Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Okt. 2013 - 3 StR 154/13

bei uns veröffentlicht am15.10.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 154/13
vom
15. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 15. Oktober 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 13. November 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg, denn das Landgericht hat einen Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen und dadurch gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO verstoßen.
2
I. Nach den Feststellungen war der Angeklagte Geschäftsführer der Firmen A. und N. . Er hatte das alleinige Sagen, bestimmte den gesamten Geschäftsablauf. U.a. wies er die Mitarbeiter ein und sagte ihnen, was sie zu tun hatten. Den bei ihm beschäftigten Telefonisten legte er zu Beginn eines Arbeitstages eine Liste von Gewerbetreibenden vor, die sie abzutelefonieren hatten, und erteilte ihnen den Auftrag, die Angerufenen dazu zu bewegen, einen Anzeigenauftrag mit der Firma A. abzuschließen. Dabei sollte der unzutreffende Eindruck erweckt werden, dass es um eine regional geschaltete Werbung ging. In Wahrheit handelte es sich um Anzeigen in einer Broschüre, die bundesweit in Postfächer abgelegt wurde. Diese Art der "Werbung" war für die angerufenen Firmen wirtschaftlich wertlos. Im Einzelnen hat das Landgericht in dem Zeitraum zwischen Juni 2005 und November 2009 89 Einzelfälle festgestellt , in denen es auf die beschriebene Weise zu Vertragsabschlüssen zwischen der Firma A. und Gewerbetreibenden kam.
3
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe seine Mitarbeiter angewiesen, die Kunden der Firma A. während der Telefonate über alle für den Vertragsschluss wesentlichen Gesichtspunkte ordnungs- und wahrheitsgemäß zu unterrichten. So sei auch in der Regel verfahren worden. Sofern seine Mitarbeiter in Einzelfällen von seinen Vorgaben abgewichen seien, habe es sich um deren eigenmächtiges Verhalten ohne sein Wissen und Wollen gehandelt.
4
Das Landgericht hat seine gegenteilige Überzeugung neben weiteren Indizien vor allem auf die Aussagen der Gewerbetreibenden gestützt, die es als Zeugen vernommen hat, nachdem diese sich im Ermittlungsverfahren auf eine entsprechende Anfrage der Polizeibehörden gemeldet und einen Fragebogen ausgefüllt hatten. Es hat den Tatbeitrag des Angeklagten - den zum sog. uneigentlichen Organisationsdelikt entwickelten Maßstäben entsprechend (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 - 3 StR 197/11) - rechtlich als einheitlichen Betrug gewertet und ausgeführt, die einzelnen betrügerischen Vertragsabschlüsse stellten lediglich unselbstständige Teilakte der Betrugstat dar.
5
II. In diesem Zusammenhang hat der Angeklagte beantragt, insgesamt 166 Gewerbetreibende, die mit der Firma A. im Tatzeitraum einen Anzeigenvertrag abgeschlossen und sich im Ermittlungsverfahren nicht bei der Polizei gemeldet hatten, als Zeugen zum Beweis dafür zu vernehmen, dass die Mitarbeiter des Angeklagten ihnen die Vertragsregelungen einschließlich des tatsächlichen Gesamtpreises im Einzelnen zutreffend erläutert hätten, sie insbesondere telefonisch auf einen neuen Vertragsschluss sowie darauf hingewiesen hätten, die Werbung erfolge überregional über Postfachkunden. Zur Begründung wird weiter ausgeführt, das Landgericht habe zuvor ausschließlich solche Zeugen vernommen, die nach den Ermittlungen mit der Leistung der Firma A. unzufrieden gewesen seien. Um zu beurteilen, ob der Angeklagte seinen Mitarbeitern tatsächlich eine allgemeine Instruktion dahin erteilt habe, die Kunden zu täuschen, sei es unumgänglich, auch zufriedene Kunden zu vernehmen, die am Telefon ordnungsgemäß informiert worden seien.
6
Das Landgericht hat diesen Antrag im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, er sei bereits nicht hinreichend bestimmt. Im Übrigen seien "die Beweismittel" für die Entscheidung ohne Bedeutung. Für die Frage, ob sich der Angeklagte wegen Betruges strafbar gemacht habe, sei die Anzahl der zufriedenen Kunden nicht entscheidend. Auch wenn sich die Beweisbehauptungen bestätigten, würde der Anklagevorwurf nicht notwendigerweise entfallen. Die unter Beweis gestellten Gesprächsinhalte ließen keine zwingenden Rückschlüsse auf die Umstände der Vertragsschlüsse in den von der Anklage umfassten Fällen zu.
7
1. Der gestellte Antrag genügt den inhaltlichen Voraussetzungen, die an einen Beweisantrag zu stellen sind. Er enthält, ohne dass dies einer besonderen Erläuterung bedarf, insbesondere ausreichend bestimmte Beweistatsachen und -mittel.
8
2. Die Begründung, mit der die Strafkammer die beantragte Beweiserhebung abgelehnt hat, hält auch im Übrigen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
a) Eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ist aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung bedeutungslos, wenn sie in keinem Zusammenhang mit der Urteilsfindung steht oder weil sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Falle ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt hätte, da sie nur einen möglichen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels ermöglicht und das Gericht der Überzeugung ist, dass dieser Schluss in Würdigung der gesamten Beweislage nicht gerechtfertigt wäre. Ob der Schluss gerechtfertigt wäre, hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beurteilen. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache so, als sei sie erwiesen, in das bisherige Beweisergebnis einzustellen und prognostisch zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zu der von der potentiell berührten Haupttatsache bzw. zum Beweiswert des anderen Beweismittels in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (st. Rspr.; vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220 m. zahlr. w. N.).
10
b) Vor diesem Hintergrund greifen die Erwägungen des Landgerichts zu kurz. Aus der Begründung des Beweisantrags wird deutlich, dass es dem Antragsteller nicht darum ging, die Glaubhaftigkeit der Aussagen der bereits ver- nommenen Zeugen über den Inhalt der mit diesen geführten Vertragsverhandlungen in Zweifel zu ziehen. Vielmehr stand mit Blick auf den gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf im Vordergrund, ob dieser ein auf Täuschung angelegtes allgemeines Geschäftssystem installiert hatte. Die Strafkammer hätte deshalb erwägen müssen, ob die Beweisbehauptungen im Falle ihres Erwiesenseins ihre Überzeugung beeinflussen könnten, der Angeklagte habe seine Mitarbeiter angewiesen, in den Telefongesprächen einen Irrtum der Kunden der Firma A. zu erregen. Sie hätte deshalb dazu Stellung nehmen müssen, welchen Einfluss der Umstand auf ihre diesbezügliche Überzeugungsbildung gehabt hätte, dass - entsprechend den Beweisbehauptungen - 166 Kunden der Firma A. ordnungsgemäß über den Vertragsinhalt informiert worden sind. Derartige Ausführungen enthält der Beschluss des Landgerichts nicht.
11
c) Hierauf beruht das Urteil.
12
III. Ergänzend bemerkt der Senat:
13
1. Es bedarf hier keines näheren Eingehens darauf, ob das Landgericht den fraglichen Beweisantrag in antizipierender Würdigung der aufgestellten Beweisbehauptungen vor dem Hintergrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen Beweisergebnisses in vollem Umfang wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der vorgebrachten Beweistatsachen rechtsfehlerfrei mit der Begründung hätte ablehnen können, selbst wenn alle 166 benannten Zeugen den in ihr Wissen gestellten Sachverhalt bestätigen würden, hätte dies angesichts der Angaben der 89 vernommenen Zeugen sowie des sonstigen bisherigen Beweisertrags keinen Einfluss auf seine Überzeugung, der Angeklagte habe die bei ihm beschäftigten Telefonisten systematisch zu irreführenden Angaben gegenüber den von ihnen angerufenen Gewerbetreibenden veranlasst. Selbst wenn dies zu verneinen wäre, wird der neue Tatrichter nicht unter allen Umständen sämtliche 166 benannten Zeugen vernehmen müssen. Sollte sich etwa durch Einvernahme einiger dieser Zeugen herausstellen, dass diese das Beweisvorbringen nicht bestätigen und der Umstand, dass sie auf die Fragebogenaktion der Polizei nicht reagierten, nicht darauf beruhte, dass durch die Firma des Angeklagten die versprochenen Werbeleistungen entsprechend den telefonischen Versprechungen zufriedenstellend erbracht worden sind, so würde - bei ansonsten identischem Beweisergebnis wie in der ersten Hauptverhandlung - jedenfalls hierdurch eine breitere und je nach den Umständen auch tragfähige Grundlage für eine antizipierende Würdigung der in das Wissen der restlichen der 166 benannten Zeugen geschaffen (vgl. zum Umfang der Beweisaufnahme in "Massenverfahren", der zur tatrichterlichen Klärung der Voraussetzung serienmäßigen Betruges erforderlich ist, auch BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 - 1 StR 263/12, NStZ 2013, 422).
14
2. Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der Vermögensschaden beim Betrug müsse, von einfach gelagerten und eindeutigen Fällen abgesehen, der Höhe nach beziffert und dies in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen dargelegt werden (BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 u.a., NStZ 2012, 496, 503 ff.), könnte es Bedenken begegnen, im vorliegenden Fall den Betrugsschaden, soweit die Gewerbetreibenden die Forderungen der Firma A. aus der mit dieser getroffenen Vereinbarung nicht erfüllten, ohne Weiteres nach der Höhe dieser offenen Forderungen zu berechnen und als Gefährdungsschaden zu bezeichnen.
15
3. Vor dem Hintergrund des jeweiligen schriftlichen Vertragstextes erscheint es nicht ohne Weiteres selbstverständlich, eine Täuschung und einen darauf beruhenden Irrtum der Gewerbetreibenden auch in denjenigen Fällen anzunehmen, in denen das Landgericht keine Feststellungen zum näheren Inhalt der geführten Telefongespräche hat treffen können.
Becker Pfister Schäfer Gericke Spaniol

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Okt. 2013 - 3 StR 154/13

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Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Okt. 2013 - 3 StR 154/13 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

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(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 197/11
vom
5. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges
hier: Revision des Angeklagten B.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. Juli 2011 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4, § 357 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 3. Februar 2011 aufgehoben , auch soweit es den Angeklagten P. betrifft; jedoch werden die getroffenen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten des "gemeinschaftlichen Betruges in 182 Fällen" schuldig gesprochen und den Angeklagten B. unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und 10 Monaten sowie den Angeklagten P. zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte B. mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils (§ 349 Abs. 4 StPO); die bisher getroffenen Feststellungen können indes bestehen bleiben, denn diese sind rechtsfehlerfrei getroffen (§ 349 Abs. 2, § 353 Abs. 2 StPO). Die Urteilsaufhebung erstreckt sich auch auf den Nichtrevidenten P. (§ 357 StPO).
2
1. Nach den Feststellungen erklärten sich die Angeklagten bereit, im Zusammenwirken mit unbekannt gebliebenen Hintermännern sich durch Betrugstaten zu Lasten einer Vielzahl von Personen eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Der Angeklagte B. - begleitet von dem Angeklagten P. - mietete im Oktober 2008 sowie im Januar 2009 zwei Wohnungen an, nahm die Gewerbeanmeldung für den Betrieb des Reisebüros "B. Reisen" vor, schloss für das Büro einen Mobilfunkvertrag ab, richtete ein Postfach ein, von dem er im November und Dezember 2008 mehrfach für das Reisebüro bestimmte Post abholte, und eröffnete ein Geschäftskonto. Die Bankkarte und die zugehörigen PIN übergab er dem Angeklagten P. .
3
In der Folgezeit schalteten unbekannt gebliebene Personen in verschiedenen russischsprachigen Zeitungen Anzeigen, in denen vom Reisebüro "B. Reisen" die Vermittlung von Flugreisen in die ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion angeboten wurden. Den Interessenten, die Kontakt mit den vermeintlichen Mitarbeitern des Reisebüros aufnahmen, spiegelten Tatbeteiligte vor, Flugtickets und Visa zu besorgen und veranlassten sie mit der wahrheitswidrigen Behauptung, die bestellten Reiseunterlagen seien fertig gestellt und würden nach Zahlungseingang zugesandt, die jeweiligen Rechnungsbeträge auf das Geschäftskonto zu überweisen. Den 182 getäuschten Kunden entstand ein Schaden in Höhe von insgesamt 204.933,68 €.
4
Der Angeklagte B. hob im Zeitraum Januar bis Mai 2009 zehn- mal Bargeld in der Gesamthöhe von 168.000 € von dem Geschäftskontoab, wobei er in fünf Fällen von dem Angeklagten P. begleitet wurde. Das Geld deponierte er für die unbekannt gebliebenen Hintermänner der Betrugstaten in dem Postfach. Für ihre Tatbeteiligung erhielten die Angeklagten 6.000 € (Ange- klagter B. ) bzw. knapp 5.000 € (Angeklagter P. ).
5
2. Der Schuldspruch hat keinen Bestand.
6
a) Hinsichtlich der Fälle II. 29. bis II. 44. der Urteilsgründe fehlen schon die erforderlichen Feststellungen zur Höhe und zum Zeitpunkt der Überweisungen durch die Geschädigten.
7
b) Außerdem hält die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten sich 182 tatmehrheitlicher Betrugstaten schuldig gemacht, auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
Sind an einer Deliktsserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter , Anstifter oder Gehilfen beteiligt, so ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden; maßgeblich ist dabei der Umfang seines Tatbeitrags oder seiner Tatbeiträge. Erfüllt ein Mittäter hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten - soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Allein die organisatorische Einbindung des Täters in ein betrügerisches Geschäftsunternehmen ist nicht geeignet, die Einzeldelikte der Tatserie rechtlich zu einer Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen. Erbringt er dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeldelikte seiner Mittäter gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die übrigen Beteiligten die einzelnen Delikte gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben , ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 52/01, wistra 2001, 336; BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2010 - 3 StR 433/10).
9
Gemessen an diesen Maßstäben belegen die Urteilsgründe in den rechtsfehlerfrei festgestellten verbleibenden 166 Fällen keine von den Angeklagten in Tatmehrheit begangene Betrugstaten. Ein konkreter Tatbeitrag der Angeklagten zu jeder der abgeurteilten Taten lässt sich ihnen nicht entnehmen. Insbesondere ist nicht festgestellt, dass sie in diesen Fällen telefonischen Kontakt mit den Kunden des Reisebüros "B. Reisen" hatten und diese durch Täuschung zur Vorleistung der Rechnungsbeträge veranlassten. Vielmehr erbrachten die Angeklagten nach den Feststellungen lediglich beim Aufbau des Reisebüros und während dessen Betriebs Tatbeiträge, die sich einzelnen Betrugstaten nicht zuordnen lassen.
10
Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, und zwar wegen derselben sachlichrechtlichen Fehler gemäß § 357 StPO auch zugunsten des Angeklagten P. , der gegen das Urteil kein Rechtsmittel eingelegt hat. Die für die Fälle II. 1. bis 28. und 45. bis 182. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben, weil ein Rechtsfehler lediglich hinsichtlich der Beurteilung der Konkurrenzen vorliegt.
Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen bleiben zulässig. Zu den Fällen II. 29. bis 44. der Urteilsgründe sind sie nachzuholen.
11
3. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird auch zu prüfen haben, ob sich die Angeklagten des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges schuldig gemacht haben. Der Verurteilung eines Bandenmitglieds wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs steht nicht entgegen, dass die Einzeldelikte der Betrugsserie der Tätergruppe in seiner Person aus Rechtsgründen in gleichartiger Tateinheit zusammentreffen und daher gegen ihn nur auf eine Strafe zu erkennen ist (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840; BGH, Beschluss vom 2. Juli 2009 - 3 StR 131/09, wistra 2009, 389).
Becker von Lienen RiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 263/12
vom
6. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Februar 2013 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 21. Februar 2012 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen eines Betruges in jeweils tateinheitlich begangenen fünfzehn vollendeten und 53.479 versuchten Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
2
Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und die ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
3
1. Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte als faktischer Geschäftsführer und „spiritus rector“ mit zwei weiteren nicht revidierenden Mit- angeklagten von Januar 2006 bis Ende des Jahres 2009 die Kreditvermittlungsgesellschaft D. GmbH. Das Geschäftsmodell zielte darauf ab, unter dem Deckmantel einer seriösen Kreditvermittlung von den sich regelmäßig in einer finanziellen Notlage befindenden Kunden einen Auslagenersatzbetrag für Porto-, Telefon- und Auskunftskosten in Höhe von je 47,80 Euro (bzw. vor September 2006 bis 48 Euro) einzutreiben, indem den Kunden wahrheitswidrig vorgespiegelt wurde, dass der Gesellschaft bei der Kreditvermittlung er- forderliche Auslagen i.S.d. § 655d Satz 2 BGB in der geltend gemachten Höhe tatsächlich entstanden seien.
4
Die Kunden wurden mit dem Versprechen geworben, ihnen könnten auf- grund eines „Sofortkredit-Vermittlungsvertrages“ Kredite vermittelt werden, oh- ne dass durch die Kreditanfrage Kosten entstünden. Tatsächlich wollten die Angeklagten allen Kunden, die den „Sofortkredit-Vermittlungsvertrag“ unterschrieben , einen bestimmten Betrag unter 48 Euro - ggf. zuzüglich Mahn- und Inkassokosten - für angeblich "erforderliche Auslagen" in Rechnung stellen (UA S. 13), obwohl bei der Kreditvermittlung Auslagen nur zu einem Bruchteil dieses Betrages entstanden, die letztlich pro Kunde 3,20 Euro nicht überschritten (UA S. 20). Obwohl dem Angeklagten und der Mitangeklagten T. bekannt war, dass sie gesetzlich lediglich berechtigt waren, tatsächlich im Einzelfall entstandene erforderliche Auslagen, nicht jedoch die allgemeinen Geschäftsunkosten auf die Kunden umzulegen, wollten sie durch die Gestaltung des Rechnungstextes bei den Kunden die Fehlvorstellung hervorrufen, die Auslagen seien in der geltend gemachten Höhe entstanden und die Kunden seien auch zur Bezahlung des Rechnungsbetrages verpflichtet (UA S. 19 f).
5
Dem Angeklagten und der Mitangeklagten T. war aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen im Kreditvermittlungsgeschäft bekannt, dass wegen der wirtschaftlich schwierigen Lage der angesprochenen Klientel nur in den wenigsten Fällen eine erfolgreiche Kreditvermittlung in Betracht kam. Ihnen ging es jedoch nicht darum, Kredite zu vermitteln. Vielmehr war das System von Anfang an darauf angelegt, unter dem Anschein einer seriösen Kreditvermittlung sich gezielt an den in der Regel nahezu mittellosen Kunden zu bereichern und diese dadurch zu schädigen. Dabei rechneten die Angeklagten damit, dass sich die wenigsten Kunden gegen den vergleichsweise geringen Rechnungsbetrag wehren würden. Allerdings gingen sie aufgrund ihrer Erfahrungen davon aus, dass nur etwa 40 Prozent den Rechnungsbetrag begleichen würden (UA S. 14).
6
Zwischen Januar 2006 und Dezember 2009 wurden auf die dargestellte Weise 140.000 Kunden falsche Rechnungen über Auslagenersatz gestellt, auf die - womit die Angeklagten rechneten - nur etwa 40 Prozent der Kunden bezahlten.
7
Aufgrund einer auf die Einvernahme von fünfzehn Kunden beschränkten Beweisaufnahme hat das Landgericht festgestellt, dass lediglich diese Kunden in der irrigen Annahme, der D. GmbH seien tatsächlich Kosten in der geltend gemachten Höhe entstanden, gezahlt hatten (UA S. 902). In den übrigen 53.479 Fällen über Rechnungsbeträge von insgesamt mehr als 2,8 Mio. Euro ging das Landgericht mangels festgestellter Irrtumserregung lediglich von versuchter Täuschung der Kunden aus. Unter Abzug von zehn Prozent höchstens tatsächlich erforderlicher Auslagen nahm es dabei eine erstrebte Bereicherung von etwa 2,5 Mio. Euro an (UA S. 903).
8
2. Das Landgericht ist wegen Vorliegens eines sog. uneigentlichen Organisationsdelikts von Tateinheit (§ 52 StGB) zwischen allen Betrugstaten (§ 263 StGB) ausgegangen (UA S. 915). Hierbei hat es nur in 15 Fällen Vollendung und im Übrigen - entsprechend einem rechtlichen Hinweis in der Hauptverhandlung - lediglich versuchten Betrug angenommen. In den weiteren 53.479 Fällen habe es „nicht vollkommen ausschließen“ können, „dass Rech- nungsempfänger die Unrichtigkeit der Rechnungsstellung erkannten und aus- schließlich leisteten, um ihre Ruhe zu haben“. Nach Auffassung des Landge- richts hätte eine umfassende Aufklärung die Vernehmung sämtlicher Kunden erfordert, um die Motivation bei der Überweisung des Rechnungsbetrages zu ergründen. Dies sei bei über 50.000 Kunden „aus prozessökonomischen Grün- den“ nicht möglich gewesen (UA S. 914).
9
3. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben; die von der Revision des Angeklagten erhobenen formellen und materiellen Beanstandungen sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
10
Näherer Erörterung bedarf lediglich die Vorgehensweise des Landgerichts , nur fünfzehn Geschädigte zu vernehmen und im Übrigen hinsichtlich der weit überwiegenden Zahl der tateinheitlich begangenen Taten „aus verfahrensökonomischen Gründen“ lediglich Tatversuch anzunehmen (UA S. 914, 917). Das Landgericht sah sich ersichtlich nur auf diesem Wege in der Lage, die Hauptverhandlung, die bereits nahezu fünf Monate gedauert hatte, in angemessener Zeit zu beenden.
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a) Die vom Landgericht mit dem Begriff der „Prozessökonomie“ be- schriebene Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege zu erhalten (vgl. dazu auch Landau, Die Pflicht des Staates zum Erhalt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, NStZ 2007, 121), besteht. Jedoch muss ein Tatgericht im Rahmen der Beweisaufnahme die in der Strafprozessordnung dafür bereit gehaltenen Wege beschreiten. Ein solcher Weg ist etwa die Beschränkung des Verfahrensstoffes gemäß den §§ 154, 154a StPO, die allerdings die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft voraussetzen. Eine einseitige Beschränkung der Strafverfolgung auf bloßen Tatversuch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft, wie sie das Landgericht hier - freilich im Rahmen gleichartiger Tateinheit mit vollendeten Delikten - vorgenommen hat, sieht die Strafprozessordnung jedoch nicht vor.
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b) Es trifft allerdings zu, dass in Fällen eines hohen Gesamtschadens, der sich aus einer sehr großen Anzahl von Kleinschäden zusammensetzt, die Möglichkeiten einer sinnvollen Verfahrensbeschränkung eingeschränkt sind. Denn dann sind keine Taten mit höheren Einzelschäden vorhanden, auf die das Verfahren sinnvoll beschränkt werden könnte.
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Dies bedeutet aber nicht, dass es einem Gericht deshalb - um überhaupt in angemessener Zeit zu einem Verfahrensabschluss gelangen zu können - ohne weiteres erlaubt wäre, die Beweiserhebung über den Taterfolg zu unterlassen und lediglich wegen Versuches zu verurteilen. Vielmehr hat das Tatgericht die von der Anklage umfasste prozessuale Tat (§ 264 StPO) im Rahmen seiner gerichtlichen Kognitionspflicht nach den für die Beweisaufnahme geltenden Regeln der Strafprozessordnung (vgl. § 244 StPO) aufzuklären. Die richterliche Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gebietet dabei, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
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c) Für das Tatbestandsmerkmal des Irrtums bei Betrug (§ 263 StGB) bedeutet dies:
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aa) Da der Betrugstatbestand voraussetzt, dass die Vermögensverfügung durch den Irrtum des Getäuschten veranlasst worden ist, müssen die Urteilsgründe regelmäßig darlegen, wer die Verfügung getroffen hat und welche Vorstellungen er dabei hatte. Die Überzeugung des Gerichts, dass der Verfügende einem Irrtum erlegen ist, wird dabei - von einfach gelagerten Fällen (z.B. bei standardisierten, auf massenhafte Erledigung ausgerichteten Abrechnungsverfahren ) abgesehen - in der Regel dessen Vernehmung erfordern (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 - 3 StR 161/02, NStZ 2003, 313, 314).
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bb) Allerdings stößt die praktische Feststellung des Irrtums im Strafverfahren als Tatfrage nicht selten auf Schwierigkeiten. Diese können jedoch in vielen Fällen dadurch überwunden werden, dass das Tatgericht seine Überzeugung auf Indizien (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 1993 - 4 StR 347/93, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Irrtum 9) wie das wirtschaftliche oder sonstige Interesse des Opfers an der Vermeidung einer Schädigung seines eigenen Vermögens (vgl. Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 87) stützen kann. In Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbildes kann es daher insgesamt ausreichen , nur einige Zeugen einzuvernehmen, wenn sich dabei das Ergebnis bestätigt findet. Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof etwa die Vernehmung der 170.000 Empfänger einer falsch berechneten Straßenreinigungsgebührenrechnung für entbehrlich gehalten (BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, wistra 2009, 433, 434; vgl. dazu auch Hebenstreit in MüllerGugenberger /Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2011, § 47 Rn. 37).
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cc) Ist die Beweisaufnahme auf eine Vielzahl Geschädigter zu erstrecken , besteht zudem die Möglichkeit, bereits im Ermittlungsverfahren durch Fragebögen zu ermitteln, aus welchen Gründen die Leistenden die ihr Vermögen schädigende Verfügung vorgenommen haben. Das Ergebnis dieser Erhebung kann dann - etwa nach Maßgabe des § 251 StPO - in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Hierauf kann dann auch die Überzeugung des Gerichts gestützt werden, ob und gegebenenfalls in welchen Fällen die Leistenden eine Vermögensverfügung irrtumsbedingt vorgenommen haben.
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Ob es in derartigen Fällen dann noch einer persönlichen Vernehmung von Geschädigten bedarf, entscheidet sich nach den Erfordernissen des Amtsaufklärungsgrundsatzes (§ 244 Abs. 2 StPO) und des Beweisantragsrechts (insb. § 244 Abs. 3 StPO). In Fällen eines normativ geprägten Vorstellungsbil- des kommt dabei die Ablehnung des Antrags auf die Vernehmung einer größeren Zahl von Geschädigten als Zeugen in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, wistra 2009, 433, 434).
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dd) Demgegenüber dürfte in Fällen mit individueller Motivation zur Leis- tung eines jeden Verfügenden die „Schätzung einer Irrtumsquote“ als Methode der Überzeugungsbildung nach § 261 StPO ausscheiden. Hat ein Tatgericht in solchen Fällen Zweifel, dass ein Verfügender, ohne sich über seine Zahlungspflicht geirrt zu haben, allein deshalb geleistet hat, „um seine Ruhe zu haben“, muss es nach dem Zweifelssatz („in dubio pro reo“) zu Gunsten des Täters ent- scheiden, sofern nicht aussagekräftige Indizien für das Vorliegen eines Irrtums vorliegen, die die Zweifel wieder zerstreuen.
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d) Für die Strafzumessung hat die Frage, ob bei einzelnen Betrugstaten Vollendung gegeben oder nur Versuch eingetreten ist, in der Regel bestimmende Bedeutung.
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Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen es für die Strafzumessung im Ergebnis nicht bestimmend ist, ob es bei (einzelnen) Betrugstaten zur Vollendung kam oder mangels Irrtums des Getäuschten oder wegen fehlender Kausalität zwischen Irrtum und Vermögensverfügung beim Versuch blieb. Solches kommt etwa in Betracht, wenn Taten eine derartige Nähe zur Tatvollendung aufwiesen, dass es - insbesondere aus Sicht des Täters - vom bloßen Zufall abhing, ob die Tatvollendung letztlich doch noch am fehlenden Irrtum des Tatopfers scheitern konnte. Denn dann kann das Tatgericht unter besonderer Berücksichtigung der versuchsbezogenen Gesichtspunkte auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters und der Tatumstände des konkreten Einzelfalls zum Ergebnis gelangen, dass jedenfalls die fakultative Strafmilderung gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu versagen ist (vgl.
BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 261/10, wistra 2011, 18 mwN). Eine solche Wertung hat das Tatgericht in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht ebenso nachprüfbar darzulegen wie die Würdigung, dass und aus welchen Gründen (etwa Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie) der Umstand, dass die getroffene Vermögensverfügung letztlich trotz eines entsprechenden Vorsatzes des Täters nicht auf einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung beruhte, auch für die konkrete Strafzumessung im Rahmen des eröffneten Strafrahmens nicht von Bedeutung war.
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e) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob hier ein normativ geprägter Irrtum vorliegen könnte, mit der Folge, dass die Anwendung des Zweifelssatzes durch das Landgericht sachlich-rechtlich fehlerhaft gewesen sein könn- te. Denn jedenfalls ist der Angeklagte durch die vom Landgericht „aus prozessökonomischen Gründen“ gewählte Verfahrensweise nicht beschwert. Es ist auszuschließen, dass das Landgericht eine niedrigere Strafe verhängt hätte, wenn es hinsichtlich weiterer tateinheitlich begangener Taten statt von Versuch von Tatvollendung ausgegangen wäre.
Richter am BGH Dr. Wahl ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert.
Nack Nack Jäger Cirener Radtke