belange zum Gegenstand hatte oder sie den Zusammenhalt in der Belegschaft und mit der Unternehmensführung förderte. Vielmehr ging es nur um das eigenwirtschaftliche Interesse an der sofort richtigen Altersrente.

75

4. Das Berufungsgericht hat schließlich auch zu Recht darauf hingewiesen, dass eine versicherte Tätigkeit im Sinne einer sog gemischten Tätigkeit nicht vorliegt. Es liegt mit dem Gehen auf der Treppe vor der Abgabe des Formulars für eine Vorausbescheinigung nämlich nur eine einzige Verrichtung vor. Gemischte Tätigkeiten setzen (zumindest) zwei gleichzeitig ausgeübte untrennbare Verrichtungen voraus, von denen (wenigstens) eine den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt.

76

Das LSG hat schließlich auch richtig erkannt, dass diese einzige Verrichtung auch nicht auf einer gemischten Motivationslage beruhte. Denn es hat schon nicht festgestellt, dass die Klägerin mit dem Weg zur Vorlage des Formulars zusätzlich noch eine andere Intention hatte als diejenige, die Vorausbescheinigung des Arbeitgebers und dadurch sofort die angestrebte Rentenhöhe zu erhalten.

77

5. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. September 2015 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 29. April 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 12. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. September 2013 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das Ereignis vom 17. März 2012 als Arbeitsunfall festzustellen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger am 17.3.2012 einen Wegeunfall erlitten hat, als er seine Wohnung durch ein Fenster verließ.

2

Der Kläger betrieb ein Unternehmen der Fahrzeugaufbereitung, dessen Betriebsstätte zwei Kilometer von seiner Dachgeschosswohnung entfernt lag. Die Wohnung befindet sich in einem 2 ½-stöckigen Mehrfamilienhaus. Das Erdgeschoss ist größer als die darüber liegenden Geschosse und springt zu einem Stichweg hin vor. Dieser Vorsprung hat ein Flachdach, das etwa 2,60 m über dem Niveau des Stichweges liegt. Mehrere Fenster der Wohnung im Obergeschoss gehen auf dieses Flachdach hinaus. Etwa 2,60 m oberhalb des Flachdaches liegt die Dachgeschosswohnung des Klägers, deren Fenster in einer Schleppgaube im Satteldach liegen. Unterhalb dieser Fenster befinden sich vier Ziegelreihen der Dachschräge mit abschließender Dachrinne.

3

Am Unfalltag war der Kläger um 15.30 Uhr an seiner Betriebsstätte geschäftlich verabredet. Als er die verriegelte Wohnungstür von innen aufschließen wollte, um zu seinem Geschäftstermin zu gelangen, brach der Wohnungstürschlüssel ab. Der Weg durch diese Tür war mithin versperrt, sodass er die Außentür des Hauses auf normalem Wege nicht erreichen konnte. Um den Geschäftstermin einzuhalten, verließ er - in Arbeitsmontur mit Overall und Sicherheitsschuhen - die Dachgeschosswohnung über ein Fenster, um sich auf das Flachdach vor der Obergeschosswohnung herabzulassen. Er stürzte jedoch ab, fiel auf das Flachdach und brach sich den rechten Unterschenkel. Die Blutuntersuchung ergab einen positiven Kokain-Befund. Eine konkrete Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit im Unfallzeitpunkt ließ sich nicht feststellen.

4

Die Beklagte lehnte Ansprüche auf Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 17.3.2012 ab, weil kein Arbeitsunfall vorliege (Bescheid vom 12.4.2013 und Widerspruchsbescheid vom 20.9.2013). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.4.2014). Nach Durchführung eines Ortstermins hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 2.9.2015) und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe keinen versicherten Wegeunfall und damit auch keinen Arbeitsunfall erlitten, weil der versicherte Weg im Unfallzeitpunkt noch nicht begonnen habe. Der Versicherungsschutz auf Wegen beginne grundsätzlich erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes, durch die der häusliche Bereich verlassen werde. Sei die Außentür nicht erreich- oder benutzbar, so seien Fenster (auch im oberen Geschoss) der Außentür ausnahmsweise gleichzustellen, wenn der häusliche Bereich durch ein Fenster tatsächlich verlassen werde. Der Kläger habe sich auf dem Weg vom Dachgeschoss zu seinem "Zwischenziel" Flachdach aber noch im unversicherten häuslichen Bereich aufgehalten und den öffentlichen Raum - anders als beim Durchschreiten der Außentür - noch nicht erreicht gehabt. Ein solcher "öffentlicher Raum" setze in Abgrenzung zum "häuslichen Bereich" zumindest voraus, dass er von außen auf normalem Wege - ohne Betreten des Hauses - aufgesucht werden könne. Dies sei bei einer Dachfläche, wie auch zB bei einem Balkon, nicht der Fall. Als Teil des Hauses sei diese Fläche deshalb noch dem häuslichen Bereich zuzuordnen. Den häuslichen Bereich hätte er deshalb frühestens mit dem Überschreiten der Dachkante zum weiteren Abstieg von der Dachfläche in Richtung "Weg vor dem Haus" verlassen. Hierzu sei es nicht mehr gekommen. Die Grenzziehung müsse im Interesse der Rechtssicherheit nach klaren objektiven Kriterien erfolgen.

5

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts: Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 15.12.1959 - 2 RU 143/57 - BSGE 11, 156) sei das Besteigen einer an ein Wohnungsfenster gelehnten Leiter auf dem Weg zur Arbeitsstätte bereits versichert, obwohl der "öffentliche Bereich" im Sinne der Definition des LSG noch nicht erreicht sei. Dass es im vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, eine Leiter anzustellen, dürfe keinen Unterschied machen.

6

Der Kläger beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. September 2015 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 29. April 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. September 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Ereignis vom 17. März 2012 als Arbeitsunfall festzustellen.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Zu Recht habe das LSG entschieden, dass sich der Unfall noch vor Beginn des versicherten Weges ereignet habe, weil der Unfallort noch nicht zum öffentlichen Verkehrsraum zähle. Davon abgesehen sei der Kläger nicht auf dem Weg zur Wahrnehmung eines geschäftlichen Termins in seiner Werkstatt gewesen. Dass er im Unfallzeitpunkt seine Arbeitsmontur getragen habe, sei insofern kein tragfähiges Indiz. Soweit der Zeuge L. schriftlich bestätigt habe, dass dieser mit dem Kläger am Unfalltag um 15.30 Uhr geschäftlich verabredet gewesen sei, habe es das LSG versäumt, sich durch eine Vernehmung von der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen zu überzeugen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist begründet, sodass der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hat (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

10

Zu Unrecht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Denn der Bescheid vom 12.4.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.9.2013 (§ 95 SGG) ist rechtswidrig. Die hiergegen zulässigerweise erhobene, kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1 und 3, § 56 SGG)ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, das Ereignis vom 17.3.2012 als Arbeitsunfall festzustellen, weil sich der Kläger bei dem Sturz auf einem gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII versicherten Weg nach dem Ort der Tätigkeit befand. Soweit der Kläger vorinstanzlich auch beantragt hatte, "Entschädigungsleistungen zu erstatten" bzw "das Ereignis vom 17.3.2012 … zu entschädigen", hat er diese Begehren im Revisionsverfahren nicht mehr weiterverfolgt, sodass darüber nicht mehr zu entscheiden war.

11

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs 1 S 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs 1 S 2 SGB VII). Ein Arbeitsunfall setzt mithin voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; stRspr; vgl zuletzt BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 60 RdNr 12, vom 15.11.2016 - B 2 U 12/15 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 37 RdNr 14 und vom 5.7.2016 - B 2 U 16/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 58 RdNr 9, jeweils mwN). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat einen "Unfall" (1.) als "Versicherter" (2.) infolge einer versicherten Tätigkeit - dem Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach dem Ort der Tätigkeit - erlitten. Das Sichfortbewegen erfolgte mit der (objektivierten) Handlungstendenz, den Ort der versicherten Tätigkeit zu erreichen (3.). Schließlich war die Verrichtung des Klägers auch rechtlich wesentlich für den eingetretenen Erfolg. Der Sturz vom Dach war vom Schutzzweck der Norm des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII umfasst, weil sich insofern eine "typische Wegegefahr" realisierte, bei deren Eintritt die Wegeunfallversicherung Schutz bieten soll (4.).

12

1. Der Kläger erlitt einen "Unfall", als er nach den unangegriffenen und damit für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG am 17.3.2012 auf das Flachdach unterhalb seiner Dachgeschosswohnung stürzte und sich dabei den rechten Unterschenkel brach. Bei dem Aufprall wirkte das Flachdach - als Teil der Außenwelt (BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 14 und vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31 RdNr 10) - zeitlich begrenzt auf seinen rechten Unterschenkel ein und diese Einwirkung führte zu einer Unterschenkelfraktur als Gesundheitserstschaden.

13

2. Im Zeitpunkt dieses Unfalls war der Kläger gemäß § 3 Abs 1 Nr 1 SGB VII iVm § 44 Abs 1, § 3 Abs 1 S 1 Nr 1 und S 2 Ziffer 1.5 ("Autowäsche und -pflege") der Satzung der BG für Transport und Verkehrswirtschaft idF des 3. Nachtrages (vom 10.10.2011) als selbständiger Betreiber eines Unternehmens der Fahrzeugaufbereitung "Versicherter" in der gesetzlichen Unfallversicherung.

14

3. Ferner legte der Kläger im Unfallzeitpunkt den unmittelbaren Weg nach dem Ort der Tätigkeit objektiv zurück (a) und seine Handlungstendenz war darauf auch subjektiv ausgerichtet (b).

15

a) "Weg" ist die Strecke zwischen einem Start- und Zielpunkt. Bei allen (Hin-)Wegen setzt § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII den Ort der versicherten Tätigkeit als Zielpunkt fest ("nach"), lässt aber zugleich den Startpunkt offen, sodass anstelle der Wohnung auch ein anderer (sog "dritter") Ort Ausgangspunkt sein kann, sofern sich der Versicherte an diesem dritten Ort mindestens zwei Stunden aufgehalten hat(vgl zuletzt BSG vom 5.7.2016 - B 2 U 16/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 58 mwN). Zwischen dem in jedem Einzelfall zu ermittelnden Startpunkt und dem gesetzlich festgelegten Zielpunkt ist nicht der Weg an sich, sondern dessen Zurücklegen versichert, also der Vorgang des Sichfortbewegens auf der Strecke zwischen beiden Punkten mit der Handlungstendenz, den jeweils versicherten Ort zu erreichen (grundlegend zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55; vgl auch BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 47, vom 25.1.1977 - 2 RU 57/75 - SozR 2200 § 550 Nr 24 S 52 und vom 15.12.1959 - 2 RU 143/57 - BSGE 11, 156, 157). Dabei steht nur das "Sichfortbewegen" auf dem direkten Weg bzw das Zurücklegen des direkten Weges nach dem Ort der Tätigkeit unter Versicherungsschutz, wie sich aus dem Tatbestandsmerkmal "unmittelbar" in § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII ergibt(zu den sog "Abwegen" grundlegend zuletzt BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 60).

16

Startpunkt des versicherungsrechtlich geschützten direkten Weges zur Betriebsstätte des Klägers (als Zielpunkt) ist grundsätzlich die Außenhaustür des Mehrfamilienhauses, die von der Dachgeschosswohnung durch das Treppenhaus erreichbar war. Die Außenhaustür als Startpunkt des Weges und zugleich Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen Lebensbereich und dem versicherten Zurücklegen eines Weges wird im Interesse der Rechtssicherheit bewusst als "starre" Größe behandelt, weil sie an objektive Merkmale anknüpft, die im Allgemeinen leicht feststellbar sind. Zugleich wird hierdurch die größere Einwirkungsmöglichkeit der Hausbewohner auf die innerhalb des Hauses liegenden Räumlichkeiten und ihre Gefahren berücksichtigt (vgl zum Ganzen zuletzt BSG vom 5.7.2016 - B 2 U 5/15 R - BSGE = SozR 4-2700 § 2 Nr 35 RdNr 21). Ist die Außentür des Wohnhauses - wie hier wegen der durch den abgebrochenen Schlüssel versperrten Wohnungstür - nicht erreichbar, kann ausnahmsweise auch eine sonstige Gebäudeöffnung (zB ein Fenster) die mit der Außenhaustür vergleichbare Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen und dem versicherten öffentlichen Bereich bilden und damit Startpunkt des versicherten Weges sein (ebenso BSGE 11, 156, 157 zum Sturz von einer an ein Fenster angelehnten Leiter), was auch das LSG nicht verkennt.

17

Nachdem der Kläger mit dem Durchsteigen der (Gauben-)Fensteröffnung den Startpunkt des versicherten Weges passiert und damit zugleich den häuslichen Bereich verlassen hatte, bewegte er sich im Unfallzeitpunkt bereits auf den (Ziel-)Ort der versicherten Tätigkeit zu, als er versuchte, sich auf das Flachdach vor der Wohnung des Obergeschosses herabzulassen. Da die Außenhaustür aufgrund der versperrten Wohnungstür nicht erreichbar war, befand er sich auf dem einzig verfügbaren und damit direkten Weg zu seiner Betriebsstätte, sodass er im Unfallzeitpunkt den unmittelbaren Weg nach dem Ort der Tätigkeit zurücklegte. Der Kläger befand sich damit auch nicht auf einem sog "Abweg", sodass insofern auch nicht zu klären war, ob die Voraussetzungen vorlagen, unter denen auch Abwege (etwa bei einem irrtümlichen "Verfahren" wegen Dunkelheit pp) versichert sein können (hierzu eingehend BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 60).

18

Nur wenn der gewählte Weg - bei objektiver Betrachtungsweise - schlechthin ungeeignet gewesen wäre, den Ort der Tätigkeit zu erreichen, hätte er nicht mehr als unmittelbarer Weg iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII qualifiziert werden können. Bei den hier gegebenen räumlichen Umständen und einem Höhenunterschied von ca 2,60 m zwischen den Etagen durfte ein objektiver Beobachter aber noch annehmen, dem Kläger werde das Herabklettern aus dem Dachgeschossfenster unfallfrei gelingen.

19

b) Der Kläger handelte auch mit der Handlungstendenz, den Ort der versicherten Tätigkeit zu erreichen. Denn die konkrete nach außen beobachtbare Verrichtung des Versicherten wurde auch subjektiv zur Fortbewegung auf dem Weg zur versicherten Tätigkeit durchgeführt (BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 60 RdNr 15, vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 14 und vom 17.2.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 32 RdNr 11 mwN). Der Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII wird nicht schon dadurch begründet, dass der Versicherte auf dem unmittelbaren Weg zwischen seiner Wohnung und dem Ort der versicherten Tätigkeit verunglückt. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung dient, ist die "objektivierte Handlungstendenz" des Versicherten (BSG vom 20.12.2016, aaO und vom 17.2.2015, aaO, RdNr 14), was bedeutet, dass das objektiv beobachtbare Handeln subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweils versicherten Tätigkeit ausgerichtet sein muss (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 31 und vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 RdNr 14). Die subjektive Handlungstendenz als von den Tatsachengerichten festzustellende innere Tatsache muss sich mithin im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung), so wie es objektiv beobachtbar ist, widerspiegeln (vgl BSG vom 17.12.2015, aaO, RdNr 14 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

20

Als sich der Kläger vom Spitz- auf das Flachdach herabließ, diente diese Verrichtung - nach seiner Vorstellung - allein der Fortbewegung auf der Strecke zum Ort der versicherten Tätigkeit, weil er seine Wohnung durch das Dachgeschossfenster nur deshalb verlassen hatte, um seine Betriebsstätte aufzusuchen und dort einen geschäftlichen Termin wahrzunehmen. Diese tatsächlichen Feststellungen zur Handlungstendenz des Klägers im Unfallzeitpunkt sind für den Senat bindend (§ 163 Halbs 1 SGG), weil die Beklagte in Bezug auf diese Feststellungen innerer Tatsachen keine zulässigen Revisionsgründe vorgebracht hat (§ 163 Halbs 2 SGG). Soweit sie mit der Gegenrüge geltend macht, das Tragen der Arbeitsmontur im Unfallzeitpunkt sei kein tragfähiges Indiz dafür, dass der Kläger auf dem Weg zur Wahrnehmung eines geschäftlichen Termins in seiner Betriebsstätte gewesen sei, macht sie sinngemäß eine Verletzung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) geltend. Eine formgerechte Verfahrensgegenrüge liegt indes nicht vor, weil die Beklagte weder aufzeigt, dass das LSG das "Gesamtergebnis des Verfahrens" unzureichend berücksichtigt habe noch schlüssig darlegt, dass der festgestellte Sachverhalt nur eine Folgerung erlaube, jede andere nicht denkbar sei und das Gericht gerade die einzig denkbare Schlussfolgerung nicht gezogen, mithin gegen Denkgesetze verstoßen habe. Warum aus dem Tragen der Arbeitskleidung als Hilfstatsache schlechthin nicht auf den Willen des Betroffenen (als Haupttatsache) geschlossen werden kann, den Weg zur Arbeit zurückzulegen, erläutert die Revisionserwiderung nicht. Wenn die Beklagte darüber hinaus einwendet, das LSG habe es versäumt, sich durch eine Vernehmung des Zeugen L. von dessen Glaubwürdigkeit zu überzeugen, rügt sie im Kern Verstöße gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 iVm § 153 Abs 1 SGG)und gegen § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 377 Abs 3 S 3 ZPO, wonach das Gericht die Ladung des Zeugen nach erteilter schriftlicher Auskunft anordnet, wenn es dies zur weiteren Klärung der Beweisfrage für notwendig erachtet. Diese Anordnung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (§ 398 ZPO iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG), das sich nur ausnahmsweise zur Ladungspflicht verdichtet, wenn die schriftliche Aussage unzulänglich oder einseitig erscheint, der Verdacht einer unzulässigen Einflussnahme auf den Zeugen besteht oder dessen eigene Interessen die Glaubwürdigkeit vermindern (können). Derartige Umstände schildert die Beklagte indessen nicht; sie zeigt auch nicht auf, welche (unbekannten) Tatsachen der Zeuge bei einer Befragung in der mündlichen Verhandlung bekundet hätte und inwiefern die Entscheidung des LSG deshalb auf der unterbliebenen Befragung beruhen kann. Im Übrigen lässt sich dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme kein abstrakter Vorrang bestimmter - etwa unmittelbarer oder "sachnäherer" - Beweismittel vor anderen - mittelbaren oder weniger "sachnahen" - entnehmen (BVerwG vom 3.1.2012 - 2 B 72/11 - Juris RdNr 10 und vom 28.7.2011 - 2 C 28/10 - BVerwGE 140, 199 = Juris RdNr 17); vielmehr enthält § 117 SGG im Hinblick auf die schriftliche oder mündliche Zeugenvernehmung keine gesetzlich vorgegebene Anwendungsreihenfolge.

21

Andere konkurrierende Beweggründe (zB Imponiergehabe, Übermut, Nachweis turnerischer Gewandtheit; vgl dazu BSG vom 15.12.1959 - 2 RU 143/57 - BSGE 11, 156, 157 f; RVA, EuM, Bd 36 S 439, 440) für die Wahl der zurückgelegten Strecke über das Sattel- und Flachdach sind nicht festgestellt. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Blutuntersuchung, die nach dem Unfall durchgeführt wurde und einen positiven Kokainbefund ergab. Denn auf dessen Grundlage ließ sich keine konkrete Beeinträchtigung der Wegefähigkeit nachweisen.

22

4. Schließlich war der Gesundheitsschaden, den die versicherte Verrichtung bewirkte, auch vom Schutzzweck der Wegeunfallversicherung umfasst, denn es realisierte sich eine typische Wegegefahr des vom Kläger hier zulässigerweise gewählten Weges über die Außenfassade des Wohnhauses. Durch die versicherte Verrichtung wurde damit auch rechtlich wesentlich der Körperschaden verursacht.

23

Unerheblich ist dabei, dass der Kläger zwischen Dach- und Obergeschoss keinen "öffentlichen Verkehrsraum" im Sinne eines Verkehrsnetzes oder einer Verkehrsinfrastruktur benutzte, denn keinesfalls war das Flachdach noch dem unversicherten häuslichen Bereich zuzuordnen, wie das LSG meint. Der Kläger hatte den umbauten "häuslichen" Raum, in dem sich seine Wohnung befand, durch das Fenster verlassen, stürzte im unbebauten "öffentlichen" Raum zwischen Dach- und Obergeschoss ab und fiel von außen auf den umbauten Raum der Erdgeschosswohnung (das Flachdach). Soweit der Senat in jüngerer Zeit ausgeführt hat, der Versicherungstatbestand des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII schütze "nur gegen Gefahren …, die aus der Teilnahme am öffentlichen Verkehr … hervorgehen" und trage "allein Gefahren Rechnung, die sich während der gezielten Fortbewegung im Verkehr aus eigenem, gegebenenfalls auch verbotswidrigem Verhalten, dem Verkehrshandeln anderer Verkehrsteilnehmer oder Einflüssen auf das versicherte Zurücklegen des Weges ergeben, die aus dem benutzten Verkehrsraum oder Verkehrsmittel auf die Fortbewegung wirken"(BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 45 und 47 sowie BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 23, dazu kritisch Molkentin, SGb 2016, 621 ff), ist damit keine Einengung des Versicherungsschutzes auf öffentliche, beschränkt-öffentliche, private oder sonstige dem "Verkehr" gewidmete Wege (iS eines "Verkehrsnetzes" oder einer "Verkehrsinfrastruktur") verbunden. Vielmehr ist der Versicherte in der Wahl der Route, der Fortbewegungsart und des Fortbewegungsmittels frei (BSG vom 4.9.2007 - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 24 RdNr 19 und vom 31.1.1984 - 2 RU 15/83 - USK 8469, jeweils mwN). Deshalb kann er grundsätzlich - ggf auch verbotswidrig (§ 7 Abs 2 SGB VII) - den unmittelbaren Weg benutzen, auch wenn er über freies Gelände, den Luftraum oder nicht planmäßig angelegte, unbefestigte und erstmals genutzte Pfade führt. Folglich darf der Versicherungsschutz nicht bereits mit der Überlegung verneint werden, der Kläger habe sich im Luftraum zwischen Dach- und Obergeschoss schon begrifflich auf keinem "Weg" befunden (vgl dazu bereits BSG vom 15.12.1959 - 2 RU 143/57 - BSGE 11, 156, 157) bzw keinen "öffentlichen Verkehrsraum" benutzt, sodass sich keine "Verkehrsgefahr" verwirklicht habe. Vielmehr hat sich vorliegend gerade diejenige Gefahr realisiert, die sich während der gezielten Fortbewegung des Klägers "im Verkehr" zwischen Dach- und Obergeschoss sowohl aus eigenem Verhalten als auch aus dem gewählten "Verkehrsraum" ergab.

24

Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass die Freiheit der Routenwahl, der Fortbewegungsart und des Fortbewegungsmittels nicht unbegrenzt gilt. Hätte der Kläger seine Wohnungstür öffnen und das Treppenhaus benutzen können, wäre die versicherungsrechtliche Obliegenheit, diese Alternativstrecke als direkten, "unmittelbaren Weg" iS des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII zurückzulegen, geeignet, erforderlich und auch unter dem Aspekt zumutbar gewesen, dass der deutlich risikoärmere Weg durch das Treppenhaus bis zum Durchschreiten der Außenhaustür nicht (wege-)unfallversichert ist. Nach den bindenden Feststellungen des LSG war dem Kläger der Weg durch die verriegelte Wohnungstür jedoch versperrt, weil sein Schlüssel von innen im Schloss abgebrochen war, sodass er die Außenhaustür durch das Treppenhaus nicht erreichen konnte. Unter diesen Umständen kann der Unfallversicherungsschutz nicht mit dem Hinweis auf eine andere, direkte bzw unmittelbare Alternativroute verneint werden.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

(1) Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen. Sie sind in geeigneter Weise auf ihre Rechte im Verwaltungsverfahren sowie im Verfahren vor dem Familiengericht und dem Verwaltungsgericht hinzuweisen.

(2) Kinder und Jugendliche haben das Recht, sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt zu wenden.

(3) Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf Beratung ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten, solange durch die Mitteilung an den Personensorgeberechtigten der Beratungszweck vereitelt würde. § 36 des Ersten Buches bleibt unberührt. Die Beratung kann auch durch einen Träger der freien Jugendhilfe erbracht werden; § 36a Absatz 2 Satz 1 bis 3 gilt entsprechend.

(4) Beteiligung und Beratung von Kindern und Jugendlichen nach diesem Buch erfolgen in einer für sie verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form.

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.