Bundesfinanzhof Beschluss, 08. Nov. 2011 - X B 221/10

bei uns veröffentlicht am08.11.2011

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegen nicht vor.

2

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

3

a) Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein Versicherungsvertreter, der vertraglich zur Pflege des Bestands an Versicherungsverträgen verpflichtet ist, hierfür eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands auch dann bilden kann, wenn er eine Bestandspflegeprovision erhält, bedarf nicht der grundsätzlichen Klärung.

4

Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass eine Rückstellung gebildet werden kann, wenn im Rahmen schwebender Geschäfte, zu denen auch Dauerschuldverhältnisse gehören können, ein Erfüllungsrückstand besteht. Das Bestehen eines solchen Erfüllungsrückstands bestimmt sich danach, ob die noch zu erbringende Leistung nicht nur an Vergangenes anknüpft, sondern durch Vergangenes abgegolten wird. Der so definierte Erfüllungsrückstand setzt eine Verpflichtung voraus, die sich als vom Vertragspartner durch dessen erbrachte Vorleistung erdient und eine am Bilanzstichtag des Steuerpflichtigen somit rückständige Gegenleistung darstellt (BFH-Urteile vom 27. Juni 2001 I R 11/00, BFHE 195, 567, BStBl II 2001, 758; vom 5. April 2006 I R 43/05, BFHE 213, 332, BStBl II 2006, 593, und Senatsurteil vom 9. Dezember 2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860).

5

In Anwendung dieser Grundsätze hat der BFH entschieden, dass eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands zu bilden ist, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält (BFH-Urteil vom 28. Juli 2004 XI R 63/03, BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866, und Senatsurteile in BFH/NV 2010, 860, und vom 19. Juli 2011 X R 26/10, BFHE 234, 239).

6

Ob eine solche Rückstellung auch gebildet werden kann, wenn der Versicherungsvertreter von der Versicherung nicht nur eine Abschlussprovision, sondern auch eine Bestandspflegeprovision erhält, hat der BFH zwar nicht entschieden. Diese Rechtsfrage bedarf indessen nicht der grundsätzlichen Klärung, weil sie in Anwendung der allgemeinen Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage des Erfüllungsrückstands zu beantworten ist.

7

Danach genügt es für die Bildung einer solchen Rückstellung nicht, dass die Versicherung zur Pflege des Versicherungsbestands verpflichtet ist. Vielmehr muss sich auch feststellen lassen, dass die Abschlussprovision von der Versicherung in rechtlicher Hinsicht auch wegen der noch zu erbringenden Bestandspflege geleistet wird, sich also im Hinblick hierauf als Vorleistung darstellt. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den gegebenen vertraglichen Bestimmungen. Es handelt sich daher um eine im jeweiligen Einzelfall vom FG als Tatsacheninstanz zu beurteilende Frage (BFH-Urteil in BFHE 213, 332, BStBl II 2006, 593, unter II.4.).

8

Da es um das Vorliegen eines Verpflichtungsüberhangs geht, kann die erlangte Abschlussprovision nicht allein mit der Begründung als Vorleistung für die zu erbringende Bestandspflege angesehen werden, die vertraglich vereinbarten Bestandspflegeprovisionen seien nicht kostendeckend. Von diesen Grundsätzen geht ersichtlich auch die finanzgerichtliche Rechtsprechung aus (Finanzgericht --FG-- München, Urteil vom 27. Februar 2008  10 K 1237/07, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2008, 931, und Hessisches FG, Urteil vom 12. Februar 2009 1 K 24/08, nicht veröffentlicht, juris; vgl. auch Schmidt/ Weber-Grellet, EStG, 30. Aufl., § 5 Rz 550, Stichwort Bestandspflege).

9

Soweit die Kläger darauf hinweisen, das FG Rheinland-Pfalz mache in seinem Urteil vom 25. Februar 2010  6 K 1570/07 (EFG 2010, 1592) abweichend hiervon die Anerkennung einer solchen Rückstellung davon abhängig, dass sich die Vermittlungsleistung und die Abschlussprovision nicht ausgeglichen gegenüberstünden, berücksichtigen sie nicht die weiteren Ausführungen des FG. Denn das FG hat darin ausdrücklich betont, dass es (hinsichtlich der Frage der Ausgeglichenheit) auf die Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen und nicht auf eine evtl. wirtschaftliche Unausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung ankommt.

10

b) Grundsätzliche Bedeutung hat auch nicht die weitere von den Klägern aufgeworfene Frage, ob die Rückstellungsfähigkeit einer Bestandspflegeverpflichtung voraussetze, dass die Verpflichtung mit einer wesentlichen Belastung verbunden sei. Dabei kann dahinstehen, ob diese Rechtsfrage im vorliegenden Rechtsstreit überhaupt klärbar wäre (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 30, m.w.N. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung). Die Frage ist jedenfalls nicht klärungsbedürftig, denn der erkennende Senat hat sie in seinem Urteil vom 19. Juli 2011 X R 26/10 geklärt. Nach Ansicht des erkennenden Senats gibt es keine rechtliche Grundlage für die Annahme, die Bildung einer Rückstellung sei nur bei wesentlichen Verpflichtungen zulässig.

11

2. Das angefochtene Urteil weicht auch nicht i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO von den von den Klägern benannten FG-Entscheidungen ab.

12

Eine solche Abweichung liegt nur vor, wenn das angefochtene Urteil und die benannten Divergenzentscheidungen bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen vertreten (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 53, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung). Hieran fehlt es im Streitfall. Die von den Klägern benannten Urteile des FG Münster vom 2. Dezember 2008  9 K 4216/07 K (EFG 2009, 454) und des FG Rheinland-Pfalz in EFG 2010, 1592 betreffen jeweils Gestaltungen, in denen dem Versicherungsvertreter lediglich eine Abschlussprovision, aber keine Folgeprovision gezahlt wurde. Diese Sachverhalte sind nicht mit demjenigen des Streitfalls vergleichbar. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger auch eine Provision für die Bestandspflege erhielt.

13

3. Das angefochtene Urteil leidet auch nicht i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO an einem qualifizierenden Rechtsanwendungsfehler. Ein solcher setzt voraus, dass das Urteil greifbar gesetzwidrig ist. Hierfür genügt ein "einfacher Rechtsanwendungsfehler" nicht. Vielmehr darf das Urteil unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sein, und  es muss sich daher der Schluss aufdrängen, das Urteil beruhe auf sachfremden Erwägungen (BFH-Beschluss vom 13. Januar 2005 VII B 147/04, BFHE 208, 404, BStBl II 2005, 457). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall ersichtlich nicht vor. Klarstellend weist der angerufene Senat darauf hin, dass sich aus dem von den Klägern zitierten Vertretervertrag (insbesondere § 3 Abs. 2 und § 5 Abs. 2) lediglich ergibt, dass der Kläger zur Bestandspflege verpflichtet ist. Entscheidend ist im Streitfall aber die Beantwortung der Frage, ob die erlangte Abschlussprovision auch (teilweise) die Bestandspflegeverpflichtung abgilt und deshalb insoweit ein Erfüllungsrückstand besteht. Dies hat das FG jedenfalls mit vertretbarer Begründung verneint.

Urteilsbesprechung zu Bundesfinanzhof Beschluss, 08. Nov. 2011 - X B 221/10

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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu
Bundesfinanzhof Beschluss, 08. Nov. 2011 - X B 221/10 zitiert 3 §§.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

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Bundesfinanzhof Urteil, 19. Juli 2011 - X R 26/10

bei uns veröffentlicht am 19.07.2011

Tatbestand 1 I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Kläger) begehren die Bildung einer Rückstellung für die Betreuung bereits abgeschlossener Lebensversi

Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 25. Feb. 2010 - 6 K 1570/07

bei uns veröffentlicht am 25.02.2010

weitere Fundstellen ... Diese Entscheidung wird zitiert Tenor I. Der Gewerbesteuermessbescheid für das Jahr 2005 vom 7. August 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. März 2007 wird dahin geändert, dass eine Rückstellung für.

Referenzen

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

Tatbestand

1

I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Kläger) begehren die Bildung einer Rückstellung für die Betreuung bereits abgeschlossener Lebensversicherungsverträge.

2

Die Kläger werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte u.a. als Inhaber einer Versicherungsagentur und aus einem Autohandel nebst Autovermietung Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§§ 4 Abs. 1, 5 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).

3

Der Kläger vermittelte im Rahmen seiner Versicherungsagentur zunächst für die X-AG Versicherungsverträge, für die er neben einer Abschlussprovision ein Pflegegeld für die Betreuung des jeweiligen Bestandes (Bestandspflegeprovision) erhielt. Nachdem die X-AG in die Z-AG aufgegangen war, erhielt der Kläger ab dem 1. Dezember 2000 neben der erhöhten Abschlussprovision keine Bestandspflegeprovision mehr für ab dem 1. Juli 2000 vermittelte Renten- und Lebensversicherungen. Im Rahmen seiner Versicherungsagentur betreute der Kläger im Streitjahr 1.041 Lebensversicherungsverträge, für die er keine Bestandspflegeprovision erhielt. Insgesamt belief sich der betreute Bestand auf 1.413 Verträge. Der Kläger beschäftigte 2004 fünf Mitarbeiter.

4

Die Betreuung der Versicherungsverträge, die durch Mitarbeiter der Versicherungsagentur übernommen wurde, umfasste die Bearbeitung der Bankverbindungen für den Einzug der laufenden Beiträge bei Änderungen, die Bearbeitung von Namensänderungen, die Bearbeitung der Änderungen für Bezugsrechte, die Bearbeitung und Übersendung von Angeboten für Beitragsfreistellungen auf Wunsch der Kunden, die Bearbeitung und Übersendung von Berechnungen der Ablaufsummen im Falle von Beitragsfreistellungen und von Reduzierungen der Versicherungssumme, die Bearbeitung und Berechnung der Rückkaufswerte für Bankfinanzierungen sowie die Bearbeitung von Abtretungen bzw. Sicherungsübereignungen im Falle von Bankfinanzierungen sowie die Abwehr von Abwerbeversuchen durch andere Finanzberater und Konkurrenzunternehmen der Versicherungsbranche.

5

In seiner Gewinnermittlung für das Streitjahr 2004 passivierte der Kläger erstmals eine Rückstellung für Bestandspflege in Höhe von 165.060 €, die er wie folgt berechnete:

6

Versicherungsbestand    

 1.400 Verträge

Durchschnittliche Laufzeit      

  25 Jahre

Geschätzter Betreuungsaufwand pro Jahr und Vertrag

  1,5 Stunden

Berechnung: 52.500 Stunden x Abzinsungsfaktor 0,262 % x 12 € Lohn/Stunde

  = 165.060 €

7

Mit Schreiben vom 6. Oktober 2006 teilte der Kläger dem Beklagten, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) mit, dass die Rückstellung für Bestandspflege (1.041 Verträge x 25 Jahre x 1,5 Stunden x 0,262 x 12 €/Stunde =) mindestens 122.734 € betragen müsse.

8

Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 26. Oktober 2006 versagte das FA den Ansatz einer Rückstellung für Bestandspflege bei der Ermittlung der Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb.

9

In der Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2007 wies das FA den Einspruch insoweit als unbegründet zurück. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Juli 2004 XI R 63/03 (BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866) sei nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 28. November 2006 IV B 2 -S 2137- 73/06 (BStBl I 2006, 765) nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden.

10

Mit der Klage machten die Kläger geltend, dass eine Rückstellung für Bestandspflege in Höhe von 122.734 € in der Gewinnermittlung des Klägers zu berücksichtigen sei. Die Nachbetreuung von 1.041 Verträgen stelle für das Unternehmen des Klägers eine wesentliche Belastung dar. Dafür seien 1.561,5 Arbeitsstunden oder 208 Arbeitstage bei einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden im Jahr erforderlich. Dem Versicherer sei die Nachbetreuung von Lebensversicherungsverträgen 1,5 % und von Rentenversicherungsverträgen 0,8 % des vom Kunden im Kalenderjahr zu zahlenden Beitrages wert. Das Beitragsvolumen sämtlicher 1.413 vom Kläger betreuter Lebens- und Rentenversicherungsverträge habe zum 31. Dezember 2006 1.221.000 € betragen. Davon seien 310.117 € auf die pflegegeldpflichtigen Altverträge und 910.883 € der Beiträge auf die nicht pflegegeldpflichtigen Verträge entfallen. Bei 80 % nicht pflegegeldpflichtiger Lebensversicherungsverträge und 20 % nicht pflegegeldpflichtiger Rentenversicherungsverträge betrage die jährliche Bestandspflegeprovision 12.388 € [(728.706 € x 1,5 % = 10.930,60 €) + (0,8 % x 182.176,60 € = 1.457,41 €)]. Der Z-AG sei die Bestandspflege damit in 25 Jahren 309.700,25 € wert. Würde man diesen Betrag mit dem Faktor 0,262 abzinsen, sei mindestens eine Rückstellung von 81.141,47 € (= 12.388 x 25 x 0,262) anzusetzen. Abweichend davon sei der Berechnung der Rückstellung im Streitfall aber ein deutlich höherer Betreuungsaufwand des Klägers zugrunde zu legen.

11

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2010, 2105). Die Rückstellung sei (nach dem BFH-Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866) dem Grunde nach berechtigt; allerdings sei nur ein Aufwand von 0,5 Stunden pro Vertrag und pro Jahr anzusetzen, so dass die (im Schätzungsweg zu bestimmende) Höhe der Rückstellung 40.911 € betrage.

12

Bei einem Massengeschäft wie dem vorliegenden komme von vornherein nur eine überschlägige Bestimmung anhand der Anzahl der Verträge und dem jeweiligen Mindestaufwand pro Vertrag in Frage. Dafür aber, dass mindestens 1,5 Stunden pro Vertrag und Jahr hätten aufgewendet werden müssen, fehle es an einer näheren Darlegung über in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen, aus denen dies zu folgern wäre. Bei wie vielen Lebens- und Rentenversicherungsverträgen im Jahr 2004 Tätigkeiten zur Bestandspflege angefallen seien, sei heute ebenfalls nicht mehr feststellbar. Auch insoweit könnten deshalb keine Rückschlüsse auf einen zukünftigen Betreuungsaufwand gezogen werden. Bei Zugrundelegung eines Arbeitsaufwandes von 1,5 Stunden im Jahr ergäbe sich --bezogen auf die durchschnittliche Laufzeit von 25 Jahren-- ein Betreuungsaufwand von 37,5 Stunden je Vertrag, was dem erkennenden Senat deutlich zu hoch erscheine, zumal Verträge vorhanden seien, die unstreitig keinerlei Betreuungsaufwand erforderten, und bei den anderen Verträgen Betreuungsleistungen allenfalls in zeitlichen Abständen von mehreren Jahren anfielen. Bei Würdigung der vom Kläger dargestellten Möglichkeiten, bei denen durch die Betreuung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen ein Aufwand entstehen könne, sei nur der Ansatz eines Betreuungsaufwandes von lediglich einer halben Mitarbeiterstunde je Vertrag und Jahr bzw. einer durchschnittlichen Betreuungsleistung von 12,5 Stunden je Vertrag gerechtfertigt.

13

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts:

14

(1) Das FG nehme zu Unrecht an, dass es sich bei der zu erbringenden Nachbetreuung um eine wesentliche Nebenleistung handele. Eine Verpflichtung zur Rückstellungsbildung sei zu verneinen, wenn der künftige Aufwand als unwesentlich anzusehen sei (BFH-Urteile vom 18. Januar 1995 I R 44/94, BFHE 177, 61, BStBl II 1995, 742; vom 15. November 1960 I 189/60 U, BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48). Die Verpflichtung sei nicht nach dem Aufwand für das einzelne Vertragsverhältnis, sondern nach der Bedeutung der Verpflichtung für das Unternehmen zu beurteilen (BFH-Urteil vom 25. März 1992 I R 69/91, BFHE 168, 527, BStBl II 1992, 1010). Eine Zusammenfassung aller zu betreuenden Verträge zu einer Bewertungseinheit sei nicht vorzunehmen; die Gesamtsumme der Einzelverpflichtungen sei unerheblich. Der Umstand, dass das Versicherungsunternehmen die Nachbetreuung nicht mehr durch eine laufende Folgeprovision vergüte, sei ein Indiz, dass auch das Versicherungsunternehmen die Verpflichtung als unwesentlich ansehe. In der Mehrzahl der abgeschlossenen Lebensversicherungen erscheine es unwahrscheinlich, dass überhaupt ein Nachbetreuungsaufwand entstehe.

15

Das FA sehe sich durch den BFH-Beschluss vom 18. März 2010 X R 20/09 (BFH/NV 2010, 1796) bestätigt; der Betrag von 39,30 € je Vertrag liege deutlich unter der Grenze des § 6 Abs. 2 EStG.

16

Sollte eine Rückstellung dem Grunde nach zulässig sein, sei die Schätzung des Betreuungsaufwandes entschieden zu hoch. Der Kläger habe keine Aufzeichnungen über die erforderlichen Arbeiten vorgelegt; die Aufklärungsanordnung des FG sei weitgehend unbeantwortet geblieben.

17

(2) Die Revision der Kläger sei zumindest unbegründet. Der Behauptung, dass der Versicherung die Nachbetreuung des Kunden 12.388 € wert sei, sei zu widersprechen. Mit der Vertragsänderung hätten sich auch die Vergütungskonditionen verändert.

18

Das FA beantragt,

19

das angefochtene Urteil aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Revision der Kläger zurückzuweisen.

20

Die Kläger beantragen,

21

die Revision des FA zurückzuweisen, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 27. August 2009 (unter Berücksichtigung einer Rückstellung in Höhe von 81.141 €) die Einkommensteuer auf 17.297 € herabzusetzen.

22

(1) Die Bearbeitung von Versicherungsverträgen sei keine unwesentliche Nebenleistung. Der Z-AG sei die Nachbetreuung pro Jahr 12.388 € wert. Für einen Teil der Versicherungen werde eine Bestandspflegeprovision bezahlt, für die anderen nicht; nur bei diesen bestehe ein Erfüllungsrückstand. Die unterschiedliche Behandlung der Nachbetreuung durch die Versicherung (Bestandspflegeprovision oder höhere Abschlussprovision) zeige deutlich, dass der Nachbetreuung erhebliche Bedeutung zukomme. Ihn, den Kläger, treffe eine Nachbetreuungsverpflichtung für seinen gesamten Kundenstamm. Auch die Rückstellung für Jahresabschlusskosten könne nicht auf die Kosten für die einzelnen Buchungen verteilt werden. Entgegen der Auffassung des FA habe sich vom 1. Dezember 2000 an die Vertragslage nicht geändert. Für die Altverträge würden immer noch Bestandspflegeprovisionen gezahlt. Der Versicherer würde auch für die Neuverträge diese Beträge zahlen, wenn er, der Kläger, sich nicht für die Zahlung der höheren Provisionen entschieden hätte. Die im Einzelnen zu erbringenden Leistungen seien im Schriftsatz vom 31. August 2007, Seite 4 und im Schriftsatz vom 7. Dezember 2007 genau bezeichnet worden. Im Revisionsverfahren könne das FA die Schätzung nicht angreifen.

23

Der Beschluss in BFH/NV 2010, 1796 sei zu Rechnungsabgrenzungsposten ergangen; es habe mit Rückstellungen nichts zu tun. Eine Auflösung der Rückstellung komme nur bei wesentlichen Bestandsänderungen in Betracht.

24

(2) Ihre eigene Revision stützen die Kläger auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

25

Es sei ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass ein Versicherer nichts verschenke; der nachgewiesene Betrag von 12.388 € sei daher zwingend der Mindestbetrag. Daraus errechne sich --abgezinst-- eine Rückstellung von 81.141 €. Die Aufklärungsrüge sei begründet; für die Bemessung der Rückstellung komme es nicht auf den tatsächlichen Betreuungsaufwand für das Jahr 2004 an, sondern auf den voraussichtlichen Betreuungsaufwand in den Folgejahren. Aus Aufzeichnungen könne auf die Verhältnisse der Vergangenheit geschlossen werden; Aufzeichnungen aus drei Monaten dürften --angesichts der Vielzahl der Versicherungsverträge-- genügen.

26

Das BMF ist dem Verfahren beigetreten und trägt vor: Für die Beantwortung der Frage, ob eine Nebenpflicht wesentlich sei, gebe es kein allgemeingültiges quantitatives Kriterium. Die Zahlung einer einmaligen Abschlussprovision spiegele die zu erbringende Arbeitsleistung des Versicherungsvertreters ausreichend wider. Da die Versicherung keine Bestandspflegeprovision zahle, sei davon auszugehen, dass auch keine wesentliche Verpflichtung bestehe. Sollte eine Rückstellung dem Grunde nach zulässig sein, sei zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige die Feststellungslast trage. Die einzelnen Nachbetreuungsleistungen seien aufzuzeichnen; spätere Aufzeichnungen seien problematisch. Ggf. sei die Rückstellung ratierlich aufzulösen.

Entscheidungsgründe

27

II. Die Revision des FA ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben, die Sache wird gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückverwiesen.

28

1. Gemäß § 5 Abs. 1 EStG sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden; geboten ist ein Bilanzausweis u.a. aber bei Vorleistungen und Erfüllungsrückständen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. Juni 1997 GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735, m.w.N.). Es entspricht der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden sind, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält (Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866; Senatsurteil vom 9. Dezember 2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860; vgl. auch Wendt, Festschrift für Herzig, Unternehmensbesteuerung, 2010, 517; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 30. Aufl., § 5 Rz 84 und Rz 550, Stichwort "Bestandspflege").

29

a) Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen eine dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit gegenüber einem anderen voraus; es genügt, dass Grund und Höhe wahrscheinlich sind (Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz 361, 376). In zeitlicher Hinsicht muss die Verbindlichkeit in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sein; es muss bereits bis zum Bilanzstichtag eine wirtschaftliche Belastung eingetreten sein (BFH-Urteile vom 19. Oktober 2005 XI R 64/04, BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371, und vom 29. November 2007 IV R 62/05, BFHE 220, 85, BStBl II 2008, 557).

30

b) Dem Einwand des FA, die Bildung der Rückstellung sei wegen Unwesentlichkeit der Verpflichtung ausgeschlossen (ebenso Nichtanwendungserlass des BMF vom 28. November 2006, BStBl I 2006, 765), vermag der Senat nicht zu folgen. Es fehlt bereits an einer rechtlichen Grundlage für die Annahme, die Bildung einer Rückstellung sei nur bei wesentlichen Verpflichtungen zulässig (dazu unten aa). In jedem Fall wäre die hier gegebene --langfristige und mit erheblichen Aufwendungen verbundene-- Verpflichtung aber als "wesentlich" anzusehen (dazu unten bb).

31

aa) Den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Regelungen des EStG lässt sich keine Einschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen. Entgegen der Auffassung des FA folgt ein solcher Rechtssatz auch nicht aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.

32

(1) In dem genannten BMF-Schreiben ist ausschließlich das BFH-Urteil in BFHE 177, 61, BStBl II 1995, 742, unter II.5. erwähnt. Dort verweist der BFH auf frühere Rechtsprechung zur Bedeutung unwesentlichen Aufwands. Tragend ist diese Urteilspassage jedoch nicht, weil der BFH im konkreten Fall die Wesentlichkeit bejaht hat.

33

(2) Verfolgt man die Verweise in dem genannten BFH-Urteil zurück, zeigt sich, dass auch das BFH-Urteil vom 25. Februar 1986 VIII R 134/80 (BFHE 147, 8, BStBl II 1986, 788, unter II.3.) keine tragenden Aussagen zu den hier interessierenden Fragen enthält. Vielmehr findet sich lediglich ein knapper Verweis auf frühere Rechtsprechung, wobei die Wesentlichkeit im konkreten Fall bejaht worden ist. Dabei ging es um eine Verpflichtung zur Erstellung von Abrechnungen; die Rückstellung belief sich auf 3,9 % des Forderungsbetrags.

34

(3) Letztlich verweisen die beiden vorgenannten BFH-Entscheidungen auf das BFH-Urteil in BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48. Dabei handelt es sich --soweit ersichtlich-- um die einzige Entscheidung, in der der vom BMF herangezogene "Wesentlichkeitsgrundsatz" bisher tragende Bedeutung erlangt hat.

35

In der Sache selbst ging es um die Bewertung von Rückstellungen für die Rückvergütung von Rabattmarkenheften. Zwischen den dortigen Beteiligten war unstreitig, dass die Verpflichtung der Klägerin aus der künftigen Einlösung von Rabattmarken um den Anteil an Heften zu kürzen war, die erfahrungsgemäß niemals mehr zurückgegeben wurden. Das FA wollte die Rückstellung aber darüber hinaus noch um 300 DM bzw. 400 DM je Bilanzstichtag für die künftige Einlösung sog. "Schlussmarken" kürzen. Dabei handelte es sich um einen Teilbetrag von 0,15 DM je Markenheft im Wert von 3,15 DM, den die dortige Klägerin bei den künftigen Einlösungsvorgängen einbehalten hatte. Diese weitere Kürzung der Rückstellung --so der BFH-- könne aus Vereinfachungsgründen unterbleiben, da es sich um Kleinbeträge handele, die in den ersten Monaten des folgenden Geschäftsjahrs ausgeglichen würden und deshalb das Ergebnis nicht wesentlich beeinflussten.

36

In dieser Entscheidung hat der BFH --anders als das BMF offenbar meint-- nicht etwa die Bildung einer Rückstellung unter Verweis auf deren angebliche Unwesentlichkeit versagt, sondern er ist einer Kürzung der gebildeten Rückstellung durch das FA nicht gefolgt, weil die Kürzung nur unwesentlich sei.

37

bb) Selbst wenn die Bildung von Rückstellungen für unwesentliche Verpflichtungen --entgegen der Auffassung des Senats-- unzulässig wäre, müsste der Senat aufgrund der den Streitfall prägenden Umstände die von dem Kläger übernommenen künftigen Betreuungspflichten als "wesentlich" würdigen.

38

Der Sachverhalt, der der unter aa (3) genannten BFH-Entscheidung zugrunde lag, ist nicht einmal ansatzweise mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Denn die Betreuungsverpflichtung für Lebensversicherungsverträge realisiert sich bei dem Kläger nicht bereits innerhalb der ersten Monate des folgenden Geschäftsjahrs, sondern verteilt sich über die folgenden 25 Jahre. Der absolute Betrag der Rückstellung liegt im Streitfall um Größenordnungen oberhalb der in dem angeführten BFH-Urteil einschlägigen 300 bzw. 400 DM.

39

cc) Entgegen der Auffassung des FA ist für die Beurteilung der Wesentlichkeit nicht auf die künftigen Betreuungsaufwendungen für den einzelnen Vertrag, sondern auf die im Unternehmen des Klägers künftig insgesamt anfallenden Aufwendungen für die Betreuung abzustellen. Für die vom FA vertretene Atomisierung der Verpflichtungen bietet weder das Gesetz noch die bisherige Rechtsprechung eine Grundlage. Vielmehr ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt, dass nicht der Aufwand für das einzelne Vertragsverhältnis, sondern die Bedeutung der Verpflichtung für das Unternehmen maßgebend ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 177, 61, BStBl II 1995, 742, unter II.5., betr. die einzelnen Jahresabrechnungen eines Versorgungsunternehmens). Auch in dem unter aa (3) angeführten BFH-Urteil in BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48 ist die Bildung einer Rückstellung für die künftige Einlösung von Rabattmarkenheften zugelassen worden, obwohl pro Heft lediglich 3 DM auszuzahlen waren und sich die Wesentlichkeit erst aus der Summe der --jeweils nur geringfügigen-- Einzelverpflichtungen ergab.

40

dd) Das FA kann sich auch nicht auf den Beschluss des erkennenden Senats in BFH/NV 2010, 1796 berufen, nach dem es einem Steuerpflichtigen erlaubt ist, in Fällen von geringer Bedeutung (nach dem Maßstab des § 6 Abs. 2 EStG) auf eine genaue Abgrenzung zu verzichten. Zum einen war der Steuerpflichtige nach wie vor zum Bilanzansatz berechtigt, zum anderen sind die Größenverhältnisse des Streitfalls auch nicht ansatzweise vergleichbar.

41

2. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht dessen Würdigung, der Kläger sei rechtlich zur Nachbetreuung der Versicherungsverträge verpflichtet. Zwar bindet die Vertragsauslegung des FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO den BFH, wenn sie den Auslegungsgrundsätzen entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25. Februar 2009 IX R 76/07, BFH/NV 2009, 1268). Im Streitfall sind die vom FG getroffenen Feststellungen, dass die Verpflichtungen des Klägers auf dem Vertrag vom 21. Oktober 1998 in Verbindung mit dem Nachtrag vom 8. Dezember 2000 bzw. 8. Januar 2001 beruhten, indes zu vage, als dass hieraus die von den Klägern behaupteten umfangreichen Rechtspflichten gegenüber dem Versicherungsunternehmen abgeleitet werden könnten. Das FG begnügt sich mit dem Hinweis auf den Vertrag, ohne auf den Inhalt und den Umfang der Pflichten einzugehen. In dem Vertretungsvertrag (Muster, Einkommensteuerakte Bl. 45) heißt es: "Um die bestehenden Versicherungen zu erhalten, pflegt der Vertreter im Rahmen seiner Möglichkeiten laufend Kontakt mit den Versicherungsnehmern, berät sie aus eigener Initiative oder auf deren Wunsch. Ziel ist es dabei immer, dass der Kunde umfassend versichert ist und bleibt." Diese Formulierungen deuten eher darauf hin, dass die laufende Kontaktaufnahme dem Abschluss weiterer Verträge dienen soll. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Kläger folgt eine entsprechende Verpflichtung auch nicht unmittelbar aus § 84 des Handelsgesetzbuchs (HGB). Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 HGB ist der Handelsvertreter ständig damit betraut, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Werbung und Betreuung sind daher nicht kennzeichnend oder bestimmend für diesen Vertragstyp (vgl. Hopt, in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl., § 84 Rz 22 f., 41 f.). Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang die Frage zu klären haben, ob und in welchem Umfang der Kläger zur Betreuung der Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherungen im Einzelnen rechtlich verpflichtet war. Leistungen, die der Kläger gegenüber seinen Kunden ohne Rechtspflicht erbracht hat, sind für die Bemessung der Rückstellung irrelevant (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2010, 860).

42

3. Sofern die weiteren Ermittlungen des FG ergeben, dass eine Rechtspflicht zur weiteren Betreuung der abgeschlossenen Versicherungsverträge bestanden hat, sind hinsichtlich der Höhe der Rückstellung folgende Grundsätze zu beachten:

43

a) Die Nachbetreuungsverpflichtung ist eine Sachleistungsverpflichtung i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG; sie ist mit den Einzelkosten und den Gemeinkosten zu bewerten.

44

b) Abzustellen ist auf die Anzahl der Versicherungsverträge, für die noch künftige Betreuungsleistungen aufgrund rechtlicher Verpflichtung zu erbringen sind, für die aber kein weiteres Entgelt beansprucht werden kann.

45

Einbezogen werden dürfen nur Leistungen für die Betreuung bereits abgeschlossener Verträge. Werbeleistungen mit dem Ziel, Kunden (auch Bestandskunden) zu neuen Vertragsabschlüssen zu veranlassen (Einwerbung von Neugeschäften), sind nicht rückstellbar.

46

Nicht einzubeziehen ist der Aufwand für die eigene künftige Arbeitsleistung des Betriebsinhabers; Vertreter ohne angestelltes Personal können daher von vornherein keine Rückstellung bilden. Sollte neben dem angestellten Personal auch der Einzelunternehmer selbst in die Betreuung eingeschaltet sein, könnte für den von ihm erbrachten Teil der Leistungen ebenfalls keine Rückstellung gebildet werden.

47

c) Für die Höhe der Rückstellung ist der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und Jahr von entscheidender Bedeutung; zur Darlegung des (voraussichtlichen) Zeitaufwandes ist im Einzelnen notwendig:

48

- die genaue Beschreibung der einzelnen Betreuungstätigkeiten; die Darstellung muss das FA und das FG in die Lage versetzen, anhand der rechtlichen Anforderungen zu prüfen, ob der Aufwand für die jeweilige Tätigkeit zur Bildung einer Rückstellung berechtigt;

49

- die Angabe, welchen Zeitbedarf die jeweilige Tätigkeit mit sich bringt, wenn sie im Einzelfall anfällt;

50

- die Angabe, wie oft die jeweilige Tätigkeit über die Gesamtlaufzeit des jeweiligen Vertrags zu erbringen ist;

51

- die Höhe der Personalkosten pro Stunde Betreuungszeit;

52

- die Laufzeit bzw. Restlaufzeit der einzubeziehenden Verträge; dabei ist vor allem auch der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass ein Teil der Verträge vorzeitig gekündigt wird.

53

d) Neben dem zeitlichen Umfang der Betreuungsleistungen ist für die Bemessung der Rückstellung der Stundenlohn der vom Kläger für die Nachbetreuung eingesetzten Mitarbeiter von Bedeutung. Wie das FG sieht auch der Senat konkret keine Veranlassung, die vom Kläger angesetzten Beträge in Höhe von 12 € zu beanstanden.

54

e) Kommt das FG im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis, dass eine Rückstellung für Erfüllungsrückstand auszuweisen ist, wird diese gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG --wie bereits im ersten Rechtsgang geschehen-- abzuzinsen sein.

55

4. Über die unter 3. bezeichneten Angaben sind Aufzeichnungen zu führen und vorzulegen.

56

a) Diese Aufzeichnungen müssen so konkret und spezifiziert sein, dass eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen möglich ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass eine Rückstellung ein Passivposten ist, der eine dem Grund und/oder der Höhe nach noch ungewisse (also nur wahrscheinliche) künftige Verbindlichkeit zum Ausdruck bringt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Rückstellung jedes Jahr angepasst werden muss und jedes Jahr zu prüfen ist, in welchem Umfang der rückgestellte Aufwand tatsächlich eingetreten ist und ob für die Zukunft Korrekturen vorzunehmen sind.

57

Dieser Natur des Rückstellungspostens entsprechend (Schätzung von Aufwand, der auf u.U. sehr langfristigen Verpflichtungen beruht) kann ggf. auch auf spätere Aufzeichnungen zurückgegriffen werden, sofern sie geeignet sind, die voraussichtlich anfallenden Kosten zu belegen.

58

b) Die laufenden Aufzeichnungen sind "vertragsbezogen" zu führen; der Steuerpflichtige hat zu belegen, welche einzelnen Tätigkeiten (z.B. Fälle von Namens- und Adressenänderungen, Beitragsfreistellungen, Baufinanzierungen, Abtretungen, Änderungskündigungen) in welcher Häufigkeit mit welchem Zeitaufwand über die Gesamtlaufzeit des einzelnen Vertrags (typischerweise) anfallen werden. Diese Prüfung muss nicht für alle Verträge einzeln vorgenommen werden; im Einzelfall können fundierte Stichproben (z.B. anhand eines bestimmten Prozentsatzes der Verträge oder nach bestimmten Anfangsbuchstaben der Kundennamen) ausreichen, um eine hinreichende Rückstellungswahrscheinlichkeit zu begründen.

59

c) Die Richtigkeit der vorgenommenen Aufzeichnungen kann im Einzelfall verprobt werden durch eine Gegenüberstellung von Verträgen ohne Bestandspflegeprovision mit Verträgen mit Bestandspflegeprovision. Dabei muss die Vergleichbarkeit der Versicherungen gewährleistet sein; so darf etwa der Teil der Bestandspflege, der auf den Inhaber der Versicherungsagentur entfällt, nicht berücksichtigt werden.

60

d) Eine derartige Dokumentation der Beratungsleistungen erlegt dem Steuerpflichtigen keine unangemessenen und unverhältnismäßigen Belastungen auf. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass der zu führende Belegnachweis sich auf Vorgänge bezieht, die sich allein in der Sphäre des Steuerpflichtigen zugetragen haben und die zu einem späteren Zeitpunkt nur in eingeschränktem Umfang und nur mit erheblichem Ermittlungsaufwand auf ihre zutreffende Erfassung hin überprüft werden können (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 9. November 2005 VI R 27/05, BFHE 211, 508, BStBl II 2006, 408, unter II.1.c, zu den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch). Zum anderen sind auch angesichts der Höhe und der Zeitdauer des vom Kläger geltend gemachten Erfüllungsrückstandes aussagekräftige Aufzeichnungen geboten.

61

5. Zutreffend ist das FG im ersten Rechtsgang davon ausgegangen, dass die Kläger letzten Endes die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die von ihnen behaupteten Aufwendungen für Betreuungsleistungen tragen. Da es sich um Angaben aus der Sphäre der Steuerpflichtigen handelt, die von der Finanzverwaltung regelmäßig nur eingeschränkt nachgeprüft werden können und die zudem der Herbeiführung einer Steuerminderung dienen, tragen die Steuerpflichtigen die volle Feststellungslast für ihre entsprechenden Tatsachenbehauptungen (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 2007 X R 11/07, BFHE 220, 3, BStBl II 2008, 335).

III.

62

Die Revision der Kläger ist ebenfalls begründet; auch im Umfang der Klageabweisung beruht das angefochtene Urteil auf der beanstandeten Vertragsauslegung (s. oben unter II.2.).

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Tenor

I. Der Gewerbesteuermessbescheid für das Jahr 2005 vom 7. August 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. März 2007 wird dahin geändert, dass eine Rückstellung für Nachbetreuungskosten in Höhe von 38.237,14 € anerkannt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger zu 60 % und der Beklagte zu 40 % zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der noch festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig sind Rückstellungen eines Versicherungsvertreters wegen Erfüllungsrückstands aufgrund der Verpflichtung zur Pflege von Versicherungsverträgen, für die nur Abschlussprovisionen erzielt wurden.

2

Der Kläger ist als selbstständiger Versicherungskaufmann für die A Versicherungs-AG tätig. Er ermittelt seinen Gewinn gemäß § 4 Abs. 1 EStG.

3

Lt. Steuererklärung betrug sein Verlust im Streitjahr 2005  126.281 €. Gewinn mindernd hatte er eine Rückstellung in Höhe von 284.609 € für die Kosten der Betreuung von Lebens- und Sachversicherungsverträgen gebildet (Berechnung Bl. 29 Prozessakte). Dabei setzte der Kläger einen Nachbetreuungsaufwand von 2 Stunden je Wirtschaftsjahr und Vertrag an.

4

Der Beklagte berücksichtigte die Rückstellung nicht und legte dem Gewerbesteuermessbescheid für 2005 – wie auch dem Einkommensteuerbescheid – einen Gewinn in Höhe von 158.328 € zugrunde.

5

Der Kläger legte – wie auch gegen die Einkommensteuerfestsetzung – Einspruch ein und berief sich auf das Urteil des BFH vom 28.07.2004 – XI R 63/03 (BStBl II 2006, 866), wonach der Versicherungsvertreter eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden habe, wenn er vom Versicherungsunternehmen die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch die weitere Betreuung des Versicherungsvertrages erhalten habe.

6

Der Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als der Beklagte eine Gewerbesteuerrückstellung berücksichtigte. Im Übrigen wurde der Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 22.03.2007 als unbegründet zurückgewiesen.

7

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, die Bildung der Rückstellung sei nach der Rechtsprechung des BFH berechtigt. Der Nichtanwendungserlass des BMF negiere lediglich die Wesentlichkeit des Nachbetreuungsaufwands ohne konkrete Feststellungen hierzu.

8

Den Betreuungsaufwand habe die A in einem Rundschreiben mit 2 Stunden angegeben. Diesen Wert habe der Kläger deshalb ansetzen dürfen. Er habe eine Aufstellung gefertigt, in der stichprobenartig der Aufwand pro Vertrag erfasst sei; hieraus habe sich eine Bearbeitungszeit pro Vertrag von 112 Minuten ergeben. Der Aufstellung lägen Aufzeichnungen in der Zeit vom 01.01.2007 bis 31.05.2007 zugrunde, die repräsentativ für das Streitjahr seien. Fahrtkosten seien in der Aufstellung noch nicht enthalten. Die Werte lägen künftig erwartungsgemäß eher noch höher, wenn eine Umstellung der gezillmerten Verträge vorgenommen werden müsse.

9

Folgende Arbeiten habe er im Rahmen der Nachbetreuung zu erledigen:

- Arbeitgeberwechsel/Versicherungsnehmerwechsel, ggf. Fahrt zum neuen Arbeitgeber

- Namensänderung

- Bezugsrechtsänderung

- Policendarlehen und Rückführung

- Kontoänderungen

- Veränderung der Zahlungsweise

- Reduzierung der Versicherungssumme/ des Beitrages

- Todesfall

- Berechnung der Ablaufsumme/ des Rückkaufwertes

- Auskünfte über veränderte Überschussbeteiligung und Erklärung warum

- Auswirkungen auf die Vermögensplanung

- Auswirkung auf die Finanzierung

- Nachversicherung

- Aufbereitung für Bürgschaften

- Rentenberechnungen

- Änderungen im Zuge der dynamischen Anpassung

- Abwicklung bei Berufsunfähigkeit, ggf. mit Fahrt zum Arzt, zur A, zum Kunden

- Kündigung/Abwehr

- Trennungen

- Auswirkungen auf die Pensionszusage etc.

- Sonstiges (z.B. Fahrzeiten, Aufbereitung für Rentenberechnungen, Auswirkung geänderte staatliche Berufsunfähigkeits-, bzw. Invalidenrente, Auswirkung auf die Berufsunfähigkeit/Versorgung, verschiedene sonstige Fragen)

10

Er legte ein Schreiben der A vom 05.10.2005 (Bl. 28 Prozessakte) vor, mit dem diese bestätigt, dass er mit dem Agenturvertrag vom 01.04.2001 folgende Vertragsverpflichtungen übernommen hatte:

11

- Vermittlung von Lebens- und Sachversicherungen

- Betreuung und Erhaltung des Bestandes von Sach-, Lebens- und Rentenversicherungsverträgen

12

Außerdem legte er eine Liste der Lebens- und Rentenversicherungsverträge mit Angabe des jeweiligen Zeitaufwands vor (Bl. 72 – 93 Prozessakte), sowie den Agenturvertrag und die Provisionsvereinbarungen (Bl. 109 – 118 Prozessakte).

13

Bei einer evtl. vom Gericht vorzunehmenden Schätzung sei zu berücksichtigen, dass pro Mitarbeiter und Vertrag ein Zeitaufwand von jährlich 30 Minuten anfalle.

14

In der Liste seien Fahrtkosten noch nicht enthalten. Nicht alle Sachverhalte ließen sich telefonisch klären, so dass die Mitarbeiter zu den Kunden fahren müssten. Oft gehe es um Berufsunfähigkeitsversicherungen, deren Versicherungsnehmer nur eingeschränkt mobil seien. Zahlreiche Tätigkeiten müssten vor Ort vorgenommen werden, insbesondere wenn Unterschriften erforderlich seien.

15

Bei der Betrachtung sei die Höhe der Personalaufwendungen des Klägers in dem Zeitraum von zehn Jahren zu berücksichtigen.

16

Ergänzend wird auf die Klageschrift vom 23.04.2007 nebst Anlagen (Bl. 16 – 29 PrA), sowie die Schriftsätze vom 09.07.2007 nebst Anlagen (Bl. 69 – 93), vom 29.01.2009 nebst Anlagen (Bl. 108 – 118 PrA), vom 28.05.2009 nebst Anlage (Bl. 141 – 144 PrA) und vom 26.08.2009 (Bl. 182 – 184 PrA) Bezug genommen.

17

Der Kläger beantragt, den Gewerbesteuermessbescheid für das Jahr 2005 vom 7. August 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. März 2007 dahin zu ändern, dass Rückstellungen für Nachbetreuungskosten in Höhe von 284.609 € anerkannt werden.

18

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

19

Er trägt in Übereinstimmung mit dem Erlass des BMF vom 28.11.2006 (BStBl I 2006, 765) vor, die Bildung einer Rückstellung setze eine ungewisse Verbindlichkeit voraus, die den Verpflichteten aus wirtschaftlicher Sicht wesentlich belaste. Die Nachbetreuung laufender Lebensversicherungsverträge stelle für den Versicherungsvertreter keine wirtschaftlich wesentlich belastende Verpflichtung dar.

20

Der Kläger habe den von ihm vorgetragenen Nachbetreuungsaufwand nicht hinsichtlich der einzelnen Verträge konkretisiert, sondern lediglich pauschal angesetzt. Er trage jedoch die Feststellungslast für die Voraussetzungen der Rückstellungsbildung.

21

Der Vortrag zum zeitlichen Aufwand im Einzelnen werde bestritten. Soweit in der Liste nacheinander Verträge desselben Versicherungsnehmers ausgewiesen seien und jedem dieser Verträge die gleichen Aufgaben mit dem gleichen Zeitaufwand zugewiesen seien, erscheine dies nicht glaubhaft.

22

Die Liste betreffe im Übrigen nur ein halbes Jahr in 2007 und sei schon deshalb auf das Streitjahr nicht übertragbar.

23

Gegen einen Nachbetreuungsaufwand überhaupt würde im Übrigen sprechen, dass bei Verkäufen des Versicherungsbestandes die Käufer keine Abschläge wegen der Verpflichtung zur Nachbetreuung machen würden, sondern in solchen Fällen ausschließlich für die Chance, neue Provisionen verdienen zu können, ein Entgelt gezahlt werde.

24

Ergänzend wird auf die Schriftsätze vom 22.05.2007 (Bl. 36 – 40 PrA), vom 25.03.2009 (Bl. 131 – 134 PrA), vom 18.06.2009 (Bl. 146 – 148 PrA), vom 31.08.2009 (Bl. 176/177 PrA) und vom 01.10.2009 (Bl. PrA) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

25

Die Klage ist teilweise begründet.

1.

26

Nach § 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden.

27

Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden. Ein Bilanzausweis ist u.a. aber dann geboten, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist (vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs -BFH-vom 23. Juni 1997 GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735, m.w.N.). Schwebende Geschäfte sind gegenseitige Verträge i.S. der §§ 320 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), die von der zur Sach- oder Dienstleistung verpflichteten Partei -abgesehen von unwesentlichen Nebenpflichten- noch nicht voll erfüllt sind (BFH, Großer Senat in BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735 m.w.N.).

28

Ein Erfüllungsrückstand liegt vor, wenn der Verpflichtete sich mit seinen Leistungen gegenüber seinem Vertragspartner im Rückstand befindet, also weniger geleistet hat, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hatte. Der BFH knüpfte den Begriff des Erfüllungsrückstandes eng an den schuldrechtlich gebotenen Zeitpunkt der Erfüllung. Darüber hinaus hat er aber auch eine an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierte Betrachtung genügen lassen. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, dass mit der nach dem Vertrag geschuldeten zukünftigen Leistung nicht nur an Vergangenes angeknüpft, sondern Vergangenes abgegolten wird. Wann eine vertragliche Verpflichtung erfüllt ist, bestimmt sich seither auch bei Dauerschuldverhältnissen nicht mehr entscheidend nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, sondern nach dem wirtschaftlichen Gehalt der geschuldeten (Sach-) Leistung (BFH, Großer Senat in BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735 m.w.N.). Erfüllungsrückstand setzt nicht die Fälligkeit der vertraglich noch geschuldeten Leistung zum Bilanzstichtag voraus (BFH-Urteil vom 28. Juli 2004 XI R 63/03, BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866 m.w.N.).

29

Der BFH hat mit Urteil vom 28.07.2004 – XI R 63/03 entschieden, dass nach diesen Grundsätzen ein Versicherungsvertreter, der für die Vermittlung von Lebensversicherungen Provisionen erhalten hat, mit denen auch die künftige Betreuung dieser Verträge abgegolten war, eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands bilden kann und zu bilden hat. Mit Beschluss vom 16.11.2007 – X B 167/07 (BFH/NV 2008, 244) hat er seine Rechtsprechung bestätigt.

30

Diese Grundsätze sind jedoch dann nicht anzuwenden, wenn die Abschlussprovision nur die Vermittlungsleistung vergütet und der Versicherungsvertreter für die Betreuung und Erhaltung des Versicherungsbestandes Folgeprovisionen erhält. In diesem Fall befindet er sich nicht mit etwaigen Betreuungs- und Bestandspflegeleistungen in Erfüllungsrückstand. Vielmehr stehen sich dann Vermittlungsleistung und Abschlussprovision ausgeglichen gegenüber.

31

Bei dieser Beurteilung kommt es ausschließlich auf die Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen an; eine evtl. wirtschaftliche Unausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung ist irrelevant (Valentin in Anm. zum Urteil des FG München vom 27.02.2008 – 10 K 1237/07, EFG 2008, 1107).

32

Für die Feststellung des Umfangs des Aufwandes für Betreuungsleistungen trägt der Kläger die objektive Beweislast. Zu berücksichtigen ist dabei, dass es sich um Angaben aus der Sphäre des Steuerpflichtigen handelt, die nur sehr eingeschränkt nachgeprüft werden können und die zudem der Herbeiführung einer Steuerminderung dienen. Deshalb sind nachvollziehbare Darlegungen der konkreten Verhältnisse des Betriebes erforderlich, die auch eine Trennung von nicht rückstellungsfähigen – da bereits abgegoltenen – Leistungen ermöglichen.

33

Das FG Münster hat mit Urteil vom 02.12.2008 – 9 K 4216/07 K (EFG 2009, 136) für den dort entschiedenen Fall einen Betreuungsaufwand je Vertrag von 20 Minuten jährlich und zusätzlich 27 Minuten bezogen auf die gesamte Vertragslaufzeit angenommen, jedoch ausdrücklich auf die besonderen Verhältnisse hingewiesen, die es nicht zuließen, diese Werte unbesehen auf andere Fälle zu übertragen.

34

Der Kläger ist grundsätzlich berechtigt, Rückstellungen für die Verbindlichkeiten auch insoweit erfolgswirksam zu bilden, als sie in der Vergangenheit entstanden waren. Bisher war der Ansatz in den Bilanzen zu Unrecht unterblieben. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind unzutreffende Aktivierungen und Passivierungen grundsätzlich auch dann erfolgswirksam zu korrigieren, wenn die Ertragsteueransprüche für die Veranlagungszeiträume, in denen sich die unrichtige Bilanzierung bereits steuerrechtlich ausgewirkt hat, schon verjährt sind (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 07.06.1988 VIII R 296/82, BStBl. II 1988, 886 und vom 16.05.1990 X R 72/87, BStBl. II 1990, 1044, sowie BFH-Beschluss vom 30.03.1994 I B 81/93, Sammlung nicht amtlich veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1995, 192 jeweils mit weiteren Nachweisen). Nach den Grundsätzen der Bilanzberichtigung muss die Passivierung erfolgsmindernd in der Bilanz des ersten Wirtschaftsjahres nachgeholt werden, in dem dies mit steuerlicher Wirkung möglich ist (vgl. BFH-Urteil vom 08.12.1988 IV R 33/87, BStBl. II 1989, 407).

2.

2.1.

35

Der Kläger ist rechtlich zur Nachbetreuung der Verträge verpflichtet; die entsprechenden vertraglichen Bestimmungen wurden vorgelegt (Bl. 109 – 118 PrA).

36

Aus den Verträgen für Sach-, Schaden- und Unfallversicherungen ist erkennbar, dass Folgeprovisionen gezahlt werden (Bl. 110 u. 117 PrA). Dies gilt allerdings nicht für die Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherungen. Der Agenturvertrag (Bl. 109 – 111 PrA) sieht insoweit nur Abschlussprovisionen vor; für die laufende Bestandspflege ist keine Vergütung vorgesehen. Dass für Lebens- und Rentenversicherungen Folgeprovisionen nicht gezahlt werden, ergibt sich auch aus der Bestätigung der A (Bl. 144 PrA).

37

Die vom Kläger vorgelegte Liste (Bl. 72 ff. PrA) betrifft nur Verträge, für die keine Folgeprovisionen gezahlt werden.

38

Für Schaden- und Unfallversicherungen ist Nachbetreuungsaufwand in den streitigen Rückstellungen unstreitig nicht enthalten.

2.2.

39

Das Gericht muss im Schätzungswege den Zeitaufwand der Betreuung pro Vertrag und Jahr feststellen (§§ 96 FGO, 162 AO).

40

Der Kläger trägt die objektive Beweislast für die Voraussetzungen und die Höhe der Rückstellung. Dass Nachbetreuungsaufwand für die Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherungen anfällt, kann nach den in den Akten befindlichen Unterlagen als erwiesen angesehen werden. Die Höhe des vom Kläger ermittelten Aufwandes wird jedoch vom Beklagten bestritten. Eine weitere Sachaufklärung ist nach Ansicht des Senats und im übrigen auch nach der Einschätzung der Beteiligten nicht möglich, wie sich aus ihren entsprechenden Äußerungen im Erörterungs- und im Verhandlungstermin ergibt.

41

Die Ermittlung des Umfangs durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das FG Münster in seinem Urteil 12 K 6087/04 E als ungeeignet abgelehnt. Der Senat folgt der Einschätzung des FG Münster, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens ungeeignet ist, da eine objektive Ermittlung des Zeitaufwandes durch einen neutralen – nicht branchennahen – Sachverständigen nicht möglich ist.

42

Auch die Ermittlung des Zeitaufwandes durch die Vernehmung von Mitarbeitern der A als Zeugen erscheint dem Senat ungeeignet, da auch diese Methode eine objektive Ermittlung des Zeitaufwandes nicht gewährleistet.

43

Soweit der Kläger 2 Stunden pro Wirtschaftsjahr und Vertrag angesetzt hat, kann dem bei der gebotenen Schätzung nicht gefolgt werden.

44

Die vom Beklagten angeregten Ermittlungen gemäß Schriftsatz vom 01.10.2009 (Bl. 186/187 PrA) sind aufgrund der Aussage des Klägers im Erörterungstermin vom 04.08.2009, dass weitere Sachverhaltsermittlungen nicht möglich sind, nicht Erfolg versprechend und unverhältnismäßig. Bessere Erkenntnisse zum Umfang des Nachbetreuungsaufwandes sind dadurch nicht zu erwarten.

45

Das FG Münster hat in seinem Urteil 9 K 4216/07 K 20 Minuten an Nachbetreuungsaufwand angesetzt und dabei betont, dass im dortigen Streitfall besondere Umstände vorlagen, die es nicht zulassen, diese Werte unbesehen auf andere Fälle zu übertragen. Das FG Münster hat in seinem Urteil 12 K 6087/04 E im Schätzungswege eine Stunde angesetzt, allerdings ohne konkrete Sachverhaltsermittlungen.

46

Die vom Kläger vorgelegte Aufstellung (Bl. 72 ff. PrA), die einen Zeitaufwand von 112 Minuten pro Fall und Jahr ergibt, geht zwar ins Detail. Letztlich handelt es sich dabei aber um Parteivortrag, dem kein Beweiswert beigemessen werden kann. Zudem betrifft die Aufstellung nur die Verträge, bei denen überhaupt Nachbetreuungsaufwand angefallen ist; hierbei handelt es sich um 218 von insgesamt über 1.000 Verträgen. Auch wegen der Diskrepanz zu den Feststellungen des FG Münster im Urteil 9 K 4216/07 U ergeben sich Zweifel an dem aufgrund der Aufstellung gefundenen Ergebnis.

47

Der Senat schätzt den Nachbetreuungsaufwand deshalb auf 20 Minuten je Vertrag und Jahr. Dieses Ergebnis wird gestützt, wenn man den aufgezeichneten Nachbetreuungsaufwand durch die Gesamtzahl der Verträge dividiert, da dann auch die Verträge ohne Nachbetreuungsaufwand einbezogen sind. Ohne die Sachversicherungen – für die kein Nachweis vorliegt, dass keine Folgeprovisionen gezahlt werden – hat der Kläger insgesamt 1.185 Verträge, für die Rückstellungen dem Grunde nach in Betracht kommen. Dividiert man die ermittelten 24.220 Minuten durch die Zahl dieser Verträge, so ergibt sich ein Zeitaufwand von aufgerundet 20,5 Minuten.

48

Dabei ist der vom Kläger angesetzte Stundenlohn – je nach Mitarbeiter 14 €, 19 € und 22 € – zugrunde zu legen.

49

Dabei geht das Gericht mit dem FG Münster im Urteil 12 K 6087/04 E davon aus, dass ein Ansatz von 80 DM in 1992 – 1994 überzogen ist und stattdessen 40 DM angesetzt werden können. In Relation hierzu sind die vom Kläger angesetzten Beträge nicht zu beanstanden.

3.

50

Ausgehend von der Schätzung eines Nachbetreuungsaufwandes von 20 Minuten pro Vertrag und Jahr und unter Ausschluss der Sachversicherungen ergibt sich anhand der Berechnung gemäß Bl. 29 PrA eine Rückstellung in Höhe von 38.237,14 € auf der Grundlage folgender Berechnung:

51
        

Bestand

Minuten

durchschn.

Laufzeit in

Jahren

                 
                          

20

16

12

8

5

Lebensversicherungen

1221

20

320

220

220

214

211

                                                                       

(Brutto) Rückstellung in Std.

                 

1920

1056

792

513,6

316,5

Abzinsungsfaktor

                 

0,343

0,425

0,526

0,652

0,765

(Netto) Rückstellung

                 

658,56

448,8

416,592

334,8672

242,1225

                                                                       

Mitarbeiterrückstellung

                                                              

O 22 €/Std., 40%

                 

5.795,33 €

3.949,44 €

3.666,01 €

2.946,83 €

2.130,68 €

K 14 €/Std., 40%

                 

3.687,94 €

2.513,28 €

2.332,92 €

1.875,26 €

1.355,89 €

N 19 €/Std., 20%

                 

2.502,53 €

1.705,44 €

1.583,05 €

1.272,50 €

920,07 €

                                                                       

Gesamtrückstellung

                 

38.237,14 €

                                   

52

Das Gericht konnte nicht das Ruhen des Verfahrens anordnen, da nicht alle Beteiligten zugestimmt haben (§ 251 ZPO).

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

54

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

55

Die Revision wird im Hinblick auf die beim BFH anhängigen Verfahren I R 11/09 und X R 48/08 zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

Tatbestand

1

I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Kläger) begehren die Bildung einer Rückstellung für die Betreuung bereits abgeschlossener Lebensversicherungsverträge.

2

Die Kläger werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte u.a. als Inhaber einer Versicherungsagentur und aus einem Autohandel nebst Autovermietung Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§§ 4 Abs. 1, 5 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).

3

Der Kläger vermittelte im Rahmen seiner Versicherungsagentur zunächst für die X-AG Versicherungsverträge, für die er neben einer Abschlussprovision ein Pflegegeld für die Betreuung des jeweiligen Bestandes (Bestandspflegeprovision) erhielt. Nachdem die X-AG in die Z-AG aufgegangen war, erhielt der Kläger ab dem 1. Dezember 2000 neben der erhöhten Abschlussprovision keine Bestandspflegeprovision mehr für ab dem 1. Juli 2000 vermittelte Renten- und Lebensversicherungen. Im Rahmen seiner Versicherungsagentur betreute der Kläger im Streitjahr 1.041 Lebensversicherungsverträge, für die er keine Bestandspflegeprovision erhielt. Insgesamt belief sich der betreute Bestand auf 1.413 Verträge. Der Kläger beschäftigte 2004 fünf Mitarbeiter.

4

Die Betreuung der Versicherungsverträge, die durch Mitarbeiter der Versicherungsagentur übernommen wurde, umfasste die Bearbeitung der Bankverbindungen für den Einzug der laufenden Beiträge bei Änderungen, die Bearbeitung von Namensänderungen, die Bearbeitung der Änderungen für Bezugsrechte, die Bearbeitung und Übersendung von Angeboten für Beitragsfreistellungen auf Wunsch der Kunden, die Bearbeitung und Übersendung von Berechnungen der Ablaufsummen im Falle von Beitragsfreistellungen und von Reduzierungen der Versicherungssumme, die Bearbeitung und Berechnung der Rückkaufswerte für Bankfinanzierungen sowie die Bearbeitung von Abtretungen bzw. Sicherungsübereignungen im Falle von Bankfinanzierungen sowie die Abwehr von Abwerbeversuchen durch andere Finanzberater und Konkurrenzunternehmen der Versicherungsbranche.

5

In seiner Gewinnermittlung für das Streitjahr 2004 passivierte der Kläger erstmals eine Rückstellung für Bestandspflege in Höhe von 165.060 €, die er wie folgt berechnete:

6

Versicherungsbestand    

 1.400 Verträge

Durchschnittliche Laufzeit      

  25 Jahre

Geschätzter Betreuungsaufwand pro Jahr und Vertrag

  1,5 Stunden

Berechnung: 52.500 Stunden x Abzinsungsfaktor 0,262 % x 12 € Lohn/Stunde

  = 165.060 €

7

Mit Schreiben vom 6. Oktober 2006 teilte der Kläger dem Beklagten, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) mit, dass die Rückstellung für Bestandspflege (1.041 Verträge x 25 Jahre x 1,5 Stunden x 0,262 x 12 €/Stunde =) mindestens 122.734 € betragen müsse.

8

Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 26. Oktober 2006 versagte das FA den Ansatz einer Rückstellung für Bestandspflege bei der Ermittlung der Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb.

9

In der Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2007 wies das FA den Einspruch insoweit als unbegründet zurück. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Juli 2004 XI R 63/03 (BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866) sei nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 28. November 2006 IV B 2 -S 2137- 73/06 (BStBl I 2006, 765) nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden.

10

Mit der Klage machten die Kläger geltend, dass eine Rückstellung für Bestandspflege in Höhe von 122.734 € in der Gewinnermittlung des Klägers zu berücksichtigen sei. Die Nachbetreuung von 1.041 Verträgen stelle für das Unternehmen des Klägers eine wesentliche Belastung dar. Dafür seien 1.561,5 Arbeitsstunden oder 208 Arbeitstage bei einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden im Jahr erforderlich. Dem Versicherer sei die Nachbetreuung von Lebensversicherungsverträgen 1,5 % und von Rentenversicherungsverträgen 0,8 % des vom Kunden im Kalenderjahr zu zahlenden Beitrages wert. Das Beitragsvolumen sämtlicher 1.413 vom Kläger betreuter Lebens- und Rentenversicherungsverträge habe zum 31. Dezember 2006 1.221.000 € betragen. Davon seien 310.117 € auf die pflegegeldpflichtigen Altverträge und 910.883 € der Beiträge auf die nicht pflegegeldpflichtigen Verträge entfallen. Bei 80 % nicht pflegegeldpflichtiger Lebensversicherungsverträge und 20 % nicht pflegegeldpflichtiger Rentenversicherungsverträge betrage die jährliche Bestandspflegeprovision 12.388 € [(728.706 € x 1,5 % = 10.930,60 €) + (0,8 % x 182.176,60 € = 1.457,41 €)]. Der Z-AG sei die Bestandspflege damit in 25 Jahren 309.700,25 € wert. Würde man diesen Betrag mit dem Faktor 0,262 abzinsen, sei mindestens eine Rückstellung von 81.141,47 € (= 12.388 x 25 x 0,262) anzusetzen. Abweichend davon sei der Berechnung der Rückstellung im Streitfall aber ein deutlich höherer Betreuungsaufwand des Klägers zugrunde zu legen.

11

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2010, 2105). Die Rückstellung sei (nach dem BFH-Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866) dem Grunde nach berechtigt; allerdings sei nur ein Aufwand von 0,5 Stunden pro Vertrag und pro Jahr anzusetzen, so dass die (im Schätzungsweg zu bestimmende) Höhe der Rückstellung 40.911 € betrage.

12

Bei einem Massengeschäft wie dem vorliegenden komme von vornherein nur eine überschlägige Bestimmung anhand der Anzahl der Verträge und dem jeweiligen Mindestaufwand pro Vertrag in Frage. Dafür aber, dass mindestens 1,5 Stunden pro Vertrag und Jahr hätten aufgewendet werden müssen, fehle es an einer näheren Darlegung über in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen, aus denen dies zu folgern wäre. Bei wie vielen Lebens- und Rentenversicherungsverträgen im Jahr 2004 Tätigkeiten zur Bestandspflege angefallen seien, sei heute ebenfalls nicht mehr feststellbar. Auch insoweit könnten deshalb keine Rückschlüsse auf einen zukünftigen Betreuungsaufwand gezogen werden. Bei Zugrundelegung eines Arbeitsaufwandes von 1,5 Stunden im Jahr ergäbe sich --bezogen auf die durchschnittliche Laufzeit von 25 Jahren-- ein Betreuungsaufwand von 37,5 Stunden je Vertrag, was dem erkennenden Senat deutlich zu hoch erscheine, zumal Verträge vorhanden seien, die unstreitig keinerlei Betreuungsaufwand erforderten, und bei den anderen Verträgen Betreuungsleistungen allenfalls in zeitlichen Abständen von mehreren Jahren anfielen. Bei Würdigung der vom Kläger dargestellten Möglichkeiten, bei denen durch die Betreuung von Lebens- und Rentenversicherungsverträgen ein Aufwand entstehen könne, sei nur der Ansatz eines Betreuungsaufwandes von lediglich einer halben Mitarbeiterstunde je Vertrag und Jahr bzw. einer durchschnittlichen Betreuungsleistung von 12,5 Stunden je Vertrag gerechtfertigt.

13

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts:

14

(1) Das FG nehme zu Unrecht an, dass es sich bei der zu erbringenden Nachbetreuung um eine wesentliche Nebenleistung handele. Eine Verpflichtung zur Rückstellungsbildung sei zu verneinen, wenn der künftige Aufwand als unwesentlich anzusehen sei (BFH-Urteile vom 18. Januar 1995 I R 44/94, BFHE 177, 61, BStBl II 1995, 742; vom 15. November 1960 I 189/60 U, BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48). Die Verpflichtung sei nicht nach dem Aufwand für das einzelne Vertragsverhältnis, sondern nach der Bedeutung der Verpflichtung für das Unternehmen zu beurteilen (BFH-Urteil vom 25. März 1992 I R 69/91, BFHE 168, 527, BStBl II 1992, 1010). Eine Zusammenfassung aller zu betreuenden Verträge zu einer Bewertungseinheit sei nicht vorzunehmen; die Gesamtsumme der Einzelverpflichtungen sei unerheblich. Der Umstand, dass das Versicherungsunternehmen die Nachbetreuung nicht mehr durch eine laufende Folgeprovision vergüte, sei ein Indiz, dass auch das Versicherungsunternehmen die Verpflichtung als unwesentlich ansehe. In der Mehrzahl der abgeschlossenen Lebensversicherungen erscheine es unwahrscheinlich, dass überhaupt ein Nachbetreuungsaufwand entstehe.

15

Das FA sehe sich durch den BFH-Beschluss vom 18. März 2010 X R 20/09 (BFH/NV 2010, 1796) bestätigt; der Betrag von 39,30 € je Vertrag liege deutlich unter der Grenze des § 6 Abs. 2 EStG.

16

Sollte eine Rückstellung dem Grunde nach zulässig sein, sei die Schätzung des Betreuungsaufwandes entschieden zu hoch. Der Kläger habe keine Aufzeichnungen über die erforderlichen Arbeiten vorgelegt; die Aufklärungsanordnung des FG sei weitgehend unbeantwortet geblieben.

17

(2) Die Revision der Kläger sei zumindest unbegründet. Der Behauptung, dass der Versicherung die Nachbetreuung des Kunden 12.388 € wert sei, sei zu widersprechen. Mit der Vertragsänderung hätten sich auch die Vergütungskonditionen verändert.

18

Das FA beantragt,

19

das angefochtene Urteil aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Revision der Kläger zurückzuweisen.

20

Die Kläger beantragen,

21

die Revision des FA zurückzuweisen, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 27. August 2009 (unter Berücksichtigung einer Rückstellung in Höhe von 81.141 €) die Einkommensteuer auf 17.297 € herabzusetzen.

22

(1) Die Bearbeitung von Versicherungsverträgen sei keine unwesentliche Nebenleistung. Der Z-AG sei die Nachbetreuung pro Jahr 12.388 € wert. Für einen Teil der Versicherungen werde eine Bestandspflegeprovision bezahlt, für die anderen nicht; nur bei diesen bestehe ein Erfüllungsrückstand. Die unterschiedliche Behandlung der Nachbetreuung durch die Versicherung (Bestandspflegeprovision oder höhere Abschlussprovision) zeige deutlich, dass der Nachbetreuung erhebliche Bedeutung zukomme. Ihn, den Kläger, treffe eine Nachbetreuungsverpflichtung für seinen gesamten Kundenstamm. Auch die Rückstellung für Jahresabschlusskosten könne nicht auf die Kosten für die einzelnen Buchungen verteilt werden. Entgegen der Auffassung des FA habe sich vom 1. Dezember 2000 an die Vertragslage nicht geändert. Für die Altverträge würden immer noch Bestandspflegeprovisionen gezahlt. Der Versicherer würde auch für die Neuverträge diese Beträge zahlen, wenn er, der Kläger, sich nicht für die Zahlung der höheren Provisionen entschieden hätte. Die im Einzelnen zu erbringenden Leistungen seien im Schriftsatz vom 31. August 2007, Seite 4 und im Schriftsatz vom 7. Dezember 2007 genau bezeichnet worden. Im Revisionsverfahren könne das FA die Schätzung nicht angreifen.

23

Der Beschluss in BFH/NV 2010, 1796 sei zu Rechnungsabgrenzungsposten ergangen; es habe mit Rückstellungen nichts zu tun. Eine Auflösung der Rückstellung komme nur bei wesentlichen Bestandsänderungen in Betracht.

24

(2) Ihre eigene Revision stützen die Kläger auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

25

Es sei ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass ein Versicherer nichts verschenke; der nachgewiesene Betrag von 12.388 € sei daher zwingend der Mindestbetrag. Daraus errechne sich --abgezinst-- eine Rückstellung von 81.141 €. Die Aufklärungsrüge sei begründet; für die Bemessung der Rückstellung komme es nicht auf den tatsächlichen Betreuungsaufwand für das Jahr 2004 an, sondern auf den voraussichtlichen Betreuungsaufwand in den Folgejahren. Aus Aufzeichnungen könne auf die Verhältnisse der Vergangenheit geschlossen werden; Aufzeichnungen aus drei Monaten dürften --angesichts der Vielzahl der Versicherungsverträge-- genügen.

26

Das BMF ist dem Verfahren beigetreten und trägt vor: Für die Beantwortung der Frage, ob eine Nebenpflicht wesentlich sei, gebe es kein allgemeingültiges quantitatives Kriterium. Die Zahlung einer einmaligen Abschlussprovision spiegele die zu erbringende Arbeitsleistung des Versicherungsvertreters ausreichend wider. Da die Versicherung keine Bestandspflegeprovision zahle, sei davon auszugehen, dass auch keine wesentliche Verpflichtung bestehe. Sollte eine Rückstellung dem Grunde nach zulässig sein, sei zu berücksichtigen, dass der Steuerpflichtige die Feststellungslast trage. Die einzelnen Nachbetreuungsleistungen seien aufzuzeichnen; spätere Aufzeichnungen seien problematisch. Ggf. sei die Rückstellung ratierlich aufzulösen.

Entscheidungsgründe

27

II. Die Revision des FA ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben, die Sache wird gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG zurückverwiesen.

28

1. Gemäß § 5 Abs. 1 EStG sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden; geboten ist ein Bilanzausweis u.a. aber bei Vorleistungen und Erfüllungsrückständen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. Juni 1997 GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735, m.w.N.). Es entspricht der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass Rückstellungen wegen Erfüllungsrückstandes zu bilden sind, wenn ein Versicherungsvertreter die Abschlussprovision nicht nur für die Vermittlung der Versicherung, sondern auch für die weitere Betreuung des Versicherungsvertrags erhält (Urteil in BFHE 207, 205, BStBl II 2006, 866; Senatsurteil vom 9. Dezember 2009 X R 41/07, BFH/NV 2010, 860; vgl. auch Wendt, Festschrift für Herzig, Unternehmensbesteuerung, 2010, 517; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 30. Aufl., § 5 Rz 84 und Rz 550, Stichwort "Bestandspflege").

29

a) Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen eine dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit gegenüber einem anderen voraus; es genügt, dass Grund und Höhe wahrscheinlich sind (Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 5 Rz 361, 376). In zeitlicher Hinsicht muss die Verbindlichkeit in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sein; es muss bereits bis zum Bilanzstichtag eine wirtschaftliche Belastung eingetreten sein (BFH-Urteile vom 19. Oktober 2005 XI R 64/04, BFHE 211, 475, BStBl II 2006, 371, und vom 29. November 2007 IV R 62/05, BFHE 220, 85, BStBl II 2008, 557).

30

b) Dem Einwand des FA, die Bildung der Rückstellung sei wegen Unwesentlichkeit der Verpflichtung ausgeschlossen (ebenso Nichtanwendungserlass des BMF vom 28. November 2006, BStBl I 2006, 765), vermag der Senat nicht zu folgen. Es fehlt bereits an einer rechtlichen Grundlage für die Annahme, die Bildung einer Rückstellung sei nur bei wesentlichen Verpflichtungen zulässig (dazu unten aa). In jedem Fall wäre die hier gegebene --langfristige und mit erheblichen Aufwendungen verbundene-- Verpflichtung aber als "wesentlich" anzusehen (dazu unten bb).

31

aa) Den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Regelungen des EStG lässt sich keine Einschränkung der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen auf wesentliche Verpflichtungen entnehmen. Entgegen der Auffassung des FA folgt ein solcher Rechtssatz auch nicht aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.

32

(1) In dem genannten BMF-Schreiben ist ausschließlich das BFH-Urteil in BFHE 177, 61, BStBl II 1995, 742, unter II.5. erwähnt. Dort verweist der BFH auf frühere Rechtsprechung zur Bedeutung unwesentlichen Aufwands. Tragend ist diese Urteilspassage jedoch nicht, weil der BFH im konkreten Fall die Wesentlichkeit bejaht hat.

33

(2) Verfolgt man die Verweise in dem genannten BFH-Urteil zurück, zeigt sich, dass auch das BFH-Urteil vom 25. Februar 1986 VIII R 134/80 (BFHE 147, 8, BStBl II 1986, 788, unter II.3.) keine tragenden Aussagen zu den hier interessierenden Fragen enthält. Vielmehr findet sich lediglich ein knapper Verweis auf frühere Rechtsprechung, wobei die Wesentlichkeit im konkreten Fall bejaht worden ist. Dabei ging es um eine Verpflichtung zur Erstellung von Abrechnungen; die Rückstellung belief sich auf 3,9 % des Forderungsbetrags.

34

(3) Letztlich verweisen die beiden vorgenannten BFH-Entscheidungen auf das BFH-Urteil in BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48. Dabei handelt es sich --soweit ersichtlich-- um die einzige Entscheidung, in der der vom BMF herangezogene "Wesentlichkeitsgrundsatz" bisher tragende Bedeutung erlangt hat.

35

In der Sache selbst ging es um die Bewertung von Rückstellungen für die Rückvergütung von Rabattmarkenheften. Zwischen den dortigen Beteiligten war unstreitig, dass die Verpflichtung der Klägerin aus der künftigen Einlösung von Rabattmarken um den Anteil an Heften zu kürzen war, die erfahrungsgemäß niemals mehr zurückgegeben wurden. Das FA wollte die Rückstellung aber darüber hinaus noch um 300 DM bzw. 400 DM je Bilanzstichtag für die künftige Einlösung sog. "Schlussmarken" kürzen. Dabei handelte es sich um einen Teilbetrag von 0,15 DM je Markenheft im Wert von 3,15 DM, den die dortige Klägerin bei den künftigen Einlösungsvorgängen einbehalten hatte. Diese weitere Kürzung der Rückstellung --so der BFH-- könne aus Vereinfachungsgründen unterbleiben, da es sich um Kleinbeträge handele, die in den ersten Monaten des folgenden Geschäftsjahrs ausgeglichen würden und deshalb das Ergebnis nicht wesentlich beeinflussten.

36

In dieser Entscheidung hat der BFH --anders als das BMF offenbar meint-- nicht etwa die Bildung einer Rückstellung unter Verweis auf deren angebliche Unwesentlichkeit versagt, sondern er ist einer Kürzung der gebildeten Rückstellung durch das FA nicht gefolgt, weil die Kürzung nur unwesentlich sei.

37

bb) Selbst wenn die Bildung von Rückstellungen für unwesentliche Verpflichtungen --entgegen der Auffassung des Senats-- unzulässig wäre, müsste der Senat aufgrund der den Streitfall prägenden Umstände die von dem Kläger übernommenen künftigen Betreuungspflichten als "wesentlich" würdigen.

38

Der Sachverhalt, der der unter aa (3) genannten BFH-Entscheidung zugrunde lag, ist nicht einmal ansatzweise mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Denn die Betreuungsverpflichtung für Lebensversicherungsverträge realisiert sich bei dem Kläger nicht bereits innerhalb der ersten Monate des folgenden Geschäftsjahrs, sondern verteilt sich über die folgenden 25 Jahre. Der absolute Betrag der Rückstellung liegt im Streitfall um Größenordnungen oberhalb der in dem angeführten BFH-Urteil einschlägigen 300 bzw. 400 DM.

39

cc) Entgegen der Auffassung des FA ist für die Beurteilung der Wesentlichkeit nicht auf die künftigen Betreuungsaufwendungen für den einzelnen Vertrag, sondern auf die im Unternehmen des Klägers künftig insgesamt anfallenden Aufwendungen für die Betreuung abzustellen. Für die vom FA vertretene Atomisierung der Verpflichtungen bietet weder das Gesetz noch die bisherige Rechtsprechung eine Grundlage. Vielmehr ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt, dass nicht der Aufwand für das einzelne Vertragsverhältnis, sondern die Bedeutung der Verpflichtung für das Unternehmen maßgebend ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 177, 61, BStBl II 1995, 742, unter II.5., betr. die einzelnen Jahresabrechnungen eines Versorgungsunternehmens). Auch in dem unter aa (3) angeführten BFH-Urteil in BFHE 72, 126, BStBl III 1961, 48 ist die Bildung einer Rückstellung für die künftige Einlösung von Rabattmarkenheften zugelassen worden, obwohl pro Heft lediglich 3 DM auszuzahlen waren und sich die Wesentlichkeit erst aus der Summe der --jeweils nur geringfügigen-- Einzelverpflichtungen ergab.

40

dd) Das FA kann sich auch nicht auf den Beschluss des erkennenden Senats in BFH/NV 2010, 1796 berufen, nach dem es einem Steuerpflichtigen erlaubt ist, in Fällen von geringer Bedeutung (nach dem Maßstab des § 6 Abs. 2 EStG) auf eine genaue Abgrenzung zu verzichten. Zum einen war der Steuerpflichtige nach wie vor zum Bilanzansatz berechtigt, zum anderen sind die Größenverhältnisse des Streitfalls auch nicht ansatzweise vergleichbar.

41

2. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht dessen Würdigung, der Kläger sei rechtlich zur Nachbetreuung der Versicherungsverträge verpflichtet. Zwar bindet die Vertragsauslegung des FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO den BFH, wenn sie den Auslegungsgrundsätzen entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25. Februar 2009 IX R 76/07, BFH/NV 2009, 1268). Im Streitfall sind die vom FG getroffenen Feststellungen, dass die Verpflichtungen des Klägers auf dem Vertrag vom 21. Oktober 1998 in Verbindung mit dem Nachtrag vom 8. Dezember 2000 bzw. 8. Januar 2001 beruhten, indes zu vage, als dass hieraus die von den Klägern behaupteten umfangreichen Rechtspflichten gegenüber dem Versicherungsunternehmen abgeleitet werden könnten. Das FG begnügt sich mit dem Hinweis auf den Vertrag, ohne auf den Inhalt und den Umfang der Pflichten einzugehen. In dem Vertretungsvertrag (Muster, Einkommensteuerakte Bl. 45) heißt es: "Um die bestehenden Versicherungen zu erhalten, pflegt der Vertreter im Rahmen seiner Möglichkeiten laufend Kontakt mit den Versicherungsnehmern, berät sie aus eigener Initiative oder auf deren Wunsch. Ziel ist es dabei immer, dass der Kunde umfassend versichert ist und bleibt." Diese Formulierungen deuten eher darauf hin, dass die laufende Kontaktaufnahme dem Abschluss weiterer Verträge dienen soll. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Kläger folgt eine entsprechende Verpflichtung auch nicht unmittelbar aus § 84 des Handelsgesetzbuchs (HGB). Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 HGB ist der Handelsvertreter ständig damit betraut, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Werbung und Betreuung sind daher nicht kennzeichnend oder bestimmend für diesen Vertragstyp (vgl. Hopt, in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl., § 84 Rz 22 f., 41 f.). Das FG wird deshalb im zweiten Rechtsgang die Frage zu klären haben, ob und in welchem Umfang der Kläger zur Betreuung der Lebens-, Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherungen im Einzelnen rechtlich verpflichtet war. Leistungen, die der Kläger gegenüber seinen Kunden ohne Rechtspflicht erbracht hat, sind für die Bemessung der Rückstellung irrelevant (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2010, 860).

42

3. Sofern die weiteren Ermittlungen des FG ergeben, dass eine Rechtspflicht zur weiteren Betreuung der abgeschlossenen Versicherungsverträge bestanden hat, sind hinsichtlich der Höhe der Rückstellung folgende Grundsätze zu beachten:

43

a) Die Nachbetreuungsverpflichtung ist eine Sachleistungsverpflichtung i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG; sie ist mit den Einzelkosten und den Gemeinkosten zu bewerten.

44

b) Abzustellen ist auf die Anzahl der Versicherungsverträge, für die noch künftige Betreuungsleistungen aufgrund rechtlicher Verpflichtung zu erbringen sind, für die aber kein weiteres Entgelt beansprucht werden kann.

45

Einbezogen werden dürfen nur Leistungen für die Betreuung bereits abgeschlossener Verträge. Werbeleistungen mit dem Ziel, Kunden (auch Bestandskunden) zu neuen Vertragsabschlüssen zu veranlassen (Einwerbung von Neugeschäften), sind nicht rückstellbar.

46

Nicht einzubeziehen ist der Aufwand für die eigene künftige Arbeitsleistung des Betriebsinhabers; Vertreter ohne angestelltes Personal können daher von vornherein keine Rückstellung bilden. Sollte neben dem angestellten Personal auch der Einzelunternehmer selbst in die Betreuung eingeschaltet sein, könnte für den von ihm erbrachten Teil der Leistungen ebenfalls keine Rückstellung gebildet werden.

47

c) Für die Höhe der Rückstellung ist der jeweilige Zeitaufwand für die Betreuung pro Vertrag und Jahr von entscheidender Bedeutung; zur Darlegung des (voraussichtlichen) Zeitaufwandes ist im Einzelnen notwendig:

48

- die genaue Beschreibung der einzelnen Betreuungstätigkeiten; die Darstellung muss das FA und das FG in die Lage versetzen, anhand der rechtlichen Anforderungen zu prüfen, ob der Aufwand für die jeweilige Tätigkeit zur Bildung einer Rückstellung berechtigt;

49

- die Angabe, welchen Zeitbedarf die jeweilige Tätigkeit mit sich bringt, wenn sie im Einzelfall anfällt;

50

- die Angabe, wie oft die jeweilige Tätigkeit über die Gesamtlaufzeit des jeweiligen Vertrags zu erbringen ist;

51

- die Höhe der Personalkosten pro Stunde Betreuungszeit;

52

- die Laufzeit bzw. Restlaufzeit der einzubeziehenden Verträge; dabei ist vor allem auch der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass ein Teil der Verträge vorzeitig gekündigt wird.

53

d) Neben dem zeitlichen Umfang der Betreuungsleistungen ist für die Bemessung der Rückstellung der Stundenlohn der vom Kläger für die Nachbetreuung eingesetzten Mitarbeiter von Bedeutung. Wie das FG sieht auch der Senat konkret keine Veranlassung, die vom Kläger angesetzten Beträge in Höhe von 12 € zu beanstanden.

54

e) Kommt das FG im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis, dass eine Rückstellung für Erfüllungsrückstand auszuweisen ist, wird diese gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG --wie bereits im ersten Rechtsgang geschehen-- abzuzinsen sein.

55

4. Über die unter 3. bezeichneten Angaben sind Aufzeichnungen zu führen und vorzulegen.

56

a) Diese Aufzeichnungen müssen so konkret und spezifiziert sein, dass eine angemessene Schätzung der Höhe der zu erwartenden Betreuungsaufwendungen möglich ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass eine Rückstellung ein Passivposten ist, der eine dem Grund und/oder der Höhe nach noch ungewisse (also nur wahrscheinliche) künftige Verbindlichkeit zum Ausdruck bringt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Rückstellung jedes Jahr angepasst werden muss und jedes Jahr zu prüfen ist, in welchem Umfang der rückgestellte Aufwand tatsächlich eingetreten ist und ob für die Zukunft Korrekturen vorzunehmen sind.

57

Dieser Natur des Rückstellungspostens entsprechend (Schätzung von Aufwand, der auf u.U. sehr langfristigen Verpflichtungen beruht) kann ggf. auch auf spätere Aufzeichnungen zurückgegriffen werden, sofern sie geeignet sind, die voraussichtlich anfallenden Kosten zu belegen.

58

b) Die laufenden Aufzeichnungen sind "vertragsbezogen" zu führen; der Steuerpflichtige hat zu belegen, welche einzelnen Tätigkeiten (z.B. Fälle von Namens- und Adressenänderungen, Beitragsfreistellungen, Baufinanzierungen, Abtretungen, Änderungskündigungen) in welcher Häufigkeit mit welchem Zeitaufwand über die Gesamtlaufzeit des einzelnen Vertrags (typischerweise) anfallen werden. Diese Prüfung muss nicht für alle Verträge einzeln vorgenommen werden; im Einzelfall können fundierte Stichproben (z.B. anhand eines bestimmten Prozentsatzes der Verträge oder nach bestimmten Anfangsbuchstaben der Kundennamen) ausreichen, um eine hinreichende Rückstellungswahrscheinlichkeit zu begründen.

59

c) Die Richtigkeit der vorgenommenen Aufzeichnungen kann im Einzelfall verprobt werden durch eine Gegenüberstellung von Verträgen ohne Bestandspflegeprovision mit Verträgen mit Bestandspflegeprovision. Dabei muss die Vergleichbarkeit der Versicherungen gewährleistet sein; so darf etwa der Teil der Bestandspflege, der auf den Inhaber der Versicherungsagentur entfällt, nicht berücksichtigt werden.

60

d) Eine derartige Dokumentation der Beratungsleistungen erlegt dem Steuerpflichtigen keine unangemessenen und unverhältnismäßigen Belastungen auf. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass der zu führende Belegnachweis sich auf Vorgänge bezieht, die sich allein in der Sphäre des Steuerpflichtigen zugetragen haben und die zu einem späteren Zeitpunkt nur in eingeschränktem Umfang und nur mit erheblichem Ermittlungsaufwand auf ihre zutreffende Erfassung hin überprüft werden können (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 9. November 2005 VI R 27/05, BFHE 211, 508, BStBl II 2006, 408, unter II.1.c, zu den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch). Zum anderen sind auch angesichts der Höhe und der Zeitdauer des vom Kläger geltend gemachten Erfüllungsrückstandes aussagekräftige Aufzeichnungen geboten.

61

5. Zutreffend ist das FG im ersten Rechtsgang davon ausgegangen, dass die Kläger letzten Endes die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die von ihnen behaupteten Aufwendungen für Betreuungsleistungen tragen. Da es sich um Angaben aus der Sphäre der Steuerpflichtigen handelt, die von der Finanzverwaltung regelmäßig nur eingeschränkt nachgeprüft werden können und die zudem der Herbeiführung einer Steuerminderung dienen, tragen die Steuerpflichtigen die volle Feststellungslast für ihre entsprechenden Tatsachenbehauptungen (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 2007 X R 11/07, BFHE 220, 3, BStBl II 2008, 335).

III.

62

Die Revision der Kläger ist ebenfalls begründet; auch im Umfang der Klageabweisung beruht das angefochtene Urteil auf der beanstandeten Vertragsauslegung (s. oben unter II.2.).