Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Aug. 2016 - 4 StR 340/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:310816B4STR340.16.0
bei uns veröffentlicht am31.08.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 340/16
vom
31. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung einer Schutzbefohlenen u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:310816B4STR340.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 31. August 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 15. März 2016 – mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag – mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen „durch Unterlassen“ in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung „durch Unterlassen“ mit der Maßgabe zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, dass wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung zwei Monate als vollstreckt gelten. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung zugunsten der Nebenklägerin getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Nach Trennung vom Vater ihrer Tochter, der am 2. Mai 1993 geborenen Nebenklägerin, folgte die Angeklagte unter Mitnahme der Nebenklägerin ihrem neuen Lebensgefährten 2004 in dessen Heimatdorf in B. , wo sie diesen im Juni 2006 heiratete. Während die Nebenklägerin in den darauffolgenden Jahren in der Großfamilie ihres Stiefvaters aufwuchs, die in ihrem Heimatdorf über drei Wohnhäuser verfügte, arbeitete die Angeklagte etwa drei bis vier Monate pro Jahr im Hotel- und Gastgewerbe in Ö. . Die Nebenklägerin lebte im Haus ihres Stiefvaters in beengten Verhältnissen und musste in der Küche auf einer Matratze nächtigen. Wie schon zuvor in Deutschland sorgte die Angeklagte nicht für den Schulbesuch ihrer Tochter. Mit Beginn ihres 13. Lebensjahres im Mai 2006 wurde die Nebenklägerin von der Familie ihres Stiefvaters regelmäßig zu schweren Arbeiten herangezogen, die sie von 6.00 Uhr morgens bis in die späten Abendstunden verrichten musste. Sie hatte u.a. im Wald Bäume zu fällen, Feldarbeiten zu verrichten, die Tiere auf dem Anwesen zu versorgen und im Haushalt zu arbeiten. Schon ab Sommer desselben Jahres setzte bei ihr eine schleichende, aber für Dritte erkennbare Unterernährung ein, da sie lediglich einmal pro Tag eine aus Essensresten der Familie vom Vortag bestehende Mahlzeit erhielt. Infolge andauernden Hungers verwendete sie Teile des an die Hunde und Schweine ausgegebenen Futters für sich und entwendete ferner Nahrungsmittel in der Nachbarschaft. Regelmäßige Körperpflege wurde ihr ebenso verwehrt wie altersangemessene Kleidung und ärztliche Versorgung. Ab 2009 musste die Nebenklägerin unabhängig von der Jahreszeit ohne Decke auf dem Fußboden des Wohnzimmers schlafen. Da sie infolge der Lebensumstände in der Nacht regelmäßig einnässte, hatte die Familie ihr den Schlafplatz auf der Matratze weggenommen.
4
Zwischen ihrer Ankunft in B. im Sommer 2006 und der Herausnahme aus der Familie ihres Stiefvaters am 17. Mai 2012 wurde die Nebenklägerin regelmäßig mehrmals wöchentlich von Familienmitgliedern geschlagen oder getreten, nicht selten unter Einsatz von Gegenständen wie einem Besenstiel , einer Eisenstange, einem Kabel oder einem Gürtel.
5
Für den Zeitraum von Mai 2006 bis zum 18. Geburtstag der Nebenklägerin hat das Landgericht insbesondere folgende Fälle festgestellt:
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag schlug die Tochter des M. M. , Mo. , mit einer Kartoffelhacke auf die linke Hand der Nebenklägerin , weil sie mit deren Arbeit auf dem Feld nicht zufrieden war. Die Nebenklägerin erlitt starke Schmerzen und an der linken Hand blieb eine Narbe zurück.
7
Zu einem anderen Zeitpunkt schlug Mo. M. mit einem Besen auf den Kopf der Nebenklägerin, da diese ihrer Meinung nach nicht intensiv genug im Haushalt geholfen hatte. Die Angeklagte stand daneben, sagte nichts und ließ die „Bestrafungsaktion“ billigend zu.
8
M. M. hetzte an einem anderen Tag im Jahr 2010 seine Hunde auf die Nebenklägerin, wobei diese von einem Hund in die rechte Hand gebissen wurde. Trotz erheblicher Schmerzen wurde die Wunde nicht versorgt und es blieb eine Narbe an der rechten Hand zurück. Die Angeklagte war an diesem Tag nicht in B. , erfuhr jedoch später von ihrer Tochter, was geschehen war. Dennoch unternahm sie nichts.
9
An einem weiteren Tag schlug M. M. so stark auf die rechte Hand der Nebenklägerin, dass zwei Finger brachen. Auch diese Verletzung mit einhergehenden starken Schmerzen blieb unversorgt, sodass die Knochen nicht richtig zusammenwuchsen und eine starke Krümmung der beiden Mittelfinger zurückblieb.
10
Bei einer anderen Gelegenheit wurde die Nebenklägerin von M. M. mit einem Stock und einem Gürtel geschlagen, da dieser – zu Unrecht – vermutete, sie habe seine Zigaretten gestohlen. Die Angeklagte stand während des Geschehens schweigend daneben und schritt nicht ein.
11
Auch andere Mitglieder der Großfamilie des M. M. misshandelten die Nebenklägerin: Einer seiner Brüder schlug ihren Kopf gegen eine Wand, sodass die Nebenklägerin eine Narbe am Kopf davon trug. Ein Neffe des M. M. hielt der Nebenklägerin ein heißes Messer an die linke Wange. Mal schlugen und traten die M. s die Nebenklägerin grundlos, mal zur Bestrafung, wenn diese die ihr aufgetragenen Arbeiten nicht entsprechend den Vorstellungen der Familie erfüllte.
12
Mit Ausnahme der Monate, in denen sich die Angeklagte zur Arbeit in Ö. aufhielt, lebte sie im Haushalt der Familie ihres neuen Ehemannes in B. , sah wort- und tatenlos zu, wie die Nebenklägerin schwere körperliche Arbeit zu verrichten hatte und von den verschiedenen Mitgliedern der Familie misshandelt wurde. Hilfe leistete sie ihrer Tochter nicht, sondern ermunterte die Familie mit den Worten „wenn sie nicht spurt oder ich nicht da bin, haut ihr eine in die Fresse!“ zur körperlichen Züchtigung.
13
Neben zahlreichen, deutlich sichtbaren Narben an ihrem Körper und den fehlerhaft zusammengewachsenen Mittelfingern der rechten Hand, leidet die Nebenklägerin unter einer abhängigen Persönlichkeitsstörung und einer leichten geistigen Behinderung mit einer unvollständigen Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten.
14
2. Das Landgericht hat angenommen, die Angeklagte habe den Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen sowohl in der Tatvariante des Quälens als auch in der der rohen Misshandlung erfüllt. Die Garantenstellung der Angeklagten ergebe sich dabei aus ihrer Stellung als leiblicher Mutter der Nebenklägerin. Ferner habe sie die Voraussetzungen der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB erfüllt, denn das jahrelange Nichtstun und Zuschauen bzw. Wegschauen der Angeklagten bei der Vielzahl der Misshandlungen habe zu der durch die Kammer festgestellten erheblichen Schädigung der körperlichen und seelischen Entwicklung der Nebenklägerin geführt. Zwar leide die Nebenklägerin bereits seit ihrer frühen Kindheit auf Grund problematischer Lebensumstände an einer Persönlichkeitsstörung. Die in B. erlittenen körperlichen und emotionalen Misshandlungen hätten diese Störung aber weiter stabilisiert. Die Angeklagte habe dies erkannt und billigend in Kauf genommen, sei aber aus Angst vor dem Verlust ihres Ehemannes und dem Ausschluss aus dessen Familie nicht eingeschritten. Ferner habe die Angeklagte den Tatbestand der schweren Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt.

II.


15
Die Verurteilung der Angeklagten begegnet in zweifacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
1. Das Landgericht hat zum einen die Voraussetzungen des Qualifikationstatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht hinreichend belegt.
17
a) Dieser Verbrechenstatbestand setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch eine Tathandlung im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt. Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbestandlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen. Dabei erfordert die in Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung in Anlehnung an § 171 StGB (§ 170d StGB aF), dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370; BGH, Urteil vom 20. April 1982 – 1 StR 50/82, NStZ 1982, 328 f. zu § 170d StGB aF). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 aaO). Der Tatbestand kann auch dann verwirklicht werden, wenn in der Person des Schutzbefohlenen bereits vor der Tat Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestanden haben. Zur Hervorrufung der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist es dann aber erforderlich , dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maße zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (BGH aaO mwN). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles zumindest bedingter Vorsatz erforderlich (BGH aaO).
18
b) Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen ist im angefochtenen Urteil nicht hinreichend dargetan.
19
aa) Das Landgericht hat – ausgehend von der Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen – zum Beleg dafür, dass bei der Nebenklägerin tatbestandsmäßige Folgen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB eingetreten sind, ohne nähere Differenzierung deren gesamte Entwicklung vom frühkindlichen Stadium über das frühe Kindesalter, die Präpubertät bis hin zu ihrer pubertären Entwicklung in den Blick genommen. Es hat angenommen, die Nebenklägerin habe bereits seit ihrer frühen Kindheit wegen emotionaler Vernachlässigung durch die Mutter unter einer Persönlichkeitsstörung gelitten. Die im Tatzeitraum von Mai 2006 bis zum 17. Mai 2012 von der Angeklagten geduldeten Misshandlungen der Nebenklägerin hätten nicht zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt, sondern „die bereits in der Kindheit verursachte Persönlichkeitsstörung weiter stabilisiert“. Zu der Persönlichkeitsstörung wäre es nicht gekommen, wenn die Nebenklägerin bereits in der frühen Kindheit hinreichend gefördert, betreut und versorgt worden wäre.
20
bb) Ob die geduldeten Misshandlungen im Tatzeitraum im Sinne des Qualifikationstatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB die Gefahr verursacht haben, die bei der Nebenklägerin bereits vorhandene Störung noch in erheblichem Maße zu vergrößern bzw. – als eine bereits vorhandene individuelle Schadensdisposition – messbar zu steigern, erschließt sich daraus nicht. Die weitere Feststellung der Strafkammer, die Vernachlässigung der Nebenklägerin bereits seit dem frühen Kindesalter habe zusammen mit den körperlichen und emotionalen Misshandlungen während des Aufenthalts in B. die „Ausprä- gung“ der psychischen Störungen „verursacht“, vermag die Voraussetzungen des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB ebenfalls nicht ausreichend zu belegen. Die Urteilsgründe ergeben schon nicht, welche nähere Bedeutung das Landgericht dem Begriff der „Ausprägung“ einer psychischen Störung in diesem Zusammenhang zumisst.
21
2. Auch die tateinheitliche Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
22
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt aus dem Wortzusammenhang („geistige Erkrankung oder Behinderung“) und der Rege- lung körperlicher Behinderungen in anderen Merkmalen des Folgenkatalogs, dass unter § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB nur eine geistige Behinderung fällt (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 3 StR 453/08, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Behinderung 1). Als solche ist eine nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Störung der Gehirntätigkeit anzusehen, die nicht bereits als geistige Krankheit zu qualifizieren ist (BGH aaO; vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 226 Rn. 7; SSW-StGB/Momsen/Momsen-Pflanz, 3. Aufl., § 226 Rn. 22).
23
b) Die danach erforderliche, nicht nur vorübergehende Störung der Gehirntätigkeit im Sinne einer organischen Beeinträchtigung ergeben die Urteilsgründe nicht. Die Strafkammer geht vielmehr von einer unvollständigen Ent- wicklung der (allgemeinen) geistigen Fähigkeiten der Nebenklägerin als Folge ihres Aufenthaltes in B. aus, die sich in verlangsamten und umständlichen Denken äußere, einhergehend mit einer mittlerweile eingetretenen „Entleerung ihrer Persönlichkeit“ als Folge einer abhängigen Persönlichkeitsstörung.
24
3. Im Hinblick auf die rechtsfehlerfreie Annahme von Tateinheit zwischen Misshandlung von Schutzbefohlenen und schwerer Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB bedarf die Sache insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Adhäsionsentscheidung wird von der Aufhebung nicht erfasst. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich daran, dass die nicht angefochtene Entscheidung über den Adhäsionsantrag von der Aufhebung des Urteils im Übrigen unberührt bleibt, durch die mit dem Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004 erfolgte, lediglich redaktionelle Änderung des § 406a Abs. 3 StPO nichts geändert (BGH, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, Rn. 28; SSW-StPO/Schöch, 2. Aufl., § 406a Rn. 7). Über die Aufhebung oder Änderung der Adhäsionsentscheidung hat der neue Tatrichter auf der Grundlage des Ergebnisses der neuen Hauptverhandlung zu entscheiden (BGH aaO).
25
4. Der Senat bemerkt ferner ergänzend Folgendes:
26
a) Zur Auslegung der Begehungsformen des Quälens und des rohen Misshandelns und zum Verhältnis der beiden Varianten zueinander verweist der Senat auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2016 – 4 StR 511/15, NStZ 2016, 472; BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370 f.). Gemessen daran hat das Landgericht im Ansatz zutreffend angenommen, dass das Tatbestandsmerkmal des Quälens im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB – im Unterschied zur Variante der rohen Misshandlung – typischerweise durch die Vornahme mehrerer Körperverletzungshandlungen verwirklicht wird, die für sich genommen den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB noch nicht erfüllen, sofern erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht (Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2016 aaO, vom 24. Februar 2015 – 4StR 11/15, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Misshandlung 1 und vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, BGHR StGB § 225 Misshandlung 2). Allerdings muss der Tatrichter dazu auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen in einer Gesamtbetrachtung prüfen, ob sich die einzelnen Körperverletzungshandlungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen, wobei räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung als mögliche Indikatoren herangezogen werden können (Senatsbeschluss vom 24. Februar 2015 aaO). Angesichts der im angefochtenen Urteil nur grob erfolgten zeitlichen Einordnung der einzelnen Vorfälle – in einem Tatzeitraum von fast sechs Jahren – wird der neue Tatrichter, sollte er erneut vom Tatbestandsmerkmal des Quälens ausgehen, dem Erfordernis der Gesamtbetrachtung besondere Aufmerksamkeit schenken müssen.
27
b) Wie die Strafkammer ebenfalls zutreffend angenommen hat, kann der Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB in den Tatvarianten des Quälens und des rohen Misshandelns auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Im Hinblick auf den in einem solchen Fall an die Handlungspflicht und die Möglichkeit der Erfolgsabwendung anzulegenden rechtlichen Maßstab verweist der Senat – insbesondere vor dem Hintergrund der Feststellungen zu dem Tatgeschehen, dass sich in Abwesenheit der Angeklagten ereignet hat (Hetzen der Hunde auf die Nebenklägerin) – auf seinen Beschluss vom 17. Januar 1991 (4 StR 560/90, NStZ 1991, 234) sowie auf die Urteile des 1. und des 3. Strafsenats (BGH, Urteile vom 4. August 2015 – 1 StR 624/14, NJW 2015, 3047 m. Anm. Engländer, und vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Aug. 2016 - 4 StR 340/16

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
20
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
21
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 453/08
vom
16. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
16. Dezember 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 8. Juli 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung sowie wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
1. Das Urteil kann nicht bestehen bleiben, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit seinem 15. Lebensjahr in zunehmendem Maße Haschisch, Kokain, Heroin und Tabletten. An die dafür notwendigen finanziellen Mittel gelangte er überwiegend durch Straftaten. Nachdem er im Jahre 2004 eine Therapie gemäß § 35 BtMG absolviert hatte, wurde die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt. Während der Bewährungszeit konsumierte er jedoch weiterhin Cannabis. Die erste verfahrensgegenständliche Tat im November 2006 beging er in der Hoffnung, Geld zu finden, um damit u. a. Heroin zu kaufen. Auch zur Zeit der zweiten Tat im Februar 2007 konsumierte der Angeklagte Heroin. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht den Drogenkonsum des Angeklagten strafmildernd gewürdigt. Außerdem hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er unter dem ständigen Druck stand, sich Geld zur Finanzierung seiner Drogen beschaffen zu müssen, was seine Hemmschwelle zur Begehung krimineller Taten tendenziell herabgesetzt habe. Unter diesen Umständen liegt es nahe, dass die Taten auf einen Hang des Angeklagten zurückgehen, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Dies drängte zu der Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gegeben sind.
3
Die vom Landgericht unterlassene Prüfung erweist sich auch nicht deshalb als entbehrlich, weil nach § 64 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) die Maßregel nicht mehr zwingend anzuordnen ist. Denn das Tatgericht muss das ihm nunmehr eingeräumte Ermessen auch tatsächlich ausüben und dies in den Urteilsgründen kenntlich machen (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 73 f.). Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Maßregelanordnung jedenfalls deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges fehlt (§ 64 Satz 2 StGB).
4
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Zur Prüfung der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bedarf es in der neuen Hauptverhandlung der Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO).
5
Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mildere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe verhängt hätte.
6
2. Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat bemerkt ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschrift:
7
a) Die Strafkammer hat sich hinsichtlich des Raubüberfalls vom 12. Februar 2007 unter anderem deswegen von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt , weil der Zeuge K. als Täter nicht in Betracht komme. Hierzu hat sie sich auch auf eine "Täteranalyse des Landeskriminalamts" gestützt. Danach müsse es sich um "einen strukturiert handelnden Täter gehandelt haben, der erfahren mit Einbruchs- und Raubdelikten" sei (UA S. 22). Die Analyse beschreibe ihn als "Person mit Erfahrungen im Einsatz von körperlicher Gewalt, wobei Körperverletzungs- und Raubdelikte zu vermuten sind, Erfahrung bei der Begehung von Einbruchs- und Diebstahlstaten und sicherer und kontrollierter Bewegung in einem fremden Objekt, fachgerechter Einsatz von Einbruchswerkzeug , gezielter Auswahl des Stehl- und Raubgutes. Dabei wirkt die Tat nicht wie eine Beschaffungskriminalität, sondern eher wie eine kontrollierte Berufsaus- übung" (UA S. 29). Dem schließe sich die Kammer an. Die Merkmale träfen auf den Angeklagten, nicht dagegen auf den Zeugen K. zu.
8
Die Ausführungen des Landgerichts lassen besorgen, dass es sich ohne eigene Prüfung und Bewertung dem Ergebnis der "Täteranalyse" angeschlossen hat; denn auf welchen Tatsachen und Erfahrungssätzen die Erkenntnis beruht , dass der Täter strukturiert gehandelt habe, er erfahren in der Begehung von Körperverletzungs-, Einbruchs- und Raubdelikten gewesen sein müsse und die Tat nicht wie Beschaffungskriminalität, sondern wie kontrollierte Berufsausübung wirke, lässt sich dem Urteil ebenso wenig entnehmen wie eine eigenständige Überzeugungsbildung des Landgerichts. Eine solche ist jedoch unerlässlich.
9
Gemäß § 261 StPO entscheidet über das Ergebnis der Beweisaufnahme das Gericht. Es obliegt allein ihm, die für den Urteilsspruch relevanten Tatsachen und Erfahrungssätze festzustellen, in ihrer Beweisbedeutung zu bewerten und sich auf dieser Grundlage eine Überzeugung zu bilden. Soweit die Ermittlung der Tatsachen besonderer Sachkunde bedarf, über die das Gericht nicht verfügt, hat es sich diese durch einen Sachverständigen vermitteln zu lassen. Gleiches gilt, soweit die Erfahrungssätze, aufgrund derer die festgestellten Tatsachen zu bewerten sind oder die den Schluss von diesen auf andere Sachverhalte ermöglichen, außerhalb der Sachkunde des Gerichts liegen. Hierauf ist der Sachverständigenbeweis indes beschränkt. Das Gericht verfehlt daher die ihm nach § 261 StPO obliegende Aufgabe, wenn es Feststellungen und Beurteilungen eines Sachverständigen ungeprüft und ohne eigene Bewertung des Beweisergebnisses übernimmt. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um Schlussfolgerungen handelt, die nach den zur Anwendung zu bringenden Erfahrungssätzen nicht zwingend sind, sondern nur Wahrscheinlichkeitsaussagen mit mehr oder weniger großer Richtigkeitsgewähr zu liefern vermögen. Ob die Schlussfolgerung aufgrund eines derartigen Erfahrungssatzes zu ziehen ist, entscheidet nur das Gericht.
10
Hier bedeutet dies: Darüber, ob der Raubüberfall vom 12. Februar 2007 durch einen strukturiert handelnden Täter verübt wurde, der über Erfahrung im Einsatz körperlicher Gewalt und bei der Begehung von Diebstahls-, Einbruchsund Raubdelikten verfügte, ob er sich sicher und kontrolliert in dem ihm fremden Haus des Tatopfers bewegte, ob er Einbruchswerkzeug fachgerecht zum Einsatz brachte und seine Beute gezielt auswählte und ob das Tatbild eher für "kontrollierte Berufsausübung" als für Beschaffungskriminalität spricht, hatte ausschließlich das Gericht auf der Grundlage der Bewertung der für die Beurteilung dieser Fragen maßgeblichen Fakten und Erfahrungssätze zu befinden. Zu deren Ermittlung hatte es sich gegebenenfalls sachverständiger Hilfe zu bedienen. Deren Bewertung konnte ihm dagegen nicht durch eine "Täteranalyse" abgenommen werden, die lediglich das Ergebnis der eigenständigen Beurteilung des Ermittlungsergebnisses durch Mitarbeiter einer Polizeibehörde vermittelt. Derartige Täteranalysen, operative Fallanalysen etc. mögen für die Ermittlungsarbeit der Polizei durchaus hilfreich sein. Im Strafprozess ist ihnen gegenüber jedoch die eigenständige, unabhängige Überzeugungsbildung der Gerichte zu wahren (vgl. auch BGH NStZ 2006, 712 f.).
11
Im Hinblick auf das sonstige Beweisergebnis und die übrigen Beweiserwägungen des Landgerichts kann der Senat aber ausschließen, dass das Urteil auf der etwaigen fehlerhaften Übernahme der Aussagen der "Täteranalyse" beruht.
12
b) Das Landgericht hat den Tatbestand der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 5. Alt. StGB) zu Recht bejaht. Die von der Geschädigten A. durch die Tat vom 12. Februar 2007 erlittene Agnosie (Gesichtsblindheit) stellt eine Behinderung im Sinne dieser Vorschrift dar. Aus dem Wortzusammenhang ("geistige Krankheit oder Behinderung") und der Regelung körperlicher Behinderungen in anderen Merkmalen des Folgenkatalogs folgt, dass hierunter nur eine geistige Behinderung fällt (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 226 Rdn. 13; Hirsch in LK 11. Aufl. § 226 Rdn. 25 jeweils m. w. N.). Als solche ist eine nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Störung der Gehirntätigkeit anzusehen, die nicht bereits als geistige Krankheit zu qualifizieren ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 226 Rdn. 7). Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen erfüllt, da die Geschädigte aufgrund ihrer Beeinträchtigung keine Erinnerung an Personen hat und es ihr nicht möglich ist, Personen, auch wenn diese zum engsten persönlichen Umfeld gehören, an den Gesichtern zu erkennen.
13
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 16. Dezember 2008 hat dem Senat bei der Beschlussfassung vorgelegen.
Becker Pfister Sost-Scheible
Hubert Schäfer

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Gegen den Beschluss, mit dem nach § 406 Abs. 5 Satz 2 von einer Entscheidung über den Antrag abgesehen wird, ist sofortige Beschwerde zulässig, wenn der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt worden und solange keine den Rechtszug abschließende Entscheidung ergangen ist. Im Übrigen steht dem Antragsteller ein Rechtsmittel nicht zu.

(2) Soweit das Gericht dem Antrag stattgibt, kann der Angeklagte die Entscheidung auch ohne den strafrechtlichen Teil des Urteils mit dem sonst zulässigen Rechtsmittel anfechten. In diesem Falle kann über das Rechtsmittel durch Beschluss in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden. Ist das zulässige Rechtsmittel die Berufung, findet auf Antrag des Angeklagten oder des Antragstellers eine mündliche Anhörung der Beteiligten statt.

(3) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung ist aufzuheben, wenn der Angeklagte unter Aufhebung der Verurteilung wegen der Straftat, auf welche die Entscheidung über den Antrag gestützt worden ist, weder schuldig gesprochen noch gegen ihn eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet wird. Dies gilt auch, wenn das Urteil insoweit nicht angefochten ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 511/15
vom
19. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:190116B4STR511.15.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Januar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 16. Juni 2015
a) mit den Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Misshandlung Schutzbefohlener in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde,
b) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Nötigung statt wegen sexueller Nötigung verurteilt ist und
c) im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung Schutzbefohlener in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, die in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg hat.
2
1. Das Rechtsmittel ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 11. November 2015 dargelegten Gründen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO), soweit es sich gegen die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung in zwei Fällen, begangen jeweils zum Nachteil von S. (Taten vom 27. November 2010 und vom 19. Februar 2011), richtet.
3
2. Der Schuldspruch wegen sexueller Nötigung (weitere Tat vom 27. November 2010) hat dagegen keinen Bestand. Insofern ist der Angeklagte jedoch der Nötigung schuldig. Entsprechend ändert der Senat den Schuldspruch ab.
4
a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wollte der Angeklagte die Zeugin S. an diesem Tag unter Anwendung von Gewalt zunächst zum Oral- und anschließend zum vaginalen Geschlechtsverkehr zwingen. Die Zeugin konnte jedoch ein Eindringen in ihren Mund verhindern, indem sie die Lippen zusammenpresste und den Kopf zur Seite drehte. Zum Geschlechtsverkehr kam es nicht, da die Zeugin schrie „Lass das, ich will das nicht“, zu weinen begann und sich zu Boden fallen ließ. Daraufhin gab der An- geklagte sein Vorhaben auf.
5
Die Strafkammer bewertet dieses Geschehen als versuchte Vergewaltigung , von der der Angeklagte jedoch strafbefreiend zurückgetreten ist, sowie als sexuelle Nötigung.
6
b) Letzteres wird jedoch von den Feststellungen nicht getragen.
7
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, erfordert § 177 Abs. 1 StGB einen unmittelbaren Körperkontakt zwischen dem Täter bzw. Drittem und dem Opfer. Zu diesem kam es nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen indes nur, als der Angeklagte den Kopf der Zeugin in Richtung seines Gliedes drückte, er ihr aus Verärgerung über das Misslingen des Oralverkehrs einen Schlag ins Gesicht versetzte und er ihr Hose und Slip herunterzog, um den Geschlechtsverkehr auszuführen. All dies reicht indes zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 177 Abs. 1 StGB nicht aus, weil diese Handlungen nicht die sexuellen Handlungen waren, sondern lediglich Mittel zu deren Vornahme (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2006 – 4 StR 354/06, NStZ 2007, 217, 218, insbesondere zum Festhalten und Drücken des Kopfes in Richtung Geschlechtsteil, und vom 13. Februar 1997 – 4 StR 648/96, NStZ-RR 1997, 292, insbesondere zum gewaltsamen Entkleiden; ferner SSW-StGB/Wolters, 2. Aufl., § 177 Rn. 7 mwN).
8
c) Die vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen jedoch, dass der Angeklagte zumindest der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) schuldig ist. Entsprechend ändert der Senat den Schuldspruch auf Antrag des Generalbundesanwalts ab. Da lediglich ein erschwerender Umstand wegfällt, bedarf es hierfür keines Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO (vgl. MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 265 Rn. 9 mwN).
9
3. Keinen Bestand hat das Urteil, soweit der Angeklagte der Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen wurde.
10
a) Nach den insofern vom Landgericht getroffenen Feststellungen versetzte der Angeklagte den damals höchstens siebenjährigen Zwillingen A. und G. am 13. Juni 2014 nach 16 Uhr vier bzw. drei heftige Schläge mit einem Gummiknüppel auf das entblößte Gesäß, nachdem diese ihm in einem „Verhör“ unter anderem eingestandenhatten, statt – wozu er sie aufgefordert hatte – Hausaufgaben zu machen gespielt und etwas gegessen zu haben.
11
Nach dem Abendessen, gegen 20 Uhr, forderte er die Kinder, um sie seine Macht spüren zu lassen und um zu erreichen, dass sie sich ihm unterordnen , auf, abwechselnd jeweils 20 Liegestütze und 20 Sit-Ups zu machen. Beide Kinder waren körperlich rasch überfordert, begannen zu weinen und gaben schließlich auf. Daraufhin wies der Angeklagte G. , den er hierdurch erniedrigen und schikanieren wollte, an, „auf allen Vieren“ innerhalb von zehn Minuten den Boden des Flurs zu putzen. Nachdem dem Jungen dies in der vorgegebenen Zeit nicht gelungen war, versetzte ihm der Angeklagte einen Fußtritt, wodurch G. mit dem Kopf gegen eine Türzarge prallte.
12
Nachdem die Kinder sich schließlich schlafen gelegt hatten, stürmte der Angeklagte in das Kinderzimmer und forderte sie dazu auf, entsprechend einer Alarmübung beim russischen Militär innerhalb von 45 Sekunden jeweils ihre Schlafanzüge aus- und andere Kleidung anzuziehen. Auch hier waren A. und G. überfordert und begannen aus Angst und Verzweiflung heftig zu weinen. Durch die „Drillmaßnahme“ wollte der Angeklagte die Kinder schikanie- ren und disziplinieren.
13
Dieses (Gesamt-)Geschehen bewertet das Landgericht als eine Misshandlung von Schutzbefohlenen in der Tatbestandsalternative des rohen Misshandelns in Tateinheit mit (einer) gefährlichen Körperverletzung.
14
b) Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
15
aa) Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Quälen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher ) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Mehrere Körperverletzungshandlungen , die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen zu beurteilen sein, wenn die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. Rohes Misshandeln im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB liegt dagegen vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370 f.; Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 11/15 jeweils mwN). Anders als das Quälen bezieht sich diese Tatalternative des § 225 Abs. 1 StGB auf ein einzelnes Körperverletzungsgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 11/15 mwN).
16
bb) Hiervon ausgehend ist die Bewertung der Strafkammer, das Gesamtgeschehen stelle eine einzige rohe Misshandlung dar, unzutreffend. Vielmehr handelt es sich nach den getroffenen Feststellungen um zeitlich voneinander abgegrenzte Handlungen, die sich auch in ihrer Gesamtheit nicht als ein einziges Körperverletzungsgeschehen darstellen.
17
c) Zwar liegt es nahe, zumindest die Schläge mit dem Gummiknüppel als rohe Misshandlungen zu bewerten. Auch kommt in Betracht, das Gesamtgeschehen als Quälen der Kinder zu bewerten. Eine entsprechende Schuldspruchänderung ist dem Senat jedoch verwehrt, da auch die vom Landgericht vorgenommene Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten durchgreifenden Bedenken begegnet.
18
Denn die Strafkammer kommt nach einer Rückrechnung der beim Angeklagten am 14. Juni 2014 um 10.46 Uhr festgestellten Blutalkoholkonzentration von 1,98 Promille mit stündlichen Abbauwerten von 0,1 Promille und einem Resorptionsdefizit von 10% „im günstigsten Fall für den Zeitpunkt 13. Juni 2014, 20.00 Uhr zu einem BAK-Wert von rund 0,8 Promille“ (UA S. 21). Diese weder im Ansatz noch im Ergebnis nachvollziehbare Berechnung hat das Landgericht – nebenanderen Umständen – der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zugrunde gelegt.
19
d) Der Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ist daher aufzuheben; die Sache ist insofern – auch zur Prüfung der Konkurrenzen bei zwei Tatopfern – an das Landgericht zurückzuverweisen. Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf es – mit Ausnahme derjenigen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten – dagegen nicht, zumal bereits die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift dem Angeklagten unter anderem vier (Einzel-)Fälle der Misshandlung von Schutzbefohlenen zur Last gelegt hat. Der Senat kann daher ausschließen, dass der Angeklagte sich gegen die getroffenen Feststellungen als solche anders verteidigt hätte. Beschränkt waren seine Verteidigungsmöglichkeiten vielmehr allein hinsichtlich der rechtlichen – vor allem der konkurrenzrechtlichen – Bewertung der rechtsfehlerfrei festgestellten Tatgeschehen (zur Entbehrlichkeit der Aufhebung der Feststellungen bei bloßen Subsumtionsfehlern auch: BGH, Urteil vom 15. September 1998 – 1 StR 290/98; Beschluss vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 506/12; vgl. ferner MeyerGoßner /Schmitt, aaO, § 353 Rn. 15).
20
4. Schließlich unterliegt der Aufhebung – mit den insofern getroffenen Feststellungen – auch der verbleibende Rechtsfolgenausspruch.
21
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift, auf die der Senat insofern ebenfalls Bezug nimmt, zutreffend ausgeführt hat, hätte es angesichts des vom Angeklagten in der Hauptverhandlung zum Ausdruck gebrachten Be- dauerns und der (nicht näher mitgeteilten) „gütlichen Einigung“ mit den „Geschädigten“ im Adhäsionsverfahren der Prüfung von § 46a StGB bedurft.
22
Ferner unterliegen – wie der Generalbundesanwalt ebenfalls dargelegt hat – die Ausführungen des Landgerichts zur Ablehnung eines Hangs im Sinn des § 64 StGB durchgreifenden Bedenken (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15 mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
20
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
21
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 561/11
vom
20. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. März 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 8. Juli 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen (II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
b) soweit der Angeklagte wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (II. 1, II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist. Hiervon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt ,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexueller Nötigung (Vergewaltigung )“ in zwei Fällen, Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung und wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen nach § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB in den Fällen II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen lebten der aus dem Iran stammende Angeklagte und seine deutsche Ehefrau, die Zeugin A. N. , anfänglich in einer harmonischen Beziehung. Dem Angeklagten gefiel, dass sich A. N. erfolgreich darum bemühte, die persische Sprache zu erlernen und von ihrem alten Bekanntenkreis lossagte. Nach der Geburt des zweiten Kindes änderte der Angeklagte sein Verhalten. Er zeigte sich leicht reizbar und nahm alltägliche Belanglosigkeiten zum Anlass, A. N. zu beschimpfen und zu beleidigen. Ab dem Jahr 2000 kam es auch zu tätlichen Übergriffen. Diese ereigneten sich insbesondere dann, wenn sich A. N. dem Willen des Angeklagten widersetzte oder eine abweichende Meinung äußerte.
A. N. lebte seit dieser Zeit in ständiger Angst und in der Erwartung neuerlicher Übergriffe.
4
a) An einem Abend im Sommer 2009 äußerte der Angeklagte gegenüber A. N. in der gemeinsamen Ehewohnung den Wunsch, mit ihr den Analverkehr auszuüben. Obwohl sie sein Ansinnen entschieden ablehnte, holte der Angeklagte eine Fettcreme aus dem Badezimmer und begab sich zu A. N. , die sich bereits auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer zum Schlafen niedergelegt hatte. Als der Angeklagte erneut kundtat, jetzt den Analverkehr durchführen zu wollen, lehnte A. N. dies wiederum ab und fügte hinzu, dass eine Ausübung des Analverkehrs gegen ihren Willen eine Vergewaltigung sei. Der Angeklagte gab A. N. daraufhin zu verstehen , dass sie sich nicht so anstellen solle und zog ihr die Schlafanzughose herunter. A. N. sah in dieser Situation keine Möglichkeit mehr, sich dem Willen des Angeklagten zu widersetzen. Für den Fall einer Gegenwehr rechnete sie mit Schlägen. Außerdem befürchtete sie, dass dann die beiden gemeinsamen Kinder erwachen und ebenfalls Opfer von Tätlichkeiten des Angeklagten werden könnten. Der Angeklagte vollzog nun mit der weinenden und sich vor Schmerzen windenden A. N. den Analverkehr bis zum Samenerguss. Dabei drückte er sie so an eine Wand, dass sie sich aus ihrer Position nicht befreien konnte. Bei alldem ging der Angeklagte davon aus, dass A. N. den Analverkehr nur deshalb ohne Gegenwehr erduldete, weil sie unter dem Eindruck der regelmäßig stattfindenden Übergriffe keine Chance sah, sich seinem Willen zu widersetzen und Angst um ihre eigene körperliche Unversehrtheit und die ihrer Kinder hatte. Im Fall einer Gegenwehr wäre der Angeklagte auch gewillt gewesen, sein Vorhaben mit Gewalt durchzusetzen. A. N. hatte bis zum nächsten Tag Schmerzen beim Sitzen und erlitt eine Blutung im Analbereich (Fall II. 4 der Urteilsgründe).
5
Wenige Monate nach diesem Vorfall kehrte der Angeklagte mit A. N. von einem gemeinsamen Restaurantbesuch in die Ehewohnung zurück. Während des gesamten Tages herrschte eine harmonische und ausgelassene Stimmung. Nachdem sich A. N. bereits schlafen gelegt hatte, trat der Angeklagte zu ihr an die Schlafcouch und kündigte an, ein weiteres Mal den Analverkehr mit ihr ausüben zu wollen. A. N. begann zu weinen und lehnte die Durchführung des Analverkehrs unter Hinweis auf die damit für sie verbundenen Schmerzen ab. Der Angeklagte erwiderte, dass Sex wehtun müsse, zog A. N. die Schlafanzughose aus und vollzog mit ihr den Analverkehr. A. N. verzichtete auf eine Gegenwehr, weil sie auch diesmal - trotz des harmonischen Tages - mit Gewalttätigkeiten des Angeklagten rechnete. Dem Angeklagten war bewusst, dass er nur deshalb keinen Widerstand zu erwarten hatte, weil ihn A. N. als einen Menschen kennengelernt hatte, der seine Wünsche notfalls unter Zuhilfenahme von Gewalt durchsetzt. Da sich A. N. vor Schmerzen hin und her wandte, glitt der Angeklagte mit seinem Penis aus ihrem After heraus. Obgleich er hierüber sehr erzürnt war, ließ er entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten von ihr ab und sprach in der Folgezeit kein Wort mehr (Fall II. 5 der Urteilsgründe).
6
b) Das Landgericht hat angenommen, dass sich A. N. in beiden Fällen in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befand, weil sie auf Grund äußerer und in ihrer Person liegender Faktoren keine effektive Möglichkeit hatte, sich der Einwirkung des Angeklagten zu entziehen oder erfolgversprechend Widerstand zu leisten. In der ehelichen Wohnung hielten sich neben A. N. und dem Angeklagten jeweils nur die gemeinsamen neun und zehn Jahre alten Kinder auf. Der Angeklagte war ihr und den Kindern körperlich überlegen. Auf Grund ihrer Gewalterfahrungen lebte A. N. in ständiger Furcht vor neuen Übergriffen und verfügte nur über ein geringes Selbstbewusstsein. Es fiel ihr deshalb schwer, dem Willen des Angeklagten etwas entgegen zu setzen. Diese Lage wurde von dem Angeklagten bewusst ausgenutzt. Eine Gewaltanwendung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) hat das Landgericht nicht feststellen können. Soweit A. N. von dem Angeklagten bei der Ausführung des Analverkehrs gegen eine Wand gedrückt wurde, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dadurch nicht der sexuelle Kontakt erzwungen werden sollte (UA S. 42).
7
2. Die Feststellungen belegen in beiden Fällen nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind.
8
a) Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es über keine effektiven Schutz- oder Verteidigungsmöglichkeiten mehr verfügt und deshalb nötigender Gewalt des Täters ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, NJW 2007, 2341, 2343; Urteil vom 3. November 1998 – 1 StR 521/98, BGHSt 44, 228, 231 f.; MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 43; LK/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 98; SSW-StGB/Wolters § 177 Rn. 18 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer bei objektiver ex-anteBetrachtung keine Aussicht hat, sich den als mögliche Nötigungsmittel in Betracht zu ziehenden Gewalthandlungen des Täters zu widersetzen, sich seinem Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Dazu ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen, bei der neben den äußeren Gegebenheiten (Beschaffenheit des Tatortes, Vorhandensein von Fluchtmöglichkeiten, Erreichbarkeit fremder Hilfe etc.) auch das individuelle Vermögen des Tatopfers zu wirksamem Widerstand oder erfolgreicher Flucht und die Fähigkeit des Täters zur Anwendung von nötigender Gewalt in den Blick zu nehmen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11 Rn. 5 und 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44).
9
b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen hat das Landgericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Bei der von ihm vorgenommenen Gesamtbewertung sind wichtige Gesichtspunkte außer Ansatz geblieben.
10
So hat sich das Landgericht in beiden Fällen nicht mit eventuell gegebenen Fluchtmöglichkeiten von A. N. auseinandergesetzt. Die Tatsache , dass sich A. N. jeweils allein mit dem Angeklagten im Wohnzimmer der Familienwohnung befand und von den schlafenden Kindern keine Hilfe erwarten konnte, belegt für sich genommen noch nicht, dass es ihr nicht möglich war, sich dem Angeklagten durch Flucht zu entziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267 Rn. 2; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44; MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 9). Konkrete Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung und zum Schließzustand der Türen hat das Landgericht nicht getroffen. Die mitgeteilten Begleitumstände legen es in beiden Fällen nicht nahe, dass der Angeklagte vorab darauf bedacht gewesen sein könnte, eventuelle Fluchtwege durch entsprechende Vorkehrungen zu versperren. Im Fall II. 4 der Urteilsgründe ließ er A. N. zunächst allein im Wohnzimmer zurück , nachdem er bereits angekündigt hatte, den Analverkehr durchführen zu wollen und auch ihren entgegenstehenden Willen kannte (UA S. 10). Im Fall II. 5 der Urteilsgründe herrschte zwischen den Eheleuten bis zur Tatsituation eine ausgelassene und harmonische Stimmung, die A. N. an den Beginn ihrer Beziehung erinnerte (UA S. 11).
11
Zudem hätte sich das Landgericht auch eingehend mit der Frage befassen müssen, ob es A. N. in zumutbarer Weise möglich war, durch Schreie oder andere Geräusche fremde Hilfe zu erlangen. Die Feststellung, dass sie bei einer Gegenwehr mit Schlägen des Angeklagten rechnete und alles unterließ, was ihre Kinder wecken konnte, damit nicht auch sie Opfer befürchteter Übergriffe des Angeklagten werden (UA S. 10), belegt nur, dass sich A. N. schutzlos fühlte, weil sie keinen Weg sah, Dritte ohne Risiko für sich selbst und ihre Kinder auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ob und inwieweit ihre Befürchtungen tatsächlich berechtigt waren und siedeshalb – woraufes hier maßgeblich ankommt – auch bei objektiver Betrachtung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11, Rn. 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; a.A. MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44 mwN) keine Möglichkeit hatte, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat das Landgericht nicht geprüft, obgleich hierzu Anlass bestand. Die Eheleute wohnten in einem Mehrfamilienhaus. Der Nachbarin Ar. war auf Grund von Gesprächen schon seit 2007/2008 bekannt, dass A. N. unter gewalttätigen Übergriffen des Angeklagten litt (UA S. 13). Auch die Nachbarin P. wusste um die bestehenden Eheschwierigkeiten (UA S. 13). Wie sich aus den zu Fall II. 11 getroffenen Feststellungen ergibt, haben beide bei anderer Gelegenheit sofort an der Wohnungstür geklingelt, als sie aus der Wohnung Schreie des von dem Angeklagten misshandelten Sohnes R. hörten. Anschließend verständigten sie die Polizei. Als der Angeklagte durch A. N. hiervon erfuhr, ließ er sofort von R. ab und bemühte sich stattdessen um eine Verheimlichung des Vorgefallenen (UA S. 16). Danach versteht es sich nicht von selbst, dass Hilferufe ohne Resonanz geblieben wären und der Angeklagte hierauf tatsächlich mit Schlägen reagiert hätte. Sein Verhalten im Fall II. 11 der Urteilsgründe lässt auch die Möglichkeit offen, dass er aus Angst vor einer durch die Rufe erzeugten Aufmerksamkeit der Nachbarn und einer möglichen Verständigung der Polizei von seinem Vorhaben Abstand genommen und ohne tätlich zu werden versucht hätte, den Vorfall nicht bekannt werden zu lassen. Schließlich findet sich auch für die Annahme, der Angeklagte könnte die durch Geräusche geweckten Kinder schlagen, im Urteil keine ausreichende Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen wurde von dem Angeklagten nur der gemeinsame Sohn R. vielfach misshandelt, wobei er dies für eine Form der Erziehung hielt und damit jeweils auf vorheriges Fehlverhalten reagierte. Übergriffe zum Nachteil der Tochter B. werden im Urteil an keiner Stelle geschildert. Stattdessen ist davon die Rede, dass B. N. von dem Angeklagten verwöhnt und bevorzugt wurde (UA S. 13).
12
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
14
Eine sexuelle Nötigung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht auch, wer eine sexuelle Handlung erzwingt, indem er durch ein schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hinweist oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt (Nachweise bei Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 7). Dabei kann auch Gewalt, die der Täter zuvor aus anderen Gründen angewendet hat, als gegenwärtige Drohung mit nötigendem körperlichem Zwang fortwirken. Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist deshalb auch dann verwirklicht, wenn eine Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände ergibt, dass der Täter gegenüber dem Opfer durch häufige Schläge ein Klima der Angst und Einschüchterung geschaffen hat (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 6. Juli 1999 – 1 StR 216/99, NStZ 1999, 505; Urteil vom 31. August 1993 – 1 StR 418/93, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8; vgl. Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5) und das Opfer die ihm abverlangten sexuellen Handlungen nur deshalb duldet, weil es auf Grund seiner Gewalterfahrungen mit dem Täter befürchtet, von ihm erneut körperlich misshandelt zu werden, falls es sich seinem Willen nicht beugt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331). In subjektiver Hinsicht setzt § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB in diesen Fällen voraus, dass der Täter die von seinem Vorverhalten ausgehende latente Androhung weiterer Misshandlungen in ihrer aktuellen Bedeutung für das Opfer erkennt und als Mittel zur Erzwingung der sexuellen Handlungen einsetzt (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 26. Februar 1986 – 2 StR 76/86, NStZ 1986, 409; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331).

II.


15
Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß den § 223 Abs. 1, § 225 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 52 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
1. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte seinen am 18. Dezember 1998 geborenen Sohn R. schon im Kleinkindalter mit der flachen Hand. Nach der Einschulung im Jahr 2005 begann er damit, seinen Sohn auch mit einem Pantoffel oder einem Gürtel zu schlagen. Der Angeklagte verstand diese Misshandlungen als körperliche Züchtigung und glaubte auf diese Weise, seine Erziehungsziele (Gehorsam, Disziplin und schulischer Erfolg) durchsetzen zu können. Durchschnittlich kam es einmal in der Woche zu einem Übergriff. Außerdem belegte der Angeklagte seinen Sohn R. vielfach mit herabsetzenden Äußerungen, die sich insbesondere auf seine Leibesfülle und seine schulischen Leistungen bezogen. R. N. litt unter den Misshandlungen und dem erniedrigenden Verhalten des Angeklagten so sehr, dass er Mitte des Jahres 2009 von seiner Mutter die Trennung von dem Angeklagten forderte und seine Selbsttötung androhte. Im Einzelnen hat das Landgericht der Verurteilung folgende Übergriffe zugrunde gelegt:
17
(1) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 warf der Angeklagte seinen Sohn R. auf den Boden des Kinderzimmers, weil er sich über eine Belanglosigkeit im Zusammenhang mit dem Schulbesuch geärgert hatte. Anschließend schleifte er ihn an den Beinen durch den Raum, wobei das Gesicht von R. N. über denTeppich gezogen wurde. Dieser erlitt dadurch eine Schürfwunde am Auge (Fall II. 7 der Urteilsgründe).
18
(2) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Sommer 2005 stieß der Angeklagte seinen Sohn R. zu Boden und zog ihn anschließend an einem Ohr nach oben, weil er in der Schule sein Pausenbrot mit einem farbigen Mitschüler getauscht hatte (Fall II. 8 der Urteilsgründe).
19
(3) Im Februar 2008 schlug der Angeklagte seinem Sohn R. mehrfach mit den bloßen Händen auf den Oberkörper, nachdem eine Mathematik- arbeit mit „ungenügend“ bewertet worden war. Als sich A. N. zwi- schen den Angeklagten und den gemeinsamen Sohn stellte, verdrehte ihr der Angeklagte zur Strafe die linke Hand. A. N. erlitt dadurch eine Bänderdehnung, die ärztlich behandelt werden musste (Fall II. 1 der Urteilsgründe ).
20
(4) Am Morgen des 28. November 2009 würgte der Angeklagte seine Ehefrau A. N. aus Wut über den am Vortag nicht zu Ende geführten Analverkehr bis zur Luftnot. Als R. N. den Versuch unternahm, den Angeklagten von seiner Mutter wegzuziehen, verdrehte ihm der Angeklagte den Arm und stieß ihn in schmerzhafter Art und Weise weg (Fall II. 6 der Urteilsgründe

).


21
(5) Im Dezember 2009 drückte der Angeklagte seinem SohnR. beim Schneiden der Haare die Spitze der Friseurschere in die Kopfhaut, weil sich R. zuvor über einen unabsichtlichen Schnitt in das Ohr beklagt hatte. R. N. erlitt starke Schmerzen und begann zu weinen (Fall II. 9 der Urteilsgründe ).
22
(6) Am 19. Januar 2010 stellte sich der Angeklagte mit einem Fuß auf den Brustkorb des am Boden liegenden R. und trat ihm zweimal in das Gesicht. Der Angeklagte reagierte damit auf die Weigerung seines Sohnes, weiter Sport zu treiben. Bei den Tritten trug der Angeklagte Badeschuhe (Fall II. 10 der Urteilsgründe).
23
(7) Am 25. Januar 2010 versetzte der Angeklagte seinem Sohn R. mindestens fünf Schläge mit einem Hosengürtel auf die Beine und den Oberkörper , weil er bei dem Fertigen der Hausaufgaben Strichmännchen mit Geschlechtsmerkmalen gezeichnet hatte. Als R. laut zu schreien begann, klingelten die Nachbarinnen Ar. und P. gemeinsam an der Wohnungstür der Familie N. und verständigten die Polizei. Als der Angeklagte hiervon durch A. N. erfuhr, ließ er von seinem Sohn R. ab und drohte ihm an, dass er in ein Heim komme, wenn er von den Schlägen berichte (Fall II. 11 der Urteilsgründe).
24
(8) Am 30. Januar 2010 schlug der Angeklagte mehrfach mit der flachen Hand auf seinen Sohn ein, weil er aus seiner Sicht unnötige Telefonkosten verursacht hatte. Als A. N. intervenierte und den Angeklagten fragte, ob der vorangegangene Vorfall mit der Polizei nicht genug gewesen sei, ließ er von R. ab (Fall II. 12 der Urteilsgründe).
25
Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte durch die in den Fällen II. 1 und II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil seines Sohnes R. das Tatbestandsmerkmal des Quälens im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB verwirklicht hat. Dabei ist das Landgericht zugunsten des Angeklagten von einer „deliktischen Einheit der Geschehnisse im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit“ (UA S. 45) ausgegangen. Zur Begründung hat es auf die Identität des Geschädigten , die Kontinuität der Tatsituationen und die ohne Zäsur vorhandene gefühllose , das Leiden von R. missachtende Erziehungsmotivation des Angeklagten abgestellt. Danach lag bei dem Angeklagten ein den gesamten Tatzeitraum überspannender Vorsatz vor, seinen Sohn R. bei gegebenem Anlass körperlich zu züchtigen, um das eigene Wertesystem durchzusetzen. Die in den Fällen II. 1 und 6 der Urteilsgründe begangenen Körperverletzungen zum Nachteil von A. N. stünden hierzu in Tateinheit.
26
2. Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
27
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115), die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06). Mehrere Körperverletzungshandlungen , die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; vgl. Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 400; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 ff.). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Opfer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Hirsch NStZ 1996, 37; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338, 339).
28
b) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen acht Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Keine der geschilderten Gewalthandlungen hat zu länger andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen geführt, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind. Soweit das Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewirkt worden ist, vermag dies nur eine Verurteilung wegen einer Misshandlung von Schutzbefohlenen, nicht aber einen Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in acht – lediglich zu Gunsten des Angeklagten zu einer Tateinheit zusammengeführten (UA S. 45) – Fällen zu rechtfertigen.
29
Dessen ungeachtet begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten acht Einzeltaten zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die unter II. 7 der Urteilsgründe dargestellte erste konkretisierte Körperverletzungshandlung wurde zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 begangen. Tatzeit der unter II. 8 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzung ist der Sommer 2005. Der unter II. 1 der Urteilsgründe geschilderte körperliche Übergriff fand im Februar 2008 statt. Ab dem 28. November 2009 schlossen sich dann bis zum 30. Januar 2010 die unter II. 6 und II. 9 bis II. 12 festgestellten Körperverletzungen an. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt (vgl. MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 f.). Mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können. Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts (UA S. 14), wonach der Angeklagte ab dem Jahr 2005 durchschnittlich einmal in der Woche seinen Sohn geschlagen hat, ist nicht hinreichend bestimmt, um die Annahme einer sich über mehr als vier Jahre hinziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen.
30
Schließlich sind auch die Erwägungen des Landgerichts zum inneren Tatbestand nicht tragfähig. Nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, seinen Sohn R. für ein – aus seiner Sicht gegebenes – vorangegangenes Fehlverhalten körperlich zu züchtigen, um die von ihm angestrebten Erziehungsziele durchzusetzen (UA S. 7 und 13 f.). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu Grunde lag (vgl. Hirsch NStZ 1996, 37). Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
31
c) Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zum Nachteil von A. N. . Das Landgericht hat jeweils Tateinheit angenommen und damit einen eine Teilaufhebung hindernden Zusammenhang hergestellt.
32
Die Feststellungen zum äußeren Tageschehen bleiben aufrechterhalten, weil sie auf einer sorgfältigen und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen und von der Gesetzesverletzung nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit der Angeklagte eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geltend macht, weil die Akten eines früheren, die Zeugin A. N. betreffenden Scheidungsverfahrens nicht beigezogen worden sind, entspricht sein Vorbringen nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt voraus, dass ein bestimmtes Beweismittel und ein bestimmtes zu erwartendes Beweisergebnis benannt werden (BGH, Beschluss vom 23. November 2004 – KRB 23/04, NJW 2005, 1381, 1382; KK-StPO/Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 216). Die bloße Bezeichnung einer Akte und die Angabe, dass sich aus dieser Akte die Unwahrheit einzelner Angaben der Zeugin A. N. und das Vorliegen einer „tiefgreifenden psychischen Störung“ bei dieser Zeugin ergeben hätte, reicht dafür nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 1990 – 3 StR 184/90, NStZ 1990, 602).
33
Durch die Aufhebungen wird auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin
5 StR 92/07

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Richterin am Landgericht
alsVertreterinderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt
alsVertreterderNebenklägerin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 27. September 2006 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Davon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in den Verurteilungsfällen; diese bleiben aufrechterhalten.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Misshandlung von Schutzbefohlenen in drei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Von sieben weiteren Tatvorwürfen hat es den Angeklagten freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt, so unter anderem die fehlende Prüfung einer Strafbarkeit wegen eines versuchten Tötungsdelikts und die Nichtanwendung des § 225 Abs. 1 und 3 StGB für einige Taten. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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a) Der Angeklagte ist der Vater der am 28. März 1999 geborenen M. M. . Seine Tochter lebte bis Sommer 2005 von ihm getrennt bei ihrer Mutter. Nachdem das Jugendamt die Mutter für überfordert erachtet hatte, das Kind zu erziehen, erklärte sich der Angeklagte bereit, M. zu sich zu nehmen. Altersgerecht entwickelt zog sie am 17. Oktober 2005 zu ihrem Vater, der mit seiner Lebensgefährtin und den gemeinsamen ein und zwei Jahre alten Töchtern zusammenlebte. Während die jüngeren Kinder angemessen versorgt wurden, bekam M. nur unzureichend zu essen, so dass sie Hunger litt. Sie erhielt hauptsächlich über mehrere Tage hinweg nur „Buchstabensuppe“. Auch wenn sie um weitere Nahrung bat, bekam sie nichts anderes zu essen. M. magerte sichtbar ab, sie wurde immer schwächer und apathisch. Schon kurze Zeit nach ihrem Einzug misshandelte der Angeklagte das Mädchen mindestens einmal täglich schwer. Er ließ sie Rechen- und Schreibübungen durchführen, welche die gerade erst eingeschulte M. nicht bewältigen konnte, was er zum Anlass für Misshandlungen und zur Nahrungsverweigerung nahm. M. ging nicht zur Schule; der Angeklagte hatte sie dort entschuldigt. Gegenüber seiner Lebensgefährtin , die er mit Gewalttätigkeiten davon abhielt, M. zu helfen, äußerte er mehrfach, dass er „die Missgeburt am liebsten im Kanal versenken würde“.
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b) Im Einzelnen führte der Angeklagte zwischen dem 28. Oktober und 28. November 2005 folgende Handlungen aus, wobei er aus gefühlloser und fremdes Leiden missachtender Gesinnung seiner Tochter Schmerzen zufügen wollte:
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(II. 1. der Urteilsgründe) Mit Händen und einem Badeschuh schlug er so häufig auf das nackte Gesäß M. s ein, dass die Haut an mehreren Stellen aufplatzte und blutete.
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(II. 2.) Mit einem harten, länglichen Gegenstand schlug er auf die Hände seiner Tochter, wodurch diese stark anschwollen. Schließlich biss er ihr kräftig in die linke Hand, so dass eine später vereiterte Fleischwunde entstand.
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(III. 3. – 5.) In drei Fällen duschte er die nackte M. mit kaltem Wasser ab und sperrte sie ungeschützt, der kalten Witterung ausgesetzt, für mindestens jeweils 30 Minuten auf den Balkon, wobei er sie zwischendurch noch mit kaltem Wasser begoss. In einem Fall fasste er ihr anschließend an die Schamlippen und verdrehte diese, um ihr besondere Schmerzen zu bereiten und sie zu demütigen. In zwei Fällen versetzte er ihr mehrere Faustschläge in den Unterbauch.
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(II. 6.) Er hob M. an den Haaren hoch, ließ sie auf den Fußboden fallen und versetzte ihr mehrere Schläge mit dem Ellenbogen gegen den Kopf.
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(II. 7. und 8.) Nachdem M. Schreibübungen an zwei aufeinander folgenden Tagen nicht zu seiner Zufriedenheit erledigen konnte, bestimmte er sie jeweils dazu, eine Tasse mit heißer Flüssigkeit über mehrere Minuten auf dem Kopf zu balancieren. Infolge der Druck- und Hitzeeinwirkung starb das Kopfgewebe auf einer Fläche von 15 Zentimetern Durchmesser. Die Wunde infizierte sich, und es kam zur Eiterbildung zwischen Schädel und Kopfhaut; bei ungehinderter Entwicklung hätte diese Verletzung zum Tod geführt.
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(II. 9. – 31.) In 23 Fällen schlug der Angeklagte kräftig, wahllos und teilweise auch mehrfach auf seine Tochter ein, wodurch diese zahlreiche, teilweise großflächige Hämatome und Hautverfärbungen, Rötungen, Schwellungen, Vernarbungen , Einblutungen der Augen und Vereiterungen erlitt.
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(II. 32.) Er fesselte die Hände seiner auf dem Boden liegenden Tochter eine ganze Nacht hindurch mit Handschellen an das Bein eines Sofas und band ihre Beine an einem Tisch fest.
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(II. 33.) Mehrere Tage vor dem 28. November 2005 gab der Angeklagte in Kenntnis des durch die mangelhafte Versorgung und die zahlreichen Verletzungen schlechten und ausgezehrten Zustands seiner Tochter ihr nichts mehr zu essen und zu trinken, um ihr weitere Leiden zuzufügen. Dadurch verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand dramatisch, sie konnte sich nicht mehr ihre Schlafanzughose anziehen und später nicht mehr alleine stehen. Der Angeklagte erkannte, dass sich M. in schwerer, ihr Leben beeinträchtigender Gefahr befand, wenn er ihr weiterhin Nahrung und Getränke versagen würde. Dennoch bestimmte er, dass sie weder etwas zu essen noch etwas zu trinken bekam; dadurch litt das Mädchen ständig großen Hunger und Durst.
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c) Am 28. November 2005 erschien eine Familienhelferin, die den schlechten Zustand M. s erkannte und sie dem Zugriff des Angeklagten entzog. M. litt infolge der mangelnden Versorgung an borkigen Vertrocknungen mit Schorfablagerungen an den Lippen, ihre Leberenzymwerte waren erhöht, Albumin- und Hämatokritwerte herabgesetzt und die Gallenflüssigkeit verdickt. Ihr Zustand war sowohl wegen der Unterversorgung als auch wegen der Kopfverletzung potentiell lebensbedrohlich. Sie wurde bis zum 17. Dezember 2005 intensivmedizinisch und noch weitere zwei Wochen stationär behandelt. Aufgrund des Gesamtgeschehens war M. psychisch stark beeinträchtigt und traumatisiert. Mit Hilfe mehrerer Hauttransplantationen konnte der Umfang der Kopfverletzung verringert werden.
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2. Das Landgericht hat die Taten zu II. 1., 2., 7., 8. und 33. seiner Urteilsgründe als Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Die Voraussetzungen des § 225 Abs. 3 StGB hat es nicht als erfüllt angesehen, da das Leben der Geschädigten noch nicht konkret gefährdet gewesen sei und die Kopfverletzung durch ärztliches Eingrei- fen nicht zu einer dauerhaften Entstellung geführt habe. Zudem sei zwar der körperliche und seelische Zustand des Kindes durch die Tathandlungen schwer geschädigt, diese Folgen seien aber dem Gesamtgeschehen und nicht einer einzelnen Tat zuzuordnen. Die Taten zu II. 3. bis 5. und 32. hat die Strafkammer als Misshandlung von Schutzbefohlenen, bei der Tat zu II. 32. in Tateinheit mit Freiheitsberaubung gewertet. Die Taten zu II. 6. und 9. bis 31. hat es jeweils als vorsätzliche Körperverletzung gewürdigt.
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3. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Verurteilungsfälle beschränkt. Zwar hat die Revisionsführerin einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Der ausgeführten Sachrüge ist indes im Einvernehmen mit dem Generalbundesanwalt zu entnehmen , dass der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft nur die Verurteilungsfälle erfasst und die in der Revisionsbegründung an keiner Stelle erwähnten Teilfreisprüche nicht angegriffen sind (vgl. BGH wistra 2007, 112, 113 m.w.N.).
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4. Die Revision der Staatsanwaltschaft greift durch, soweit es das Landgericht in Fall 33 unterlassen hat, seine Kognition auf das Vorliegen eines versuchten Tötungsdelikts – wie angeklagt und zur Hauptverhandlung zugelassen – zu erstrecken.
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Angesichts der getroffenen Feststellungen hätten sich Ausführungen zu einem möglichen Tötungsvorsatz aufgedrängt. Insbesondere das Maß der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung, die vom Angeklagten erkannten Folgen seines Handelns, die geradezu systematisch anmutende Misshandlung des Mädchens in einem wenige Wochen betragenden Zeitraum sowie die Persönlichkeit des Angeklagten hätten in die gebotene Gesamtbetrachtung zum Vorliegen eines Tötungsvorsatzes miteinbezogen werden müssen.
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a) So hätte erwogen werden müssen, dass der Angeklagte in Kenntnis seiner Garantenstellung der durch seine Handlungen in wenigen Wochen be- reits abgemagerten, geschwächten und an zahlreichen Verletzungen leidenden Tochter mehrere Tage weder Nahrungs- noch Flüssigkeitsaufnahme ermöglichte , obwohl sie danach verlangte. Den Angaben der Zeugen und Sachverständigen , denen die Strafkammer uneingeschränkt folgt, lassen sich gewichtige Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass dieser Zeitraum vier bis fünf Tage betragen hat. Die medizinischen Sachverständigen haben hierzu ausgeführt, dass die Verdickung der Flüssigkeit in der Gallenblase und der Zustand der Lippen der Geschädigten darauf schließen lassen, dass diese vier bis fünf Tage vor der Untersuchung am 28. November 2005 keine Nahrung und über längere Zeit hinweg wenig oder mitunter gar keine Flüssigkeit zu sich genommen habe; bei kleineren Kindern, wie der hier geschädigten M. , könnten eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr und ein Gewichtsverlust viel schneller gesundheitsschädigende Folgen haben als bei Erwachsenen. Dem entspricht, dass sich M. am 28. November 2005 durch die mangelnde Versorgung in einem potentiell lebensbedrohlichen Zustand befand.
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b) Diese Gefährlichkeit war für den Angeklagten auch erkennbar. Das sechsjährige Mädchen war nach den Urteilsausführungen nur noch Haut und Knochen, sie konnte nicht mehr allein stehen und sich kaum aufrecht halten oder bewegen. Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer hieraus den nahe liegenden Schluss gezogen, dass der Angeklagte die schwere, das Leben beeinträchtigende Gefahr, in der sich M. befand, erkannte, sie aber dennoch von Nahrung und Flüssigkeit abhielt, um ihr weitere Leiden zuzufügen, sie zu erniedrigen und zum Objekt seiner Willkür zu machen.
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c) Darüber hinaus hätten aus dem Gesamtverhalten des Angeklagten seiner Tochter gegenüber, auch wenn die meisten der gravierenden Misshandlungen für sich gesehen nicht lebensbedrohlich waren, sowie aus der Persönlichkeit des Angeklagten, die – wie festgestellt – durch einen besonderen Mangel an Empathie, vollständige Abwesenheit eines moralischen Wertesystems und ein seine Selbstwertdefizite kompensierendes Dominanzstreben gekenn- zeichnet ist, weitere Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite gezogen werden können.
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d) Angesichts dieser Tatsachen ist das gänzliche Fehlen einer Erörterung , ob der Angeklagte den Tod seiner Tochter geistig vorweggenommen und gebilligt hat – auch unter Berücksichtigung, dass die Billigung der Tötung des eigenen Kindes naturgemäß die Überschreitung höchster Hemmschwellen voraussetzt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50; BGH, Beschluss vom 13. März 2007 – 5 StR 320/06) – rechtsfehlerhaft, da sie die Besorgnis begründet, das Tatgericht habe die Möglichkeit einer Strafbarkeit gemäß §§ 211, 212, 22, 13 StGB nicht hinreichend bedacht.
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e) Sollte das neue Tatgericht zur Annahme eines Tötungsvorsatzes gelangen , so wird es Gelegenheit haben, das Vorliegen von Mordmerkmalen, namentlich der Grausamkeit (vgl. dazu BGH NStZ 2007, 402, 403), zu prüfen.
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5. Auch die rechtliche Bewertung im Übrigen begegnet durchgreifenden Bedenken.
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a) Zu Recht beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass das Landgericht den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend rechtlich gewürdigt hat, soweit es die Voraussetzungen des qualifizierten Tatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB abgelehnt hat. Die Ausführungen, zwar habe der Angeklagte eine erhebliche Schädigung der körperlichen und der seelischen Entwicklung bei der Geschädigten verursacht, dies könne aber keiner einzelnen Tat, sondern nur dem Gesamtgeschehen zugeordnet werden, lassen besorgen, dass das Landgericht die Deliktsstruktur des § 225 StGB verkannt und dadurch dem Unrechtsgehalt des festgestellten Geschehens nicht ausreichend Rechnung getragen hat. Gleiches gilt für die Würdigung, die Feststellungen zu II. 6. und 9. bis 31. führten lediglich zur Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in 24 Fällen, wobei eine Strafbarkeit nach § 225 StGB unerörtert bleibt.
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Die Strafkammer hat jeden Einzelakt der schmerzhaften Einwirkung auf die Geschädigte isoliert betrachtet, eine rechtliche Zusammenfassung der Einzelakte zu einer deliktischen Einheit im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl. BGHSt 43, 1, 3; BGHR StGB § 99 Ausüben 6; zu § 225: Warda , FS-Hirsch, S. 391 ff.; Hirsch in LK, 11. Aufl. § 225 Rdn. 12) hat es indes nicht erwogen. Dazu hätte aber angesichts der tatbestandlichen Unrechtsumschreibung des § 225 Abs. 1 StGB – in der Tatbestandsvariante des Quälens – sowie der zeitlichen, situativen und subjektiven Zusammengehörigkeit der Einzelakte Anlass bestanden. Für den Fall einer zusammenfassenden rechtlichen Bewertung drängen sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen die Voraussetzungen der Qualifikation des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB auf.
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aa) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden (BGHR StGB § 225 Misshandlung 1; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 225 Rdn. 8a). Dieses Tatbestandsmerkmal wird typischerweise durch Vornahme mehrerer Handlungen verwirklicht; oft macht erst die ständige Wiederholung den besonderen Unrechtsgehalt aus (BGHSt 41, 113, 115; BGHR StGB § 225 Misshandlung 1; Hardtung in MünchKomm-StGB 2003 § 225 Rdn. 14). Deswegen stellt jedenfalls das auf Dauer angelegte Quälen als Handlungskomplex eine Handlungseinheit dar (Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 225 Rdn. 12).
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bb) Für eine Verknüpfung der Handlungen des Angeklagten zu Lasten seiner Tochter in diesem Sinne spricht die äußere und innere Geschlossenheit des Tatgeschehens. Neben der Identität des Opfers und der Kontinuität der Tatsituation – sämtliche Taten spielten sich in der Wohnung des Angeklagten ab – wird der Handlungskomplex vor allem durch die zeitliche Dichte der Misshandlungen geprägt. So kam es mindestens jeden Tag zu körperlicher Misshandlung , teilweise dauerten diese, wie die mangelhafte Versorgung, auch über den gesamten Tatzeitraum fort (anders im Tatsächlichen BGH NStZ-RR 2006, 42). Ferner kommt dem Umstand wesentliche Bedeutung zu, dass das Ge- samtgeschehen durch die durchgehend ablehnende Haltung des Angeklagten seiner Tochter gegenüber und seine ohne Zäsur vorhandene gefühllose, ihr Leiden missachtende Gesinnung ein einheitliches subjektives Gepräge erhält. Danach liegt sogar nahe, dass der Angeklagte einen den Tatzeitraum überspannenden Vorsatz hatte, M. bei gegebenem Anlass erneut zu misshandeln.
27
b) Auch die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es eine Anwendung des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB namentlich bezogen auf die Einzelfälle II. 7, 8 und 33 ausschließt, begegnen durchgreifenden Bedenken.
28
Eine schwere Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 zweite Variante StGB liegt schon dann vor, wenn die Gesundheit des Betroffenen ernstlich, einschneidend oder nachhaltig beeinträchtigt ist (vgl. Schroth NJW 1998, 2861, 2865). Diese Voraussetzung ist jedenfalls immer dann zu bejahen, wenn intensivmedizinische Maßnahmen oder umfangreiche und langwierige Rehabilitationsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Gesundheit und/oder zur sonstigen Beseitigung der Tatfolgen notwendig sind (vgl. Schroth, aaO). Solches war hier hinsichtlich der Kopfverletzungen und des durch Flüssigkeits- und Nahrungsverweigerung hervorgerufenen Allgemeinzustandes der Fall.
29
6. Im Anschluss an BGH NStZ 2005, 268 verneint der Senat mit dem Generalbundesanwalt ein Sexualdelikt; allein insoweit bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos.
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7. Dem Senat ist es auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen verwehrt, zum Schuldspruch durchzuentscheiden. Die hier an materiellrechtliche Voraussetzungen geknüpfte Frage, ob insgesamt Tateinheit anzunehmen sein wird, und die Voraussetzungen eines Tötungsdeliktes – wofür insbesondere der Umstand, wie lange M. Nahrung und Flüssigkeit gänzlich vorenthalten wurden und der subjektive Tatbestand ergänzend aufzuklären sein werden – sowie die die Qualifikationstatbestände des § 225 Abs. 3 StGB begründenden Umstände bedürfen neuer tatrichterlicher Aufklärung und Bewertung. Deshalb sind die bisherigen Feststellungen aufzuheben. Ausgenommen sind allerdings diejenigen zu den äußeren Tatumständen, die auch von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen werden. Dadurch erscheint eine erneute Vernehmung des geschädigten Kindes vermeidbar. Darauf sollte das neue Tatgericht Bedacht nehmen. Die noch näher aufzuklärenden zeitlichen Umstände des vollständigen Nahrungsentzuges werden mit der Gedächtnisleistung eines Kindes kaum zu ermitteln sein.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Jäger

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 2 4 / 1 4
vom
4. August 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der am 7. Juli 2015 begonnenen
Hauptverhandlung in der Sitzung vom 4. August 2015, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Graf,
Prof. Dr. Radtke,
Prof. Dr. Mosbacher
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Richterin am Landgericht
- in der Verhandlung vom 7. Juli 2015 -,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
- in der Verhandlung vom 8. Juli 2015 - und
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
- in der Sitzung vom 4. August 2015 -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 7. Juli 2015 -
als Verteidiger des Angeklagten L. ,
Rechtsanwältin
- in der Verhandlung vom 7. Juli 2015 -
als Verteidigerin der Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 7. Juli 2015 -
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
- in der Verhandlung vom 7. Juli 2015 -,
Justizobersekretärin
- in der Verhandlung vom 8. Juli 2015 - und
Justizangestellte
- in der Sitzung vom 4. August 2015 -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 4. August 2014 werden mit der Maßgabe verworfen, dass die Angeklagten jeweils der „schweren“ Misshandlung eines Schutzbefohlenen schuldig sind.
2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen „Misshandlung von Schutzbefohlenen“ zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die mit Verfahrens- und Sachrügen begründeten Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Die Angeklagte B. ist die Mutter des Nebenklägers. Dieser leidet seit frühester Kindheit an der Erbkrankheit Mukoviszidose. Es handelt sich dabei um eine nicht kausal therapierbare, progredient verlaufende chronische Erkrankung mit einer beschränkten Lebenserwartung. Weil durch die Krankheit die Sekrete exokriner Drüsen besonders zähflüssig werden, kommt es zu Funktionsstörungen der jeweiligen Organe, insbesondere der Lunge.
4
Der Nebenkläger benötigt krankheitsbedingt eine permanente medikamentöse , krankengymnastische und ärztliche Behandlung, die sich sehr aufwändig gestaltet: Mehrfach täglich muss er inhalieren, täglich eine autogene Drainage (besondere Atemtechnik für lungenkranke Patienten zum Abhusten von Bronchialsekret) durchführen, zudem ist eine ständige antibiotische Behandlung mit einem Antibiotikum notwendig. Um ausreichend Nahrungsfette verdauen zu können, muss der Nebenkläger zu jeder Mahlzeit Pankreasenzympräparate (Kreon) einnehmen. Generell benötigt er aufgrund unzureichender Verdauung und drohender Untergewichtigkeit eine hyperkalorische Ernährung durch hohen Kalorienreichtum und Anreicherung der Nahrung. Die Verbesserung der körperlichen Fitness erfordert eine hohe sportliche Aktivität, auch sind drei- bis viermal jährlich Blut- und Sputumuntersuchungen notwendig , um die konkret notwendige Therapie stets anpassen zu können. Selbst bei optimaler Behandlung nimmt die Lungenfunktion jährlich ab, im statistischen Mittel zwischen 3 und 4 %. Je länger durch entsprechende Zugabe von Kreon und die Zuführung hochkalorischer Nahrung ein normales, altersentsprechendes Gewicht gehalten wird, umso günstiger wirkt sich dies auf die Lungenfunktion aus.
5
Die Angeklagte B. kümmerte sich bis zum Sommer 1999 stets und ausdauernd um die adäquate Behandlung des im Januar 1987 geborenen Nebenklägers ; sie wusste über die Krankheit und die Behandlungsnotwendigkeit Bescheid. Der Nebenkläger wurde bis zu diesem Zeitpunkt mit den erforderlichen Medikamenten versorgt und inhalierte täglich.
6
Nachdem die Angeklagte B. Anfang Juli 1999 den Angeklagten L. kennengelernt hatte, zog sie Anfang November 1999 mit ihren drei Kindern (einschließlich des Nebenklägers) bei ihm ein. Der Angeklagte L. , der sich seit vielen Jahren für spirituelle, esoterische, theosophische und religiöse Themen interessiert, lebte zu diesem Zeitpunkt in einer Wohngemeinschaft in einem Haus in Lo. , Ortsteil A. . Beide Angeklagte sahen nach dem Zusammenzug im spirituellen Bereich ihren Lebensmittelpunkt. Hierzu gehörten regelmäßige Meditationen, bei denen auch Interessierte von außen hinzukamen. Die Angeklagten pflegten eine einfache, natürliche Lebensweise mit vegetarischer Ernährung, vorwiegend mit Gemüse aus dem eigenen Garten. Schulmedizin lehnten sie nicht grundsätzlich ab, bevorzugten aber alternative Heil- methoden und natürliche Medikamente. Dass der auch als „Guru von A. “ oder „Guru von Lo. “ bezeichnete Angeklagte L. Mitglied oder Anführer einer Sekte war oder die Angeklagten der „Neuen Gruppe der Weltdiener“ zugehören, wie in den Medien verbreitet wurde, hat das Landge- richt nicht festgestellt.
7
Nach dem Einzug der Angeklagten B. in die Wohngemeinschaft des Angeklagten L. in Lo. /A. übernahm der Angeklagte L. neben der allein sorgeberechtigten Angeklagten B. die Fürsorge für den Nebenkläger und seine Geschwister. Er stand der auf Dauer angelegten Wohngemeinschaft vor, fühlte sich für das Wohl und Wehe des Nebenklägers mitverantwortlich, übernahm in Absprache mit der Angeklagten B. Erziehungsaufgaben und behandelte deren Kinder wie seine eigenen. Insgesamt war er das bestimmende Familienoberhaupt, das sich in jeden Bereich des täglichen Zusammenlebens und der gesamten Lebensgestaltung der Kinder ein- mischte und als zweiter „Erziehungsberechtigter“ die Zeugnisse unterschrieb. Über die Erkrankung des Nebenklägers wurde der Angeklagte L. im Sommer 1999 umfassend aufgeklärt, er wusste seitdem von der dringenden und andauernden Behandlungsbedürftigkeit und der Art und Weise, wie die Krankheit zu behandeln ist.
8
Nachdem der zu diesem Zeitpunkt 12-jährige Nebenkläger mit der Angeklagten B. und zwei Geschwistern in A. eingezogen war, wurde ihm kein für Inhalationen geeignetes Gerät mehr zur Verfügung gestellt. Neue Medikamente wurden nicht besorgt, die letztmals im Juli 1999 verschriebenen waren Ende 1999 aufgebraucht. Einem Arzt wurde der Nebenkläger nicht mehr vorgestellt, es wurde vielmehr ihm überlassen, ob er Medikamente einnimmt und zum Arzt geht. Weder wurde das Gewicht des Nebenklägers kontrolliert noch, ob er täglich die notwendige autogene Drainage durchführt. Auf eine hochkalorische Nahrung wirkten die Angeklagten nicht hin, der Nebenkläger musste sich weitgehend vegetarisch ernähren. Der Angeklagte L. stellte dem Nebenkläger in Aussicht, dass die Mukoviszidose-Krankheit bis spätestens zu seinem 18. Geburtstag geheilt werde, wenn er mit ihm mehrmals täglich meditiere; der Nebenkläger glaubte dies.
9
Der Nebenkläger, der an einer Spritzenphobie leidet, war froh, ohne die lästigen Prozeduren leben zu können und keine Ärzte oder Krankenhäuser mehr besuchen zu müssen. Er verlangte deshalb aus eigenem Antrieb nicht die Behandlung seiner Erkrankung gegenüber den Angeklagten. Vielmehr kam er dem Verlangen des Angeklagten L. nach täglicher Meditation nach, zumal ihm dieser bei unzureichender Mitwirkung mit einem Krankenhausbesuch drohte , der auch Spritzen umfassen würde. Aufgrund seines Alters konnte der Nebenkläger die negativen Konsequenzen des Behandlungsabbruchs für seine Gesundheit nicht überblicken und bewerten, auch weil diese schleichend und über einen relativ langen Zeitraum eintraten; vielmehr vertraute er darauf, durch Meditationen geheilt zu werden.
10
Der Kontakt des Nebenklägers zu seinem leiblichen Vater wurde konse- quent unterbunden, der Vater als „Teufel“ dargestellt, der das Böse verkörpere. Von der AOK erhielt die Angeklagte B. für den Nebenkläger bis Ende September 2001 Pflegegeld der Stufe 2. Weil sie keine Überprüfungsnachweise über die Behandlung beibrachte, wurde die Zahlung von Pflegegeld schließlich eingestellt. Noch im März 2000 hatte die Angeklagte bei der Überprüfung der Pflegevoraussetzungen falsche Angaben gemacht. Ende 2001 kündigte die Angeklagte B. im Einvernehmen mit dem Angeklagten L. ihre Krankenversicherung. Beide gingen davon aus, dass der Nebenkläger nunmehr auch nicht mehr krankenversichert sei, und überließen ihm die Entscheidung, eine Krankenversicherung abzuschließen.
11
Der Zustand des Nebenklägers verschlechterte sich nach seinem Einzug in A. durch die Unterbrechung der Behandlung – wie bei dieser Krankheit üblich – nicht rapide, sondern fortdauernd über die Jahre 2000, 2001 und 2002 hinweg. Im Sport in der Schule war er nach anfänglich guten Leistungen im Jahr 1998/99 bald nur noch „befriedigend“. Im Mai 2000 fuhr er letztmals auf einen Ausflug ins Schullandheim mit und konnte noch eine sechs Kilometer lange Wanderung absolvieren. Ab dem Schuljahr 2000/2001 musste er dann krankheitsbedingt vom Sportunterricht befreit werden. In diesem Schuljahr kam er oft abgeschlagen und müde zum Unterricht oder fehlte ganz, weil sein Gesundheitszustand auffällig schlechter war als zuvor. Ab spätestens Mitte 2001 traten wegen der nicht mehr behandelten Mukoviszidose Beschwerden (Atemnot ) und Schmerzen (Kopfschmerzen) auf. Im Dezember 2002 hatte der Nebenkläger bei den geringsten körperlichen Anstrengungen erhebliche Atembeschwerden ; aufgrund seiner Atemnot litt er zudem ständig unter heftigen Kopfschmerzen. Im gesamten Zeitraum von Ende 1999 bis Ende 2002 legte er nicht an Gewicht zu. Die fortlaufende Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Nebenklägers erkannten beide Angeklagte; dennoch änderten sie ihr Verhalten nicht.
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Als der dann 15-jährige Nebenkläger Ende 2002 die Wohngemeinschaft in A. verließ und nach gerichtlicher Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf seinen Vater zu diesem zog, waren mangels Behandlung seine Bronchien stark verschleimt, die Lungenfunktion stark eingeschränkt und die Sauerstoffsättigung im Blut nicht mehr ausreichend. Er litt bei geringster körperlicher Betätigung unter Atemnot, unter permanenten Kopfschmerzen und blauen Fingerkuppen (Zyanose). Atemnot und Kopfschmerzen waren spätestens seit Mitte 2001 aufgetreten und nahmen dann kontinuierlich zu. Die Möglichkeit damit verbundener länger anhaltender Schmerzen erkannten die Angeklagten und nahmen dies billigend in Kauf; gleichwohl änderten sie ihr Verhalten nicht.
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Der Nebenkläger war Ende 2002 massiv unterernährt und wog bei einer Größe von 159 cm nur noch 30,5 kg. Sein Zustand war insgesamt extrem besorgniserregend und potentiell lebensbedrohlich; bei weiterer Nichtbehandlung hätte die fortschreitende Verschleimung seiner Organe binnen weniger Wochen zum Tode geführt. Es bestand deshalb die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Schädigung seiner körperlichen Entwicklung. Der Verlust seiner Lungenfunktion ist überdurchschnittlich und irreversibel.
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Obwohl die Angeklagten den fortschreitenden körperlichen Abbau bei dem Nebenkläger bemerkten, unterließen sie es, ihm die notwendige medikamentöse , therapeutische und ärztliche Behandlung zukommen zu lassen und die Medikamenteneinnahme sowie den Gesundheitszustand engmaschig zu kontrollieren, obwohl ihnen all dies, wie sie wussten, möglich und zumutbar war. Hätten die Angeklagten dem Nebenkläger die notwendige Behandlung zuteil werden lassen, hätte sich sein Gesundheitszustand stabilisiert und die Krankheit wäre nicht so rasant fortgeschritten.
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2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten in rechtlicher Hinsicht als Quälen eines Schutzbefohlenen durch Unterlassen nach § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 13 StGB bewertet und ist zudem vom Vorliegen einer Qualifikation nach § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 und Nr. 2 Alt. 1 StGB ausgegangen, weil der Nebenkläger durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung ge- bracht worden sei. Das Merkmal des „Quälens“ hat das Landgericht dadurch als verwirklicht angesehen, dass dem Nebenkläger durch das Unterlassen der gebotenen und möglichen Behandlung über einen Zeitraum von knapp drei Jahren unnötige erhebliche Schmerzen und Leiden zugefügt worden seien. Spätestens ab Mitte 2001 bis Ende 2002 sei es zu einer zunehmenden Verschleimung der Bronchien mit immer weiter abnehmender Sauerstoffsättigung gekommen, wodurch permanente Kopfschmerzen und schließlich am Ende blaue Fingerkuppen aufgetreten seien. Insgesamt habe die Leistungsfähigkeit immer mehr abgenommen, sodass dem Nebenkläger am Ende jede körperliche Anstrengung erhebliche Schmerzen bereitet habe. In Kenntnis aller Umstände hätten die Angeklagten die geschilderten Schmerzen und Leiden billigend in Kauf genommen, ebenso den Eintritt der konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung.
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Den Einwand der Angeklagten, sie hätten gegen den Willen des Nebenklägers eine ärztliche Behandlung oder Medikamenteneinnahme ebenso wenig durchsetzen können wie Kontrollen, ob er täglich inhaliert, Medikamente eingenommen oder eine autogene Drainage gemacht habe, hat das Landgericht entgegengesetzt, dass die Angeklagten den minderjährigen Nebenkläger not- falls gegen seinen Willen, ggfs. unter Einschaltung der zuständigen Behörden, zur notwendigen Behandlung hätten zwingen müssen.
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3. Im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung hat das Landgericht ausgeführt , die Angeklagten propagierten und lebten auf der Grundlage theosophischer und buddhistischer Theorien zwar eine eigenwillige Weltanschauung mit einer einfachen, natürlichen Lebensweise und dem Glauben an das Gesetz des Karma und an Reinkarnation. Dass beide dem knapp 13-jährigen Nebenkläger die Verantwortung für seine Weiterbehandlung übertragen und sich nicht weiter darum gekümmert hätten, fuße aber nicht auf einer weltanschaulichen Wahnvorstellung der Angeklagten, sondern sei als bloßes Scheuen weiterer unangenehmer Auseinandersetzungen mit dem pubertär-schwierigen Nebenkläger zu werten. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Weltanschauung der Angeklagten und der Verweigerung einer schulmedizinischen Behandlung für den Nebenkläger, wie dies in den Medien propagiert werde, könne nach den Feststellungen nicht tragfähig belegt werden.
18
4. Bei der Strafzumessung hat das Gericht aufgrund des langen Tatzeitraums und der bleibenden Folgen für den Nebenkläger keinen Anlass gesehen, einen minder schweren Fall der schweren Misshandlung Schutzbefohlener anzunehmen. Eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 13, 49 Abs. 1 StGB hat die Strafkammer aus den gleichen Gründen abgelehnt. Bei der Strafzumessung im Einzelnen hat das Landgericht zugunsten der Angeklagten u.a. gewürdigt, dass die bislang unbestraften und teilgeständigen Angeklagten mit bedingtem Vorsatz und durch Unterlassen gehandelt haben. Zudem seien sie durch eine Fernsehreportage mit erheblichem Medienecho in der Öffentlichkeit vorverurteilt und stigmatisiert und durch Einträge in sozialen Medien sowie durch Mahnwachen vor ihrem Haus öffentlich geächtet worden. Zu Lasten der Angeklagten wurde jeweils der lange Tatzeitraum mit der Leidenszeit des Nebenklä- gers spätestens ab Mitte 2001 gewertet, wobei sich der Gesundheitszustand kontinuierlich verschlechtert habe und sich dadurch die Schmerzen kontinuierlich gesteigert hätten.

II.

19
Die Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
20
1. Die Verfahrensrügen sind unzulässig, weil es – wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift im Einzelnen ausgeführt hat – jeweils entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an der Mitteilung in Bezug genommener Schriftstücke fehlt, deren Kenntnis für die Rügeprüfung notwendig wäre.
21
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der von den Angeklagten jeweils näher ausgeführten Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten:
22
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.
23
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. Senat, Urteil vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13, NStZ 2014, 475 mwN). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich soweit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl.
Senat aaO mwN). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht. Die vom Landgericht gezogenen Schlüsse sind tragfähig begründet und nachvollziehbar.
24
aa) Dies gilt insbesondere auch für den Schluss der Kammer auf einen bedingten Vorsatz beider Angeklagter. Die Kammer hat sich (zwar unter teil- weise abweichender Formulierung, vgl. UA S. 16, 37: „konnten … erkennen“) davon überzeugt, dass die Angeklagten genau alle Umstände gekannt haben, die zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes und damit zu Schmerzen und unnötigen Leiden führen mussten (UA S. 50), dass sie die fortlaufende Verschlechterung des Gesundheitszustandes erkannten (UA S. 15) und den fortschreitenden körperlichen Abbau bemerkten (UA S. 18) sowie dass sie auch alle für die eingetretene konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und der erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung des Nebenklägers kannten (UA S. 50). Diese Schlussfolgerung liegt angesichts des festgestellten Krankheitsverlaufs auch überaus nahe, war der Nebenkläger Ende 2002 doch schon durch massive Unterernährung, blaue Fingerkuppen und gravierende Lungenfunktionseinschränkung gleichsam vom nahenden Tod gezeichnet. Zudem haben – worauf das Landgericht zutreffend abstellt – sämtliche Zeugen (Geschwister, Lehrer) den kontinuierlichen und besorgniserregenden körperlichen Leistungsabbau ab Mitte 2001 bei dem Nebenkläger bemerkt, so dass nichts dafür spricht, dass lediglich die Angeklagten insoweit ahnungslos gewesen sind. All dies rechtfertigt im Zusammenhang mit den übrigen Feststellungen auch den Schluss der Kammer, die Angeklagten hätten – weil sie weitere unangenehme Auseinandersetzungen mit dem pubertär-schwierigen Jungen scheuten – die durch die Verschlechterung des Gesundheitszustandes entstandenen Schmerzen und Leiden des Nebenklägers ebenso billigend in Kauf genommen wie die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädi- gung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung und deshalb jeweils mit Eventualvorsatz gehandelt.
25
bb) Anders als die Revision der Angeklagten B. meint, sind auch die Feststellungen zum Fehlen von Medikamenten und einem Inhalationsgerät tragfähig mit den Angaben des Apothekers und der Geschwister des Nebenklägers belegt, zumal die Angeklagte B. ohnehin eingeräumt hat, seit Ende Juli 1999 mit dem Nebenkläger nicht mehr bei einem Arzt gewesen zu sein, so dass auch keine neuen Medikamente mehr verschrieben werden konnten.
26
cc) Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Nebenklägers sowie zu den Auswirkungen des Unterlassens jeder gebotenen Behandlung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auf die ausführlichen Angaben zweier Sachverständiger – eines Rechtsmediziners und eines Spezialisten für die Behandlung von Mukoviszidose – gestützt.
27
b) Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen den Schuldspruch.
28
aa) Der minderjährige Nebenkläger befand sich nach seinem Einzug in A. im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fürsorge und der Obhut der sorgeberechtigten Angeklagten B. als seiner Mutter und des Angeklagten L. , der im Einvernehmen mit der Angeklagten B. tatsächlich die Erziehung und Sorge für den in seinem Haushalt lebenden Nebenkläger übernommen hatte (vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Oktober 1993 – 2 StR 109/93).
29
bb) Die Angeklagten haben den Nebenkläger durch Unterlassen der gebotenen medizinischen und therapeutischen Behandlung im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB „gequält“.
30
Quälen bedeutet das Verursachen länger andauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden (st. Rspr.; vgl. nur RG, Urteil vom 23. Mai 1938 - 5 D 271/38, JW 1938, 1879; BGH, Urteile vom 12. September 1961 – 5 StR 329/61; vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; vom 3. Juli 2003 – 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94; vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Beschlüsse vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466; vom 24. Februar 2015 – 4 StR 11/15; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 225 Rn. 8a; Hirsch in LK, 11. Aufl., § 225 Rn. 12; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 225 Rn. 11; Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 11; Momsen/Momsen-Pflanz in SSW-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 13; Eschelbach in v. Heintschel-Heinegg, StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 16). Erfasst hiervon sind auch seelische Leiden, denn neben der körperlichen Unversehrtheit wird von § 225 Abs. 1 StGB auch die psychische Integrität einer unter besonderen Schutzverhältnissen stehenden Person geschützt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2014 – 2 StR 608/13; Beschluss vom 28. Oktober 2010 – 5 StR 411/10; Hirsch aaO Rn. 1; Fischer aaO Rn. 2; Hardtung aaO Rn. 1).
31
Das Merkmal „quälen“ erfordert über den Vorsatz hinaus keine besonde- re subjektive Beziehung des Täters zur Tat im Sinne eines Handelns aus Lust an der Schmerzzufügung, aus niedriger Gesinnung oder aus Böswilligkeit; es reicht eine Tatbegehung aus Gleichgültigkeit oder Schwäche (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 1961 – 5 StR 329/61; Senat, Urteil vom 1. April 1969 – 1StR 561/68; BGH, Beschluss vom 17. Januar 1991 – 4 StR 560/90, NStZ 1991, 234; BGH, Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197). Der Bundesgerichtshof lässt – wie die herrschende Auffassung in der Literatur – für die Tathandlung „quälen“ ausreichen, dass der Täter dem Schutzbefohlenen vorsätzlich länger andauernde oder sich wiederholende (erhebliche) Schmerzen oder Leiden zufügt (s.o.). Demgegenüber verlangt eine andere Auffassung in der Literatur für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „quälen“, dass die Tat aus einer gefühllos-unbarmherzigen Gesinnung begangen wird (Paeffgen in NK-StGB, 4. Aufl., § 225 Rn. 13; Wolters in SK-StGB, § 225 Rn. 10). Zur Begründung verweist diese Auffassung auf historisch-genetische Argumente (insb. Paeffgen aaO) und den innertatbestandlichen Vergleich mit den zwei weiteren Begehungsweisen des § 225 Abs. 1 StGB (insb. Wolters aaO). Beides überzeugt nicht:
32
Die Tatbestandsfassung des heutigen § 225 Abs. 1 StGB geht zurück auf das Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. Mai 1933 (RGBl. I 295). Mit diesem Gesetz wurde § 223b RStGB als Vorgängervorschrift des heutigen § 225 StGB neu in das RStGB eingeführt; die Beschreibung der drei verschiedenen Begehungsweisen ist bis heute unverändert geblieben. § 223b RStGB ersetzte § 223a Abs. 2 RStGB, der durch Gesetz vom 19. Juni 1912 (RGBl. 395) eingeführt wurde und erstmals eine besondere Strafbarkeit für die Misshandlung Schutzbefohlener im RStGB vorsah. Strafbar war nach § 223a Abs. 2 RStGB aF (1912) die Begehung von Körperverletzungen gegen- über Schutzbefohlenen „mittels grausamer oder boshafter Behandlung“ (zur Gesetzesentstehung ausführlich Korn, Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB, Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933, 2003, S. 253 ff.). Während der Reformdiskussion, die der Änderung 1912 voranging, war erwogen worden, als Tathandlung das „boshafte Quälen“ einzuführen (vgl. Korn aaO S. 263); durchgesetzt hatte sich dieser Vorschlag damals nicht.
33
Wenige Monate nach Inkrafttreten des § 223b RStGB wurde das Tierschutzgesetz vom 24. November 1933 (RGBl. I 987) verkündet. Gemäß § 9 Abs. 1 Tierschutzgesetz 1933 wurde bestraft, wer ein Tier unnötig quält oder roh misshandelt. Eine Legaldefinition des „Quälens“ enthielt § 1 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Tierschutzgesetz 1933: „Ein Tier quält, wer ihm länger dauernde oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden verursacht.“ In diesem Sinn legte auch das Reichsgericht den Begriff des Quälens aus, näm- lich als „die Verursachung länger fortdauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden“ (RG, Urteil vom 23. Mai 1938 – 5 D 271/38, JW 1938, 1879). Demgegenüber definierte § 1 Abs. 2 Satz 2 Tierschutzgesetz 1933 den Begriff der rohen Misshandlung als Verursachung erheblicher Schmerzen aus roher Gesinnung (vgl. hierzu auch RG aaO). Diese Unterscheidung liegt auch noch der heutigen Strafvorschrift in § 17 Nr. 2 TierSchG zugrunde; an der bis dahin geltenden Strafbarkeit wollte der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 17 TierSchG, der § 9 Abs. 1 Tierschutzgesetz 1933 ablöste , offensichtlich nichts ändern (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drucks. VI/2558 S. 12 f.); lediglich gesetzestechnisch wurde anstelle des Begriffs „Quä- len“ der Inhalt der Legaldefinition in § 1 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Tierschutzge- setz 1933 zum Tatbestandsmerkmal in § 17 Nr. 2 Buchstabe b TierSchG gemacht (vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Februar 1987 – 2 StR 159/86, NStZ 1987, 511).
34
Die historische Auslegung ergibt damit, dass der Gesetzgeber den Be- griff „quälen“ als Verursachung länger andauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden versteht, darüber hinaus eine besondere subjektive Einstellung des Täters – anders als bei der rohen Misshandlung oder der böswilligen Vernachlässigung – aber gerade nicht verlangt.
35
Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch die unterschiedliche Formulierung der drei Tathandlungsvarianten in § 225 Abs. 1 StGB: Gerade weil der Gesetzgeber bei der Formulierung ausdrücklich zwischen Begehungsweisen mit besonderer subjektiver Beziehung zur Tat („rohe Misshandlung“, „böswillige Vernachlässigung“) und solchen ohne derartigen Zusatz unterscheidet, ergibt sich im Umkehrschluss, dass bei der Variante des „Quälens“ keine weiteren subjektiven Voraussetzungen vorliegen müssen (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 26). Wie die Gesetzgebungsgeschichte zeigt, standen dem Gesetzgeber Formulierungen zur Verfügung, mit denen er eine weitere subjektive Voraussetzung auch bei der Tatvariante des „Quälens“ hätte formulieren können („boshaftes Quälen“); solche Formulierungen hat er aber nicht gewählt. Gegenüber den zwei anderen Varianten des § 225 Abs. 1 StGB zeichnet sich die Tatvariante des „Quälens“ durch besondere Anforderungen an den Körper- verletzungserfolg aus; dies rechtfertigt es, insoweit keine weiteren einschränkenden subjektiven Elemente zu verlangen (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 26). Mit dem Wortlaut ist diese Auslegung, die auf das Verursachen körperlicher und seelischer Qualen bei dem Opfer abstellt, ohne weiteres vereinbar (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden, 3. Aufl., Band 7, Stichwort „quälen“).
36
All dies gilt auch für das Quälen durch Unterlassen (vgl. insb. BGH, Urteil vom 12. September 1961 – 5 StR 329/61). Quälen kann nach heute nahezu allgemeiner Meinung auch durch Unterlassen begangen werden (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 1. April 1969 – 1 StR 561/68; BGH, Beschluss vom 17. Januar 1991 – 4 StR 560/90, NStZ 1991, 234; BGH, Urteile vom 30. März1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117; vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; vom 3. Juli 2003 – 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94; vom 5. März 2008 – 2 StR 626/07, BGHSt 52, 153, 156; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – 5 StR 411/10; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 – 3 StR 64/02 für die Variante des rohen Misshandelns; ebenso Fischer, 62. Aufl., § 225 Rn. 8; Hirsch in LK, 12. Aufl., § 225 Rn. 17; Stree/SternbergLieben in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 225 Rn. 11; Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 2, 15; Momsen/Momsen-Pflanz in SSW-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 12; Eschelbach in BeckOK-StGB, § 225 Rn. 16; Paeffgen in NK-StGB, 4. Aufl., § 225 Rn. 18). Insbesondere wer es unterlässt, für sein Kind leidensvermindernde ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, kann dieses durch Unterlassen quälen (vgl. Senat, Urteil vom 1. April 1969 – 1 StR 561/68; BGH, Urteile vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; vom 5. März 2008 – 2StR 626/07, BGHSt 52, 153, 159; OLG Düsseldorf, NStZ 1989, 269). Für die Unterlassungstäterschaft im Rahmen des § 225 StGB reicht – wie auch sonst – bedingter Vorsatz aus (BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 – 4 StR 190/03).
37
Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts hat das Unterlassen der gebotenen medikamentösen, therapeutischen und ärztlichen Behandlung beim Nebenkläger zu fortschreitendem Leistungsabbau, erheblicher Abnahme der Lungenfunktion, massiver Mangelernährung, anhaltenden Kopfschmerzen und schließlich sogar blauen Fingerkuppen infolge Sauerstoffmangels geführt, wobei Beschwerden und Schmerzen spätestens ab Mitte 2001 auftraten und sich kontinuierlich steigerten. Die zunehmende Verschleimung der Bronchien mit immer weiter abnehmender Sauerstoffsättigung, die massive Mangelernährung und der hierdurch bewirkte Abbau seiner Leistungsfähigkeit stellten ein erhebliches Leiden für den Nebenkläger dar. Zudem litt er aufgrund der unzureichenden Sauerstoffsättigung permanent an Kopfschmerzen , hatte also erhebliche Schmerzen im Sinne der oben genannten Definition; zuletzt bereitete ihm nach den Feststellungen des Landgerichts zudem jede körperliche Anstrengung erhebliche Schmerzen.
38
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung und Strafzumessung hat das Landgericht zutreffend darauf abgestellt, dass der Tatzeitraum des Unterlassens gebotener medizinischer Behandlung und Therapie knapp drei Jahre umfasst (UA S. 48, 49, 51), sich die Verschlechterung des Gesundheitszustandes und dadurch bedingte Schmerzen des Nebenklägers während dieses Tatzeitraums kontinuierlich aufbauten und steigerten und der Taterfolg – die Leidenszeit des Nebenklägers – spätestens ab Mitte 2001 eintrat (UA S. 48, 54).
39
cc) Das Unterlassen der Angeklagten entspricht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB auch der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun. Voraussetzung hierfür ist, dass das Unterlassen im konkreten Fall dem Unrechtsgehalt aktiver Tatbestandsverwirklichung so nahe kommt, dass es sich dem Unrechtstypus des Tatbestands einfügt (sog. Modalitätenäquivalenz, vgl. Fischer aaO, § 13 Rn. 83 f. mwN). Eine Gleichstellung des Unterlassens mit der Verwirklichung des Handelns durch aktives Tun kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn dem Unterlassen der Erfolgsunwert fehlt (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Februar 1979 – 1 StR 648/78, BGHSt 28, 300, 307) oder es an begehungstäterbezogenen Qualifikationsmerkmalen mangelt (ausführlich hierzu Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 239 ff. mwN). Bei reinen Erfolgsdelikten wie etwa § 212 StGB kommt der Entsprechensklausel dagegen keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. Fischer aaO Rn. 86 mwN; Weigend in LK, 12. Aufl., § 13 Rn. 77; ausführlich hierzu Roxin aaO, § 32 Rn. 218 ff. mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 6. November 2002 – 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 96).
40
Bei § 225 Abs. 1 StGB handelt es sich in der Variante des „Quälens“ um ein reines Erfolgsdelikt in Form eines Verletzungsdelikts (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 2). Der Taterfolg besteht in der Verursachung von Schmerzen und Leiden des Tatopfers, den Qualen. Anders als bei der Va- riante der „rohen Misshandlung“ (vgl. hierzu im Kontext von § 13 StGB auch Weigend aaO § 13 Rn. 77) oder der „böswilligen Vernachlässigung“ ist eine besondere Begehungsweise nicht vorausgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197).
41
Vorliegend entsprach deshalb das Unterlassen der gebotenen Behandlung einer Tatbegehung durch aktives Tun. Auf die Frage, ob die vom Angeklagten L. angesichts seines Wissens um das Krankheitsbild naheliegend mit Eventualvorsatz begangene Täuschung des Nebenklägers über die Wirksamkeit täglicher Meditation als Therapieersatz eher als eine Tatbegehung durch aktives Tun einzuordnen ist, kommt es deshalb nicht an.
42
dd) Durch die objektiv gebotenen Handlungen der Angeklagten – Fortführen der notwendigen ständigen Behandlung durch Zurverfügungstellung der notwendigen Medikamente und Hilfsmittel, ärztliche und therapeutische Betreuung und Kontrolle, Angebot hochkalorischer Nahrung, notfalls Erzwingen der Behandlung – wären nach den durch Sachverständigenangaben belegten tragfähigen Feststellungen der Strafkammer die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes und die damit einhergehenden erheblichen Leiden und Schmerzen des Nebenklägers vermieden worden (hypothetische Kausalität ). Dies folgt auch daraus, dass der Nebenkläger bereits kurz nach Wiederaufnahme der medizinischen und therapeutischen Behandlung im Dezember 2002 wieder bessere Werte bei Sauerstoffsättigung, Lungenfunktion und Gewicht aufwies und die durch die Sauerstoffunterversorgung hervorgerufenen Folgen (Kopfweh, Zyanose) verschwanden.
43
ee) Die Vornahme der rechtlich gebotenen Handlungen war den Angeklagten auch möglich und zumutbar.
44
Die Angeklagten konnten dem Nebenkläger ohne weiteres eine regelmäßige ärztliche und therapeutische Behandlung und Kontrolle organisieren und den Nebenkläger zur Mitwirkung motivieren – die Angeklagte B. im Rahmen ihrer elterlichen Sorge, der Angeklagte L. als faktischer „Haus- haltsvorstand“, der die tatsächliche Fürsorge für den ihm schutzbefohlenen Ne- benkläger übernommen hatte. Hierfür erhielt die Angeklagte B. sogar bis Ende September 2001 von der AOK Pflegegeld der Stufe 2.
45
Nach den Feststellungen des Landgerichts deutet nichts darauf hin, dass sich der Nebenkläger bei gebotener Einwirkung der Angeklagten der Fortführung seiner Therapie nach dem Einzug in A. verschlossen hätte. Denn er hat bis dahin stets vollumfänglich bei der aufwändigen Therapie mitgewirkt, sämtliche notwendigen Medikamente genommen, inhaliert, die autogene Drainage durchgeführt und sich regelmäßig ärztlich untersuchen und therapeutisch behandeln lassen. Zudem hat er nach dem Auszug aus der Wohngemeinschaft Ende 2002 sofort mit der notwendigen Medikation und Therapie wieder begonnen , was eine spürbare und erhebliche Verbesserung seines Gesundheitszustandes und das Ende seiner Schmerzen und Leiden zur Folge hatte. Dass auch der Angeklagte L. über entsprechenden Einfluss auf das Verhalten des Nebenklägers verfügte, ergibt sich schon daraus, dass sich der Nebenkläger anderen Anweisungen des Angeklagten L. , etwa hinsichtlich der Meditation , gefügt hat.
46
Selbst wenn sich der Nebenkläger – was nach den Feststellungen des Landgerichts ohnehin nicht der Fall war – geweigert hätte, sich weiterbehandeln zu lassen, hätten die Angeklagten die notwendige Behandlung des minderjährigen Nebenklägers auch gegen seinen Willen erzwingen müssen:
47
Die Angeklagte B. konnte sich ihrer elterlichen Sorge für die Person des Nebenklägers nicht dadurch entledigen, dass sie diesem die Verantwortung für die Behandlung seiner schweren Erkrankung übertrug. Nach § 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB haben die Eltern das Recht und die Pflicht, für ein minderjähriges Kind zu sorgen. Dies umfasst insbesondere auch die Sorge um das körperliche und seelische Wohl des Kindes (Personensorge, § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB). Gemäß § 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB berücksichtigen die Sorgeberechtigten zwar die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem und verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen deshalb mit dem Kind, soweit dies nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an (§ 1626 Abs. 2 Satz 2 BGB). Dies alles findet seine Grenze aber im Schutz des Minderjährigen vor konkreten Gefahren für Leib und Leben, wie auch § 1666 BGB zeigt. Das „Kindeswohl“ ist Schutzgegenstand des § 1666 BGB, weil das Kind nach der gesetzlichen Konzeption zu einer Selbstbestimmung seiner Interessen rechtlich nicht in der Lage ist und deshalb sein objektiv bestimmtes „wohlverstandenes Interesse“ in den Vordergrund tritt; bei der Bestimmung dieses „Wohls“ ist allerdings der subjektive Wille des Kindes, gerade auch bei Jugend- lichen, beachtlich (vgl. hierzu ausführlich Coester, in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 1666 Rn. 74 ff. mwN). In Fällen notwendiger Heilbehandlung gegen den Willen eines älteren Kindes oder Jugendlichen kommt es auf die Schwere und Bedeutung des Eingriffs in die körperliche Integrität des Kindes, die objektive (medizinische) Notwendigkeit und die Gründe für die Haltung des Kindes an (vgl. Coester aaO Rn. 154; vgl. auch Olzen in MüKo-BGB, 6. Aufl., § 1666 Rn. 77 ff. mwN). Nach diesen Maßstäben unterliegt es keinem Zweifel, dass die Angeklagte B. einem etwaigen Nichtbehandlungswunsch des Nebenklägers (hätte er überhaupt vorgelegen) keine durchgreifende Relevanz hätte zukommen lassen dürfen, denn die schwerwiegenden, irreversiblen und potentiell tödlichen Folgen einer Nichtweiterbehandlung der Mukoviszidose standen in keinem Verhältnis zu den notwendigen ärztlichen und therapeutischen Maßnahmen. Zudem ist es bei diesem Krankheitsbild naheliegend (was auch das Landgericht betreffend den Nebenkläger festgestellt hat), dass ein Minderjähriger die schweren Folgen der sich über Jahre hinziehenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nicht hinreichend überblicken und deshalb insoweit keine eigenverantwortliche Entscheidung über einen Behandlungsabbruch treffen kann.
48
Die Angeklagte B. hätte als sorgeberechtigte Mutter des Nebenklägers notfalls einen Antrag bei dem Familiengericht nach § 1631b BGB auf Genehmigung einer mit Freiheitsentzug verbundenen Unterbringung des Nebenklägers stellen müssen, wenn nur durch eine solche Unterbringung in einer Klinik die Durch- und Weiterführung einer dringend notwendigen Behandlung des Kindes mit Medikamenten sichergestellt und eine erhebliche Selbstgefährdung hätte verhindert werden können (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 8. November 2012 – 26 UF 158/12). Zuvor hätte die Angeklagte B. – ebenso wie der Angeklagte L. – aber alle Möglichkeiten der Einwirkung auf den minderjährigen Nebenkläger, auch unter Einschaltung des Jugendamts, nutzen müssen, um den Nebenkläger zur Fortführung der Medikation und Therapie zu bewegen.
49
Der Angeklagte L. hätte als Fürsorgepflichtiger notfalls auch gegen den Willen der allein sorgeberechtigten Angeklagten B. die Gerichte bzw.
Behörden einschalten müssen, die – wie es letztlich auch geschehen ist – bei Kenntnis von den Umständen der unzureichenden Betreuung des Nebenklägers zur Erhaltung von dessen Gesundheit tätig geworden wären. Wird das körperliche Wohl eines Kindes gefährdet, etwa durch Nichtbehandlung einer behandlungsbedürftigen schweren Krankheit, und sind die Erziehungsberechtigten nicht gewillt oder in der Lage, diese Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden , trifft gemäß § 1666 Abs. 1 BGB das Familiengericht die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr. Das Verfahren wird von Amts wegen eingeleitet; insoweit muss das Familiengericht auch plausiblen Anzeigen Dritter nachgehen (Coester in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 1666 Rn. 261 mwN). Auch ein Hinweis des Angeklagten L. an das zuständige Jugendamt hätte entweder zur Herausnahme des Nebenklägers aus der Wohngemeinschaft durch das Jugendamt direkt oder zum Eingreifen des Jugendgerichts auf Antrag des Jugendamts geführt (vgl. § 8a Abs. 2 SGB VIII; vgl. auch Olzen, in MüKo-BGB, 6. Aufl., § 1666 Rn. 213). Zu den möglichen gerichtlichen Maßnahmen des Jugendgerichts gehören etwa das Gebot, öffentliche Hilfen der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen, oder die – vorliegend auch erfolgte – Entziehung des Sorgerechts (§ 1666 Abs. 3 Nr. 1, 6 BGB). Die Einschaltung von Gerichten oder Behörden war auch erfolgversprechend, wie der weitere Verlauf des vorliegenden Falls zeigt. Allein schon die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater des Nebenklägers und das Verlassen der Wohngemeinschaft in A. haben Ende 2002 die Wiederaufnahme der notwendigen Therapie und die Beseitigung der Leiden und Schmerzen des Nebenklägers zur Folge gehabt.
50
Nach den Feststellungen des Landgerichts haben die Angeklagten indes das Gegenteil des rechtlich Gebotenen getan: Sie haben dem Nebenkläger weder Medikamente noch ein Inhalationsgerät zur Verfügung gestellt, noch ihn Ärzten oder Therapeuten zugeführt noch auf ihn eingewirkt, zu solchen zu gehen ; zudem haben sie jeden Kontakt des Nebenklägers zu seinem Vater unterbunden. Schließlich hat der Angeklagte L. dem minderjährigen Nebenkläger , der dies glaubte, vorgespiegelt, er könne seine Krankheit durch Meditation besiegen.
51
c) Die Strafzumessung ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
52
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123, 127 mwN). Das gilt auch, soweit die tatrichter- liche Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles zur revisionsgerichtlichen Prüfung steht (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 26. Juli 2006 – 1 StR 150/06, NStZ-RR 2006, 339, 340; BGH, Urteil vom 16. April 2015 – 3 StR 638/14).
53
Die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB hat das Landgericht tragfähig mit der Länge des Tatzeitraums, dem Alter des Nebenklägers und der Schwere seines körperlichen Leidens am Ende des Tatzeitraums begründet und aus den gleichen Gründen einen minder schweren Fall der schweren Misshandlung Schutzbefohlener abgelehnt. In einer derartigen Konstellation erweist es sich nicht als rechtsfehlerhaft, dass sich das Landgericht bei der Prüfung des minder schweren Falls nicht ausdrücklich mit dem Vorliegen des vertypten, aber konkret nicht zur Strafrahmenverschiebung führenden Milderungsgrundes auseinandergesetzt hat, zumal es die „Nichtbehandlung“ der Krankheit des Nebenklägers auch an dieser Stelle in den Vordergrund gestellt hat.
54
Nicht aus dem Blick geraten ist der Strafkammer bei der Strafzumessung im Einzelnen zudem, dass die Leidenszeit (Taterfolg) nicht sogleich, sondern ab spätestens Mitte 2001 eintrat, die Tat lange zurückliegt und die Angeklagten durch eine Vorverurteilung und Stigmatisierung in Medienberichten sowie die öffentliche Ächtung in sozialen Medien und durch Mahnwachen vor ihrem Haus erheblich beeinträchtigt wurden.

III.


55
Der Tenor war im Schuldspruch zu berichtigen, weil die Verbrechensqualifikation nach § 225 Abs. 3 StGB als „schwerer“ Fall der Misshandlung von Schutzbefohlenen in der Urteilsformel kenntlich zu machen ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2014 – 2 StR 608/13). Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert daran nicht, denn das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 StPO gilt schon seinem Wortlaut nach nur für den Rechtsfolgenausspruch.
Raum Graf Radtke Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
20
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
21
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker