Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2017 - 10 ZB 16.2594

bei uns veröffentlicht am11.04.2017
vorgehend
Verwaltungsgericht Ansbach, AN 15 K 16.00396, 09.08.2016

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2016 weiter. Mit diesem Bescheid wird der Kläger insbesondere verpflichtet, „die derzeit in seinem Haushalt gehaltenen vier Schäferhunde“ im öffentlichen Verkehrsraum innerhalb geschlossener Ortslage stets angeleint zu führen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, soweit mit ihm ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht werden. Er bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg, weil sich aus dem Vortrag des Klägers, auf dessen Überprüfung der Senat im Zulassungsverfahren beschränkt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), die geltend gemachten ernstlichen Zweifel nicht ergeben.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (stRspr, BVerfG, B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Der Kläger begründet seinen Angriff auf das Urteil mit dem Vortrag, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht eine von seinen Hunden ausgehende konkrete Gefahr angenommen und sich dabei in erster Linie auf die Aussage des Zeugen T. gestützt; es habe jedoch dessen Aussage als schlüssig und widerspruchsfrei bewertet, ohne objektive Bewertungskriterien heranzuziehen, und die Aussage ausschließlich mit dem Inhalt des Schreibens von T. vom 16. September 2015 an die Beklagte abgeglichen. Dabei habe sich der Zeuge noch nicht einmal an das genaue Datum des angeblichen Vorfalls mit den Hunden des Klägers erinnern, vielmehr nur eine grobe Einordnung „in etwa im Herbst 2014“ vornehmen können. Hätte es sich aber wirklich um ein bemerkenswertes Ereignis für den Zeugen gehandelt, müsse ihm mindestens noch das Datum in Erinnerung sein, zumal der Vorgang nicht so lange zurückliege, dass von einem Vergessen ausgegangen werden könne. Aus der Aussage des Zeugen ergebe sich auch keine von den Hunden ausgehende Gefahr.

Mit diesen Ausführungen vermag der Kläger die Begründung des Verwaltungsgerichts zur konkreten Gefahr, mit der die Anordnung des Leinenzwangs gerechtfertigt wird, nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen. Er zeigt keine substantiierten tatsächlichen Umstände auf, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Hinblick auf die Beurteilung der konkreten Gefahr unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546). Die bloße Möglichkeit einer anderen Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen T. und damit des Ergebnisses der Beweisaufnahme (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) allein genügt zur Begründung ernstlicher Zweifel nicht. Soweit sich das tatsächliche Vorbringen im Zulassungsverfahren - wie im vorliegenden Fall - auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung bezieht, kommt eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur in Betracht, wenn aufgezeigt wird, dass die Richtigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung mangelhaft ist, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist, was insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.7.2016 - 10 ZB 14.1402 - juris Rn. 6; B.v. 14.3.2016 - 15 ZB 16.168 - juris Rn. 8; B.v. 9.10.2013 - 10 ZB 13.1725 - juris Rn. 5 f.; OVG BB, B.v. 17.5.2016 - OVG 11 N 36.15 - juris Rn. 8; NdsOVG, B.v. 17.5.2016 - 8 LA 40/16 - juris Rn. 25; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juni 2016, § 124 Rn. 26g m.w.N.; zur verfahrensrechtlichen Rüge eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz aus § 108 Abs. 1 VwGO vgl. z.B. BVerwG, B.v. 29.7.2015 - 5 B 36.14 - juris Rn. 13).

Derartige Mängel in der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung, die auf eine völlig unvertretbare Beweiswürdigung hinauslaufen, werden mit der Zulassungsbegründung jedoch nicht dargetan und sind auch nicht ersichtlich. Vielmehr ist die aufgrund der Zeugenaussage gewonnene Überzeugung des Erstgerichts, der für die Beurteilung der konkreten Gefahr maßgebliche Vorfall im Herbst 2014 habe sich so, wie von T. geschildert, abgespielt, nicht nur nachvollziehbar, sondern auch naheliegend. Das vom Kläger insbesondere hervorgehobene mangelhafte „Erinnerungsvermögen“ des Zeugen bezog sich dabei - trotz der insoweit nicht eindeutigen Wiedergabe in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung - ausschließlich auf den genauen Zeitpunkt des vom Verwaltungsgericht als maßgeblich angesehenen Vorfalls, nicht jedoch auf den Ablauf des “Angriffs“ der Hunde im Einzelnen. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen ist insbesondere nicht zwingend damit infrage gestellt, dass er sich nicht mehr an das genaue Datum des Vorfalls erinnern konnte, obwohl er zum Zeitpunkt seiner Aussage noch nicht so weit in der Vergangenheit lag, dass man das Datum „gewöhnlich“ vergessen hat. Es entspricht vielmehr allgemeiner Lebenserfahrung, dass auch einmalige Ereignisse schon nach relativ kurzer Zeit nicht mehr mit ihrem exakten Datum benannt werden können, obwohl der genaue Geschehensablauf ohne Schwierigkeiten geschildert werden kann. Die vom Kläger geforderten „objektiven Bewertungskriterien“ für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen gibt es in dieser Form nicht; entscheidend ist vielmehr der vom Gericht in der mündlichen Verhandlung vom Zeugen gewonnene Gesamteindruck, in den neben dem Inhalt seiner Aussage sämtliche sonstigen Wahrnehmungen des Gerichts zur Person des Zeugen, die selbstverständlich auch subjektiver Natur sein können, einfließen. Auch der Abgleich des Inhalts der in der mündlichen Verhandlung gemachten Äußerungen mit zurückliegenden schriftlichen Äußerungen des Zeugen stellt einen „Baustein“ bei der Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit dar. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis den von ihm in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck mit den Worten „schlüssig und im Wesentlichen widerspruchsfrei“ zusammengefasst und einen „Belastungseifer“ des Zeugen nicht erkennen können. Damit hat es eine tragfähige Grundlage für seine innere Überzeugungsbildung wiedergegeben und so dem Gebot der freien Beweiswürdigung des § 108 Abs. 1 VwGO Rechnung getragen. Anhaltspunkte für die geltend gemachte fehlerhafte Beweiswürdigung liegen daher nicht vor.

Das Verwaltungsgericht hat die angenommene konkrete Gefahr im Übrigen nicht nur mit dem vom Zeugen bestätigten Vorfall begründet, sondern auch unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Senats (vergleiche zuletzt U.v. 6.4.2016 - 10 B 14.1054 - juris); danach geht von großen Hunden - wie den Schäferhunden des Klägers -, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei umherlaufen oder die nicht ausbruchssicher untergebracht sind, in der Regel eine konkrete Gefahr im Sinn von Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG für Leib und Leben Dritter aus, ohne dass es schon zu Beißvorfällen gekommen sein müsste. Das Verwaltungsgericht hat diese Überlegung in seinem Urteil (UA, S. 7, 1. Absatz) ebenfalls als maßgeblich für das Vorliegen einer konkreten Gefahr angesehen. Hierauf geht die Zulassungsbegründung nicht ein.

Weitere Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils werden nicht geltend gemacht. Soweit der Schriftsatz vom 16. Januar 2017 eingangs einen Hinweis auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO enthält, fehlt es im Weiteren an jeglicher Darlegung der Gründe (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), wegen derer die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweisen oder ihr grundsätzliche Bedeutung zukommen sollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2017 - 10 ZB 16.2594

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Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2017 - 10 ZB 16.2594 zitiert 10 §§.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

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Referenzen

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 - 2 LA 234/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

2. Das Land Niedersachsen hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein verwaltungsgerichtliches Verfahren aus dem Bereich des Schulrechts.

2

1. a) Der Beschwerdeführer besuchte ein öffentliches technisches Fachgymnasium. Da er an einer Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) leidet, beantragte er zum Nachteilsausgleich eine Schreibzeitverlängerung für die Anfertigung von Klausuren sowie die Nichtbewertung der Rechtschreibung (sog. Notenschutz). Die Schule lehnte dies ab.

3

b) Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verpflichtete das Oberverwaltungsgericht die Schule, dem Beschwerdeführer bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei der Anfertigung schriftlicher Leistungsüberprüfungen außer in naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern eine Schreibzeitverlängerung von 10 % der jeweiligen Bearbeitungszeit zu gewähren. Soweit der Eilantrag darüber hinaus auf vorläufige Gewährung eines Zeitzuschlages von 25 % und Notenschutz bezüglich der Rechtschreibleistung in allen Fächern sowie auf die ebenfalls bereits vorgerichtlich geltend gemachte Verpflichtung der Schule gerichtet war, ihn in Mathematik anwendungsbezogen auf das erste Prüfungsfach Elektronik zu unterrichten, blieb er ohne Erfolg. Eine vom Beschwerdeführer in dieser Sache erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 2129/08).

4

c) In der Hauptsache fasste das Verwaltungsgericht zunächst einen Beweisbeschluss zur Frage der medizinischen Notwendigkeit eines weitergehenden Nachteilsausgleichs. Dieser wurde jedoch nicht mehr ausgeführt, nachdem der Beschwerdeführer die Allgemeine Hochschulreife erworben hatte. Der Beschwerdeführer stellte seine Klage daraufhin um. Neben Feststellungsanträgen begehrte er, seine unter anderem auf Klausurabwertungen wegen Schreibfehlern (sog. "GRZ-Abzug") beruhenden Kursnoten im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 anzuheben.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die in der Jahrgangsstufe 12 erteilten Einzelnoten seien bestandskräftig geworden und daher nicht mehr anfechtbar. Der Zulässigkeit der Feststellungsanträge stehe teilweise der Subsidiaritätsgrundsatz und teilweise das Fehlen eines Feststellungsinteresses entgegen.

6

d) Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss ab.

7

aa) Es könne offenbleiben, ob das Verwaltungsgericht die halbjährlichen Kursabschlussnoten als eigenständig anfechtbare Regelungen habe ansehen dürfen. Die Versäumung der Widerspruchsfrist sei insoweit jedenfalls unschädlich, da die Widerspruchsbehörde eine Sachentscheidung getroffen habe. Von der Bestandskraft der Einzelnoten könne daher nicht ausgegangen werden.

8

An der Richtigkeit der Ablehnung des Verpflichtungsantrags bestünden im Ergebnis gleichwohl keine ernstlichen Zweifel, da nicht ersichtlich sei, dass die den Kursnoten zugrunde liegenden Bewertungen fehlerhaft gewesen sein könnten. Es sei in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter einer Legasthenie leidenden Schülern zum Nachteilsausgleich nur Schreibzeitverlängerungen gewährt werden könnten oder die Nutzung technischer Hilfsmittel gestattet werden könne. Die Gewährung von Notenschutz (durch Nichtbewertung der Rechtschreibung) sei demgegenüber in der Regel nicht zulässig, da sie zu einer Benachteiligung von Schülern führen könne, denen aus sonstigen Gründen Rechtschreibfehler in größerem Umfang unterliefen. Darüber hinaus komme ein Ausgleich durch Notenschutz deswegen nicht in Betracht, weil sich die vom Beschwerdeführer beanstandeten Noten gerade auf das Fach Deutsch bezögen und in diesem unter anderem Rechtschreibung und Zeichensetzung zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen gehörten. Ein Anspruch auf Notenschutz folge selbst bei einem den Behinderungsbegriff erfüllenden Ausmaß der Legasthenie auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, da sich hieraus ein originärer subjektiver Leistungsanspruch nicht ableiten lasse. Unmittelbar aus Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, BGBl 2008 II S. 1419) ergäben sich ebenfalls keine entsprechenden Rechte. Schließlich sehe die geltende Erlasslage in gewissem Umfang eine differenzierte Bewertung vor und eröffne einen pädagogischen Bewertungsspielraum, der eine einzelfallgerechte Berücksichtigung des Erscheinungsbildes der Legasthenie ermögliche. Es sei nicht ersichtlich, dass bei der Bewertung der den beanstandeten Kursnoten zugrunde liegenden Deutschklausuren hiervon in willkürlicher Weise abgewichen worden sei.

9

bb) Auch das Feststellungsinteresse habe das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint. Ein Rehabilitationsinteresse könne nicht bejaht werden, da von den Einzelnoten und der Durchschnittsnote des Abiturzeugnisses keine den Beschwerdeführer in seiner Persönlichkeit diskriminierende Wirkung ausgehe. Die Bewertung im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 könne für sich gesehen nicht als diskriminierend angesehen werden, zumal sich die begehrte Anhebung nicht auf die Durchschnittsnote auswirken würde. Hinsichtlich anderer Einzelnoten habe der Beschwerdeführer nicht näher dargelegt, welche Punktzahl er für angemessen halte. Soweit er sein Feststellungsbegehren auf eine beabsichtigte Amtshaftungsklage stütze, habe das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass eine solche mangels Verschuldens offensichtlich aussichtslos sei.

10

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG, aus Art. 3 Abs. 1 und 3 GG in Verbindung mit der UN-Behindertenrechtskonvention sowie aus Art. 12 GG und führt dies näher aus. Insbesondere rügt er, das Ausgangsgericht habe zu keinem Zeitpunkt in einem ordentlichen Hauptsacheverfahren durch Beweisaufnahme geprüft, welche Maßnahmen notwendig gewesen seien, um die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es aber uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar, ob ein in Prüfungen gewährter Nachteilsausgleich die Störung vollständig ausgeglichen habe, was gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln sei (Hinweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 1992 - 1 BvR 1295/90 -, NJW 1993, S. 917 <918>). Das Oberverwaltungsgericht habe zudem verkannt, dass er durch die Anlegung desselben Leistungsbemessungsmaßstabs wie bei seinen nicht behinderten Mitschülern in einem Bereich, in dem er aufgrund seiner Funktionsstörung nicht gleichermaßen leistungsfähig sein könne, benachteiligt worden sei. Aus fachärztlicher Sicht habe er in allen Fächern zusätzlich 25 % der üblichen Bearbeitungszeit benötigt, um die gleichen Chancen bei der Bearbeitung der anstehenden Aufgaben zu haben. Ein reiner Nachteilsausgleich führe, auch wenn er den Verzicht auf die Benotung der Rechtschreibung beinhalte, keineswegs zu einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit nichtbehinderter Mitschüler. Dadurch, dass es das Oberverwaltungsgericht versäumt habe, seine willkürliche Entscheidung aus dem Eilverfahren im Berufungszulassungsverfahren zu korrigieren, nehme es ihm die Möglichkeit der Rehabilitation und verschärfe damit die bereits erfolgte Diskriminierung. Damit werde zudem eine Amtshaftungsklage bewusst ausgeschlossen und würden legasthene Schüler in Niedersachsen im Ergebnis rechtlos gestellt.

11

3. Die Verfassungsbeschwerde ist dem Niedersächsischen Justizministerium und der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der vormaligen Schule des Beschwerdeführers, zugestellt worden. Diese haben von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

12

1. Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

13

2. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht wird der verfassungsrechtlichen Verbürgung effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht.

14

a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet zwar keinen Anspruch auf die Errichtung eines bestimmten Instanzenzuges (vgl. BVerfGE 104, 220 <231>; 125, 104 <136 f.>; stRspr). Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 104, 220 <232>; 125, 104 <137>; stRspr). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Aus diesem Grund dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können und die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leerläuft. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO danach dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>; 134, 106 <117 f. Rn. 34>).

15

b) Das Oberverwaltungsgericht hat durch seine Handhabung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verengt und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt.

16

aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind immer schon dann begründet, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfGE 125, 104 <140>). Dies hat der Beschwerdeführer getan. Er hat aufgezeigt, dass das Verwaltungsgericht seinen Verpflichtungsantrag rechtsfehlerhaft als unzulässig behandelt hat und die angenommene Unzulässigkeit der Feststellungsanträge betreffend den Notenschutz und den Umfang des ihm zustehenden Nachteilsausgleichs aus Subsidiaritätsgründen zumindest ernstlichen - vom Oberverwaltungsgericht selbst näher aufgezeigten - Zweifeln begegnet. Das Oberverwaltungsgericht hat mit einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Begründung gleichwohl die Berufung nicht zugelassen.

17

bb) Es begegnet zwar keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf andere rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte abstellt als das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils und wenn es - soweit rechtliches Gehör gewährt ist - die Zulassung der Berufung deshalb ablehnt, weil sich das Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist. Es widerspricht jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des dem Berufungsverfahren vorgeschalteten Zulassungsverfahrens als auch der Systematik der in § 124 Abs. 2 VwGO geregelten Zulassungsgründe und kann den Zugang zur Berufung in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränken, wenn das Berufungsgericht auf andere Gründe entscheidungstragend abstellt als das Verwaltungsgericht, die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens von ihm vernünftigerweise zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl. BVerfGE 134, 106 <119 f. Rn. 40>; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 542 <543>).

18

Dass dem Beschwerdeführer vor Erlass der angegriffenen Entscheidung im Hinblick auf die neue Begründung des Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren rechtliches Gehör gewährt worden wäre, lässt sich den beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens nicht entnehmen. Darüber hinaus lagen die Voraussetzungen für einen Austausch der Begründung hiernach auch nicht vor.

19

(1) Hinsichtlich der auf den Notenschutz bezogenen Klageanträge ergibt sich dies schon daraus, dass das Oberverwaltungsgericht die angenommene inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf Gründe stützt, denen ihrerseits grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt. Denn die Heranziehung von Erwägungen mit Grundsatzbedeutung zur Ablehnung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel verkürzt den vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Rechtsschutz im Berufungsverfahren in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise (vgl. BVerfGK 10, 208 <213 f. m.w.N.>).

20

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage immer dann, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO entspricht danach weitgehend dem der grundsätzlichen Bedeutung in der revisionszulassungsrechtlichen Bestimmung des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. BVerfGK 10, 208 <214>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642 <3643>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2011 - 1 BvR 1764/09 -, NVwZ-RR 2011, S. 963 <964>).

21

Nach diesen Maßstäben kam der vom Oberverwaltungsgericht verneinten Frage, ob der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Legasthenie so genannten Notenschutz in Form der Nichtbewertung der Rechtschreibung verlangen konnte, grundsätzliche Bedeutung zu. Denn ihre Beantwortung hat Bedeutung weit über den Einzelfall des Beschwerdeführers hinaus und betrifft den Umfang des verfassungsrechtlich sowohl unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit im Prüfungsrecht (BVerfGE 52, 380 <388>) als auch des Benachteiligungsverbots gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (BVerfGE 96, 288<301 ff.>) bestehenden Anspruchs auf behinderungsbezogenen Nachteilsausgleich (zu der namentlich aus den verfassungsrechtlichen Bezügen abgeleiteten Grundsatzbedeutung der Rechtmäßigkeit der Bemerkung der Nichtberücksichtigung von Rechtschreibleistungen im Abiturzeugnis vgl. BayVGH, Urteile vom 28. Mai 2014 - 7 B 14.22 u.a. -, juris, Rn. 27). Die umstrittene Frage des Umfangs des Nachteilsausgleichs, der an Legasthenie leidenden Schülern zusteht, war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts noch nicht höchstrichterlich geklärt. Erst im Jahr 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass aus dem Gebot der Chancengleichheit nur Ansprüche auf Änderung der Prüfungsbedingungen (Nachteilsausgleich), nicht aber solche auf Änderung des Maßstabs der Leistungsbewertung (Notenschutz) abgeleitet werden könnten (BVerwGE 152, 330). Hiergegen sind beim Bundesverfassungsgericht mittlerweile Verfassungsbeschwerden anhängig (Az. 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2578/15 und 1 BvR 2579/15), über die noch nicht entschieden ist.

22

Das Oberverwaltungsgericht konnte die Nichtzulassung der Berufung wegen inhaltlicher Richtigkeit daher hierauf nicht stützen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der flankierenden Erwägungen, im Fach Deutsch gehörten Rechtschreibung und Zeichensetzung gerade zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen und der Schutz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG beschränke sich auf seine Funktion als Abwehrrecht. Gleiches gilt für den Hinweis auf den nach den einschlägigen schulrechtlichen Ausführungsbestimmungen bestehenden pädagogischen Spielraum. Ob die erfolgten Abwertungen unter Berücksichtigung des Spielraums der Behinderung des Beschwerdeführers hinreichend Rechnung trugen, wäre gegebenenfalls erst in einem Berufungsverfahren zu klären gewesen.

23

(2) Auch mit Blick auf das (verneinte) Feststellungsinteresse verkürzt das Oberverwaltungsgericht die verfassungsrechtlich garantierten Zugangsmöglichkeiten zum Berufungsverfahren. Soweit es ausführt, es fehle an dem (vom Verwaltungsgericht insoweit nicht geprüften) Feststellungsinteresse, weil die Ausweisung der Deutschnoten in der Jahrgangsstufe 12 mit Blick auf deren Auswirkungen auf das Abiturergebnis keinen diskriminierenden Charakter hätten und der Beschwerdeführer hinsichtlich der anderen Einzelnoten schon nicht näher dargelegt habe, welche Punktzahl er für erforderlich halte, lagen diese Erwägungen nicht ohne Weiteres auf der Hand und überschritten den statthaften Prüfungsumfang im Berufungszulassungsverfahren. Inhaltlich liegen sie auch eher fern, weil der Beschwerdeführer dargelegt hat, dass die Feststellung, welche Noten er mit der von ihm für notwendig gehaltenen längeren Schreibzeitverlängerung in allen Fächern erreicht hätte, im Nachhinein nicht möglich ist. Gerade deswegen blieb ihm aber nur die Möglichkeit eines Feststellungsantrags, um eine in den erreichten Noten gegebenenfalls fortwirkende Benachteiligung durch einen entsprechenden Feststellungsausspruch zu beseitigen. In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist im Übrigen geklärt, dass sich das notwendige Feststellungsinteresse in einer solchen Situation bereits aus der Geltendmachung einer fortdauernden faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung ergeben kann (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2014 - BVerwG 1 WB 59.13 -, juris, Rn. 20; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 113 Rn. 146 m.w.N.), die hier insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gerügt wird.

24

3. Auf die Beantwortung der weiteren vom Beschwerdeführer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen kommt es nicht an, da der angegriffene Beschluss die Berufungszulassung behandelt und keine Entscheidung zur Sache enthält.

III.

25

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht auf dem Verfassungsverstoß. Er ist daher gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache ist an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

26

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

Tenor

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2010 - 12 N 33.10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2010 - 12 N 33.10 - wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

2. ...

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil zurückgewiesen wurde. Im erstinstanzlichen Verfahren hatte er eine Reduzierung der von ihm für das Jahr 2001 geforderten Abgaben für ein ärztliches Versorgungswerk angestrebt.

2

1. § 20 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Berliner Ärzteversorgung in der Fassung vom 1. April 2000 verpflichtet jedes Mitglied zur Leistung von Versorgungsabgaben, sofern Einkünfte aus ärztlicher Berufsausübung erzielt werden. Als allgemeine Versorgungsabgabe ist eine "Normalabgabe" zu zahlen, die gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 der Satzung dem höchsten Pflichtbeitrag zur Angestelltenversicherung im gleichen Jahr entspricht. Als Mindestabgabe ist der 0,2-fache Betrag der Normalabgabe zu zahlen. In ständiger Verwaltungspraxis mussten im streitgegenständlichen Zeitraum Mitglieder, deren Einkommen 2.000 DM pro Monat unterschritt, nur einen reduzierten Versorgungsbeitrag in Höhe des hälftigen Beitragssatzes der Rentenversicherung der Angestellten erbringen (im Folgenden: Härtefallregelung).

3

Im Jahr 2001 belief sich der höchste Pflichtbeitrag zur Rentenversicherung der Angestellten auf 1.661,70 DM (849,61 €).

4

2. Der Beschwerdeführer ist Arzt und war aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Ärztekammer, der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) auch Mitglied der von ihr eingerichteten Ärzteversorgung.

5

Auf Grundlage eines Honorarvertrags war der Beschwerdeführer ab Juli 2000 als Bereitschaftsarzt für eine Privatklinik tätig. Da er zunächst weniger als 2.000 DM pro Monat verdiente, beantragte er bei der Beklagten eine Beitragsreduzierung auf Basis der Härtefallregelung, die diese mit Bescheid von Februar 2001 ab Januar 2000 gewährte. Für den Zeitraum ab Januar 2001 setzte die Beklagte gegenüber dem Beschwerdeführer unter Zugrundelegung der Härtefallregelung einen monatlichen Beitrag von 81,20 DM fest. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Bereitschaftsarzt endete mit Ablauf des Monats Oktober 2001. Das letzte Honorar wurde im November 2001 ausgezahlt. Für den Rest des Jahres 2001 erzielte der Beschwerdeführer keine Einnahmen aus ärztlicher Tätigkeit mehr.

6

a) Nachdem der Beschwerdeführer den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 vorgelegt hatte, aus dem sich Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 20.291 DM (10.374,62 €) ergaben, setzte die Beklagte im Mai 2003 für das Jahr 2001 bezüglich der Monate Januar bis Oktober 2001, ausgehend vom 0,2-fachen der Normalabgabe, einen monatlichen Beitrag von jeweils 169,92 € fest. Unter Berücksichtigung bereits gezahlter Beiträge und vorhandener Guthaben forderte sie vom Beschwerdeführer zugleich eine Nachzahlung in Höhe von 1.206,79 €. Der gegen die Höhe der Abgabe gerichtete Widerspruch des Beschwerdeführers blieb erfolglos.

7

b) Mit seiner daraufhin erhobenen Klage verlangte der Beschwerdeführer eine Reduzierung des Nachzahlungsbetrags auf 485,52 €, weil er der Härtefallregelung unterfalle. Sein monatliches Einkommen unterschreite die Grenze von 2.000 DM, weil das erst im November 2001 ausgezahlte Honorar nicht mehr als Einkommen berücksichtigt werden dürfe.

8

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Die Beklagte habe die Versorgungsabgaben für 2001 in der zutreffenden Höhe festgesetzt. Die Härtefallregelung könnte nicht zugunsten des Beschwerdeführers angewendet werden, weil sein monatliches Einkommen mehr als 2.000 DM pro Monat betragen habe. Abzustellen sei auf das Einkommen, das sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 ergebe. Weder habe der Beschwerdeführer belegen können, dass in den im Steuerbescheid ausgewiesenen Einkünften auch Einkommen aus dem Jahr 2000 enthalten sei, noch komme es für das von Januar bis Oktober 2001 erarbeitete Einkommen auf den Zeitpunkt des Zuflusses an. Da nur für die Dauer der ärztlichen Tätigkeit Abgaben zu leisten seien, habe die Beklagte den 2001 verdienten Betrag auch richtigerweise lediglich auf 10 statt auf 12 Monate verteilt.

9

c) Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beantragte der Beschwerdeführer die Zulassung der Berufung. Er berief sich hierbei ausdrücklich auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Verwaltungsgericht sei nicht befugt gewesen, das ihm erst im November zugeflossene Einkommen zu berücksichtigten, weil es auf den Zufluss des Entgelts während der Dauer der Beschäftigung ankomme. Weiter sei zu erwähnen, dass die Beklagte ihre Forderung auch bei Anwendung des Entstehungsprinzips nicht begründen könne; denn in diesem Fall müssten von seinen einkommensteuerrechtlich für das Jahr 2001 ermittelten Einkünften aus selbständiger Arbeit seine während der zweiten Dezemberhälfte 2000 erwirtschafteten Honorare in Höhe von 985,50 DM abgezogen werden, wodurch nur noch Jahreseinkünfte von 19.305 DM verblieben. Dies führe ebenfalls zur Anwendung der Härtefallregelung. Der Beschwerdeführer bezog sich dabei auf bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Unterlagen. Seinem Schriftsatz war darüber hinaus als Anlage ein von Januar 2010 datierendes Schreiben der Rechtsnachfolgerin der Klinik, für die er tätig gewesen war, beigefügt, aus dem sich ergab, dass der Beschwerdeführer im Monat Dezember 2000 am 2., 9., 25., 28. und 31. Dezember Dienste absolviert hatte.

10

d) Das Oberverwaltungsgericht wies den Zulassungsantrag zurück. Die Berufung sei nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung zuzulassen, weil ein Divergenzfall nicht gegeben sei. Auch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils in Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden nicht. Die Auslegung des Verwaltungsgerichts sei sowohl mit Wortlaut als auch mit Sinn und Zweck der Satzung vereinbar. Die Ausführungen des Beschwerdeführers, die sein Einkommen im Jahr 2001 beträfen, seien in Bezug auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht entscheidungserheblich. Nichts anderes ergebe sich, wenn man zu seinen Gunsten unterstelle, dass er insoweit ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung habe geltend machen wollen; denn in diesem Fall sei durch die bloße Vorlage eines Honorarvertrags nicht nachgewiesen, dass im Januar 2001 Honorare für eine im Dezember 2000 ausgeübte ärztliche Tätigkeit gezahlt worden seien.

11

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG.

12

a) Die Nichtzulassung der Berufung verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG, hilfsweise gegen Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als allgemeines Prozessgrundrecht auf ein faires Gerichtsverfahren. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sei erfüllt, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Falsch sei schon, dass das Gericht auf das Entstehungsprinzip abgestellt habe, denn maßgebend sei das Zuflussprinzip. Das ihm erst im November 2001 zugegangene Honorar dürfe daher nicht mitberücksichtigt werden. Selbst bei Anwendung des Entstehungsprinzips müsse aber zu seinen Gunsten die Härtefallregelung eingreifen; auch dann liege sein durchschnittliches Monatseinkommen während des maßgeblichen Zeitraums unter der Grenze von 2.000 DM. Es müsse nämlich das Honorar, das in der zweiten Dezemberhälfte des Jahres 2000 von ihm erwirtschaftet worden sei, aus dem Einkommen, das sich aus dem Steuerbescheid 2001 ergebe, herausgerechnet werden.

13

b) Auch die Ablehnung der weiteren Zulassungsgründe verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Im Übrigen verletze die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Art. 3 Abs. 1 GG als Gleichbehandlungsgebot und Willkürverbot.

14

4. Der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin und der Ärztekammer Berlin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.

II.

15

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist zudem offensichtlich begründet.

16

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2010 verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG.

17

a) Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>; stRspr). Die Vorschrift erfordert zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 49, 329 <343>; 83, 24 <31>; 87, 48 <61>; 92, 365 <410>; 96, 27 <39>; stRspr); eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 65, 76 <90>; 96, 27 <39>; stRspr). Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Sehen die prozessrechtlichen Vorschriften - wie §§ 124, 124a VwGO - die Möglichkeit vor, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, so verbietet Art. 19 Abs. 4 GG eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Vor diesem Hintergrund dürfen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist der in § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO enthaltene Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils immer schon dann erfüllt, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (vgl. BVerfGE 110, 77 <83>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, juris, Rn. 15).

18

b) Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht verkannt und den Zugang des Beschwerdeführers zur Berufungsinstanz dadurch in unzumutbarer Weise verkürzt.

19

aa) Verfassungsrechtlich nicht haltbar ist schon der rechtliche Ausgangspunkt des Oberverwaltungsgerichts, eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO komme nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer nicht "nachgewiesen" habe, dass im Januar 2001 gezahltes Honorar auch Einkommen für eine im Dezember 2000 ausgeübte ärztliche Tätigkeit enthalte. Des Nachweises einer solchen Behauptung durch den Antragsteller bedarf es im Berufungszulassungsverfahren gerade nicht. Schlüssige Gegenargumente liegen vielmehr bereits dann vor, wenn der Antragsteller substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist. Ob tatsächliche Umstände, die ein Antragsteller schlüssig behauptet, auch wirklich gegeben sind, muss bei Unklarheiten nach Zulassung der Berufung während des sich anschließenden Berufungsverfahrens im Rahmen der Amtsermittlung geklärt werden. Es ist nicht zulässig, diese Prüfung ins Zulassungsverfahren vorzuverlagern und damit die eigentlich erforderliche Beweisaufnahme zu umgehen (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, juris, Rn. 22).

20

bb) Der fehlerhafte rechtliche Ansatz des Oberverwaltungsgerichts führt auch zu einem verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Ergebnis. Das Gericht hätte die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zulassen müssen, weil der Beschwerdeführer im Berufungszulassungsverfahren eine das verwaltungsgerichtliche Urteil tragende Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat.

21

(1) Das Verwaltungsgericht geht, unter Zugrundelegung der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten, davon aus, dass ein Kammermitglied Anspruch auf einen (reduzierten) Beitrag in Höhe des hälftigen Beitragssatzes zur Rentenversicherung der Angestellten hat, sofern es einen Monatsverdienst von weniger als 2.000 DM erzielt. Für den Beschwerdeführer verneint das Gericht dann einen solchen, die 2.000 DM-Grenze unterschreitenden Verdienst pro Monat, weil die von ihm im Jahr 2001 erzielten Einnahmen von 20.291 DM auf 10 Monate, nämlich den Zeitraum von Januar bis einschließlich Oktober 2001, zu verteilen seien. Denn die Einnahmen könnten nur auf die Monate verteilt werden, in denen sie erarbeitet worden seien; auf den Zeitpunkt des Zuflusses komme es nicht an. Für die Höhe der Einnahmen stützt sich das Verwaltungsgericht auf die aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 ergebende Einkommenshöhe, unterstellt also, dass die sich aus dem Einkommensteuerbescheid ergebenden Einnahmen vom Beschwerdeführer in dem Zeitraum von Januar bis Oktober 2001 erarbeitet worden sind und stützt seine Entscheidung auf diese Annahme.

22

(2) Demgegenüber hat der Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung eingewandt, in den Einnahmen, die in dem Einkommensteuerbescheid 2001 ausgewiesen seien, seien auch Verdienste aus dem Jahr 2000 enthalten, und zwar Honorare in Höhe von 985,50 DM, die er durch seine ärztliche Tätigkeit in der zweiten Dezemberhälfte 2000 erwirtschaftet habe. Zum Beleg seiner Behauptung hat er das Schreiben von Januar 2010, wonach er im Dezember 2000 an fünf Tagen Dienste wahrgenommen hat, vorgelegt. Darüber hinaus hat er vorgetragen, aufgrund des klinikinternen Abrechnungsmodus sei das Honorar während seiner Tätigkeit immer jeweils von Monatsmitte zu Monatsmitte berechnet und anschließend ausgezahlt worden. Da hiernach für die Monate Januar bis Oktober 2001 nur noch ein Einkommen von 19.305 DM verbleibe - also weniger als 2.000 DM monatlich - sei die Härtefallklausel schon aus diesem Grunde auf ihn anzuwenden.

23

(3) Damit hat der Beschwerdeführer die Prämisse des Verwaltungsgerichts, in dem aus dem Steuerbescheid ergebenden Einkommen seien keine Einnahmen aus dem Jahre 2000 enthalten, mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Denn auf Grundlage der Behauptungen des Beschwerdeführers, die er zudem mit dem Schreiben von Januar 2010 belegt hat, erscheint es nicht lediglich als möglich, sondern sogar als nahe liegend, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts im Steuerbescheid des Jahres 2001 als Einkommen auch Honorar berücksichtigt war, das der Beschwerdeführer im Dezember 2000 erarbeitet hatte. Dafür spricht nicht nur das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach sein Honorar in einem Abrechnungsmodus von Monatsmitte bis Monatsmitte berechnet und ausbezahlt wurde. Auch aus verwaltungspraktischen Gründen erscheint es wenig wahrscheinlich, dass insbesondere für eine ab dem 25. Dezember 2000, also während der Weihnachtsfeiertage und danach, geleistete Arbeit die Vergütung noch im selben Monat überwiesen werden konnte. Anhaltspunkte für eine Zahlung des Honorars im Voraus oder für Abschlagszahlungen gibt es nicht.

24

(4) Die Tatsachenfeststellungen, die der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen in Frage stellt, sind auch rechtlich erheblich. Denn das Verwaltungsgericht hätte, wären die Behauptungen des Beschwerdeführers zutreffend, seiner Klage jedenfalls teilweise stattgeben müssen. In diesem Fall hätte sich nämlich für 2001 ein in diesem Jahr "erarbeitetes" Honorar von lediglich 19.305,50 DM ergeben, weil 985,50 DM als Honorar für Dienste im Dezember 2000 von dem im Steuerbescheid 2001 ausgewiesenen Einkommen von 20.291 DM abzuziehen gewesen wären. Für die zehnmonatige ärztliche Tätigkeit des Beschwerdeführers im Jahr 2001 hätte sein monatlicher Verdienst folglich nur noch 1.930,55 DM betragen und damit die 2.000 DM-Grenze unterschritten. Nach der vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsauffassung - die vom Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss auch nicht in Zweifel gezogen wird - wäre bei diesem geringen Einkommen die Härtefallregelung anzuwenden gewesen. Da sich die monatlichen Abgaben dementsprechend nur nach dem hälftigen Beitragssatz der Rentenversicherung für Angestellte, also der Hälfte von damals 19,1 %, errechnen würden, hätten sich diese nicht wie von der Beklagten festgesetzt auf - umgerechnet - 169,92 € belaufen, sondern lediglich auf 94,27 €. Auch die geltend gemachte Nachforderung würde sich entsprechend verringern.

25

cc) Dem Beschwerdeführer kann auch nicht entgegengehalten werden, er habe den Zulassungsgrund im Berufungszulassungsverfahren nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere ist es unschädlich, dass er in dem Zulassungsschriftsatz die von ihm vorgebrachten Argumente keinem beziehungsweise jedenfalls nicht dem zutreffenden Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugeordnet hat. Denn für eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung eines oder mehrerer Berufungszulassungsgründe ist es nicht notwendig, dass der Antragsteller ausdrücklich einen der in § 124 Abs. 2 VwGO normierten Zulassungsgründe oder die dort angeführten tatbestandlichen Voraussetzungen benennt. Ebenso ist es kein Hindernis, wenn der Antragsteller sein Vorbringen unter dem falschen Berufungszulassungsgrund erörtert oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei unterschiedlichen Zulassungsgründen im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO relevant sein können, miteinander vermengt. Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet das den Zulassungsantrag prüfende Gericht nämlich dazu, den Vortrag des jeweiligen Antragstellers angemessen zu würdigen und durch sachgerechte Auslegung selbstständig zu ermitteln, welche Zulassungsgründe der Sache nach geltend gemacht werden und welche Einwände welchen Zulassungsgründen zuzuordnen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 2309/09 -, juris, Rn. 13; vgl. insoweit auch BVerfGK 5, 369 <375 f.>). Erst dann, wenn aus einer nicht auf einzelne Zulassungsgründe zugeschnittenen Begründung auch durch Auslegung nicht eindeutig ermittelt werden kann, auf welchen Zulassungsgrund der Antrag gestützt wird, stellt die Verwerfung des Antrags als unzulässig keine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zur Berufungsinstanz dar (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010, a.a.O., Rn. 13). Dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers ohne Schwierigkeiten dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuordnen lässt, folgt hier schon daraus, dass es vom Oberverwaltungsgericht unter diesem Gesichtspunkt geprüft wurde. Eine solche Zuordnung lag im Übrigen auch auf der Hand, weil die Ausführungen des Beschwerdeführers nur zu diesem Zulassungsgrund passen.

26

c) Die weiteren Argumente, die der Beschwerdeführer gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils vorgebracht hat, sind allerdings nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG zu begründen. Dass das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf diese Einwände das Vorliegen des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verneint hat, lässt keine Grundrechtsverletzung erkennen. Der Beschwerdeführer hat schon nicht nachvollziehbar dargelegt, warum die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Zufluss des Einkommens erst nach dem Ablauf des Zeitraums der Tätigkeit sei unschädlich - maßgeblich sei vielmehr der Zeitpunkt des Erarbeitens -, fehlerhaft sein sollte. Der Ansatz des Gerichts, allein an den Tätigkeitszeitraum anzuknüpfen und den Zuflusszeitpunkt als unerheblich anzusehen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

27

Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) sei nicht gegeben, gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen könnte. Die Gründe, mit denen das Gericht das Vorliegen des Zulassungsgrundes ablehnt, sind gut nachvollziehbar. Dass sie den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG nicht genügen könnten, ist nicht zu erkennen.

28

Eine Berufung auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) scheitert schließlich unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität schon daran, dass sich der Beschwerdeführer auf diesen Grund im Berufungszulassungsverfahren weder ausdrücklich noch der Sache nach berufen hat.

29

2. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Ob der Beschluss auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG beziehungsweise Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verstößt, kann daher offenbleiben.

30

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem die Klägerin ihre gegen die mit Bescheid der Beklagten vom 9. September 2013 verfügte Rücknahme der ihr am 13. Juli 2006 und 7. Juli 2008 erteilten Aufenthaltstitel (mit Wirkung für die Vergangenheit) sowie Ausweisung aus dem Bundesgebiet gerichtete Klage weiterverfolgt, ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerin im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Schlüssige Gegenargumente, die einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenbehauptung der angefochtenen Entscheidung infrage stellen, liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Rücknahme der der Klägerin am 13. Juli 2006 gemäß §§ 27, 28 AufenthG verlängerten Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug sowie der am 7. Juli 2008 gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilten Niederlassungserlaubnis rechtmäßig nach Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG erfolgt sei, weil zur Überzeugung des Gerichts zwischen der Klägerin und ihrem (früheren) deutschen Ehemann eine eheliche Lebensgemeinschaft tatsächlich nicht bestanden habe. Ein Indiz dafür sei der rechtskräftige Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom 21. September 2011, mit dem gegen die Klägerin (und daneben ihren früheren Ehemann) wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln in zwei tatmehrheitlichen Fällen gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, § 53 StGB eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 30 Euro verhängt worden sei. Darin werde festgestellt, dass die durch die Klägerin und den inzwischen von ihr geschiedenen Ehemann am 10. Juli 2006 und 23. Juni 2008 gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde jeweils abgegebenen Erklärungen, die Ehe bestehe noch, es werde ein gemeinsamer Haushalt geführt, kein weiterer Wohnsitz unterhalten und die Ehegatten lebten nicht getrennt, bewusst falsch gewesen seien, weil die Klägerin bereits am 10. Oktober 2005 in München einen neuen Wohnsitz begründet, eine Arbeitsstelle gefunden und ein eigenes Konto bei einer Bank unterhalten habe; spätestens ab diesem Zeitpunkt hätten sie und ihr Ehemann keinen gemeinsamen Haushalt mehr gehabt, sondern getrennt gelebt. Gegen diese tatrichterliche Feststellung habe sich die Klägerin aber nicht gewandt, sondern ihren Einspruch gegen den Strafbefehl lediglich auf die Tagessatzhöhe beschränkt. Weitere Anhaltspunkte für das bloß formale Bestehen der Ehe seien auch in den Umständen der Einreisen der Klägerin nach Deutschland im Jahr 2004 (im Rahmen eines erfolglosen Asylbegehrens) und im Jahr 2005 nach der im September 2004 in Tirol erfolgten Heirat sowie ihrem Umzug bereits drei Monate nach der Anmeldung beim Ehemann in B. nach München zur Familie ihrer Tante zu sehen. Die Einlassung der Klägerin, der Umzug sei (nur) erfolgt, weil sie in München Arbeit gefunden habe, sei ebenso wenig glaubhaft wie die Behauptung, mit ihrem Ehemann in der Folgezeit eine sogenannte Wochenendehe geführt zu haben. Denn dagegen spreche, dass die angebliche eheliche Wohnung in B. lediglich in einem kleinen Reisebüro mit einem etwa 12 m² großen abgetrennten rückwärtigen Bereich (mit ausklappbarer Couch, einem Schrank, einer kleinen Teeküche und einer kleinen Toilette mit Handwaschbecken) bestehe, die für eine Ehewohnung völlig ungeeignet sei. Die Schilderungen der Klägerin und ihres Ehemanns bezüglich des gemeinsamen Lebens wirkten zudem stereotyp, lebensfremd und abgesprochen. Widersprüchlich seien auch die Angaben zu angeblichen Wochenendaufenthalten des Ehemanns bei der Klägerin in München. Nicht glaubhaft sei schließlich, dass die Klägerin von der Tätigkeit des Ehemanns im Reisebüro in B. nichts mitbekommen haben solle. Auch der weitere zeitliche Verlauf nach der Erteilung der Niederlassungserlaubnis spreche für eine Scheinehe. Denn die Klägerin habe nach Erteilung dieses Aufenthaltstitels allein Urlaub im Herkunftsstaat Armenien gemacht, dort nach eigenen Angaben ihren Jugendfreund wieder getroffen, diesen schließlich nach im November 2009 erfolgter Scheidung von ihrem Ehemann im September 2010 in Armenien geheiratet und in der Folge ein Verfahren zum Nachzug des zweiten Ehemanns angestrengt. Beim zweiten Ehemann handle es sich überdies um den ehemaligen Mann ihrer Cousine, bei deren Mutter (Tante der Klägerin) die Klägerin in München gewohnt habe. Jedenfalls sei aber entgegen der Angabe des Ehemanns der Klägerin in der mündlichen Verhandlung von einem Trennungszeitpunkt im Juni 2008 und damit noch vor der Beantragung und Erteilung der Niederlassungserlaubnis auszugehen; dies ergebe sich schon aus dem rechtskräftigen Scheidungsurteil. Auch die übrigen Voraussetzungen des Art. 48 BayVwVfG lägen vor.

Die Ermessensausweisung der Klägerin, die sich nach dem Erlöschen der Niederlassungserlaubnis nicht auf einen besonderen Ausweisungsschutz berufen könne, sei ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Es lägen die Ausweisungstatbestände des § 55 Abs. 2 Nr. 1a) AufenthG (wegen falscher Angaben zur Erlangung des deutschen Aufenthaltstitels) sowie des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (wegen eines nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften) vor. Bei der Verurteilung durch den rechtskräftigen Strafbefehl vom 21. September 2011 handle es sich nicht um einen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften. Bestätigt werde die kriminelle Energie der Klägerin durch einen im Jahr 2013 ergangenen Strafbefehl des Amtsgerichts M. wegen Diebstahls in zwei Fällen. Ermessensfehler oder ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seien nicht ersichtlich.

Demgegenüber macht die Klägerin geltend, die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, dass zwischen ihr und ihrem deutschen Ehemann keine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden habe, ergebe sich weder aus der Zeugenvernehmung des geschiedenen Ehemanns noch aus den anderweitig vom Erstgericht aufgeführten Indizien. Der rechtskräftige Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom 21. September 2011 entfalte keine Indizwirkung. Es sei allgemein bekannt, dass gerade Ausländer Strafbefehle völlig falsch einschätzten und die weitreichenden Konsequenzen eines solchen Strafbefehls häufig gar nicht zur Kenntnis nähmen. Die Beschränkung eines Einspruchs auf die Höhe der Tagessätze drücke insofern gerade nicht ein Schuldeingeständnis aus, sondern sei Ausdruck des Ziels, unliebsame Konsequenzen möglichst gering zu halten. Dass die Klägerin kein Visumverfahren durchgeführt, sondern ihren Ehemann 2004 in Tirol geheiratet habe und dann zu ihm gezogen sei, sei ebenfalls kein Indiz für eine Scheinehe, sondern der Versuch, das zeitraubende Visumverfahren zu umgehen. Aufgrund der beengten ehelichen Wohnverhältnisse sei es auch verständlich, dass die Klägerin zur Arbeitssuche nach M. verzogen sei. Es sei bekannt, dass die Arbeitsmarktsituation dort wesentlich besser als in Nordbayern sei. Die negativen Schlüsse des Verwaltungsgerichts seien auch insoweit nicht nachvollziehbar. Eine Arbeitssuche von zwei Monaten sei im Übrigen durchaus normal. Die Wohnung in B. sei aufgrund „mangelnder finanzieller Verhältnisse“ die gemeinsame eheliche Wohnung gewesen. Aufgrund der unterschiedlichen Erwerbstätigkeit an verschiedenen Orten habe sich die Klägerin auch nicht um den Betrieb des Reisebüros ihres Ehemanns gekümmert. Warum das Verwaltungsgericht die vorgelegten Fotos etc. nicht als Belege für eine eheliche Lebensgemeinschaft genommen habe, sei nicht nachvollziehbar. Völlig normal sei auch, dass die Klägerin nach dem Scheitern ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft in ihrem Heimatland eine neue Beziehung eingegangen sei. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei entsprechend der Aussage des geschiedenen Ehemanns in der mündlichen Verhandlung von einem Trennungszeitpunkt zum Jahresende 2008 auszugehen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser als Zeuge falsch ausgesagt habe. Die Angabe eines früheren Trennungszeitpunkts im Scheidungsverfahren entspreche dem nachvollziehbaren Wunsch, schneller geschieden werden zu können. Die Annahme krimineller Energie bei der Klägerin sei ebenfalls fehlerhaft. Eine Verurteilung zu 80 Tagessätzen, die nicht zur Eintragung in ein Führungszeugnis führe, müsse auf jeden Fall noch als geringfügig angesehen werden.

Damit hat die Klägerin jedoch keine substantiierten tatsächlichen Umstände aufgezeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011, 546). Die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme und der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Erstgerichts (s. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) allein genügt zur Begründung ernstlicher Zweifel nicht. Soweit sich das tatsächliche Vorbringen im Zulassungsverfahren - wie dies vorliegend der Fall ist - auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung bezieht, kommt eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur in Betracht, wenn aufgezeigt wird, dass die Richtigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung mangelhaft ist, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist, was insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen ist (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, B.v. 14.3.2016 - 15 ZB 16.168 - juris Rn. 8; B.v. 10.2.2016 - 10 ZB 14.2577 - juris Rn. 6; B.v. 9.10.2013 - 10 ZB 13.1725 - juris Rn. 5 f.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 17.5.2016 - OVG 11 N 36.15 - juris Rn. 8; NdsOVG, B.v. 17.5.2016 - 8 LA 40/16 - juris Rn. 25; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Oktober 2015, § 124 Rn. 26g jeweils m. w. N.; zur verfahrensrechtlichen Rüge eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz aus § 108 Abs. 1 VwGO vgl. z. B. BVerwG, B.v. 29.7.2015 - 5 B 36.14 - juris Rn. 13). Dass derartige Mängel der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung vorliegen, zeigt die Klägerin mit ihrer Zulassungsbegründung jedoch nicht auf. Allein die Möglichkeit, dass die verschiedenen vom Verwaltungsgericht gewürdigten „Indizien“ und tatsächlichen Umstände auch anders beurteilt werden könnten, reicht - wie dargelegt - nicht aus. Vielmehr ist die aufgrund seiner Tatsachenfeststellungen getroffene Würdigung des Erstgerichts, zwischen der Klägerin und ihrem (damaligen) Ehemann habe jedenfalls nach dem Umzug der Klägerin nach München im Oktober 2005 keine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne der §§ 27, 28 AufenthG mehr bestanden, nicht nur eine mögliche, sondern vielmehr eine hier besonders naheliegende Bewertung.

Dem pauschalen und weitgehend unsubstantiierten Einwand, dass gerade Ausländer Strafbefehle falsch einschätzten, sich über die weitreichenden (ausländerrechtlichen) Konsequenzen nicht im Klaren wären und demgemäß ein auf die Tagessatzhöhe beschränkter Einspruch nicht als Schuldeingeständnis gewertet werden dürfe, weil diese Verhaltensweise nur Ausdruck des Ziels sei, „unliebsame Konsequenzen möglichst gering zu halten“, ist die Beklagte zu Recht mit dem Hinweis entgegengetreten, dies könne im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zutreffen, weil die Auswirkungen auf das vom Ehemann der Klägerin abgeleitete Aufenthaltsrecht offensichtlich seien und die Klägerin überdies sowohl im Strafverfahren wie auch im ausländerrechtlichen Verfahren von derselben, auch auf dem Gebiet des Ausländerrechts versierten Rechtsanwaltskanzlei vertreten worden sei.

Auch die Rüge, die Heirat in Tirol/Österreich 2004 könne kein Indiz für eine Scheinehe sein, weil „unter Ausländern bekannt sei, dass Visumverfahren zeitraubend und gegebenenfalls auch ablehnend“ seien und der Versuch, dies zu umgehen, nur verständlich sei, greift nicht durch. Denn das Verwaltungsgericht hat nicht nur auf die Eheschließung im Österreich, sondern vor allem auf deren Vorgeschichte und insbesondere die nach dem Entschluss zur Heirat gestellten Asylanträge der Klägerin sowohl in Österreich als auch in Deutschland im Jahr 2004 sowie die am 7. April 2004 erfolgte Abschiebung der Klägerin nach Österreich abgestellt. Auch daraus durfte - worauf die Beklagte in ihrer Erwiderung ebenfalls hingewiesen hat - das Verwaltungsgericht grundsätzlich Zweifel am tatsächlich bestehenden Willen zur Begründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft herleiten (vgl. BVerfG, B.v. 5.5.2003 - 2 BvR 2042/02 - juris Rn. 4).

Der klägerische Einwand, aufgrund der beengten ehelichen Wohnverhältnisse sei es verständlich, dass die Klägerin zur Arbeitssuche nach M. verzogen sei, zumal dort die Arbeitsmarktsituation wesentlich besser sei, vermag die Bewertung des Erstgerichts, auch dieser (schnelle) Umzug begründe Zweifel am Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft, ebenfalls nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen. Denn dieses wenig substantiierte Vorbringen zeigt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin bereits drei Monate nach ihrer Anmeldung beim Ehemann in B. offensichtlich ohne vorherige Suche eines Arbeitsplatzes in diesem örtlichen Bereich und noch ohne konkreten Arbeitsplatz bereits zu ihrer Tante nach München umgezogen ist, nicht die Sachwidrigkeit dieser Bewertung auf.

Auch die Feststellung des Verwaltungsgerichts, gegen die behauptete Wochenendehe der Klägerin sprächen schon die dafür nicht geeigneten Räumlichkeiten in der S.-straße in B. (kleines Reisebüro mit nur 12 m² großem rückwärtigen Bereich mit ausklappbarer Couch, Schrank, kleiner Teeküche und kleiner Toilette mit Handwaschbecken), die diesbezüglichen stereotypen, lebensfremden und abgesprochen wirkenden Angaben der Klägerin und ihres (geschiedenen) Ehemanns, die widersprüchlichen Aussagen der beiden in der mündlichen Verhandlung zu den behaupteten gemeinsamen Aufenthalten in der Wohnung der Tante in M. sowie der Umstand, dass die Klägerin offensichtlich in keiner Weise am Alltag ihres Ehemanns im Reisebüro teilgehabt habe, hat die Klägerin nicht mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt. Soweit die Klägerin einwendet, es sei völlig normal, dass sie sich bei ihrem selbstständigen Erwerbsleben nicht um die Einkunftsart ihres geschiedenen Ehemanns gekümmert habe, wird nicht schlüssig und nachvollziehbar aufgezeigt, wieso dies auch für die Zeit (3 Monate) gelte, in der sie nach eigenen Angaben noch mit ihrem Ehemann in den Räumlichkeiten in B. in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammen gewohnt hat. Überdies setzt sich die Klägerin mit den weiteren diesbezüglichen, vom Erstgericht angeführten Indiztatsachen nicht auseinander.

Soweit die Klägerin geltend macht, die neue Beziehung nach ihrer Trennung vom Ehemann zu einem armenischen Landsmann („Jugendfreund“) lasse keine Rückschlüsse auf die ursprüngliche Ehe und deren Zweck zu, geht sie nicht substantiiert auf die vom Verwaltungsgericht insofern in den Blick genommenen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhänge der Erteilung der Niederlassungserlaubnis, der Scheidung, der Heirat des zweiten Ehemanns, dem Antrag auf Ehegattennachzug und vor allem die auffällige persönliche Konstellation ein, dass der zweite Ehemann der ehemalige Mann ihrer Cousine ist, mit der sie bei ihrer Tante in München zusammengewohnt hat, und der mit seiner Exfrau zwei gemeinsame Töchter hat.

Nach alledem ist die Bewertung, dass die Klägerin auch diese Ehe allein zum Zwecke der Erschleichung eines Aufenthaltstitels (nunmehr für ihren derzeitigen Ehemann) geschlossen hat, nicht sachwidrig, sondern vielmehr naheliegend. Nicht mehr entscheidungserheblich ist es daher, ob die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen die weitere tragende Annahme des Verwaltungsgerichts, eine eheliche Lebensgemeinschaft der Klägerin sei jedenfalls ab dem im Scheidungsverfahren übereinstimmend angegebenen Trennungszeitpunkt Juni 2008 beendet und die Erteilung der Niederlassungserlaubnis daher rechtswidrig gewesen, mit schlüssigen Gegenargumenten ernsthaft infrage gestellt hat. Unabhängig davon gibt es mit Blick auf die zahlreichen unterschiedlichen und widersprüchlichen Einlassungen der Klägerin und ihres Ehemanns im behördlichen und gerichtlichen Verfahren aber auch keine überzeugenden oder stichhaltigen Gründe dafür, von einer diesbezüglich wahrheitsgemäßen Aussage des geschiedenen Ehemanns in der mündlichen Verhandlung auszugehen.

Auch die Rüge der Klägerin, die Ausweisungsverfügung der Beklagten sei rechtswidrig, weil sie weder falsche Angaben gemacht noch einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen habe, greift nicht durch. Mit diesem Vorbringen wird die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Klägerin dürfe wegen ihrer falschen Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels sowie eines nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften ausgewiesen werden, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386), zuletzt geändert durch das am 17. März 2016 in Kraft getretene Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I S. 394), im Ergebnis nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Eine wie hier nach altem Recht verfügte Ermessensausweisung wird auch nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer seit dem 1. Januar 2016 geltenden Neufassung nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 26).

Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsverfahren hat das Verwaltungsgericht zu Recht das Vorliegen von Ausweisungsgründen, nunmehr gesetzlich als schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 2 AufenthG bestimmt, bejaht. Denn die Klägerin hat - wie oben dargelegt - falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels gemacht (§ 54 Abs. 2 Nr. 8 a) AufenthG) und auch einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen (§ 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG). Vorsätzliche Straftaten wie hier (§ 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) stellen regelmäßig schon keine geringfügigen Verstöße im Sinne dieser Bestimmung dar (vgl. Graßhof in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.2.2016, AufenthG § 54 Rn. 118; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG § 54 Rn. 80 jeweils m. w. N.).

Sonstige Einwendungen gegen die Beurteilung der Ausweisungsverfügung der Beklagten als rechtmäßig hat die Klägerin im Zulassungsverfahren nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 39 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

III.

Unter Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. Dezember 2015 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt als Eigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in der Innenstadt von B. (B.-str. ...) ein mit Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2014 abgelehntes bauaufsichtliches Einschreiten gegen den Beigeladenen wegen der Nutzung eines Kamins auf dem unmittelbar nördlich angrenzenden Nachbargrundstück (B.-str. ...). Ihre Verpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Dezember 2015, das ihr am 17. Dezember 2015 zugestellt wurde, ab.

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Mit einem am 17. Februar 2016 per Telefax beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin, die Begründungsfrist für den Zulassungsantrag wegen angekündigter Beibringung weiterer Unterlagen bis zum 16. März 2016 zu verlängern. Bereits jetzt könne aber mitgeteilt werden, dass die Berufung deswegen zuzulassen sei, weil feststehe, dass der Beigeladene kontaminiertes Holz verbrenne und dass dadurch sowohl eine erhebliche Umweltbelastung als auch eine Gefährdung der Nachbarschaft eingetreten sei. Hierzu würden noch Bilder vorgelegt werden. Die Einlassung des Beigeladenen hierzu sei unschlüssig (wird weiter ausgeführt).

Auf den richterlichen Hinweis, dass die Begründungsfrist für die Zulassung der Berufung nicht verlängerbar sei, verwies der Bevollmächtigte unter dem 1. März 2016 darauf, dass die Begründung für die Zulassung der Berufung gemäß richtiger Würdigung bereits dem Schriftsatz vom 17. Februar 2016 zu entnehmen sei.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig‚ weil die Klägerin innerhalb der Begründungsfrist des 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO - also innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des angegriffenen Urteils - dem Verwaltungsgerichtshof keine Zulassungsgründe dargelegt hat, die den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.

Das mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2015 wurde der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 17. Dezember 2015 zugestellt. Zwar ging der Antrag auf Zulassung der Berufung am 18. Januar 2016 (Montag) rechtzeitig beim Verwaltungsgericht ein (§ 124a Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO). Die zweimonatige Frist zur Darlegung der Zulassungsgründe endete aber nach § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB am 17. Februar 2016, 24.00 Uhr.

Im Schriftsatz vom 17. Februar 2016 sind Zulassungsgründe im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO jedenfalls nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 i. V. mit Abs. 5 Satz 2 VwGO entsprechenden Weise dargelegt worden.

Das klägerische Vorbringen setzt sich im Schriftsatz vom 17. Februar 2016 zum einen schon nicht substantiiert mit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinander und vermag deshalb eine Überprüfung des angefochtenen Urteils durch das Berufungsgericht mangels konkreter Einwände gegen die Richtigkeit des Urteils nicht zu ermöglichen. „Darlegen“ erfordert mehr als einen nicht spezifizierten Hinweis auf das behauptete Vorliegen eines Zulassungsgrundes, es bedeutet vielmehr „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist deshalb unter ausdrücklicher oder konkludenter Bezugnahme auf einen Zulassungsgrund eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird (BayVGH, B. v. 16.6.2014 - 20 ZB 14.974 - juris; B. v. 3.3.2015 - 1 ZB 15.2615 - juris; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 59 und 63 m. w. N.). Dies ist im Schriftsatz vom 17. Februar 2016 nicht geschehen.

Sollte in großzügiger Betrachtung die allgemeine Äußerung, dass der Beigeladene kontaminiertes Holz verbrenne oder verbrannt habe, dahin zu deuten sein, dass sich die Klägerin in der Sache wegen falscher Bewertung des Sachverhalts auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) beruft, entspricht auch dies nicht den Darlegungserfordernissen des § 124a Abs. 4 Satz 4 i. V. mit Abs. 5 Satz 2 VwGO. Der schlichte - hier zudem allenfalls angedeutete, sinngemäße - Vortrag, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt falsch gewürdigt, genügt den Darlegungserfordernissen mit Blick auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO inhaltlich nicht. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d. h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt daher (nur) vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (vgl. BVerwG, B. v. 14.1.2010 - 6 B 74/09 - juris Rn. 2; B. v. 8.2.2011 - 10 B 1/11 u. a. - juris Rn. 3). Soweit eine fehlerhafte Beweis- bzw. Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt wird, liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO folglich nur dann vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind (vgl. jeweils m. w. N. BayVGH, B. v. 6.9.2011 - 14 ZB 11.409 - juris Rn. 5; B. v. 21.1.2013 - 8 ZB 11.2030 - juris Rn. 17 m.w.N; B. v. 14.3.2013 - 22 ZB 13.103 - juris Rn. 11; B. v. 7.10.2015 - 15 ZB 12.2042 - juris Rn. 19). Dass solche schwerwiegenden Fehler der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung hier vorliegen, zeigt die Klägerin im Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 17. Februar 2016 nicht im Ansatz auf. Allein die Möglichkeit einer anderen Sachverhaltsbeurteilung rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Da der Beigeladene im Zulassungserfahren keinen eigenen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Entscheidung zum Streitwert beruht auf § 52 Abs. 1 i. V. mit § 47 Abs. 3, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Der Verwaltungsgerichtshof orientiert sich bei der Streitwertfestsetzung an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57 ff.), weil die Bedeutung der Sache für einen Kläger bei einem Nachbaranspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ähnlich zu bewerten ist wie bei einer Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung (BayVGH, B. v. 3.4.2008 - 1 ZB 07.3115 - juris Rn. 18 m. w. N.; B. v. 30.4.2015 - 9 C 15.489 - juris Rn. 3). Angesichts der Bedeutung der Streitsache war dabei vom unteren Bereich des diesbezüglichen Rahmens auszugehen. Der vom Verwaltungsgericht auf 5.000,- € festgesetzte Streitwert war daher auf 7.500,- € anzuheben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Aktenzeichen: 10 B 14.1054

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 6. April 2016

(VG München, Entscheidung vom 15. März 2012, Az.: M 22 K 11.42)

10. Senat

Sachgebietsschlüssel: 520

Hauptpunkte:

Anordnungen zur Hundehaltung;

American Bulldog Mischling;

Negativattest;

Maulkorbzwang bei Freilauf im Außenbereich;

Gemeinsames Ausführen mehrerer Hunde

Rechtsquellen:

Leitsätze:

In der Verwaltungsstreitsache

...

gegen

Gemeinde ..., vertreten durch den ersten Bürgermeister,

- Beklagte -

bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...

beteiligt: Landesanwaltschaft ..., als Vertreter des öffentlichen Interesses,

wegen Anordnungen zur Hundehaltung;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 15. März 2012,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 10. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Senftl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Zimmerer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dihm ohne mündliche Verhandlung am 6. April 2016 folgendes Urteil:

I.

Unter teilweiser Abänderung der Nr. I des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 15. März 2012 werden Nr. 2.2 Satz 2 und Nr. 2.5 des Bescheids der Beklagten vom 11. Dezember 2010 aufgehoben.

II.

Unter Abänderung der Nr. II des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 15. März 2012 trägt der Kläger ein Drittel und die Beklagte zwei Drittel der Kosten des Verfahrens in erster Instanz. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen Nr. 2.2 Satz 2 und Nr. 2.5 des Bescheids der Beklagten vom 1. Dezember 2010 weiter. Nr. 2.2 Satz 2 des Bescheids bestimmt, dass dem Hund des Klägers bei freiem Auslauf ein sicherer Maulkorb anzulegen ist. In Nr. 2.5 wird angeordnet, dass beim Ausführen des Hundes zusammen mit einem oder mehreren anderen Hunden sicherzustellen ist, dass nur einem Hund Freilauf ohne Leine gestattet wird, sofern nicht andere Umstände dazu führen, dass alle Hunde an der Leine geführt werden müssen.

Der Kläger ist Halter des American Bulldog-Mischlings „Jin“. Am 2. Juli 2010 beantragte er die Erteilung eines sog. Negativzeugnisses. In der gutachterlichen Stellungnahme zum Vollzug des Art. 37 Abs. 2 LStVG i. V. m. § 1 Abs. 2 der Verordnung für Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit vom 20. Mai 2010 kommt die Gutachterin zu dem Ergebnis, dass bei „Jin“ keine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen und Tieren festgestellt werden könne. Ein Negativzeugnis könne ausgestellt werden. Bei Begegnungen mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen sei erhöhte Vorsicht geboten. Die Gutachterin empfahl der Beklagten, den Hundehalter anzuweisen, seinen Hund an einer reißfesten Leine auszuführen oder ausführen zu lassen. Das Freilaufenlassen solle nur dort gestattet werden, wo übersichtlich sei, dass keine anderen Hunde vorhanden seien oder plötzlich hinzukommen könnten. Zudem solle der Hundehalter einen Nachweis erbringen, dass er mit seinem Hund einen Erziehungskurs an einer Hundeschule absolviert habe.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 2010 erteilte die Beklagte dem Kläger das sog. Negativzeugnis (Nr. 1) und setzte neben dem Leinenzwang innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile u. a. fest, dass der freie Auslauf nur außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig sei, wo übersichtlich sei, dass keine anderen Hunde vorhanden seien oder plötzlich hinzukommen könnten (weit übersichtliche Felder oder ähnliches), und „Jin“ bei freiem Auslauf ein sicherer Maulkorb anzulegen sei (Nr. 2.2). Beim Ausführen des Hundes zusammen mit einem oder mehreren anderen Hunden sei sicherzustellen, dass nur einem Hund der Freilauf ohne Leine gestattet werde, sofern nicht andere Umstände dazu führen, dass alle Hunde an der Leine geführt werden müssten (Nr. 5). In Nr. 6 des Bescheids ordnete die Beklagte an, dass „Jin“ nur vom Halter oder geeigneten, der Beklagten namentlich zu benennenden Personen ausgeführt werden darf. Die Beklagte wies zudem darauf hin, dass den Anordnungen des Bescheids vom 1. Dezember 2010 im Bereich des gesamten Freistaats Bayern Folge zu leisten sei.

Bezüglich der Anordnung des Maulkorbzwanges führte die Beklagte in den Bescheidsgründen aus, dass es zu Beißvorfällen komme oder kommen könne, wenn „Jin“ außerhalb der Ortschaft frei herumlaufe und keinen entsprechenden Schutz trage. Es entspreche dem Bewegungsbedürfnis der Hunde, nicht stets an der Leine zu laufen. Es erscheine durchaus sachgerecht, außerhalb geschlossener Ortschaften von der Anleinpflicht abzusehen. Die Beklagte sei allerdings auch der Auffassung, dass es, wenn „Jin“ außerhalb geschlossener Ortschaften frei herumlaufe, in gleicher Weise wie innerhalb des Ortes zu Kontakt mit dritten Personen kommen könne. Der Hund werde, wenn er frei herumlaufe, auf Jogger, Spaziergänger, Radfahrer oder andere Nutzer des Außenbereichs treffen. Die Anordnung in Nr. 2.5 des Bescheids begründete die Beklagte, dass nach Einschätzung von Fachleuten und Gutachtern das Gefahrenrisiko von Sicherheitsstörungen bei der Haltung und Führung von zwei und mehr Hunden (Rudelhaltung) durch die meutetriebliche Stimulation nicht nur doppelt so groß, sondern um ein Vielfaches größer sei. Neben der gegenseitigen Meuteunterstützung sei im Rudel auch eine Reizschwellensenkung gegeben. Dies bedeute, dass Tiere im Rudelverband schneller bereit seien, ein Opfer zum Zwecke des Beuteerwerbs oder zu ihrer Verteidigung auszusuchen und anzuvisieren als dies bei der Einzelhundehaltung der Fall sei.

Die Klage des Klägers gegen die Anordnungen Nr. 2.2 Satz 2, Nr. 2.5 und 2.6 im Bescheid vom 1. Dezember 2010 wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 15. März 2012 ab. Zum Maulkorbzwang führte das Gericht aus, dass das von der Beklagten diesbezüglich prognostizierte Geschehen nicht nur konstruiert oder entfernt denkbar sei. Zu Begegnungen mit dritten Personen könne es ohne weiteres auch außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile kommen. In einer stark vom Tourismus geprägten Region wie dem bayerischen Alpenvorland könne auch im übersichtlichen, weit einsehbaren Gelände und trotz vorheriger Prüfung der Nichtanwesenheit anderer Hunde durch den Kläger nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass solche dennoch hinzukämen. Der Kläger hätte dann, insbesondere wenn sich sein freilaufender Hund zu diesem Zeitpunkt in einer gewissen Entfernung von ihm befinde, keine Einwirkungsmöglichkeit auf denselben. Zwar sei insgesamt die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung mit anderen Hunden und Passanten außerhalb bebauter Ortsteile naturgemäß geringer als innerorts, dies ließe aber das Vorliegen einer konkreten Gefahr im erstgenannten Bereich nicht entfallen. Gerade bei Freilauf befinde sich der jeweilige Hund nicht mehr im unmittelbaren Zugriffsbereich des Hundehalters. Der nur für diesen Fall angeordnete Maulkorbzwang sei eine zur Gefahrenabwehr geeignete und zulässige Maßnahme, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche. Dass die Sachverständige in ihrem Gutachten vom 20. Mai 2010 zwar die Anordnung eines Leinenzwangs, nicht aber eines Maulkorbzwangs bei Freilauf vorgeschlagen habe, sei diesbezüglich nicht von Belang.

Zu Nr. 2.5 des Bescheids führte das Verwaltungsgericht aus, dass es sich hierbei um ein milderes Mittel gegenüber einem Verbot der Ausführung mehrerer Hunde oder gar einem vollständigen Verbot der Rudelhaltung handle. Es sei alleine das Ausführen mehrerer Hunde durch den Kläger gemeint, da ausschließlich der Kläger Adressat des Bescheids sei. Die Anordnung sei auch nicht zu unbestimmt.

Mit Beschluss vom 2. Mai 2014 ließ der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 15. März 2012 (teilweise) zu, soweit damit die Klage gegen Nr. 2.2 Satz 2 und Nr. 2.5 des Bescheids der Beklagten vom 1. Dezember 2010 abgewiesen worden ist.

Zur Begründung seiner Berufung nimmt der Kläger auf die Begründung des Zulassungsantrags vom 30. Mai 2012 Bezug. Er verweist auf das Urteil des Senats vom 21. Dezember 2011 (10 B 10.2806), wonach eine konkrete Gefahr durch große Hunde nur innerorts oder auf Straßen und Wegen mit vergleichbar relevantem Publikumsverkehr angenommen werden könne. Vorliegend gehe es um einen Maulkorbzwang, der bei freiem Auslauf außerorts auf weit übersichtlichen Feldern zu beachten sei. Dort sei nennenswerter Publikumsverkehr mehr oder weniger ausgeschlossen. Es gebe keine weiteren Anhaltspunkte für ein gefährliches Verhalten des Hundes des Klägers, da dieser noch nie nachteilig aufgefallen sei. Auch die Gutachterin habe die Anordnung eines Maulkorbzwanges gerade nicht für erforderlich angesehen. Nr. 2.5 des angegriffenen Bescheids sei rechtswidrig, weil die Beklagte den Freilauf nicht nur für etwaige gemeinsam vom Kläger gehaltene Hunde auf einen Hund begrenzen wollte, sondern auch die Zahl der freilaufenden Hunde, die gleichzeitig mit „Jin“ ausgeführt und nicht vom Kläger gehalten würden, begrenzen wolle. Da die Auflage auch für einen den Hund ausführenden Dritten gelte, verwirke der Kläger ein Zwangsgeld, wenn ein „Vierter“ seinen Hund von der Leine lasse, wenn „Jin“ bereits frei herumlaufe. Dafür gebe es keinen rechtfertigenden Grund. Dies sei nicht verhältnismäßig.

Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 15. März 2012 teilweise abzuändern und Nr. 2.2 Satz 2 und Nr. 2.5 des Bescheids der Beklagten vom 1. Dezember 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es sei für die Rechtmäßigkeit der Anordnung eines Maulkorbzwangs nicht erforderlich, dass es bereits zu einem konkreten Beißvorfall gekommen sei oder sich der Hund sonst bei einem konkreten Vorfall in der Vergangenheit besonders gefahrdrohend gezeigt habe. Insoweit habe das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass von großen, freilaufenden Hunden mit hoher Beißkraft, Muskelkraft und hohem Gewicht gesteigerte Gefahren für die genannten Schutzgüter ausgingen, da viele Menschen hier aufgrund angsterfüllter Begegnungen unkontrolliert reagierten, insbesondere da sie befürchteten, gebissen zu werden. Ein Hund, der erkennbar einen Maulkorb trage, rufe nicht dieselbe Befürchtung von Passanten hervor, gebissen zu werden. Der Senat habe sich bereits mit einer Anordnung zum Ausführen mehrerer Hunde, die gleichlautend mit der angegriffenen Nr. 2.5 des Bescheids sei, auseinandergesetzt und keine Bedenken gegen die Bestimmtheit einer solchen Anordnung geäußert (U. v. 21.12.2011, Az. 10 B 10.2806). Die Anordnung gelte nicht nur für etwaige gemeinsam vom Kläger gehaltene Hunde, sondern auch für Hunde, die gleichzeitig mit „Jin“ ausgeführt und nicht vom Kläger gehalten würden. Es möge zwar denkbar sein, dass eine Rudel- bzw. Meutebildung zwischen verschiedenen, gemeinsam mit „Jin“ auszuführenden Hunden unterschiedlicher Rassen und Größenordnungen auszuschließen sei. Der Kläger überspanne aber die Anforderungen an die Regelungsdichte solcher Anordnungen.

Auf Anfrage des Senats erklärten die Landesanwaltschaft Bayern mit Schreiben vom 9. März 2016, der Kläger mit Schreiben vom 13. März 2016 und die Beklagte mit Schreiben vom 14. März 2016 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 2010, soweit er Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, aufzuheben, weil er in Nr. 2.2 Satz 2 (1.) und Nr. 2.5 (2.) rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 LStVG für die in Nr. 2.2 Satz 2 des Bescheids vom 1. Dezember 2010 getroffene Anordnung, dem Hund des Klägers bei freiem Auslauf einen sicheren Maulkorb anzulegen, liegen nicht vor.

Neben der Möglichkeit, durch Verordnung gemäß Art. 18 Abs. 1 LStVG das freie Umherlaufen von großen Hunden und Kampfhunden i. S. d. Art. 37 Abs. 1 Satz 2 LStVG in öffentlichen Anlagen, auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder die öffentliche Reinlichkeit zu beschränken, können die Gemeinden nach Art. 18 Abs. 2 LStVG zum Schutz der in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter Anordnungen zur Haltung von Hunden für den Einzelfall treffen. Eine Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG darf allerdings nur erlassen werden, wenn im jeweils gesondert zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die betreffenden Schutzgüter vorliegt (st. Rspr., vgl. z. B. BayVGH, B. v. 11.2.2015 -10 ZB 14.2299 - juris Rn. 5 m. w. N.). Dies ist dann der Fall, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in dem zu beurteilenden Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zukunft mit einem Schadenseintritt gerechnet werden kann. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schutzwürdiger das bedrohte Schutzgut und je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, U. v. 9.11.2010 -10 BV 06.3053 - juris Rn. 22 m. w. N.). Die Zugehörigkeit eines Hundes zu einer bestimmten Rasse vermag für sich genommen mangels einer in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherten Prognose keine abstrakte oder konkrete Gefahr zu begründen (BVerwG, U. v. 3.7.2002 - 6 CN 8.01 - juris Rn. 39 ff.; B. v. 4.10.2005 -6 B 40.05 - juris Leitsatz 1; BayVGH, U. v. 9.11.2010 -10 BV 06.3053 - juris Rn. 23 ff.; U. v. 21.12.2011 - 10 B 10.2806 - juris Rn. 19). Der Senat vertritt jedoch in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, eine konkrete Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht, auch wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist. (BayVGH, B. v. 29.4.2013 - 10 ZB 10.2523 - juris Rn. 4 m. w. N.).

Um einen solchen großen Hund handelt es sich beim American Bulldog-Mischling des Klägers. Zur Vermeidung der genannten Gefahr ist es regelmäßig zulässig und ausreichend, innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile einen Leinenzwang für den jeweiligen Hund anzuordnen. Ein zusätzlicher Maulkorbzwang kann nur verfügt werden, wenn es im Einzelfall zur effektiven Gefahrenabwehr erforderlich und bei Abwägung der gegenläufigen Interessen zumutbar ist. Auch wenn danach von großen Hunden in der Regel eine konkrete Gefahr ausgeht, wenn sie sich auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr unangeleint bewegen, kann außerhalb von bewohnten Gebieten eine solche Gefahr - selbst in einer vom Tourismus geprägten Region - nicht ohne weiteres angenommen werden, weil es dort nicht zwangsläufig zu den die konkrete Gefahrenlage begründenden Kontakten mit anderen Menschen oder Hunden kommt. Die bloße entfernte oder abstrakte Möglichkeit, dass der Hund des Klägers außerhalb bewohnter Gebiete auf Menschen oder andere Hunde treffen und diese angreifen („verfolgen“, „stellen“) und von seinem Halter in solchen Situationen nicht oder nicht rechtzeitig zurückgehalten werden könnte, reicht für das Erfordernis einer konkreten Gefahr für die in Art. 18 Abs. 1 und 2 LStVG genannten Rechtsgüter nicht aus (BayVGH, B. v. 17.4.2013 - 10 ZB 12.2706 - juris Rn. 5). Gegen eine hinreichend konkrete Gefahr spricht vorliegend zudem, dass die Beklagte - worauf im Bescheid ausdrücklich hingewiesen wird - im übertragenen Wirkungskreis gehandelt hat und demgemäß die Anordnungen im Bescheid bayernweit Geltung beanspruchen. Anhaltspunkte dafür, dass im gesamten Geltungsbereich des Bescheids der Beklagten außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile eine in etwa vergleichbare Gefahrenlage, wie sie den Anordnungen für die im Zusammenhang bebauten Ortsteile zugrunde liegt, bestehen würde, liegen aber nicht vor. Eine Frequentierung des „Außenbereich“ durch Passanten und Freizeitsportler, die auch nur annähernd der des „Innenbereichs“ entspricht, lässt sich schon gar nicht bayernweit feststellen. Eine entsprechende Gefahrenprognose ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich bei „Jin“ um einen großen Hund handelt, der aufgrund seiner Rasse mit einer erhöhten Beißkraft ausgestattet ist (a.A. wohl noch BayVGH, U. v. 15.3.2005 - 24 BV 04.2755 - juris Rn. 42 zu einem Rottweiler, wobei allerdings auch im Außenbereich ein Aufeinandertreffen mit Joggern, Spaziergängern und Fahrradfahrern ohne Weiteres angenommen wurde.). Nur für Hunde, deren Gefährlichkeit durch konkrete Anhaltspunkte oder Tatsachen belegt ist, kommt neben dem Leinenzwang in bewohnten Gebieten grundsätzlich ein Maulkorbzwang in Betracht, wenn der Hund außerhalb bewohnter (aber zumindest entsprechend frequentierter) Gebiete frei laufen darf. Denn wenn ein Hund, bei dem eine entsprechende Gefahrenprognose besteht, unangeleint herumläuft und sich nicht mehr im unmittelbaren Einflussbereich des Halters befindet, können sich dort aufhaltende Personen oder Tiere nur so in angemessener Weise geschützt werden.

Solche hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass vom Hund des Klägers auch dann, wenn er außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ausgeführt wird, konkrete Gefahren für die in Art. 18 Abs. 1 Satz 1 LStVG genannten Schutzgüter ausgehen könnten, wenn er unangeleint ist und keinen Maulkorb trägt, ergeben sich weder aus der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids noch aus dem Vorbringen der Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Ein relevanter Publikumsverkehr, der dem im Bereich bebauter Ortsteile in etwa vergleichbar ist und daher eine entsprechende Gefahrenlage begründen könnte, findet außerhalb bebauter Orts-teile regelmäßig gerade nicht statt, weil hier allenfalls gelegentlich mit Spaziergängern, Radfahrern, Joggern oder anderen Hunden zu rechnen ist. Der Befürchtung der Beklagten, dass auch außerhalb des bebauten Ortsbereichs die Gefahr bestünde, Passanten könnten das Verhalten von großen freilaufenden Hunden mit hoher Beisskraft, Muskelkraft und hohem Gewicht nicht richtig einschätzen, so dass es aufgrund einer unerwarteten Begegnung zu unvorhersehbaren und unkontrollierten Kettenreaktionen mit erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit kommen könne, ist bereits dadurch Rechnung getragen, dass nach Nr. 2.2 Satz 1 des Bescheids „der freie Auslauf außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nur dort zulässig ist, wo für den Ausführenden übersichtlich ist, dass keine anderen Hunde vorhanden sind oder plötzlich hinzukommen können“. Das bedeutet, dass „Jin“ außerhalb bebauter Ortsteile letztlich nur dann ohne Leine laufen darf, wenn sich nähernde Passanten oder Hunde rechtzeitig vom Kläger wahrgenommen werden können, und ansonsten, z. B. in unübersichtlichen Waldgebieten, auch außerhalb des bebauten Ortsbereichs anzuleinen ist. Eine unerwartete Begegnung des unangeleinten Hundes vor allem anderen Hunden ist daher hinreichend ausgeschlossen. Die Beklagte hat überdies auch nicht dargelegt, dass der Hund in der Vergangenheit ein Verhalten gezeigt hätte, das Rückschlüsse darauf zuließe, dass er Menschen angreifen oder beißen würde, so dass eine derartige konkrete Gefahrsituation nur durch die Anordnung eines Maulkorbzwanges außerhalb bebauter Ortsteile vermieden werden könnte.

Aus der gutachterlichen Stellungnahme vom 20. Mai 2010 lassen sich ebenfalls keine Feststellungen entnehmen, die die konkrete Gefahr begründen könnten, der Hund des Klägers reagiere gegenüber Menschen aggressiv, so dass das Anlegen eines Maulkorbs zur Vermeidung von Beißvorfällen erforderlich wäre. Die Gutachterin stellte fest, dass „Jin“ gegenüber fremden Personen eine deutliche Unsicherheit ohne Aggressionsverhalten und sich gegenüber bekannten Personen freundlich und unterwürfig zeige. Lediglich bei gleichgeschlechtlichen Artgenossen konnte sie eine Unverträglichkeit nicht ausschließen. Der aus dieser Unverträglichkeit resultierenden Gefahrensituation ist durch die nicht streitgegenständliche Anordnung in Nr. 2.2 Satz 1 des Bescheids vom 1. Dezember 2010 bereits ausreichend Rechnung getragen, da der Hund des Klägers, sobald andere Hunde ins Blickfeld geraten oder nicht rechtzeitig wahr genommen werden können, auch außerhalb des bebauten Ortsbereichs nur angeleint geführt werden darf.

Jedenfalls erweist sich die Anordnung eines bayernweiten Maulkorbzwangs bei Freilauf des Hundes außerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen als unverhältnismäßig, weil ein milderes Mittel zur Verfügung steht, um ein gegebenenfalls bestehendes „Restrisiko“, dass „Jin“ bei einer Begegnung mit anderen Hunden oder Menschen angreifen oder zubeißen würde, auszuschließen. Die Beklagte kann, soweit sich dies nicht ohnehin bereits aus Nr. 2.2 Satz 1 des streitgegenständlichen Bescheids ergibt, ausdrücklich anordnen, dass der Hund auch außerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile anzuleinen ist, sobald sich andere Hunde oder Menschen nähern oder wahrgenommen werden. Durch eine solche Anordnung kann auch vermieden werden, dass der Hund andere Menschen z. B. anspringt, während ein Maulkorb nur vor dem Zubeißen schützt.

2. Die Anordnung in Nr. 2.5 des Bescheids der Beklagten vom 1. Dezember 2010, wonach beim Ausführen des Hundes zusammen mit einem oder mehreren anderen Hunden sicherzustellen ist, dass nur einem Hund der Freilauf ohne Leine gestattet wird, kann im vorliegenden Fall nicht auf Art. 18 Abs. 2 i. V. m. Art. 18 Abs. 1 LStVG gestützt werden. Jedenfalls erweist sie sich als ermessensfehlerhaft.

Wie bereits oben dargestellt, ist für eine Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG das Vorliegen einer konkreten Gefahr erforderlich, also eine Sachlage, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit der abzuwehrende Schaden eintritt. Dieser Grundsatz gilt auch für die in § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit vom 10. Juli 1992 genannten Rassen. Zwar kann eine konkrete Gefahr i. S. d. Art. 18 Abs. 2 LStVG vorliegen, wenn mehrere Hunde von einer Person ausgeführt werden, weil dann auch nicht mehr gewährleistet ist, dass der die Hunde Ausführende im Ernstfall noch Zugriff auf jeden einzelnen Hund hat. Im Fall einer Fehlreaktion von Passanten, die gerade angesichts einer größeren Hundeschar eher zu erwarten ist als im Falle eines einzelnen Hundes, kann deshalb eine Gefahr für die Gesundheit einer Person nicht mehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden (BayVGH, B. v. 13.1.2005 - 24 ZB 04.664 - juris Rn. 18). Aus den Bescheidsgründen ergibt sich jedoch nicht, ob und ggf. warum die Beklagte im Falle des Klägers und seines Hundes von einer derartigen Gefährdungssituation ausging. Weder ist der Kläger Halter mehrerer Hunde, die er gemeinsam ausführt, noch führt er - soweit ersichtlich - andere Hunde, die er nicht hält, zusammen mit seinem Hund aus. Nur dann läge aber eine entsprechende Gefahrenlage vor.

Soweit die Beklagte auf das Urteil des Senats vom 21. Dezember 2011 (Az. 10 B 10.2806 - juris) verweist, können aus diesem Urteil keine Rückschlüsse auf die Rechtmäßigkeit der vorliegend unter Nr. 2.5 des streitgegenständlichen Bescheids getroffenen Anordnung gezogen werden. Der Senat hat sich zu einer entsprechenden Verfügung vor allem im Zusammenhang mit einer behaupteten gleichheitswidrigen Verwaltungspraxis bei Einzelanordnungen nach Art. 18 Abs. 2 LStVG für Hunde nach § 1 Abs. 2 der Verordnung für Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit geäußert.

Jedenfalls erweist sich die streitgegenständliche Verfügung als ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte eine Anordnung zum Ausführen von Hunden mit den aus einer „Rudelhaltung“ resultierenden Gefahren begründet hat. Die Beklagte hat diesbezüglich im Zulassungsverfahren vorgetragen, dass die Anordnung in Nr. 2.5 des Bescheids auch für das gemeinsame Ausführen von Hunden gilt, die der Kläger nicht selbst hält. Ob aber die Gefahren, die von gemeinsam ausgeführten Hunden ausgehen, mit den Gefahren von im Rudel gehaltenen Hunden (meutetriebliche Stimulation), die zusammen ausgeführt werden, tatsächlich vergleichbar ist, lässt sich der Begründung des Bescheids nicht entnehmen.

Der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt

(§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 2 Satz 1,§ 52 Abs. 2 GKG).

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.