Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2015 - XII ZB 352/14

bei uns veröffentlicht am14.01.2015
vorgehend
Amtsgericht Straubing, XVII 657/13, 09.12.2013
Landgericht Regensburg, 5 T 82/14, 30.05.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 352/14
vom
14. Januar 2015
in der Betreuungssache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2015 durch
die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und
Dr. Botur

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Regensburg - 5. Zivilkammer - vom 30. Mai 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Der Betroffene wendet sich gegen die Anordnung der Betreuung.
2
Der Betroffene, der an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt ist, befindet sich derzeit aufgrund eines rechtskräftigen Strafurteils im Maßregelvollzug nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Bezirkskrankenhaus.
3
Auf Anregung des Krankenhauses hat das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und der persönlichen Anhörung des Betroffenen eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung für nervenärztliche Behandlung angeordnet und den Beteiligten zu 1 zum Betreuer bestellt.
4
Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen ohne dessen erneute Anhörung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.

II.

5
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht.
6
1. Das Beschwerdegericht hat die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung nach § 1896 Abs. 1 BGB bejaht und zur Begründung folgendes ausgeführt:
7
Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten leide der Betroffene an einer paranoiden Schizophrenie, wobei differenzialdiagnostisch auch an eine schizotype Störung gedacht werden müsse. Aufgrund der bestehenden psychischen Erkrankung des Betroffenen bestehe auch eine Betreuungsbedürftigkeit. Nach der aktuellen Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses willige der Betroffene nicht in eine medikamentöse Behandlung ein, die bei einer schizophrenen Erkrankung aber die wichtigste therapeutische Maßnahme sei. Ein milderes Mittel komme nicht in Betracht. Von einer nochmaligen Anhörung des Betroffenen habe gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen werden können, da hieraus kein neuer Erkenntnisgewinn zu erwarten gewesen sei.
8
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
9
a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht einen Verstoß gegen § 1896 Abs. 1 a BGB.
10
aa) Nach dieser Vorschrift darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 3). Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 8).
11
Die Begriffe der freien Willensbestimmung in § 1896 Abs. 1 a BGB und in § 104 Nr. 2 BGB sind, wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 7 und vom 26. Februar 2014 - XII ZB 577/13 - FamRZ 2014, 830 Rn. 13), im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln.
12
Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einem Gebrechen im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Erforderlich ist sein Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2014 - XII ZB 577/13 - FamRZ 2014, 830 Rn. 14).
13
Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 8 mwN).
14
Handlungsfähigkeit als weitere Voraussetzung der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn der Betroffene imstande ist, nach der gewonnenen Erkenntnis zu handeln, also die sich daraus ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2014 - XII ZB 577/13 - FamRZ 2014, 830 Rn. 16).
15
bb) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht , da sie sich zu den Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 a BGB nicht verhält. Insoweit fehlt es auch an den erforderlichen Feststellungen. Insbesondere ergibt sich aus dem vom Beschwerdegericht zur Begründung seiner Entscheidung in Bezug genommenen Sachverständigengutachten nicht, ob der Betroffene zur Bildung eines freien Willens i.S.v. § 1896 Abs. 1 a BGB in der Lage ist.
16
Die Sachverständige kommt in ihrem Gutachten zwar zu dem Ergebnis, dass bei dem Betroffenen aufgrund der festgestellten psychischen Störung die Indikation für eine Betreuung im Bereich der Gesundheitsfürsorge und insoweit auch für den Bereich der Aufenthaltsbestimmung gegeben ist. Im Übrigen führt die Sachverständige jedoch nur aus, dass es aufgrund der Störung und der unterschiedlichen Ausprägung der Störung schwer zu beurteilen sei, ob der Betroffene in die Maßnahme einwilligen könne. Bei einem nicht vorhandenen Krankheitsbewusstsein müsse man aber wohl davon ausgehen, dass dem Betroffenen eine Einwilligung in diese Maßnahmen letztlich nicht möglich sei. Ob dem Betroffenen krankheitsbedingt die Fähigkeit fehlt, einen freien Willen zu bilden und die Bedeutung der Einrichtung einer Betreuung für seine Lebensgestaltung zu erkennen, hat die Sachverständige damit nicht festgestellt.
17
Da der Betroffene in dem bei seiner Anhörung vorgelegten Schreiben vom 24. November 2013 ausdrücklich die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt hat, durfte ohne entsprechende Feststellungen zu § 1896 Abs. 1 a BGB keine Betreuung angeordnet werden. Dass gilt auch dann, wenn eine Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2012 - XII ZB 502/11 - FamRZ 2012, 869 Rn. 19).
18
b) Die angefochtene Entscheidung ist auch deshalb fehlerhaft, weil das Beschwerdegericht entgegen § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht auf den gegenüber der Betreuungsbehörde ausdrücklich geäußerten Wunsch des Betroffenen , seine Mutter zur Betreuerin zu bestellen, eingegangen ist.
19
aa) Nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB hat das Betreuungsgericht dem Vorschlag des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen , sofern die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft. Ein solcher Vorschlag erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden. Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird hinreichend durch die begrenzte , letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2010 - XII ZB 165/10 - FamRZ 2011, 285 Rn. 14).
20
bb) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Beschwerdegericht hat sich nicht mit dem Wunsch des Betroffenen, seine Mutter zur Betreuerin zu bestellen, befasst.
21
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
22
4. Die Entscheidung ist daher insgesamt aufzuheben und, weil die Sache in tatsächlicher Hinsicht noch nicht ausreichend aufgeklärt ist, an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).
23
Dies gibt dem Beschwerdegericht Gelegenheit, im Rahmen der persönlichen Anhörung die Willenskundgabe des Betroffenen zu überprüfen und wegen der Frage, ob die Bestellung der Mutter zur Betreuerin möglicherweise dem Wohl des Betroffenen zuwiderläuft, weitere Ermittlungen anzustellen.
Klinkhammer Schilling Günter Nedden-Boeger Botur
Vorinstanzen:
AG Straubing, Entscheidung vom 09.12.2013 - XVII 657/13 -
LG Regensburg, Entscheidung vom 30.05.2014 - 5 T 82/14 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2015 - XII ZB 352/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2015 - XII ZB 352/14

Referenzen - Gesetze

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 68 Gang des Beschwerdeverfahrens


(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 104 Geschäftsunfähigkeit


Geschäftsunfähig ist:1.wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,2.wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorüberge
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2015 - XII ZB 352/14 zitiert 5 §§.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.

(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:

1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

3
1. Die Rechtsbeschwerde rügt einen Verstoß gegen § 1896 Abs. 1 a BGB. Nach dieser zum 1. Juli 2005 eingeführten Vorschrift darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht.

Geschäftsunfähig ist:

1.
wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,
2.
wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.

3
1. Die Rechtsbeschwerde rügt einen Verstoß gegen § 1896 Abs. 1 a BGB. Nach dieser zum 1. Juli 2005 eingeführten Vorschrift darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 26. September 2013 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Die 60jährige Betroffene leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung bei gegenwärtig leichter Episode mit somatischem Syndrom. Ihr geschiedener Ehemann betreibt die Teilungsversteigerung eines im gemeinsamen Eigentum beider stehenden, mit einem Doppelhaus bebauten Grundstücks, dessen eine Hälfte die Betroffene bewohnt, während die andere Doppelhaushälfte leer steht. Den hiergegen gerichteten Antrag der Betroffenen auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 765 a ZPO wies das Amtsgericht als unbegründet zurück. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens angenommen, dass die Betroffene wegen einer psychischen Erkrankung im Hinblick auf das Teilungsversteigerungsverfahren nicht prozessfähig sei, und die Sachentscheidung zurückgestellt, bis das Verfahren durch einen Betreuer aufgenommen sei. Zugleich hat es die Einleitung des Betreuungsverfahrens angeregt.

2

Das Notariat - Betreuungsgericht - hat daraufhin für die Betroffene eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vertretung in dem Teilungsversteigerungsverfahren und in den damit im Zusammenhang stehenden Beschwerdeverfahren angeordnet und die Beteiligte zu 2 zur Berufsbetreuerin bestellt. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

4

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Betroffene, die ihre psychische Erkrankung nicht in Abrede stelle, sei unbeirrbar darauf fixiert, im noch anhängigen familiengerichtlichen Verfahren einen hohen Ausgleichsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann sowie die Aufhebung des aus ihrer Sicht unberechtigten Teilungsversteigerungsverfahrens zu erreichen. Dabei sei sie nicht mehr in der Lage, zwischen den einzelnen Verfahren zu unterscheiden, und allein von dem Gedanken beseelt, ihrem geschiedenen Ehemann unredliches und schikanöses Verhalten nachzuweisen. Sie habe sich auch nicht damit auseinanderzusetzen vermocht, dass es unabhängig von dem Konflikt mit dem geschiedenen Ehemann im Betreuungsverfahren allein darum gehe, ihr hilfreich zur Seite zu stehen. Sie sehe in jeder Maßnahme, die nicht in eine unmittelbare Beendigung des Teilungsversteigerungsverfahrens münde, eine weitere Beeinträchtigung bzw. Demütigung. Damit im Einklang stehe auch der Umstand, dass sie nach eigenen Angaben bislang fünf Rechtsanwälte beauftragt, das Mandat aber wegen unzureichender Unterstützung und Wahrung ihrer Interessen wieder entzogen habe. Zwar habe sich eine wahnhafte Störung oder affektive Psychose, wie vom Gutachter im Teilungsversteigerungsverfahren angenommen, nicht sicher erhärten lassen, jedoch eine rezidivierende depressive Störung mit somatischem Syndrom.

5

Der Betreuung stehe auch nicht entgegen, dass diese in erster Linie dem Zweck diene, das Teilungsversteigerungsverfahren weiterführen zu können. Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes gebiete es, der Partei eines gerichtlichen Verfahrens die Möglichkeit einzuräumen, ihre Forderung auch gegen eine prozessunfähige Partei durchzusetzen. Um die erforderliche ordnungsgemäße Vertretung der prozessunfähigen Partei im Prozess zu gewährleisten, bedürfe es der Bestellung eines Betreuers. Andernfalls befände sich das Teilungsversteigerungsverfahren in einem nicht hinnehmbaren Schwebezustand. Eine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Betroffenen sei im Zusammenhang mit der Teilungsversteigerung nicht mehr gegeben; insoweit sei ihr Wille unfrei.

6

2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

7

a) Gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer, wenn ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann.

8

Nach den getroffenen Feststellungen ist die Betroffene nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten in Bezug auf das Teilungsversteigerungsverfahren selbst zu besorgen, und bedarf insoweit der Betreuung.

9

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hängt der Betreuungsbedarf nicht davon ab, ob Prozessunfähigkeit für das Teilungsversteigerungsverfahren angenommen werden kann. Denn selbst wenn die von der Betroffenen in dem Verfahren abgegebenen Erklärungen als wirksam erachtet werden müssten, ist ihr Denken diesbezüglich eingeengt und bedarf deshalb der Unterstützung durch einen Betreuer. Die Betreuerbestellung dient nämlich nicht nur der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, der es gebietet, dem Prozessgegner die Möglichkeit einzuräumen, seine Ansprüche auch gegen eine prozessunfähige Partei durchzusetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - XII ZB 326/10 - FamRZ 2011, 465 Rn. 11 mwN), sondern auch dazu, der Betroffenen bei der Stellung eigener Schutzanträge zur Seite zu stehen.

10

b) Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf ein Betreuer allerdings nicht bestellt werden (§ 1896 Abs. 1 a BGB).

11

aa) Ob der Betroffene in der Lage ist, einen freien Willen hinsichtlich der Einrichtung der Betreuung zu bilden, bedarf einer eigenen tatrichterlichen Prüfung. Denn die Bestellung eines Betreuers gegen den freien Willen des Betroffenen verletzt sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 4; BVerfG FamRZ 2010, 1624 Rn. 43).

12

Die Prüfung, ob ein freier Wille entgegensteht, ist auch dann vorzunehmen, wenn die Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2012 - XII ZB 502/11 - FamRZ 2012, 869 Rn. 19). Denn jeder hat das Recht, sein Leben nach seinen frei gebildeten Vorstellungen zu gestalten, soweit nicht Rechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter betroffen sind (Art. 2 Abs. 1 GG). Ist Letzteres nicht der Fall, hat der Staat nicht das Recht, den zur freien Willensbestimmung fähigen Betroffenen zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen. Eine Betreuerbestellung gegen den freien Willen des Betroffenen stellt einen Eingriff in die Würde des Betroffenen dar, der zu unterlassen oder zu beseitigen ist (BT-Drucks. 15/2494 S. 28).

13

bb) Der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB ist, wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 7), im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln.

14

Einsichtsfähigkeit im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einem Gebrechen im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Erforderlich ist sein Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss dabei Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können.

15

Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 8).

16

Handlungsfähigkeit als weitere Voraussetzung der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn der Betroffene imstande ist, nach der gewonnenen Erkenntnis zu handeln, also die sich daraus ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen.

17

cc) Den krankheitsbedingten Mangel des freien Willens hat das sachverständig beratene Gericht festzustellen. Die tatrichterliche Beurteilung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt hat, von ihm Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt wurden und er die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat.

18

dd) Rechtserhebliche Mängel der vorbezeichneten Art liegen hier nicht vor.

19

Das Landgericht ist in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen des Sachverständigengutachtens davon ausgegangen, dass die Betroffene nicht mehr in der Lage sei, ihren Willen, was das Teilungsversteigerungsverfahren betrifft, frei zu bilden. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung könne sie zwischen den einzelnen Verfahren nicht mehr unterscheiden, sondern sehe in jeder Maßnahme, die nicht in eine unmittelbare Beendigung des Teilungsversteigerungsverfahrens münde, eine weitere Beeinträchtigung bzw. Demütigung.

20

Damit fehlt es, selbst wenn die Betroffene imstande sein sollte, Grund, Bedeutung und Tragweite der Betreuung intellektuell zu erfassen, jedenfalls an ihrer Handlungsfähigkeit als weitere Voraussetzung der freien Willensbestimmung. Denn nach den getroffenen Feststellungen vermag sich die Betroffene nicht damit auseinanderzusetzen, dass es im Betreuungsverfahren allein darum geht, ihr hilfreich zur Seite zu stehen. Das Landgericht ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass die Betroffene nicht imstande ist, die sich aus einer möglichen Einsicht ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen und ihr Wille deshalb nicht nur in Bezug auf das Teilungsversteigerungsverfahren als solches, sondern auch in Bezug auf die Einrichtung der Betreuung unfrei ist.

Dose                               Weber-Monecke                     Schilling

           Nedden-Boeger                                 Guhling

3
1. Die Rechtsbeschwerde rügt einen Verstoß gegen § 1896 Abs. 1 a BGB. Nach dieser zum 1. Juli 2005 eingeführten Vorschrift darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 26. September 2013 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe

I.

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Die 60jährige Betroffene leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung bei gegenwärtig leichter Episode mit somatischem Syndrom. Ihr geschiedener Ehemann betreibt die Teilungsversteigerung eines im gemeinsamen Eigentum beider stehenden, mit einem Doppelhaus bebauten Grundstücks, dessen eine Hälfte die Betroffene bewohnt, während die andere Doppelhaushälfte leer steht. Den hiergegen gerichteten Antrag der Betroffenen auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 765 a ZPO wies das Amtsgericht als unbegründet zurück. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens angenommen, dass die Betroffene wegen einer psychischen Erkrankung im Hinblick auf das Teilungsversteigerungsverfahren nicht prozessfähig sei, und die Sachentscheidung zurückgestellt, bis das Verfahren durch einen Betreuer aufgenommen sei. Zugleich hat es die Einleitung des Betreuungsverfahrens angeregt.

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Das Notariat - Betreuungsgericht - hat daraufhin für die Betroffene eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vertretung in dem Teilungsversteigerungsverfahren und in den damit im Zusammenhang stehenden Beschwerdeverfahren angeordnet und die Beteiligte zu 2 zur Berufsbetreuerin bestellt. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

II.

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Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

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1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Betroffene, die ihre psychische Erkrankung nicht in Abrede stelle, sei unbeirrbar darauf fixiert, im noch anhängigen familiengerichtlichen Verfahren einen hohen Ausgleichsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann sowie die Aufhebung des aus ihrer Sicht unberechtigten Teilungsversteigerungsverfahrens zu erreichen. Dabei sei sie nicht mehr in der Lage, zwischen den einzelnen Verfahren zu unterscheiden, und allein von dem Gedanken beseelt, ihrem geschiedenen Ehemann unredliches und schikanöses Verhalten nachzuweisen. Sie habe sich auch nicht damit auseinanderzusetzen vermocht, dass es unabhängig von dem Konflikt mit dem geschiedenen Ehemann im Betreuungsverfahren allein darum gehe, ihr hilfreich zur Seite zu stehen. Sie sehe in jeder Maßnahme, die nicht in eine unmittelbare Beendigung des Teilungsversteigerungsverfahrens münde, eine weitere Beeinträchtigung bzw. Demütigung. Damit im Einklang stehe auch der Umstand, dass sie nach eigenen Angaben bislang fünf Rechtsanwälte beauftragt, das Mandat aber wegen unzureichender Unterstützung und Wahrung ihrer Interessen wieder entzogen habe. Zwar habe sich eine wahnhafte Störung oder affektive Psychose, wie vom Gutachter im Teilungsversteigerungsverfahren angenommen, nicht sicher erhärten lassen, jedoch eine rezidivierende depressive Störung mit somatischem Syndrom.

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Der Betreuung stehe auch nicht entgegen, dass diese in erster Linie dem Zweck diene, das Teilungsversteigerungsverfahren weiterführen zu können. Der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes gebiete es, der Partei eines gerichtlichen Verfahrens die Möglichkeit einzuräumen, ihre Forderung auch gegen eine prozessunfähige Partei durchzusetzen. Um die erforderliche ordnungsgemäße Vertretung der prozessunfähigen Partei im Prozess zu gewährleisten, bedürfe es der Bestellung eines Betreuers. Andernfalls befände sich das Teilungsversteigerungsverfahren in einem nicht hinnehmbaren Schwebezustand. Eine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Betroffenen sei im Zusammenhang mit der Teilungsversteigerung nicht mehr gegeben; insoweit sei ihr Wille unfrei.

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2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

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a) Gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer, wenn ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann.

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Nach den getroffenen Feststellungen ist die Betroffene nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten in Bezug auf das Teilungsversteigerungsverfahren selbst zu besorgen, und bedarf insoweit der Betreuung.

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Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hängt der Betreuungsbedarf nicht davon ab, ob Prozessunfähigkeit für das Teilungsversteigerungsverfahren angenommen werden kann. Denn selbst wenn die von der Betroffenen in dem Verfahren abgegebenen Erklärungen als wirksam erachtet werden müssten, ist ihr Denken diesbezüglich eingeengt und bedarf deshalb der Unterstützung durch einen Betreuer. Die Betreuerbestellung dient nämlich nicht nur der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, der es gebietet, dem Prozessgegner die Möglichkeit einzuräumen, seine Ansprüche auch gegen eine prozessunfähige Partei durchzusetzen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - XII ZB 326/10 - FamRZ 2011, 465 Rn. 11 mwN), sondern auch dazu, der Betroffenen bei der Stellung eigener Schutzanträge zur Seite zu stehen.

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b) Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf ein Betreuer allerdings nicht bestellt werden (§ 1896 Abs. 1 a BGB).

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aa) Ob der Betroffene in der Lage ist, einen freien Willen hinsichtlich der Einrichtung der Betreuung zu bilden, bedarf einer eigenen tatrichterlichen Prüfung. Denn die Bestellung eines Betreuers gegen den freien Willen des Betroffenen verletzt sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 4; BVerfG FamRZ 2010, 1624 Rn. 43).

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Die Prüfung, ob ein freier Wille entgegensteht, ist auch dann vorzunehmen, wenn die Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2012 - XII ZB 502/11 - FamRZ 2012, 869 Rn. 19). Denn jeder hat das Recht, sein Leben nach seinen frei gebildeten Vorstellungen zu gestalten, soweit nicht Rechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter betroffen sind (Art. 2 Abs. 1 GG). Ist Letzteres nicht der Fall, hat der Staat nicht das Recht, den zur freien Willensbestimmung fähigen Betroffenen zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen. Eine Betreuerbestellung gegen den freien Willen des Betroffenen stellt einen Eingriff in die Würde des Betroffenen dar, der zu unterlassen oder zu beseitigen ist (BT-Drucks. 15/2494 S. 28).

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bb) Der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB und des § 104 Nr. 2 BGB ist, wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 7), im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln.

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Einsichtsfähigkeit im Sinne des § 1896 Abs. 1 a BGB setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einem Gebrechen im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Erforderlich ist sein Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss dabei Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können.

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Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 8).

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Handlungsfähigkeit als weitere Voraussetzung der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn der Betroffene imstande ist, nach der gewonnenen Erkenntnis zu handeln, also die sich daraus ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen.

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cc) Den krankheitsbedingten Mangel des freien Willens hat das sachverständig beratene Gericht festzustellen. Die tatrichterliche Beurteilung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt hat, von ihm Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt wurden und er die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat.

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dd) Rechtserhebliche Mängel der vorbezeichneten Art liegen hier nicht vor.

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Das Landgericht ist in Übereinstimmung mit den Schlussfolgerungen des Sachverständigengutachtens davon ausgegangen, dass die Betroffene nicht mehr in der Lage sei, ihren Willen, was das Teilungsversteigerungsverfahren betrifft, frei zu bilden. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung könne sie zwischen den einzelnen Verfahren nicht mehr unterscheiden, sondern sehe in jeder Maßnahme, die nicht in eine unmittelbare Beendigung des Teilungsversteigerungsverfahrens münde, eine weitere Beeinträchtigung bzw. Demütigung.

20

Damit fehlt es, selbst wenn die Betroffene imstande sein sollte, Grund, Bedeutung und Tragweite der Betreuung intellektuell zu erfassen, jedenfalls an ihrer Handlungsfähigkeit als weitere Voraussetzung der freien Willensbestimmung. Denn nach den getroffenen Feststellungen vermag sich die Betroffene nicht damit auseinanderzusetzen, dass es im Betreuungsverfahren allein darum geht, ihr hilfreich zur Seite zu stehen. Das Landgericht ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass die Betroffene nicht imstande ist, die sich aus einer möglichen Einsicht ergebenden Schlüsse in Bezug auf die Einrichtung einer Betreuung umzusetzen und ihr Wille deshalb nicht nur in Bezug auf das Teilungsversteigerungsverfahren als solches, sondern auch in Bezug auf die Einrichtung der Betreuung unfrei ist.

Dose                               Weber-Monecke                     Schilling

           Nedden-Boeger                                 Guhling

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c) Da die Betroffene bei ihren Anhörungen mehrmals geäußert hat, dass sie eine Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten durch den von ihr bevollmächtigten Betroffenen zu 1 möchte, durfte ohne entsprechende Feststellungen zu § 1896 Abs. 1 a BGB gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen keine Betreuung angeordnet werden. Das gilt auch dann, wenn eine Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre (MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1896 Rn. 35; Palandt/Diederichsen BGB 71. Aufl. § 1896 BGB Rn. 4).
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aa) Nach § 1897 Abs. 4 Satz 2 BGB hat das Betreuungsgericht einem Vorschlag des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen , sofern die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft. Ein solcher Vorschlag erfordert in der Regel weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 127). Es ist auch nicht erforderlich, dass der Vorschlag des Betroffenen, wie vom BayObLG (vgl. etwa BayObLG FamRZ 2005, 548; BayObLG OLGR München 2004, 251 Rn. 15; BayObLGR 2003, 360 = BtPrax 2003, 370 Rn. 13) gefordert , ernsthaft, eigenständig gebildet und dauerhaft sein muss. Vielmehr genügt , dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden (MünchKommBGB/Schwab 5. Aufl. § 1897 Rn. 21). Etwaigen Missbräuchen und Gefahren wird hinreichend durch die be- grenzte, letztlich auf das Wohl des Betroffenen abstellende Bindungswirkung eines solchen Vorschlags begegnet (vgl. auch BT-Drucks. 11/4528 S. 127).

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.