Bundesfinanzhof Beschluss, 31. Jan. 2012 - I S 15/11

bei uns veröffentlicht am31.01.2012

Tatbestand

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I. Über das Vermögen des Antragstellers wurde am 10. Dezember 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 22. Juni 2010 erließ der Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) einen Haftungsbescheid. Gegen diesen Haftungsbescheid erhob der Antragsteller Einspruch, über den das FA mit der Begründung nicht entschied, es müssten noch strafrechtliche Ermittlungen abgewartet werden. Auch über den Antrag, die Vollziehung des Haftungsbescheids auszusetzen, entschied das FA nicht. Die dagegen gerichtete Klage, mit der der Antragsteller u.a. geltend gemacht hatte, der Haftungsbescheid sei unter Verletzung des § 87 der Insolvenzordnung (InsO) ergangen, wies das Niedersächsische Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 17. Juni 2011  11 K 70/11 als unzulässig ab. Der Antragsteller sei nicht prozessführungsbefugt. Selbst wenn man dies anders sähe, wäre die Klage als Untätigkeitsklage unzulässig, weil das FA dem Antragsteller einen zureichenden Grund mitgeteilt habe, weshalb es bislang nicht über den Einspruch entschieden habe. Einen Antrag auf Aussetzung des streitgegenständlichen Haftungsbescheids lehnte das FG mit der Begründung ab, dem Antragsteller fehle die Antragsbefugnis. Gegen das Urteil des FG hat der Antragsteller Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision erhoben. Mit Beschluss vom 7. Dezember 2011 hat der Senat die Revision zugelassen. Der Antragsteller hat ferner beantragt, die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 22. Juni 2010 auszusetzen.

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Das FA beantragt, den Aussetzungsantrag zurückzuweisen. Es habe dem Antragsteller auf seinen Antrag vom 2. Juli 2010 auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Haftungsbescheids mitgeteilt, dass Vollstreckungsmaßnahmen aus dem angefochtenen Haftungsbescheid heraus gegenwärtig nicht erfolgten. Das Schreiben habe Verwaltungsaktqualität. Sein Regelungsinhalt gelte unverändert.

Entscheidungsgründe

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II. Der Antrag ist begründet. Die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 22. Juni 2010 ist antragsgemäß auszusetzen.

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1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; Senatsbeschluss vom 8. April 2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 22. März 2005 II B 14/04, BFH/NV 2005, 1379, m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (vgl. dazu Gosch in Beermann/Gosch, FGO § 69 Rz 123, m.w.N.).

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Der Antrag nach Abs. 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf AdV ganz oder zum Teil abgelehnt hat (§ 69 Abs. 4 Satz 1 FGO). Das gilt jedoch nicht, wenn die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (§ 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO).

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2. Die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO sind erfüllt. Das FA hat über den AdV-Antrag des Antragstellers vom 2. Juli 2010 bis heute nicht entschieden, ohne hierfür einen zureichenden Grund mitzuteilen. Die dem Antragsteller mit Schreiben vom 27. Oktober 2010 gegebene Erläuterung, Vollstreckungsmaßnahmen aus dem angefochtenen Haftungsbescheid seien nicht zu gewärtigen, ist keine Mitteilung eines zureichenden Grundes i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO. Auch die im Einspruchsverfahren gegebene Begründung, es solle vor abschließender Entscheidung über den Einspruch die strafgerichtliche Entscheidung abgewartet werden, ist kein zureichender Grund. Denn sollen durch ein strafgerichtliches Verfahren erst noch Erkenntnisse gewonnen werden, besteht Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen und eine AdV ist geboten. Ist der Sachverhalt hingegen aufgeklärt, besteht kein Grund, den Abschluss des Strafverfahrens abzuwarten. Der Antragsteller mag zwar seinen Einspruch und seinen Antrag auf AdV zunächst nicht hinreichend begründet haben; spätestens im Klageverfahren hat er aber dargetan, dass und weswegen er den gegen ihn erlassenen Haftungsbescheid für rechtswidrig bzw. unwirksam hält. Spätestens ab diesem Zeitpunkt bestand kein Grund mehr, über den Antrag auf AdV nicht zu entscheiden. Vielmehr wäre es wegen des Eilcharakters des Aussetzungsverfahrens geboten gewesen, über den AdV-Antrag zügig, maximal innerhalb eines Vierteljahres, zu entscheiden (Gosch in Beermann/Gosch, FGO § 69 Rz 285).

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3. Die Vollziehung des Haftungsbescheids vom 22. Juni 2010 ist antragsgemäß auszusetzen.

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a) Insolvenzgläubiger können gemäß § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen i.S. von § 38 InsO und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner begründeten Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dementsprechend dürfen nach der ständigen BFH-Rechtsprechung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerpflichtigen keine Steuerbescheide und auch keine Haftungsbescheide (vgl. BFH-Urteil vom 7. März 2006 VII R 11/05, BFHE 212, 11, BStBl II 2006, 573) mehr gegen diesen ergehen. Das FA muss seine Steuerforderungen vielmehr nach den Regeln der InsO geltend machen (vgl. Senatsurteile vom 10. Dezember 2008 I R 41/07, BFH/NV 2009, 719; vom 18. Dezember 2002 I R 33/01, BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630; BFH-Urteile vom 4. Mai 2004 VII R 45/03, BFHE 205, 409, BStBl II 2004, 815, jeweils m.w.N.; zuletzt vom 24. August 2011 V R 53/09, BFHE 235, 5. Gleichwohl nach Insolvenzeröffnung erlassene Steuerbescheide sind unwirksam (Senatsurteile in BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630; in BFH/NV 2009, 719; BFH-Urteil in BFHE 205, 409, BStBl II 2004, 815).

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b) Nach § 80 Abs. 1 InsO verliert der Schuldner mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen. Gleichzeitig geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den Insolvenzverwalter über. Mit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht erhält der Insolvenzverwalter die Befugnis, die Insolvenzmasse betreffende Prozesse zu führen. Im Prozess hat der Insolvenzverwalter kraft gesetzlicher Prozessstandschaft die uneingeschränkte Prozessführungsbefugnis unter Ausschluss des Schuldners. Der Schuldner ist nicht prozessführungsbefugt (BFH-Beschluss vom 26. Juli 2004 X R 30/04, BFH/NV 2004, 1547, m.w.N.; BFH-Urteil vom 6. Juli 2011 II R 34/10, BFH/NV 2012, 10).

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c) Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners ist jedoch nur hinsichtlich des massebefangenen Vermögens eingeschränkt. Macht der Insolvenzschuldner geltend, Steuerbescheide seien unter Verletzung des § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an ihn zugestellt worden, macht er keinen Anspruch hinsichtlich des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens geltend; er rügt vielmehr nur die mangelnde Einhaltung der Regelungen der InsO. Es ist ernstlich zweifelhaft, dass der Schuldner in einem solchen Fall keine Befugnis haben soll, die Bescheide anzufechten und Anfechtungsklage bzw. Nichtigkeitsklage gemäß § 41 Abs. 2 Satz 2 FGO (zur alternativen Möglichkeit von Feststellungs- und Anfechtungsklage vgl. von Beckerath in Beermann/Gosch, FGO § 41 Rz 80 f., m.w.N.) erheben und die Beseitigung des Rechtsscheins, der von dem nichtigen Haftungsbescheid ausgeht, zu verlangen (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 31. August 2007  8 B 134/07). Auch der Bundesgerichtshof billigt in dem vergleichbaren Fall, in dem die Verfahrensunterbrechung durch die Insolvenzeröffnung nicht beachtet wird, dem Insolvenzschuldner ebenso wie dem Insolvenzverwalter ein eigenes Klagerecht zu (Urteile vom 16. Januar 1997 IX ZR 220/96, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1997, 1445; vom 21. Juni 1995 VIII ZR 224/94, NJW 1995, 2563).

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d) Ob das Warten auf das Ende eines strafrechtlichen Prozesses ein zureichender Grund i.S. des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist, wenn der Steuerpflichtige geltend macht, die zu Grunde liegenden Bescheide seien nichtig, ist ebenfalls ernstlich zweifelhaft. Denn es ist nicht ersichtlich, inwieweit sich aus einem Strafverfahren weitere Erkenntnisse darüber gewinnen lassen könnten, ob dieser Einwand zutrifft oder nicht. Ohnehin käme es darauf nicht an, wenn die Auslegung des Klagebegehrens ergeben sollte, dass der Antragsteller neben der Anfechtungsklage hilfsweise die Feststellung der Nichtigkeit des Haftungsbescheids begehrt hat.

Urteilsbesprechung zu Bundesfinanzhof Beschluss, 31. Jan. 2012 - I S 15/11

Urteilsbesprechungen zu Bundesfinanzhof Beschluss, 31. Jan. 2012 - I S 15/11

Referenzen - Gesetze

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 69


(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für

Insolvenzordnung - InsO | § 80 Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts


(1) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. (2) Ein gegen den Schuldner bestehendes Veräußerungsve

Insolvenzordnung - InsO | § 38 Begriff der Insolvenzgläubiger


Die Insolvenzmasse dient zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (Insolvenzgläubiger).
Bundesfinanzhof Beschluss, 31. Jan. 2012 - I S 15/11 zitiert 8 §§.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 69


(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für

Insolvenzordnung - InsO | § 80 Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts


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Insolvenzordnung - InsO | § 38 Begriff der Insolvenzgläubiger


Die Insolvenzmasse dient zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (Insolvenzgläubiger).

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 46


(1) Ist über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 44 ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig. Die Klag

Insolvenzordnung - InsO | § 87 Forderungen der Insolvenzgläubiger


Die Insolvenzgläubiger können ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 41


(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungskla

Referenzen - Urteile

Bundesfinanzhof Beschluss, 31. Jan. 2012 - I S 15/11 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bundesfinanzhof Beschluss, 31. Jan. 2012 - I S 15/11 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesfinanzhof Urteil, 24. Aug. 2011 - V R 53/09

bei uns veröffentlicht am 24.08.2011

Tatbestand 1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH (GmbH). Unternehmensgegenstand der GmbH waren der Erwerb und

Bundesfinanzhof Urteil, 06. Juli 2011 - II R 34/10

bei uns veröffentlicht am 06.07.2011

Tatbestand 1 I. Über das Vermögen des X (Schuldner) wurde am 11. Mai 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) zum Treuhänder be
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesfinanzhof Beschluss, 31. Jan. 2012 - I S 15/11.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 26. Feb. 2015 - 3 C 8/14

bei uns veröffentlicht am 26.02.2015

Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten darüber, ob die Rückforderung einer Subvention von der dem Kläger erteilten Restschuldbefreiung erfasst wird.

Verwaltungsgericht Halle Urteil, 18. Okt. 2012 - 4 A 74/12

bei uns veröffentlicht am 18.10.2012

Tatbestand 1 Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu Trinkwassergebühren betreffend das Jahr 2011. 2 Sie sind Miteigentümer des Grundstücks A-Straße in A-Stadt, Ortsteil A.. Am 19. Februar 2005 wurde auf dem Grundstück der Wasserzä

Referenzen

Die Insolvenzgläubiger können ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
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eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Die Insolvenzgläubiger können ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen.

Die Insolvenzmasse dient zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (Insolvenzgläubiger).

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH (GmbH). Unternehmensgegenstand der GmbH waren der Erwerb und die Veräußerung von Grundstücken, die Vorbereitung und Durchführung von Bauvorhaben sowie die Baubetreuung. Das Finanzgericht (FG) ging mit den Beteiligten davon aus, dass die GmbH seit 1. Februar 2003 Organgesellschaft der A-GbR (GbR) war.

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Im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der GmbH ist der Kläger mit Beschluss des Amtsgerichts M vom 13. Mai 2003 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Das Amtsgericht ordnete an, dass Verfügungen der GmbH über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des Klägers wirksam waren. Mit ergänzendem Beschluss vom 20. Mai 2003 wurde der Kläger ermächtigt, zu Lasten der späteren Insolvenzmasse Masseverbindlichkeiten zu begründen und zu erfüllen, die für die Fertigstellung der Baustellen "N" und "O" notwendig waren, insbesondere für den Einkauf und die Bezahlung von Baumaterialien und Betriebsstoffen, den Abschluss von Subunternehmerverträgen für Leistungen von Gewerken, die für die Fertigstellung der Baustellen nötig sind sowie für den Abschluss und die Bezahlung von Mietverträgen, die die Insolvenzmasse für die Fertigstellung der Baustellen benötigt. Im Umfang dieser Rechtsgeschäfte wurde die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Kläger übertragen und der GmbH untersagt, Verbindlichkeiten zu begründen und zu erfüllen.

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Von den Bauvorhaben der GmbH waren lediglich noch die verbliebenen Baustellen "N" und "O" fertigzustellen; darüber hinaus waren keine weiteren Bautätigkeiten der GmbH abzuwickeln. Zum 1. Juni 2003 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet.

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Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der GmbH vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, durch Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Mai 2003 sei die Organschaft beendet gewesen, weil weitere Bauvorhaben nicht bestanden hätten und der Kläger somit zum sog. starken Insolvenzverwalter geworden sei. Das FA erließ am 14. Juni 2004 eine entsprechend geänderte Berechnung über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Mai 2003 und meldete die Forderung zur Insolvenztabelle an. Nachdem der Kläger die Forderung bestritten hatte, stellte das FA diese durch Bescheid vom 21. September 2004, geändert durch Bescheid vom 29. April 2005, fest. Neben verschiedenen Verspätungs- und Säumniszuschlägen stellte das FA die streitige "Umsatzsteuer 0503" in Höhe von 82.892,23 € fest. Dabei handelte es sich um Vorsteuerberichtigungen aus Leistungsbezügen der GmbH vor dem 31. Januar 2003, bei denen das FA davon ausging, dass die Forderungen der leistenden Unternehmer uneinbringlich geworden seien. Andere umsatzsteuerrechtlich relevante Vorgänge (Umsatzsteuer auf Lieferungen oder sonstige Leistungen, Vorsteuern auf Leistungsbezüge) für den Zeitraum Mai 2003 beinhaltete die Feststellung nicht.

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Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG im Wesentlichen aus, der angefochtene Feststellungsbescheid sei rechtmäßig. Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft sei durch die mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 20. Mai 2003 angeordnete Übertragung der partiellen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis beendet worden, weil zu diesem Zeitpunkt die organisatorische Eingliederung entfallen sei. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Mai 2003 habe zur Folge gehabt, dass das operative Geschäft allein dem Kläger oblegen habe; in diesem Umfang habe er die Stellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters eingenommen. Auch wenn dem Organträger noch Befugnisse verblieben seien, habe er in Bezug auf das eigentliche unternehmerische Geschäft seinen Willen in der Organgesellschaft nicht mehr durchsetzen können.

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Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er vertritt die Auffassung, dass die Organschaft nicht bereits mit der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung am 20. Mai 2003, sondern erst mit Insolvenzeröffnung am 1. Juni 2003 beendet worden sei. Deshalb sei der Feststellungsbescheid für die Umsatzsteuer Mai 2003 rechtswidrig. Das FG verkenne den Unterschied zwischen einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter und dem hier vorliegenden Fall eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit lediglich partiell starker Handlungsbefugnis.

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Durch die Rechtsprechung sei geklärt, dass mit Insolvenzeröffnung über das Vermögen einer Organgesellschaft die umsatzsteuerrechtliche Organschaft ende. Bei der Übertragung dieser Rechtsfolge auf den Fall der Anordnung einer starken vorläufigen Insolvenzverwaltung stelle der Bundesfinanzhof (BFH) auf die rechtlichen Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters und nicht auf dessen tatsächliche Amtsführung ab. Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf einen vorläufig schwachen Insolvenzverwalter, der nur partiell starke Befugnisse habe, sei nicht möglich.

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Das Insolvenzgericht habe ihm, dem Kläger, nicht die gesamte Baustellentätigkeit inklusive sämtlicher Rechte und Pflichten (Weisungsbefugnisse für Arbeitnehmer, Begründung von Forderungen) übertragen, sondern nur das Recht zum Einkauf von Materialien und Subunternehmerleistungen sowie zur Erfüllung der sich daraus ergebenden Verbindlichkeiten. Hinsichtlich der bautechnischen Durchführung und der arbeitsrechtlichen Ausführung des Bauvorhabens habe weiterhin die ursprüngliche Geschäftsleitung die Möglichkeit gehabt, ihren Willen durchzusetzen.

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Auch seien die Lohn- und Sozialversicherungsverbindlichkeiten Tabellenverbindlichkeiten geworden, während sie bei einem starken vorläufigen Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeiten geworden wären.

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Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2005 und die Feststellungsbescheide vom 29. April 2005 und vom 21. September 2004 aufzuheben.

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Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Die Organschaft sei zwar noch nicht durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 13. Mai 2003, aber aufgrund des ergänzenden Beschlusses des Amtsgerichts vom 20. Mai 2003 beendet, weil dem Kläger eine vom Organträger abweichende Willensbildung in Bezug auf die einzigen Baustellen möglich gewesen sei. Soweit der Kläger auf die fehlende arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis verweise, sei zu berücksichtigen, dass ihm der Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Mai 2003 ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt habe, für die Fertigstellung der Baustellen Subunternehmerverträge für Leistungen zur Erbringung von Gewerken abzuschließen. Zur Abwicklung der letzten verbliebenen Bauvorhaben sei ein Rückgriff auf Arbeitnehmer der Organgesellschaft nicht erforderlich gewesen.

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Es komme nicht auf die Bezeichnung als starke, schwache oder partiell starke Insolvenzverwalter an, sondern auf die ihm eingeräumten Verfügungsbefugnisse bezogen auf das Unternehmen. Das FG habe hierzu zutreffend festgestellt, dass die eingeschränkten Befugnisse des Organträgers in Bezug auf das Betreiben des eigentlichen unternehmerischen Geschäfts dazu geführt hätten, dass der Organträger seinen Willen nicht mehr habe durchsetzen können. Dies führe zum Wegfall der organisatorischen Eingliederung und zum Ende des Organschaftsverhältnisses.

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Im Übrigen habe der BFH entschieden, dass im Falle der vorläufigen Insolvenzverwaltung die Organschaft nur "regelmäßig" bestehen bleibe. Diese Einschränkung lasse die Möglichkeit einer anderen Beurteilung in atypischen Fällen ausdrücklich offen. Durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Mai 2003 mit den dort angeordneten Verfügungsbeschränkungen sei aus dem Regelfall ein atypischer Fall geworden.

Entscheidungsgründe

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II. Auf die Revision des Klägers wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob die in dem angefochtenen Feststellungsbescheid festgestellten Umsatzsteuern der Höhe nach zutreffend festgestellt sind.

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1. Der streitige Feststellungsbescheid vom 29. April 2005 umfasst neben unstreitigen Verspätungszuschlägen Vorsteuerberichtigungen nach § 17 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Höhe von 82.892,23 € aus bis zum 31. Januar 2003 verwirklichten Leistungsbezügen der GmbH, von deren Uneinbringlichkeit das FG ausgegangen ist. Sonstige im Mai 2003 entstandene Umsatzsteuern oder Vorsteuerbeträge berücksichtigt der Bescheid nicht, obwohl er den Besteuerungszeitraum Mai 2003 umfasst. Die Feststellungen des FG ermöglichen dem Senat nicht zu entscheiden, ob für den Besteuerungszeitraum Mai 2003 noch weitere umsatzsteuerrechtlich relevante Vorgänge bei der GmbH zu erfassen, zur Tabelle anzumelden und im Falle des Bestreitens durch den Kläger durch Feststellungsbescheid festzustellen gewesen wären. Sollte das der Fall sein, so hätte dies nicht nur zu einer wegen des Verböserungsverbots unbeachtlichen höheren, sondern auch zu einer niedrigeren Umsatzsteuerschuld als im Feststellungsbescheid ausgewiesen, führen können.

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2. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen/-verbindlichkeiten und Masseforderungen/-verbindlichkeiten richtet sich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung und deren Fälligkeit kommt es nicht an.

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a) Steuerforderungen, die Masseschulden i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) sind, können nicht zur Tabelle angemeldet und nicht durch Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) festgestellt werden (Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 7. Aufl., München 2008, Rz 1539, 1547; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., München 2007, Rz 22.01). Sie sind mit einem gegen den Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheid festzusetzen (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2010 V R 22/10, unter II.1., BFHE 232, 301) und vom Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO aus der Insolvenzmasse zu bezahlen (BFH-Urteile vom 30. April 2009 V R 1/06, BFHE 226, 130, BStBl II 2010, 138, unter II.1.; vom 29. August 2007 IX R 4/07, BFHE 218, 435, BStBl II 2010, 145, unter III.2.).

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b) Insolvenzgläubiger können gemäß § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen i.S. von § 38 InsO und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner "begründeten" Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dementsprechend sind nach § 251 Abs. 3 AO Insolvenzforderungen aus dem Steuerschuldverhältnis während eines Insolvenzverfahrens nicht durch Steuerbescheid festzusetzen, sondern das FA muss sie zur Insolvenztabelle anmelden und kann sie im Falle des Bestreitens seitens des Insolvenzverwalters oder eines anderen Insolvenzgläubigers nach § 251 Abs. 3 AO i.V.m. § 179 Abs. 1 InsO feststellen.

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c) Der Regelungsinhalt des Feststellungsbescheids nach § 251 Abs. 3 AO besteht in der Feststellung, dass dem Steuergläubiger eine bestimmte Steuerforderung als Insolvenzforderung zusteht (BFH-Urteil vom 26. November 1987 V R 133/81, BFHE 151, 345, BStBl II 1988, 199, unter II.1.b zur KO). Dabei kann Gegenstand des Feststellungsverfahrens nur eine Forderung sein, die mit der nach § 174 InsO angemeldeten und nach § 176 InsO zur Erörterung gestellten identisch ist (Klein/Brockmeyer, AO, 10. Aufl., § 251 Rz 30; Specovius in Braun, InsO, 4. Aufl., §§ 179-181, Rz 36). Grund dieser Forderung ist der Sachverhalt, auf dem die Forderung beruht (BFH-Urteil vom 26. November 1987 V R 130/82, BFHE 151, 349, BStBl II 1988, 124, unter II.3.). Bei der Umsatzsteuer entstehen die sich aus der Verwirklichung der im UStG enthaltenen gesetzlichen Tatbestände (z.B. §§ 1, 14c, § 15 Abs. 1, 15a, 17 Abs. 1 und 2 UStG) ergebenden Steuerbeträge, unbeschadet der Zusammenfassung bei der Steuerberechnung, gesondert (BFH-Urteile in BFHE 151, 345, BStBl II 1988, 199, unter II.1.b; vom 26. Februar 1987 V R 114/79, BFHE 149, 98, BStBl II 1987, 471, unter II.2.). Die Zusammenfassung der einzelnen Steuerforderungen unter Berücksichtigung der abziehbaren Vorsteuern (§ 15 Abs. 1 UStG) zu einer positiven oder negativen Steuerzahlungsschuld (§ 16 Abs. 1, Abs. 2 UStG) ändert nichts daran, dass die einzelnen Tatbestandsverwirklichungen Besteuerungsgegenstand sind (vgl. BFH-Urteile in BFHE 151, 345, BStBl II 1988, 199). Die Feststellung kann § 181 InsO zufolge nur auf den Grund gestützt und nur auf den Betrag gerichtet sein, welcher in der Anmeldung oder in dem Prüfungstermin angegeben ist; sie beschränkt sich auf die zur Tabelle angemeldeten Forderungen. Da diese nach Grund und Betrag als Einzelforderungen anzumelden sind (§ 174 Abs. 2 InsO), enthält der Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO so viele Einzelfeststellungen, wie materiell-rechtlich verschiedene Steuerforderungen gegeben sind (BFH-Urteil in BFHE 151, 345, BStBl II 1988, 199).

21

Hieraus folgt allerdings nicht, dass die wirksame Anmeldung einer nicht titulierten Umsatzsteuerforderung zur Insolvenztabelle erfordert, dass das FA die einzelnen umsatzsteuerrechtlich erheblichen Sachverhalte anführt und näher beschreibt (z.B. Umsatzsteuer aus Verkauf bestimmter Waren zu einem bestimmten Preis). Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass der Inhalt der Anmeldung die für die Erörterung der einzelnen Forderungen im Prüfungstermin notwendige Individualisierung einzelner Sachverhalte ermöglicht, so dass sichergestellt ist, dass nur bestimmte in der Anmeldung durch die Angabe einer Summe begrenzte Sachverhalte erfasst sind (BFH-Urteil in BFHE 151, 349, BStBl II 1988, 124). Meldet das FA --wie hier-- nicht titulierte Umsatzsteuerforderungen in einer Summe zur Tabelle an, so ist die Anmeldung wirksam erfolgt, wenn durch den Inhalt der Anmeldung sichergestellt ist, dass nur bestimmte Sachverhalte erfasst sind, die zur Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestände des UStG geführt haben, auf denen die Umsatzsteuerforderungen beruhen (BFH-Urteil in BFHE 149, 98, BStBl II 1987, 471, unter II.2.). Dies ist bei einer durch Betrag und Zeitraum (hier Mai 2003) bezeichneten Umsatzsteuerforderung regelmäßig der Fall (vgl. BFH-Urteil in BFHE 151, 349, BStBl II 1988, 124; Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 251 AO, Rz 30).

22

3. Der Senat kann nicht entscheiden, ob die im Feststellungsbescheid vom 29. April 2005 festgestellten Forderungen den tatsächlich für Mai 2003 festzustellenden Forderungen entsprechen. Für den Fall, dass keine Organschaft zwischen der GbR und der GmbH bestand, könnten neben den Vorsteuerberichtigungsansprüchen weitere umsatzsteuerrechtlich relevante Vorgänge aus dem Zeitraum vom 1. bis 31. Mai 2003 zu berücksichtigen sein. Sollte demgegenüber zunächst eine Organschaft bestanden haben, diese aber am 20. Mai 2003 beendet worden sein, wären möglicherweise umsatzsteuerrechtlich relevante Vorgänge für den Zeitraum 20. bis 31. Mai 2003 zu berücksichtigen.

23

4. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG u.a. zu berücksichtigen haben, dass das Vorliegen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft im vorliegenden Fall zweifelhaft ist.

24

a) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Gemeinschaftsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG. Danach können die Mitgliedstaaten im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, jedoch durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.

25

b) Für die finanzielle Eingliederung ist dabei zu beachten, dass diese der nach dem Ergehen des FG-Urteils erfolgten Änderung der Rechtsprechung des Senats zufolge nicht vorliegt, wenn mehrere Gesellschafter nur gemeinsam über die Anteilsmehrheit an einer GmbH und einer Personengesellschaft verfügen (BFH-Urteile vom 22. April 2010 V R 9/09, BFHE 229, 433, BStBl II 2011, 597, unter II.3.b; vom 10. Juni 2010 V R 62/09, BFH/NV 2011, 79, unter II.2.). Dafür, dass dies vorliegend der Fall ist, könnte sprechen, dass der Prüfer im Bericht vom 3. März 2004 über die bei der GmbH durchgeführte Umsatzsteuer-Sonderprüfung, auf den das FG Bezug genommen hat, festgestellt hat, dass in beiden Unternehmen Gesellschafteridentität mit gleichen Geschäftsanteilen besteht. Das FG wird Feststellungen über die Einzelheiten der Beteiligungsverhältnisse nachholen müssen.

26

5. Sollten die nachzuholenden Feststellungen des FG zu dem Ergebnis führen, dass eine Organschaft zu keinem Zeitpunkt bestanden hat, durfte das FA dem Grunde nach die Umsatzsteuer für Mai 2003 zwar mit Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO i.V.m. § 179 Abs. 1 InsO feststellen, es hätte aber alle im Mai 2003 vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Juni 2003 begründeten umsatzsteuerrechtlich relevanten Vorgänge erfassen, den Saldo zur Tabelle anmelden und im Falle des Bestreitens feststellen müssen.

27

6. Sollten die vom FG nachzuholenden Feststellungen ergeben, dass --wovon die Beteiligten bislang einvernehmlich ausgegangen sind-- eine Organschaft vorlag, wäre diese spätestens durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Mai 2003 beendet worden. Mit diesem Beschluss endete die organisatorische Eingliederung und damit die Organschaft, weil die GbR die Willensbildung bei der GmbH nicht mehr hat bestimmen können. In diesem Fall wären die ab diesem Zeitpunkt verwirklichten umsatzsteuerrelevanten Vorgänge bei der GmbH zu erfassen gewesen.

28

a) Der vorläufige Insolvenzverwalter, auf den infolge eines allgemeinen Verfügungsverbots die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO), wird als "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter bezeichnet. Der starke vorläufige Insolvenzverwalter einer Organgesellschaft kann die Willensbildung bei dieser bestimmen, was zur Folge hat, dass die organisatorische Eingliederung nicht mehr gewährleistet ist und die Organschaft endet (BFH-Urteil vom 1. April 2004 V R 24/03, BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905, unter II.2.).

29

b) Die organisatorische Eingliederung endet aber auch, wenn --wie im vorliegenden Fall-- die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zwar nicht in vollem Umfang auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen wird, wohl aber faktisch für den gesamten noch verbleibenden operativen Geschäftsbereich und der übrige Geschäftsbereich, in dem der vorläufige Insolvenzverwalter auf die Mitwirkung der Geschäftsführung angewiesen ist, gleichsam nur noch eine leere Hülle ist. Denn für die Entscheidung der umsatzsteuerrechtlichen Frage, ob die Voraussetzungen einer Organschaft vorliegen, ist, anders als für die insolvenzrechtliche Abgrenzung zwischen Insolvenz- und Masseverbindlichkeiten (vgl. hierzu unten unter II.6.c), nicht allein auf die Abgrenzung starker/schwacher Insolvenzverwalter abzustellen. Für das Fortbestehen der organisatorischen Eingliederung ist umsatzsteuerrechtlich entscheidend, ob dem vorläufigen Insolvenzverwalter hinsichtlich der umsatzsteuerrechtlich erheblichen Sachverhalte (Erbringen und Bezug entgeltlicher Leistungen) eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist. Das war nach dem Beschluss vom 20. Mai 2003 der Fall, weil der Kläger darin ermächtigt wurde, zu Lasten der späteren Insolvenzmasse Masseverbindlichkeiten zu begründen und zu erfüllen, die für die Fertigstellung der Baustellen "N" und "O" notwendig waren. Im Umfang dieser Rechtsgeschäfte ging die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Kläger über und wurde der GmbH untersagt, Verbindlichkeiten zu begründen und zu erfüllen. Da es sich bei den Baustellen "N" und "O" nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 FGO) um die einzigen noch fertig zu stellenden Bauvorhaben der GmbH handelte und darüber hinaus keine weiteren Bautätigkeiten abzuwickeln waren, ist der Kläger mit diesem Beschluss in die Lage versetzt worden, in den Bereichen, in denen noch operative Entscheidungen zu treffen waren, seinen Willen unabhängig von der Geschäftsführung durchzusetzen.

30

c) Der Berücksichtigung aller umsatzsteuerrechtlich relevanter Vorgänge des Mai 2003 bei der GmbH steht die Bestellung des Klägers als vorläufiger Insolvenzverwalter nicht entgegen. Zwar zählen auch Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter in dem Zeitraum bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind, nach dessen Eröffnung zu den Masseverbindlichkeiten i.S. des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO, die nicht durch Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO festgestellt, sondern durch Steuerbescheid festgesetzt werden. Das gilt aber nur, wenn die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen ist, es sich also um einen sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) handelt. § 55 Abs. 2 InsO betrifft ausschließlich Rechtshandlungen eines in diesem Sinne starken vorläufigen Insolvenzverwalters. Die Vorschrift ist weder unmittelbar noch entsprechend auf Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot anzuwenden (Urteile des Bundesgerichtshofs vom 24. Januar 2008 IX ZR 201/06, NJW 2008, 1442, unter II.1.a; vom 9. Dezember 2004 IX ZR 108/04, BGHZ 161, 315, unter II.2.a; vom 13. Juli 2006 IX ZR 57/05, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2006, 1636, unter II.3.a). Dem Kläger ist aber weder mit dem ergänzenden Beschluss vom 20. Mai 2003 die Verfügungsbefugnis über das Vermögen der GmbH übertragen worden, noch ist der GmbH ein begleitendes allgemeines Verfügungsverbot erteilt worden.

(1) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über.

(2) Ein gegen den Schuldner bestehendes Veräußerungsverbot, das nur den Schutz bestimmter Personen bezweckt (§§ 135, 136 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), hat im Verfahren keine Wirkung. Die Vorschriften über die Wirkungen einer Pfändung oder einer Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung bleiben unberührt.

Tatbestand

1

I. Über das Vermögen des X (Schuldner) wurde am 11. Mai 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) zum Treuhänder bestellt.

2

Auf den Schuldner war ein Pkw zugelassen. Mit Bescheid vom 28. August 2007 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit ab 11. Mai 2007 auf jährlich 405 € fest. Hiergegen legte der Kläger am 24. September 2007 Einspruch ein. Am 23. Oktober 2007 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben. Am 3. April 2008 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 5. Mai 2008 Klage. Mit nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes geändertem Bescheid vom 4. Juli 2008 setzte das FA die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom 11. Mai 2007 bis 22. Oktober 2007 auf 183 € fest. Der Änderungsbescheid war, ebenso wie der Bescheid vom 28. August 2007 und die Einspruchsentscheidung, an den Kläger als Treuhänder über das Vermögen des Schuldners adressiert.

3

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, die Kraftfahrzeugsteuer sei keine Masseverbindlichkeit, weil das betreffende Fahrzeug nicht zur Insolvenzmasse gehört habe.

4

Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung in der bis 30. Juni 2007 geltenden Fassung (InsO). Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Kraftfahrzeugsteuer für ein gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung (ZPO) unpfändbares Fahrzeug keine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 InsO sei.

5

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist teilweise begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur teilweisen Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst, soweit das FG den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 28. August 2007 aufgehoben hat (vgl. 1.). Soweit sich die Revision des FA gegen die Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 3. April 2008 sowie des Änderungsbescheids vom 4. Juli 2008 durch das FG richtet, ist diese unbegründet (vgl. 2.).

8

1. Zu Unrecht hat das FG den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 28. August 2007 aufgehoben. Mangels Prozessführungsbefugnis des Klägers war die Klage insoweit unzulässig.

9

a) Nach § 80 Abs. 1 InsO verliert der Schuldner mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen. Gleichzeitig geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den Insolvenzverwalter über. Mit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht erhält der Insolvenzverwalter die Befugnis, die Insolvenzmasse betreffende Prozesse zu führen. Im Prozess hat der Insolvenzverwalter kraft gesetzlicher Prozessstandschaft die uneingeschränkte Prozessführungsbefugnis unter Ausschluss des Schuldners. Der Schuldner ist nicht prozessführungsbefugt (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Juli 2004 X R 30/04, BFH/NV 2004, 1547, m.w.N.). Im vereinfachten Insolvenzverfahren (§§ 311 ff. InsO) nimmt nach § 313 Abs. 1 Satz 1 InsO der Treuhänder (§ 292 InsO) die Aufgaben des Insolvenzverwalters wahr (vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 20. März 2003 IX ZB 388/02, Wertpapier-Mitteilungen 2003, 980, unter V.2.d).

10

b) Mit Beendigung des Insolvenzverfahrens entfällt neben der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zugleich die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters (vgl. BGH-Urteil vom 10. Dezember 2009 IX ZR 206/08, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis --ZIP-- 2010, 102; s. auch BFH-Beschluss vom 23. August 1993 V B 135/91, BFH/NV 1994, 186, zur Rechtslage nach der Konkursordnung --KO--). Die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters entfällt auch dann, wenn er Adressat des angefochtenen Steuerbescheids war. Zwar sind als Masseverbindlichkeiten zu behandelnde Steuerforderungen durch einen an den Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheid geltend zu machen. Dies betrifft aber lediglich die Geltendmachung der Steuerforderung; Steuerschuldner ist auch in diesen Fällen der Insolvenzschuldner als Rechtsträger der Insolvenzmasse (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1994, 186, zur Rechtslage nach der KO).

11

c) Wird das Insolvenzverfahren nach der Schlussverteilung aufgehoben (§ 200 Abs. 1 InsO), jedoch eine Nachtragsverteilung angeordnet (§ 203 Abs. 1, 2 InsO), bleibt der Insolvenzverwalter ausnahmsweise befugt, anhängige Prozesse fortzusetzen und neue einzuleiten, mit denen die der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Masseaktiva realisiert werden sollen (BGH-Urteil in ZIP 2010, 102). Denn mit der Anordnung der Nachtragsverteilung tritt eine erneute Insolvenzbeschlagnahme ein (vgl. BGH-Beschluss vom 12. Januar 2006 IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340, unter III.3.). Die Anordnung einer Nachtragsverteilung ist auch im Verbraucherinsolvenzverfahren möglich (BGH-Beschlüsse vom 1. Dezember 2005 IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143; vom 2. Dezember 2010 IX ZB 184/09, ZIP 2011, 135; MünchKommInsO/Hintzen, § 203 Rz 2).

12

d) Im Streitfall war der Kläger hinsichtlich des Kraftfahrzeugsteuerbescheids vom 28. August 2007 nicht prozessführungsbefugt, weil das Insolvenzverfahren bereits am 23. Oktober 2007 aufgehoben wurde. Anhaltspunkte dafür, dass eine Nachtragsverteilung angeordnet und die Prozessführungsbefugnis des Klägers deshalb ausnahmsweise fortbestanden hat, ergeben sich weder aus den Feststellungen des FG noch aus den dem Senat vorliegenden Akten oder dem Vorbringen der Beteiligten.

13

Da das FG eine andere Auffassung zugrunde gelegt hat, war die Vorentscheidung, soweit sie den Bescheid vom 28. August 2007 betrifft, aufzuheben. Die Sache ist --soweit das FG-Urteil keinen Bestand hat-- spruchreif. Die Klage ist insoweit unzulässig und daher abzuweisen.

14

2. Im Ergebnis zu Recht hat das FG der Klage bezüglich des Änderungsbescheids vom 4. Juli 2008 sowie der Einspruchsentscheidung vom 3. April 2008 stattgegeben und diese Verwaltungsakte aufgehoben. Die Einspruchsentscheidung und der Änderungsbescheid vom 4. Juli 2008 sind nichtig.

15

Nach § 125 Abs. 1 der Abgabenordnung ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung war das Insolvenzverfahren bereits seit mehr als fünf Monaten aufgehoben. Der Kläger war deshalb nicht mehr Treuhänder im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und kam daher deshalb als richtiger Bekanntgabe- oder Inhaltsadressat dieser Verwaltungsakte nicht mehr in Betracht (vgl. auch BFH-Urteil vom 16. Dezember 1997 VIII R 32/90, BFHE 185, 190, BStBl II 1998, 480; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 125 AO Rz 14). Der durch die Einspruchsentscheidung und den Änderungsbescheid erzeugte Rechtsschein einer wirksamen Regelung ist durch deren formale Aufhebung zu beseitigen (vgl. BFH-Urteile vom 17. Mai 1995 II R 96/93, BFH/NV 1996, 69; vom 19. August 1999 IV R 34/98, BFH/NV 2001, 409, m.w.N.).

16

3. Die Beteiligten werden hinsichtlich des weiteren Verfahrensablaufs darauf hingewiesen, dass mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens am 23. Oktober 2007 das Einspruchsverfahren analog § 239 ZPO unterbrochen wurde. Danach tritt bei einer "Rechtsnachfolge" im weitesten Sinne, wozu auch das Erlöschen der Prozessstandschaft zählt, eine Unterbrechung des Einspruchsverfahrens bis zur Aufnahme des Verfahrens durch den vormaligen Insolvenzschuldner ein (hierzu vgl. BFH-Urteil vom 17. Juli 1986 V R 37/77, BFH/NV 1987, 111; Pahlke in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 363 Rz 66). Während der Verfahrensunterbrechung konnte die Einspruchsentscheidung dem Insolvenzschuldner nicht wirksam bekanntgegeben werden (Pahlke in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 363 Rz 28; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 363 AO Rz 342) und die Klagefrist nicht zu laufen beginnen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die Insolvenzgläubiger können ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Ist über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 44 ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Das Gericht kann das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aussetzen; wird dem außergerichtlichen Rechtsbehelf innerhalb dieser Frist stattgegeben oder der beantragte Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist der Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt anzusehen.

(2) Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt für die Fälle sinngemäß, in denen geltend gemacht wird, dass eine der in § 348 Nr. 3 und 4 der Abgabenordnung genannten Stellen über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat.