Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14

bei uns veröffentlicht am12.06.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 1 5 4 / 1 4
vom
12. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Juni
2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 23. August 2013 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die - gestützt auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts - beanstandet, dass der Angeklagte nicht wegen versuchten Mordes verurteilt worden ist. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts beabsichtigte die Ehefrau des Angeklagten, die Nebenklägerin, bereits seit einiger Zeit, sich von ihm zu trennen. In den Wochen vor der Tat drohte der Angeklagte mehrfach ihr und auch Dritten gegenüber, er werde sie entstellen, wenn sie ihn verlasse. Infolge der zunehmenden Drohungen, die ihr auch von Bekannten berichtet wurden, fasste die Nebenklägerin am Wochenende vor der Tat endgültig den Entschluss , aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen. Sie veranlasste daraufhin die Überweisung eines ihr zustehenden Geldbetrages von einem gemeinsam von den Eheleuten für Ersparnisse genutzten Konto in Portugal auf ihr eigenes Konto. Der Angeklagte hatte bereits Tage zuvor angekündigt, es werde etwas passieren, wenn sie an das Konto gehe.
3
Am Tattag begab sich die Nebenklägerin nach ihrer Arbeit zunächst in die Wohnung ihrer Nachbarin, nachdem sie den Tag über bereits Vorbereitungen für ihren Auszug getroffen hatte. Die Nachbarin schlug ihr vor, die Nacht bei ihr zu verbringen und sofort mit dem Packen zu beginnen. Als die Nebenklägerin erkannt hatte, dass sich der Angeklagte nicht in der Ehewohnung aufhielt , begab sie sich dorthin und begann, für sich und ihre sechsjährige Tochter zu packen.
4
Am frühen Abend kehrte der Angeklagte in die Wohnung zurück und versuchte, seine Frau von der Trennung noch abzubringen, indem er erklärte, wenn sie jetzt ausziehe, werde er die Schlösser zur Wohnung auswechseln, so dass sie nicht mehr zurückkehren könne. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung bemerkte die ebenfalls anwesende Nachbarin auf die Äußerung des Angeklagten, seine Frau habe ihn bestohlen, die Nebenklägerin habe lediglich den ihr zustehenden Teil des Geldes von dem Konto in Portugal abgehoben. Der Angeklagte, der bis dahin von der Abhebung noch keine Kenntnis gehabt hatte, war von dieser Information tief erschüttert, weil ihm nun klar wurde, dass die Trennung nicht mehr abzuwenden war. Außerdem kränkte ihn zutiefst, dass die Nachbarin von diesem Umstand vor ihm in Kenntnis gesetzt worden war. Er schlug deshalb mit der Faust auf den Tisch und rief aus: "Jetzt kriegst Du sie." Sein zwischenzeitlich ebenfalls in der Wohnung erschienener Neffe umklammerte ihn daraufhin, um ihn an Gewalttätigkeiten gegenüber der Nebenklägerin zu hindern. In dem anschließenden Gerangel ergriff der Angeklagte in der Küche ein Fleischermesser, drohte an, sich damit zu verletzen, wenn man ihn nicht loslasse, und verließ sodann die Wohnung. Im Zustand heftiger Erregung begab er sich zum Haus seiner Schwester und seines Schwagers, die versuchten , ihn zu beruhigen, ihn anwiesen, in ihrem Anwesen zu bleiben, und sich dann zur Wohnung des Angeklagten begaben. Der Angeklagte, der ihnen folgte , fasste nun den Entschluss, seine Frau für ihr als Betrug empfundenes Verhalten zu bestrafen, indem er sie entstellte. Von unterwegs rief er einen Bekannten an, dem er weinend erklärte, die Nebenklägerin habe ihn bestohlen und er werde sie jetzt umbringen. Wieder in der Ehewohnung angekommen, ging er wortlos an seinen dort anwesenden Verwandten (Schwester, Schwager und Neffe) vorbei und begab sich in das Kinderzimmer, in dem die Nebenklägerin immer noch mit Packen beschäftigt war und sein Kommen nicht bemerkte. Er trat von hinten an sie heran und trennte ihr mit dem Fleischermesser, das er zunächst aus der Wohnung mitgenommen und in seiner Jacke mitgeführt hatte, mit einem Schnitt die Nasenspitze fast vollständig ab. In der Folge versetzte er der mittlerweile schreienden Nebenklägerin mehrere Schnitte und Stiche gegen Kopf und Hals, mit denen er sie erheblich verletzte und bei denen er ihren Tod zumindest billigend in Kauf nahm. Da die Geschädigte nunmehr ihre Hände schützend vor ihr Gesicht hielt, fügte der Angeklagte ihr auch Schnittverletzungen an beiden Händen und Unterarmen zu. Als sie stark blutend am Boden lag, ließ der Angeklagte von ihr ab, weil er damit rechnen musste, dass sein Schwager und sein Neffe der Nebenklägerin zur Hilfe kommen würden. Er ließ das Messer fallen und verließ die Wohnung; im Vorbeigehen erklärte er gegenüber seinem Schwager sinngemäß, nun werde er das Gleiche tun. Die lebensgefährlich verletzte Nebenklägerin wurde noch am gleichen Abend in einer mehrstündigen Operation chirurgisch versorgt. Sie hat mehrere Narben im Gesicht zurückbehalten und kann infolge der Durchtrennung der Strecksehnen von drei Fingern an der linken Hand diese auf unbestimmte Zeit nicht mehr schließen.
5
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass ein Rücktritt vom Versuch eines Tötungsdelikts nicht vorliege, weil der Versuch beendet gewesen sei und es an der Freiwilligkeit der Tataufgabe gefehlt habe. Ferner hat es angenommen , dass sich die Nebenklägerin im Tatzeitpunkt keines Angriffs versehen habe. Es hat sich indes nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte ihre Arg- und ihre daraus resultierende Wehrlosigkeit bewusst ausgenutzt habe. Das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat die Strafkammer ebenfalls verneint.
6
2. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke. Bei "rechtsfehlerfreier Bewertung und Berücksichtigung der festgestellten Tatsachen sei davon auszugehen, dass der Angeklagte mit dem erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt habe". Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, beanstandet die Revision damit der Sache nach die Beweiswürdigung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite des Mordmerkmals der Heimtücke. Die Beweiswürdigung weist indes insoweit keinen Rechtsfehler auf. Hierzu gilt:
7
Rechtsfehlerfrei und von der Revision unbeanstandet ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass die objektiven Voraussetzungen des Merkmals der Heimtücke gegeben waren, weil sich die Nebenklägerin keines Angriffs versah und infolge dieser Arglosigkeit wehrlos war. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist aber darüber hinaus, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür muss er die Umstände, welche die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur äußerlich wahrgenommen, sondern auch in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst haben; ihm muss mithin bewusst geworden sein, dass er einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen überrascht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 11. November 1986 - 1 StR 367/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 1; Urteil vom 15. Mai 1997 - 4 StR 118/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 25). Die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters können hierbei ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte; psychische Ausnahmezustände können auch unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Bewusstseins des Ausnutzens entgegenstehen (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634 mwN). Zur Feststellung des Ausnutzungsbewusstseins als subjektivem Merkmal der Heimtücke bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles.
8
Kann das Tatgericht Zweifel am Vorliegen eines subjektiven Tatbestandsmerkmals nach Durchführung einer solchen Gesamtbewertung nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 77 und 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89, 90).
9
Gemessen an diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung des Landgerichts revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Insbesondere sind die von der Strafkammer angestellten Erwägungen zu den äußeren Tatumständen und zum psychischen Zustand des Angeklagten nicht lückenhaft; aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich ausreichende Feststellungen und Würdigungen zum Ausmaß der Erregung des Angeklagten und zu den daraus resultierenden Auswirkungen: Die Strafkammer hat ausgeführt, der Angeklagte sei sehr aufgeregt gewesen, seine Verwandten hätten ihn noch nie so aufgeregt gesehen, er habe bei der telefonischen Ankündigung, er werde die Nebenklägerin jetzt töten, geweint und er habe sich von der durch die Trennung bevorstehenden Kränkung nicht mehr freimachen können. In diesem Zusammenhang bedurfte auch die wiedergegebene Einschätzung des Sachverständigen , der Angeklagte habe die Tat in starker Erregung und einem "Tunnelblick" begangen, keiner vertieften Erörterung. Zur Frage der äußeren Tatumstände bedurfte es angesichts der Schilderung des Tatorts keines besonderen Eingehens darauf, dass der Angeklagte die objektiven Umstände der Heimtücke einfach erfassen konnte.
10
Soweit die Revision geltend macht, die von der Strafkammer herangezogenen Umstände des spontan gefassten Tatentschlusses, der fehlenden Planung einer heimtückischen Begehungsweise, der telefonischen Ankündigung der Tat gegenüber einem Bekannten, der histrionischen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und der daraus resultierenden Begehung der Tat vor Zeugen sowie seiner Fehleinschätzung, sich moralisch im Recht zu fühlen, ermöglichten keine tragfähigen Schlüsse auf ein fehlendes Ausnutzungsbewusstsein, zeigt sie auch insoweit Rechtsfehler nicht auf: Die vom Landgericht gezogenen Schlussfolgerungen sind möglich, zwingend brauchen sie nicht zu sein. Dass entsprechend dem Revisionsvorbringen auch andere Schlüsse möglich gewesen wären, ist revisionsrechtlich ohne Bedeutung.
11
Schließlich ist auch nicht zu besorgen, dass die Strafkammer überzogene Anforderungen an ihre Überzeugungsbildung gestellt hätte: Sie hat ausdrücklich berücksichtigt, dass es für das Ausnutzungsbewusstsein ausreichen kann, wenn der Täter spontan die für ihn günstige Situation erfasst und sie sich zu Nutze macht. Angesichts dessen schließt der Senat entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts aus, dass das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise eine "Heimtückeabsicht" für erforderlich gehalten habe, weil es bezweifelt hat, dass der Angeklagte sich der Nebenklägerin planvoll so genähert habe, dass er sie mit seinem Angriff überraschen werde.
12
3. Das Urteil weist auch zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf; insbesondere hat das Landgericht einen Rücktritt des Angeklagten vom Totschlagsversuch im Ergebnis rechtsfehlerfrei verneint.
13
Allerdings hat die Strafkammer in den Feststellungen lediglich ausgeführt , dass der Angeklagte von der Nebenklägerin abließ, weil er damit rechnen musste, dass sein Schwager und sein Neffe ihr zu Hilfe kommen würden. Damit wird an dieser Stelle der Urteilgründe nicht deutlich, welches Vorstellungsbild der Angeklagte von der Tat nach der letzten Ausführungshandlung hatte. Auf dieses kommt es für die Abgrenzung zwischen einem unbeendeten und einem beendetem Versuch indes wesentlich an. Ein unbeendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung noch nicht alles getan hat, was zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist. Ein beendeter Versuch eines Tötungsdelikts ist hingegen anzunehmen, wenn der Täter im Zeitpunkt nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des Todes für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines bisherigen Tuns macht und ihm der mögliche Tod des Opfers gleichgültig ist (sog. Rücktrittshorizont, vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274 mwN). Lässt sich die Vorstellung des Täters von der Tat den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil es die revisionsrechtliche Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts nicht ermöglicht (BGH aaO, vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 13. November 2012 - 3 StR 411/12, juris; vom 29. September 2011 - 3 StR 298/11, NStZ 2012, 263 f.).
14
Das Fehlen entsprechender Ausführungen in den Feststellungen des Landgerichts gefährdet den Bestand des Urteils hier ausnahmsweise nicht, weil der Senat jedenfalls aus den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten schließen kann (vgl. dazu BGH, Urteil vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, juris Rn. 25, insoweit in NStZ-RR 2013, 273 nicht abgedruckt). Denn in der rechtlichen Würdigung hat die Strafkammer ausgeführt, der Angeklagte habe der Nebenklägerin unter anderem zwei stark blutende Schnitte und einen Stich in den Kopfbereich zugefügt, sein blutendes Opfer am Boden liegend zurückgelassen und im Hinausgehen seinem Schwager erklärt, er werde nun "das Gleiche" tun, was in dem gegebenen Zusammenhang so zu verstehen ist, dass der Angeklagte damit seinen Suizid ankündigte. Aus diesen Umständen hat das Landgericht - ebenfalls in der rechtlichen Würdigung, der Sache nach aber die Beweislage wertend - den Schluss gezogen , der Angeklagte habe jedenfalls zu diesem Zeitpunkt für möglich gehalten, dass die Nebenklägerin versterben werde. Soweit der Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang besorgt, die Strafkammer habe sich wegen der von ihr gewählten Formulierung "sprechen die Umstände dafür" nicht mit ausreichender Gewissheit von der Einschätzung des Angeklagten überzeugt, schließt der Senat schon aufgrund der weiteren Schlussfolgerung, dass deshalb von einem beendeten Versuch auszugehen sei, aus, dass das Landgericht entschieden hat, ohne die im Sinne des § 261 StPO erforderliche Überzeugung, mithin die persönliche, subjektive Gewissheit von der objektiven Wahrheit (vgl. KK-Ott, StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 2 mwN) gewonnen zu haben.
15
Da es sich bei den genannten Schlussfolgerungen der Sache nach um Bestandteile der Beweiswürdigung handelt, gelten die oben genannten Grundsätze: Die vom Landgericht gezogenen Schlüsse mussten nur möglich, zwingend brauchten sie nicht zu sein. Dies ist angesichts des von der Strafkammer herangezogenen Tatbildes und der anschließenden Äußerung des Angeklagten der Fall.
16
Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, ob das Landgericht - was zweifelhaft ist - die Ablehnung der Freiwilligkeit des Rücktritts tragfähig begründet hat. Da der Versuch beendet war, hätte der Angeklagte den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs verhindern oder sich darum zumindest ernsthaft bemühen müssen, was er indes nicht tat. lag damit keine Rücktrittshandlung im Sinne von § 24 Abs. 1 StGB vor, bedurfte es einer Prüfung der Freiwilligkeit nicht mehr.
Schäfer Pfister Hubert Mayer Gericke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14 zitiert 9 §§.

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be

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Referenzen

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 65/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 4. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Mai 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 29. Oktober 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und das asservierte Tatmesser eingezogen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen fühlte die 15 Jahre jüngere Ehefrau des 1956 in Stettin geborenen, nach einem Verkehrsunfall dauerhaft arbeitsunfähigen Angeklagten sich spätestens seit Herbst 2008 in ihrer Ehe unglücklich und versuchte seither, sich aus dieser zu lösen. Etwa im August 2009 lernte sie das spätere Tatopfer Sch. kennen und ging mit ihm eine Beziehung ein. Im November 2009 bezog sie eine „nur zwei Hausnummern“ von der gemeinsamen Wohnung entfernte eigene Wohnung. Der Angeklagte reagierte darauf sehr gekränkt. Zwei Tage nach ihrem Umzug besuchte er seine Ehefrau in deren neuer Wohnung. Es kam zwischen beiden zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Von den herbeigerufenen Polizeibeamten, die den Angeklagten zusammengekauert auf dem Bett der Ehefrau liegend vorfanden, ließ er sich freiwillig mitnehmen. Mit seinem Einverständnis wurde er in das Zentrum für integrative Psychiatrie in Kiel gebracht, dort etwa einen Monat lang stationär behandelt und schließlich mit der Diagnose einer „Störung der Impulskontrolle mit gewalttätigen Übergriffen vor dem Hintergrund von überwertigen Eifersuchtsideen“ (UA S. 10) in ambulante Weiterbehandlung entlassen. In der Folgezeit sah sich der Angeklagte gezwungen, die eheliche Wohnung zum 31. März 2010 aufzugeben.
3
Inzwischen beabsichtigte seine Ehefrau, gemeinsam mit ihren beiden jüngeren Kindern – der älteste Sohn befand sich in einem Internat – in das Haus von Sch. umzuziehen. Auf die Bemühungen des Angeklagten um klärende Gespräche ging sie immer weniger ein. Der Angeklagte entwickelte zunehmend die Vorstellung, dass Sch. es tatsächlich gar nicht auf seine Ehefrau, sondern – zumindest auch – auf seine 1994 geborene Tochter C. „abgesehen“ hätte (UA S. 11). Da die Sorgerechtssituation ungeklärt war und der Angeklagte seine Befürchtung mit seiner Ehefrau im Beisein von Sch. ausdiskutieren wollte, vereinbarte er telefonisch ein Treffen für den 28. März 2010 in der Wohnung der Ehefrau. Der Angeklagte begab sich mit Kuchen und einem Spielzeug für seinen jüngsten Sohn M. zu ihrer Wohnung. „Dabei führte er auch ein aus seiner Wohnung stammendes … einseitig geschliffenes Messer mit einer Gesamtlänge von ca. 33 cm, einer Klingenlänge von ca. 20 cm und einer maximalen Klingenbreite von 3 cm unter seiner Kleidung verborgen mit sich“ (UA S. 13). Ob er bereits zu diesem Zeitpunkt den Entschluss gefasst hatte, Sch. mit dem Messer zu töten oder auch nur zu verletzen, vermochte die Schwurgerichtskammer nicht sicher festzustellen.
4
Im Wohnzimmer der Ehefrau kam es zu einer Auseinandersetzung in teils angespannter Atmosphäre. Als sich die Stimmung erneut zu verschlechtern begann, brachte die Ehefrau ihren Sohn M. unter einem Vorwand aus dem Zimmer. Kurz nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, vernahm sie „komische Geräusche“ und Schreie von Sch. aus dem Wohnzimmer. Sie begab sich unverzüglich zurück ins Wohnzimmer, wo sie den Angeklagten mit einem Messer auf der Couch stehend erblickte, während Sch.
„halb sitzend, halb rücklings auf der Couch liegend versuchte, sich mit den Füßen gegen den Angeklagten zu wehren, und sich dabei den Bauch hielt“ (UA S. 14). Der Angeklagte hatte Sch. mit dem mitgebrachten Messer eine mindestens 25 cm tief in den Oberkörper eindringende kombinierte Schnitt-Stich-Verletzung zugefügt, in deren Folge es zu Verletzungen der Leber, des Dünndarms, der Milzvene und einer Nierenvene sowie der rechten Beckenschlagader kam. Darüber hinaus stach der Angeklagte Sch. in die linke Brustseite, was zu einer Verletzung der Lunge führte, und fügte ihm zwei weitere Stichverletzungen im Bereich der Extremitäten zu. Aufgrund der Verletzungen verstarb Sch. am folgenden Morgen im Krankenhaus.
5
Das Landgericht hat die Tat – unter Bejahung des Tatbestandsmerkmals der Heimtücke – als Mord gewertet. Sachverständig beraten ist es zur Annahme der vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangt.
6
2. Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Die Feststellungen des Urteils zur unmittelbaren Tatsituation tragen nicht die Annahme des Tatbestandsmerkmals der Heimtücke.
7
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen, noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (BGH, Urteil vom 26. November 1986 – 3 StR 372/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 150/96, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21 mwN).
8
b) Dass der Angriff Sch. „völlig unvermittelt“ (UA S. 32) traf, leitet die Strafkammer aus der Kürze des seit dem Verlassen des Zimmers durch die Zeugin Sa. verstrichenen Zeitraumes sowie daraus her, dass die Sitzposition Sch. s nach dem gegen ihn geführten Angriff mit derjenigen zum Zeitpunkt des Verlassens des Wohnzimmers durch die Zeugin „praktisch identisch“ war und keine Abwehrspuren an den Händen des Opfers festgestellt werden konnten. Während die Position von Täter und Opfer während der Tat auch durch die objektive Spurenlage belegt werden, beruhen die Feststellungen über die Kürze des seit dem Verlassen des Wohnzimmers durch die Zeugin Sa. verstrichenen Zeitraumes alleine auf deren mit ihrem Einverständnis in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben gegenüber der Polizei. Da eine Befragung der Zeugin, die in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht hat, nicht möglich war, ist schon eine Stützung der Feststellungen auf ihre insoweit eher unpräzisen Angaben vor der Polizei problematisch (vgl. zur Problematik allgemein BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 5 StR 482/10 Rn. 11 mwN). Dies bedarf indes keiner Vertiefung, da die Feststellungen jedenfalls nicht die Annahme des erforderlichen Ausnutzungsbewusstseins tragen.
9
c) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür ist erforderlich, dass er die Umstände, welche die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH, Urteile vom 26. November 1986 und vom 30. Mai 1996 aaO; BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691 jeweils mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteil vom 13. August 1997 – 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26 mwN); psychische Ausnahmezustände können auch unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Bewusstseins des Ausnutzens entgegenstehen (BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 – 5 StR 508/06, NStZ 2007, 330).
10
Das Landgericht geht mit dem zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten gehörten Sachverständigen davon aus, dass der Angeklagte „sich zur Tatzeit angesichts des sich für ihn abzeichnenden endgültigen Verlustes seiner Ehefrau und möglicherweise auch seiner Kinder in einem Zustand affektiver Erregung befunden“ habe (UA S. 35). Im Zusammenhang mit der Beurteilung seiner Schuldfähigkeit berücksichtigt es auch, „dass der Angeklagte auf der Grundlage seiner narzisstischen Persönlichkeitszüge und der mit ihr verbundenen Kränkbarkeit, seiner erhöhten Erregbarkeit und seiner eingeschränkten Frustrationstoleranz eine gewisse Disposition aufwies, auf narzisstische Kränkungen impulsiv zu reagieren“ (UA S. 35). Schließlich stellt es in Rechnung, dass „zwischen dem Angeklagten und Sch. als dem den Bestand seiner Familie bedrohenden ‚Nebenbuhler’ zumindest von seiner Seite aus seit einiger Zeit eine konflikthafte Beziehung bestand, die sich in der Tatsituation durch die nicht auszuschließende erstmalige sichere Erkenntnis , dass seine Ehefrau mit ihren beiden jüngeren Kindern umgehend zu Sch. ziehen werde, erneut aktualisierte“ (UA S. 36). Zwar hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran , die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen ; dies ist vielmehr Tatfrage (BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 aaO mwN). Es bedarf jedoch in der Regel der Darlegung gegenläufiger Beweisanzeichen , aus denen das Tatgericht folgert, dass der Täter trotz seiner Erregung die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände in sein Bewusstsein aufgenommen hat (BGH, Urteil vom 9. Februar 2000 – 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166).
11
hat Dies das Landgericht mit einem Umstand begründet, der als Grundlage für eine den Angeklagten nachteilige Schlussfolgerung ungeeignet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235). Das vom Landgericht für eine gezielte Ausnutzung der Argund Wehrlosigkeit Sch. s maßgeblich herangezogene Beweisanzeichen ist, dass sich der Angeklagte dem 1,86 m großen und 122 kg schweren Tatopfer bei einer eigenen Körpergröße von 1,80 m und 73 kg Körpergewicht „nach eigenen Angaben körperlich unterlegen fühlte“ und „sich daher bei lebensnaher Betrachtung nur von einem unvermuteten Angriff Erfolg versprechen konnte“ (UA S. 33). Die Wahrnehmung einer eigenen körperlichen Unterlegenheit , die das Landgericht einer Einlassung zur Darstellung einer ganz anderen – seinen Feststellungen nicht zugrunde gelegten – Tatsituation entnommen hat, kann hier indes nicht als Grundlage der Schlussfolgerungen ausreichen, dass der Angeklagte trotz seiner aus dem Verlust seiner bisherigen Existenz und seinen besonderen Persönlichkeitsmerkmalen resultierenden Erregung die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände in sein Bewusstsein aufgenommen hat. Das Landgericht hat zudem bei seiner Vorgehensweise aus einer als widerlegt angesehenen, der Verteidigung dienenden Einlassung einen Umstand herangezogen, den es – hierzu in Widerspruch – belastend verwertet hat.
12
3. Darüber hinaus sind auch die Feststellungen rechtsfehlerhaft, mit denen das Landgericht einen die Schuldfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindernden Affekt ausschließt.
13
der Bei Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten geht das Landgericht – wie bereits dargelegt – davon aus, dass sich der Angeklagte bei der Tatbegehung in einem Zustand affektiver Erregung befunden habe. Gegen das Bestehen eines damit verbundenen und seine Schuldfähigkeit in relevantem Umfang einschränkenden Affekts spreche nach Ansicht des Sachverständigen – dem sich das Landgericht anschließt – indes, „dass der Angeklagte im Zusammenhang mit der Tatausführung eine von ihm getroffe- ne Entscheidung im Wege eines geordneten Handelns umgesetzt habe, um ein eigenes Zeichen“ zu setzen (UA S. 35). Diese Annahme ist weder vor dem Hintergrund der Feststellungen des angefochtenen Urteils, noch vor demjenigen der Einlassung des Angeklagten nachvollziehbar. Der Umstand, dass der Angeklagte nach der Tat die Tatwaffe gereinigt und in die Küchenschublade gelegt hat, wird in diesem Zusammenhang als „systematisches Vertuschungsbemühen“ eingeschätzt (UA S. 35), das ganz erheblich gegen einen schwerwiegenden Affekt spreche. Das Landgericht setzt sich nicht damit auseinander, dass in der Reinigung der Tatwaffe in der Küche auch ein reflexhafter, instinkt- und emotionsgeleiteter Versuch der Herstellung des „status quo ante“ gelegen haben könnte. Schließlich wird auch die – rechtsfehlerhaft festgestellte – „heimtückische Vorgehensweise“ (UA S. 36) des Angeklagten bei der Tatausführung als gegen einen erheblich schuldmindernden Affekt sprechender Umstand herangezogen.
14
Das 4. angeklagte Tatgeschehen bedarf damit umfassender neuer tatgerichtlicher Prüfung. Bei dieser wird insbesondere die Frage nochmals kritisch zu überprüfen sein, ob es nachweisbar ist, dass der Angeklagte das Tatmesser zu der Verabredung mitgebracht hat. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass für den Fall, dass Heimtücke wegen fehlender subjektiver Voraussetzungen zu verneinen wäre und die dies begründende psychische Verfassung des Angeklagten den Grad erheblich verminderter Schuldfähig- keit erreichte, bei einem Schuldspruch nur wegen Totschlags eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zur Vermeidung einer Doppelberücksichtigung desselben Umstands nach tatgerichtlichem Ermessen versagt werden kann.
Basdorf Brause Schaal Schneider Bellay

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 140/12
vom
20. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. September 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 29. September 2011 werden verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und durch das Rechtsmittel des Nebenklägers entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Der Nebenkläger trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren durch die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen jedoch die Staatskasse und der Nebenkläger je zur Hälfte. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger stützen ihre zu Unguns- ten des Angeklagten eingelegten Revisionen auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts; der Nebenkläger beanstandet zudem das Verfahren. Beide erstreben eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen tateinheitlich hinzutretenden versuchten Totschlags. Der Nebenkläger ist außerdem der Meinung, dass das Landgericht den Angeklagten nicht der gefährlichen, sondern der schweren Körperverletzung hätte schuldig sprechen müssen. Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
2
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der sich unwohl fühlende Angeklagte nahm am Morgen des 20. Mai 2011 zwei Tabletten zu je 10 mg Diazepam ein. Um die Mittagszeit ging er zum Angeln. Nach seiner Rückkehr gegen 16.30 Uhr nahm er nochmals ein bis zwei dieser Tabletten zu sich und begab sich kurz darauf in eine Gaststätte, wo er Bier in nicht mehr feststellbarer Menge trank. Von dort ließ er sich zwischen 22.00 und 23.00 Uhr in bereits angetrunkenem Zustand mit dem Taxi zu einem Vereinslokal bringen. Das mittags eingesteckte Anglermesser, ein Klappmesser mit 7 cm langer Klinge, befand sich noch in seiner Hosentasche.
4
In dem Vereinslokal traf der Angeklagte auf den ihm flüchtig bekannten Nebenkläger. Dessen Cousin unterhielt, wie der Angeklagte wusste, eine Beziehung zu einer Frau C. , mit der sich der Angeklagte in seiner frühen Jugendzeit mehrfach getroffen hatte. Der Angeklagte trank Bier und Korn und unterhielt sich dabei über längere Zeit hinweg in freundschaftlicher Weise mit dem Nebenkläger. Auf wiederholte Versuche des Angeklagten, das Gespräch auf den Cousin und Frau C. zu lenken, reagierte der Nebenkläger indes abweisend. Hierdurch geriet der Angeklagte zunehmend "in Rage". Eine sich deswegen entwickelnde verbale Auseinandersetzung konnte ein anderer Gast durch beruhigendes Einwirken auf den Angeklagten zunächst beenden. Anschließend sprachen der Angeklagte und der Nebenkläger wiederum gemeinsam , zeitweise Arm in Arm an der Theke stehend, dem Alkohol zu.
5
Gegen 2.00 Uhr flammte der Streit zwischen dem mittlerweile stark betrunkenen Angeklagten und dem Nebenkläger jedoch erneut auf. Der Nebenkläger wandte sich schließlich ab und ging zur Toilette. Als er den Gastraum wieder betrat, schnitt ihm der Angeklagte unvermittelt mit dem Anglermesser in die rechte Gesichtshälfte. Der Nebenkläger empfand dies wie einen Schlag, fiel zu Boden und versuchte wegzukrabbeln. Der Angeklagte folgte ihm und stach, ohne ein Wort zu äußern, über ihm stehend insgesamt dreizehn Mal wahllos im Bereich des Gesichts, der Schulter, des Rückens und des Gesäßes auf ihn ein. Anschließend lief er weg, ohne sich um den am Boden liegenden Verletzten zu kümmern. Ein Stich unterhalb des linken Schulterblatts drang mindestens 2,6 cm tief ein, eröffnete den Brustkorb, verletzte die Lunge und rief einen TeilPneumothorax hervor, der indes erfolgreich notfallmedizinisch behandelt werden konnte. Akute Lebensgefahr bestand nicht. Die weiteren Stiche, deren Tiefe das Landgericht nicht hat feststellen können, waren demgegenüber auch potentiell nicht lebensbedrohlich. Dem Nebenkläger verblieben vierzehn Narben im Rückenbereich, zwei davon aufgrund der bei der Notfallbehandlung angelegten Drainage, eine deutlich sichtbare 3 cm lange und ca. 0,5 cm breite Narbe an der rechten Wange sowie eine weitere von der Wange zum Halsbereich hinabführende Narbe im Gesicht.
6
Infolge des genossenen Alkohols und der eingenommenen Medikamente war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit erheblich eingeschränkt. Gleichwohl erkannte der Angeklagte, dass die Messerstiche gegen den Nebenkläger allgemein geeignet waren, dessen Leben zu gefährden, da sie Körperhöhlen eröffnen, lebenswichtige innere Organe verletzen oder Arterien perforieren konnten.
7
2. Demgegenüber hat sich das Landgericht nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte bei seinem Handeln mit tödlichen Verletzungen des Nebenklägers wenigstens rechnete und solche billigend in Kauf nahm. Seine Zweifel hieran gründet es auf die nachfolgenden Erwägungen:
8
Zwar sei es zunächst ein deutliches, für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz sprechendes Beweisanzeichen, dass der Angeklagte dem Nebenkläger insgesamt vierzehn, überwiegend gegen den Rumpfbereich gerichtete Messerstiche beigebracht habe, denn damit habe er Gewalthandlungen verübt, deren Lebensbedrohlichkeit allgemein bekannt sei. Insgesamt zeige der äußere Geschehensablauf jedoch auch Umstände auf, die gegen einen Tötungsvorsatz des Angeklagten sprächen. Diese seien mit in Bedacht zu nehmen, denn die Entscheidung über die innere Tatseite könne nicht allein anhand der Gefährlichkeit der Tathandlung getroffen werden, sondern erfordere eine umfassende Würdigung des gesamten objektiven und subjektiven Tatbildes.
9
Eingeleitet habe der Angeklagte den Angriff mit einem Schnitt in die Wange des Nebenklägers, der für sich schon nicht als eine lebensbedrohliche Gewalthandlung angesehen werden könne. Von einem Einsatz des Messers gegen den Oberkörper des Nebenklägers habe er, obwohl möglich, abgesehen. Dies belege, dass es dem Angeklagten jedenfalls zunächst nur darum gegangen sei, dem Nebenkläger eine äußerlich sichtbare Verletzung beizubringen. Es sei aber auch nicht erweislich, dass der Angeklagte, als er anschließend auf den Körper des am Boden befindlichen Nebenklägers eingestochen habe, ent- gegen seiner ursprünglichen Willensrichtung nunmehr mit tödlichen Verletzungen des Nebenklägers gerechnet und solche billigend in Kauf genommen habe. Gegen einen solchen Vorsatzwechsel spreche einmal, dass die Stiche insgesamt unkoordiniert geblieben seien und sich auch gegen Körperteile gerichtet hätten, bei denen lebensbedrohliche Verletzungen nicht zu erwarten gewesen seien. Weiter habe die Länge der Messerklinge lediglich 7 cm betragen; nach deren Beschaffenheit sei auch die Einstichbreite verhältnismäßig gering geblieben. Zudem habe sich der Angeklagte einer bei einer Körpergröße von 1,76 m und einem Gewicht von 125 kg stark fettleibigen Person gegenüber gesehen, bei der vermehrt schützendes Fettgewebe zu erwarten gewesen sei. Schließlich sei, was den Stich in den Brustkorb betreffe, lediglich eine Tiefe von 2,6 cm sicher nachzuweisen; zugunsten des Angeklagten müsse davon ausgegangen werden, dass auch die anderen Stiche nicht tiefer reichten. Zumindest nicht für einen Tötungsvorsatz spreche, dass der Angeklagte die Tat ohne Sicherungstendenzen begangen, sich in einer alkoholenthemmten Atmosphäre spontan und ohne vorherige Planung zur Tat entschlossen und nicht über einen einsichtigen Beweggrund für die Tötung eines Menschen verfügt habe.
10
Die Einlassung des Angeklagten bleibe unergiebig, denn dieser habe lediglich erklärt, sich an das Tatgeschehen nicht erinnern zu können. Ebenso wenig seien tatbegleitende Äußerungen des Angeklagten festzustellen, die einen Schluss auf seine Willensrichtung erlaubt hätten.
11
II. Revision der Staatsanwaltschaft
12
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet, denn die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge deckt keine Rechtsfehler zugunsten oder zulasten (§ 301 StPO) des Angeklagten auf. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin begegnet die Beweiswürdigung, auf welcher die Überzeugung der Strafkammer gründet, es sei lediglich ein Körperverletzungs -, nicht aber ein auch nur bedingter Tötungsvorsatz festzustellen, keinen rechtlichen Bedenken.
13
1. a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt , weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement , umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372).
14
b) Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 - 4 StR 599/11 mwN).
15
c) Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443) und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet (BGH, Urteile vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ- RR 2010, 144; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widerspräche.
16
d) Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dies gilt auch für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet , rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. So kann eine Alkoholbeeinflussung des Täters von Rechts wegen den Schluss auf eine verminderte Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen oder auf fehlendes Bewusstsein von Umständen, die gegen einen tödlichen Ausgang des Geschehens sprechen, ebenso tragen wie umgekehrt den Schluss auf ein unüberlegtes Handeln, bei dem sich der Täter nahe liegender tödlicher Folgen nicht bewusst wird. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, den- selben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).
17
2. Daran gemessen ist gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts nichts zu erinnern. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze.
18
Das Landgericht hat zunächst eine objektiv gefährliche Gewalthandlung des Angeklagten festgestellt und darin ein deutliches Indiz sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes gesehen. Gleichwohl hat es sich im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aller Tatumstände vom Vorliegen des - wie sich aus den Urteilsgründen hinreichend erschließt - erforderlichen Willenselementes nicht überzeugen können. Seine Zweifel hat es nicht nur auf die Beschaffenheit des verwendeten Messers gegründet , sondern auch darauf, dass der den Stichen gegen den Rumpf des Nebenklägers unmittelbar vorausgegangene Stich in die Wange offensichtlich nur von Verletzungsvorsatz getragen war, dass der Angeklagte die weiteren Stiche eher ungezielt führte, dass der Nebenkläger erkennbar über schützendes Fettgewebe verfügte und dass die nachweisbare Stichtiefe im Verhältnis zur Klingenlänge eher gering blieb, was ohne weiteres gegen wuchtig geführte Stiche spricht. Schließlich hat das Landgericht auch geprüft, ob die Motivlage, tatbegleitende Äußerungen oder Sicherungsmaßnahmen des Angeklagten zu einer anderen Beurteilung führen, und in diesem Zusammenhang Umstände, die für einen Tötungsvorsatz sprechen, rechtsfehlerfrei verneint.
19
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts hat das Landgericht in hinreichender Weise auch den Umstand in seine Betrachtung mit einbezogen, dass der Angeklagte unter dem Einfluss von Alkohol stand. In der Gesamtschau der Beweisanzeichen hat es die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten als Hinweis auf eine unüberlegte Spontantat gesehen, die nicht für einen bedingten Tötungsvorsatz spreche. Diese tatrichterliche Bewertung ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Danach bedurfte es auch keiner besonderen Prüfung mehr, ob die Alkoholbeeinflussung - im Gegensatz dazu - deshalb ein den Angeklagten belastendes Indiz darstellt, weil er möglicherweise nicht mehr in der Lage war, die festgestellten gefahrmindernden Umstände zu erkennen, oder weil seine Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen herabgesetzt gewesen sein könnte.
20
III. Revision des Nebenklägers
21
Auch die Revision des Nebenklägers bleibt ohne Erfolg.
22
1. Die Rüge, das Landgericht habe seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) dadurch verletzt, dass es davon absah, die in dem Vereinslokal zur Tatzeit als Bedienung tätige Zeugin Z. in der Hauptverhandlung zu vernehmen, ist unbegründet.
23
a) Der Rüge liegt zugrunde: Die Zeugin war zum Hauptverhandlungstermin am 24. August 2008 trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen. Die Strafkammer beschloss zunächst die Vorführung der Zeugin, regte später aber an, stattdessen die Niederschriften über deren polizeiliche und richterliche Vernehmungen im Ermittlungsverfahren zu verlesen. Hiermit erklärten sich sämtliche Verfahrensbeteiligte einverstanden, weshalb die genannten Niederschriften nach entsprechendem Gerichtsbeschluss gemäß "§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO" verlesen wurden.
24
Nach Ansicht des Beschwerdeführers wäre das Landgericht gehalten gewesen, die Zeugin in der Hauptverhandlung zur Beschaffenheit der Tatwaffe zu vernehmen. Insoweit habe es sich ausweislich der Urteilsgründe ausschließlich auf die Einlassung des Angeklagten gestützt, der zwar geltend gemacht habe, sich an eine Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger nicht erinnern zu können, aber eingeräumt habe, es könne sein, dass er sein Anglermesser mit orangefarbenem Griff und mit einer Klinge von ca. 7 cm Länge noch bei sich gehabt habe. Demgegenüber habe die Zeugin bei ihrer richterlichen Vernehmung ausgesagt, sie habe vor der Tat einen "gelb-silbernen" Gegenstand, nach ihrem Eindruck ein Klappmesser, "etwa 5 - 10 cm" aus der Hosentasche des Angeklagten herausragen gesehen. Wäre die Zeugin in der Hauptverhandlung vernommen worden, hätte sie - so der Beschwerdeführer - ausgesagt, dass es sich bei dem mitgeführten Messer nicht um das ihr bekannte orangefarbene Anglermesser des Angeklagten gehandelt habe, sondern um dessen ihr ebenfalls bekanntes gelbes, mit silbernen Verzierungen versehenes "Ausgehmesser". Dieses habe eine ca. 12 cm lange Klinge und diene dem Angeklagten nach eigenem Bekunden dazu, sich "Probleme vom Hals" zu halten.
25
b) Anders als behauptet kann der Beschwerdeführer nicht aufzeigen, dass sich das Landgericht aufgrund des Inhalts der verlesenen Niederschriften dazu hätte gedrängt sehen müssen, durch Vernehmung der Zeugin weitere Ermittlungen zur Beschaffenheit der Tatwaffe anzustellen. Weder aus der Aussage der Zeugin bei der Polizei noch aus ihrer Aussage vor dem Ermittlungsrichter ergeben sich greifbare Anhaltspunkte dafür, dass sie Kenntnis davon gehabt hätte, über welche Messer der Angeklagte verfügte, wie diese im einzelnen beschaffen waren und wozu sie ihm dienten. Vor diesem Hintergrund ist das Landgericht nach Würdigung der Einlassung des Angeklagten und der Bekundungen der Zeugin zu dem revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Ergebnis gelangt, dass die der Zeugin mögliche Beschreibung der Tatwaffe der vom Angeklagten hierzu abgegebenen Erklärung nicht den Boden zu entziehen vermag.
26
2. Soweit der Beschwerdeführer mit der Sachrüge die Beweiswürdigung des Landgerichts zur inneren Tatseite des Angeklagten beanstandet, verweist der Senat auf die Ausführungen zur Revision der Staatsanwaltschaft (oben II.).
27
3. Die Rüge, das Landgericht hätte den Angeklagten statt der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) der schweren Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) schuldig sprechen müssen, bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
28
IV. Revision des Angeklagten
29
Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Becker Schäfer Mayer
Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 158/12
vom
20. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlag u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. September 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers R. wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen ausgehoben 1. soweit der Angeklagte im Fall B. I. der Urteilsgründe wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil dieses Nebenklägers verurteilt worden ist; 2. im Ausspruch über die Jugendstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Totschlag, sowie wegen schweren Raubes zu der Jugendstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Während die Schuldsprüche wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Totschlag sowie wegen schweren Raubes in Rechtskraft erwachsen sind, beanstandet der Nebenkläger R. mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, dass das Landgericht bei der zu seinem Nachteil begangenen Tat einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht festgestellt und diesen insoweit nur wegen gefährlicher Körperverletzung, nicht aber wegen tateinheitlich begangenen versuchten Totschlags verurteilt hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts befand sich der Angeklagte am 29. Mai 2010 am Rheinufer in Düsseldorf, um dort mit anderen den sogenannten Japan-Tag zu begehen. Ganz in der Nähe hatten sich andere junge Leute, unter ihnen der Nebenkläger, niedergelassen, die aus der Gruppe des Angeklagten heraus mit Steinchen beworfen wurden, was zu verbalen Reaktionen führte. Die dadurch hervorgerufene Unruhe bekam auch der Angeklagte mit, der unvermittelt ein mitgeführtes Springmesser hervorzog, mit ausgefahrener Klinge am ausgestreckten Arm vor sich hielt und schrie, wer hier Stress mache, den steche er ab. Als es in der Folge zu auch körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern beider Gruppen kam, griff der Angeklagte auf Seiten seiner Freunde ein, indem er mit dem Messer in der Faust auf den Nebenkläger, der von anderen zu Boden gebracht worden war und im Begriff stand, sich unter Abwehr seiner Gegner aufzurichten, zustürzte und "im Bewusstsein in der konkreten Art der jetzigen Anwendung Lebensgefährlichkeit des Messers" in schneller Folge vielfach auf diesen einstach. Dabei führte er möglicherweise zwanzig oder mehr unkontrollierte und unkoordinierte Stichbewegungen aus. Der Nebenkläger wurde im Bereich des Rückens, der Schulter und des linken Armes neun Mal vom Messer des Angeklagten getroffen, wobei die beiden tiefsten Einstiche einen vier bis fünf Zentimeter tiefen Stichkanal aufwiesen, von denen einer bis hinter das Bauchfell reichte. Die Stiche, die nicht lebensbedrohlich waren, führten zu keinen Organverletzungen. Während ein anderer beruhigend auf den Angeklagten einredete, nahm dieser wahr, wie der Nebenkläger sich aufrichtete, wandte sich aber ab und ging davon, wobei er in der Folge mit einem gezielten und wuchtigen Stich in den Rücken eines weiteren Geschädigten die von der Strafkammer rechtskräftig als versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung abgeurteilte Tat beging.
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Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil des Nebenklägers als gefährliche Körperverletzung - mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung sowie gemeinschaftlich begangen - gewürdigt und ausgeführt, es habe sich nicht die Überzeugung verschaffen können, dass der Angeklagte beim Einstechen auf den Nebenkläger mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Zwar habe er kurze Zeit vor der Tat durch seine Äußerung eine hohe Gewaltbereitschaft und Kenntnis davon gezeigt, dass das geführte Messer zur Beibringung tödlicher Verletzungen geeignet sei. Doch habe er auf den Oberkörper des Nebenklägers nicht gezielt eingestochen, sondern im bewegten Geschehen des fortdauernden Kampfes in schneller Folge eine Vielzahl unkontrollierter und unkoordinierter Stichbewegungen ausgeführt, von denen viele das Opfer verfehlt oder nur gestreift hätten. Auch wenn es sich dabei um schwerwiegende Gewalthandlungen gehandelt habe, die die billigende Inkaufnahme des Todeseintritts nicht fernliegend erscheinen ließen, lasse sich aus dieser objektiven Gefährlichkeit wegen des wahllosen Einstechens auf den Nebenkläger, das ein bewusstes Zielen auf besonders empfindliche Körperregionen oder gar lebenswichtige Organe nicht habe erkennen lassen, ein hinreichend sicherer und vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietender Schluss auf eine billigende Inkaufnahme des Todes des Nebenklägers als mögliche Folge der Tathandlung nicht ziehen.
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2. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZRR 2010, 144). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443; vom 27. August2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372).
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Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 - 4 StR 599/11 mwN).
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Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443) und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet (BGH, Urteile vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZRR 2010, 144; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widerspräche.
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Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dies gilt auch für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet , rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen , sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).
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b) Auch unter Berücksichtigung dieses tatrichterlichen Bewertungsspielraums werden die Ausführungen des Landgerichts den Anforderungen an die Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gerecht.
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Zwar entzieht es sich revisionsgerichtlicher Kontrolle, mit welcher Bewertung und in welchem Beweiszusammenhang das Landgericht vorliegend das ambivalente Indiz, dass der Angeklagte nicht gezielt auf den Nebenkläger eingestochen , sondern eine Vielzahl unkontrollierter und unkoordinierter Stichbewegungen ausgeführt hat, in seine Gesamtwürdigung eingestellt hat. Doch erweisen sich die Urteilsgründe in der Frage, welche indizielle Bedeutung der den Tätlichkeiten vorangegangenen Ankündigung des Angeklagten, wer Stress mache , den steche er ab, beizumessen ist, als teilweise widersprüchlich und lückenhaft. Denn während das Landgericht aus dieser von einem Vorzeigen des Messers mit ausgefahrener Klinge am ausgestreckten Arm begleiteten Bemerkung im Zusammenhang mit der später zum Nachteil eines weiteren Geschädigten verübten Tat die sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement wesentliche Folgerung gezogen hat, dem Angeklagten sei die Möglichkeit, mit dem Messer nicht nur verletzende, sondern auch tödliche Stiche versetzen zu können, bewusst und er sei hierzu jedenfalls grundsätzlich auch bereit gewesen, hat es ihr für die Tat zum Nachteil des Nebenklägers die allein für das Wissenselement bedeutsame Kenntnis um die Eignung des Messers zur Beibringung tödlicher Verletzungen entnommen. Bestand aber bereits vor Beginn der Tätlichkeiten eine grundsätzliche Bereitschaft des Angeklagten, im Rahmen der erwarteten Auseinandersetzung gegebenenfalls auch tödliche Stiche zu versetzen, dann bedurfte es der Erörterung, warum der Angeklagte erst bei der Tat zum Nachteil des anderen Geschädigten, dagegen noch nicht schon bei der vorangegangenen Tat zum Nachteil des Nebenklägers die Gefahr eines möglichen Todeseintritts in Kauf nahm.
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Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann den Feststellungen nicht entnommen werden, dass der Angeklagte von einem möglichen Tötungsversuch zurückgetreten wä- re. Zwar lässt sich den Urteilsgründen entnehmen, dass der Angeklagte wahrnahm , wie der Nebenkläger sich aufrichtete, sich aber gleichwohl abwandte und davonging. Doch wurden Feststellungen zu der Vorstellung des Angeklagten über die Folgen der von ihm gesetzten Stiche, die Schlüsse auf einen möglichen Rücktrittshorizont zuließen, nicht getroffen.
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Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs entzieht der verhängten Einheitsjugendstrafe die Grundlage.
Becker Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

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Auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten kann hier nicht aus dem Urteil in seiner Gesamtheit geschlossen werden, wenn auch im Rahmen der Beweiswürdigung (III. 6 = UA S. 10-12) und der rechtlichen Würdigung (IV. 1 = UA S. 12) rudimentär Rücktrittselemente angesprochen werden. Hier wird jeweils in erster Linie mitgeteilt, was nicht festgestellt werden konnte, ohne dass - ergänzend heranzuziehende - klare und eindeutige Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach den verschiedenen Tathandlungen getroffen wurden. Ohnehin konnte N. zum jeweiligen Vorstellungsbild des Angeklagten schon deshalb keine Angaben machen, weil er sich hierzu nicht geäußert hat. Die entsprechenden Feststellungen sind aber unerlässlich; denn auf den Rücktrittshorizont kommt es bei der Beurteilung, ob ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch vorliegt, entscheidend an.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 411/12
vom
13. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
13. November 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 5. Juli 2012 aufgehoben,
a) im Fall III. 6. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen sowie in den Fällen III. 7. bis 10. der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer Serie von Sexualdelikten zum Nachteil verschiedener Kinder zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entschei- dungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Im Fall III. 6. der Urteilsgründe hält die Verurteilung wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte der Angeklagte an dem 13 Jahre alten Jan-Hendrik den Analverkehr ausüben. Er schob die Unterhose des vor ihm knienden Kindes beiseite und berührte zuerst mit seinem Glied dessen Gesäß. "Anschließend versuchte er, sein Glied in den After des Jungen einzuführen, was ihm jedoch nicht gelang, weil der Junge Schmerzen verspürte" (UA S. 5). Ob der Angeklagte in dieser Situation aus Rücksicht auf das Opfer von der weiteren Tatbegehung Abstand nahm oder ob er sein Vorhaben als gescheitert ansah mit der Folge, dass ihm ein strafbefreiender Rücktritt nicht mehr möglich war, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Eine solche Erörterung wäre indes hier geboten gewesen.
4
Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv - sei es auch nur wegen aufkommender innerer Hemmungen - die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Hält er dagegen die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich , wenn auch mit anderen Mitteln, dann ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 338/10 bei Pfister NStZ-RR 2010, 361 Nr. 23 mwN).
5
Was den Angeklagten veranlasst hat, die Tatausführung abzubrechen, bedarf erneuter Prüfung durch den Tatrichter und der Darlegung in den Urteilsgründen. Die Aufhebung erfasst auch das in Tateinheit stehende vollendete Delikt nach § 176 Abs. 1 StGB.
6
2. In den Fällen III. 7. bis 10. der Urteilsgründe hat das Landgericht nicht festgestellt, dass der Angeklagte mit der Möglichkeit rechnete oder gar wusste, dass das Opfer im Zeitpunkt der Taten das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Entsprechende ausdrückliche Darlegungen sind jedenfalls dann erforderlich , wenn das Alter des Opfers wie hier knapp unter der Schutzaltersgrenze liegt und dessen äußeres Erscheinungsbild sowie die näheren Umstände und die Dauer der Bekanntschaft mit dem Angeklagten unerörtert bleiben, so dass auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe der zumindest bedingte Vorsatz des Angeklagten nicht entnommen werden kann.
7
Die zu diesen Taten bisher getroffenen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter wird zur inneren Tatseite ergänzende Feststellungen zu treffen haben.
8
3. Die Teilaufhebung lässt die Einzelstrafen für die übrigen Taten unberührt. Die Gesamtstrafe muss indes aufgehoben werden.
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4. Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, der Anregung des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschrift folgend den Schuldspruch insgesamt neu zu fassen.
Becker Pfister Schäfer Mayer Gericke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 298/11
vom
29. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
29. September 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 14. April 2011 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und einen zweijährigen Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe angeordnet. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet der Angeklagte mit zwei Männern in einen Streit, aus dem sich eine Rangelei entwickelte. Der Angeklagte erregte sich schließlich so sehr über seine beiden Kontrahenten, dass er sich entschloss, sie für ihr Verhalten ihm gegenüber abzustrafen. Er holte ein Springmesser mit einer Klingenlänge von 8,3 cm aus der Tasche, öffnete es und stach zuerst dem einen Mann mit bedingtem Tötungsvorsatz unterhalb der linken Brustwarze in die Brust. Sodann wandte er sich dem anderen Mann zu und stach diesem ebenfalls mit bedingtem Tötungsvorsatz mit dem Messer in den Bauch. Der Stich war potentiell lebensgefährlich. Wegen einer Ausweichbewegung des Opfers kam es nur zu einer geringfügigen Verletzung im Bauchbereich. Die beiden Verletzten hatten Angst vor weiteren Angriffen des Angeklagten , weil dieser das Messer weiterhin in der Hand hielt und mit diesem fuchtelnde Bewegungen vor ihnen machte. Es gelang ihnen mit vereinten Kräften , den Angeklagten zu überwältigen und ihm das Messer aus der Hand zu treten.
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2. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen beruhen auf einer Beweiswürdigung ohne durchgreifenden Rechtsfehler. Zwar hat das Landgericht die Erklärung des Angeklagten, der sich erstmals in der Hauptverhandlung zur Sache geäußert und dies damit begründet hatte, er habe Absprachen zwischen den Zeugen im Vorfeld verhindern wollen, "angesichts der bis dahin - der Einlassung des Angeklagten zufolge unrechtmäßig - erlittenen mehrmonatigen Untersuchungshaft" für "unglaubhaft" gehalten, wogegen rechtliche Bedenken bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 - 3 StR 580/00, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21). Indes kann der Senat angesichts der übrigen , umfassenden und gründlichen Beweiswürdigung ausschließen, dass die Überzeugung des Gerichts von dem objektiven Tatgeschehen auf dieser Erwä- gung beruht. Auch vom bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hat sich die Strafkammer rechtfehlerfrei überzeugt.
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3. Der Schuldspruch hält gleichwohl rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht einen Rücktritt des Angeklagten vom zweifachen Tötungsversuch mit rechtlich nicht tragfähigen Überlegungen abgelehnt hat. Es hat lediglich ausgeführt, der Versuch sei fehlgeschlagen, ein Rücktritt deshalb nicht möglich. Dies reicht vorliegend nicht aus. Es ist angesichts der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte in strafbefreiender Weise von der weiteren Ausführung der Tötungsdelikte Abstand genommen hatte, ehe er niedergerungen und entwaffnet wurde.
5
a) Das Urteil lässt zunächst jegliche Ausführungen dazu vermissen, welche Vorstellungen sich der Angeklagte von den Folgen des gegen das erste Opfer geführten Messerstichs machte, als er von diesem unmittelbar nach dem Stich abließ und sich dem zweiten Opfer zuwandte. Ebenso wenig befasst sich das Landgericht mit der Frage, ob der Angeklagte durch diesen einen Stich das erste Opfer als ausreichend "abgestraft" ansah und nunmehr allein noch gegen das zweite Opfer vorgehen oder ob er sich nach dem Angriff gegen das zweite Opfer wieder dem ersten zuwenden wollte, um gegen dieses weitere Messerstiche zu setzen. Danach bleibt aber die Möglichkeit offen, dass der Angeklagte den Stich gegen das erste Opfer, das durch diesen nach den Feststellungen nicht unmittelbar in seiner Verteidigungsfähigkeit beeinträchtigt war, als nicht hinreichend erachtete, um zum Tod des Verletzten zu führen, er weitere Stiche gegen diesen für möglich hielt, sich aber gleichwohl allein noch gegen das zweite Opfer wandte, um nunmehr auch dieses "abzustrafen". In diesem Falle wäre der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt von dem ersten - unbeendeten - Tötungsversuch freiwillig zurückgetreten gewesen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB), bevor er durch die Opfer überwältigt wurde und daher objektiv zu weiteren Messerstichen nicht mehr in der Lage war (s. insg. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 24 Rn. 14 ff. mwN zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).
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b) Aber auch das Geschehen nach dem Stich gegen das zweite Opfer wird vom Landgericht nicht unter den maßgeblichen rechtlichen Aspekten darauf geprüft, ob der Angeklagte von dem zweiten oder gegebenenfalls nunmehr zugleich von dem ersten Tötungsversuch zurückgetreten ist. Das Urteil stellt lediglich fest, dass beide Opfer die Befürchtung hatten, der Angeklagte werde sie weiterhin angreifen, als dieser vor ihnen stand und mit dem Messer herumfuchtelte. Was der Angeklagte tatsächlich mit diesen Bewegungen beabsichtigte , lässt das Landgericht indes unerörtert. Auf die Beweggründe des Angeklagten kommt es jedoch entscheidend an. Nur wenn er nach seiner Vorstellung damit den Angriff auf die Männer in dem Bestreben fortgesetzt hätte, diesen weitere lebensgefährdende Stiche zuzufügen, wäre die Annahme aufgrund der geleisteten Gegenwehr fehlgeschlagener Tötungsversuche möglich. Wäre hingegen der zweite Messerstich die letzte Ausführungshandlung der mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgenommenen "Bestrafungsaktion" gewesen und hätte der Angeklagte, als er mit dem Messer herumfuchtelte, keinen weiteren Stich mehr setzen, sondern die beiden Männer nur von sich fernhalten wollen, käme es für die Frage des Rücktritts darauf an, welche Vorstellungen von den Folgen seines bisherigen Tuns und von seinen weiteren Handlungsmöglichkeiten er zu diesem Zeitpunkt hatte. Ging er davon aus, dass er seinen beiden Kontrahenten durch die zwei Stiche keine tödlichen Verletzungen beigebracht hatte, ihm dies aber noch möglich wäre, so lag in dem Abstandnehmen von weiteren Stichen und dem Übergang zu einem gegebenenfalls lediglich abwehrenden Herumfuchteln mit dem Messer ein Rücktritt vom unbeendeten und nicht fehlgeschlagenen Versuch der Tötung des zweiten und - soweit dies nicht schon auf- grund des Abbruchs des Angriffs auf das erste Opfer der Fall war (siehe oben
a) - jedenfalls nunmehr auch ein Rücktritt vom unbeendeten ersten Tötungsversuch , wenn der Angeklagte - etwa aufgrund der weiteren Verteidigungsfähigkeit des ersten Opfers - zumindest jetzt zu der Einschätzung gelangt sein sollte, diesem doch keine tödlichen Verletzungen beigebracht zu haben (sog. korrigierter Rücktrittshorizont; s. Fischer, aaO Rn. 15a ff. mwN).
7
Von den dargelegten Rechtsfehlern sind die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen nicht betroffen. Sie können deshalb aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter wird auf ihrer Basis umfänglich über die subjektive Seite neu zu entscheiden haben. Er kann dabei zum objektiven Geschehen ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen Feststellungen indes nicht widersprechen dürfen.
8
Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB muss, obwohl für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffen, mit dem Urteil aufgehoben werden.
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4. Ergänzend bemerkt der Senat: Das Landgericht hat die für die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes notwendige Kenntnis des Angeklagten von der Lebensgefährlichkeit seiner Messerstiche auch damit begründet, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB zur Tatzeit unbeeinträchtigt war. Dies erscheint rechtlich bedenklich. Die Fähigkeit zu er- kennen, dass ein Mensch nicht getötet oder verletzt werden darf, ist etwas anderes , weiter verbreitet und von situativen Umständen in geringerem Maße beeinträchtigt als die Fähigkeit zu erkennen, dass eine bestimmte Handlung zum Tod des Opfers führen kann.
Becker Pfister von Lienen
Schäfer Menges
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Auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten kann hier nicht aus dem Urteil in seiner Gesamtheit geschlossen werden, wenn auch im Rahmen der Beweiswürdigung (III. 6 = UA S. 10-12) und der rechtlichen Würdigung (IV. 1 = UA S. 12) rudimentär Rücktrittselemente angesprochen werden. Hier wird jeweils in erster Linie mitgeteilt, was nicht festgestellt werden konnte, ohne dass - ergänzend heranzuziehende - klare und eindeutige Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach den verschiedenen Tathandlungen getroffen wurden. Ohnehin konnte N. zum jeweiligen Vorstellungsbild des Angeklagten schon deshalb keine Angaben machen, weil er sich hierzu nicht geäußert hat. Die entsprechenden Feststellungen sind aber unerlässlich; denn auf den Rücktrittshorizont kommt es bei der Beurteilung, ob ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch vorliegt, entscheidend an.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.