Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2017 - 2 StR 174/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:130617B2STR174.17.0
bei uns veröffentlicht am13.06.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 174/17
vom
13. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:130617B2STR174.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Angeklagten am 13. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten der Angeklagten und zur Schuldunfähigkeit aufrecht erhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet die Angeklagte unter einer organisch bedingten schizophrenieformen Psychose. In der Zeit von Dezember 2012 bis Mai 2015 wurde sie dadurch auffällig, dass sie Bettler beschimpfte und körperlich angriff. Dabei war sie nicht in der Lage, das Unrecht der Tat einzusehen.
3
Am 9. Mai 2013 beschimpfte die Angeklagte den aus Rumänien stammenden Zeugen A. , dessen rechtes Bein amputiert ist und der auf der Straße saß und bettelte. Sie forderte ihn auf wegzugehen und erklärte, er habe als Ausländer hier nichts zu suchen. Sie warf das Körbchen des Geschädigten mit dem erbettelten Geld um und zog an seiner Jacke. Schließlich trat sie ihn mindestens zweimal gegen den nackten Stumpf des amputierten Beines (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
4
Am 14. Mai 2013 griff sie den Zeugen A. erneut in gleicher Weise an (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
5
Am 3. Juni 2013 beschimpfte sie den Zeugen M. , der ebenfalls als Bettler auf der Straße saß. Sie erklärte, dass er hier weg müsse. Dann schubste sie den Geschädigten und trat gegen die vor ihm stehende Spendendose. Schließlich trat sie auch gegen seinen verkrüppelten Fuß (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
6
Am 13. Juni 2013 trat die Angeklagte den Zeugen G. gegen die Beine und nahm das von ihm erbettelte Geld weg. Dann betrat sie laut schreiend die Verkaufsräume des Teeladens der Firma E. , wo sie Ge bäck aus den Regalen auf den Fußboden warf. Die Angestellte Z. begleitete sie vor das Ladenlokal. Davor trat die Angeklagte gegen einen Warenträger und würgte die Zeugin Z. am Hals (Fall II. 4. der Urteilsgründe).
7
Am 26. Oktober 2013 traf die Angeklagte wieder auf den Zeugen A. . Sie beschimpfte ihn und trat ihn gegen die rechte Hand. Danach lag der Geschädigte auf dem Rücken, das erbettelte Geld lag um ihn herum verstreut. Die Angeklagte beschimpfte den Geschädigten als „Pack“ und erklärte, sie sei eine Verfechterin „deutscher Rechte“ (Fall II. 5. der Urteilsgründe).
8
2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, die Angeklagte sei zur Tatzeit infolge ihrer krankhaften seelischen Störung nicht in der Lage gewesen, das Unrecht ihrer Handlungen einzusehen. Sie habe geglaubt, sie erfülle einen göttlichen Auftrag, die von ihr als „Heuchler“ angesehenen rumänischen Bettler, die der „Mafia“ angehört hätten, anzugehen und dafür zu sorgen, dass sie ihrer Bettelei nicht länger nachgingen und Deutschland verließen. Sie sei von Dezember 2012 bis Mai 2015 auffällig geworden, indem sie Bettler beschimpft oder körperlich attackiert habe. Nach dem 12. Mai 2015 sei- en keine weiteren Übergriffe mehr „polizeibekannt“ geworden.
9
Das Landgericht hat die Angeklagte deshalb wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB freigesprochen und gemäß § 63 Satz 1 StGB ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, aber die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Dazu hat es ausgeführt, die rechtswidrigen Taten seien der mittleren Kriminalität zuzuordnen. Sie beruhten auf der psychischen Erkrankung der Angeklagten. Es sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass von der Angeklagten infolge ihrer Erkrankung weitere gleichartige Taten zu erwarten seien. Allein die Tatsache, „dass sie nach Mai 2015 bis heute keine weiteren Körperverletzungen begangen hat“, beseitige diese Einschätzung nicht. Die Angeklagte habe dazu angegeben, dass sie ihrem „Beruf derzeit nur deswegen nicht nachgehe, da der Richter am Amtsgericht ihr gesagt habe, dass sie das nicht dürfe und, wenn sie einen Bettler sehe, diesem aus dem weg gehen solle. Da man sich an das Gesetz halten müsse, halte sie sich auch hieran.“ Weil die Angeklagte aber gleichwohl keinen Abstand von ihren falschen Vorstellungen genommen habe, bestehe die Gefahr erneuter Straftaten fort. Die Äußerung, dass sie wegen der richterlichen Ermahnung Bettlern aus dem weg gehe, rechtfertige jedoch die Aussetzung der Vollziehung der Maßregel zur Bewährung.

II.

10
1. Der Maßregelausspruch gemäß § 63 Satz 1 StGB ist rechtlich zu beanstanden. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Angeklagte bei der Begehung der rechtswidrigen Taten unfähig war, das Unrecht ihrer Handlungen einzusehen. Jedoch hat es die für eine Unterbringungsanordnung vorausgesetzte Prognose nicht ausreichend begründet.
11
a) Die unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 mwN). Einzustellen sind die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 mwN).
12
b) Diesen Anforderungen wird die Prognose des Landgerichts nicht gerecht.
13
Die Anlasstaten wurden im Mai, Juni und Oktober 2013 von der Angeklagten begangen. Dass danach noch bis Mai 2015 vergleichbare Körperverletzungen begangen wurden, ist nicht festgestellt. Der durch eine Polizeibeamtin als Zeuge mitgeteilte Umstand, dass die Angeklagte bis Mai 2015 „häufig poli- zeilich auffällig geworden“ sei, genügt nicht. Wenn ein Täter aber trotz fortbe- stehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, so ist dies ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger sol- cher Taten (vgl. Senat, Urteil vom 10. Dezember 2014 - 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73; Beschluss vom 23. November 2016 - 2 StR 108/16).
14
Es erscheint zudem widersprüchlich, wenn das Landgericht die bisherige Beachtung der richterlichen Ermahnung durch die Angeklagte nicht als ausreichenden Grund gegen eine Maßregelanordnung gewertet hat, während esdie Entscheidung über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung auf die Erwartung gestützt hat, die Angeklagte werde sich weiter an die richterliche Aufforderung halten, Bettlern aus dem weg zu gehen.
15
2. Die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten und zu der zur Tatzeit sicher vorliegenden Schuldunfähigkeit der Angeklagten sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können aufrechterhalten bleiben. Insoweit ist die Revision unbegründet.
16
3. Eine Aufhebung des Freispruchs mit Blick auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2017 - 4 StR 619/16 mwN) ist hier nicht angezeigt, weil auszuschließen ist, dass der neue Tatrichter zu einem Schuld- und Strafausspruch gelangen kann. Krehl Eschelbach Zeng Bartel Grube

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 79/16
vom
7. Juni 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR79.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Der Unterbringungsanordnung liegen als von der Antragsschrift erfasste Anlasstaten eine gefährliche Körperverletzung sowie Bedrohungen zugrunde. Die gefährliche Körperverletzung beging der Beschuldigte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen am Morgen des 25. Januar 2015 zum Nachteil eines Bediensteten der JVA D. , auf den er bei der Ausgabe des Frühstücks mit einer Porzellankaffeekanne einschlug. Drei der vom Landgericht als Bedrohungen eingeordneten Taten beging er ebenfalls zum Nachteil von JVA-Bediensteten, nachdem er im Anschluss an die gefährliche Körperverletzung in einen besonders gesicherten Haftraum (Drohung mit „Abstechen“) bzw. zur Versorgung eines nach dem Körperverletzungsgeschehen erlittenen Kiefer- bruchs in eine Klinik verbracht worden war („schlage ich euch mit dem Baseballschläger den Kopf ein“). Eine weitere Bedrohung „ggfs. auch weiterer Bediensteter der JVA“ (UA S. 41) nimmtdas Landgericht bezüglich eines Vorfalls vom 27. Januar 2015 gegenüber zwei Mitarbeiterinnen eines Justizvollzugskrankenhauses an, in das der Beschuldigte verlegt worden war. Ihnen gegenüber drohte der Beschuldigte, er werde ihnen „die Augen ausstechen und sie töten“.
3
Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer weist das Bundeszentralregister für den Beschuldigten für den Zeitraum von 1999 bis zum 18. Dezember 2014 insgesamt 23 Einträge auch wegen Körperverletzungsdelikten (2001, 2005, 2006, zweimal 2008, 2009, 2013), Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (2006, dreimal 2008) oder Bedrohung (2005, 2006) aus. In den Jahren 2011 bis März 2015 verbüßte er mehrere Freiheitsstrafen; 2009 war gegen ihn ferner – neben einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden , die bis März 2011 auch vollzogen wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen oder die Anwendung von §§ 20, 21 StGB erwähnt das Landgericht bei keiner dieser Taten bzw. Eintragungen. Zu der Maßregelanordnung im Jahr 2009 teilt das Urteil lediglich mit, dass die Sachverständige einen Hang des Beschuldigten , alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht habe. Aus dem Vollzug dieser Maßregel wird mitgeteilt, dass sein „dissoziales Verhalten ... kaum er- träglich erschien“ und bei ihm bei „kleinsten Belastungen oder Unklarheiten“ Wahn- und Verfolgungsideen festgestellt worden seien, die sich aber wieder legten, „wenn sich die Situation klärte“ (UA S. 14 f.).
4
Ferner teilt das Urteil mit, dass ein Sachverständiger in einem – in einem anderen Strafverfahren gegen den Beschuldigten – erstatteten Gutachten im März 2015 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es sich beim Beschuldigten „um einen voll schuldfähigen Menschen mit dissozialer Persönlichkeit handle“ (UA S. 23), während ein anderer Sachverständiger im selben Monat beim Beschuldigten eine paranoide Psychose sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt habe (UA S. 25). Die Strafkammer geht – dem in der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachten folgend – dagegen davon aus, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leide und gelitten habe, aufgrund derer zu den Tatzeiten seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei; es habe sich um „typische Impulstaten eines Psychotikers“ gehandelt. Der Beschuldigte sei schon „in früherer Zeit“ auffällig gewesen, wie insbesondere die strafrechtlichen Vorbelastungen zeigten (UA S. 37); paranoide Akzente zögen sich „bereits seit längerer Zeit durch das Leben des Beschuldig- ten“ (UA S. 37). Hinsichtlich der Unterbringung nach § 64 StGB sei anzuneh- men, dass sie „schlicht in die ‚falsche Richtung’ gegangen sei und damals schon das eigentlich bei dem Beschuldigten bestehende Problem verkannt worden sei“ (UA S. 39).
5
2. Die Unterbringungsanordnung hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27).
7
Neben der sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13). Denn auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung gebessert werden könnte, da nur die Belange der öffentlichen Sicherheit – nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten – es rechtfertigen können , einen Menschen mit den Mitteln des Strafrechts auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (BGH aaO).
8
b) An einer nachvollziehbaren Darlegung der zukünftigen krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Beschuldigten mangelt es dem angefochtenen Urteil.
9
aa) Auch wenn sich die Feststellung einer durch den Hang bereits indizierten Gefährlichkeit bei § 66 StGB von der auf einem der in § 20 StGB aufgeführten Zustände beruhenden Gefährlichkeit bei § 63 StGB unterscheidet, sind – nicht anders als bei § 66 StGB (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 13. März 2013 – 2 StR 392/12) – auch (und insbesondere) für die im Rahmen des § 63 StGB anzustellende Gefährlichkeitsprognose etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01, NJW 2004, 739, 743; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 538, 541). So ist einerseits als ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73; vom 8. Oktober 2015 – 4 StR 86/15 jeweils mwN). Andererseits kann sogar lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11). Maßgeblich sind insofern insbesondere die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in zukünftigen Risikosituationen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 – 5 StR 296/09, NJW 2010, 245).
10
Ausgehend hiervon hätte es näherer Darlegungen bei der Gefährlichkeitsprognose dazu bedurft, ob und inwiefern die früher abgeurteilten Taten in Zusammenhang mit der nunmehr festgestellten Erkrankung des Beschuldigten stehen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 541, 543; sowie BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 2 BvR 1690/13). Hierfür reicht nicht aus, dass der Sachverständige – undihm folgend die Strafkammer – diese als „auffällig“ bezeichnete und auf schon längere Zeit vorliegende „paranoide Akzente“ verwies. Ein Zusammen- hang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Beschuldigten ist damit (noch) nicht – wie erforderlich: sicher – festgestellt (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11).
11
bb) Bleiben die früheren Taten außer Betracht, ist die Gefährlichkeitsprognose indes nicht hinreichend nachvollziehbar.
12
Insbesondere kann allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht begründet werden (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15). Maßgeblich sind stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15).
13
Zur mit der Erkrankung des Beschuldigten in Verbindung stehenden Kriminalitätsentwicklung fehlen – wie ausgeführt – tragfähige Feststellungen. Soweit der Beschuldigte nach den Anlasstaten mehrmals in einen hochgradigen und nicht oder kaum mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten ist, ist es zu Tätlichkeiten nicht gekommen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15). Auch waren die von ihm ausgesprochenen Bedrohungen nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385: nahe liegende Gefahr der Verwirklichung).
14
Die Krankheitsgeschichte des Beschuldigten ist vom Landgericht – über die Unterbringung nach § 64 StGB hinaus – nur insoweit dargestellt worden, als ein Sachverständiger trotz einer dissozialen Persönlichkeitsstörung noch die „volle“ Schuldfähigkeit bejaht hat, einweiterer Sachverständiger – ebenfalls im März 2015 – dagegen eine paranoide Psychose und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung angenommen hat, während der (dritte) in der Hauptverhandlung angehörte Sachverständige (nur) eine paranoide Psychose diagnostiziert hat. Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15), fehlen. Da das Urteil abgesehen von dem Hinweis, dass sich für eine Persönlichkeitsstörung „keine Anhaltspunkte“ gefunden hätten (UA S. 39), zudem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den früheren Gutachten ebenso vermissen lässt wie eine nähere Darstellung und Auseinandersetzung mit dem in Zusammenhang mit der Anordnung der Maß- regel nach § 64 StGB erstatteten Gutachten, ermöglicht das Urteil dem Senat nicht, die Entscheidung – wie erforderlich – nachzuvollziehen.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/16
vom
21. Dezember 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:211216B1STR594.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 21. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 19. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen zwei jeweils als Bedrohung (§ 241 StGB) gewerteter , im Zustand aufgehobener Einsichtsfähigkeit begangener Anlasstaten angeordnet. Die auf eine ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

I.


2
Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
3
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unter- zubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 9; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395 und vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN; siehe Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 16).
4
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
5
a) Bereits die Voraussetzungen einer aufgrund aufgehobener Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beschuldigten bei Begehung der beiden Anlasstaten werden nicht in für den Senat nachvollziehbarer Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt. Erforderlich ist auf der Ebene der Darlegungsanforderungen stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten bzw. Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 11; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 und vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Daran fehlt es bezüglich beider Anlasstaten.
6
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, aufgrund dessen er „oftmals die Realität (verkennt) und nach seinen objektiv falschen Vorstellungen (handelt)“ (UA S. 7, siehe auch UA S. 10). Im Rahmen der Beweiswürdigung ordnet das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, den psychischen Zustand des Beschuldigten als akute polymorphe psychotische Störung (ICD-10 F.23.1.) ein. Beide Anlasstaten würden auf dieser Störung beruhen, weil sich die krankheitsbedingt wahnhaften Vorstellungen des Beschuldigten über einen Zeitraum erstreckt hätten, der beide Tatzeiten umfasse (UA S. 15).
7
bb) Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu der konkreten Ausprägung der psychotischen Störung beschränken sich auf die Beschreibung, der Beschuldigte leide unter der wahnhaften Vorstellung, bereits mehrfach gelebt zu haben und in einem seiner früheren Leben mit der Zeugin S. verlobt gewesen und auch aktuell noch mit ihr verlobt zu sein. Wie sich die „psychotisch intendierte(n) wahnhaft geprägte(n) Psychopathologie“ konkret auf die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bezüglich der Anlasstaten ausgewirkt haben soll, wird in dem angefochtenen Urteil nicht näher ausgeführt. Die Einschätzung des Sachverständigen, der sich das Tatgericht anschließt, erschöpft sich in der Aussage, die Kritikfähigkeit des Beschuldigten sei derart tiefgreifend verändert gewesen, dass die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Handelns sowie in den Realcharakter der Situationen als aufgehoben bewertet werden müsse (UA S. 16). Das lässt eine Darstellung der auf den Beschuldigten bezogenen konkreten Auswirkungen seiner allein konkret benannten wahnhaften Vorstellung mehrfacher Wiedergeburt und des (vermeintlichen) Verlöbnisses mit S. auf die Unrechtseinsichtsfähigkeit bei den beiden Anlasstaten nahezu vollständig vermissen. Näherer Ausführungen sowohl zum psychischen Zustand des Beschuldigten und der Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten hätte es aber auch deshalb bedurft, weil sich das Krankheitsbild seit der ersten festgestellten stationären Behandlung des Beschuldigten im November 2008 bis zu den Taten im September 2015 bzw. Januar 2016 verändert hat und im Verlaufe seiner mehrfachen stationären Aufenthalte wechselnde Diagnosen seitens der behandelnden Ärzte gestellt worden sind (UA S. 4 und 5).
8
cc) Hinsichtlich der Anlasstat zum Nachteil des früheren Betreuers des Beschuldigten, Rechtsanwalt Sc. , (Tat B.1. der Urteilsgründe) erweisen sich die Feststellungen und die zugehörige Beweiswürdigung zudem als in sich widersprüchlich. Das Landgericht hat festgestellt, der Beschuldigte sei bezüglich des an den Betreuer gerichteten Drohbriefs infolge seiner psychischen Erkrankung der Auffassung gewesen, Rechtsanwalt Sc. sei für die erfolgte Kürzung von Sozialleistungen verantwortlich (UA S. 7). Ein Zusammenhang mit dem dargestellten Störungsbild wahnhafter Annahme mehrfacher Wiedergeburt und eines Verlöbnisses mit der Zeugin S. ist insoweit nicht zu erkennen. Die referierte Einlassung des Beschuldigten, er habe durch den Brief den Wechsel seines Betreuers erreichen wollen (UA S. 10 unten), lässt sich mit der Feststellung krankheitsbedingter Fehlwahrnehmung jedenfalls nicht in Einklang bringen , wenn das Störungsbild ausschließlich als eines beschrieben wird, das sich allein auf die Wiedergeburt und das Verhältnis zur Zeugin S. bezieht. Soweit das Landgericht in der Beweiswürdigung zum symptomatischen Zusammenhang zwischen der psychotischen Störung und der Anlasstat zum Nachteil von Rechtsanwalt Sc. ausführt, der Beschuldigte habe – nach Begehung der Tat – gegenüber ihn behandelnden Ärzten im Bezirkskrankenhaus L. angegeben, sein Betreuer sei in seine Wohnung gegangen und habe seine Freundin geschwängert (UA S. 16), ist dies mit der Feststellung, die Verantwortungszuschreibung an den Betreuer für die erfolgte Kürzung der ALG II-Leistungen sei der auslösende Grund für den Drohbrief an den Betreuer gewesen (UA S. 7), ohne nähere Darlegungen kaum zu vereinbaren. Die Widersprüchlichkeiten zwischen Feststellungen und Beweiswürdigung können sich auf die Annahme der Unterbringungsvoraussetzungen ausgewirkt haben. Sowohl für die Beurteilung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen der diagnostizierten Störung und der Anlasstat als auch für die Gefährlichkeitsprognose kommt dem Motiv der Tat zum Nachteil des früheren Betreuers Bedeutung zu.
9
b) Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet.
10
aa) Die für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, der Täter werde infolge seines fortdauernden psychischen Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2StR 239/15; vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. und vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 15 mwN); die Prognose muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f.; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27 sowie BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Einzustellen in die Gefährlichkeitsprognose ist die konkrete Krankheitsund Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH aaO mwN).
11
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, obwohl das Landgericht den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt einer auf einer umfassenden Gesamtwürdigung aufbauenden Prognose erkannt hat. Es beschränkt sich jedoch darauf, dem Sachverständigen in dessen Einschätzung zu folgen, dass im Fall einer erneuten Zuspitzung des psychotischen Geschehens die „Wahninhalte des Beschuldigten impulshaft und handlungsleitend umgesetzt werden“. In sol- chen Situationen sei die Begehung von Aggressions- und Gewaltdelikten bis hin zu Tötungsdelikten sehr wahrscheinlich (UA S. 20). Anknüpfungstatsachen, die die Prognose derartiger zukünftiger Straftaten stützen, führt das angefochtene Urteil nicht auf. Die benannten Umstände der Wiederaufnahme von Alkohol - und Betäubungsmittelkonsum durch den Beschuldigten sowie das Fehlen von Krankheitseinsicht und eines sozialen Empfangsraums stellen zwar allgemein prognostisch ungünstige Umstände dar. Angesichts seit 2008 bestehender – wenn auch bei sich im Verlaufe der Zeit veränderndem Krankheitsbild – psychischer Auffälligkeit, bislang weitgehend ausgebliebener Delinquenz sowie des bisherigen Fehlens von Gewaltdelikten können die genannten Aspekte allein aber nicht tragfähig begründen, warum nunmehr Gewaltdelikte bis hin zu Tötungsdelikten von dem Beschuldigten zu erwarten sein sollen. Konkrete Umstände , die ein Umschlagen von Drohungen hin zu deren Realisierung prognostizieren lassen, benennt das Landgericht nicht. Aus der Art der psychischen Erkrankung als psychische Störung aus dem Formenkreis der Schizophrenie folgt nichts anderes. Zwar kann bei einer derartigen Störung der Tatrichter auch in Bezug auf einen Täter, der zuvor noch nicht oder kaum mit „gewalttätigen Aggressionsdelikten“ aufgefallen ist, die Überzeugunggewinnen, dieser werde mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zukünftig erhebliche Straftaten, wie etwa Körperverletzungsdelikte, begehen (BGH, Beschluss vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 f.; vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Dazu bedarf es aber gerade der sorgfältigen Darlegung derjenigen Umstände, die die entsprechende tatrichterliche Überzeugung tragen (BGH aaO; siehe auch BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Gerade diese Darlegung enthält das angefochtene Urteil aber aus den genannten Gründen nicht.

II.


12
Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter sowohl zu den für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstaten bedeutsamen Umstände als auch zu sämtlichen prognoserelevanten Aspekten umfassende und in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 265/15
vom
10. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:101115B1STR265.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26. März 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten des Diebstahls in acht Fällen, davon in einem Fall versucht, in Tatmehrheit mit Computerbetrug in 16 tatmehrheitlichen Fällen, davon in drei Fällen versucht, unter Einbeziehung weiterer Strafen zu den Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten und von zehn Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts leidet der Angeklagte an „einer schizophrenen Psychose vom paranoid- halluzinatorischen Typ mit einer Wahn- und Residualsymptomatik, welche sein seelisches Gefüge tiefgreifend veränderte, die Sinngesetzlichkeit seiner seelischen Vorgänge und Handlungsabläufe zerriss und die Wirksamkeit seiner normalen rationalen Kontrollmechanismen aufhob“ (UA S. 4). Aufgrund dieser seit 2001 bekannten Erkrankung befand sich der Angeklagte regelmäßig in psychiatrischer Behandlung; er nimmt Medikamente ein. Alkohol konsumierte der Angeklagte bis zu seiner Inhaftierung gelegentlich und „spielte an Automaten , wenn er Geld zur Verfügung hatte“ (UA S. 4).
3
Im Zeitraum von März 2012 bis Juni 2014 entwendete der Angeklagte in sechs Fällen die Geldbörsen älterer Damen in Supermärkten und nahm anschließend mit den darin enthaltenen EC-Karten unter Verwendung der zugehörigen PIN-Nummer Abhebungen an nahegelegenen Geldautomaten vor oder versuchte dies. Feststellungen zum Zustand des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten hat das Landgericht nicht getroffen, in den Gründen des Urteils aber ausgeführt, dass „zwar kein Zusammenhang zwischen der Wahnsympto- matik und den Taten besteht, jedoch aufgrund der chronischen Residualsymptomatik der Schizophrenie die allgemeine Lebensbewältigung des Angeklagten stark eingeschränkt ist, was sich in allgemeiner Unbekümmertheit, Ziel- und Haltlosigkeit und mangelnder Kontrolle des Angeklagten über seine Handlun- gen auswirkt“ (UA S. 11). Vor diesem Hintergrund sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten erhalten, seine Steuerungsfähigkeit jedoch erheblich vermindert gewesen.

II.


4
Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung deshalb nicht stand.
5
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts - oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15; Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 28. Januar 2015 – 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169, 170; vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76 und vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Februar 2015 – 2 StR 420/14; vom 15. Juli 1997 – 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26; Urteil vom 2. April 1997 – 2 StR 53/97, NStZ 1997, 383).
6
Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Das Landgericht hat zwar dargelegt, dass der Angeklagte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften Zustand von einiger Dauer leidet. Das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Wahnsymptomatik und den Anlasstaten hat es jedoch abgelehnt und die bei dem Angeklagten krankheitsbedingt eingetretene Grundbeeinträchtigung in seiner Lebensführung als ausreichend für die Anordnung der Maßregel gehalten. Dies ist rechtsfehlerhaft (vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei Psychosen aus dem Formenkreis der Schizophrenie etwa BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 und vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZRR 2012, 306, 307 jeweils mwN).
7
Das Landgericht war zur Begründung der Unterbringung gehalten, in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und weshalb zwischen dem Zustand des Angeklagten und den abgeurteilten Taten ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Hierauf konnte angesichts der äußeren Umstände des Falles nicht verzichtet werden. Anhand des Tatbilds ist nicht erkennbar , dass den Handlungen eine schizophrene Psychose vom paranoidhalluzinatorischen Typ zugrunde lag. Denn der Angeklagte lebte in beengten finanziellen Verhältnissen und verwendete das durch die Taten erlangte Geld zur Bestreitung seines Lebensunterhalts. Er war nach den getroffenen Feststellungen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg in der Lage, zu seinem Tatmuster passende Opfer sorgfältig auszuwählen und die jeweilige Tathandlung zielorientiert und unbemerkt auszuführen. In den Urteilsgründen des Landgerichts bleibt unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der rechtswidrigen Taten erheblich vermindert gewesen sein soll. Schließlich lässt auch die Feststellung, der Angeklagte habe an Spielautomaten gespielt, sobald er Geld zur Verfügung gehabt habe, eine rechtsfehlerhafte Anwendung des anzulegenden Maßstabs besorgen. Die Prüfung, ob in der Person und den Taten des Angeklagten letztlich nur Eigenschaften hervorgetreten sind, die sich im Rahmen des bei schuldfähigen Menschen regelmäßig anzutreffenden Ursachenspektrums für die Begehung von Straftaten halten oder ob die Taten auf einen psychischen Defekt zurückzuführen sind, ist dem Senat anhand der Urteilsgründe nicht möglich.
8
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Soweit das Landgericht in für das Revisionsgericht nicht nachprüfbarer Weise die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und unter Anwendung des vertypten Strafmilderungsgrundes alle Einzelstrafen den jeweils gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gesenkten Strafrahmen der § 242 Abs. 1 StGB und § 263a Abs. 1 StGB entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2015 – 4 StR 498/14, NStZ-RR 2015, 137, 138 und vom 23. Oktober 2007 – 4 StR 358/07, insoweit in NStZ-RR 2008, 70 nicht abgedr.). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen.

9
3. Der Senat hebt den Maßregelausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatrichter eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter wird sich unter Heranziehung eines Sachverständigen erneut mit der Erkrankung des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei der Begehung der Taten auseinanderzusetzen haben.
Graf Jäger Mosbacher
RinBGH Dr. Fischer ist erkrankt und daher an einer Unterschriftsleistung gehindert. Graf Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 7 0 / 1 4
vom
10. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Dezember
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. Dezember 2013 wird verworfen. 2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Die hiergegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Das - vom Generalbundesanwalt nicht vertretene - Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.

2
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der 36 Jahre alte Angeklagte leidet seit etwa 1996 an einer mittlerweile chronisch gewordenen schweren Psychose aus den schizophrenen Formen- kreis gemäß ICD-10 F 20.0. Typische Symptome seiner Erkrankung sind ein paranoides Wahnerleben und Störungen der Impulskontrolle.
4
a) Als Folge seines Wahnerlebens bedrohte er im Januar 2001 einen Mitbewohner im Obdachlosenheim mit dem Messer und trat im Februar 2001 einer Frau in der Straßenbahn gegen den Oberschenkel. Am 3. November 2010 wurde er wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte im Sommer 2009 einer Frau unvermittelt eine Plastiktüte über den Kopf stülpte, ihr mit einer Hand den Mund zuhielt und mit der anderen die Schulter umklammerte. Nach einem Gerangel, bei dem beide einen Abhang hinunter stürzten, gelang es dem Angeklagten, wie von vornherein beabsichtigt, der Geschädigten die Tasche zu entreißen. Zwar konnte die gutachterlich beratene Strafkammer keine Anhaltspunkte für eine akute schizophrene Episode zur Tatzeit feststellen. Aufgrund der bestehenden schizophrenen Grunderkrankung des Angeklagten konnte sie aber auch nicht ausschließen, dass seine Fähigkeit , das "Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln", infolge seiner Erkrankung zur Tatzeit erheblich vermindert war.
5
Nach der Entlassung aus der Strafhaft im Dezember 2012 war der Angeklagte obdach- und mittellos. Am 8. sowie am 11. Februar 2013 entwendete er in einem Ladengeschäft einige geringwertige Lebensmittel. Von Mitarbeitern darauf angesprochen gab er an, bezahlt zu haben bzw. seine Firma habe bereits bezahlt. Er ließ sich durchsuchen und gab die Waren zurück, reagierte aber im Übrigen laut und aggressiv.
6
b) Zu den Anlasstaten hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen :
7
Am 26. Februar 2013 betrat der Angeklagte ein Schuhgeschäft und gab an, er wolle ein für ihn hinterlegtes und bereits bezahltes Paar Schuhe abholen. Nachdem er daraufhin gewiesen wurde, dass für ihn nichts hinterlegt worden sei, sah er sich in dem Geschäft um. Er ließ sich schließlich ein Paar Schuhe zur Anprobe aushändigen, entfernte das Sicherungsetikett und zog sie an. Einem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, der ihn bat, die Schuhe wieder auszuziehen , begegnete der Angeklagte laut und aggressiv. Als der Mitarbeiter versuchte , ihm Handschellen anzulegen, kam es zu einem Gerangel, bei dem niemand verletzt wurde. Die hinzugerufenen Polizeibeamten beschimpfte der Angeklagte lautstark (Fall 1).
8
Am 5. März 2013 hatte der Angeklagte die Wahrnehmung, eine ihm unbekannte Frau A. habe ihm gegenüber erklärt, sie sei die Eigentümerin einer Filiale der Firma K. in M. und er könne sich dort nehmen, was er wolle. Der Angeklagte begab sich daraufhin in die Filiale und nahm ein Paar Sportschuhe an sich. Er verließ das Geschäft, ohne die Schuhe zu bezahlen. Gegenüber der Kassiererin gab er an, die Schuhe seien ihm von der Filialleiterin geschenkt worden (Fall 2).
9
Am 6. März 2013 betrat er die Filiale erneut und steckte verschiedene Waren im Gesamtwert von rund 50 Euro in eine von ihm mitgeführte Plastiktüte. Nachdem er den Kassenbereich durchschritten hatte, sprach ihn ein Mitarbeiter an. Der Angeklagte wies wiederum daraufhin hin, dass es sich um Geschenke der Filialleiterin handele. Im Rahmen der folgenden polizeilichen Maßnahmen reagierte der Angeklagte zeitweise aggressiv und schrie die Beamten an (Fall

3).

10
2. Das Landgericht hat die Taten als Diebstahl (Fälle 2 und 3) bzw. versuchten Diebstahl (Fall 1) gewertet. Es hat angenommen, der Angeklagte habe bei Tatbegehung jeweils im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) gehandelt , da seine Einsichtsfähigkeit infolge seiner Erkrankung aufgehoben gewesen sei.
11
3. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat das Landgericht abgelehnt. Gestützt auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen ist das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass bei dem dauerhaft an einer schizophrenen Psychose erkrankten Angeklagten eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten nicht bestehe.
12
Zwar seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere Diebstahlstaten wie die festgestellten zu erwarten. Diese seien jedoch nicht als erheblich im Sinne des § 63 StGB einzustufen.
13
Für darüber hinaus gehende erhebliche Taten, insbesondere Gewalttaten , könne dagegen die erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden. Zwar sei der Angeklagte krankheitsbedingt im Jahr 2001 mit Gewalttaten in Erscheinung getreten. Seit nunmehr über zwölf Jahren seien aber keine weiteren vergleichbaren Übergriffe erfolgt. In Hinblick auf den Handtaschenraub im Jahr 2009 sei nicht festzustellen, dass die psychische Erkrankung des Angeklagten für die - auch normalpsychologisch erklärbare - Tat (mit-)ursächlich geworden wäre. Zudem sei die Fähigkeit des Angeklagten zu derart komplexen Tathandlungen inzwischen krankheitsbedingt sehr eingeschränkt und Anhaltspunkte für eine Gefahrensteigerung durch eine Verschärfung der Gedankenwelt bei dem Angeklagten seien nicht ersichtlich. Zwar habe der Angeklagte in den letzten Jahren lange Zeit in eng strukturierten und gesicherten Verhältnissen gelebt. Der Angeklagte sei aber auch außerhalb solcher geschützter Verhältnisse und unter psychotischem Erleben - selbst in sehr konfliktbeladenen Situationen - lediglich verbal aggressiv geworden bzw. habe laut geschrien. Zu zielgerichteten Tätlichkeiten gegen eine Person sei es nicht gekommen.

II.


14
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
15
1. Die Staatsanwaltschaft hat den Freispruch des Angeklagten von dem Revisionsangriff ausgenommen. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist im vorliegenden Fall zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, juris Rn. 14 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318 Rn. 24).
16
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.
17
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13; BGH, Beschluss vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, jeweils mwN). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, juris Rn. 10; Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Senat, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
18
b) Diese Grundsätze hat das Landgericht bei seiner Entscheidung beachtet.
19
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Auffassung des Landgerichts zu folgen ist, der Tritt gegen den Oberschenkel im Jahre 2001 sei für sich genommen nicht als Tat zumindest mittlerer Kriminalität zu bewerten (UA S. 48). Denn das Landgericht ist mit rechtsfehlerfreien Erwägungen davon ausgegangen , dass bei dem Angeklagten keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die künftige Begehung vergleichbarer Gewaltdelikte besteht.
20
Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger solcher Straftaten (vgl. Senat, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; Urteil vom 17. November1999 - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338). Da der Angeklagte wiederholt auch in sehr problematischen Verhältnissen wie etwa in Obdachlosenheimen oder in Notschlafstellen gelebt und auch in konfliktbeladenen Situationen (wie nach Entdecken seiner Diebstahlstaten) keine Person gezielt körperlich angegriffen hat, ist es nicht zu beanstanden, dass das Gericht unter Abwägung aller Umstände davon ausgegangen ist, dass krankheitsbedingte tätliche Übergriffe seitens des Angeklagten künftig lediglich "möglich" seien. Damit feh- len Feststellungen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades, denn eine lediglich latente Gefahr reicht für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit (höheren Grades) nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 147; Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 547/10; Senat, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241).
21
Soweit das Landgericht die von dem Angeklagten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwartenden Eigentumsdelikte für nicht ausreichend erachtet hat, um eine Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 619/16
vom
29. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Bedrohung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:290317B4STR619.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. März 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 19. August 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf, entgegen einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz im Zeitraum von August 2014 bis Mai 2015 regelmäßig mit der Zeugin V. über Facebook Kontakt aufgenommen (§ 4 GewSchG) und am 15. Januar 2016 anlässlich einer Gerichtsverhandlung einen Begleiter von Frau V. mit dem Tode bedroht zu haben (§ 241 StGB), wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen. Es hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge des Angeklagten gestützte Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
2
1. Das Rechtsmittel ist nicht auf die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Soweit die Re- vision lediglich deren Aufhebung beantragt, ist eine Rechtsmittelbeschränkung unwirksam (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2017 – 4 StR 565/16).
3
2. a) Nach den Feststellungen war dem Angeklagten mit der ihm zugestellten Anordnung des Amtsgerichts – Familiengericht – Villingen-Schwenningen vom 14. August 2014 u.a. gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GewSchG untersagt worden, mit der Zeugin V. in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen, auch „über soziale Medien wie z. B. Facebook“. Das Familiengericht ordnete die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an, befristete sie bis zum 14. Mai 2015 und wies den Angeklagten auf die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen die Schutzanordnungen nach § 4 GewSchG hin. In Kenntnis dieser Anordnung nahm der Angeklagte zwischen dem 17. September 2014 und dem 14. Mai 2015 über das Internetportal Facebook Kontakt zu Frau V. auf, indem erihr nahezu täglich Nachrichten – insgesamt mehrere 100 Seiten – zukommen ließ.
4
Am 15. Januar 2016 sagte der Angeklagte im Gebäude des Landgerichts Konstanz während einer Verhandlungspause zu dem Zeugen S. u.a.: „Wennich dich noch einmal mit ihr sehe, mache ich dich weg: Bam Bam …“; dabei machte er mit den Händen Schießbewegungen. S. nahm diese Drohung ernst.
5
b) Das Landgericht hat den Angeklagten wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Es ist – sachverständig beraten – zu dem Er- gebnis gelangt, dass „bei beiden Taten … die Einsichtsfähigkeit des Angeklag- ten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form einer anhaltenden wahnhaften Störung erheblich eingeschränkt“ gewesen sei. „Es kann nicht aus- geschlossen werden, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner Wahnerkrankung bei beiden Taten sogar ganz aufgehoben war.“
6
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand, weil sich bereits die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Dazu ist eine konkrete Darlegung erforderlich, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, insofern nicht abgedruckt in NStZ 2016, 747).
8
Die vom Landgericht allein sicher festgestellte erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat, während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat. Die Voraussetzungen des § 21 StGB sind in den Fällen der verminderten Einsichtsfähigkeit nur dann zu bejahen, wenn die Einsicht gefehlt hat und dies dem Täter vorzuwerfen ist. Fehlt dem Täter aus einem in § 20 StGB genannten Grund die Einsicht, ohne dass ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann, ist auch bei verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern § 20 StGB anwendbar (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, StV 2016, 725, vom 17. Dezember 2014 – 3 StR 377/14, vom 30. September 2014 – 3 StR 261/14, vom 17. April 2014 – 2 StR 405/12, NJW 2014, 2738, vom 26. November 2013 – 3 StR 387/13 – und vom 2. August 2012 – 3 StR 259/12, NStZ-RR 2013, 71 [Ls] mwN).
9
b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 27. Februar 2017 kann der Senat auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass die vom Landgericht ausdrücklich allein festgestellte erhebliche Einschränkung der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten das Fehlen der Einsicht in das Unrecht seines Tuns bei den ihm zur Last gelegten Anlasstaten zur Folge gehabt hätte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 437/09); hierzu verhält sich das Urteil an keiner Stelle.
10
4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten mit aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Februar 2017 – 4 StR 565/16, vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75, und vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1).
11
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
12
Sollte die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf der Grundlage des § 63 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vor- schriften vom 8. Juli 2016 erneut in Betracht gezogen werden, wird hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen sein, dass Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne weiteres dem Bereich der erheblichen Straftaten zuzurechnen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, 32). Mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwartende Nachstellungen gemäß § 238 Abs. 1 StGB können indes je nach Lage des Einzelfalls hierfür ausreichen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571, 572 f. mwN; s. auch BGH, Beschluss vom 27. Mai 2014 – 3 StR 113/14). Für die Frage , ob zu erwartende Drohungen gegen Personen aus dem Umfeld der Zeugin V. dem Bereich der Taten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen sind, verweist der Senat auf sein Urteil vom 22. Dezember 2016 – 4 StR 359/16.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Bender