Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2018 - XII ZB 230/18

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:101018BXIIZB230.18.0
bei uns veröffentlicht am10.10.2018
vorgehend
Landgericht Oldenburg (Oldenburg), 8 T 221/15, 20.04.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 230/18
vom
10. Oktober 2018
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
§ 278 Abs. 1

a) Zieht das Beschwerdegericht in einer Betreuungssache für seine Entscheidung
eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen
Entscheidung datiert, gebietet dies eine erneute persönliche Anhörung des
Betroffenen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. August 2018
- XII ZB 10/18 - juris).

b) Ordnet das Landgericht im Beschwerdeverfahren eine Betreuung an, hat es
im Wege der Einheitsentscheidung zugleich auch den Betreuer zu bestimmen
(im Anschluss an Senatsbeschluss vom 30. August 2017 - XII ZB
16/17 - FamRZ 2017, 1866).
BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2018 - XII ZB 230/18 - LG Oldenburg
AG Vechta
ECLI:DE:BGH:2018:101018BXIIZB230.18.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2018 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 20. April 2018 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten der Rechtsbeschwerdeverfahren , an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Wert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Die inzwischen 85jährige Betroffene leidet an einer fortgeschrittenen Demenz, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Sie hatte einer ihrer Töchter, der Beteiligten zu 1, im Jahr 2011 umfassende notarielle Vollmacht erteilt. Durch weitere notarielle Urkunde vom 30. Juni 2014 widerrief die Betroffene diese Vollmacht, erteilte ihrer anderen Tochter, der Beteiligten zu 2, Vorsorgevollmacht und errichtete eine Patientenund Betreuungsverfügung.
2
Die Beteiligte zu 1 hat beim Amtsgericht angeregt, zur Betreuerin für die Betroffene bestellt zu werden. Das Amtsgericht hat die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt, weil die Betroffene jedenfalls durch eine ihrer Töchter aufgrund erteilter Vollmacht vertreten werden könne. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht die Einrichtung einer Betreuung für alle Angelegenheiten angeordnet und dem Amtsgericht die Auswahl des Betreuers aufgegeben. Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch den Senat (Senatsbeschluss vom 21. Juni 2017 - XII ZB 36/17 - FamRZ 2017, 1611) und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht hat dieses nach Bestellung eines Verfahrenspflegers und Einholung eines auf persönlicher Untersuchung der Betroffenen beruhenden Gutachtens eine Entscheidung gleichen Inhalts getroffen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1, mit der sie die Einstellung des Betreuungsverfahrens verfolgt.

II.

3
Die erneute Rechtsbeschwerde ist begründet.
4
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
5
Bei bestehendem Unterstützungsbedarf sei die Betreuung nicht angesichts der erteilten Vollmachten entbehrlich. Die der Beteiligten zu 2 erteilte Vollmacht sei nichtig, da die Betroffene im Zeitpunkt der Erteilung geschäftsunfähig gewesen sei. Die Beteiligte zu 1 hingegen sei ungeeignet, auf Grundlage der ihr erteilten Vollmacht die Angelegenheiten der Betroffenen wahrzunehmen. Bereits die räumliche Entfernung zwischen der in Berlin lebenden Beteiligten zu 1 und der in Vechta lebenden Betroffenen erschwere die rechtliche Vertretung, weil bei der Versorgung eines in allen Bereichen komplett pflegebedürftigen Menschen mit Notsituationen zu rechnen sei, die ein promptes Tätigwerden erfordern, was ein ortsansässiger Vertreter besser leisten könne. Vor allem aber das komplette Zerwürfnis mit ihrer Schwester lasse eine Vertretung durch diese ausgeschlossen erscheinen. Die im Haushalt der Betroffenen lebende Pflegerin drohe im Streit der Schwestern aufgerieben zu werden, weil jede versuche , sie auf ihre Seite zu ziehen. Da auch das Verhältnis der Beteiligten zu 1 zu ihrem Bruder schlecht sei, sei eine Berufsbetreuung einzurichten. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Betroffene mit der Vollmachterteilung an die Beteiligte zu 1 zugleich sie als Betreuerin vorgeschlagen habe. Einem solchen Vorschlag wäre auch nicht zu entsprechen, da er dem Wohl der Betroffenen zuwiderliefe.
6
2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Landgericht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen abgesehen hat. Diese war bereits deshalb geboten, weil sich das Landgericht bei seiner Entscheidung mit dem Sachverständigengutachten vom 18. Januar 2018 sowie den gerichtlich eingeholten Stellungnahmen des Verfahrenspflegers vom 6. September 2017, 3. Januar 2018 und 7. Februar 2018 maßgeblich auf Tatsachen gestützt hat, die nicht Gegenstand der - zudem vor Bestellung des Verfahrenspflegers durchgeführten (vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 - XII ZB 465/17 - FamRZ 2018, 705 Rn. 7 f.) - Anhörung der Betroffenen durch die beauftragte Richterin am 10. März 2015 gewesen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 15. August2018 - XII ZB 10/18 - juris Rn. 11 mwN). Obwohl das Sachverständigengutachten vom 18. Januar 2018 keine geänderten Erkenntnisse über den Gesundheitszustand der Betroffenen und deren Fähigkeit zur Wahrnehmung ihrer eigenen Angelegenheiten erbracht hat, können jedenfalls die Frage ausreichender anderer Hilfen (§ 1896 Abs. 2 BGB) und der andernfalls anstehenden Betreuerauswahl nicht ohne Ermittlung des aktuellen Sachverhalts beantwortet werden. Die Ak- tualisierung der Tatsachengrundlage erfordert auch eine erneute persönliche Anhörung der Betroffenen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 227/12 - FamRZ 2016, 300 Rn. 9 und vom 18. Oktober 2017 - XII ZB 198/16 - FamRZ 2018, 124 Rn. 9), solange nicht ausgeschlossen ist, dass aus deren Antworten und Verhalten Rückschlüsse auf ihren aktuellen natürlichen Willen gezogen werden können (vgl. auch Senatsbeschluss vom 28. September 2016 - XII ZB 269/16 - FamRZ 2016, 2093 Rn. 12).
7
3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist an eine andere Kammer des Beschwerdegerichts zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG), damit diese die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
8
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
9
Ausgehend von der tatrichterlich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellung , wonach Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen zwar im Zeitpunkt des Widerrufs und der Vollmachterteilung im Jahr 2014 bestand, für den Zeitpunkt der Vollmachterteilung im Jahr 2011 jedoch nicht festgestellt werden kann, verkennt das Landgericht mit seiner weiteren, gegenüber seinem früheren Beschluss weitgehend unverändert gegebenen Begründung den Maßstab für die Beurteilung der Ungeeignetheit eines Bevollmächtigten und damit der Frage, ob dem Unterstützungsbedarf der Betroffenen durch ausreichende andere Hilfen Genüge getan ist (§ 1896 Abs. 2 BGB).
10
Die Vollmachterteilung vom 19. Dezember 2011 ist an die bereits seinerzeit in großer räumlicher Entfernung lebende Beteiligte zu 1 erfolgt. Sie ist in Kenntnis dieses Umstands von der Betroffenen vorgenommen worden und deshalb Gegenstand ihrer selbstbestimmt getroffenen Entscheidung. Die damit verbundenen Einschränkungen in den Möglichkeiten einer jederzeitigen persön- lichen Kontaktaufnahme sowie des sofortigen Eingreifens im Bedarfsfalle sind von der Betroffenen bewusst in Kauf genommen worden. Sie stellen auch die grundsätzliche Eignung der Beteiligten zu 1 zur Wahrnehmung der Angelegenheiten der Betroffenen jedenfalls solange nicht in Frage, wie deren tägliche Bedürfnisse durch die mit ihr in Hausgemeinschaft lebende Pflegekraft im Wege der „Rund-um-die-Uhr-Betreuung“ befriedigt werden.
11
Ebenso führt ein Geschwisterstreit für sich genommen nicht zur Ungeeignetheit eines Bevollmächtigten, sondern nur dann, wenn er sich zum Nachteil des Wohls der Betroffenen auswirkt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Juli 2017 - XII ZB 141/16 - FamRZ 2017, 1712 Rn. 23 und vom 15. September 2010 - XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 22, zum Betreuungsvorschlag).
12
Sollte sich nach genügender Aufklärung des aktuellen Sachverhalts ein durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerter Verdacht ergeben , dass durch die Ausübung der Vollmacht dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird, so wäre als milderes Mittel gegenüber einer Vollbetreuung zunächst zu erwägen, im Wege der sogenannten Kontrollbetreuung (§ 1896 Abs. 3 BGB) den selbstbestimmten Willen des Vollmachtgebers zur Geltung zu bringen (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Mai 2018 - XII ZB 413/17 - FamRZ 2018, 1188 Rn. 23 ff. mwN). Nur wenn dies von vornherein keinen Erfolg verspricht, kommt die Anordnung der Vollbetreuung durch einen Dritten in Betracht.
13
Für den Fall der Einrichtung entweder einer Kontrollbetreuung oder einer Vollbetreuung wäre das Landgericht zudem gehalten, im Wege der dann zu treffenden Einheitsentscheidung (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Juni 2018 - XII ZB 39/18 - FamRZ 2018, 1533 Rn. 8 mwN) nicht nur die Betreuung als solche anzuordnen, sondern auch den Betreuer selbst zu bestimmen (§ 69 Abs. 1 Satz 1 FamFG; vgl. Senatsbeschluss vom 30. August 2017 - XII ZB 16/17 - FamRZ 2017, 1866 Rn. 15). Dose Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger Guhling
Vorinstanzen:
AG Vechta, Entscheidung vom 15.10.2014 - 14 XVII K 852 -
LG Oldenburg, Entscheidung vom 20.04.2018 - 8 T 221/15 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2018 - XII ZB 230/18

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Referenzen - Gesetze

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 68 Gang des Beschwerdeverfahrens


(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 69 Beschwerdeentscheidung


(1) Das Beschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht en
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2018 - XII ZB 230/18 zitiert 5 §§.

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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

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(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.

(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:

1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

(1) Das Beschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Das Gleiche gilt, soweit das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Das Gericht des ersten Rechtszugs hat die rechtliche Beurteilung, die das Beschwerdegericht der Aufhebung zugrunde gelegt hat, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist zu begründen.

(3) Für die Beschwerdeentscheidung gelten im Übrigen die Vorschriften über den Beschluss im ersten Rechtszug entsprechend.

9
aa) Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 26. Februar 2014 - XII ZB 503/13 - FamRZ 2014, 828 Rn. 5 mwN). Nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung vorgetragene Tatsachen oder eine Änderung der Sachlage erfordern aber nur dann keine erneute Anhörung, wenn diese Tatsachen oder die Änderung offensichtlich für die Entscheidung unerheblich sind (Keidel/Sternal FamFG 18. Aufl. § 68 Rn. 59 mwN). Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung mit einem neuen Sachverständigengutachten eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Anhörung datiert, so ist eine erneute Anhörung des Betroffenen dagegen geboten (Senatsbeschluss vom 2. September 2015 - XII ZB 138/15 - FamRZ 2015, 1959 Rn. 13).
9
Da über Art und Umfang der Ermittlungen grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, obliegt dem Rechtsbeschwerdegericht insoweit lediglich eine Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung , ob der Tatrichter die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat und die rechtliche Würdigung auf einer ausreichenden Sachverhaltsaufklärung beruht. Im Einzelfall mag es dabei rechtlich unbedenklich sein, von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen im Aufhebungsverfahren abzusehen, wenn sich sein Begehren nach Aufhebung der Betreuung von vornherein als eine offenkundig aussichtslose oder querulatorisch erscheinende Eingabe darstellt. Eine Anhörung des Betroffenen ist demgegenüber auch im Aufhebungsverfahren generell unverzichtbar, wenn sich das Gericht zur Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens entschließt und dieses Gutachten als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen will. Erst die persönliche Anhörung des Betroffenen und der dadurch von ihm gewonnene Eindruck versetzt das Gericht in die Lage, seine Kontrollfunktion gegenüber dem Sachverständigen sachgerecht auszuüben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. August 2016 - XII ZB 531/15 - FamRZ 2016, 1922 Rn. 8 mwN und vom 2. September 2015 - XII ZB 138/15 - FamRZ 2015, 1959 Rn. 13).
12
aa) Auf das vom Beschwerdegericht herangezogene Kriterium, ob der Betroffene den hinter bestimmten Fragen zur Betreuung steckenden Sinn zu erfassen vermag, kommt es nicht entscheidend an. § 34 Abs. 2 FamFG greift nämlich nicht schon, wenn der Betroffene nichts Sinnvolles zur Sache äußern kann, sondern erst, wenn er entweder überhaupt nichts oder jedenfalls nichts irgendwie auf die Sache Bezogenes zu äußern imstande ist (vgl. Prütting/ Helms/Fröschle FamFG 3. Aufl. § 278 Rn. 32; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 278 FamFG Rn. 64), sei es etwa, weil der Betroffene bewusstlos ist oder weil er künstlich beatmet wird und dabei weder zu einer verbalen noch zu einer nonverbalen Kommunikation in der Lage ist, sich also in keiner Weise mehr mitteilen kann (HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2010] § 278 FamFG Rn. 138). Solange hingegen nicht ausgeschlossen ist, dass aus den Antworten und aus dem Verhalten des Betroffenen Rückschlüsse auf dessen natürlichen Willen gezogen werden können, darf das Betreuungsgericht nicht nach § 34 Abs. 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung absehen. Daher schließt auch eine erhalten gebliebene nonverbale Kommunikationsfähigkeit einen Anhörungsverzicht grundsätzlich aus (HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2010] § 278 FamFG Rn. 139).

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 18. Februar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Der Beteiligte zu 2 begehrt die Einrichtung einer Betreuung für seine Mutter.

2

Die Beteiligten zu 2 bis 4 sind die Kinder der 1929 geborenen Betroffenen. Sie erlitt im Jahr 2005 einen Schlaganfall. Am 26. Januar 2009 errichtete die Betroffene eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht zu Gunsten ihrer drei Kinder mit der Maßgabe, dass jeweils zwei der Bevollmächtigten gemeinsam zu ihrer Vertretung berechtigt sind. Während die Töchter der Betroffenen, die Beteiligten zu 3 und 4, umgehend Vollmachtsausfertigungen ausgehändigt erhielten, verwahrte die Beteiligte zu 4 die für den Beteiligten zu 2 bestimmte Ausfertigung der Vollmacht. Dieser hatte zunächst keine Kenntnis von seiner Bevollmächtigung.

3

Unter Hinweis auf die Betreuungsbedürftigkeit der Betroffenen und einen mittlerweile erfolgten Widerruf der zugunsten der Beteiligten zu 3 und 4 erteilten Vollmachten hat der Beteiligte zu 2 angeregt, der Betroffenen einen Betreuer zu bestellen. Das Notariat – Betreuungsgericht – hat die Betroffene angehört. Die zuständige Notarin hat noch am Tag der Anhörung, am 31. Mai 2011, die unentgeltliche Übertragung des selbstgenutzten Eigenheims und verschiedener weiterer Grundstücke der Betroffenen – insgesamt der wesentliche Teil ihres Vermögens – auf die Töchter beurkundet. Schließlich hat das Betreuungsgericht die Anregung des Beteiligten zu 2, der Betroffenen einen Betreuer zu bestellen, mit Beschluss vom 13. Juni 2012 abgelehnt. Das Landgericht hat die Beschwerde des Beteiligten zu 2 mit Beschluss vom 18. Februar 2016 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

5

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Betroffene leide an einer fortgeschrittenen Demenz, weshalb sie jetzt nicht mehr in der Lage sei, einen freien Willen zu bilden. Es fehle indes am erforderlichen Betreuungsbedarf, weil die Betroffene die Beteiligten zu 3 und 4 bevollmächtigt habe. Die Vollmachten seien nach wie vor wirksam. Zwar habe die Betroffene diese widerrufen. Die Widerrufe habe sie jedoch wirksam wegen Drohung gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten. Die Betroffene habe in ihrem Schreiben vom 28. November 2011 unmissverständlich ausgedrückt, dass sie sich von ihrer Widerrufserklärung vom 24. November 2011 einseitig lösen wolle, jedenfalls auch aus dem Grund, dass sie sich überrumpelt und unter Druck gesetzt gefühlt habe. Damit beinhalte das Schreiben eine Anfechtungserklärung i.S.v. § 143 Abs. 1 und 3 BGB. Die rechtswidrige Drohung habe darin bestanden, dass der Beteiligte zu 2 zusammen mit seinem Rechtsanwalt der Betroffenen suggeriert habe, die weiteren Beteiligten zu 3 und 4 hätten der Betroffenen nicht nur in der Vergangenheit durch unentgeltliche Immobilienübertragungen ihr Vermögen "weggenommen", sondern würden auch in Zukunft danach trachten, deren restliches Vermögen "an sich zu reißen". Versuche der Betroffenen, das "weggenommene" Vermögen wieder zurückzuerhalten, würden ihre Töchter abwehren und eher die Betroffene umbringen, als freiwillig wieder Vermögensstücke an diese zurück zu übertragen. Nur durch einen Widerruf der erteilten Vorsorge- und Generalvollmacht könne die Betroffene diesem Szenario entrinnen. Die Ankündigung, die "Wegnahme" werde sich fortsetzen, wenn die Betroffene dem nicht mit einem Widerruf der Vorsorge- und Generalvollmacht ein Ende setze, beschreibe das empfindliche Übel und zugleich das dafür wirksame Gegenmittel, nämlich den Entzug der Vollmacht. Der Drohungscharakter zeige sich auch besonders deutlich in der Warnung, "die" würden die Betroffene umbringen, falls diese ohne den Schutz des Beschwerdeführers versuchen sollte, die unentgeltlichen Verfügungen rückgängig zu machen. Die in Aussicht gestellten empfindlichen Übel hätten ihren Zweck nicht verfehlt. Die Zweck-Mittel-Relation sei auch rechtswidrig gewesen. Der Beschwerdeführer und sein Rechtsanwalt hätten die Willensschwäche und die Gedächtnislücken der Betroffenen, die sich offenkundig an ihre unentgeltlichen Eigentumsübertragungen nicht mehr habe erinnern können, in einer geradezu gegen die guten Sitten verstoßenden Weise ausgenutzt, um die Betroffene zu dem gewünschten Vollmachtswiderruf zu bewegen.

6

Es bestehe auch kein Bedürfnis, einen Kontrollbetreuer zu bestellen. Es mangele an gewichtigen Anhaltspunkten für einen (drohenden) Fehlgebrauch der erteilten Vollmacht. Zwar hätten die Beteiligten zu 3 und 4 mit der unentgeltlichen Übertragung des nahezu gesamten Immobilienbesitzes der Betroffenen im Jahr 2011 auf sie selbst höchst eigennützig gehandelt. Gleichwohl könne darin kein Fehlgebrauch der Vollmacht gesehen werden. Die zu jenem Zeitpunkt zweifelsfrei geschäftsfähige Betroffene habe bei diesem Geschäft selbst gehandelt. Ein Indiz für einen späteren Fehlgebrauch der Vollmacht ergebe sich hieraus somit nicht, zumal die Betroffene nach den Angaben des Beteiligten zu 2 nunmehr "arm wie eine Kirchenmaus" sei, so dass nennenswerte Vermögensverschiebungen nicht mehr drohten, wenn es auch befremdlich sei, dass beide Töchter den Kontakt der Verfahrenspflegerin mit der Betroffenen offenbar nur unter ihrer Kontrolle erlauben wollten.

7

2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

8

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen lassen die Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung für die dem Grunde nach zweifelsfrei betreuungsbedürftige Betroffene nicht entfallen; die Ausführungen des Landgerichts zur Anfechtung des Vollmachtswiderrufs halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zudem hat sich das Landgericht nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Beteiligten zu 3 und 4 geeignet sind, die Vollmacht zum Wohle der Betroffenen auszuüben.

9

a) Die Voraussetzungen für eine wirksame Anfechtung des Vollmachtswiderrufs liegen entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht vor.

10

Allerdings stellt der Widerruf einer Vollmacht eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung dar (Palandt/Ellenberger BGB 76. Aufl. § 168 Rn. 5), die einer Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB zugänglich ist (vgl. Palandt/Ellenberger BGB 76. Aufl. § 119 Rn. 4 mwN; vgl. auch DNotl-Report 2012, 113, 114).

11

aa) Die Feststellungen des Landgerichts rechtfertigen jedoch keine Anfechtung des Vollmachtswiderrufs wegen Drohung gemäß § 123 Abs. 1 BGB.

12

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung widerrechtlich durch Drohung bestimmt wurde, kann die Erklärung gemäß § 123 Abs. 1 BGB anfechten.

13

Unter einer Drohung ist die Ankündigung eines künftigen Übels zu verstehen, auf dessen Eintritt der Drohende einwirken zu können behauptet (BGHZ 184, 209 = NJW 2010, 1364 Rn. 35). Eine Drohung ist nach der Rechtsprechung (BGHZ 184, 209 = NJW 2010, 1364 Rn. 33 mwN) in drei Fallgestaltungen widerrechtlich, nämlich wenn das angedrohte Verhalten schon für sich allein widerrechtlich ist (Widerrechtlichkeit des Mittels), wenn der erstrebte Erfolg – die vom Bedrohten abzugebende Willenserklärung – schon für sich allein widerrechtlich ist (Widerrechtlichkeit des Zwecks) oder wenn Mittel und Zweck zwar für sich allein betrachtet nicht widerrechtlich sind, aber ihre Verbindung – die Benutzung dieses Mittels zu diesem Zweck – gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Inadäquanz von Mittel und Zweck).

14

(2) Gemessen hieran fehlt es bereits an einer Drohung i.S.d. § 123 Abs. 1 BGB. Das Landgericht hat verkannt, dass nach dem Vorstehenden beim Bedrohten, hier also der Betroffenen, der Eindruck entstehen muss, der Eintritt des Übels hänge vom Willen des Drohenden, hier also des Beteiligten zu 2, ab. Nach den vom Landgericht hierzu getroffenen Feststellungen liegt es nach der Erklärung des Beteiligten zu 2 allein in der Sphäre der Beteiligten zu 3 und 4, ob sie mit ihrer angeblichen Bereicherung fortfahren bzw. ob sie sich gegen eine Rückabwicklung zur Wehr setzen. Dem könne nach den Aussagen des Beteiligten zu 2 nur die Betroffene selbst ein Ende setzen, indem sie die Vollmachten widerruft.

15

bb) Ebenso scheidet eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung aus. Weil das Landgericht von einer Drohung ausgegangen ist, hat es zum Vorliegen einer solchen Täuschungshandlung keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen.

16

Selbst wenn man die vom Landgericht festgestellten Äußerungen des Beteiligten zu 2 als eine tatbestandsmäßige Täuschungshandlung begreifen könnte, fehlte es an den übrigen Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 BGB. Bei der anzufechtenden Erklärung handelt es sich um den von der Betroffenen gegenüber ihren Töchtern ausgesprochenen Vollmachtswiderruf. Erklärender war also die Betroffene und Erklärungsempfänger waren die Beteiligten zu 3 und 4. Nach § 123 Abs. 1 BGB besteht indes nur ein Anfechtungsrecht des Erklärenden, wenn – was hier nicht der Fall ist – der Erklärungsempfänger oder eine seiner Hilfspersonen getäuscht hat (vgl. Palandt/Ellenberger BGB 76. Aufl. § 123 Rn. 12).

17

Ist die Täuschung von einem Dritten, hier also dem Beteiligten zu 2, begangen worden, kann die Erklärung nur angefochten werden, wenn der Erklärungsempfänger die Täuschung kannte oder hätte kennen müssen (§ 123 Abs. 2 Satz 1 BGB, s. auch Palandt/Ellenberger BGB 76. Aufl. § 123 Rn. 12). Dass die Beteiligten zu 3 und 4 die etwaige Täuschung kannten bzw. kennen mussten, ist vom Landgericht nicht festgestellt und auch sonst nicht ersichtlich.

18

b) Zudem kann dem Landgericht nicht beigetreten werden, soweit es die Beteiligten zu 3 und 4 für geeignet hält, die Vollmacht zugunsten der Betroffenen auszuüben.

19

aa) Eine Betreuung kann trotz Vorsorgevollmacht dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint (Senatsbeschluss vom 17. Februar 2016 - XII ZB 498/15 - FamRZ 2016, 704 Rn. 12 mwN).

20

bb) Gemessen hieran hat sich das Landgericht nicht hinreichend mit der Frage der Eignung der Beteiligten zu 3 und 4 befasst.

21

(1) Nach den Feststellungen des Landgerichts haben sich die Töchter nahezu das gesamte Vermögen der Betroffenen schenkweise übertragen lassen. Hinzu kommt, dass die Beteiligte zu 4 im Besitz der zugunsten des Beteiligten zu 2 ausgestellten Vollmachtsurkunde war, ohne ihm dies mitzuteilen bzw. die Vollmachtsurkunde auszuhändigen. Schließlich haben die Beteiligten zu 3 und 4 den Feststellungen des Landgerichts zufolge ein Gespräch allein zwischen Verfahrenspflegerin und Betroffener unterbunden, weshalb sich der weitere Verfahrensablauf ganz erheblich verzögert hat. Erst nachdem sich die Verfahrenspflegerin bereit erklärt hatte, die Betroffene in Anwesenheit ihrer Töchter zu sprechen, kam es zu einem entsprechenden Kontakt.

22

(2) Zwar entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 17. Februar 2016 - XII ZB 498/15 - FamRZ 2016, 704 Rn. 13 mwN). Bei der Frage, ob der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint, darf der Tatrichter sich jedoch nicht auf eine Gewichtung einzelner Umstände bzw. Vorfälle beschränken; er hat vielmehr eine Gesamtschau all derjenigen Umstände vorzunehmen, die gegen eine Eignung sprechen könnten.

23

Auch wenn das Landgericht in seiner Begründung auf jeden einzelnen Punkt eingegangen ist, der gegen eine Eignung der Beteiligten zu 3 und 4 sprechen könnte, fehlt es an der erforderlichen Gesamtschau der maßgeblichen Umstände, was vom Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen der Fehlerkontrolle zu berücksichtigen ist. Eine solche Gesamtschau könnte Anlass geben, an der Eignung und Redlichkeit der Beteiligten zu 3 und 4 zu zweifeln. Selbst wenn die Betroffene bei Abschluss des Schenkungsvertrags noch geschäftsfähig gewesen sein sollte und damit keiner gesetzlichen Vertretung bedurft hätte, stellt der Umstand, dass sich die Beteiligten zu 3 und 4 nach den Feststellungen des Landgerichts nahezu das gesamte Vermögen der Betroffenen haben übertragen lassen, während das Betreuungsverfahren lief, in Frage, ob sie die Interessen der Betroffenen ausreichend im Blick haben. Hinzu kommt, dass dem Beteiligten zu 2 die Vollmachtsurkunde ursprünglich vorenthalten worden ist und die Beteiligten zu 3 und 4 ein "unbeaufsichtigtes" Gespräch zwischen Betroffener und Verfahrenspflegerin verhindert haben. Außerdem hat sich das Landgericht nicht die Frage vorgelegt, ob sich der massive Geschwisterstreit im Rahmen der Vollmachtsausübung zum Nachteil des Wohls der Betroffenen auswirken kann. Entgegen der Auffassung des Landgerichts könnten trotz der zwischenzeitlich eingetretenen Vermögenslosigkeit der Betroffenen im Übrigen Bedenken gegen die Eignung und Redlichkeit der Beteiligten zu 3 und 4 nicht zuletzt deshalb fortbestehen, weil auch Rückforderungsansprüche zu prüfen sein werden.

24

3. Gemäß § 74 Abs. 5 und 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, das nach weiteren Ermittlungen in der Sache zu entscheiden haben wird.

Dose     

      

Klinkhammer     

      

Schilling

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

22
Zwar hat sich das Landgericht auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Bestellung der vorgeschlagenen Person dem Wohl des Betroffenen zuwiderläuft. Die Annahme des Landgerichts, durch die Betreuerbestellung des Bruders A. S. entstehe die Gefahr eines nachhaltigen Interessenkonflikts, wird jedoch durch die getroffenen Feststellungen nicht getragen. Das Landgericht hat insoweit ohne konkrete tatsächliche Anhaltspunkte angenommen, dass der Bruder des Betroffenen bereits deshalb in einen Interessenkonflikt geraten würde , weil er als Betreuer die Interessen des Betroffenen gegen die Interessen des anderen Bruders, der den Hof des Betroffenen gepachtet hat, durchsetzen müsse oder sogar mit seinen eigenen Interessen als Landwirt mit eigenem Hof in Konflikt gerate. Dies würde zu erheblichen Spannungen und Interessenkonflikten zwischen den Brüdern führen. Diese vom Landgericht befürchtete abstrakte Gefahr innerfamiliärer Spannungen genügt jedoch nicht, um die vom Betroffenen als Betreuer vorgeschlagene Person abzulehnen. Das Landgericht hat weder Feststellungen dazu getroffen, dass der befürchtete Interessenkonflikt konkret zu erwarten ist oder der Betroffene persönlich unter Spannungen der Geschwister leidet (vgl. hierzu OLG Köln FamRZ 2000, 188) noch ergeben sich sonst ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass der vorgeschlagene Bruder des Betroffenen aufgrund familiärer Differenzen seine Aufgaben als Betreuer nicht ordnungsgemäß wahrnehmen kann.
23
aa) Nach § 1896 Abs. 3 BGB kann ein Betreuer auch zur Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt werden. Mit dieser sogenannten Kontrollbetreuung kann im Falle einer wirksam erteilten Vorsorgevollmacht für eine Kontrolle des Bevollmächtigten gesorgt werden, wenn der Vollmachtgeber aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage ist, den Bevollmächtigten zu überwachen und gegebenenfalls die Vollmacht zu widerrufen (Senatsbeschluss vom 23. September 2015 - XII ZB 624/14 - FamRZ 2015, 2163 Rn. 14 mwN).
8
Anders liegt es lediglich bei einer Einheitsentscheidung über die Betreuung selbst, bei der zugleich über die Einrichtung der Betreuung und über die Bestellung des Betreuers entschieden wird. In diesem Fall ist die Rechtsbeschwerde zulassungsfrei statthaft, auch wenn sich der Rechtsbeschwerdeführer nicht gegen die Anordnung der Betreuung als solche, sondern nur gegen die gleichzeitige Auswahl des Betreuers wendet (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 10). Diese Zulassungsfreiheit der Rechtsbeschwerde kann dann auch nicht dadurch vereitelt werden, dass das Gericht die einheitlich zu treffende Entscheidung auf zwei Beschlüsse verteilt (Senatsbeschluss vom 25. März 2015 - XII ZB 621/14 - FamRZ 2015, 1178 Rn. 23 mwN).

(1) Das Beschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden. Es darf die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Das Gleiche gilt, soweit das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Das Gericht des ersten Rechtszugs hat die rechtliche Beurteilung, die das Beschwerdegericht der Aufhebung zugrunde gelegt hat, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist zu begründen.

(3) Für die Beschwerdeentscheidung gelten im Übrigen die Vorschriften über den Beschluss im ersten Rechtszug entsprechend.

15
Die Gründe der Beschwerdeentscheidung tragen damit den Entscheidungsausspruch nicht. Da aus der Sicht des Beschwerdegerichts die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers vorgelegen haben, durfte es sich nicht darauf beschränken, den amtsgerichtlichen Beschluss ersatzlos aufzuheben. Denn damit hätte das auf Anregung der Beteiligten zu 4 eingeleitete Betreuungsverfahren insgesamt seinen Abschluss gefunden. Auf der Grundlage der von ihm vertretenen Rechtsauffassung zur Erforderlichkeit der Betreuung gemäß § 1896 Abs. 2 BGB hätte das Beschwerdegericht vielmehr selbst über die Betreuerauswahl befinden müssen. Liegen die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung vor, muss auch ein Betreuer bestellt werden. Denn § 1896 BGB unterscheidet nicht zwischen Anordnung der Betreuung und Bestellung eines Betreuers; vielmehr ist eine Einheitsentscheidung zu treffen, was auch im Beschwerdeverfahren zu beachten ist. Kommt das Beschwerdegericht - wie hier - zu dem Ergebnis, dass die Betreuung zu Recht angeordnet ist, muss es daher zwingend in einem zweiten Schritt die Betreuerauswahl auf ihre Richtigkeit hin überprüfen und sich in diesem Zusammenhang auch mit einem vom Betroffenen geäußerten Betreuerwunsch auseinandersetzen. Denn die Beschwerde kann nach § 65 Abs. 3 FamFG auch auf neue Tatsachen und Beweismittel gestützt werden. Das Beschwerdegericht tritt folglich - in den Grenzen der Beschwerde - vollständig an die Stelle des Gerichts erster Instanz und hat das gesamte Sach- und Rechtsverhältnis, wie es sich zur Zeit seiner Entscheidung darstellt, seiner Beurteilung zu unterziehen (Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2016 - XII ZB 579/15 - FamRZ 2016, 1258 Rn. 13 mwN und vom 2. März 2016 - XII ZB 634/14 - FamRZ 2016, 895 Rn. 15 f.).