Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2016 - XII ZB 46/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:130716BXIIZB46.15.0
bei uns veröffentlicht am13.07.2016
vorgehend
Landgericht Oldenburg (Oldenburg), 8 T 16/15, 19.01.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 46/15
vom
13. Juli 2016
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ergibt sich die Qualifikation des Sachverständigen nicht ohne Weiteres aus seiner
Fachbezeichnung als Arzt, ist seine Sachkunde vom Gericht zu prüfen und
in der Entscheidung darzulegen. Hierfür genügt regelmäßig die tatrichterliche
Feststellung, dass der beauftragte Sachverständige Arzt mit Erfahrung auf dem
Gebiet der Psychiatrie ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 16. Dezember
2015 - XII ZB 381/15 - FamRZ 2016, 456).
BGH, Beschluss vom 13. Juli 2016 - XII ZB 46/15 - LG Oldenburg
AG Wilhelmshaven
ECLI:DE:BGH:2016:130716BXIIZB46.15.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Juli 2016 durch die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 19. Januar 2015 wird zurückgewiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Die 1929 geborene Betroffene wendet sich gegen die Anordnung ihrer Betreuung.
2
Die Betroffene leidet an Demenz. Anfang des Jahres 2014 erteilte sie ihrem Sohn, dem Beteiligten zu 2, eine Vorsorgevollmacht.
3
Nach Anhörung der Betroffenen und Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht der anwaltlich vertretenen Betroffenen eine Berufsbetreuerin für folgende Aufgabenkreise bestellt: Gesundheitsfürsorge einschließlich der Entscheidung über die Zustimmung zur ärztlichen Heilbehand- lung und auch operativen Eingriffen, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Geltendmachung von Ansprüchen, Leistungen der Kranken- und der Pflegekasse, Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten , Widerruf von Vollmachten und Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post. Ferner hat das Amtsgericht hinsichtlich der Vermögenssorge einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich diese mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
5
1. Nach Auffassung des Landgerichts liegen die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung gegen den Willen der Betroffenen vor. Wie dem Gutachten des Sachverständigen, eines auf dem Gebiet der Psychiatrie erfahrenen Arztes, zu entnehmen sei, leide die Betroffene an einer fortschreitenden hirnorganischen Leistungseinbuße im Sinne einer vaskulären Demenzerkrankung mit ausgeprägten Denkstörungen, einem verlangsamten Denkablauf, Verlusten im Kurz- und Langzeitgedächtnis mit vollkommen eingeschränkten bis erloschenen Hirnleistungen einschließlich des formalen Denkens und dem Erfassen von komplexen Vorgängen. Sie verfüge über keine Alltagskompetenz mehr. Die Geschäftsfähigkeit sei danach nicht mehr gegeben. Die freie Willensbildung sei bis auf einen natürlichen Willen eingeschränkt.
6
Einer Anhörung durch die Kammer habe es nicht bedurft. Die Betroffene sei erst am 28. Oktober 2014 vom Betreuungsrichter in ihrer Wohnung angehört worden. Angesichts der bei ihr vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigun- gen sei mit einer Besserung der körperlichen und intellektuellen Defizite in keinem Fall mehr zu rechnen. Zudem sei es nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht mehr möglich, sich mit ihr über die Betreuungsangelegenheiten zu verständigen. Es sei daher anzunehmen, dass die Betroffene sich in einem weiteren Anhörungstermin ebenso wenig wie bisher inhaltlich zu den zur Entscheidung stehenden Fragen würde äußern können.
7
Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts sei zum Schutz der Betroffenen erforderlich, um der Betreuerin rechtlich die Möglichkeit einzuräumen, das Konto zu überwachen und zu intervenieren, insbesondere zu verhindern, dass der Beteiligte zu 2 seine Mutter finanziell ausnutze. In der Vergangenheit seien bereits regelmäßig Geldbeträge von ihrem Konto abgeflossen, ohne dass diese Beträge für die Betroffene selbst verwandt worden seien, wie die Ermittlungen des Amtsgerichts ergeben hätten.
8
Die Auswahl der Betreuerin sei nicht zu beanstanden, insbesondere komme es wegen seines Verhaltens nicht in Betracht, den Beteiligten zu 2 zum Betreuer zu bestellen, auch wenn die Betroffene diesem eine - wenn auch unwirksame - Vorsorgevollmacht erteilt habe.
9
2. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.
a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde brauchte das Landgericht die Betroffene nicht erneut anzuhören.
10
aa) Gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
11
bb) So liegt der Fall hier. Der Amtsrichter hat die Betroffene am 28. Oktober 2014 angehört und die Anhörung umfangreich protokolliert. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde beschränkt sich der Anhörungsvermerk nicht auf Feststellungen zur Sehschwäche der Betroffenen. Dort heißt es vielmehr unter anderem, dass die Betroffene kaum richtig begreife, worum es gehe und was um sie herum geschehe. Sie habe sich laufend wiederholt, immer wieder nachgefragt, den Sachverständigen und den Richter offenbar für Angehörige des Pflegedienstes gehalten und unzweifelhaft erkennen lassen, dass sie nichts mehr sehe. Wenn das Landgericht bei dieser Sachlage unter anderem unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen davon ausgeht , dass sich die Betroffene in einem weiteren Anhörungstermin ebenso wenig wie bisher inhaltlich zu den zur Entscheidung stehenden Fragen würde äußern können, ist das von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
12
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht auch einer Verwertung des vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens nichts im Wege.
13
aa) Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 FamFG soll der in einem Betreuungsverfahren mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Sachverständige Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Ergibt sich die Qualifikation nicht ohne Weiteres aus der Fachbezeichnung des Arztes, ist seine Sachkunde vom Gericht zu prüfen und in der Entscheidung darzulegen (Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2015 - XII ZB 381/15 - FamRZ 2016, 456 Rn. 14 mwN).
14
bb) Dem ist das Landgericht gerecht geworden. Zwar weist die Rechtsbeschwerde zutreffend darauf hin, dass der Sachverständige ausweislich seines Gutachtens lediglich Facharzt für Innere Medizin ist. Nachdem aber bereits das Amtsgericht festgestellt hatte, dass der Sachverständige Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sei, hat das Landgericht in der Sache ebenfalls ausgeführt, dass es sich bei dem Sachverständigen um einen auf dem Gebiet der Psychiatrie erfahrenen Arzt handele. Zwar vermag nach der Rechtsprechung des Senats der allgemein gehaltene Hinweis des Tatrichters auf den gerichtsbekannt sorgfältigen und kompetenten Sachverständigen, der ihm aus vielen Betreuungs- und Unterbringungsverfahren als sorgfältig arbeitend und fachkundig bekannt sei, den Nachweis der konkret erforderlichen Qualifikation nicht zu ersetzen (Senatsbeschluss vom 16. Mai 2012 - XII ZB 454/11 - FamRZ 2012, 1207 Rn. 14). Anders als in jenem Fall hat das Landgericht vorliegend jedoch - wenn auch knapp - festgestellt, dass es sich bei dem Sachverständigen um einen auf dem Gebiet der Psychiatrie erfahrenen Arzt handelt.
15
c) Ebenso geht die Rüge der Rechtsbeschwerde fehl, die Einrichtung einer Betreuung sei wegen Vorliegens einer Vollmacht nicht erforderlich.
16
aa) Ein Betreuer darf nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Anders kann es liegen, wenn Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmachterteilung oder am Fortbestand der Vollmacht bestehen, die geeignet sind, die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr und damit die Wahrnehmung von Rechten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten zu beeinträchtigen (Senatsbeschluss vom 17. Februar 2016 - XII ZB 498/15 - FamRZ 2016, 704 Rn. 12).
17
Ist die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht indes positiv festgestellt, ist die Betreuung erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - FamRZ 2016, 701 Rn. 11 f. mwN).
18
bb) Zwar liegt eine auf den Beteiligten zu 2 lautendeVorsorgevollmacht der Betroffenen von Anfang 2014 vor. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist die Vollmacht jedoch unwirksam. In dem von der angefochtenen Entscheidung in Bezug genommenen Gutachten heißt es dazu, dass sich die intellektuellen - eine Geschäftsfähigkeit ausschließenden - Einschränkungen bei der Betroffenen in den zurückliegenden Jahren bei ihr schleichend und fortschreitend entwickelt hätten, aber in der heute vorgefundenen und geschilderten Ausprägung mit Sicherheit auch schon Anfang des Jahres 2014 vorgelegen hätten.
19
Damit kommt es auf die - vom Landgericht ebenfalls verneinte - Frage, ob der Beteiligte zu 2 als Bevollmächtigter geeignet ist (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Februar 2016 - XII ZB 498/15 - FamRZ 2016, 704 Rn. 12 mwN), nicht mehr an.
20
d) Schließlich sind auch die vom Landgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Sachverständigen, wonach die Betroffene nicht mehr in der Lage dazu ist, einen freien Willen zu bilden, von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
21
aa) Nach § 1896 Abs. 1a BGB darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestim- mung fähig ist (Senatsbeschluss vom 14. Januar 2015 - XII ZB 352/14 - FamRZ 2015, 648 Rn. 10 mwN).
22
bb) Dem ist das Landgericht gerecht geworden. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde beschränkt sich das Gutachten hinsichtlich der entsprechenden Feststellungen nicht allein auf die Defizite, die die Betroffene hinsichtlich ihres Sehvermögens hat. Vielmehr lässt sich ihm entnehmen, dass der Gutachter auch bei den von ihm durchgeführten Tests die jeweiligen Einzelaufgaben , die ein hinreichendes Sehvermögen voraussetzen, durch andere Einzelaufgaben ersetzt hat. Nach einer Gesamtschau ist der Sachverständige zu dem vom Landgericht in Bezug genommenen Schluss gelangt, es fänden sich bei der Betroffenen ausgeprägte Denkstörungen, ein verlangsamter Denkablauf , Verluste im Kurz- und Langzeitgedächtnis mit vollkommen eingeschränkten bis erloschenen höheren Hirnleistungen einschließlich des formalen Denkens und dem Erfassen von komplexen Vorgängen.
23
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Klinkhammer Schilling Günter Nedden-Boeger Krüger
Vorinstanzen:
AG Wilhelmshaven, Entscheidung vom 04.12.2014 - 5 XVII J 377 -
LG Oldenburg, Entscheidung vom 19.01.2015 - 8 T 16/15 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2016 - XII ZB 46/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2016 - XII ZB 46/15

Referenzen - Gesetze

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 68 Gang des Beschwerdeverfahrens


(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 280 Einholung eines Gutachtens


(1) Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatri
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2016 - XII ZB 46/15 zitiert 4 §§.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

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(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde

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Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juli 2016 - XII ZB 46/15 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

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Referenzen

(1) Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein.

(2) Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Ergebnis einer Anhörung nach § 279 Absatz 2 Satz 2 hat der Sachverständige zu berücksichtigen, wenn es ihm bei Erstellung seines Gutachtens vorliegt.

(3) Das Gutachten hat sich auf folgende Bereiche zu erstrecken:

1.
das Krankheits- oder Behinderungsbild einschließlich dessen Entwicklung,
2.
die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse,
3.
den körperlichen und psychischen Zustand des Betroffenen,
4.
den aus medizinischer Sicht aufgrund der Krankheit oder Behinderung erforderlichen Unterstützungsbedarf und
5.
die voraussichtliche Dauer der Maßnahme.

(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.

(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:

1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

(1) Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein.

(2) Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Ergebnis einer Anhörung nach § 279 Absatz 2 Satz 2 hat der Sachverständige zu berücksichtigen, wenn es ihm bei Erstellung seines Gutachtens vorliegt.

(3) Das Gutachten hat sich auf folgende Bereiche zu erstrecken:

1.
das Krankheits- oder Behinderungsbild einschließlich dessen Entwicklung,
2.
die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse,
3.
den körperlichen und psychischen Zustand des Betroffenen,
4.
den aus medizinischer Sicht aufgrund der Krankheit oder Behinderung erforderlichen Unterstützungsbedarf und
5.
die voraussichtliche Dauer der Maßnahme.

12
a) Ein Betreuer darf nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Anders kann es zum einen liegen, wenn Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmachterteilung oder am Fortbestand der Vollmacht bestehen , die geeignet sind, die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr und damit die Wahrnehmung von Rechten des Betroffenen durch den Bevollmächtigten zu beeinträchtigen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 425/14 - mwN, zur Veröffentlichung bestimmt). Eine Betreuung kann trotz Vorsorgevollmacht zum anderen dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint (Senatsbeschlüsse vom 26. Februar 2014 - XII ZB 301/13 - FamRZ 2014, 738 Rn. 17 mwN und vom 13. April 2011 - XII ZB 584/10 - FamRZ 2011, 964 Rn. 15 mwN).
10
aa) Nach dieser Vorschrift darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 3). Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 8).

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.