Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Dez. 2018 - 4 StR 319/18

bei uns veröffentlicht am04.12.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 319/18
vom
4. Dezember 2018
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:041218B4STR319.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 2. Mai 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat es drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe wegen einer überlangen Verfahrensdauer für vollstreckt erklärt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte war alleiniger Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der A. GmbH (A. ) mit Sitz in B. .
Das Unternehmen war im Großhandel mit EDV-Geräten tätig und hatte zeitweise bis zu 100 Mitarbeiter.
4
Im Jahr 2009 zeichnete sich eine unternehmerische Krise der A. ab – zumJahresende bestand eine negative Schlussbilanz mit einem Fehlbetrag von 952.024,42 €. Im April 2010 lagerte der Angeklagte den umsatzstärksten Geschäftsbereich der A. , den Handel mit Rückläufergeräten, auf eine hierfür neu gegründete Gesellschaft aus.
5
Die A. setzte ihre Geschäfte im Übrigen fort. Gegenüber einem ihrer Hauptlieferanten, der H. GmbH (H. ) entstanden im Laufe des Jahres 2010 Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 2.211.357,11 €, welche die A. mangels Liquidität nicht bedienen konnte. Der Angeklagte bat H. insofern erfolgreich um Stundung bis zum 30. September 2010. Nachdem jedoch die Verhandlungen über einen Zahlungsplan gescheitert waren, forderte H. die A. wieder zur Zahlung auf.
6
Zur Liquiditätslage der A. hat das Landgericht festgestellt, dass das Unternehmen jedenfalls im Tatzeitraum vom 30. September bis zum 26. November 2010 nicht in der Lage war, mindestens 90 % der fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen. Zur subjektiven Tatseite ist festgestellt, dass dem Angeklagten bekannt war, dass der A. „innerhalb absehbarer Zeit keine weiteren liquiden Mittel zufließen würden“.
7
Am 21. April 2011 stellte H. schließlich einen Insolvenzantrag, in dessen Folge das Insolvenzverfahren gegen die A. eröffnet wurde.

II.


8
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Das angefochtene Urteil hält sowohl bezüglich der Annahme der Zahlungsunfähigkeit der A. als auch bezüglich der subjektiven Tatseite rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Die Urteilsgründe liefern keinen ausreichenden Beleg, dass die A. im Tatzeitraum zahlungsunfähig war.
10
a) Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) erfolgt entweder durch die betriebswirtschaftliche Methode oder durch sogenannte wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2013 – 1 StR 665/12, NJW 2014, 164 ff. mwN).
11
Die – hier vom Landgericht angewandte – betriebswirtschaftliche Methode setzt eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraus (BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 – 1 StR 668/98, NJW 2000, 154, 156; Beschlüsse vom 21. August 2013 – 1 StR 665/12, NJW 2014, 164 ff.; vom 30. Januar 2003 – 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546 ff.). Zur Abgrenzung von der bloßen Zahlungsstockung ist diese Methode um eine Prognose darüber zu ergänzen, ob innerhalb von drei Wochen mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit hinreichend sicher zu rechnen ist, etwa durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder der Veräußerung von Vermögensgegenständen; das geschieht durch eine Finanzplanrechnung, aus der sich die hinreichend konkret zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben der nächsten 21 Tage ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2013 – 1 StR 665/12, aaO; Reinhart in Graf/Jäger/ Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 15a InsO Rn. 65 f. mwN). Wird die betriebswirtschaftliche Methode gewählt, muss die Darstellung der Liquiditätslage zu ausgewählten Stichtagen so aussagekräftig sein, dass dem Revisionsgericht die Kontrolle möglich ist, ob das Landgericht von zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen und einen nachvollziehbaren Rechenweg gewählt hat (BGH, Beschluss vom 25. August 2016 – 1 StR 290/16, ZInsO 2016, 2032 f.).
12
b) Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
13
Die Strafkammer bezieht sich im Rahmen der Beweiswürdigung für das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit der A. auf den betriebswirtschaftlichen Sachverständigen V. . Aus dessen in den Urteilsgründen wiedergegebenen Ausführungen ergibt sich allerdings keine für das Revisionsgericht nachvollziehbare stichtagsbezogene Bewertung der Liquiditätslage.
14
aa) Für den Tatzeitraum wird überhaupt nur für den 30. September 2010 ein Deckungsgrad konkret beziffert (80,51 %). Zur Erläuterung werden jedoch nur die von dem Sachverständigen für diesen Tag errechneten Gesamtergebnisse zu den Aktiva und Passiva mitgeteilt (liquide Mittel in Höhe von insgesamt 1.852.663,64 € bei fälligen Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 2.301.219,06 €). Da es an jeder näheren Ausführung hierzu fehlt – insbesondere nach welchen Prämissen eine Finanzplanrechnung vorgenommen wurde –, kann die sachverständige Berechnung nicht nachvollzogen werden. Dabei bleibt auch unklar, auf welcher tatsächlichen Grundlage der Sachverständige die Liquiditätslage überhaupt bewertet hat, weil nach seinen Ausführungen die Geschäftsunterlagen der A. für das Jahr 2010 „unvollständig“ waren; der Insolvenzverwalter der A. , hat ausweislich der Urteilsgründe sogar angegeben, dass die gesamte Buchführung des Unternehmens nicht mehr verfügbar gewesen sei.
15
Hinzu kommt, dass der Sachverständige V. bei der Berechnungder Liquiditätslücke für den 30. September 2010 ersichtlich auch die Forderungen des Unternehmens H. berücksichtigt hat. Nach den getroffenen Feststellungen waren diese Forderungen allerdings bis zum 30. September 2010 gestundet. Dass Fälligkeit gleichwohl schon vor dem 1. Oktober 2010 eintrat, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Gestundete Forderungen dürfen bei der Berechnung der Liquiditätslücke jedoch nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2013 − 1 StR 665/12, NJW 2014, 164, 165; MüKoStGB /Hohmann, 2. Aufl., § 15a InsO Rn. 31).
16
bb) Im Übrigen wird in den Urteilsgründen für kein weiteres Datum im Tatzeitraum überhaupt ein konkreter Deckungsgrad benannt, sondern es wird lediglich pauschal ausgeführt, dass bis zum 26. November 2010 ein Deckungsgrad von 90 % „jeweils nicht erreicht“ worden sei. Dies genügt keinesfalls den eingangs genannten Anforderungen an die Darstellung der Zahlungsunfähigkeit.
17
2. Auch zur subjektiven Tatseite hält das Urteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
18
a) Bereits die Feststellungen tragen nicht die Annahme vorsätzlichen Handelns des Angeklagten.
19
Im Rahmen von § 15a InsO muss der Täter es zumindest für möglich halten und in Kauf nehmen, dass die wirtschaftliche Situation des betroffenen Unternehmens durch den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zur Stellung eines Eröffnungsantrags verpflichtet (vgl. MüKo-StGB/Hohmann, aaO, § 15a InsO Rn. 90; Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, aaO, § 15a InsO Rn. 132; Richter in Müller-Guggenberger, 6. Aufl., § 80 Rn. 57). Festgestellt ist vorliegend lediglich, dass dem Angeklagten bekannt war, dass der A. innerhalb absehbarer Zeit „keine weiteren liquiden Mittel zufließen würden“. Dies entspricht jedoch nicht der Kenntnis vom Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit, da eine solche nicht zwingend mit dem fehlenden Zufluss liquider Mittel einhergeht, sondern sich erst aus einer Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva ergibt.
20
b) Im Übrigen hält auch die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite revisionsrechtlicher Kontrolle nicht stand, da dem angefochtenen Urteil keine eigenen Erwägungen der Strafkammer zum Vorsatz des Angeklagten im Tatzeitraum zu entnehmen sind. Ein entsprechender Vorsatz liegt unter den festgestellten Umständen zur Liquiditätslage der A. auch keinesfalls auf der Hand, da keine besonders gravierende Unterdeckung festgestellt ist und die Strafkammer zum 27. November 2010 von einer wiederhergestellten Zahlungsfähigkeit ausgeht.
21
Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich die Strafkammer insgesamt den Ausführungen des betriebswirtschaftlichen Sachverständigen V. „in eigener Überzeugungsbildung“ angeschlossen hat. Der Sachverständige hat unter anderem ausgeführt, der Angeklagte habe als Geschäftsführer Kenntnis von der Liquiditätslage „haben müssen“ beziehungsweise er habe sich jederzeit umfassend Kenntnis „verschaffen können“. Dies dient jedoch allenfalls zum Be- leg eines Fahrlässigkeitsvorwurfes. Im Übrigen ist die Feststellung des Vor- satzes keine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Frage, sondern obliegt allein dem Tatrichter (vgl. BGH, Urteile vom 1. März 2018 – 4 StR 399/17, NJW 2018, 1621, 1624; vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 583; LKStGB /Vogel, 12. Aufl., § 15 Rn. 63).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

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(1) Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit. (2) Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner sei

Insolvenzordnung - InsO | § 15a Antragspflicht bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit


(1) Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen. Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahl
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit.

(2) Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 665/12
vom
21. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. August 2013 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 18. September 2012 mit den zugrundeliegenden
Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO).
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer
tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung sowie wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen und formellen Rechts gestützten Revision. Im Hinblick auf die Rüge der fehlenden sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Da bereits die Sachrüge zum vollen Erfolg des Rechtsmittels führt, bedarf es eines Eingehens auf die weiteren Verfahrensrügen nicht mehr.

I.


2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte war Vorstand der T. . Bei der T. handelte es sich um die Muttergesellschaft eines Konzerns, unter deren Kontrolle mehrere Tochtergesellschaften standen. Hauptaktionär der T. war die A. AG (im Folgenden: A. ), deren Geschäftszweck in der Sanierung und dem anschließenden Verkauf von Gesellschaften bestand. Anfang 2007 hatte die T. 90 Prozent der Gesellschaftsanteile an der C. GmbH (im Folgenden: C. ) erworben.
4
Die wirtschaftliche Lage des T. -Konzerns war schlecht. Die Mutter- gesellschaft und „ihre Töchter hätten in 2009 Insolvenzantrag stellen müssen, sofern die A. AG nicht bereit gewesen wäre, Geld einzuschie- ßen“. Dies wolltedie liquide A. aber nicht im erforderlichen Umfang, sie wollte vielmehr nur eine „bilanzielle Überschuldung verhindern“, um den gesamten T. -Konzern bis zum Verkauf an einen Investor am Leben zu erhalten. Ein Investor wurde schließlich im Sommer 2009 gefunden; am 17. Juli 2009 erfolgte die Veräußerung der von der A. gehaltenen Geschäftsanteile an der T. an russische Privatpersonen. Mit diesem Tag trat der Angeklagte von allen Ämtern bei der T. und der C. zurück.
5
Anlässlich einer Gesellschafterversammlung der C. am 18. Februar 2009 war in Anwesenheit des Angeklagten seine Bestellung zum Geschäftsführer - er war bereits Geschäftsführer der weiteren T. -Tochter CO. - beschlossen worden. Die Bestellung sollte mit der förmlichen Annahme vollzogen werden. Hierzu kam es aber in Folge nicht. Bis zur Annahme war dem Angeklagten eine uneingeschränkte Generalvollmacht nach § 54 HGB erteilt worden. Das Vorgehen sollte der engmaschigen Kontrolle des Geschäftsführers S. durch die T. dienen. Nachdem am 17. April 2009 S.
verstorben war, agierte der Angeklagte als faktischer Geschäftsführer der C. .
6
Sämtliche Einkäufe und Zahlungen durch die C. wurden durch ihn genehmigt. Obwohl er wusste, dass die Mittel der C. nicht reichten, um sämtliche von ihr getätigten Bestellungen zu bezahlen, genehmigte er Bestellungen bei dem Lieferanten Al. am 5., 6., 7., 12., 15., 19., 26., 28. und 29. Mai sowie am 2., 3., 4., 5., 9., 10., 12. und 16. Juni 2009 in Höhe von insge- samt 76.998,17 € und am 13. Mai 2009 bei dem Lieferanten AO. in Höhe von 60.509 €. Am 7. Juli 2009 unterbreitete der Angeklagte der Al. einen Ra- tenzahlungsvorschlag, Zahlungen erfolgten jedoch nicht.
7
Die finanziellen Verhältnisse der C. waren angespannt, die vorhan- denen Mittel „reichten nicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen“. Spätes- tens ab Ende April 2009 war die C. „zahlungsunfähig“, was der Angeklagte billigend in Kauf nahm. Er stellte dennoch zunächst keinen Insolvenzantrag. Er konnte darauf hoffen, „im Fall extremer Liquiditätsengpässe finanzielle Un- terstützung der Hauptgesellschafterin A. zu erlangen“. Eine Gewähr hierfür hatte er nicht. Insolvenzantrag stellte er erst am 4. August 2009, nachdem die russischen Investoren nicht bereit waren, Geld für den T. -Konzern zur Verfügung zu stellen. Das Verfahren wurde am 1. Oktober 2009 eröffnet.
8
2. a) Das Landgericht hat den Straftatbestand des § 15a Abs. 4 InsO zugrunde gelegt und die Verpflichtung des Angeklagten zur Stellung des Insolvenzantrags aus § 15a Abs. 1 und Abs. 3 InsO abgeleitet. Seine Feststellungen zur Insolvenzreife der C. hat es auf folgende Überlegungen gestützt:
9
Eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten und der zu ihrer Tilgung vorhandenen Mittel im Rahmen eines Finanzplanschemas sei nicht möglich, da die Zahlen aus der Buchhaltung nicht richtig sein könnten. Die in der Summen- und Saldenliste ausgewiesenen Forderungen gegen Dritte könnten nicht richtig sein, da sie mit den zweifellos gegebenen Zahlungsschwierigkeiten der C. nicht in Einklang zu bringen seien. Vielmehr spreche das umgehende Eintreiben von Außenständen gegen das Bestehen von werthaltigen Forderungen gegenüber Dritten in Höhe von mehr als 1 Mio. €.
10
Daher sei auf die „sogenannte wirtschaftskriminalistische Methode“ abzustellen. Schon da im April 2009 „offene Verbindlichkeiten“ bestanden hätten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen worden seien, sei „im Hinblick auf BGH, Az.: IXZR 228/03 vom 12.10.2006, von Zahlungsunfähigkeit der C. auszugehen“. Maßgeblich sei zudem, dass das Geld nicht ausgereicht habe, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen, was die Zahlungspläne der C. belegten. Freie Kreditlinien hätten nicht zur Verfügung gestanden. Eine schriftliche Anfrage durch den von der Strafkammer hinzugezogenen Sachverständigen an die Gläubiger der C. habe ergeben, dass sich der Schuldenstand von 99.658,06 € im Januar 2009 auf 370.835,68 € im April 2009, auf 590.186,83 € im Mai 2009, auf 630.485,59 € im Juni 2009 und auf 698.165,50 € im Juli 2009 erhöht hätte.
11
b) Die Strafbarkeit wegen Betruges hat das Landgericht darauf gestützt, dass der Angeklagte spätestens ab April 2009 um die Insolvenzlage der C. gewusst bzw. damit ernsthaft gerechnet habe. Dennoch habe er die Einkäufe jeweils genehmigt. Dies sei „strafbar im Rahmen eines sogenannten Organisationsdelikts“.

II.


12
Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit als Voraussetzung für die strafbewehrte Pflicht, Insolvenzantrag zu stellen, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn das Landgericht legt insoweit einen falschen Maßstab zugrunde; davon ausgehend sind seine Feststellungen auch lückenhaft bzw. nicht nachvollziehbar.
13
1. Nach § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Entscheidend ist allein der Zeitpunkt der Fälligkeit einer Forderung, der nur durch eine Stundungsvereinbarung hinausgeschoben werden kann. Von der Zahlungsunfähigkeit abzugrenzen ist die bloße Zahlungsstockung, d.h. der kurzfristig behebbare Mangel an flüssigen Mitteln. Dieser muss in einem Zeitraum von maximal drei Wochen zu beseitigen sein, da eine kreditwürdige Person in der Lage ist, sich binnen dieser Frist die benötigten Beträge darlehensweise zu beschaffen. Sonst liegt Zahlungsunfähigkeit vor (BGH, Beschluss vom 23. Mai 2007 - 1 StR 88/07, BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsfähigkeit 2 mwN).
14
Die Feststellung derselben erfolgt in der Regel durch die sogenannte betriebswirtschaftliche Methode. Dies setzt eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraus (BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 - 1 StR 668/98, NJW 2000, 154; Beschluss vom 30. Januar 2003 - 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546). Zur Abgrenzung von der bloßen Zahlungsstockung ist diese Methode um eine Prognose darüber zu ergänzen , ob innerhalb der Drei-Wochen-Frist mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit hinreichend sicher zu rechnen ist, etwa durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder der Veräußerung von Vermögensgegenständen. Das geschieht durch eine Finanzplanrechnung , aus der sich die hinreichend konkret zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben der nächsten 21 Tage ergeben (vgl. hierzu im Einzelnen Graf/Jäger/Wittig-Otte, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2011, § 15a InsO Rn. 65 f. mwN).
15
Die Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO kann aber auch durch sogenannte wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen belegt werden (wirtschaftskriminalistische Methode; vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 - 1 StR 668/98, NJW 2000, 154). Als wirtschaftskriminalistische Warnzeichen kommen u.a. in Betracht die ausdrückliche Erklärung, nicht zahlen zu können, das Ignorieren von Rechnungen und Mahnungen, gescheiterte Vollstreckungsversuche , Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern, der Sozialversicherungsabgaben oder der sonstigen Betriebskosten, Scheck- und Wechselproteste oder Insolvenzanträge von Gläubigern (vgl. zu den Krisensignalen im Einzelnen auch Achenbach/Ransiek-Wegner, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl., 7. Teil 1. Kap. Rn. 93; Otte, aaO Rn. 68 mwN).
16
2. Hieran gemessen tragen die Urteilsausführungen die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit nicht.
17
a) Soweit die Strafkammer als ausschlaggebendes wirtschaftskriminalistisches Anzeichen für eine Zahlungsunfähigkeit wertet, dass im fraglichen Zeitraum Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, liegt dem ein unzutreffender Maßstab zugrunde. Denn es handelt sich insoweit um die Grundsätze zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit durch den Tatrichter bei Insolvenzanfechtung. Denn dies stellt ein Ver- fahren dar, welches auf eine rückblickende Betrachtung unter Berücksichtigung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung - etwa im Hinblick auf die Verbindlichkeiten - zurückgreifen kann, mithin auf eine prognostische Beurteilung gerade nicht angewiesen ist. Anders verhält es sich aber bei der Frage, ob eine Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO besteht, da nach den oben dargelegten Maßstäben insoweit eine prognostische Beurteilung erforderlich ist. Auf diesen Unterschied weist der Bundesgerichtshof in der vom Landgericht in Bezug genommenen Entscheidung ausdrücklich hin (BGH, Urteil vom 12. Oktober2006 - IX ZR 228/03 Rn. 28).
18
Dass im Tatzeitraum „offene Verbindlichkeiten“ bestanden, die bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Oktober 2009 noch nicht beglichen worden waren, ist daher kein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Annahme des zeitlich vorgelagerten Eintritts der Zahlungsunfähigkeit.
19
Auch im Weiteren sind keine ausreichend tragfähigen Beweisanzeichen für die Annahme der Zahlungsunfähigkeit dargelegt. Zwar kann es sich bei Kredit - und Darlehenskündigungen von Banken um ein Krisensignal handeln, die Kündigung des Darlehens in Höhe von 172.129,21 € durch die D. Bank mit Schreiben vom 10. Juni 2009 ist jedoch für sich genommen nicht hinlänglich aussagekräftig, zumal offen bleibt, ob die Forderung beglichen worden ist. Auch ist es nicht ausreichend, dass das Landgericht darlegt, die wirtschaftliche Lage sei „angespannt“ gewesen, Außenstände seien sofort eingetrieben wordenund „das Geld“ hättejedenfalls seit April 2009 nicht ausgereicht, „sämtliche Gläubiger der C. zu befriedigen“.
20
b) Soweit das Landgericht Ausführungen zu Verbindlichkeiten derC. und ihren Möglichkeiten zur Begleichung derselben macht - was jedoch der Sache nach unter die betriebswirtschaftliche Methode zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit fällt - boten die Feststellungen aber ebenfalls keine hinreichende Grundlage für die Annahme der Zahlungsunfähigkeit.
21
aa) Dies gilt schon deswegen, weil die Strafkammer bei der Darstellung der Verbindlichkeiten nicht deutlich danach unterscheidet, ob es sich um nur bestehende oder auch um fällige Forderungen handelt.
22
So ist nicht festgestellt, welche konkreten fälligen Forderungen bestanden , die nicht beglichen werden konnten. Die Feststellung, dass nicht „sämtliche Gläubiger“ hätten befriedigt werden können, ersetzt das Erfordernis einer Liquiditätsbilanz nicht. So belegt der von der Strafkammer ihrer Annahme der Zahlungsunfähigkeit zugrunde gelegte Zahlungsplan vom 8. Juni 2009 gerade nicht ausreichend, dass fällige Forderungen nicht beglichen werden konnten. Danach standen der C. an diesem Tag aus dem Eingang von Zahlungen 130.000 € zur Verfügung. Diese wurden aufgewandt, um mehrere fällige Ver- bindlichkeiten in Höhe von insgesamt 111.000 € zu begleichen. Zu einer dieser Teilforderungen in Höhe von 10.000 € ist vermerkt: „Gesamt OP ca. 90.000 €“. Hieraus folgert das Landgericht als Beleg für die Zahlungsunfähigkeit, dass zu- sätzlich zu den 111.000 € weitere 90.000 € nicht beglichen werden konnten. Dass es sich bei diesen 90.000 € um schon fällige und noch nicht - wiez.B. durch die Teilzahlung von 10.000 € - zumindest teilweise beglichene Forderungen handelte, ist dadurch jedoch nicht belegt. Dies - insbesondere im Zusammenhang mit der Zugrundelegung des falschen Maßstabs (vgl. oben a) - vertieft die Besorgnis, dass das Landgericht den Aspekt der Fälligkeit im Tatzeitraum nicht ausreichend in den Blick genommen und bestehende Forderungen mit fälligen Forderungen gleich gesetzt hat.
23
Vor diesem Hintergrund vermag auch die vereinzelte Feststellung, es habe sich bei der dargestellten Entwicklung der Schulden um „fällige Schulden“ gehandelt, die Zahlungsunfähigkeit nicht hinreichend sicher zu belegen. Diesen Feststellungen mangelt es zum einen an einer nachvollziehbaren Grundlage. Hierzu wird nur mitgeteilt, dass die Zahlen aus einer schriftlichen Anfrage an die Gläubiger der C. durch den Sachverständigen resultierten. Unklar bleibt jedoch, was genau Inhalt dieser Anfrage war und ob die von den Gläubigern angegebenen Forderungen tatsächlich den Schluss auf die Fälligkeit derselben im Tatzeitraum und nicht lediglich zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulassen. Insbesondere lässt sich nicht nachvollziehen, ob eine Stundung (vgl. hierzu Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., § 76 Rn. 57 mwN) erfolgte, was angesichts der Feststellungen zumindest teilweise - z.B. hinsichtlich der Gläubiger CO. und Al. - durchaus nahe liegt, jedoch vom unzutreffenden Rechtsmaßstab der Strafkammer aus keine weitere Erörterung erfuhr. Bei gestundeten Forderungen handelt es sich aber nicht um fällige Forderungen im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO.
24
Einen Vergleich der dergestalt „angemeldeten“ Forderungen,die nur in ihrer jeweiligen monatlichen Gesamthöhe mitgeteilt werden und eine weitere Spezifizierung vermissen lassen, mit den Erkenntnissen aus den Insolvenzunterlagen oder den Zahlen aus der Buchhaltung hat das Landgericht nicht angestellt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, zumal die vom Landgericht dargelegten Erkenntnisschwächen der Buchhaltungsunterlagen nicht auf Verbindlichkeiten der C. selbst bezogen sind.
25
bb) Zudem sind die Feststellungen zu den zur Verfügung stehenden Zahlungsmitteln nicht ausreichend. Als solche kommen nämlich gemäß den oben dargelegten Grundsätzen nicht nur „freie Kreditlinien“ in Betracht, sondern auch anderweitige kurzfristig herbeizuschaffende Finanzmittel.
26
Deswegen hätte in diesem Zusammenhang erörtert werden müssen, dass ausweislich der Feststellungen zwei Bankkonten im gesamten Tatzeitraum noch relevantes Guthaben aufwiesen, so das Konto bei der Sp. und das bei der H. , welche zusammengenommen ein Guthaben von über 180.000 € im Mai 2009 und von über 160.000 €im Juni 2009 aufwiesen. Zudem wäre in die Betrachtung einzubeziehen gewesen, mit welchen Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb der C. hinreichend sicher stichtagsbezogen zu rechnen war. Denn das Landgericht stellt schließlich fest, dass werthaltige Forderungen gegen Kunden der C. in einer Höhe von bis zu 1 Mio. € nicht auszuschließen seien. Auch die Umstände, unter denen die A. bereit gewesen wäre, Finanzmittel für die C. zur Verfügung zu stellen („zur Vermeidung einer bilanziellen Überschuldung“, „im ‚Notfall‘“, „im Fall extremer Liquiditätsengpässe“)wären näher aufzuklären und die gegebenenfalls so ermittelten Beträge in die Gegenüberstellung einzubeziehen gewesen.

III.


27
Da die Zahlungsunfähigkeit der C. nicht ausreichend belegt ist, die Feststellungen zum Betrug aber hieran anknüpfen, war die Verurteilung auch insoweit mit den Feststellungen aufzuheben. Sollte das neue Tatgericht sich abermals davon überzeugen, dass die Bestellungen durch den Angeklagten in der festgestellten Weise, mithin durch die jeweilige Genehmigung der Bestellungen betrügerisch erfolgten, so handelt es sich nicht um die Begehung eines einheitlichen Delikts, sondern um mehrere selbständige Betrugstaten.

IV.


28
Um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubeurteilung zu ermöglichen , hebt der Senat die Feststellungen insgesamt auf, auch wenn diejenigen zur faktischen Geschäftsführerschaft (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 - 1 StR 459/12, wistra 2013, 272) für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffen sind.
29
Das neue Tatgericht wird insbesondere aufzuklären haben, inwieweit die T. zur Nachschießung von finanziellen Mitteln an die C. verpflichtet und hierzu unter Berücksichtigung der 1 Mio. €, die im April bzw. Mai 2009 von der A. an die T. geflossen ist, in der Lage war. Aufzuklären sein wird auch, ob und unter welchen Bedingungen die liquide A. zu Zahlungen bereit bzw. verpflichtet war. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen des § 15a Abs. 3 InsO auf den Antrag des Generalbundesanwalts hin.
Wahl Graf Jäger
Cirener Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 290/16
vom
25. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Bankrotts
ECLI:DE:BGH:2016:250816B1STR290.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. August 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 1. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vier Fällen des Bankrotts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und eine Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO getroffen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Die Feststellungen tragen den Schluss der Kammer, der Angeklagte habe im Sinne von § 283 Abs. 2 StGB durch vier Auszahlungen in Höhe von je 500.000 Euro jeweils die Zahlungsunfähigkeit der A. GmbH herbeigeführt, nicht. Weder enthalten die Feststellungen ein Rechenwerk, das die Auswirkungen dieser Abflüsse auf die Zahlungsunfähigkeit der später in Insolvenz geratenen GmbH konkret belegt, noch kann dies den Urteilsgründen im Übrigen entnommen werden. Im Gegenteil stellt die Kammer an anderer Stelle fest, dass von diesen ausgekehrten Beträgen über 1,5 Mio. Euro unmittelbar wieder an die Gesellschaft zurückgeflossen sind.
3
2. Die Beweiswürdigung hält in zweierlei Hinsicht revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand:
4
a) Wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, genügt das Urteil den Anforderungen der Rechtsprechung an die Darstellung der Beweiswürdigung nicht. Anstatt eine zusammenfassende Beweiswürdigung vorzunehmen, dokumentiert das Urteil lediglich die Beweisaufnahme , indem die Angaben des Angeklagten, die Aussagen von Zeugen und der Inhalt von Urkunden mitgeteilt werden. Es fehlt insbesondere an einer Auseinandersetzung mit der umfangreichen Einlassung des Angeklagten. Dieser hat eine Reihe entlastender Gesichtspunkte vorgebracht, die von der Kammer im Rahmen der Beweiswürdigung weder aufgegriffen noch sonst abgehandelt werden.
5
b) Die Feststellung der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit ist nicht rechtsfehlerfrei beweiswürdigend belegt.
6
In Fällen wie dem vorliegenden verlangt die Rechtsprechung hierfür entweder eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits oder eine Bewertung sog. wirtschaftskriminalistischer Anzeichen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 21. August 2013 – 1 StR 665/12, NStZ 2014, 107 mwN). Wird eine Gegenüberstellung gewählt, muss die Darstellung der Liquiditätslage zu ausgewählten Stichtagen so aussagekräftig sein, dass dem Revisionsgericht die Kontrolle möglich ist, ob das Landgericht von zutreffenden Voraussetzungen ausgegangen und einen nachvollziehbaren Rechenweg gewählt hat (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225, 2226 mwN).
7
Vorliegend korrespondiert die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit lediglich mit Angaben des Zeugen Rechtsanwalt Hirte, der nur im Ergebnis eine Unterdeckungsquote zu verschiedenen Stichtagen berichtet hat (UA S. 70). Die sachverständige Zeugin F. hingegen, Sachbearbeiterin für Buchprüfung beim Landeskriminalamt, konnte aufgrund der mangelhaften Buchhaltung zu den hier entscheidenden Stichtagen keinen Liquiditätsstatus berechnen (UA S. 67). Eine konkrete stichtagsbezogene Gegenüberstellung im o.g. Sinne fehlt mithin.
Raum Jäger Cirener Mosbacher Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 665/12
vom
21. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. August 2013 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 18. September 2012 mit den zugrundeliegenden
Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO).
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer
tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung sowie wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen und formellen Rechts gestützten Revision. Im Hinblick auf die Rüge der fehlenden sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Da bereits die Sachrüge zum vollen Erfolg des Rechtsmittels führt, bedarf es eines Eingehens auf die weiteren Verfahrensrügen nicht mehr.

I.


2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte war Vorstand der T. . Bei der T. handelte es sich um die Muttergesellschaft eines Konzerns, unter deren Kontrolle mehrere Tochtergesellschaften standen. Hauptaktionär der T. war die A. AG (im Folgenden: A. ), deren Geschäftszweck in der Sanierung und dem anschließenden Verkauf von Gesellschaften bestand. Anfang 2007 hatte die T. 90 Prozent der Gesellschaftsanteile an der C. GmbH (im Folgenden: C. ) erworben.
4
Die wirtschaftliche Lage des T. -Konzerns war schlecht. Die Mutter- gesellschaft und „ihre Töchter hätten in 2009 Insolvenzantrag stellen müssen, sofern die A. AG nicht bereit gewesen wäre, Geld einzuschie- ßen“. Dies wolltedie liquide A. aber nicht im erforderlichen Umfang, sie wollte vielmehr nur eine „bilanzielle Überschuldung verhindern“, um den gesamten T. -Konzern bis zum Verkauf an einen Investor am Leben zu erhalten. Ein Investor wurde schließlich im Sommer 2009 gefunden; am 17. Juli 2009 erfolgte die Veräußerung der von der A. gehaltenen Geschäftsanteile an der T. an russische Privatpersonen. Mit diesem Tag trat der Angeklagte von allen Ämtern bei der T. und der C. zurück.
5
Anlässlich einer Gesellschafterversammlung der C. am 18. Februar 2009 war in Anwesenheit des Angeklagten seine Bestellung zum Geschäftsführer - er war bereits Geschäftsführer der weiteren T. -Tochter CO. - beschlossen worden. Die Bestellung sollte mit der förmlichen Annahme vollzogen werden. Hierzu kam es aber in Folge nicht. Bis zur Annahme war dem Angeklagten eine uneingeschränkte Generalvollmacht nach § 54 HGB erteilt worden. Das Vorgehen sollte der engmaschigen Kontrolle des Geschäftsführers S. durch die T. dienen. Nachdem am 17. April 2009 S.
verstorben war, agierte der Angeklagte als faktischer Geschäftsführer der C. .
6
Sämtliche Einkäufe und Zahlungen durch die C. wurden durch ihn genehmigt. Obwohl er wusste, dass die Mittel der C. nicht reichten, um sämtliche von ihr getätigten Bestellungen zu bezahlen, genehmigte er Bestellungen bei dem Lieferanten Al. am 5., 6., 7., 12., 15., 19., 26., 28. und 29. Mai sowie am 2., 3., 4., 5., 9., 10., 12. und 16. Juni 2009 in Höhe von insge- samt 76.998,17 € und am 13. Mai 2009 bei dem Lieferanten AO. in Höhe von 60.509 €. Am 7. Juli 2009 unterbreitete der Angeklagte der Al. einen Ra- tenzahlungsvorschlag, Zahlungen erfolgten jedoch nicht.
7
Die finanziellen Verhältnisse der C. waren angespannt, die vorhan- denen Mittel „reichten nicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen“. Spätes- tens ab Ende April 2009 war die C. „zahlungsunfähig“, was der Angeklagte billigend in Kauf nahm. Er stellte dennoch zunächst keinen Insolvenzantrag. Er konnte darauf hoffen, „im Fall extremer Liquiditätsengpässe finanzielle Un- terstützung der Hauptgesellschafterin A. zu erlangen“. Eine Gewähr hierfür hatte er nicht. Insolvenzantrag stellte er erst am 4. August 2009, nachdem die russischen Investoren nicht bereit waren, Geld für den T. -Konzern zur Verfügung zu stellen. Das Verfahren wurde am 1. Oktober 2009 eröffnet.
8
2. a) Das Landgericht hat den Straftatbestand des § 15a Abs. 4 InsO zugrunde gelegt und die Verpflichtung des Angeklagten zur Stellung des Insolvenzantrags aus § 15a Abs. 1 und Abs. 3 InsO abgeleitet. Seine Feststellungen zur Insolvenzreife der C. hat es auf folgende Überlegungen gestützt:
9
Eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten und der zu ihrer Tilgung vorhandenen Mittel im Rahmen eines Finanzplanschemas sei nicht möglich, da die Zahlen aus der Buchhaltung nicht richtig sein könnten. Die in der Summen- und Saldenliste ausgewiesenen Forderungen gegen Dritte könnten nicht richtig sein, da sie mit den zweifellos gegebenen Zahlungsschwierigkeiten der C. nicht in Einklang zu bringen seien. Vielmehr spreche das umgehende Eintreiben von Außenständen gegen das Bestehen von werthaltigen Forderungen gegenüber Dritten in Höhe von mehr als 1 Mio. €.
10
Daher sei auf die „sogenannte wirtschaftskriminalistische Methode“ abzustellen. Schon da im April 2009 „offene Verbindlichkeiten“ bestanden hätten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen worden seien, sei „im Hinblick auf BGH, Az.: IXZR 228/03 vom 12.10.2006, von Zahlungsunfähigkeit der C. auszugehen“. Maßgeblich sei zudem, dass das Geld nicht ausgereicht habe, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen, was die Zahlungspläne der C. belegten. Freie Kreditlinien hätten nicht zur Verfügung gestanden. Eine schriftliche Anfrage durch den von der Strafkammer hinzugezogenen Sachverständigen an die Gläubiger der C. habe ergeben, dass sich der Schuldenstand von 99.658,06 € im Januar 2009 auf 370.835,68 € im April 2009, auf 590.186,83 € im Mai 2009, auf 630.485,59 € im Juni 2009 und auf 698.165,50 € im Juli 2009 erhöht hätte.
11
b) Die Strafbarkeit wegen Betruges hat das Landgericht darauf gestützt, dass der Angeklagte spätestens ab April 2009 um die Insolvenzlage der C. gewusst bzw. damit ernsthaft gerechnet habe. Dennoch habe er die Einkäufe jeweils genehmigt. Dies sei „strafbar im Rahmen eines sogenannten Organisationsdelikts“.

II.


12
Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit als Voraussetzung für die strafbewehrte Pflicht, Insolvenzantrag zu stellen, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn das Landgericht legt insoweit einen falschen Maßstab zugrunde; davon ausgehend sind seine Feststellungen auch lückenhaft bzw. nicht nachvollziehbar.
13
1. Nach § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Entscheidend ist allein der Zeitpunkt der Fälligkeit einer Forderung, der nur durch eine Stundungsvereinbarung hinausgeschoben werden kann. Von der Zahlungsunfähigkeit abzugrenzen ist die bloße Zahlungsstockung, d.h. der kurzfristig behebbare Mangel an flüssigen Mitteln. Dieser muss in einem Zeitraum von maximal drei Wochen zu beseitigen sein, da eine kreditwürdige Person in der Lage ist, sich binnen dieser Frist die benötigten Beträge darlehensweise zu beschaffen. Sonst liegt Zahlungsunfähigkeit vor (BGH, Beschluss vom 23. Mai 2007 - 1 StR 88/07, BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsfähigkeit 2 mwN).
14
Die Feststellung derselben erfolgt in der Regel durch die sogenannte betriebswirtschaftliche Methode. Dies setzt eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraus (BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 - 1 StR 668/98, NJW 2000, 154; Beschluss vom 30. Januar 2003 - 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546). Zur Abgrenzung von der bloßen Zahlungsstockung ist diese Methode um eine Prognose darüber zu ergänzen , ob innerhalb der Drei-Wochen-Frist mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit hinreichend sicher zu rechnen ist, etwa durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder der Veräußerung von Vermögensgegenständen. Das geschieht durch eine Finanzplanrechnung , aus der sich die hinreichend konkret zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben der nächsten 21 Tage ergeben (vgl. hierzu im Einzelnen Graf/Jäger/Wittig-Otte, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2011, § 15a InsO Rn. 65 f. mwN).
15
Die Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO kann aber auch durch sogenannte wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen belegt werden (wirtschaftskriminalistische Methode; vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 - 1 StR 668/98, NJW 2000, 154). Als wirtschaftskriminalistische Warnzeichen kommen u.a. in Betracht die ausdrückliche Erklärung, nicht zahlen zu können, das Ignorieren von Rechnungen und Mahnungen, gescheiterte Vollstreckungsversuche , Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern, der Sozialversicherungsabgaben oder der sonstigen Betriebskosten, Scheck- und Wechselproteste oder Insolvenzanträge von Gläubigern (vgl. zu den Krisensignalen im Einzelnen auch Achenbach/Ransiek-Wegner, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl., 7. Teil 1. Kap. Rn. 93; Otte, aaO Rn. 68 mwN).
16
2. Hieran gemessen tragen die Urteilsausführungen die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit nicht.
17
a) Soweit die Strafkammer als ausschlaggebendes wirtschaftskriminalistisches Anzeichen für eine Zahlungsunfähigkeit wertet, dass im fraglichen Zeitraum Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, liegt dem ein unzutreffender Maßstab zugrunde. Denn es handelt sich insoweit um die Grundsätze zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit durch den Tatrichter bei Insolvenzanfechtung. Denn dies stellt ein Ver- fahren dar, welches auf eine rückblickende Betrachtung unter Berücksichtigung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung - etwa im Hinblick auf die Verbindlichkeiten - zurückgreifen kann, mithin auf eine prognostische Beurteilung gerade nicht angewiesen ist. Anders verhält es sich aber bei der Frage, ob eine Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO besteht, da nach den oben dargelegten Maßstäben insoweit eine prognostische Beurteilung erforderlich ist. Auf diesen Unterschied weist der Bundesgerichtshof in der vom Landgericht in Bezug genommenen Entscheidung ausdrücklich hin (BGH, Urteil vom 12. Oktober2006 - IX ZR 228/03 Rn. 28).
18
Dass im Tatzeitraum „offene Verbindlichkeiten“ bestanden, die bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Oktober 2009 noch nicht beglichen worden waren, ist daher kein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Annahme des zeitlich vorgelagerten Eintritts der Zahlungsunfähigkeit.
19
Auch im Weiteren sind keine ausreichend tragfähigen Beweisanzeichen für die Annahme der Zahlungsunfähigkeit dargelegt. Zwar kann es sich bei Kredit - und Darlehenskündigungen von Banken um ein Krisensignal handeln, die Kündigung des Darlehens in Höhe von 172.129,21 € durch die D. Bank mit Schreiben vom 10. Juni 2009 ist jedoch für sich genommen nicht hinlänglich aussagekräftig, zumal offen bleibt, ob die Forderung beglichen worden ist. Auch ist es nicht ausreichend, dass das Landgericht darlegt, die wirtschaftliche Lage sei „angespannt“ gewesen, Außenstände seien sofort eingetrieben wordenund „das Geld“ hättejedenfalls seit April 2009 nicht ausgereicht, „sämtliche Gläubiger der C. zu befriedigen“.
20
b) Soweit das Landgericht Ausführungen zu Verbindlichkeiten derC. und ihren Möglichkeiten zur Begleichung derselben macht - was jedoch der Sache nach unter die betriebswirtschaftliche Methode zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit fällt - boten die Feststellungen aber ebenfalls keine hinreichende Grundlage für die Annahme der Zahlungsunfähigkeit.
21
aa) Dies gilt schon deswegen, weil die Strafkammer bei der Darstellung der Verbindlichkeiten nicht deutlich danach unterscheidet, ob es sich um nur bestehende oder auch um fällige Forderungen handelt.
22
So ist nicht festgestellt, welche konkreten fälligen Forderungen bestanden , die nicht beglichen werden konnten. Die Feststellung, dass nicht „sämtliche Gläubiger“ hätten befriedigt werden können, ersetzt das Erfordernis einer Liquiditätsbilanz nicht. So belegt der von der Strafkammer ihrer Annahme der Zahlungsunfähigkeit zugrunde gelegte Zahlungsplan vom 8. Juni 2009 gerade nicht ausreichend, dass fällige Forderungen nicht beglichen werden konnten. Danach standen der C. an diesem Tag aus dem Eingang von Zahlungen 130.000 € zur Verfügung. Diese wurden aufgewandt, um mehrere fällige Ver- bindlichkeiten in Höhe von insgesamt 111.000 € zu begleichen. Zu einer dieser Teilforderungen in Höhe von 10.000 € ist vermerkt: „Gesamt OP ca. 90.000 €“. Hieraus folgert das Landgericht als Beleg für die Zahlungsunfähigkeit, dass zu- sätzlich zu den 111.000 € weitere 90.000 € nicht beglichen werden konnten. Dass es sich bei diesen 90.000 € um schon fällige und noch nicht - wiez.B. durch die Teilzahlung von 10.000 € - zumindest teilweise beglichene Forderungen handelte, ist dadurch jedoch nicht belegt. Dies - insbesondere im Zusammenhang mit der Zugrundelegung des falschen Maßstabs (vgl. oben a) - vertieft die Besorgnis, dass das Landgericht den Aspekt der Fälligkeit im Tatzeitraum nicht ausreichend in den Blick genommen und bestehende Forderungen mit fälligen Forderungen gleich gesetzt hat.
23
Vor diesem Hintergrund vermag auch die vereinzelte Feststellung, es habe sich bei der dargestellten Entwicklung der Schulden um „fällige Schulden“ gehandelt, die Zahlungsunfähigkeit nicht hinreichend sicher zu belegen. Diesen Feststellungen mangelt es zum einen an einer nachvollziehbaren Grundlage. Hierzu wird nur mitgeteilt, dass die Zahlen aus einer schriftlichen Anfrage an die Gläubiger der C. durch den Sachverständigen resultierten. Unklar bleibt jedoch, was genau Inhalt dieser Anfrage war und ob die von den Gläubigern angegebenen Forderungen tatsächlich den Schluss auf die Fälligkeit derselben im Tatzeitraum und nicht lediglich zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulassen. Insbesondere lässt sich nicht nachvollziehen, ob eine Stundung (vgl. hierzu Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., § 76 Rn. 57 mwN) erfolgte, was angesichts der Feststellungen zumindest teilweise - z.B. hinsichtlich der Gläubiger CO. und Al. - durchaus nahe liegt, jedoch vom unzutreffenden Rechtsmaßstab der Strafkammer aus keine weitere Erörterung erfuhr. Bei gestundeten Forderungen handelt es sich aber nicht um fällige Forderungen im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO.
24
Einen Vergleich der dergestalt „angemeldeten“ Forderungen,die nur in ihrer jeweiligen monatlichen Gesamthöhe mitgeteilt werden und eine weitere Spezifizierung vermissen lassen, mit den Erkenntnissen aus den Insolvenzunterlagen oder den Zahlen aus der Buchhaltung hat das Landgericht nicht angestellt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, zumal die vom Landgericht dargelegten Erkenntnisschwächen der Buchhaltungsunterlagen nicht auf Verbindlichkeiten der C. selbst bezogen sind.
25
bb) Zudem sind die Feststellungen zu den zur Verfügung stehenden Zahlungsmitteln nicht ausreichend. Als solche kommen nämlich gemäß den oben dargelegten Grundsätzen nicht nur „freie Kreditlinien“ in Betracht, sondern auch anderweitige kurzfristig herbeizuschaffende Finanzmittel.
26
Deswegen hätte in diesem Zusammenhang erörtert werden müssen, dass ausweislich der Feststellungen zwei Bankkonten im gesamten Tatzeitraum noch relevantes Guthaben aufwiesen, so das Konto bei der Sp. und das bei der H. , welche zusammengenommen ein Guthaben von über 180.000 € im Mai 2009 und von über 160.000 €im Juni 2009 aufwiesen. Zudem wäre in die Betrachtung einzubeziehen gewesen, mit welchen Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb der C. hinreichend sicher stichtagsbezogen zu rechnen war. Denn das Landgericht stellt schließlich fest, dass werthaltige Forderungen gegen Kunden der C. in einer Höhe von bis zu 1 Mio. € nicht auszuschließen seien. Auch die Umstände, unter denen die A. bereit gewesen wäre, Finanzmittel für die C. zur Verfügung zu stellen („zur Vermeidung einer bilanziellen Überschuldung“, „im ‚Notfall‘“, „im Fall extremer Liquiditätsengpässe“)wären näher aufzuklären und die gegebenenfalls so ermittelten Beträge in die Gegenüberstellung einzubeziehen gewesen.

III.


27
Da die Zahlungsunfähigkeit der C. nicht ausreichend belegt ist, die Feststellungen zum Betrug aber hieran anknüpfen, war die Verurteilung auch insoweit mit den Feststellungen aufzuheben. Sollte das neue Tatgericht sich abermals davon überzeugen, dass die Bestellungen durch den Angeklagten in der festgestellten Weise, mithin durch die jeweilige Genehmigung der Bestellungen betrügerisch erfolgten, so handelt es sich nicht um die Begehung eines einheitlichen Delikts, sondern um mehrere selbständige Betrugstaten.

IV.


28
Um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubeurteilung zu ermöglichen , hebt der Senat die Feststellungen insgesamt auf, auch wenn diejenigen zur faktischen Geschäftsführerschaft (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 - 1 StR 459/12, wistra 2013, 272) für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffen sind.
29
Das neue Tatgericht wird insbesondere aufzuklären haben, inwieweit die T. zur Nachschießung von finanziellen Mitteln an die C. verpflichtet und hierzu unter Berücksichtigung der 1 Mio. €, die im April bzw. Mai 2009 von der A. an die T. geflossen ist, in der Lage war. Aufzuklären sein wird auch, ob und unter welchen Bedingungen die liquide A. zu Zahlungen bereit bzw. verpflichtet war. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen des § 15a Abs. 3 InsO auf den Antrag des Generalbundesanwalts hin.
Wahl Graf Jäger
Cirener Radtke

(1) Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen. Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen. Das Gleiche gilt für die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter oder die Abwickler bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist; dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.

(2) Bei einer Gesellschaft im Sinne des Absatzes 1 Satz 3 gilt Absatz 1 sinngemäß, wenn die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter ihrerseits Gesellschaften sind, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, oder sich die Verbindung von Gesellschaften in dieser Art fortsetzt.

(3) Im Fall der Führungslosigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist auch jeder Gesellschafter, im Fall der Führungslosigkeit einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft ist auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Antrags verpflichtet, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis.

(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Absatz 1 Satz 1 und 2, auch in Verbindung mit Satz 3 oder Absatz 2 oder Absatz 3, einen Eröffnungsantrag

1.
nicht oder nicht rechtzeitig stellt oder
2.
nicht richtig stellt.

(5) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 4 fahrlässig, ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(6) Im Falle des Absatzes 4 Nummer 2, auch in Verbindung mit Absatz 5, ist die Tat nur strafbar, wenn der Eröffnungsantrag rechtskräftig als unzulässig zurückgewiesen wurde.

(7) Auf Vereine und Stiftungen, für die § 42 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt, sind die Absätze 1 bis 6 nicht anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 399/17
vom
1. März 2018
BGHSt: ja zu I und II
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––
Zur Bedeutung der Eigengefährdung für das Vorliegen von bedingtem Tötungsvorsatz
bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr.
BGH, Urteil vom 1. März 2018 – 4 StR 399/17 – LG Berlin
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:010317U4STR399.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 1. Februar 2018 in der Sitzung am 1. März 2018, an denen teilgenommen haben :
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – und Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger des Angeklagten H. ,
Rechtsanwalt und Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten N. ,
Rechtsanwältin – in der Verhandlung – als Vertreterin der Nebenklägerin K. ,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter des Nebenklägers M. W. ,
der Nebenkläger M. W. in Person – in der Verhandlung –,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter des Nebenklägers P. W. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Februar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem hat es den Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, ihre Führerscheine eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihnen lebenslang keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revisionen.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils befuhren die Angeklagten in der Nacht zum 1. Februar 2016 gegen 0.30 Uhr mit ihren hochmotorisierten Fahrzeugen den Kurfürstendamm in Berlin in derselben Richtung. Beifahrerin im Fahrzeug des Angeklagten N. war die Nebenklägerin K. . An der Kreuzung am Adenauerplatz kamen sie bei rotem Ampelsignal nebeneinander zum Stehen.
3
Der Angeklagte H. , der die Beifahrerin im Fahrzeug des Angeklagten N. wahrnahm, signalisierte durch laute Motorgeräusche, dass er zu einer Wettfahrt bereit sei. Die Angeklagten unterhielten sich kurz und verabredeten durch Gesten und das Spiel mit dem Gaspedal spontan ein Autorennen entlang des Kurfürstendamms und der Tauentzienstraße. Ziel sollte ein Kaufhaus an der Ecke Tauentzienstraße und Nürnberger Straße sein, wobei die An- geklagten bis dorthin elf ampelgeregelte Kreuzungen zu überqueren und eine Strecke von zweieinhalb Kilometern zurückzulegen hatten.
4
Der Angeklagte H. fuhr daraufhin „unter Missachtung roter Ampeln“ mit stark überhöhter Geschwindigkeit los, um möglichst schnell und vor dem Angeklagten N. das Ziel zu erreichen. Der Angeklagte N. nahm, nachdem er zunächst noch an zwei roten Ampeln angehalten hatte, unter deut- licher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und ebenfalls „unter Überfahren von roten Ampeln“ die Verfolgung auf, um vor dem Angeklagten H. das Ziel zu erreichen. Er holte den Angeklagten H. spätestens in Höhe der U-Bahn-Station Uhlandstraße ein. Zwei Fußgängerinnen, die sich auf einer dort gelegenen Mittelinsel des Kurfürstendamms befanden und gerade die Fahrbahn queren wollten, sprangen hinter das Geländer des U-Bahn-Eingangs zurück, um nicht von den Fahrzeugen der Angeklagten erfasst zu werden.
5
Beide Fahrzeuge hatten zu dieser Zeit eine Geschwindigkeit von deutlich über 100 km/h erreicht. Die Kurve am Breitscheidplatz befuhren die Angeklagten im Bereich der Kurvengrenzgeschwindigkeit. Die in der Kurve an der Kreuzung Tauentzienstraße und Rankestraße liegende Lichtzeichenanlage überfuhren beide bei rotem Ampelsignal.
6
Am Kurvenausgang beschleunigte der Angeklagte H. sein Fahrzeug, um den nun vor ihm fahrenden Angeklagten N. wieder einzuholen, und erreichte hierbei eine Geschwindigkeit von 100 bis 150 km/h. Der Angeklagte N. fuhr auf der linken, der Angeklagte H. auf der rechten der beiden für den Durchgangsverkehr vorgesehenen Fahrspuren auf die für sie Rotlicht zeigende Ampel an der Kreuzung Tauentzienstraße und Nürnberger Straße zu.
Beide Angeklagten fuhren bei rotem Ampelsignal in den Kreuzungsbereich ein, der Angeklagte N. mit einem Vorsprung von wenigen Metern und einer Geschwindigkeit von 139 bis 149 km/h, der Angeklagte H. mit einer Geschwindigkeit von mindestens 160 bis 170 km/h.
7
„Spätestens jetzt“ war beiden Angeklagten bewusst, dass ein die Nürn- berger Straße befahrender, bei grüner Ampelphase berechtigt in die Kreuzung einfahrender Fahrzeugführer und etwaige Mitinsassen bei einer Kollision nicht nur verletzt, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit zu Tode kommen würden. Die körperliche Schädigung anderer – auch der Nebenklägerin K. als Beifahrerin im Fahrzeug des Angeklagten N. – war ihnen gleichgültig; sie überließen es dem Zufall, ob es zu einem Zusammenstoß mit einem oder mehreren Fahrzeugen im Kreuzungsbereich kommen würde. Die Schädigung bzw. den Tod anderer Verkehrsteilnehmer sowie im Nahbereich der Kreuzung aufhältiger Personen durch herumfliegende Trümmerteile der beteiligten Fahrzeuge nahmen sie billigend in Kauf.
8
In der Kreuzung kollidierte der Angeklagte H. – „absolut unfähig noch zu reagieren“ – mitdem Fahrzeug des Geschädigten W. , der aus der Nürnberger Straße in Fahrtrichtung der Angeklagten von rechts kommend regelkonform bei grünem Ampelsignal in den Kreuzungsbereich eingefahren war. Das von dem Angeklagten H. gesteuerte Fahrzeug drehte sich nach links und kollidierte sodann mit dem neben ihm fahrenden Pkw des Mitangeklagten , bevor es mit einer Geschwindigkeit von 140 km/h gegen eine Hochbeeteinfassung stieß. Auch das von dem Angeklagten N. gesteuerte Fahrzeug kollidierte frontal mit einer Hochbeeteinfassung.
9
Der Geschädigte W. , dessen Fahrzeug durch die Wucht des Aufpralls durch die Luft geschleudert worden war, zog sich schwere Verletzungen zu und verstarb noch am Unfallort. Die Beifahrerin im Fahrzeug des Angeklagten N. wurde erheblich verletzt. Der Kopf einer Fußgängerin wurde von vorbeifliegenden Fahrzeugteilen nur um wenige Zentimeter verfehlt. Die Angeklagten wurden leicht verletzt.
10
2. Das Landgericht hat angenommen, dass sich die Angeklagten – jeweils als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) – wie folgt strafbar gemacht haben: bezüglich des Geschädigten W. wegen Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln (§ 211 Abs. 2 StGB); bezüglich der Beifahrerin im Fahrzeug des Angeklagten N. wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs sowie mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB); zudem wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung durch Nichtbeachtung der Vorfahrt und durch zu schnelles Fahren an einer Kreuzung gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) und d) StGB.

II.


11
Die Rechtsmittel der Angeklagten haben bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es einer Entscheidung über die erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr bedarf. Das Urteil weist in mehrfacher Hinsicht durchgreifende sachlich-rechtliche Mängel auf.
12
1. Bereits die Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts.
13
Voraussetzung für die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat ist nach § 16 Abs. 1 StGB, dass der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bei ihrer Begehung kennt. Dementsprechend muss der Vorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1985 – 3 StR 300/85, StV 1986, 59; Beschluss vom 7. September 2017 – 2 StR 18/17, NStZ 2018, 27; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 15 Rn. 3; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 212 Rn. 5). Fasst der Täter den Vorsatz erst später (dolus subsequens), kommt eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 30. April 1997 – 2 StR 550/96, BGHR StGB § 15 Vorsatz 5; vom 23. Oktober 1985 – 3 StR 300/85, aaO; Beschlüsse vom 7. September 2017 – 2 StR 18/17, aaO; vom 14. Juni 1983 – 4 StR 298/83, NStZ 1983, 452; Fischer, aaO, § 15 Rn. 3). Aus der Notwendigkeit , dass der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen muss, folgt, dass sich wegen eines vorsätzlichen Delikts nur strafbar macht, wer ab Entstehen des Tatentschlusses noch eine Handlung vornimmt, die in der vorgestellten oder für möglich gehaltenen Weise den tatbestandlichen Erfolg – bei Tötungsdelikten den Todeserfolg – herbeiführt. Dass dies auf die Tat der Angeklagten zutrifft, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Im Gegenteil:
14
Das Landgericht hat einen bedingten Tötungsvorsatz erst – wie sich aus der Wendung „Spätestens jetzt (…)“ aufUA 25 ergibt – für den Zeitpunkt festgestellt , als die Angeklagten bei Rotlicht zeigender Ampel in den Bereich der Kreuzung Tauentzienstraße/Nürnberger Straße einfuhren. Aus dieser Feststellung , die auch an anderer Stelle des Urteils keine Modifizierung findet, vielmehr mehrfach bestätigt wird (etwa auf UA 60), folgt zugleich, dass sich das Landgericht nicht die Überzeugung verschafft hat, dass die Angeklagten den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers als Folge ihrer Fahrweise schon vor dem Einfahren in den Kreuzungsbereich als möglich erkannten und billigend in Kauf nah- men. Hatten die Angeklagten indes den Tötungsvorsatz erst beim Einfahren in den Kreuzungsbereich gefasst, könnte ihre Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts nach den dargestellten Grundsätzen nur dann Bestand haben, wenn sie nach diesem Zeitpunkt noch eine Handlung vornahmen, die für den tödlichen Unfall ursächlich war, oder eine gebotene Handlung unterließen, bei deren Vornahme der Unfall vermieden worden wäre.
15
Feststellungen zu einem solchen unfallursächlichen Verhalten, das vom Tötungsvorsatz der Angeklagten getragen war, hat das Landgericht nicht getroffen. Vielmehr hat es sowohl bei der Darstellung des Sachverhalts als auch an weiteren Stellen des Urteils ausgeführt, dass die Angeklagten beim Einfahren in den Kreuzungsbereich bereits keine Möglichkeit zur Vermeidung der Kollision mehr besaßen: So hat es etwa bezüglich des AngeklagtenH. festgestellt, er sei zu diesem Zeitpunkt „absolut unfähig“ gewesen, „noch zu reagieren“ (UA 26). Auch an anderer Stelle des Urteils hat es darauf verwiesen, „die Angeklagten [hätten] sich durch ihr Verhalten, insbesondere ihre Geschwindigkeit, jeglicher Reaktionsmöglichkeit beraubt“ (UA 58) und „bei Einfahrt in den Kreuzungsbereich“ sei „ein Vermeidungsverhalten (…) auch objektiv nicht mehr möglich“ gewesen (UA 60).Die für den Unfall maßgeblichen Umstände, insbesondere die bereits erreichte Kollisionsgeschwindigkeit sowie das Einfahren in den Kreuzungsbereich trotz roten Ampelsignals, lagen danach bereits vor bzw. waren unumkehrbar in Gang gesetzt, als die Angeklagten – nach den Feststellungen – den Tötungsvorsatz fassten. Ein unfallursächliches Verhalten der Angeklagten , das zeitlich mit der Fassung des Tötungsvorsatzes zusammenfiel oder nachfolgte, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Dass der Tötungsvorsatz ab einem Zeitpunkt vorlag, als die tödliche Kollision bereits nicht mehr zu verhindern war, ist für die Annahme eines vorsätzlichen Tötungsdelikts rechtlich bedeutungslos.
16
2. Zudem halten die Beweiserwägungen, mit denen das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz angenommen hat, auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteile vom 12. Januar 2017 – 1 StR 360/16, juris Rn. 10; vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 403; vom 20. Juni 2013 – 4 StR 159/13, juris Rn. 19) rechtlicher Überprüfung nicht stand.
17
a) In rechtlicher Hinsicht ist nach ständiger Rechtsprechung bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement) (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37, 38; vom 8. Dezember 2016 – 1 StR 351/16, NStZ 2017, 277, 279; vom 7. Juli 2016 – 4 StR 558/15, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67; vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NJW 2014, 3382, 3383; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2016 – 4 StR 72/15, NStZ 2016, 211, 215; vom 30. April 2014 – 2 StR 383/13, StV 2015, 300, 301; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 63).
18
b) Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 2016 – 4 StR 558/15, aaO; vom 19. April 2016 – 5 StR 498/15, aaO; vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25,

26).


19
Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80; vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO, 186 f.). Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, aaO, 80; vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243; Beschluss vom 26. April 2016 – 2 StR 484/14, NStZ 2017, 22, 23). Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 1986 – 2 StR 311/86, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 1 – Willenselement; Beschluss vom 7. März 2006 – 4 StR 25/06, NStZ 2006, 446). Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2014 – 2 StR 54/14, NStZ 2015, 516, 517; Beschlüsse vom 10. Juli 2007 – 3 StR 233/07, NStZ-RR 2007, 307; vom 27. August 2013 – 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35).
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c) Diesen Anforderungen werden die Beweiserwägungen der Strafkammer nicht gerecht, da sich das angefochtene Urteil mit einem wesentlichen vorsatzkritischen Gesichtspunkt, der möglichen Eigengefährdung der Angeklagten im Fall einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug, nicht in rechtlich tragfähiger Weise auseinandergesetzt hat.
21
aa) In Fällen einer naheliegenden Eigengefährdung des Täters – wie hier – ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht (vgl. BGH, Urteile vom 20. Juni 2000 – 4 StR 162/00, NStZ 2000, 583, 584; vom 20. Dezember 1968 – 4 StR 489/68, VerkMitt 1969, Nr. 44). Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat (vgl. BayObLG, NJW 1955, 1448, 1449 für den alkoholisierten Autofahrer; Roxin, AT I, 4. Aufl., § 12 Rn. 23 ff.; ders., FS Rudolphi, 2004, 243, 255; Frisch, Vorsatz und Risiko, 1983, S. 219; Jäger, JA 2017, 786, 788; Walter, NJW 2017, 1350 f.). Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven Tatumständen ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien. So kann es sich etwa unterschiedlich auf das Vorstellungsbild des Täters zu seiner Eigengefährdung auswirken, ob er sich selbst in einem Pkw oder auf einem Motorrad befindet und ob Kollisionen mit Fußgängern oder Radfahrern oder mit anderen Pkw oder gar Lkw drohen.
22
bb) Bei ihrer Würdigung des Geschehens hat die Strafkammer dem Gesichtspunkt einer möglichen unfallbedingten Eigengefährdung bereits im Ansatz jegliches Gewicht abgesprochen, indem sie davon ausgegangen ist, dass sich die Angeklagten in ihren Fahrzeugen sicher gefühlt hätten.
23
(1) Das Landgericht hat die Annahme eines solchen Sicherheitsgefühls der Angeklagten jedoch bereits für sich genommen nicht tragfähig begründet, da es hierbei rechtsfehlerhaft maßgeblich auf einen nicht existierenden Erfahrungssatz zurückgegriffen hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1954 – 5 StR 416/54, BGHSt 7, 82, 83; Beschluss vom 8. September 1999 – 2 StR 369/99, BGHR StPO § 261 Erfahrungssatz 6; Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Aufl., § 337 Rn. 31).
24
Das angefochtene Urteil geht von der Hypothese aus, dass mit den Angeklagten vergleichbare Verkehrsteilnehmer regelmäßig kein Eigenrisiko in Rechnung stellten. Hierzu wird ausgeführt, dass „sportlich genutzte Fahrzeuge der in Rede stehenden Art“ ein „besonderes Gefühl der Sicherheit“ vermittelten; „die Fahrer solcher Fahrzeuge“ fühlten sich in ihren „tonnenschweren, stark be- schleunigenden und mit umfassender Sicherheitstechnik ausgestatteten Autos geschützt, stark und überlegen wie in einem Panzer oder in einer Burg“ und blendeten „jegliches Risiko für sich selbst“ aus. Einen Erfahrungssatz, nach dem sich ein bestimmter Typ Autofahrer in einer bestimmten Art von Kraftfahrzeug grundsätzlich sicher fühlt und jegliches Risiko für die eigene Unversehrt- heit ausblendet, gibt es indes nicht. Ein entsprechendes Vorstellungsbild ist konkret auf die Angeklagten bezogen zudem nicht belegt. Gerade angesichts der vorliegend objektiv drohenden Unfallszenarien – Kollisionen an einer innerstädtischen Kreuzung mit anderen Pkw oder, wie die Urteilsgründe mitteilen, sogar mit Bussen bei mindestens 139 bzw. 160 km/h – versteht sich dies auch nicht von selbst.
25
(2) Zudem liegen dem angefochtenen Urteil widersprüchliche Annahmen bezüglich der durch die Angeklagten vorgenommenen Gefahreinschätzung zugrunde. Während die Strafkammer einerseits davon ausgeht, dass die Angeklagten sich selbst in ihren Fahrzeugen sicher gefühlt und keinerlei Eigenrisiko in Rechnung gestellt hätten, hat sie andererseits ausgeführt, dass beide Angeklagten mit dem Vorsatz bezüglich einer Körperverletzung der Nebenklägerin K. , und zwar einer solchen mittels eines gefährlichen Werkzeugs und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB), gehandelt bzw. sogar „in Kauf“ genommen hätten, dass sie „tödliche Verletzungen erleiden könnte“ (UA 72). Da sich die Nebenklägerin bei der Tatbegehung auf dem Beifahrersitz neben dem Angeklagten N. befand, hat das Landgericht bezüglich der Insassen desselben Fahrzeuginnenraums zwei einander widersprechende Gefahreinschätzungen vorgenommen. Die – nichtnaheliegende – Annahme, die Angeklagten hätten ihre eigene Gefährdung und die der Nebenklägerin unterschiedlich bewertet, wird von der Strafkammer nicht erläutert.
26
3. Was den Angeklagten N. betrifft, könnte das Urteil im Übrigen schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Erwägungen, auf die das Landgericht die Annahme stützt, der Angeklagte N. habe sich des mittäterschaftlich begangenen Mordes schuldig gemacht, rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten. Die vom Landgericht vorgenommene Prüfung mittäterschaftlichen Verhaltens greift zu kurz, da die gebotene tatbestandsbezogene Prüfung der Voraussetzungen mittäterschaftlicher Begehung – die hier auf das Vorliegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts gerichtet sein musste – unterblieben ist.
27
a) Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB setzt einen gemeinsamen Tatentschluss voraus, auf dessen Grundlage jeder Mittäter einen objektiven Tatbeitrag leisten muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. September 2017 – 2 StR 161/17, NStZ-RR 2018, 40; vom 4. April 2017 – 3 StR 451/16, juris Rn. 7). Der gemeinsame Tatplan muss nicht ausdrücklich geschlossen sein, vielmehr genügt eine konkludente Übereinkunft; diese kann auch – in Erweiterung des ursprünglichen Tatplans – im Rahmen arbeitsteiliger Tatausführung getroffen werden (BGH, Urteile vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ-RR 2012, 77, 78; vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 292; vom 9. März 1994 – 3 StR 711/93, NStZ 1994, 394; Beschluss vom 18. Mai 1995 – 5 StR 139/95, BGHSt 41, 149, 151). Bezugspunkt des Tatentschlusses bzw. des Tatplans ist gemäß § 25 Abs. 2 StGB jedoch stets die Straftat. Ein mittäterschaftlich begangenes Tötungsdelikt setzt daher voraus, dass der gemeinsame Tatentschluss auf die Tötung eines Menschen durch arbeitsteiliges Zusammenwirken gerichtet ist. Für die Annahme eines mittäterschaftlich begangenen Tötungsdelikts reicht es deshalb nicht aus, dass sich die Täter lediglich zu einem gemeinsamen Unternehmen entschließen, durch das ein Mensch zu Tode kommt.
28
b) Vorliegend fehlt es bereits an der Feststellung eines durch die Angeklagten gefassten gemeinsamen Tatentschlusses, der eine bedingt vorsätzliche Tötung eines anderen Verkehrsteilnehmers umfasste. Festgestellt und belegt hat die Strafkammer lediglich, dass sich die Angeklagten bei ihrem Zusammen- treffen am Adenauerplatz auf „die Durchführung eines spontanen Autorennens geeinigt“ (UA 47) haben. Ferner hat das Landgericht darauf verwiesen, der An- geklagte N. habe durch sein Fahrverhalten bei stetig steigender Geschwindigkeit konkludent zum Ausdruck gebracht, dass er mit dem Angeklagten H. „ein gemeinsames Rennen fahren und sich auf ein Kräftemessen ein- lassen“ wollte (UA 49).Aus diesen Ausführungen lässt sich indes lediglich die Verabredung und gemeinsame Durchführung eines illegalen Straßenrennens entnehmen. Weder für den Zeitpunkt der Rennverabredung noch für den nachfolgenden Rennverlauf hat das Landgericht eine – zumindest konkludente – Erweiterung des gemeinsamen Tatentschlusses festgestellt und belegt. Viel- mehr hat es insoweit nur darauf verwiesen, dass „ein Kräftemessen mittels eines Autorennens/Stechens naturgemäß ein von einer gemeinsamen Tatherrschaft getragenes Verhalten“ (UA 49) darstellt. Die erforderliche Anknüpfung dieser Erwägungen an ein vorsätzliches Tötungsdelikt findet sich im Rahmen der Prüfung der Mittäterschaft nicht. Dass die Angeklagten den Entschluss gefasst hätten, einen anderen durch gemeinschaftliches Verhalten zu töten, lässt sich dem Urteil an keiner Stelle entnehmen.

III.


29
1. Die Ausführungen der Revisionsführer zu dem vom Landgericht eingeholten verkehrspsychologischen Gutachten geben Anlass zu folgenden Bemerkungen :
30
Die Feststellung, ob ein Angeklagter vorsätzlich gehandelt hat, ist Tatfrage und obliegt allein dem Tatrichter (vgl. BGH, Urteile vom 3. Dezember2015 – 4 StR 367/15, NStZ 2016, 668, 669 f.; vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 583; vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NJW 2006, 386 f.; LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 15 Rn. 63). Diese Prüfung hat stets einzelfallbezogen zu erfolgen und lässt eine generalisierende Betrachtung – etwa in Gestalt von Rechts- oder Erfahrungssätzen, denen zufolge bei einem bestimmten Personenkreis oder einer bestimmten Vorgehensweise grundsätzlich eine vorsätzliche Tatbegehung zu bejahen oder zu verneinen sei – nicht zu (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 367/15, aaO, 669 f.; Beschlüsse vom 7. März 2006 – 4 StR 25/06, NStZ 2006, 446; vom 14. Januar 2003 – 4 StR 526/02, NStZ 2003, 369, 370; LK-StGB/Vogel, aaO, § 15 Rn. 67; vgl. auch zur geringen Bedeutung allgemeiner statistischer Aussagen im Rahmen von Prognoseentscheidungen BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720, 722; vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204). Dies gilt auch für den im angefochtenen Urteil und seitens der Revisionen in Bezug genommenen Personenkreis der „Raser“ bzw. „die Angehörigen der Raserszene“ ; auch dieser Personenkreis ist im Hinblick auf die Frage des Vorlie- gens oder auch des Fehlens eines (Tötungs-)Vorsatzes einer kategorialen Zuordnung über den Einzelfall hinaus nicht zugänglich.
31
2. Sollte der neue Tatrichter wiederum zur Annahme eines vorsätzlichen Tötungsdelikts gelangen, gilt mit Blick auf mögliche Mordmerkmale das Folgende :
32
a) Bezüglich des Mordmerkmals der Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels wird eine konsistente Gesamtbewertung der subjektiven Tatseite vorzunehmen sein. Soweit in dem angefochtenen Urteil im Zusammenhang mit dem Tötungsvorsatz ausgeführt wird, mögliche Gedanken der Angeklagten an die Zerstörung der eigenen Fahrzeuge seien im „Adrenalinrausch“ und im „Kick“ des Rennens „untergegangen“, zugleich aber angenommen wird, die Angeklag- ten hätten die Tötung von Personen durch umherfliegende Trümmerteile der beteiligten Fahrzeuge – also auch des eigenen Fahrzeugs – billigend in Kauf genommen, lässt sich dies nicht ohne Weiteres miteinander in Einklang bringen.
33
b) Gegebenenfalls wird auch das Mordmerkmal der Heimtücke zu erörtern sein, wobei allerdings das hierfür erforderliche Ausnutzungsbewusstsein einer eingehenden Prüfung bedarf (vgl. BGH, Urteile vom 15. November 2017 – 5 StR 338/17, NStZ 2018, 97, 98; vom 29. Januar 2015 – 4 StR 433/14, NStZ 2015, 392, 393; vom 11. November 1986 – 1 StR 367/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 1; vom 30. Januar 1990 – 1 StR 688/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 11; und vom 25. Oktober 1984 – 4 StR 615/84, NStZ 1985, 216).
34
3. Der Senat weist darauf hin, dass sich das gesamteRenngeschehen – entgegen der Auffassung der Strafkammer (UA 65) – als eine prozessuale Tat darstellt.
35
4. Hinsichtlich der Vorbelastung der Angeklagten mit straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeiten wird der neue Tatrichter gegebenenfalls Gelegenheit haben, sich mit einer möglichen Tilgungsreife und einer daraus folgenden Unverwertbarkeit einzelner Registereintragungen auseinanderzusetzen. Dabei sind die tatsächlichen Voraussetzungen der Verwertbarkeit im Urteil so festzustellen, dass eine revisionsrechtliche Überprüfung möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92, NJW 1993, 3081, 3084; MüKo-StVR/Koehl, § 29 StVG Rn. 5).
36
5. Bei der Bemessung einer möglichen Sperrfrist nach § 69a StGB sind auch die Dauer und die Wirkungen des Strafvollzugs infolge einer Freiheitsstrafe zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 1997 – 4 StR 271/97, NStZ-RR 1997, 331, 332).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 45/13
vom
16. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten G. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten D. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. November 2012 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die der Generalbundesanwalt vertritt, rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet im Einzelnen die Ablehnung des (bedingten) Tötungsvorsatzes der Angeklagten durch das Landgericht. Das Rechtsmittel ist unbegründet; die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachbeschwerde ergibt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten oder zulasten (§ 301 StPO) der Angeklagten.

I.

2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Am Morgen des 17. September 2011 kam es in der Nähe einer Diskothek in A. zunächst zu einem verbalen Konflikt zwischen einer Gruppe um die - erheblich alkoholisierten und in ihrer Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich verminderten - Angeklagten und dem Geschädigten S.. Dieser begab sich danach zum Eingangsbereich der Diskothek und setzte sich auf die dortigen Stufen. Nachdem die Angeklagten und zwei ihrer Begleiter ein Taxi bestiegen hatten und aus diesem Fahrzeug heraus beim Vorbeifahren an dem Geschädigten und dessen Bekannten K. ein sogenannter "Stinkefinger" gezeigt worden war, stand K. auf, folgte dem Taxi und schlug gegen die Scheibe, um die Insassen zu einer Klärung aufzufordern. Die Insassen des Taxis stiegen aus. Einer von ihnen, der Zeuge Sch. , begab sich sogleich zum Zeugen K. , worauf sich zwischen diesen beiden eine verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen ergab. Der Geschädigte ging in die Richtung der Streitenden, um K. aus der Auseinandersetzung herauszuholen. Daraufhin kam es zwischen dem Angeklagten D. und dem Geschädigten ebenfalls zu Beleidigungen und zu einem Gerangel. Schließlich versetzte der Angeklagte D. dem Geschädigten zwei bis drei gezielte heftige Faustschläge in das Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging. Der Angeklagte D. beugte sich sodann herunter und schlug jedenfalls ein weiteres Mal mit der Faust auf den Oberkörper oder in das Gesicht des Geschädigten, wobei dieser versuchte, sich durch seine Hände und Arme vor der Wucht der Schläge zu schützen. Der Angeklagte G. , der sich bis dahin irgendwo im Umfeld des Geschehens aufgehalten hatte, ohne selbst einzugreifen, kam hinzu, als der Geschädigte bereits am Boden lag, um mit seinem Freund D. gemeinsam auf den Geschädigten einzuwirken. Der Angeklagte G. trat aus dem Lauf heraus mit der Innenseite seines mit Straßenturnschuhen beschuhten linken Fußes wuchtig gegen den Kopf des Geschädigten. In schneller Abfolge folgten von diesem Angeklagten ausgeführte vier bis fünf weitere Tritte in das Gesicht des am Boden Liegenden. Der Angeklagte D. , der leichte Straßenturnschuhe trug, nahm dies wahr, billigte das Vorgehen seines Freundes G. und trat nunmehr ebenfalls zwei- bis dreimal heftig auf das sich nicht mehr wehrende Opfer ein. Die Tritte gingen jedenfalls auch gezielt auf den Kopf des Opfers. Sie waren wuchtig und potentiell lebensbedrohlich, ohne dass es allerdings zu einer konkreten Lebensgefahr kam. Schließlich ließ der Angeklagte D. von dem Geschädigten ab und lief, sich die Jacke über den Kopf ziehend, in Richtung einer nahegelegenen Tankstelle davon. Der Angeklagte G. führte noch einen Tritt aus und flüchtete dann, sich seine Jacke ebenfalls über den Kopf ziehend, unmittelbar hinter dem Angeklagten D. her. Bei der Tankstelle blieben sie gut sichtbar stehen.
4
Infolge der Gewalteinwirkung durch die Angeklagten erlitt der Geschädigte im Wesentlichen eine Fraktur des Orbitabogens links, eine Kieferhöhlenfraktur links sowie eine Nasenbeinfraktur. Er verlor insgesamt drei Zähne. Im Bereich des linken Auges bis hinunter zum Jochbogen hatte er ein sogenanntes Monokelhämatom. Der Geschädigte verbrachte einen Tag im Krankenhaus; er litt auch danach noch in erheblichen Umfang und längere Zeit an den psychischen Folgen der Tat, die auch zum Verlust seines Arbeitsplatzes führten.
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2. Den Schuldspruch hat das Landgericht auf § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB gestützt. Die Angeklagten hätten jedenfalls billigend in Kauf genommen, mit ihren wuchtigen Tritten gegen den Kopf des Geschädigten er- hebliche Körperverletzungen hervorzurufen. Demgegenüber hat das Landgericht nicht sicher feststellen können, "dass der vor Beginn der Tathandlung gefasste Entschluss einen Tötungsvorsatz enthielt" oder die Angeklagten "im Verlauf der Geschehnisse einen Tötungsvorsatz fassten". Die Jugendkammer hat daher den Tatbestand des versuchten Totschlags nicht festzustellen vermocht. Dies hat das Landgericht ausführlich und im Einzelnen begründet. Dabei hat es sich davon überzeugt, dass das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes bei den Angeklagten gegeben war, aber unter Abwägung der festgestellten Gesamtumstände das Vorliegen des Willenselementes des bedingten Tötungsvorsatzes bei beiden Angeklagten nicht ohne vernünftige Zweifel festzustellen vermocht.

II.

6
Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Beweiswürdigung , auf welcher die Überzeugung der Jugendkammer beruht, ein auch nur bedingter Tötungsvorsatz sei nicht zweifelsfrei festzustellen, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens - als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt daher allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen , wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre.
8
Gleichermaßen allein Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen. Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich gewesen sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Umstandes, die einer Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung widerspräche.
9
Dieselben Grundsätze gelten für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. zu alledem BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f. mwN).
10
Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten.
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2. Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Jugendkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Die Beschwerdeführerin beanstandet die Beweiswürdigung weitgehend mit eigenen Wertungen; damit kann die Revision regelmäßig nicht erfolgreich begründet werden. Im Einzelnen:
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Das Landgericht ist bei seiner Würdigung der Feststellungen und Beweisanzeichen von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Jugendkammer habe den Indizwert der Tritte gegen den Kopf des Geschädigten und das äußere Tatgeschehen für das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes zu gering bewertet, zeigt sie einen Rechtsfehler nicht auf. Die Gewichtung der objektiven Tatumstände und die Bewertung ihrer Bedeutung für den subjektiven Tatbestand sind allein dem Tatrichter vorbehalten. Dies gilt auch bei Tritten des Täters gegen den Kopf des Opfers, die nicht stets und gleichsam automatisch den Schluss auf das Vorliegen eines (bedingten) Tötungsvorsatzes begründen. Auch die Einordnung und Würdigung der - ambivalenten - Beweisanzeichen einer erheblichen Alkoholisierung und eines spontanen Handelns in affektiver Erregung obliegen dem Tatrichter (BGH, aaO, juris Rn. 16). Zudem ist anerkannt, dass insbesondere bei spontanen , unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten darauf geschlossen werden kann, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 mwN). Ebenso dem Tatrichter vorbehalten ist die Entscheidung, welcher Stellenwert dem Nachtatverhalten des Täters im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung beizumessen ist. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten nach der Tat, das nach den Feststellungen nicht nur von einer Flucht unter Verbergen des Gesichts, sondern auch durch ein sichtbares Verbleiben in der Nähe des Tatortes gekennzeichnet war, unter Heranziehung aller insoweit maßgeblichen Gesichtspunkte rechtsfehlerfrei gewürdigt. Der Senat kann mit Blick auf die Urteilsgründe ausschließen, dass die Jugendkammer bei der Bewertung der Verletzungen des Geschädigten die von ihr festgestellten Gesichtsschädelfrakturen außer Acht gelassen hat. Die Würdigung des Landgerichts, es könne trotz der Heftigkeit der Tritte nicht ausgeschlossen werden, dass die - fußballerisch erfahrenen - Angeklagten nicht mit der ihnen möglichen vollen Wucht auf den Kopf des Opfers eintraten, stellt angesichts der hierfür herangezogenen Umstände eine mögliche Schlussfolgerung dar; diese ist - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Auch im Übrigen hat die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.
Schäfer Pfister Hubert Mayer Gericke