Bundesgerichtshof Urteil, 15. Okt. 2014 - 2 StR 240/14

bei uns veröffentlicht am15.10.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 2 4 0 / 1 4
vom
15. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Oktober
2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Eschelbach,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Richterin am Amtsgericht bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin C. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin A. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 29. November 2013 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist,
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Die Revision des Angeklagten ist erfolglos. Dagegen hat das vom Generalbundesanwalt vertretene – nicht wirksam beschränkte – Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der 23 Jahre alte Angeklagte u. a. wie folgt vorbestraft:
3
a) Das Amtsgericht Köln verwarnte ihn am 25. November 2010 wegen „Beleidigung mittels Tätlichkeit“ jugendrichterlich und erteilte eine Weisung. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte im März 2010 auf der Damentoilette hinter die ihm nicht bekannte 16 Jahre alte Geschädigte getreten war, beide Hände um ihre Hüften gelegt und – ohne ihre Gegenwehr zu beachten – seinen Unterleib an ihrem Gesäß gerieben hatte.
4
Der Angeklagte, der aufgrund der ihm erteilten jugendrichterlichen Weisung eine Beratungsstelle aufgesucht hatte, bagatellisierte dort den Sachverhalt und „kommunizierteein in der Familie herrschendes, abwertendes Frauenbild.
Da er aber Behandlungsmotivation signalisierte“, sprach sich die zuständige Mitarbeiterin für weitere Gesprächstermine aus, zu denen es allerdings in der Folge nicht kam.
5
b) Am 5. August 2011 sprach das Amtsgericht Köln den Angeklagten der versuchten Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und der schwe- ren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit „gemeinschaftlicher“ gefährlicher Körperverletzung schuldig und verhängte unter Einbeziehung des vorgenannten Urteils eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Der Verurteilung lag folgendes zugrunde:
6
Der Angeklagte hatte am 21. November 2010 gegen Mitternacht die ihm unbekannte 18-jährige Geschädigte, der er zuvor gefolgt war, darauf angesprochen , sie näher kennen lernen zu wollen. Der Angeklagte hatte sich hinter ihr durch eine Haustür gedrängt und wurde zunehmend aggressiver. Er griff der Geschädigten von vorn in die Hose und Unterhose und berührte mit seiner Hand mehrfach ihre Vagina. Sodann drängte er die Geschädigte die Kellertreppe hinunter und versuchte ihre Stoffhose herunterzuziehen, was ihm aufgrund ihrer Gegenwehr nicht gelang. Als die Geschädigte um Hilfe rief, hielt ihr der Angeklagte den Mund zu. Eine Nachbarin, die auf das Geschehen aufmerksam geworden war, machte sich bemerkbar, woraufhin der Angeklagte die weitere Tatausführung aufgab und flüchtete.
7
Bereits Anfang Oktober 2010 hatte der Angeklagte mit sechs weiteren Mittätern entsprechend einem gemeinsamen Tatplan die Wohnung eines weiteren Geschädigten aufgesucht. Unter dem Eindruck zuvor erhaltener Schläge durch zwei Mittäter und des Vorhaltens eines Teleskopschlagstockes durch den Angeklagten hatte der Geschädigte einen Umschlag mit 100 € übergeben; das Geld hatten die Täter untereinander aufgeteilt.
8
Der Angeklagte verbüßte die Jugendstrafe bis Mitte November 2012. Im Anschluss daran hat das Amtsgericht Wuppertal die Dauer der Führungsaufsicht auf drei Jahre festgesetzt und dem Angeklagten u.a. die Weisung erteilt, Kontakt bei einer Beratungsstelle für die Behandlung sexualisierter Gewalt aufzunehmen und dort regelmäßig Beratungsgespräche wahrzunehmen, wozu es indes in der Folgezeit nicht kam.
9
2. Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
10
a) Am 22. März 2013 begab sich der Angeklagte in den Garten der Erdgeschosswohnung der Familie L. . Er stellte sich unmittelbar vor eines der großen Fenster des Wohnzimmers, ließ seine Hose herunter und begann, an seinem erigierten Penis zu manipulieren. Dabei kam es ihm sowohl darauf an, die beiden etwa ein bis zwei Meter von dem Fenster entfernt auf einer Couch sitzenden 13- und 14-jährigen Mädchen, deren Alter er „unwiderlegbar auf etwa 17 Jahre schätzte, zu sehen, als auch von diesen bei Vornahme der sexuellen Handlung gesehen zu werden, was diese auch taten“. Die Mädchen waren durch den Anblick des onanierenden Angeklagten geschockt und empfanden Ekel, was der Angeklagte in Kauf nahm. Der Angeklagte ejakulierte sodann auf den Terrassenboden (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
11
b) Am 30. April 2013 stand der Angeklagte in einem Flur eines Mehrfamilienhauses der 7-jährigen Nebenklägerin A. gegenüber, öffnete seine Hose und entblößte seinen Penis. Er forderte die Nebenklägerin „etwa fünfmal auf“, seinen Penis in den Mund zu nehmen, was diese jedoch mit Kopfschütteln ablehnte. Der Angeklagte, der im Wohnhaus eine Tür schlagen hörte, zog sich wieder an und forderte die Nebenklägerin auf, mit ihm in den Keller zu kommen. Dort entblößte der Angeklagte seinen Penis erneut und forderte die Nebenklägerin mehrfach auf, diesen in den Mund zu nehmen. Die Nebenklägerin lehnte dieses Ansinnen wiederum ab. Der Angeklagte zog sodann der Nebenklägerin die Hose herunter, betrachtete ihre unbekleidete Scheide und streichelte sie im Genitalbereich. Als die Nebenklägerin sich die Hose wieder hochzog, sich umdrehte und weglaufen wollte, hielt sie der Angeklagte am T-Shirt fest und zog sie zurück. Erneut forderte er sie auf, seinen Penis in den Mund zu nehmen, was die Nebenklägerin jedoch wiederum ablehnte. Als diese zu weinen begann, ließ der Angeklagte von ihr ab und ergriff die Flucht (Fall II. 3. der Urteilsgründe

).

12
c) Am 19. Mai 2013 gegen 06.45 Uhr begab sich der Angeklagte in ein Kinderkrankenhaus und betrat verschiedene Krankenzimmer. In dem ersten Zimmer, in das er ging, schlief eine Frau, die er an ihrem Kopftuch und an ihrem Rücken berührte. Als die Frau davon erwachte, verließ er das Zimmer. In dem nächsten Raum, den der Angeklagte betrat, schlief ebenfalls eine Frau. Er hob die Bettdecke an und betrachtete deren bekleideten Genitalbereich. Als die Frau erwachte verließ er das Zimmer.
13
Sodann betrat er das Zimmer der 10-jährigen Nebenklägerin C. , die dort mit einem anderen Mädchen schlief. Der Angeklagte trat an das Bett heran, zog die Bettdecke herunter und streichelte die Nebenklägerin zunächst am Bauch, wovon diese aufwachte. Der Angeklagte zog sodann deren Hose und Unterhose herunter, betrachtete ihre unbekleidete Scheide und streichelte sie im Genitalbereich. „Anschließend zog er sich selbst die Hose herunter, näherte sich mit seinem erigierten Penis dem Gesicht der Nebenklägerin und forderte sie auf, ihn in den Mund zu nehmen“. Die Nebenklägerin lehnte jedoch mehrfach ab. Als der Angeklagte auf dem Krankenhausflur ein Geräusch hörte, verließ er das Zimmer und das Krankenhaus (Fall II. 5. der Urteilsgründe).
14
3. Die Strafkammer hat gegenüber dem umfassend geständigen Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen exhibitionistischer Handlungen gemäß § 183 Abs. 1 StGB auf eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, im Fall II. 3. und II. 5. der Urteilsgründe jeweils wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB auf Freiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten bzw. vier Jahren erkannt. Von jeweils (tateinheitlichen) versuchtem schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes (in den Fällen II. 3. und II. 5. der Urteilsgründe) bzw. von einer (tateinheitlich) versuchten Vergewaltigung (im Fall II. 3. der Urteilsgründe) sei der Angeklagte strafbefreiend zurückgetreten.

II.

15
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere hat das Tatgericht den vom Revisionsgericht hinzunehmenden Rahmen vertretbarer Strafbemessung nicht überschritten.

III.

16
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; zugleich führt das Rechtsmittel – zu Gunsten des Angeklagten – zur Aufhebung des Strafausspruchs.
17
1. Der Senat kann offen lassen, ob die Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung deswegen beschränkt ist, weil – trotz eines den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrags – der Inhalt der Revisionsbegründungsschrift ausschließlich Ausführungen zur Nichtanordnung der Maßregelentscheidung enthält (vgl. zur Auslegung des Angriffsziels unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV: Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285 mwN).
18
Die Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung , die grundsätzlich isoliert auf Rechtsfehler überprüfbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2011 – 4 StR 331/11, NStZ-RR 2012, 156, 157 mwN), wäre indes hier unwirksam. Das Landgericht hat den Angeklagten unter anderem auch deswegen nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht, weil aufgrund der Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs bei dem Angeklagten eine Haltungsänderung erwartet werden könne. Damit hat es Strafhöhe und Maßregelanordnung in einen inneren Zusammenhang gesetzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, insoweit in NStZ-RR 2011, 172 nicht abgedruckt; Urteil vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, insoweit in NStZ 2013, 707 nicht abgedruckt

).

19
2. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
20
a) Die Strafkammer hat zutreffend die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB bejaht. Dem Sachverständigen folgend hat das Landgericht einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten und dessen („hohe“) Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB festgestellt. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
21
Das Landgericht hat allerdings aufgrund seines unzutreffenden rechtlichen Ansatzes verkannt, dass auch die – formellen und materiellen – Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorgelegen haben könnten. Das für die Verhängung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB erforderliche Vorliegen von drei vorsätzlichen Taten setzt nicht voraus, dass diese Taten – wovondie Strafkammer fehlerhaft ausgegangen ist – gemeinsam in der Ent- scheidung abgeurteilt werden, in der die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB angeordnet werden könnte. Vielmehr können eine oder zwei von diesen Taten schon vorher rechtskräftig abgeurteilt sein, sofern der Täter wenigstens eine der Symptomtaten als Erwachsener begangen hat (vgl. auch Senat , Beschluss vom 20. Dezember 2001 – 2 StR 513/01, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 2; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 – 3 StR 439/09, NStZ-RR 2010, 142, 143).
22
Neben den Fällen II. 3. und II. 5. der Urteilsgründe ist der Angeklagte durch das Amtsgericht Köln am 5. August 2011 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden; dieser Verurteilung lagen ausschließlich Katalogtaten gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) und lit.
b) StGB zugrunde. Eine in einem früheren Verfahren ausgesprochene einheitliche Jugendstrafe nach § 31 JGG erfüllt indes die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 StGB nur, wenn zu erkennen ist, dass der Täter wenigstens bei einer der ihr zugrundeliegenden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2001 – 3 StR 261/01, NStZ 2002, 29; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 66 Rdn. 26, jeweils mwN). Dies festzustellen , ist tatrichterliche Aufgabe, die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Dabei hat der Tatrichter festzustellen, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen Taten bewertet hat; er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2001 – 3 StR 261/01, NStZ 2002, 29 mwN). Entsprechende Feststellungen muss der Tatrichter so belegen, dass eine ausreichende revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist.
23
b) Soweit die Strafkammer im Folgenden im Rahmen ihrer Ermessensausübung die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung auch damit be- gründet hat, der Angeklagte habe „in keinem der Fälle […] den Taterfolg eines qualifizierten Sexualdelikts herbeigeführt“, hat sie beiPrüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßregel einen unzutreffenden Bezugspunkt gewählt. Entscheidend ist, welche Straftaten vom Angeklagten zukünftig zu erwarten sind; die Anlasstaten haben dafür nur indizielle Bedeutung (vgl. auch Fischer, aaO, § 62 Rdn. 3a ff. mwN). Bezogen auf Hang und Gefährlichkeit hat das Landgericht insoweit aber ausgeführt, dass der Angeklagte, dem jegliche Opferempathie fehle, „durchaus auch bereit (sei),seine sexuellen Interessen mittels Einsatzes von Gewalt und das Eindringen in persönlichste Schutzbereiche seiner Opfer zu begehen“. Aufgrund seiner – durch Impulsivität und Aggressivität gekennzeich- neten – Persönlichkeitsstruktur seien seine sexuellen Übergriffe regelmäßig gegen besonders schwache und hilflose Frauen oder Mädchen gerichtet. Diese Umstände hat das Landgericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht ausreichend in den Blick genommen.
24
c) Auch im Übrigen hat das Landgericht das ihm durch § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB eingeräumte Ermessen – auch eingedenk eingeschränkter revisionsgerichtlicher Nachprüfung – rechtsfehlerhaft ausgeübt. Die Erwägung des Landgerichts, eine Haltungsänderung des Angeklagten während der Dauer des Strafvollzugs sei zu erwarten, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
25
aa) Die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge seines Hanges zur Begehung schwerer Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, richtet sich nach der Sachlage zum Zeitpunkt der Aburteilung (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB iVm § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB). Dieses hat die Strafkammer im Ansatz auch nicht verkannt.
26
Soweit indes die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB oder – wie vom Landgericht angenommen – nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB in Betracht kommt, ist es dem Tatrichter grundsätzlich gestattet, bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707).
27
Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; Urteil vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707, jeweils mwN).
28
bb) Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht.
29
(1) Im Rahmen der Prognosebeurteilung hat das Landgericht ausgeführt, „dass ohne eine erfolgreiche therapeutische Einwirkung auf den Angeklagten auch für die Zukunft ernsthaft damit zu rechnen ist, dass er seinen devianten sexuellen Impulsen in strafbarer Weise nachgehen wird“. Daraus ergibt sich bereits, dass allein durch Strafverbüßung eine Haltungsänderung des Angeklagten , die zu einer Verminderung seiner Gefährlichkeit führen wird, nicht zu erwarten ist.
30
(2) Die vom Landgericht zugrunde gelegten „erkennbaren positiven An- sätze im Hinblick auf eine therapiebedingte Verhaltensänderung“ des Angeklag- ten sind nicht belegt. Während seiner ersten Inhaftierung war der Angeklagte zu einer Therapie „allenfalls“ vordergründig bereit. Eine Haltungsänderung im Ver- lauf der Haft habe sich lediglich insoweit abgezeichnet, dass der Angeklagte zu Beginn der Haft „frech, fordernd und respektlos“ aufgetreten sei, gegen Ende der Haftzeit hingegen „angepasst und ruhiger“. Nach Entlassung aus derHaft habe der Angeklagte entsprechende Therapieauflagen – sanktionslos – nicht erfüllt. Die Versicherung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, „nunmehr eingesehen (zu haben), dass er Hilfe brauche und bereit sei, aktiv an sich zu arbeiten“, hat das Landgericht als „wenig emotional fundiert und noch nicht von der Einsicht in die Komplexität seiner Problematik getragen“ bewertet, zumal er schon in der Vergangenheit Therapiebereitschaft und Kooperation vorgetäuscht habe. Da jedoch während der Inhaftierung des Angeklagten „eine Unterbrin- gung in der sozialtherapeutischen Abteilung […] möglich“ sei, bestehe „vor dem Hintergrund des jungen Alters des Angeklagten, der durch die Inhaftierung eingetretenen Isolierung von seiner Familie sowie der Tatsache, dass im Rahmen der ersten Inhaftierung bereits Verhaltensänderungen zu beobachten waren, […] die begründete Erwartung einer erfolgreichen Therapie“.
31
Damit hat das Landgericht indes nur denkbare Wirkungen des künftigen Strafvollzugs benannt, die kaum mehr als eine Hoffnung beschreiben. Über die im Ansatz vorhandene allgemeine Unrechtseinsicht und – möglicherweise nur vorgetäuschte – Therapiebereitschaft des Angeklagten hinaus werden konkrete Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug – unbeschadet nicht mitgeteilter Sachverständigenprognose – nicht benannt.
32

d) Nach alledem muss über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden.
33
Die aufgrund der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots in vorliegendem Fall weiterhin (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 17. April 2014 – 3 StR 355/13, NStZ-RR 2014, 207 mwN) vorzunehmende "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" steht der Anordnung der Sicherungsverwahrung hier nicht von vornherein entgegen (vgl. zur Anlasstat gemäß § 176 Abs. 1 StGB: BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 – 1 StR 465/12, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 9 mwN).
34
Sofern auch nach erneuter Verhandlung keine konkreten Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug vorliegen sollten, bleibt es der Prüfung nach § 67c StGB vorbehalten, ob der Angeklagte nach Strafverbüßung weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich und daher der Vollzug der Sicherungsverwahrung geboten ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2004 – 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZRR 2011, 172).
35
3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl.
auch BGH, Urteil vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13 mwN, insoweit in NStZ 2013, 707 nicht abgedruckt). Im Übrigen hat die Überprüfung des Strafausspruchs keinen Rechtsfehler ergeben. Appl Schmitt Eschelbach Ott Zeng

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Bundesgerichtshof Urteil, 08. Aug. 2017 - 5 StR 99/17

bei uns veröffentlicht am 08.08.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 99/17 vom 8. August 2017 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:080817U5STR99.17.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. August 2017, a

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Apr. 2016 - 2 StR 478/15

bei uns veröffentlicht am 06.04.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 478/15 vom 6. April 2016 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. ECLI:DE:BGH:2016:060416U2STR478.15.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vo

Referenzen

(1) Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.

(3) Das Gericht kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auch dann zur Bewährung aussetzen, wenn zu erwarten ist, daß der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine exhibitionistischen Handlungen mehr vornehmen wird.

(4) Absatz 3 gilt auch, wenn ein Mann oder eine Frau wegen einer exhibitionistischen Handlung

1.
nach einer anderen Vorschrift, die im Höchstmaß Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht, oder
2.
nach § 174 Absatz 3 Nummer 1 oder § 176a Absatz 1 Nummer 1
bestraft wird.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 90/14
vom
11. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubs u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juni 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. Dezember 2013 wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die insoweit notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen. Die Nebenklägerin trägt ihre Auslagen selbst.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete , zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts planten der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. einen Einbruch in ein Wohnhaus in Kronberg. Sie hatten den Tatort zuvor ausgekundschaftet und unter anderem auch in Erfahrung gebracht, dass die Bewohner tagsüber nicht zu Hause sein sollten. In Umsetzung ihres Tatplans begaben sie sich am 7. Juni 2013 gegen 14.15 Uhr zum Tatort. Sie führten eine Tasche mit Wechselkleidung mit sich; darüber hinaus zwei Strumpfmasken wegen der vor Ort vorhandenen Überwachungskameras sowie eine Rolle Klebeband, um ein Fenster vor dem Einschlagen abkleben zu können. Da sie sicher gehen wollten, dass tatsächlich niemand zu Hause war, klingelte der gesondert Verfolgte B. während sich der Angeklagte vor der Haustür postierte. Es öffnete die Zeugin St. , woraufhin der Angeklagte und B. ihren Tatplan spontan dahin erweiterten, nunmehr unter Überwältigung der Zeugin St. in das Haus einzudringen und nach Wertgegenständen Ausschau zu halten.
3
Der Angeklagte drängte die Zeugin sogleich ins Haus, fesselte sie mit einem im Flur entdeckten Strickschal an Händen und Beinen und warf ihr eine Wolldecke über den Kopf. Sodann begannen beide Täter das Haus nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Die aufgefundene Beute (Schmuck und Bargeld ) verstauten sie in einer am Tatort aufgefundenen Sporttasche. Währenddessen rief die unter Atemnot leidende Zeugin um Hilfe und bat um Wasser. Der Angeklagte reichte ihr eine Tasse Kaffee, die die Zeugin mit ihrer aus der Fesselung befreiten rechten Hand ergriff und gegen eine Fensterscheibe warf. Sie rief nun laut um Hilfe. Der Angeklagte und der hinzukommende B. fesselten die Hände der Zeugin mit am Tatort aufgefundenen Kabelbindern fest auf ihren Rücken und verklebten ihr den Mund mit dem mitgeführten Klebeband. Anschließend setzten beide Täter die Durchsuchung fort und entdeckten weiteres Bargeld, das sie an sich nahmen. Als es an der Haustür klingelte, trugen die Täter die gefesselte Zeugin in den Keller und flüchteten aus dem Haus. Unterwegs entledigten sie sich sowohl der Tasche mit Wechselkleidung als auch der Tasche mit der Beute. Der Angeklagte konnte gegen 17.00 Uhr hinter einer naheliegenden Kleingartenanlage festgenommen werden. Beide Taschen wurden alsbald aufgefunden.
4
Die Zeugin erlitt infolge der strammen Fesselung starke Hämatome und Druckstellen an den Handgelenken. Eine traumatische Affektion verschiedener Nerven riefen Taubheitsgefühle in der rechten Hand und am linken Daumen hervor, die bis heute anhalten.
5
2. Die Kammer hat die Tat wegen der strammen Fesselung der Zeugin als „schweren Raub“ gemäߧ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet und unter Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 3 StGB eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt.

II.


6
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
7
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift keine Beschränkung erklärt und am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der Freiheitsstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falls nach § 250 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt und die Freiheitsstrafe daher unangemessen milde bemessen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 1989 - 3 StR 453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118; Löwe/Rosenberg-Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 10).
8
Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung ist allein der Strafausspruch angefochten und der Schuldspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Allein der Umstand, dass die Revisionsführerin nach Erhebung der allgemeinen Sachrüge einleitend ausgeführt hat, das Landgericht habe die Tat „insbesondere“ rechtsfehlerhaft als minder schweren Fall gewertet, zeigt mangels eines Hinweises auf einen weiteren Rechtsfehler des Urteils kein weitergehendes Angriffsziel der Revision auf. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch nicht angreifen will (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 - 4 StR 296/12 mwN).
9
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist auch rechtswirksam.
10
Voraussetzung für eine wirksame Beschränkung der Revision ist, dass sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 29. Februar 1956 - 2 StR 25/56, BGHSt 10, 100, 101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318 Rn. 6 mwN). Eine Beschränkung ist aber auch dann unwirksam, wenn die Gefahr besteht, dass die nach dem Teilrechtsmittel (stufenweise) entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 366; Beschluss vom 15. Mai 2001 - 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 35 und 38).
11
Die Beschränkung des Rechtsmittels ist nach diesen Grundsätzen wirksam.
12
Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zur Schuld- und Straffrage ergibt, was insbesondere dann der Fall wäre, wenn vom Landgericht strafmildernd gewertete und deshalb von der Revision angegriffene Umstände tatsächlich (auch) den Schuldspruch beträfen. Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft - neben zahlreichen anderen Einwendungen gegen die Vollständigkeit und Gewichtung einzelner Strafzumessungserwägungen - zwar auch eine rechtfehlerhafte Beweiswürdigung im Hinblick auf den von der Strafkammer als strafmildernd gewerteten Umstand, dass die Tatplanerweiterung des Angeklagten und seines Mittäters auf einem spontanen und erst vor Ort gefassten Entschluss beruhte. Die Feststellungen, dass es sich insoweit um eine Spontantat handelte, sind jedoch nicht tatbestandsrelevant. Der Tatvorsatz liegt unabhängig davon vor, wann der Tatentschluss gefasst wurde und zu welchem Zeitpunkt er in welchem Maße vor dem Eindringen der Täter in das Haus konkretisiert war, weshalb der Schuldspruch von dem Revisionsangriff in jedem Fall unberührt bliebe.
13
Bei einer Teilaufhebung wäre hier auch nicht zu befürchten, dass die stufenweise entstehende Gesamtentscheidung unter inneren Widersprüchen litte. Veränderte Feststellungen zum Zeitpunkt des konkreten Tatentschlusses des Angeklagten würden die Gesamtentscheidung lediglich modifizieren und nicht widersprüchlich erscheinen lassen.

III.


14
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
15
1. Die den strafzumessungsrelevanten Feststellungen der Strafkammer zugrunde liegende Beweiswürdigung ist unter Berücksichtigung des revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs frei von Rechtsfehlern.
16
Dies gilt auch im Hinblick auf die Feststellung des Landgerichts, dass der Angeklagte und sein Mittäter zunächst nur einen Einbruchdiebstahl geplant und ihren Tatentschluss erst vor Ort auf die Ausführung eines Raubes erweitert haben, denn das Gericht hat sich auch insoweit seine Überzeugung auf einer ausreichenden objektiven Beweisgrundlage gebildet.
17
Zwar war es zur Überprüfung der Anwesenheit eines Hausbewohners nicht erforderlich, dass sich der Angeklagte beim Klingeln unmittelbar vor der Haustür postierte. Dieses Vorgehen ist aber nicht als derart ungewöhnlich risikoreich zu werten, dass es als gewichtiges Indiz für einen von vornherein geplanten Raub hätte gewertet werden müssen. Denn auch dann, wenn ein Täter nur einen Einbruch plant, kann er auf das unerwartete Öffnen der Tür durch einen Hausbewohner noch mit der unverdächtig erscheinenden Nachfrage nach einer angeblich dort wohnhaften Person reagieren. Für einen zunächst nur geplanten Einbruchdiebstahl sprach ohne Weiteres, dass der Angeklagte und sein Mittäter ausschließlich für einen Einbruch nützliche Gegenstände mit sich führten und demgegenüber keine Vorsorge für die Fesselung bzw. Ruhigstellung eines anwesenden Hausbewohners getroffen hatten. Zur Fesselung der Zeugin St. wurde ein vor Ort aufgefundener Schal verwendet. Nachdem sich diese Fesselung bereits nach kurzer Zeit als unzureichend erwiesen hatte, mussten der Angeklagte und sein Mittäter zunächst nach anderen Mitteln zur Fesselung suchen. Auch auf die Idee, das mitgeführte Klebeband zur Fesselung zu nutzen , kamen sie nicht.
18
2. Der Strafausspruch hält auch im Übrigen sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Rechtsfehler bei der Wahl des Strafrahmens zeigt auch die Revision nicht auf. Das Landgericht hat die erforderliche Gesamtschau vorgenommen und dabei alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. In Anbetracht der zahlreichen strafmildernden Umstände (umfassendes Geständnis, junges Alter des Angeklagten, Unbestraftheit, Erstverbüßer, spontane Tatplanerweiterung, gewisser Dilettantismus und wenig vorausschauende Planung der Tat) ist daher die Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 3 StGB aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, auch wenn eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre.
19
3. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft nicht ergeben (§ 301 StPO).
Fischer Krehl Eschelbach
Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 331/11
vom
24. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenkläger-Vertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 19. Januar 2011 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die sie auf die Nichtanordnung der Maßregel beschränkt hat.
2
Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


3
Nach den Feststellungen sprach das Amtsgericht Ueckermünde den Angeklagten mit Urteil vom 12. Mai 2004 des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig und setzte die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung aus. Der Angeklagte hatte im Dezember 2002 ein ihm unbekanntes sechsjähriges Mädchen dazu veranlasst, sich auszuziehen und nackt mit dem Rücken auf ein Sofa zu legen. Anschließend hatte sich der bis auf einen Pullover entkleidete Angeklagte mit dem Bauch auf den Körper des Kindes gelegt. Als das Mädchen begonnen hatte zu weinen, hatte der Angeklagte ihm zunächst den Mund mit einer Hand zugehalten, dann aber aus Mitleid von ihm abgelassen. Am 20. Juli 2006 verurteilte das Amtsgericht Pasewalk den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Ueckermünde vom 12. Mai 2004 zu der Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte Ende 2005/Anfang 2006 einem zwölf Jahre alten Jungen die Hosen heruntergezogen und ihn durch Festhalten mit den Händen dazu gezwungen hatte zu erdulden, dass der Angeklagte an dem Geschlechtsteil des Jungen manipuliert, und es schließlich auch in den Mund genommen hatte. Die Jugendstrafe verbüßte der Angeklagte vollständig bis zum 1. August 2008. Anschließend unterlag er der Führungsaufsicht , in deren Rahmen ihm u.a. die Weisung erteilt wurde, keinerlei Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen.
4
Bei der im vorliegenden Verfahren abgeurteilten, am 16. August 2010 begangenen Tat sprach der Angeklagte einen ihm unbekannten neunjährigen Jungen auf der Straße an, lockte ihn unter einem Vorwand in seine Wohnung und veranlasste ihn, sich zu entkleiden. Dem nackt auf einer Couch liegenden Kind führte der Angeklagte, der sich selbst Hose und Unterhose ausgezogen hatte, einen Plastikschlauch in den Anus bis zum Rektum ein und ließ anschließend Wasser über den Schlauch in den Darm des Kindes laufen. Das Einführen des Plastikschlauchs führte - vom Angeklagten billigend in Kauf genommen - zu Einrissen im Anus sowie zu Verletzungen der Anal- und Rektumschleimhaut.
5
Eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht abgelehnt, weil es die formellen Voraussetzungen für die Anordnung dieser Maßregel als nicht erfüllt angesehen hat.

II.


6
Die wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel beschränkte Revision ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F. zu Recht verneint.
7
1. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel wirksam auf die Frage der Sicherungsverwahrung beschränkt. Zwischen dem Strafausspruch und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht grundsätzlich keine der Rechtsmittelbeschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09; vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213). Ein Ausnahmefall, in welchem auf Grund des Inhalts der Urteilsgründe ein innerer Zusammenhang zwischen Strafe und Nichtanordnung der Maßregel nicht auszuschließen ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281), liegt nicht vor.
8
2. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach der Bestimmung des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F., die bei vor dem 1. Januar 2011 begangenen Anlasstaten nach Maßgabe der Übergangsvorschrift des Art. 316e Abs. 1 und 2 EGStGB sowie der vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 (NJW 2011, 1931, Rn. 172) getroffenen Fortgeltungsanordnung weiterhin Anwendung findet, setzt in formeller Hinsicht voraus, dass der Täter zwei Katalogtaten im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB a.F. begangen hat, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat, und er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird. Verwirkt ist bei einer bereits abgeurteilten Tat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, aaO) die tatsächlich verhängte Strafe (vgl. Rissing-van Saan/Peglau in LK, 12. Aufl., § 66 Rn. 85, und Fischer, StGB, 58. Aufl., § 66 Rn. 12, jew. zu § 66 Abs. 2 StGB). Bei einer einheitlichen Jugendstrafe nach § 31 JGG gelten die gleichen Grundsätze, wie sie die Rechtsprechung für den Anwendungsbereich des § 66 Abs. 1 StGB entwickelt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2010 – 5 StR 104/10, NStZ-RR 2011, 170; vom 28. Februar 2007 – 2 StR 28/07, NStZ-RR 2007, 171; vom 23. August 2001 – 3 StR 261/01, NStZ 2002, 29; Urteil vom 27. Mai 1975 – 5 StR 115/75, BGHSt 26, 152). Danach erfüllt eine Einheitsjugendstrafe die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F. nur dann, wenn zu erkennen ist, dass gegen den Täter wenigstens bei einer ihr zugrunde liegenden Katalogtat eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verhängt worden wäre, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre. Dies festzustellen, ist eine im Wesentlichen tatrichterliche Aufgabe , die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Davon, dass im Falle gesonderter Aburteilung der Katalogtat auf eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden wäre, darf nur ausgegangen werden, wenn der Tatrichter Feststellungen darüber treffen kann, wie der Rich- ter des Vorverfahrens die einzelnen der Vorverurteilung zu Grunde liegenden Taten bewertet hat. Er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen (BGH, Beschluss vom 23. August 2001 – 3 StR 261/01, aaO). Als Grundlage für die erforderlichen Feststellungen zu der Bewertung der Katalogtat im früheren Verfahren kommen in erster Linie die jugendgerichtlichen Strafzumessungserwägungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. August 1996 – 2 StR 337/96, StV 1998, 343; vom 29. Oktober 1990 – 5 StR 251/90, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 6), daneben aber auch die Höhe der Einheitsjugendstrafen in der Vorverurteilung und möglicherweise einbezogenen Urteilen sowie Zahl und Art der abgeurteilten Taten in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 1999 – 3 StR 209/99, NJW 1999, 3723, 3724; vom 13. Juni 1978 – 1 StR 167/78; vom 27. Mai 1975 – 5 StR 115/75, aaO 155).
9
Diesen rechtlichen Maßstab hat das Landgericht beachtet. Es hat die Strafzumessungserwägungen aus dem Urteil des Amtsgerichts Pasewalk und die zu den beiden abgeurteilten Katalogtaten jeweils getroffenen Sachverhaltsfeststellungen im Einzelnen mitgeteilt und sich auf dieser Grundlage außer Stande gesehen festzustellen, dass für die Ende 2005/Anfang 2006 begangene Tat bei gesonderter Aburteilung eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verhängt worden wäre. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts Pasewalk befassen sich maßgeblich mit erzieherischen Gesichtspunkten und enthalten keine Ausführungen zur Bewertung der einzelnen Taten oder zu deren Gewichtung im Verhältnis zueinander. Auch die jeweiligen Tatgeschehen und ihre rechtliche Würdigung lassen keinen tragfähigen Schluss dahin zu, dass allein für die zuletzt begangene Tat auf eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden wäre. Auf die weiteren Erwägungen der Strafkammer zu den vom damaligen Tatrichter mit der Anwendung von Jugendstrafrecht verfolgten Intentionen kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an. Da es maßgeblich auf die tatsächlich verhängte Strafe ankommt, ist es schließlich auch ohne Bedeutung, dass die Ahndung der dem Urteil des Amtsgerichts Pasewalk zugrunde liegenden Tat zu Unrecht nach Jugendstrafrecht erfolgte und der Tatrichter bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht von der Strafandrohung des § 176a Abs. 2 und 4 StGB hätte ausgehen müssen.
10
Da aus den dargelegten Gründen auch nicht festgestellt werden kann, dass für beide Vortaten bei isolierter Aburteilung jeweils Jugendstrafen von mindestens einem Jahr verhängt worden wären, liegen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB a.F. ebenfalls nicht vor.

III.


11
Bleibt die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos, hat der Nebenkläger seine im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen selbst zu tragen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2004 – 2 StR 149/04, bei Becker, NStZ-RR 2006, 65, 67; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 90).
Ernemann Roggenbuck Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 466/10
vom
3. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Februar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und ihn verurteilt, an die Adhäsionsklägerinnen Schmerzensgeld nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, mit der Sachrüge begründeten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft namentlich gegen die vom Landgericht abgelehnte Anordnung der Sicherungsverwahrung.
2
Eine Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung , die sich daraus ergeben könnte, dass die Revisionsbegründung nur dazu Ausführungen enthält (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 344 Rn. 6), wäre unwirksam. Denn zwischen den ausgesprochenen Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe einerseits und der Maßregel der Sicherungsverwahrung andererseits besteht im vorliegenden Fall ein nicht ausschließbarer untrennbarer Zusammenhang, weil das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung auch mit Blick auf die zu verbüßende lange Freiheitsstrafe abgesehen hat (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 318 Rn. 26).
3
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und - insoweit nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - des gesamten Strafausspruchs.
4
1. Nach den Feststellungen zur Person ist der 68 Jahre alte Angeklagte mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft.
5
a) Mit Urteil vom 20. Dezember 1993 verurteilte ihn das Landgericht Hannover wegen fortgesetzten sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er im Zeitraum 1981 bis 1986 in einer Vielzahl von Fällen seine zu den Tatzeitpunkten zwischen acht und 13 Jahre alte Tochter an der Scheide berührt sowie einen Finger in ihre Scheide eingeführt, im Frühjahr 1991 vier zwischen fünf und neun Jahre alte Mädchen an der Scheide und am Rücken gestreichelt und im Zeitraum von Sommer 1992 bis 17. Juni 1993 ein acht Jahre altes Mädchen im Scheidenbereich gestreichelt und geküsst hatte. Am 30. Juni 1995 wurde er unter Aussetzung eines Strafrestes von 360 Tagen zur Bewährung aus der Strafhaft entlassen.
6
b) Am 16. März 1999 sprach das Landgericht Hannover den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 30 Fällen schuldig und verhängte gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Dezember 1997 ein sechs Jahre altes Mädchen am ganzen Körper gewaschen, sein erigiertes Glied zwischen dessen Schenkel gesteckt und es veranlasst, sein Glied anzufassen. Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wurde er am 13. August 2002 aus der Strafhaft entlassen.
7
2. Nach den zur Sache getroffenen Feststellungen berührte der Angeklagte zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum vom 16. September 2002 bis zum 31. Dezember 2006 in seiner Wohnung in H. die am 12. Mai 1995 geborene S. mindestens bei fünf Gelegenheiten an der Scheide und leckte sie in einem weiteren Fall an der Scheide (Fälle 1 bis 6 der Urteilsgründe). Außerdem küsste er die am 7. Mai 2001 geborene E. bei zwei Gelegenheiten in den Sommerferien 2008 in seinem auf einem Campingplatz in C. abgestellten Wohnmobil im Scheidenbereich (Fälle 7 und 8 der Urteilsgründe).
8
3. Das Landgericht hat jeweils minder schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern wegen der einschlägigen Vorstrafen, der Verbüßung von Freiheitsstrafen in der Gesamthöhe von sechs Jahren und sechs Monaten, dem langen Tatzeitraum, der Anzahl der Fälle, der Tatmodalitäten sowie der psychischen Tatfolgen für die Geschädigten abgelehnt, ist vom Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB ausgegangen und hat aus fünf Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten (Fälle 1 bis 5 der Urteilsgründe) und drei Einzelstrafen von einem Jahr und zehn Monaten (Fälle 6 bis 8 der Urteilsgründe) eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt. Von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
9
Sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB für die Anordnung von Sicherungsverwahrung lägen vor. In Übereinstimmung mit den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Dr. P. sei ein Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bejahen. Diagnostisch sei bei ihm eine Pädophilie mit einer Orientierung auf präpubertäre Mädchen gegeben. Es fehle bei ihm an einer intensiven Auseinandersetzung mit seinen Straftaten. Die Hartnäckigkeit seiner Delinquenz stehe in einem engen Zusammenhang mit seinen narzisstischen , hochgradig egozentrischen sowie zwanghaften Persönlichkeitszügen, seiner fehlenden Selbstkritik, einem ausgeprägten Empathiemangel, seinem erheblichen manipulativen Geschick sowie einer verzerrten Realitätserfahrung. Diese Besonderheiten der Persönlichkeit erschwerten eine nachhaltige Veränderung. Ein sozialer Raum, der ihn nach Entlassung aus der Strafhaft von gleichartigen Straftaten abhalten könnte, sei nicht gegeben. Da der Angeklagte eine hohe persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zeige, seine auf präpubertäre Mädchen ausgerichteten erotisch-sexuellen Interessen auszuleben, seien von ihm in der Zukunft gleichartige und erhebliche Straftaten durch gewaltfreies, manipulatives Verhalten innerhalb zuvor aufgebauter Beziehungen zu erwarten, sodass er für die Allgemeinheit gefährlich sei. Eine durchgeführte Prostataoperation und das fortgeschrittene Alter könnten bei ihm nicht als wesentlich die Rückfallgefahr mindernde Umstände gewertet werden.
10
Die nach § 66 Abs. 2 StGB zu treffende Ermessensentscheidung führe jedoch im Ergebnis dazu, dass die Sicherungsverwahrung nicht anzuordnen sei. Es sei zu erwarten, dass sich der Angeklagte, der über eine gut durch- schnittliche Intelligenz verfüge, die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe hinreichend zur Warnung dienen lasse. Er habe seine Bereitschaft zur Durchführung einer längerfristigen Gruppentherapie erklärt und erkannt, dass er bei einer weiteren vergleichbaren Tat eine Freiheitsstrafe zu erwarten habe, die ihn wegen seines fortgeschrittenen Alters für den Rest seines Lebens in Strafhaft bringe, und er zudem mit der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechnen müsse, um deren Nichtverhängung er gekämpft und die er nur knapp vermieden habe. Vor diesem Hintergrund werde der Umstand relativiert, dass er bereits zwei Tatkomplexe mit nachfolgender mehrjähriger Strafhaft unbeeindruckt überstanden habe. Hinzu komme, dass ihn die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen seines fortgeschrittenen Alters erheblich schwerer und länger treffen werde als die bisher verbüßten Strafen. Deshalb sei vom Beginn einer Änderung seines Bewusstseins und von einer ersten Bewegung in seiner bisher starren Haltung auszugehen, die sein weiteres Verhalten bestimmen werden. Die erklärte Therapiebereitschaft sei nicht als "prozesstaktisches Verhalten" zu werten, sondern als ein Bemühen, sich mit der Neigung zum Kindesmissbrauch kritisch auseinander zu setzen. Auch die Entschuldigung in der Hauptverhandlung und das Anerkenntnis der Schmerzensgeldforderungen belegten die erforderliche substantielle Änderung in der Lebenseinstellung. Bei der Ermessensausübung sei auch zu berücksichtigen, dass die Anlasstaten nicht von hoher Intensität seien und nach Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, wodurch eine weitergehende intensive Kontrolle und Betreuung mit dem Ziel der Risikovermeidung erreicht werden könne.
11
4. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat, weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
12
a) Gemäß Artikel 316e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 EGStGB sind für die Entscheidung die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung anzuwenden.
13
b) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt zugänglich (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1; BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, NStZ 1999, 473, 474), um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen.
14
Für die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist und deshalb die Anordnung von Sicherungsverwahrung geboten erscheint, kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Urteilserlasses an. Eine noch ungewisse Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug bleibt bei der Prognose außer Betracht; ihr wird erst am Ende des Vollzugs im Rahmen der Prüfung gemäß § 67c Abs. 1 StGB Rechnung getragen. Das Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 und 3 StGB eingeräumten Ermessens nur dann in Betracht, wenn erwartet werden kann, der Täter werde sich die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs hinreichend zur Warnung dienen lassen, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Dabei darf der Tatrichter im Rahmen der Ermessensentscheidung auch die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen berücksichtigen (BGH, Urteil vom 20. Juli 1988 - 2 StR 348/88, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3; BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6; BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 1 StR 232/01, NStZ 2002, 30, 31). Der Erwartung müssen aber stets konkrete Anhaltspunkte und hinreichende Gründe zugrunde liegen. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 13. März 2007 - 5 StR 499/06, NStZ 2007, 401).
15
c) Gemessen an diesen Maßstäben hält die Ablehnung der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
16
Eine Erwartung, der langjährige Freiheitsentzug und das hohe Lebensalter des Angeklagten würden die erforderliche substantielle Änderung in seiner Lebenseinstellung und Lebensführung bewirken, findet in den Feststellungen keine Grundlage. Die Strafkammer hat lediglich die denkbare Möglichkeit einer Haltungsänderung zum Ausdruck gebracht, jedoch nicht belegt, dass eine solche zu erwarten ist, indem sie von deren Beginn und einer ersten Bewegung spricht und in Übereinstimmung mit der Sachverständigen lediglich nicht aus- schließt, dass es zu einer Umorientierung des Angeklagten kommen könne, falls er sich einer sozialtherapeutischen Gruppentherapie unterziehe, diese zu Ende führe und im Anschluss an eine solche Therapie weitere stabilisierende Faktoren hinzukämen. Sie selbst geht - der Sachverständigen folgend - davon aus, dass erst am Ende einer erfolgreichen therapeutischen Behandlung das dann noch bestehende Rückfallrisiko beurteilt werden könne, nachdem der Angeklagte so lange an seinem Lebensstil festgehalten habe und die Besonderheiten seiner Persönlichkeit mit einer narzisstischen und zwanghaften Akzentuierung den sozialtherapeutischen Zugang erschwere und ihm den Weg zu einer nachhaltigen Veränderung verstelle. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht den Beginn einer Verhaltensänderung mit deren erwartbaren Erfolg gleichgesetzt hat.
17
5. Die gebotene Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Sicherungsverwahrung anzuordnen, führt - allerdings nur zu Gunsten des Angeklagten - auch zur Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Im Hinblick auf die Erwägungen im Urteil zu den möglichen Auswirkungen eines langfristigen Strafvollzugs auf das zukünftige Verhalten des Angeklagten vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Strafen niedriger ausgefallen wären, wenn zugleich die Sicherungsverwahrung angeordnet worden wäre (BGH, Urteil vom 8. September 1987 - 1 StR 393/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1; BGH, Urteil vom 31. Mai 1988 - 1 StR 182/88, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 2).
18
6. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
19
Bei der Ermessensausübung im Rahmen des § 66 Abs. 2 StGB sind vor allem die Persönlichkeit des Angeklagten, seine einschlägigen Vorstrafen und die Rückfallgeschwindigkeit in den Blick zu nehmen. Zwar ist es bei einem Mehrfachtäter nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, trotz Vorliegen eines Hanges zum sexuellen Missbrauch von Kindern und einer daraus resultierenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen. Angesichts der Feststellung, der Angeklagte habe die Anlasstaten nach zwei einschlägigen Verurteilungen und der Verbüßung von insgesamt sechs Jahren und sechs Monaten Strafhaft begangen, sowie des Umstandes, dass die sechs Straftaten zum Nachteil der Geschädigten S. auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlich als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 1 (§ 176a Abs. 1 Nr. 4 aF) StGB zu würdigen gewesen wären mit der Folge einer höheren Strafandrohung , müssen Anhaltspunkte von Gewicht für eine Haltungsänderung vorliegen. Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 148/13
vom
11. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. Z. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 21. Dezember 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen richtet sich die zunächst auf den Rechtsfolgenausspruch und sodann auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
1. Die Beschränkung der Revision auf das Unterlassen der Maßregelanordnung ist unwirksam. Das Landgericht hat den Angeklagten maßgeblich deswegen nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht, weil aufgrund der Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs bei dem Angeklagten eine Haltungsänderung erwartet werden könne. Damit hat es Strafhöhe und Maßregelanordnung in einen inneren Zusammenhang gesetzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 2).
3
2. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
4
Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB bejaht. Dem Sachverständigen folgend hat es außerdem einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten und dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung vom 22. Oktober 2010 festgestellt, der jedenfalls im Hinblick auf die Tat vom 22. September 2011 gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB in Verbindung mit der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) hier Anwendung findet. Dennoch hat es in Ausübung des ihm durch § 66 Abs. 2 StGB eingeräumten Ermessens davon abgesehen, den Angeklagten in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, weil eine Haltungsänderung des Angeklagten während der Dauer des Strafvollzugs zu erwarten sei. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge seines Hanges zur Begehung schwerer Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, richtet sich nach der Sachlage im Zeitpunkt der Aburteilung. Dies ist in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB für die Fälle der obligatorischen Verhängung der Sicherungsverwahrung nunmehr ausdrücklich geregelt. Ob der Angeklagte nach Strafverbüßung weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich und daher der Vollzug der Sicherungsverwahrung geboten ist, bleibt der Prüfung nach § 67c StGB vorbehalten (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2004 – 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
6
Soweit indes allein die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder 3 StGB in Betracht kommt, ist es dem Tatrichter grundsätzlich gestattet , bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Bestimmungen Rechnung getragen, die in den Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB – im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift – eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Angeklagten nicht voraussetzen. Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 – 1 StR 140/04, NStZ 2005, 211, 212; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, NStZ-RR 2011, 78; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
7
b) Nach diesen Maßstäben leidet die Entscheidung des Landgerichts, den Angeklagten nicht in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, an durchgreifenden Ermessensfehlern.
8
Sie stützt sich zunächst darauf, dass der Angeklagte während der Untersuchungshaft therapeutische Gespräche geführt habe, in deren Rahmen er eine gewisse "Opferempathie" habe erkennen lassen, die Therapeutin bei den Gesprächen das Gefühl gehabt habe, er bedauere die Sexualstraftaten, und er seine Bereitschaft zu einer Sozialtherapie geäußert habe. Auf dieser Grundlage ist der psychiatrische Sachverständige zu der – vom Landgericht geteilten – Einschätzung gelangt, dass sich die Prognose verbessert habe, weil sich durch eine Sozialtherapie die kognitiven Verzerrungen des Angeklagten verändern könnten und durch den Strafvollzug eine Haltungsänderung hinsichtlich seiner weiterhin grundsätzlich vorhandenen Bereitschaft, sich "sowohl Materielles als auch Nichtmaterielles zu nehmen", bewirkt werden könnte. Damit werden indes nur denkbare Wirkungen des künftigen Strafvollzugs benannt, die kaum mehr als eine Hoffnung beschreiben. Über die im Ansatz vorhandene allgemeine Unrechtseinsicht und Therapiebereitschaft des Angeklagten hinaus werden konkrete Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug nicht benannt.
9
Soweit das Landgericht ergänzend darauf abhebt, es sei nach Ansicht des Sachverständigen auch nicht zu erwarten, dass der Angeklagte nach seiner Haftentlassung noch einmal in eine vergleichbare Lebenssituation gerate wie zu den Tatzeiten (UA S. 54), steht dies zudem in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den sonstigen gutachterlichen Ausführungen. Danach habe sich der Angeklagte "in der Vergangenheit immer wieder Frauen mit Kindern gesucht oder habe mit seinen Lebenspartnerinnen Kinder gezeugt. Der Angeklagte könne nach seiner Entlassung aus der Haft wieder ähnliche Situationen konstituieren" (UA S. 53).
10
Nach alledem muss über die Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden; denn die aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots in vorliegendem Fall weiterhin (BGH, Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12; Urteil vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13) vorzunehmende "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" steht der Anordnung der Sicherungsverwahrung hier nicht von vornherein entgegen.
11
3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StGB) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2008 – 5 StR 101/08, juris Rn. 23; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, juris Rn. 14; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 17).
12
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: § 51 BZRG enthält ein umfassendes Verwertungsverbot für getilgte oder tilgungsreife Eintragungen, das auch bei der Prüfung von Maßregeln der Besserung und Sicherung zu beachten ist. Eine Verwertung derartiger Voreintragungen kann auch nicht auf § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gestützt werden. Diese Bestimmung lässt eine Berücksichtigung früherer Taten nur für die Beurteilung des Geisteszustandes des Betroffenen zu, nicht aber zur Begründung einer (nicht krankheitsbedingten ) Gefährlichkeitsprognose (BGH, Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 247/12, NStZ-RR 2013, 84).
Becker Hubert RiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Spaniol

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 439/09
vom
12. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Januar 2010 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 15. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB angeordnet. Dagegen richtet sich die Revision des Verurteilten mit einer Verfahrensbeanstandung sowie der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
Gegen den Verurteilten wurde bereits im Alter von 19 Jahren wegen mehrerer Brandstiftungsdelikte eine Jugendstrafe von unbestimmter Dauer ver- hängt. Den Taten ging jeweils eine situationsgebundene Verärgerung voraus, die der Verurteilte nicht bewältigen konnte und die sich deshalb in der Brandlegung entlud. Nach seiner Entlassung aus einem neunmonatigen Freiheitsentzug lernte der Verurteilte R. kennen, die er Ende 1982 heiratete. Am 20. Februar 1984 erdrosselte er seine Frau, nachdem es in der Ehe zunehmend zu Streitigkeiten gekommen war. Er wurde deshalb am 26. September 1984 vom Landgericht Hildesheim wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, die er bis zur Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung im Februar 1989 teilweise verbüßte. Im Sommer 1990 lernte der Verurteilte die damals 19jährige V. kennen und heiratete sie wenige Monate später. Die Eheleute lebten mit dem Sohn B. aus einer früheren Verbindung von Frau V. und der gemeinsamen Tochter Va. zunächst ohne Auffälligkeiten zusammen. Ab März 1992 kam es indes auch in dieser Ehe zu einer krisenhaften Entwicklung, in deren Verlauf die Ehefrau Trennungsabsichten äußerte, sich mit der Ehe unzufrieden zeigte und häufig an dem Verurteilten "herumnörgelte". In der Nacht zum 21. Mai 1993 tötete dieser seine Ehefrau sowie seinen Stiefsohn. Er wurde deshalb am 26. Januar 1994 vom Landgericht Hannover wegen Totschlags in zwei Fällen (Einzelstrafen von elf und zwölf Jahren) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt. Das Schwurgericht ging in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen von nicht erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit aus und stellte fest, der Verurteilte "sei leicht kränkbar, unausgewogen in Durchsetzungsfähigkeit und Passivität, ein auf die eigene Geltung bedachter Mensch mit einem ausgeprägten Bedarf an Anerkennung und Neigung zu impulsiv unbedachten Verhaltensmustern"; bei ihm "bestehe ein hohes Risiko für weitere brutale Gewaltentfaltung gegenüber Menschen, die eine Partnerbeziehung zu ihm eingingen"; er habe "sich mit dem Risiko, das von seiner Person ausgehe, nicht auseinandergesetzt". Die Gesamtfreiheitsstrafe begründete das Landgericht auch damit, dass der Verurteilte "für künftige Partner eine erhebliche Gefahr" darstelle. Im Anschluss daran führte es aus: "Die Anordnung von Sicherungsverwahrung kommt nicht in Betracht, weil die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB - zweimal Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder Begehung von drei vorsätzlichen Straftaten (§ 66 Abs. 2 StGB) - nicht vorliegen."
4
Der Verurteilte verbüßte die Strafe aus dem Urteil vom 26. Januar 1994 bis zum 29. Mai 2008 vollständig. Seither wird die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hildesheim vollstreckt. Das Strafende ist für den 26. November 2010 notiert. Die Staatsanwaltschaft hat am 8. April 2008 den Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gestellt.
5
2. Das Landgericht ist nunmehr sachverständig beraten zu der Überzeugung gelangt, dass der Verurteilte aufgrund eines Hanges zu erheblichen Straftaten mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in § 66 b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StGB vorausgesetzten Art begehen werde. Es hat die nachträgliche Sicherungsverwahrung auf § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB gestützt. Dies ergibt sich daraus, dass es darlegt, zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung im Januar 1994 hätten "die formellen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsverwahrung" nicht vorgelegen, "so dass die Anordnung aus rechtlichen Gründen nicht" habe "erfolgen" können. Folgerichtig enthält das Urteil keine Feststellungen zu etwaigen nach der Anlassverurteilung erkennbar gewordenen, neuen Tatsachen im Sinne von § 66 b Abs. 1 Satz 1 StGB. Vielmehr führt das Landgericht aus, dass die schon 1994 bekannte Gefährlichkeit des Angeklagten andauere.
6
3. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
a) Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung setzt regelmäßig voraus, dass nach einer Verurteilung wegen einer bestimmten Anlasstat und vor dem Ende des Strafvollzugs Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen (§ 66 b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StGB). Diese "erkennbar werdenden" Tatsachen - in Literatur und Rechtsprechung durchweg als "neue" Tatsachen bezeichnet - sind insoweit zwingende gesetzliche Voraussetzung für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung; in ihnen muss sich auch die hangbedingte Gefährlichkeit des Verurteilten widerspiegeln (vgl. BGHSt 50, 275, 279).
8
An die Annahme neuer Tatsachen sind, zumal die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung den Bestand eines rechtskräftigen Urteils tangiert und nach dem Willen des Gesetzgebers auf seltene Einzelfälle beschränkt sein soll (BGHSt 50, 275, 278 m. w. N.; BVerfG StV 2006, 574, 575; NJW 2009 980, 982), strenge Anforderungen zu stellen. Es kommen nur solche Umstände in Betracht, die entweder erst nach der Anlassverurteilung entstanden sind oder vom Richter des Ausgangsverfahrens nicht erkannt werden konnten. Allein die neue Bewertung bereits zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung bekannter Tatsachen genügt nicht (BGHSt 50, 180, 188; 50, 275, 278; 50, 373, 379; BGH NJW 2006, 3154, 3155). Nur so ist sichergestellt, dass durch die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden im Ausgangsverfahren zu Lasten des Verurteilten im Nachhinein korrigiert werden (BGHSt 50, 121, 126; 50, 284, 297; BVerfG StV 2006, 574, 576).
9
b) Nur ausnahmsweise sind neue Tatsachen nicht erforderlich: War im Zeitpunkt der Anlassverurteilung die Anordnung der Sicherungsverwahrung aus rechtlichen Gründen nicht möglich, so kann die Gefährlichkeit auch aus tatsächlichen Umständen abgeleitet werden, die zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung bereits erkennbar waren (§ 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB, eingefügt durch das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht vom 13. April 2007 - BGBl I 513).
10
Die Voraussetzungen für diese Ausnahmeregelung liegen hier jedoch nicht vor. Vielmehr hätte das Landgericht in seinem Urteil vom 26. Januar 1994 gegen den Verurteilten Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB anordnen können.
11
aa) Nach § 66 Abs. 2 StGB ist die Verhängung von Sicherungsverwahrung möglich, wenn der Angeklagte drei vorsätzliche Straftaten begangen hat, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wenn er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird und darüber hinaus die Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB (hangbedingte Gefährlichkeit) gegeben sind.
12
Diese drei vorsätzlichen Taten müssen nicht gemeinsam in der Entscheidung abgeurteilt werden, in welcher die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB angeordnet wird. Vielmehr können eine oder zwei von ihnen schon vorher rechtskräftig abgeurteilt sein (st. Rspr.; RGSt 68, 330, 331; BGHSt 1, 313, 317; BGH NJW 1964, 115; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Gefährlichkeit 1). Diese Rechtsprechung ist seit jeher dem Standardkommentar zum Strafgesetzbuch zu entnehmen (Fischer, StGB 57. Aufl. (2010) § 66 Rdn. 12; so schon Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. (1999) § 66 Rdn. 9; Dreher/Tröndle, StGB 42. Aufl. (1985) § 66 Rdn. 9). Soweit dort § 66 Abs. 2 StGB als "in erster Linie für unentdeckt gebliebene gefährliche Serientäter gedachte" Vorschrift bezeichnet wird (Fischer, StGB 57. Aufl. (2010) § 66 Rdn. 11; so schon Trönd- le/Fischer, StGB 49. Aufl. (1999) § 66 Rdn. 7; Dreher/Tröndle, StGB 42. Aufl. (1985) § 66 Rdn. 7), kann dies zu Missverständnissen keinen Anlass geben.
13
bb) Entgegen der - sowohl bei der Anlassverurteilung als auch bei der verfahrensgegenständlichen Entscheidung vertretenen - Ansicht des Landgerichts waren danach die formellen Voraussetzungen für die Verhängung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB bereits im Zeitpunkt des Urteils vom 26. Januar 1994 gegeben, da der Angeklagte wegen insgesamt drei Vorsatztaten , für die er Strafen von sieben Jahren und sechs Monaten, von elf und von zwölf Jahren verwirkt hatte, zu Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt wurde.
14
c) Die deshalb für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten notwendigen neuen Tatsachen hat das Landgericht nicht festgestellt. Die Maßregel hat daher keinen Bestand. Der Senat schließt angesichts der Darlegungen im angefochtenen Urteil aus, dass in einer neuen Verhandlung noch Tatsachen festgestellt werden könnten, die für die Gefährlichkeitsprognose des Verurteilten bedeutsam, aber erst nach der Anlassverurteilung erkennbar geworden sind. Er entscheidet daher selbst, dass die Maßregelanordnung entfällt.
15
4. Der Senat sieht Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:
16
a) Da die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB nicht vorliegen , muss der Senat nicht entscheiden, ob das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (AZ 19359/04) Anlass gibt, an der Vereinbarkeit der Ausnahmevorschrift des § 66 b Abs. 1 Satz 2 StGB mit dem Grundgesetz oder der Europäischen Menschenrechtskonvention zu zweifeln.
17
b) Eine an die derzeitige Verbüßung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hildesheim anknüpfende Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung kommt nicht in Betracht. Zwar waren bei Erlass dieses Urteils die sich aus der späteren Tötung zweier weiterer Menschen ergebenden , gefährlichkeitsbegründenden Tatsachen noch nicht erkennbar, so dass insoweit Nova angenommen werden könnten. Die nachträgliche Maßregelverhängung würde hier indes an dem Vorrang des zwischenzeitlich durchgeführten Erkenntnisverfahrens vor dem Landgericht Hannover (vgl. BGHSt 50, 373; BGH NStZ 2008, 332) scheitern. Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.

(2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. § 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.

(3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 148/13
vom
11. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. Z. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 21. Dezember 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen richtet sich die zunächst auf den Rechtsfolgenausspruch und sodann auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
1. Die Beschränkung der Revision auf das Unterlassen der Maßregelanordnung ist unwirksam. Das Landgericht hat den Angeklagten maßgeblich deswegen nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht, weil aufgrund der Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs bei dem Angeklagten eine Haltungsänderung erwartet werden könne. Damit hat es Strafhöhe und Maßregelanordnung in einen inneren Zusammenhang gesetzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 2).
3
2. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
4
Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB bejaht. Dem Sachverständigen folgend hat es außerdem einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten und dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung vom 22. Oktober 2010 festgestellt, der jedenfalls im Hinblick auf die Tat vom 22. September 2011 gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB in Verbindung mit der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) hier Anwendung findet. Dennoch hat es in Ausübung des ihm durch § 66 Abs. 2 StGB eingeräumten Ermessens davon abgesehen, den Angeklagten in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, weil eine Haltungsänderung des Angeklagten während der Dauer des Strafvollzugs zu erwarten sei. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge seines Hanges zur Begehung schwerer Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, richtet sich nach der Sachlage im Zeitpunkt der Aburteilung. Dies ist in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB für die Fälle der obligatorischen Verhängung der Sicherungsverwahrung nunmehr ausdrücklich geregelt. Ob der Angeklagte nach Strafverbüßung weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich und daher der Vollzug der Sicherungsverwahrung geboten ist, bleibt der Prüfung nach § 67c StGB vorbehalten (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2004 – 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
6
Soweit indes allein die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder 3 StGB in Betracht kommt, ist es dem Tatrichter grundsätzlich gestattet , bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Bestimmungen Rechnung getragen, die in den Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB – im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift – eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Angeklagten nicht voraussetzen. Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 – 1 StR 140/04, NStZ 2005, 211, 212; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, NStZ-RR 2011, 78; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
7
b) Nach diesen Maßstäben leidet die Entscheidung des Landgerichts, den Angeklagten nicht in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, an durchgreifenden Ermessensfehlern.
8
Sie stützt sich zunächst darauf, dass der Angeklagte während der Untersuchungshaft therapeutische Gespräche geführt habe, in deren Rahmen er eine gewisse "Opferempathie" habe erkennen lassen, die Therapeutin bei den Gesprächen das Gefühl gehabt habe, er bedauere die Sexualstraftaten, und er seine Bereitschaft zu einer Sozialtherapie geäußert habe. Auf dieser Grundlage ist der psychiatrische Sachverständige zu der – vom Landgericht geteilten – Einschätzung gelangt, dass sich die Prognose verbessert habe, weil sich durch eine Sozialtherapie die kognitiven Verzerrungen des Angeklagten verändern könnten und durch den Strafvollzug eine Haltungsänderung hinsichtlich seiner weiterhin grundsätzlich vorhandenen Bereitschaft, sich "sowohl Materielles als auch Nichtmaterielles zu nehmen", bewirkt werden könnte. Damit werden indes nur denkbare Wirkungen des künftigen Strafvollzugs benannt, die kaum mehr als eine Hoffnung beschreiben. Über die im Ansatz vorhandene allgemeine Unrechtseinsicht und Therapiebereitschaft des Angeklagten hinaus werden konkrete Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug nicht benannt.
9
Soweit das Landgericht ergänzend darauf abhebt, es sei nach Ansicht des Sachverständigen auch nicht zu erwarten, dass der Angeklagte nach seiner Haftentlassung noch einmal in eine vergleichbare Lebenssituation gerate wie zu den Tatzeiten (UA S. 54), steht dies zudem in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den sonstigen gutachterlichen Ausführungen. Danach habe sich der Angeklagte "in der Vergangenheit immer wieder Frauen mit Kindern gesucht oder habe mit seinen Lebenspartnerinnen Kinder gezeugt. Der Angeklagte könne nach seiner Entlassung aus der Haft wieder ähnliche Situationen konstituieren" (UA S. 53).
10
Nach alledem muss über die Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden; denn die aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots in vorliegendem Fall weiterhin (BGH, Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12; Urteil vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13) vorzunehmende "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" steht der Anordnung der Sicherungsverwahrung hier nicht von vornherein entgegen.
11
3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StGB) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2008 – 5 StR 101/08, juris Rn. 23; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, juris Rn. 14; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 17).
12
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: § 51 BZRG enthält ein umfassendes Verwertungsverbot für getilgte oder tilgungsreife Eintragungen, das auch bei der Prüfung von Maßregeln der Besserung und Sicherung zu beachten ist. Eine Verwertung derartiger Voreintragungen kann auch nicht auf § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gestützt werden. Diese Bestimmung lässt eine Berücksichtigung früherer Taten nur für die Beurteilung des Geisteszustandes des Betroffenen zu, nicht aber zur Begründung einer (nicht krankheitsbedingten ) Gefährlichkeitsprognose (BGH, Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 247/12, NStZ-RR 2013, 84).
Becker Hubert RiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 466/10
vom
3. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Februar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und ihn verurteilt, an die Adhäsionsklägerinnen Schmerzensgeld nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, mit der Sachrüge begründeten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft namentlich gegen die vom Landgericht abgelehnte Anordnung der Sicherungsverwahrung.
2
Eine Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung , die sich daraus ergeben könnte, dass die Revisionsbegründung nur dazu Ausführungen enthält (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 344 Rn. 6), wäre unwirksam. Denn zwischen den ausgesprochenen Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe einerseits und der Maßregel der Sicherungsverwahrung andererseits besteht im vorliegenden Fall ein nicht ausschließbarer untrennbarer Zusammenhang, weil das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung auch mit Blick auf die zu verbüßende lange Freiheitsstrafe abgesehen hat (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 318 Rn. 26).
3
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und - insoweit nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - des gesamten Strafausspruchs.
4
1. Nach den Feststellungen zur Person ist der 68 Jahre alte Angeklagte mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft.
5
a) Mit Urteil vom 20. Dezember 1993 verurteilte ihn das Landgericht Hannover wegen fortgesetzten sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er im Zeitraum 1981 bis 1986 in einer Vielzahl von Fällen seine zu den Tatzeitpunkten zwischen acht und 13 Jahre alte Tochter an der Scheide berührt sowie einen Finger in ihre Scheide eingeführt, im Frühjahr 1991 vier zwischen fünf und neun Jahre alte Mädchen an der Scheide und am Rücken gestreichelt und im Zeitraum von Sommer 1992 bis 17. Juni 1993 ein acht Jahre altes Mädchen im Scheidenbereich gestreichelt und geküsst hatte. Am 30. Juni 1995 wurde er unter Aussetzung eines Strafrestes von 360 Tagen zur Bewährung aus der Strafhaft entlassen.
6
b) Am 16. März 1999 sprach das Landgericht Hannover den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 30 Fällen schuldig und verhängte gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Dezember 1997 ein sechs Jahre altes Mädchen am ganzen Körper gewaschen, sein erigiertes Glied zwischen dessen Schenkel gesteckt und es veranlasst, sein Glied anzufassen. Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wurde er am 13. August 2002 aus der Strafhaft entlassen.
7
2. Nach den zur Sache getroffenen Feststellungen berührte der Angeklagte zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum vom 16. September 2002 bis zum 31. Dezember 2006 in seiner Wohnung in H. die am 12. Mai 1995 geborene S. mindestens bei fünf Gelegenheiten an der Scheide und leckte sie in einem weiteren Fall an der Scheide (Fälle 1 bis 6 der Urteilsgründe). Außerdem küsste er die am 7. Mai 2001 geborene E. bei zwei Gelegenheiten in den Sommerferien 2008 in seinem auf einem Campingplatz in C. abgestellten Wohnmobil im Scheidenbereich (Fälle 7 und 8 der Urteilsgründe).
8
3. Das Landgericht hat jeweils minder schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern wegen der einschlägigen Vorstrafen, der Verbüßung von Freiheitsstrafen in der Gesamthöhe von sechs Jahren und sechs Monaten, dem langen Tatzeitraum, der Anzahl der Fälle, der Tatmodalitäten sowie der psychischen Tatfolgen für die Geschädigten abgelehnt, ist vom Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB ausgegangen und hat aus fünf Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten (Fälle 1 bis 5 der Urteilsgründe) und drei Einzelstrafen von einem Jahr und zehn Monaten (Fälle 6 bis 8 der Urteilsgründe) eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt. Von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
9
Sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB für die Anordnung von Sicherungsverwahrung lägen vor. In Übereinstimmung mit den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Dr. P. sei ein Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bejahen. Diagnostisch sei bei ihm eine Pädophilie mit einer Orientierung auf präpubertäre Mädchen gegeben. Es fehle bei ihm an einer intensiven Auseinandersetzung mit seinen Straftaten. Die Hartnäckigkeit seiner Delinquenz stehe in einem engen Zusammenhang mit seinen narzisstischen , hochgradig egozentrischen sowie zwanghaften Persönlichkeitszügen, seiner fehlenden Selbstkritik, einem ausgeprägten Empathiemangel, seinem erheblichen manipulativen Geschick sowie einer verzerrten Realitätserfahrung. Diese Besonderheiten der Persönlichkeit erschwerten eine nachhaltige Veränderung. Ein sozialer Raum, der ihn nach Entlassung aus der Strafhaft von gleichartigen Straftaten abhalten könnte, sei nicht gegeben. Da der Angeklagte eine hohe persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zeige, seine auf präpubertäre Mädchen ausgerichteten erotisch-sexuellen Interessen auszuleben, seien von ihm in der Zukunft gleichartige und erhebliche Straftaten durch gewaltfreies, manipulatives Verhalten innerhalb zuvor aufgebauter Beziehungen zu erwarten, sodass er für die Allgemeinheit gefährlich sei. Eine durchgeführte Prostataoperation und das fortgeschrittene Alter könnten bei ihm nicht als wesentlich die Rückfallgefahr mindernde Umstände gewertet werden.
10
Die nach § 66 Abs. 2 StGB zu treffende Ermessensentscheidung führe jedoch im Ergebnis dazu, dass die Sicherungsverwahrung nicht anzuordnen sei. Es sei zu erwarten, dass sich der Angeklagte, der über eine gut durch- schnittliche Intelligenz verfüge, die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe hinreichend zur Warnung dienen lasse. Er habe seine Bereitschaft zur Durchführung einer längerfristigen Gruppentherapie erklärt und erkannt, dass er bei einer weiteren vergleichbaren Tat eine Freiheitsstrafe zu erwarten habe, die ihn wegen seines fortgeschrittenen Alters für den Rest seines Lebens in Strafhaft bringe, und er zudem mit der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechnen müsse, um deren Nichtverhängung er gekämpft und die er nur knapp vermieden habe. Vor diesem Hintergrund werde der Umstand relativiert, dass er bereits zwei Tatkomplexe mit nachfolgender mehrjähriger Strafhaft unbeeindruckt überstanden habe. Hinzu komme, dass ihn die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen seines fortgeschrittenen Alters erheblich schwerer und länger treffen werde als die bisher verbüßten Strafen. Deshalb sei vom Beginn einer Änderung seines Bewusstseins und von einer ersten Bewegung in seiner bisher starren Haltung auszugehen, die sein weiteres Verhalten bestimmen werden. Die erklärte Therapiebereitschaft sei nicht als "prozesstaktisches Verhalten" zu werten, sondern als ein Bemühen, sich mit der Neigung zum Kindesmissbrauch kritisch auseinander zu setzen. Auch die Entschuldigung in der Hauptverhandlung und das Anerkenntnis der Schmerzensgeldforderungen belegten die erforderliche substantielle Änderung in der Lebenseinstellung. Bei der Ermessensausübung sei auch zu berücksichtigen, dass die Anlasstaten nicht von hoher Intensität seien und nach Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, wodurch eine weitergehende intensive Kontrolle und Betreuung mit dem Ziel der Risikovermeidung erreicht werden könne.
11
4. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat, weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
12
a) Gemäß Artikel 316e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 EGStGB sind für die Entscheidung die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung anzuwenden.
13
b) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt zugänglich (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1; BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, NStZ 1999, 473, 474), um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen.
14
Für die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist und deshalb die Anordnung von Sicherungsverwahrung geboten erscheint, kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Urteilserlasses an. Eine noch ungewisse Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug bleibt bei der Prognose außer Betracht; ihr wird erst am Ende des Vollzugs im Rahmen der Prüfung gemäß § 67c Abs. 1 StGB Rechnung getragen. Das Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 und 3 StGB eingeräumten Ermessens nur dann in Betracht, wenn erwartet werden kann, der Täter werde sich die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs hinreichend zur Warnung dienen lassen, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Dabei darf der Tatrichter im Rahmen der Ermessensentscheidung auch die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen berücksichtigen (BGH, Urteil vom 20. Juli 1988 - 2 StR 348/88, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3; BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6; BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 1 StR 232/01, NStZ 2002, 30, 31). Der Erwartung müssen aber stets konkrete Anhaltspunkte und hinreichende Gründe zugrunde liegen. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 13. März 2007 - 5 StR 499/06, NStZ 2007, 401).
15
c) Gemessen an diesen Maßstäben hält die Ablehnung der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
16
Eine Erwartung, der langjährige Freiheitsentzug und das hohe Lebensalter des Angeklagten würden die erforderliche substantielle Änderung in seiner Lebenseinstellung und Lebensführung bewirken, findet in den Feststellungen keine Grundlage. Die Strafkammer hat lediglich die denkbare Möglichkeit einer Haltungsänderung zum Ausdruck gebracht, jedoch nicht belegt, dass eine solche zu erwarten ist, indem sie von deren Beginn und einer ersten Bewegung spricht und in Übereinstimmung mit der Sachverständigen lediglich nicht aus- schließt, dass es zu einer Umorientierung des Angeklagten kommen könne, falls er sich einer sozialtherapeutischen Gruppentherapie unterziehe, diese zu Ende führe und im Anschluss an eine solche Therapie weitere stabilisierende Faktoren hinzukämen. Sie selbst geht - der Sachverständigen folgend - davon aus, dass erst am Ende einer erfolgreichen therapeutischen Behandlung das dann noch bestehende Rückfallrisiko beurteilt werden könne, nachdem der Angeklagte so lange an seinem Lebensstil festgehalten habe und die Besonderheiten seiner Persönlichkeit mit einer narzisstischen und zwanghaften Akzentuierung den sozialtherapeutischen Zugang erschwere und ihm den Weg zu einer nachhaltigen Veränderung verstelle. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht den Beginn einer Verhaltensänderung mit deren erwartbaren Erfolg gleichgesetzt hat.
17
5. Die gebotene Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Sicherungsverwahrung anzuordnen, führt - allerdings nur zu Gunsten des Angeklagten - auch zur Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Im Hinblick auf die Erwägungen im Urteil zu den möglichen Auswirkungen eines langfristigen Strafvollzugs auf das zukünftige Verhalten des Angeklagten vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Strafen niedriger ausgefallen wären, wenn zugleich die Sicherungsverwahrung angeordnet worden wäre (BGH, Urteil vom 8. September 1987 - 1 StR 393/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1; BGH, Urteil vom 31. Mai 1988 - 1 StR 182/88, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 2).
18
6. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
19
Bei der Ermessensausübung im Rahmen des § 66 Abs. 2 StGB sind vor allem die Persönlichkeit des Angeklagten, seine einschlägigen Vorstrafen und die Rückfallgeschwindigkeit in den Blick zu nehmen. Zwar ist es bei einem Mehrfachtäter nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, trotz Vorliegen eines Hanges zum sexuellen Missbrauch von Kindern und einer daraus resultierenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen. Angesichts der Feststellung, der Angeklagte habe die Anlasstaten nach zwei einschlägigen Verurteilungen und der Verbüßung von insgesamt sechs Jahren und sechs Monaten Strafhaft begangen, sowie des Umstandes, dass die sechs Straftaten zum Nachteil der Geschädigten S. auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlich als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 1 (§ 176a Abs. 1 Nr. 4 aF) StGB zu würdigen gewesen wären mit der Folge einer höheren Strafandrohung , müssen Anhaltspunkte von Gewicht für eine Haltungsänderung vorliegen. Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 148/13
vom
11. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. Z. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 21. Dezember 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen richtet sich die zunächst auf den Rechtsfolgenausspruch und sodann auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
1. Die Beschränkung der Revision auf das Unterlassen der Maßregelanordnung ist unwirksam. Das Landgericht hat den Angeklagten maßgeblich deswegen nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht, weil aufgrund der Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs bei dem Angeklagten eine Haltungsänderung erwartet werden könne. Damit hat es Strafhöhe und Maßregelanordnung in einen inneren Zusammenhang gesetzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 2).
3
2. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
4
Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB bejaht. Dem Sachverständigen folgend hat es außerdem einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten und dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung vom 22. Oktober 2010 festgestellt, der jedenfalls im Hinblick auf die Tat vom 22. September 2011 gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB in Verbindung mit der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) hier Anwendung findet. Dennoch hat es in Ausübung des ihm durch § 66 Abs. 2 StGB eingeräumten Ermessens davon abgesehen, den Angeklagten in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, weil eine Haltungsänderung des Angeklagten während der Dauer des Strafvollzugs zu erwarten sei. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge seines Hanges zur Begehung schwerer Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, richtet sich nach der Sachlage im Zeitpunkt der Aburteilung. Dies ist in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB für die Fälle der obligatorischen Verhängung der Sicherungsverwahrung nunmehr ausdrücklich geregelt. Ob der Angeklagte nach Strafverbüßung weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich und daher der Vollzug der Sicherungsverwahrung geboten ist, bleibt der Prüfung nach § 67c StGB vorbehalten (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2004 – 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
6
Soweit indes allein die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder 3 StGB in Betracht kommt, ist es dem Tatrichter grundsätzlich gestattet , bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Bestimmungen Rechnung getragen, die in den Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB – im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift – eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Angeklagten nicht voraussetzen. Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 – 1 StR 140/04, NStZ 2005, 211, 212; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, NStZ-RR 2011, 78; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
7
b) Nach diesen Maßstäben leidet die Entscheidung des Landgerichts, den Angeklagten nicht in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, an durchgreifenden Ermessensfehlern.
8
Sie stützt sich zunächst darauf, dass der Angeklagte während der Untersuchungshaft therapeutische Gespräche geführt habe, in deren Rahmen er eine gewisse "Opferempathie" habe erkennen lassen, die Therapeutin bei den Gesprächen das Gefühl gehabt habe, er bedauere die Sexualstraftaten, und er seine Bereitschaft zu einer Sozialtherapie geäußert habe. Auf dieser Grundlage ist der psychiatrische Sachverständige zu der – vom Landgericht geteilten – Einschätzung gelangt, dass sich die Prognose verbessert habe, weil sich durch eine Sozialtherapie die kognitiven Verzerrungen des Angeklagten verändern könnten und durch den Strafvollzug eine Haltungsänderung hinsichtlich seiner weiterhin grundsätzlich vorhandenen Bereitschaft, sich "sowohl Materielles als auch Nichtmaterielles zu nehmen", bewirkt werden könnte. Damit werden indes nur denkbare Wirkungen des künftigen Strafvollzugs benannt, die kaum mehr als eine Hoffnung beschreiben. Über die im Ansatz vorhandene allgemeine Unrechtseinsicht und Therapiebereitschaft des Angeklagten hinaus werden konkrete Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug nicht benannt.
9
Soweit das Landgericht ergänzend darauf abhebt, es sei nach Ansicht des Sachverständigen auch nicht zu erwarten, dass der Angeklagte nach seiner Haftentlassung noch einmal in eine vergleichbare Lebenssituation gerate wie zu den Tatzeiten (UA S. 54), steht dies zudem in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den sonstigen gutachterlichen Ausführungen. Danach habe sich der Angeklagte "in der Vergangenheit immer wieder Frauen mit Kindern gesucht oder habe mit seinen Lebenspartnerinnen Kinder gezeugt. Der Angeklagte könne nach seiner Entlassung aus der Haft wieder ähnliche Situationen konstituieren" (UA S. 53).
10
Nach alledem muss über die Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden; denn die aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots in vorliegendem Fall weiterhin (BGH, Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12; Urteil vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13) vorzunehmende "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" steht der Anordnung der Sicherungsverwahrung hier nicht von vornherein entgegen.
11
3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StGB) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2008 – 5 StR 101/08, juris Rn. 23; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, juris Rn. 14; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 17).
12
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: § 51 BZRG enthält ein umfassendes Verwertungsverbot für getilgte oder tilgungsreife Eintragungen, das auch bei der Prüfung von Maßregeln der Besserung und Sicherung zu beachten ist. Eine Verwertung derartiger Voreintragungen kann auch nicht auf § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gestützt werden. Diese Bestimmung lässt eine Berücksichtigung früherer Taten nur für die Beurteilung des Geisteszustandes des Betroffenen zu, nicht aber zur Begründung einer (nicht krankheitsbedingten ) Gefährlichkeitsprognose (BGH, Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 247/12, NStZ-RR 2013, 84).
Becker Hubert RiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Spaniol

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 465/12
vom
19. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
19. Februar 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 7. Mai 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach der Rückfallqualifikation des § 176a Abs. 1 StGB (Anlasstat mit der Einsatzstrafe von vier Jahren) in Tatmehrheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB hat es abgesehen. Zwar liege ein Hang des Angeklagten zu Sexualstraftaten vor, insbesondere zu Taten gemäß § 176 Abs. 1 StGB. Er werde derzeit und auch noch nach der Haftentlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit Delikte wie die Anlasstat begehen. Bei Zugrundelegung der Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 4. Mai 2011 seien solche Taten jedoch nicht ausreichend schwer im Sinne der dort vorgeschriebenen Weitergeltungsanordnung.
2
Die, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, wirksam auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt ist, hat Erfolg. Bei seiner Gefahrprognose, es seien keine „schweren Sexualstraftaten“ i.S.d. Weitergeltungsanordnung zu erwarten, hat das Landgericht im Rahmen der nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB gebotenen Gesamtwürdigung nicht alle Umstände hinreichend bedacht.

I.


3
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der zum Urteilszeitpunkt 64 Jahre alte Angeklagte seit über 40 Jahren sexuelles Interesse an Kindern; er wurde im Alter von 18 Jahren erstmals wegen exhibitionistischer Handlungen vor Kindern verurteilt. In einem mehrere Jahrzehnte umfassenden Zeitraum beging er in regelmäßigen Abständen ähnliche, teilweise nahezu identische Delikte wie die Anlasstat. Von diesem eingefahrenen Verhalten ließ sich der Angeklagte auch durch mehrjährige Therapien und lange Inhaftierungen nicht abhalten. Zu den Vorverurteilungen hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
4
1. Am 11. Mai 1976 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht München wegen mehrfachen im Juni 1975 verübten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Bewährungsstrafe von elf Monaten verurteilt.

5
2. Am 4. Februar 1986 wurde er vom Amtsgericht München wegen zweier Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. In der Folge wurde die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen und die Strafe voll verbüßt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte im September 1985 ein acht Jahre altes Mädchen mit in ein Schlauchboot (ähnlich wie bei der Anlasstat) nahm, auf den See hinaus ruderte und dort aufforderte, sein entblößtes Glied mit einer mitgebrachten Sonnencreme einzureiben. Am selben Abend streichelte er das Kind in der Wohnung der Eltern unter dessen Schlüpfer an der Scheide; anschließend steckte er sein entblößtes Glied zwischen die Oberschenkel des Kindes und bewegte es auf und ab; während der ganzen Zeit waren die Eltern des Kindes anwesend, bemerkten aber nichts, da der Angeklagte sich und das Kind mit einer Decke zugedeckt hatte.
6
3. Am 21. März 1988 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Aichach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einem Jahr Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt. Auch diese Bewährung wurde widerrufen; die Strafe hat er vollständig verbüßt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte an zwei verschiedenen Tagen im Juli 1987 ein zehnjähriges Mädchen dazu einlud, mit seinem Schlauchboot auf einen Badesee hinauszufahren und es dort veranlasste, über seiner Badehose an sein Geschlechtsteil zu fassen und daran zu reiben. Eine vergleichbare Tat verübte er im selben Monat gegenüber einem neunjährigen Mädchen.
7
4. Am 30. Januar 1992 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Augsburg wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Er hatte die zehnjährige Freundin der Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin im Juli 1991 bei Besuchen dazu veranlasst, an seinen Penis zu fassen. Mehrfach griff er dem Mädchen auch grob an die Brust, führte in zwei Fällen den Finger in deren Scheide ein und veranlasste das Mädchen auch einmal, ihr Geschlechtsteil zu entblößen, damit er es ansehen konnte.
8
5. Im Februar 1995, fünf Monate nach seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt , beging er die nächste Tat. Bei einer Fahrradtour traf er zwei Nachbarkinder. Während er mit ihnen auf einer Bank saß, drückte er zunächst die Hand des 14-jährigen Mädchens über der Hose an sein Glied, anschließend nahm er die Hand des 13-jährigen Jungen und drückte sie ebenfalls auf sein Glied. Deswegen wurde er vom Landgericht Traunstein am 29. November 1995 wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, welche er bis Mai 1998 vollständig verbüßte.
9
6. Am 3. Mai 2004 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Rosenheim wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tatmehrheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, welche er in der Folge bis Januar 2006 vollständig verbüßte. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er bei einer Weihnachtsfeier im Dezember 2003 in den Räumen einer Firma ein damals siebenjähriges Mädchen kennenlernte, das er in einem unbeobachteten Augenblick vom Stuhl hoch hob und diesem bewusst unter dem Kleid, aber über der Strumpfhose, nicht nur unerhebliche Zeit an die Scheide griff. Anschließend küsste er das Mädchen auf den Mund und auf die Backe und gab ihm danach gegen dessen Willen noch einen Zungenkuss.
10
7. Am 14. Juli 2008 wurde er vom Amtsgericht München wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (u.a. keinen Kontakt zu Kindern oder Minderjährigen aufzunehmen) zu der Freiheitstrafe von sechs Monaten verurteilt, weil er im April 2008 auf dem Hof spielende Kinder ansprach und ein neunjähriges Mädchen in seine Wohnung lockte.
11
8. Schließlich wurde er am 14. Oktober 2009 vom Amtsgericht München wegen eines weiteren Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu der Freiheitstrafe von zehn Monaten verurteilt, weil er im Frühjahr 2009 fünf spielende Kinder angesprochen und zwei Jungen im Alter von sieben und neun Jahren zu einem Treffen veranlasst hatte.
12
Die beiden letztgenannten Freiheitsstrafen verbüßte der Angeklagte vollständig.

II.


13
1. Dem - rechtskräftigen - Schuldspruch liegen folgende Feststellungen zugrunde:
14
Am 25. Mai 2011, knapp ein Jahr nach seiner Entlassung aus der Strafhaft , hielt sich der Angeklagte zusammen mit seiner Ehefrau - wiederum mit seinem Schlauchboot - an einem Badesee bei München auf. Er fragte mehrere dort befindliche Kinder, ob sie mit ihm im Schlauchboot fahren wollten. Dies lehnten die Kinder ab.
15
Etwa eine halbe Stunde später kam er mit seiner Ehefrau zurück und fragte die Kinder erneut, ob sie im Schlauchboot mitfahren wollten. Daraufhin stieg das vier Jahre und zwei Monate alte Mädchen G. - die Geschädigte - in das Boot. Der Angeklagte sagte, die Fahrt würde nur ein paar Minuten dauern. Die Mutter der Geschädigten gab ihre Erlaubnis, weil sie davon ausging, die Fahrt würde zusammen mit der Ehefrau des Angeklagten im Uferbereich stattfinden.
16
Der Angeklagte fuhr allerdings allein mit dem Kind, welches nicht schwimmen konnte, auf den See hinaus; seine Ehefrau blieb am Ufer zurück. Als er gewahr wurde, dass er sich mit der Geschädigten alleine auf dem See in dem Schlauchboot befand und deshalb keine Einwirkungen Dritter möglich waren , beschloss er, sich durch die Geschädigte sexuell stimulieren zu lassen. Nachdem er die Mitte des Sees erreicht hatte, stellte er das Rudern ein und ließ das Boot treiben. Er holte seinen Penis aus der Badehose. Auf seine Aufforderung umfasste das Kind das erigierte Glied und nahm daran für kurze Zeit Aufund Abwärtsbewegungen vor. Danach ruderte der Angeklagte weiter.
17
Die Mutter der Geschädigten war misstrauisch geworden, weil das Schlauchboot längere Zeit weit draußen auf dem See war und ihr das Verhalten der Geschädigten im Boot komisch vorkam. Deshalb schwamm sie zu dem Boot. Als der Angeklagte die heranschwimmende Mutter bemerkte, ruderte er auf sie zu, ließ sie einsteigen und brachte sie zusammen mit dem Kind an das Ufer zurück. Zeugen verständigten die Polizei. Durch die Reaktion der Mutter bemerkte die Geschädigte, dass etwas nicht stimmte, und fing an, stark zu weinen. Negative Folgen der Tat für die Geschädigte sind - so das Landgericht - derzeit nicht festzustellen.
18
2. Das Landgericht hat den weitgehend geständigen Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach der Rückfallvorschrift des § 176a Abs. 1 StGB und wegen des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht gemäß § 145a StGB verurteilt. Für den sexuellen Missbrauch hat es die Einsatzstrafe von vier Jahren und für den Weisungsverstoß eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt; daraus hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten gebildet. Auch der Strafausspruch ist nicht angegriffen.
19
3. Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, hat das Landgericht den Angeklagten für voll schuldfähig gehalten. Zwar bestünde bei ihm eine Störung der Sexualpräferenz in Form einer Pädophilie; diese sei jedoch nicht so schwer, dass sie einer schweren anderen seelischen Abartigkeit zugerechnet werden könne.
20
4. Die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB - dessen formelle Voraussetzungen vorliegen - hat das Landgericht nicht angeordnet, weil die materiellen Voraussetzungen dieser Vorschrift in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 2010 nach Maßgabe der vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 gebotenen strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht erfüllt seien.
21
a) Allerdings habe der Angeklagte einen - sogar eindeutigen - Hang, Straftaten, insbesondere solche gemäß § 176 Abs. 1 StGB, zu begehen. Das werde durch als ungünstig zu wertende Kriterien belegt: Er sei jahrzehntelang und häufig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Bei seinen in regelmäßigen Abständen begangenen Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern sei er weitgehend identisch vorgegangen. Die Opferwahl sei zufällig und es habe sich um ihm fremde Kinder gehandelt. Er sei mehrfacher Bewährungsversager. Auflagen und Weisungen im Rahmen der Bewährung und der Führungsaufsicht ha- be er nicht eingehalten. Die Sexualstraftaten habe er während psychotherapeutischer Behandlung begangen. Auch habe er eine ungünstige Persönlichkeitsstruktur. Nur wenige günstige Faktoren könnten an dieser Bewertung nichts ändern.
22
b) Mit dem Sachverständigen gelangt das Landgericht auch zu einer ungünstigen Gefahrprognose. Infolge seines Hanges seien vom Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig Delikte wie die Anlasstat zu erwarten. Sein Lebensalter und die Verbüßung der - hohen - Haftstrafe könnten diese negative Prognose nicht entscheidend beeinflussen. Eine Änderung seiner pädosexuellen Ausrichtung sei nicht zu erwarten. Die Erfolgschancen für eine weitere Therapie seien gering; der Angeklagte habe sich auch durch mehrjährige Therapien und lange Inhaftierungen nicht von seinen Taten abhalten lassen.
23
Im Anschluss an den Sachverständigen nimmt das Landgericht zwar auch die Gefahr der Begehung schwererer Taten an, schätzt diese aber als deutlich geringer ein. So sei nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Angeklagte solche Sexualstraftaten begehen werde, die mit einem Eindringen in den Körper oder mit der Anwendung von Gewalt verbunden seien.
24
c) Die aufgrund der Gefahrprognose derzeit und auch noch nach der Haftentlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit - der Anlasstat vergleichbar - zu erwartenden Sexualstraftaten seien aber noch keine ausreichend schweren Sexualdelikte im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts. Die Wahrscheinlichkeit der Begehung schwerer Sexualstraftaten sei für die Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung nicht ausreichend hoch.

25
Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. Februar 2012 (2 StR 346/11, StV 2012, 273) trifft das Landgericht die Wertung, der sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 1 StGB sei - unter Berücksichtigung der Strafdrohung - kein ausreichend schweres Sexualdelikt, wenn die Missbrauchshandlungen, wie hier, „in ihrer konkreten Gestalt ein eher geringfügiges Maß nicht überschritten“ hätten.
26
Die erhöhte Strafdrohung für Wiederholungstäter in § 176a Abs. 1 StGB könne in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen, da die Erheblichkeit von Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vom Gesetzgeber über die Folgen der Tat für das Opfer definiert und nicht an ein sozialethisches Unwerturteil wie bei der Strafzumessung geknüpft werde.

III.


27
Die Revision hat Erfolg. Der Gefahrprognose des Landgerichts, es seien keine „schweren Sexualstraftaten“ i.S.d. Weitergeltungsanordnung zu erwarten, liegen im Rahmen der nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB gebotenen Gesamtwürdigung Wertungsfehler und Darlegungsmängel zugrunde.
28
1. Das Landgericht hat zwar mit sorgfältiger Begründung einen Hang des Angeklagten zu Sexualstraftaten gegenüber Kindern bejaht; dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
29
2. Die Gefahrprognose begegnet allerdings durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit es Art und Schwere der zu erwartenden Sexualstraftaten betrifft.

30
Das Landgericht hat bei den mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Straftaten allein Taten wie die Anlasstat prognostiziert. Damit hat es ersichtlich auf den sexuellen Missbrauch von Kindern i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB im Wesentlichen durch Manipulationen am Penis des Angeklagten abgestellt. Der Ausschluss der erforderlichen Wahrscheinlichkeit für schwerere Sexualstraftaten erweist sich jedoch als rechtsfehlerhaft.
31
Angesichts der auch insoweit einschlägigen Vordelinquenz des Angeklagten erschließt sich nicht, wieso zukünftig Verbrechen nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein sollten. Das Landgericht teilt hierzu die Auffassung des Sachverständigen mit, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung solcher Delikte nicht bestehe , die konkrete Ausführung der Taten aber von der Situation abhänge. Jedenfalls habe die Aggressivität des Angeklagten im Laufe der Zeit abgenommen. Dieser Einschätzung schließt sich das Landgericht an. Es fügt hinzu, dass die psychologische Testung kein erhöhtes Aggressionspotential des Angeklagten ergeben habe und sein Verhalten nach der Anlasstat nicht dafür spreche, dass der Angeklagte zu unüberlegten Aggressionsdurchbrüchen neige. Angesichts des Zeitablaufs könne den Vorverurteilungen nur noch sehr eingeschränkte Bedeutung zukommen.
32
Diese Ausführungen vermögen zwar eine Verminderung der Wahrscheinlichkeit für Aggressionsdelikte zu belegen, nicht jedoch für solche Delikte , die ein aggressives oder gewaltsames Vorgehen nicht erfordern. Hierzu zählen vor allem Verbrechen nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB, z.B. durch Einführen der Finger, bei denen es sich um schwere Sexualstraftaten im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts handelt (BGH,Urteil vom 28. März 2012 - 2 StR 592/11, NStZ-RR 2012, 272 (Ls.); Beschlüsse vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 328/11; vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11; vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11; auf Umstände des Einzelfalls abstellend, BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9). An dieser Einordnung ändert sich nichts, wenn dabei aggressives bzw. gewaltsames Verhalten nicht zu erwarten steht (BGH, Urteil vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; zum Aspekt der Gewalt, vgl. aber auch Urteil vom 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11), da es häufig für Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von kindlichen Opfern aufgrund deren unzureichender Verstandes- und Widerstandskräfte des Einsatzes von Gewalt nicht bedarf (BGH, Beschluss vom 10. Januar

2013

- 1 StR 93/11; Urteil vom 19. Februar 2013 - 1 StR 275/12). Dementsprechend spielte Gewalt oder Aggression bei der Vordelinquenz des Angeklagten keine bedeutende Rolle, ohne dass dies der Annahme eines Hangs entgegengestanden hätte. Insoweit hätte näherer Erörterung bedurft, wieso dem Fehlen aggressiver bzw. gewaltsamer Neigungen nunmehr für die Wiederholungsgefahr im Hinblick auf mit der Vordelinquenz vergleichbarer Taten Relevanz zukommen sollte.
33
Nähere Darlegungen zur Begründung der abweichend vom Sachverständigen nicht nur als geringer, sondern als deutlich geringer eingeschätzten Wahrscheinlichkeit der Begehung von Taten, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, fehlen. Allein der Hinweis auf den zeitlichen Abstand zu den einschlägigen Vorverurteilungen genügt im Hinblick auf die Berücksichtigungsfähigkeit gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 zweiter Halbsatz StGB den Anforderungen an die Gefahrprognose nicht. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund der vom Sachverständigen hervorgehobenen Abhängigkeit der Tatausführung von der Tatsituation. In diesem Zusammenhang hätte der Erörterung bedurft, ob der Angeklagte in einer anderen als der konkreten Anlasstatsituation - besuch- ter Badesee, heranschwimmende Mutter - nach wie vor zu noch intensiveren Einwirkungen neigt.
34
Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass eine umfassendere und wertungsfehlerfreie Prognose dazu geführt hätte, der Angeklagte werde mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auch schwerere als die im Absatz 1 des § 176 StGB bezeichneten Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern begehen. Schon deshalb muss die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung aufgehoben werden.
35
3. Darüber hinaus bemerkt der Senat, dass er der Wertung des Landgerichts nicht beitreten könnte, die - nach dessen Prognose - zu erwartenden Sexualstraftaten i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB seien auch bei Beachtung des verfas- sungsrechtlichen Maßstabs keine „schweren Sexualstraftaten“.
36
a) Zwar geht das Landgericht dabei im Ansatz von einem zutreffenden verfassungsrechtlichen Maßstab aus. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) ist § 66 StGB verfassungswidrig. Die Vorschrift gilt vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber , längstens bis zum 31. Mai 2013 weiter. Das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2012, 2425) tritt erst zum 1. Juni 2013 in Kraft. Während der Dauer der Weitergeltung des daher noch verfassungswidrigen § 66 StGB muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer noch bestehenden Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Der hohe Wert dieses Grundrechts beschränkt das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum. Danach dürfen Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Die Sicherungsver- wahrung darf nur nach Maßgabe einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab als bisher (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 2011 - 5 StR 192/11; vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11; vom 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11).
37
b) Nach Auffassung des Senats können auch Fälle des sexuellen Miss- brauchs von Kindern nach § 176 Abs. 1 StGB im Grundsatz „schwere Sexualstraftaten“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsge- richts sein. Freilich kommt es dabei auf den konkreten Einzelfall an (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11, StV 2012, 273: Rückfalltaten, die in ihrer konkreten Gestalt ein eher geringfügiges Maß nicht überschritten haben).
38
aa) Bei der Beantwortung der Frage, ob ein sexueller Missbrauch von Kindern i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB als schwere Sexualstraftat bewertet werden kann, sind auch europarechtliche Vorgaben mit in den Blick zu nehmen (zur unionsrechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung: BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. September 2011 - 2 BvR 2216/06). Für die Bewertung der Schwere des sexuellen Missbrauchs von Kindern kommt deshalb auch der Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates (ABl. EU vom 17. Dezem- ber 2011 Nr. L 335 S. 1 i.V.m. ABl. EU vom 21. Januar 2012 Nr. L 18 S. 7) vom 13. Dezember 2011 Bedeutung zu. In deren Erwägungsgründen wird der sexu- elle Missbrauch von Kindern als „schwerer“ Verstoß gegen die Grundrechte beurteilt.
39
Erst recht gilt das für Wiederholungstäter. Die Richtlinie betont mehrfach das Ziel, Wiederholungstaten zu verhindern. Nach deren Artikel 9 müssen die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass als „erschwerender Umstand“ gilt, wenn der Straftäter zuvor wegen ähnlicher Straftaten verurteilt wurde. In den Artikeln 22 ff. wird den Mitgliedstaaten aufgegeben, das Risiko einer Wiederholung von Sexualstraftaten - auch durch präventive Maßnahmen - zu verhindern. Schon deshalb vermag das Argument des Landgerichts nicht zu überzeugen, die erhöhte Strafandrohung des § 176a Abs. 1 StGB für Wiederholungstäter dürfe bei der Bewertung der Schwere der Sexualstraftat keine Rolle spielen.
40
bb) Gegen dieses Argument spricht auch die Wertung des deutschen Gesetzgebers. Während der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 28. Januar 2003 (BT-Drucks. 15/350) noch vorsah, den Verbrechenstatbestand des „Rückfalls“ nach § 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB nur noch zum Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall eines Vergehens nach § 176 Abs. 3 StGB herabzustufen, hat der Gesetzgeber - der Empfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 1. Juli 2003 (BT-Drucks. 15/1311) folgend - die Einstufung des Rückfalls als Verbrechen in § 176a mit der Begründung beibehalten, die Zurückstufung werde der „Schwere und dem Unrechtsgehalt einer Rückfalltat nicht gerecht“. Mit der Be- gründung zur Beibehaltung der Rückfalltat als Verbrechen hat er daher auch eine - gesetzgeberische - Wertung zur Tatschwere getroffen.

41
c) Darüber hinaus hätte der Senat auch Bedenken gegen die Einstufung der Anlasstat als nicht besonders gravierend, weil sie „ein eher geringfügiges Maß nicht überschritten“ habe, so dass die darauf aufbauende Gefahrprognose für gleichartige Taten auch deshalb nicht tragfähig erscheint.
42
Zwar erreichte die eigentliche sexuelle Handlung (Handverkehr) nicht die Intensität der Tathandlungen des § 176a Abs. 2 StGB. Allein darauf abzustellen , würde indes die Tatschwere der Anlasstat nicht zutreffend erfassen. Dass ihr erhebliches Gewicht zukommt, hat das Landgericht ersichtlich selbst angenommen , wie die dafür verhängte Freiheitsstrafe von immerhin vier Jahren zeigt.
43
Diese Strafe trägt dem Tatbild der Anlasstat durchaus Rechnung. Der Angeklagte hat - wie die Vorverurteilungen mit vergleichbarem modus operandi zeigen - eine Situation bewusst und hier zudem hartnäckig herbeigeführt, um besonders junge Mädchen - hier ein vier Jahre altes Kind - missbrauchen zu können. Er hat damit gezielt und zudem durch Täuschung schutzbereiter Dritter eine Lage geschaffen, bei welcher der schutzbereite Dritte nicht mehr eingreifen konnte. Das ist eine Lage, in der das Mädchen seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert war; mögen auch die weiteren Voraussetzungen der Nötigungssituation des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch nicht erfüllt sein. Schon insoweit und auch mit Blick auf die Vorbelastungen des Angeklagten unterscheidet sich der Fall von dem Sachverhalt, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11 (StV 2012, 273) zugrunde lag. Auch die Abschwächung der Schwere des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit dem Argument der fehlenden Gewaltanwendung kann dem Täter bei der Prüfung des § 66 StGB nicht zu Gute kommen (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 93/11; Urteil vom 19. Februar 2013 - 1 StR 275/12; Urteil vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07).
44
Da die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung schon deshalb der Aufhebung unterliegt, weil die Gefahrprognose unzureichend ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob zu erwartende Sexualstraftaten vergleichbar dem Tatbild der Anlasstat schon „schwere Sexualstraftaten“ sind, mit der Folge, dass - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nach § 66 Abs. 1 StGB die Sicherungsverwahrung zwingend anzuordnen wäre. VRiBGH Nack ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift gehindert. Rothfuß Rothfuß Graf Cirener Radtke

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Wird eine Freiheitsstrafe vor einer wegen derselben Tat oder Taten angeordneten Unterbringung vollzogen und ergibt die vor dem Ende des Vollzugs der Strafe erforderliche Prüfung, dass

1.
der Zweck der Maßregel die Unterbringung nicht mehr erfordert oder
2.
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unverhältnismäßig wäre, weil dem Täter bei einer Gesamtbetrachtung des Vollzugsverlaufs ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 2 in Verbindung mit § 66c Absatz 1 Nummer 1 nicht angeboten worden ist,
setzt das Gericht die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein. Der Prüfung nach Satz 1 Nummer 1 bedarf es nicht, wenn die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug weniger als ein Jahr vor dem Ende des Vollzugs der Strafe angeordnet worden ist.

(2) Hat der Vollzug der Unterbringung drei Jahre nach Rechtskraft ihrer Anordnung noch nicht begonnen und liegt ein Fall des Absatzes 1 oder des § 67b nicht vor, so darf die Unterbringung nur noch vollzogen werden, wenn das Gericht es anordnet. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Das Gericht ordnet den Vollzug an, wenn der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Ist der Zweck der Maßregel nicht erreicht, rechtfertigen aber besondere Umstände die Erwartung, daß er auch durch die Aussetzung erreicht werden kann, so setzt das Gericht die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein. Ist der Zweck der Maßregel erreicht, so erklärt das Gericht sie für erledigt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 474/03
vom
4. Februar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Februar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18. Juni 2003 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision gegen das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung; sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist begründet. I. Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der 1952 geborene Angeklagte vor der hier abgeurteilten Tat bereits vier Banküberfälle. Im Jahr 1982 überfiel er die Volksbank S. , wo er ca. 14.000 DM erbeutete, und auf der Flucht sodann eine Zweigstelle der Volksbank F. ; dort erreichte er die Herausgabe von 16.000 DM. Nachdem er seine Beute durch Glücksspiele verbraucht hatte, überfiel er schließlich eine Bank in D. und erwirkte die Übergabe von 97.000 DM. Deswegen verurteilte ihn das Landgericht Düsseldorf 1984 wegen schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten,
die der Angeklagte verbüßte. Während eines Hafturlaubes überfiel er 1988 eine Bankfiliale in K. . Dort nahm er im Kassenraum 50.000 DM an sich und erreichte schließlich vom Filialleiter die Herausgabe weiterer 112.000 DM. Wegen dieser Tat verurteilte ihn das Landgericht Karlsruhe 1988 wegen schwerer räuberischer Erpressung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten. Nachdem der Angeklagte zwischenzeitlich noch wegen Sachbeschädigung , begangen bei einem Fluchtversuch aus der Justizvollzugsanstalt, zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, wurde er im August 1999 aus der Strafhaft entlassen. Im August des Jahres 2002 sah der Angeklagte dem Verlust seines Arbeitsplatzes entgegen; er war zudem verschuldet. Mit zwei Bekannten erwog er, eine Bank zu überfallen. Nachdem drei verschiedene Objekte ins Auge gefaßt waren, überfiel er schließlich am 26. August 2002 gemeinsam mit dem früheren Mitangeklagten P. die Filiale der Kreissparkasse E. in O. . Der Angeklagte und P. führten je eine Schreckschußpistole bei sich, die für einen unbefangenen Beobachter wie echte Schußwaffen aussahen. Der Angeklagte hatte überdies - wie schon bei einem der früheren Überfälle - eine Bombenattrappe vorbereitet, mit der er die in einer gesicherten Kassenbox stehende Kassiererin zum Öffnen der Zugangstür zwingen wollte. P. war mit einer Gesichtsmaske aus Armeebeständen ausgestattet , der Angeklagte hatte lediglich eine Baseballmütze auf dem Kopf und verzichtete sonst auf Tarnung. Er trat vor die Kassenbox, zog aus dem mitgeführten Rucksack seine Schreckschußwaffe und richtete diese durch das Sicherheitsglas auf die Kassiererin. Gleichzeitig stellte er seine Bombenattrappe direkt an das Sicherheitsglas und sagte: "Dies ist ein Überfall. Jetzt geht gleich eine Bombe hoch. Machen Sie die Tür auf!" Als die Kassiererin erwiderte, der
Angeklagte solle "den Blödsinn" lassen, betrat auch der Mittäter P. die Bank und hielt seine Waffe in der Hand. Er ging zielstrebig zu den hinteren Büroräumen. Die Kassiererin fürchtete nun um ihr Leben und öffnete die Zugangstür zur Kassenbox. Der Angeklagte richtete weiter seine Waffe auf sie und befahl ihr, sich auf den Boden zu legen. Er ging zum Schalter und packte die auf dem Kassentisch liegenden Geldscheine ein. Er befahl der Zeugin, sie solle auf dem Boden liegen bleiben und ging dann zum Ausgang. Der Mittäter P. hatte im rückwärtigen Büroraum seine Waffe auf die junge Filialleiterin gerichtet, die im dritten Monat schwanger war, in Panik geriet und Todesangst verspürte. Auch sie mußte sich auf den Boden legen und die Arme spreitzen. Sie versuchte jedoch, sich etwas auf die Seite zu legen, da sie panische Angst hatte, sich in ihrem Zustand auf den Bauch zu legen. Sie flehte den Mittäter P. an, ihr nichts zu tun. Als dieser hörte, daß der Angeklagte dabei war, die Bank zu verlassen, drehte er sich um und folgte diesem. Beide fuhren davon. Die Beute belief sich auf knapp 50.000 Euro. Die beiden Bankbediensteten befanden sich infolge des Überfalls in einem Schockzustand. Die Filialleiterin war völlig aufgelöst, mußte einen Arzt aufsuchen und war für zwei Wochen krankgeschrieben. Sie mußte danach therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen , ist nach der Geburt ihres Kindes beurlaubt und hat sich nicht vorstellen können, wieder ihre Funktion als Filialleiterin auszuüben oder im Kassenbereich zu arbeiten. Das Landgericht hat von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten abgesehen. Die formellen Voraussetzungen seien zwar erfüllt (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB). Der für die Anordnung erforderliche Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten sei indessen nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellbar (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Bei dem Angeklagten bestehe zwar ein "erhöhtes Rückfallrisiko". Er verfüge aber über ein
intaktes Wertesystem. Auf ihn könne durchaus positiv eingewirkt werden, wie seine positive Entwicklung nach einer fast zweijährigen Sozialtherapie im Rahmen des Vollzuges zeige. Das erhöhte Rückfallrisiko mindere sich bereits durch die erkannte vieljährige Freiheitsstrafe. Der Angeklagte werde nach der zu erwartenden vollständigen Verbüßung nahezu 60 Jahre alt sein. Dadurch mindere sich die Rückfallwahrscheinlichkeit, "jedenfalls für die Begehung von Banküberfällen". Aus einer erhöhten Rückfallwahrscheinlichkeit könne zudem nicht unmittelbar auf einen inneren Hang geschlossen werden. Sicherungsverwahrung sei die ultima ratio strafrechtlicher Sanktionen. Deshalb seien besondere Anforderungen an die Feststellung der Voraussetzungen zu stellen. Zudem unterscheide sich die neue Tat des Angeklagten von früheren Taten. Hier sei der Tatentschluß in Vorgesprächen mit dem Mittäter wechselseitig bestärkt worden. Der Angeklagte selbst habe am Tattag noch zweimal Vorwände gefunden , um die Tat bei verschiedenen angefahrenen Objekten nicht auszuführen , dann aber nicht über "genügend Kraft" verfügt, seine Bedenken auszusprechen und das Vorhaben "abzublasen". II. Die Begründung, mit der das Landgericht die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung verneint hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 1. Soweit die Strafkammer ausführt, ein Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten sei nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellbar , läßt dies besorgen, daß sie die Anforderungen an die Annahme eines solchen Hanges überspannt hat (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läßt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten
entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wie- der straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet; ebenso aber auch derjenige , der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Entscheidend ist das Bestehen eines solchen Hanges, nicht dessen Ursache (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; BGH NStZ 1999, 502; BGH, Beschluß vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01). Die Strafkammer hat ausgeführt, aus der - von ihr angenommenen - erhöhten Rückfallwahrscheinlichkeit könne nicht unmittelbar auf einen inneren Hang geschlossen werden. Sie hätte sich in diesem Zusammenhang näher mit den Vorverurteilungen und den Umständen, unter denen es zu diesen wie auch zur verfahrensgegenständlichen Tat kam, auseinandersetzen müssen. Der Angeklagte hat nach drei Banküberfällen aus einem Hafturlaub heraus erneut 1988 eine einschlägige Tat begangen und zwei langjährige Freiheitsstrafen verbüßen müssen. Zwar ist er nach seiner Haftentlassung etwa drei Jahre nicht straffällig geworden, hat dann aber, in einer schwieriger werdenden Lebenssituation im Alter von 50 Jahren die neue Tat begangen. Unter diesen Umständen hätte die Strafkammer darauf eingehen müssen, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, daß der Angeklagte den durch seine Lebenslage bedingten Einflüssen und der von anderen Personen ausgehenden Versuchung letztlich nachgab. Dies deutet auf innere Haltlosigkeit und Willensschwäche hin, in deren Folge der Angeklagte Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Auch darin kann eine fest eingewurzelte Neigung gründen, in entsprechenden Situationen schwerwiegende Straftaten zu begehen. Nach der Begehung des fünften Banküberfalls liegt solches eher nahe. 2. Schließlich geben die Urteilsgründe Anlaß zu der Annahme, daß das Landgericht auch für die Gefährlichkeitsprognose von einem nicht zutreffenden
Maßstab ausgegangen sein könnte. Es hat ausgeführt, das erhöhte Rückfallrisiko mindere sich durch die erkannte vieljährige Freiheitsstrafe; der Angeklagte werde nach der zu erwartenden vollständigen Verbüßung nahezu 60 Jahre alt sein. Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung ist für die Gefährlichkeitsprognose (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich der Zeitpunkt der Aburteilung maßgeblich (vgl. BGHSt 25, 59, 61; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 3; BGH NStZ 2002, 535; siehe zu § 66 Abs. 2 StGB auch BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6; BGH, Urteil vom 2. Dezember 2003 - 1 StR 102/03 - UA S. 21). Die Frage, ob die Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft noch vorhanden sein wird, muß grundsätzlich einer Überprüfung nach § 67 c Abs. 1 StGB vor Ende des Vollzuges der Strafe vorbehalten bleiben. Der Tatrichter darf - zumal bei der Frage einer obligatorischen Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB - dem Alter des Angeklagten und den Wirkungen eines langjährigen Strafvollzuges allenfalls dann Bedeutung beimessen, wenn schon bei Urteilsfindung mit Sicherheit angenommen werden kann, daß aufgrund dessen eine Gefährlichkeit des Täters bei Ende des Vollzuges der Strafe nicht mehr bestehen wird. Die bloße Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoffnung auf sich ändernde Umstände können die Gefährlichkeit jedoch nicht ausräumen (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 3; BGH, NStZ 2002, 535; NStZ-RR 1998, 206; BGH, Urteil vom 7. November 2000 - 1 StR 377/00; Urteil vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01). Die Würdigung der Strafkammer, die genannten Umstände (vieljährige Freiheitsstrafe, Lebensalter nach Verbüßung nahezu 60 Jahre) minderten die Rückfallwahrscheinlichkeit, wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Die Charakterisierung des Angeklagten und die Prognose legen eher nahe, daß eine nicht mehr bestehende Gefährlichkeit zum
Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft nicht sicher wird angenommen wer- den können. Das deutet die Strafkammer selbst an, indem sie von einer erhöhten Rückfallwahrscheinlichkeit ausgeht. III. Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung muß mithin neu befunden werden. Auch der Ausspruch über die Freiheitsstrafe kann danach keinen Bestand haben. Die Strafkammer hat hervorgehoben, daß sie auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte, wenn sie die Sicherungsverwahrung hätte anordnen müssen. Vorsorglich weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, daß zwischen der Bemessung der Höhe einer zu verhängenden Freiheitsstrafe und der Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung kein unmittelbarer und notwendiger Zusammenhang besteht. Die Zumessung der Strafe folgt grundsätzlich der Schuld des Täters; die Wirkungen, die von ihr für das künftige Leben des Täters zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen (§ 46 Abs. 1 StGB; vgl. auch BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1). Die Sache ist an eine allgemeine Strafkammer zurückzuverweisen, weil lediglich gegen den erwachsenen Angeklagten neu zu verhandeln und zu entscheiden ist.
Nack Boetticher Schluckebier Hebenstreit Elf

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 466/10
vom
3. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Februar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt und ihn verurteilt, an die Adhäsionsklägerinnen Schmerzensgeld nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, mit der Sachrüge begründeten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft namentlich gegen die vom Landgericht abgelehnte Anordnung der Sicherungsverwahrung.
2
Eine Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung , die sich daraus ergeben könnte, dass die Revisionsbegründung nur dazu Ausführungen enthält (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 344 Rn. 6), wäre unwirksam. Denn zwischen den ausgesprochenen Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe einerseits und der Maßregel der Sicherungsverwahrung andererseits besteht im vorliegenden Fall ein nicht ausschließbarer untrennbarer Zusammenhang, weil das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung auch mit Blick auf die zu verbüßende lange Freiheitsstrafe abgesehen hat (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 318 Rn. 26).
3
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung und - insoweit nur zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - des gesamten Strafausspruchs.
4
1. Nach den Feststellungen zur Person ist der 68 Jahre alte Angeklagte mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft.
5
a) Mit Urteil vom 20. Dezember 1993 verurteilte ihn das Landgericht Hannover wegen fortgesetzten sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er im Zeitraum 1981 bis 1986 in einer Vielzahl von Fällen seine zu den Tatzeitpunkten zwischen acht und 13 Jahre alte Tochter an der Scheide berührt sowie einen Finger in ihre Scheide eingeführt, im Frühjahr 1991 vier zwischen fünf und neun Jahre alte Mädchen an der Scheide und am Rücken gestreichelt und im Zeitraum von Sommer 1992 bis 17. Juni 1993 ein acht Jahre altes Mädchen im Scheidenbereich gestreichelt und geküsst hatte. Am 30. Juni 1995 wurde er unter Aussetzung eines Strafrestes von 360 Tagen zur Bewährung aus der Strafhaft entlassen.
6
b) Am 16. März 1999 sprach das Landgericht Hannover den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 30 Fällen schuldig und verhängte gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Er hatte im Zeitraum von Juli bis Dezember 1997 ein sechs Jahre altes Mädchen am ganzen Körper gewaschen, sein erigiertes Glied zwischen dessen Schenkel gesteckt und es veranlasst, sein Glied anzufassen. Nach vollständiger Verbüßung der Strafe wurde er am 13. August 2002 aus der Strafhaft entlassen.
7
2. Nach den zur Sache getroffenen Feststellungen berührte der Angeklagte zu nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten im Zeitraum vom 16. September 2002 bis zum 31. Dezember 2006 in seiner Wohnung in H. die am 12. Mai 1995 geborene S. mindestens bei fünf Gelegenheiten an der Scheide und leckte sie in einem weiteren Fall an der Scheide (Fälle 1 bis 6 der Urteilsgründe). Außerdem küsste er die am 7. Mai 2001 geborene E. bei zwei Gelegenheiten in den Sommerferien 2008 in seinem auf einem Campingplatz in C. abgestellten Wohnmobil im Scheidenbereich (Fälle 7 und 8 der Urteilsgründe).
8
3. Das Landgericht hat jeweils minder schwere Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern wegen der einschlägigen Vorstrafen, der Verbüßung von Freiheitsstrafen in der Gesamthöhe von sechs Jahren und sechs Monaten, dem langen Tatzeitraum, der Anzahl der Fälle, der Tatmodalitäten sowie der psychischen Tatfolgen für die Geschädigten abgelehnt, ist vom Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB ausgegangen und hat aus fünf Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten (Fälle 1 bis 5 der Urteilsgründe) und drei Einzelstrafen von einem Jahr und zehn Monaten (Fälle 6 bis 8 der Urteilsgründe) eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt. Von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
9
Sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB für die Anordnung von Sicherungsverwahrung lägen vor. In Übereinstimmung mit den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Dr. P. sei ein Hang des Angeklagten zur Begehung von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu bejahen. Diagnostisch sei bei ihm eine Pädophilie mit einer Orientierung auf präpubertäre Mädchen gegeben. Es fehle bei ihm an einer intensiven Auseinandersetzung mit seinen Straftaten. Die Hartnäckigkeit seiner Delinquenz stehe in einem engen Zusammenhang mit seinen narzisstischen , hochgradig egozentrischen sowie zwanghaften Persönlichkeitszügen, seiner fehlenden Selbstkritik, einem ausgeprägten Empathiemangel, seinem erheblichen manipulativen Geschick sowie einer verzerrten Realitätserfahrung. Diese Besonderheiten der Persönlichkeit erschwerten eine nachhaltige Veränderung. Ein sozialer Raum, der ihn nach Entlassung aus der Strafhaft von gleichartigen Straftaten abhalten könnte, sei nicht gegeben. Da der Angeklagte eine hohe persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zeige, seine auf präpubertäre Mädchen ausgerichteten erotisch-sexuellen Interessen auszuleben, seien von ihm in der Zukunft gleichartige und erhebliche Straftaten durch gewaltfreies, manipulatives Verhalten innerhalb zuvor aufgebauter Beziehungen zu erwarten, sodass er für die Allgemeinheit gefährlich sei. Eine durchgeführte Prostataoperation und das fortgeschrittene Alter könnten bei ihm nicht als wesentlich die Rückfallgefahr mindernde Umstände gewertet werden.
10
Die nach § 66 Abs. 2 StGB zu treffende Ermessensentscheidung führe jedoch im Ergebnis dazu, dass die Sicherungsverwahrung nicht anzuordnen sei. Es sei zu erwarten, dass sich der Angeklagte, der über eine gut durch- schnittliche Intelligenz verfüge, die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe hinreichend zur Warnung dienen lasse. Er habe seine Bereitschaft zur Durchführung einer längerfristigen Gruppentherapie erklärt und erkannt, dass er bei einer weiteren vergleichbaren Tat eine Freiheitsstrafe zu erwarten habe, die ihn wegen seines fortgeschrittenen Alters für den Rest seines Lebens in Strafhaft bringe, und er zudem mit der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechnen müsse, um deren Nichtverhängung er gekämpft und die er nur knapp vermieden habe. Vor diesem Hintergrund werde der Umstand relativiert, dass er bereits zwei Tatkomplexe mit nachfolgender mehrjähriger Strafhaft unbeeindruckt überstanden habe. Hinzu komme, dass ihn die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen seines fortgeschrittenen Alters erheblich schwerer und länger treffen werde als die bisher verbüßten Strafen. Deshalb sei vom Beginn einer Änderung seines Bewusstseins und von einer ersten Bewegung in seiner bisher starren Haltung auszugehen, die sein weiteres Verhalten bestimmen werden. Die erklärte Therapiebereitschaft sei nicht als "prozesstaktisches Verhalten" zu werten, sondern als ein Bemühen, sich mit der Neigung zum Kindesmissbrauch kritisch auseinander zu setzen. Auch die Entschuldigung in der Hauptverhandlung und das Anerkenntnis der Schmerzensgeldforderungen belegten die erforderliche substantielle Änderung in der Lebenseinstellung. Bei der Ermessensausübung sei auch zu berücksichtigen, dass die Anlasstaten nicht von hoher Intensität seien und nach Verbüßung der Gesamtfreiheitsstrafe Führungsaufsicht eintrete, wodurch eine weitergehende intensive Kontrolle und Betreuung mit dem Ziel der Risikovermeidung erreicht werden könne.
11
4. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt hat, weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
12
a) Gemäß Artikel 316e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 EGStGB sind für die Entscheidung die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung anzuwenden.
13
b) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt zugänglich (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Dieser soll die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Täter schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1). Die maßgeblichen Gründe für seine Ermessensentscheidung muss der Tatrichter nachvollziehbar darlegen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1; BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, NStZ 1999, 473, 474), um dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen.
14
Für die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist und deshalb die Anordnung von Sicherungsverwahrung geboten erscheint, kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Urteilserlasses an. Eine noch ungewisse Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug bleibt bei der Prognose außer Betracht; ihr wird erst am Ende des Vollzugs im Rahmen der Prüfung gemäß § 67c Abs. 1 StGB Rechnung getragen. Das Absehen von der Anordnung trotz bestehender hangbedingter Gefährlichkeit kommt in Ausübung des in § 66 Abs. 2 und 3 StGB eingeräumten Ermessens nur dann in Betracht, wenn erwartet werden kann, der Täter werde sich die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs hinreichend zur Warnung dienen lassen, sodass für das Ende des Strafvollzugs eine günstige Prognose gestellt werden kann. Dabei darf der Tatrichter im Rahmen der Ermessensentscheidung auch die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen berücksichtigen (BGH, Urteil vom 20. Juli 1988 - 2 StR 348/88, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3; BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6; BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 4. September 2001 - 1 StR 232/01, NStZ 2002, 30, 31). Der Erwartung müssen aber stets konkrete Anhaltspunkte und hinreichende Gründe zugrunde liegen. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84, NStZ 1985, 261; BGH, Urteil vom 13. März 2007 - 5 StR 499/06, NStZ 2007, 401).
15
c) Gemessen an diesen Maßstäben hält die Ablehnung der Anordnung von Sicherungsverwahrung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
16
Eine Erwartung, der langjährige Freiheitsentzug und das hohe Lebensalter des Angeklagten würden die erforderliche substantielle Änderung in seiner Lebenseinstellung und Lebensführung bewirken, findet in den Feststellungen keine Grundlage. Die Strafkammer hat lediglich die denkbare Möglichkeit einer Haltungsänderung zum Ausdruck gebracht, jedoch nicht belegt, dass eine solche zu erwarten ist, indem sie von deren Beginn und einer ersten Bewegung spricht und in Übereinstimmung mit der Sachverständigen lediglich nicht aus- schließt, dass es zu einer Umorientierung des Angeklagten kommen könne, falls er sich einer sozialtherapeutischen Gruppentherapie unterziehe, diese zu Ende führe und im Anschluss an eine solche Therapie weitere stabilisierende Faktoren hinzukämen. Sie selbst geht - der Sachverständigen folgend - davon aus, dass erst am Ende einer erfolgreichen therapeutischen Behandlung das dann noch bestehende Rückfallrisiko beurteilt werden könne, nachdem der Angeklagte so lange an seinem Lebensstil festgehalten habe und die Besonderheiten seiner Persönlichkeit mit einer narzisstischen und zwanghaften Akzentuierung den sozialtherapeutischen Zugang erschwere und ihm den Weg zu einer nachhaltigen Veränderung verstelle. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht den Beginn einer Verhaltensänderung mit deren erwartbaren Erfolg gleichgesetzt hat.
17
5. Die gebotene Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Sicherungsverwahrung anzuordnen, führt - allerdings nur zu Gunsten des Angeklagten - auch zur Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Im Hinblick auf die Erwägungen im Urteil zu den möglichen Auswirkungen eines langfristigen Strafvollzugs auf das zukünftige Verhalten des Angeklagten vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Strafen niedriger ausgefallen wären, wenn zugleich die Sicherungsverwahrung angeordnet worden wäre (BGH, Urteil vom 8. September 1987 - 1 StR 393/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1; BGH, Urteil vom 31. Mai 1988 - 1 StR 182/88, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 2).
18
6. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
19
Bei der Ermessensausübung im Rahmen des § 66 Abs. 2 StGB sind vor allem die Persönlichkeit des Angeklagten, seine einschlägigen Vorstrafen und die Rückfallgeschwindigkeit in den Blick zu nehmen. Zwar ist es bei einem Mehrfachtäter nicht von vornherein völlig ausgeschlossen, trotz Vorliegen eines Hanges zum sexuellen Missbrauch von Kindern und einer daraus resultierenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen. Angesichts der Feststellung, der Angeklagte habe die Anlasstaten nach zwei einschlägigen Verurteilungen und der Verbüßung von insgesamt sechs Jahren und sechs Monaten Strafhaft begangen, sowie des Umstandes, dass die sechs Straftaten zum Nachteil der Geschädigten S. auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlich als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 1 (§ 176a Abs. 1 Nr. 4 aF) StGB zu würdigen gewesen wären mit der Folge einer höheren Strafandrohung , müssen Anhaltspunkte von Gewicht für eine Haltungsänderung vorliegen. Becker von Lienen Hubert Schäfer Mayer

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 148/13
vom
11. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. Z. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 21. Dezember 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen richtet sich die zunächst auf den Rechtsfolgenausspruch und sodann auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
1. Die Beschränkung der Revision auf das Unterlassen der Maßregelanordnung ist unwirksam. Das Landgericht hat den Angeklagten maßgeblich deswegen nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht, weil aufgrund der Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs bei dem Angeklagten eine Haltungsänderung erwartet werden könne. Damit hat es Strafhöhe und Maßregelanordnung in einen inneren Zusammenhang gesetzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 2).
3
2. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
4
Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB bejaht. Dem Sachverständigen folgend hat es außerdem einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten und dessen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung vom 22. Oktober 2010 festgestellt, der jedenfalls im Hinblick auf die Tat vom 22. September 2011 gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB in Verbindung mit der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) hier Anwendung findet. Dennoch hat es in Ausübung des ihm durch § 66 Abs. 2 StGB eingeräumten Ermessens davon abgesehen, den Angeklagten in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, weil eine Haltungsänderung des Angeklagten während der Dauer des Strafvollzugs zu erwarten sei. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge seines Hanges zur Begehung schwerer Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, richtet sich nach der Sachlage im Zeitpunkt der Aburteilung. Dies ist in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB für die Fälle der obligatorischen Verhängung der Sicherungsverwahrung nunmehr ausdrücklich geregelt. Ob der Angeklagte nach Strafverbüßung weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich und daher der Vollzug der Sicherungsverwahrung geboten ist, bleibt der Prüfung nach § 67c StGB vorbehalten (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2004 – 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
6
Soweit indes allein die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 oder 3 StGB in Betracht kommt, ist es dem Tatrichter grundsätzlich gestattet , bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Bestimmungen Rechnung getragen, die in den Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB – im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift – eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Angeklagten nicht voraussetzen. Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 – 1 StR 140/04, NStZ 2005, 211, 212; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, NStZ-RR 2011, 78; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172 f.).
7
b) Nach diesen Maßstäben leidet die Entscheidung des Landgerichts, den Angeklagten nicht in der Sicherungsverwahrung unterzubringen, an durchgreifenden Ermessensfehlern.
8
Sie stützt sich zunächst darauf, dass der Angeklagte während der Untersuchungshaft therapeutische Gespräche geführt habe, in deren Rahmen er eine gewisse "Opferempathie" habe erkennen lassen, die Therapeutin bei den Gesprächen das Gefühl gehabt habe, er bedauere die Sexualstraftaten, und er seine Bereitschaft zu einer Sozialtherapie geäußert habe. Auf dieser Grundlage ist der psychiatrische Sachverständige zu der – vom Landgericht geteilten – Einschätzung gelangt, dass sich die Prognose verbessert habe, weil sich durch eine Sozialtherapie die kognitiven Verzerrungen des Angeklagten verändern könnten und durch den Strafvollzug eine Haltungsänderung hinsichtlich seiner weiterhin grundsätzlich vorhandenen Bereitschaft, sich "sowohl Materielles als auch Nichtmaterielles zu nehmen", bewirkt werden könnte. Damit werden indes nur denkbare Wirkungen des künftigen Strafvollzugs benannt, die kaum mehr als eine Hoffnung beschreiben. Über die im Ansatz vorhandene allgemeine Unrechtseinsicht und Therapiebereitschaft des Angeklagten hinaus werden konkrete Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug nicht benannt.
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Soweit das Landgericht ergänzend darauf abhebt, es sei nach Ansicht des Sachverständigen auch nicht zu erwarten, dass der Angeklagte nach seiner Haftentlassung noch einmal in eine vergleichbare Lebenssituation gerate wie zu den Tatzeiten (UA S. 54), steht dies zudem in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den sonstigen gutachterlichen Ausführungen. Danach habe sich der Angeklagte "in der Vergangenheit immer wieder Frauen mit Kindern gesucht oder habe mit seinen Lebenspartnerinnen Kinder gezeugt. Der Angeklagte könne nach seiner Entlassung aus der Haft wieder ähnliche Situationen konstituieren" (UA S. 53).
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Nach alledem muss über die Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden; denn die aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots in vorliegendem Fall weiterhin (BGH, Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12; Urteil vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13) vorzunehmende "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" steht der Anordnung der Sicherungsverwahrung hier nicht von vornherein entgegen.
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3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StGB) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2008 – 5 StR 101/08, juris Rn. 23; Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 382/10, juris Rn. 14; Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10, juris Rn. 17).
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4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: § 51 BZRG enthält ein umfassendes Verwertungsverbot für getilgte oder tilgungsreife Eintragungen, das auch bei der Prüfung von Maßregeln der Besserung und Sicherung zu beachten ist. Eine Verwertung derartiger Voreintragungen kann auch nicht auf § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG gestützt werden. Diese Bestimmung lässt eine Berücksichtigung früherer Taten nur für die Beurteilung des Geisteszustandes des Betroffenen zu, nicht aber zur Begründung einer (nicht krankheitsbedingten ) Gefährlichkeitsprognose (BGH, Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 247/12, NStZ-RR 2013, 84).
Becker Hubert RiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Spaniol