Bundessozialgericht Beschluss, 15. Juni 2016 - B 4 AS 651/15 B

bei uns veröffentlicht am15.06.2016

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Juni 2015 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit ist noch ein Anspruch des Klägers für die Zeit vom 1.2.2011 bis 31.7.2011 auf Leistungen für einen Mehrbedarf nach dem SGB II wegen Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seinem Sohn. Die ursprünglich auch auf höhere Regelleistungen gerichtete Klage blieb vor dem SG Berlin erfolglos (Gerichtsbescheid vom 8.10.2012). Im Berufungsverfahren hat der dort unvertretene Kläger sein zunächst in vollem Umfang aufrechterhaltenes Begehren beschränkt auf die Zahlung von Mehrbedarfsleistungen, beziffert auf monatlich 49 Euro.

2

In einem parallel geführten Berufungsverfahren vor dem LSG Berlin-Brandenburg wegen Leistungen für den vorhergehenden Bewilligungszeitraum vom 1.8.2010 bis zum 31.1.2011 hatte der Kläger ua beantragt, als Mehrbedarf für Fahrtkosten 17,44 Euro monatlich zu gewähren. In diesem Verfahren war erstinstanzlich vom SG Berlin ein solcher Betrag für Fahrtkosten errechnet, aber nicht zuerkannt worden, weil das SG die Höhe dieses Mehrbedarfs als nicht erheblich angesehen hatte (Urteil vom 6.3.2013 zum Az S 205 AS 34324/10). Im vorliegenden Berufungsverfahren hat der Kläger mit Schreiben vom 21.5.2013 seine Berufungsbegründung aus dem Parallelverfahren (vom 7.4.2013) sowie das Urteil des SG Berlin übersandt und Folgendes ausgeführt: "… bittet der Kläger um Kenntnisnahme des beiliegenden Schriftsatzes des Klägers in ähnlicher Sache und macht ihn zum Gegenstand des Verfahrens. Er bittet in gleicher Weise mit dem ebenfalls in Kopie beiliegenden Urteil des SG Berlin vom 06.03.2013 (Az.: S 205 AS 34324/10) zu verfahren." Zudem hat der Kläger in einem am 12.12.2014 eingegangenen Schriftsatz wegen der (erneuten) Ablehnung von PKH durch das LSG darauf hingewiesen, dass in dem parallelen Berufungsverfahren das LSG "bei nunmehr identischem Klageumfang" PKH bewilligt habe.

3

Der Beklagte hat für den streitbefangenen Zeitraum während des Berufungsverfahrens Leistungen wegen Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts von monatlich 17,44 Euro anerkannt und bewilligt (Änderungsbescheid vom 6.1.2015). Das LSG hat daraufhin die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen (Urteil vom 11.6.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger habe mit Schriftsatz vom 21.5.2013 unter Hinweis auf seine Berufungsschrift im Parallelverfahren und auf das Urteil des SG Berlin vom 6.3.2013 seine Berufung im hiesigen Verfahren insoweit zurückgenommen, als diese monatliche Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts in Höhe von mehr als monatlich 17,44 Euro zum Gegenstand hatte. Nach der Bewilligung monatlicher Fahrtkosten in Höhe von 17,44 Euro durch den Änderungsbescheid des Beklagten sei das Rechtsschutzbedürfnis für die Berufung entfallen. Selbst bei unterstellter Zulässigkeit der Berufung hätte kein Anspruch des Klägers in der von ihm geltend gemachten Höhe im Hinblick auf den bereits bewilligten Betrag von 17,44 Euro und den im Regelsatz enthaltenen Betrag von 22,78 Euro bestanden.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde. Er macht geltend, das LSG hätte durch Sachurteil statt durch Prozessurteil entscheiden müssen, denn es sei verfahrensfehlerhaft von einer teilweisen Berufungsrücknahme hinsichtlich der Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts ausgegangen.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG Erfolg (§ 160a Abs 5 SGG). Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das LSG-Urteil beruht auf einem von dem Kläger entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG bezeichneten Verfahrensfehler(Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Zutreffend rügt dieser, dass das LSG zu Unrecht durch Prozessurteil und nicht in der Sache entschieden hat. Darin liegt ein Verfahrensmangel, denn bei einem Prozessurteil handelt es sich im Vergleich zum Sachurteil um eine qualitativ andere Entscheidung (stRspr, vgl nur Senatsbeschluss vom 5.6.2014 - B 4 AS 349/13 B - RdNr 9; BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 19/15 B - RdNr 5, jeweils mwN).

6

Das LSG hätte die Berufung des Klägers nicht mit der Begründung, es fehle ein Rechtsschutzbedürfnis, als unzulässig verwerfen dürfen. Entgegen der Auffassung des LSG hat der Kläger seine Berufung nämlich nicht zurückgenommen, soweit diese auf höhere Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts als 17,44 Euro monatlich gerichtet war.

7

Bei Prozesserklärungen wie einer Berufungsrücknahme hat das Revisionsgericht die Auslegung der Erklärung in vollem Umfang zu überprüfen, also das wirklich Gewollte, das in der Äußerung erkennbar ist, zu ermitteln. Dabei ist nach dem in § 133 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im öffentlichen Recht und im Prozessrecht gilt, bei der Auslegung von Erklärungen nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen(vgl zum Ganzen nur BSG Urteil vom 29.5.1980 - 9 RV 8/80 - juris RdNr 8; BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - juris RdNr 21; BSG Beschluss vom 8.11.2005 - B 1 KR 76/05 B - SozR 4-1500 § 158 Nr 2; BSG Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 19/15 B - RdNr 6). Bei der Auslegung sind zudem das aus Art 3 Abs 1 GG abzuleitende Willkürverbot, das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art 19 Abs 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip zu beachten. Das Rechtsstaatsprinzip verbietet es dem Richter, das Verfahrensrecht so auszulegen und anzuwenden, dass den Beteiligten der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelinstanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (vgl BVerfGE 77, 275, 284 mwN). Eine angemessene Auslegung dient also zugleich der Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl dazu BVerfGE 107, 395, 401 ff = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1, RdNr 5 ff; BVerfGE 110, 77, 85).

8

Danach durfte das LSG aus dem klägerischen Schreiben vom 21.5.2013 nicht auf eine teilweise Berufungsrücknahme des Klägers schließen. Eine ausdrückliche Berufungsrücknahme bezogen auf die Mehrbedarfsleistungen wegen der Ausübung des Umgangsrechts findet sich - anders als etwa bei der wörtlich erklärten Rücknahme der "Berufungsklage" bezogen auf die ursprünglich beantragten höheren Regelleistungen - in diesem Schreiben nicht und auch in keinem anderen der vom Kläger persönlich verfassten Schriftsätze. Denn weder der Formulierung im Schreiben vom 21.5.2013, der Kläger bitte um Kenntnisnahme des beiliegenden Schriftsatzes in ähnlicher Sache und mache ihn zum Gegenstand des Verfahrens, noch seiner Anregung, "in gleicher Weise mit dem ebenfalls in Kopie beiliegenden Urteil des SG Berlin vom 6.3.2013 … zu verfahren", lassen sich klare oder eindeutige Prozesserklärungen entnehmen. Gleiches gilt für den Hinweis in dem am 12.12.2014 eingegangenen Schreiben auf einen identischen Klageumfang.

9

Vielmehr sind die Schreiben anhand der oben genannten Grundsätze auszulegen. Wirklich gewollt hat der Kläger danach keinesfalls eine (teilweise) Berufungsrücknahme. So hat er in der Folgezeit mehrfach ausdrücklich der vom LSG erstmals in dem ablehnenden PKH-Beschluss vom 20.1.2015 geäußerten Auffassung, er haben seine Berufung teilweise zurückgenommen, widersprochen. Eine Rücknahme entsprach auch nicht seinem erkennbaren Interesse. Soweit das LSG den Hinweis des Klägers auf das Urteil des SG Berlin im Parallelverfahren als Beleg für eine gewollte Berufungsrücknahme ansieht, ist dies schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil durch dieses Urteil die Klage in vollem Umfang abgewiesen wurde und der Kläger dagegen ausdrücklich Berufung eingelegt hatte. Auch dass der Kläger seine Berufungsbegründung vom 7.4.2013 in dem Parallelverfahren zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens machen wollte, rechtfertigt nicht den Schluss des LSG auf eine gewollte Berufungsbeschränkung. Dem steht schon entgegen, dass der Kläger in dieser Begründung ausgeführt hat, die tatsächlichen Fahrt- und weiteren Umgangskosten seien wesentlich höher als 17,44 Euro pro Monat (S 4 drittletzter Absatz).

10

Vor diesem Hintergrund hätte es sich dem LSG aufdrängen müssen, bei dem anwaltlich nicht vertreten Kläger nachzufragen, was er tatsächlich noch begehrt. Stattdessen hält es den Kläger buchstäblich an einem möglicherweise ungeschickten Antrag in einem anderen Verfahren fest, ohne weitere Äußerungen zu berücksichtigen. Dadurch hat das LSG den Zugang des Klägers zur Rechtsmittelinstanz in einer Weise vereitelt, die dem verfassungsrechtlichen Auftrag der Gerichte widerspricht, möglichst lückenlosen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sicherzustellen.

11

Die Entscheidung des LSG beruht auch auf diesem Verfahrensfehler. Wäre es nicht von einer wirksamen Berufungsrücknahme ausgegangen, so hätte es den Rechtsstreit in der Sache entscheiden müssen.

12

Insoweit gilt, dass eine für den Kläger günstigere Entscheidung vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - BSGE 116, 86 ff = SozR 4-4200 § 21 Nr 18; daran anschließend BSG vom 18.11.2014 - B 4 AS 4/14 R - BSGE 117, 240 ff = SozR 4-4200 § 21 Nr 19; BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 21 Nr 21)nicht ausgeschlossen erscheint. Danach ist entgegen der nicht tragenden Hilfserwägungen im Urteil des LSG der im Regelsatz enthaltene Anteil für Fahrtkosten nicht als quasi teilweise Erfüllung des Anspruchs auf Mehrbedarfsleistungen anzusehen (vgl BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - BSGE 116, 86 ff = SozR 4-4200 § 21 Nr 18, RdNr 28). Auch wird sich das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren mit der Länge der Fahrtstrecke und der Häufigkeit der Wahrnehmung des Umgangsrechts nach dem Vortrag des Klägers auseinanderzusetzen haben.

13

Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - wie hier - vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch.

14

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Beschluss, 15. Juni 2016 - B 4 AS 651/15 B

Urteilsbesprechungen zu Bundessozialgericht Beschluss, 15. Juni 2016 - B 4 AS 651/15 B

Referenzen - Gesetze

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Bundessozialgericht Beschluss, 15. Juni 2016 - B 4 AS 651/15 B zitiert 7 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


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Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

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(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

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Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. Dezember 2015 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2011 und des Bescheides vom 22. Apr

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(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin nahm an der zwischen der Beklagten und dem Bayerischen Hausärzteverband (BHÄV) vereinbarten hausarztzentrierten Versorgung (HzV) teil (HzV-Vertrag vom 3.9.2009). Die Beklagte sah als Leistungen für an der HzV teilnehmende Versicherte ua diverse Vorsorgeuntersuchungen und die Beschränkung der Praxisgebühr auf 10 Euro im Jahr vor. Die Beklagte kündigte den HzV-Vertrag außerordentlich zum 31.12.2010. Der BHÄV ist im einstweiligen Rechtsschutz erfolglos geblieben (Bayerisches LSG vom 22.2.2011 - L 12 KA 2/11 B ER - Breith 2011, 401). Die Beklagte stellte gegenüber der Klägerin fest, dass ihre Teilnahme an der HzV ab 2011 beendet und sie nicht länger von der Praxisgebühr befreit sei (Bescheid vom 21.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 19.5.2011). Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, weiterhin die von der Beklagten für die Teilnahme an der HzV vorgesehenen Leistungen und Zuzahlungsermäßigungen zu erhalten, beim SG erfolglos geblieben. Im Hinblick auf einen mit Wirkung vom 1.7.2012 neu abgeschlossenen HzV-Vertrag, an dem die Klägerin teilnimmt, hat sie im Berufungsverfahren nur noch beantragt, die Rechtswidrigkeit der erledigten Feststellung der Beklagten festzustellen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage sei unzulässig, weil es am besonderen Interesse, die Rechtswidrigkeit festzustellen, fehle. Insbesondere liege keine Wiederholungsgefahr vor. Die Beklage habe in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie in vergleichbaren Fällen zukünftig keine Aufhebungsbescheide mehr erlassen werde. Auch die abstrakte Möglichkeit der Kündigung eines HzV-Vertrags genüge nicht. Zudem hätten sich die Rahmenbedingungen geändert, weil eine Praxisgebühr nicht mehr zu entrichten sei, und die Beklagte könne auch mit anderen als dem BHÄV einen HzV-Vertrag schließen (Urteil vom 13.1.2015).

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

3

II. Soweit die Beschwerde zulässig einen Revisionszulassungsgrund geltend macht, ist sie nicht begründet. Zwar liegt der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) vor (dazu 1.). Nach dem Rechtsgedanken des § 170 Abs 1 S 2 SGG kann aber eine Revision keinen Erfolg haben. In einem solchen Falle ist für die Zulassung der Revision oder eine Zurückverweisung nach § 160a Abs 5 SGG kein Raum(dazu 2.). Im Übrigen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht die für die Zulässigkeit der Beschwerde maßgeblichen Darlegungsvoraussetzungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG. Soweit die Klägerin die Beschwerde auch auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) stützt, legt sie die hierfür notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar (dazu 3.).

4

1. Das LSG-Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), den die Klägerin entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG bezeichnet. Zu Recht rügt die Klägerin, das LSG hätte in der Sache entscheiden müssen und ihre Berufung nicht wegen Unzulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage zurückweisen dürfen.

5

Indem das LSG die Fortsetzungsfeststellungsklage als unzulässig angesehen hat, hat es der Klägerin insoweit rechtsfehlerhaft eine Sachentscheidung verwehrt. Darin liegt ein Verfahrensmangel, der im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zu berücksichtigen ist(vgl zum Verfahrensfehler infolge einer zu Unrecht erfolgten oder unterlassenen Sachentscheidung BSGE 3, 293, 297 f; BSGE 4, 200, 201; BSGE 39, 200, 201 = SozR 1500 § 144 Nr 3; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 16; BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - Juris RdNr 20; BSG Beschluss vom 18.9.2003 - B 9 V 82/02 B - Juris RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 6; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 19 RdNr 6; BSG Beschluss vom 24.2.2011 - B 14 AS 143/10 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 13.6.2013 - B 13 R 437/12 B - Juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 4.3.2014 - B 1 KR 43/13 B - Juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 23.6.2015 - B 1 KR 18/15 B - Juris RdNr 6).

6

Das LSG hat zu Unrecht die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage wegen fehlenden Feststellungsinteresses verneint, indem es auf die Behauptung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung abgestellt hat, dass sie zukünftig in vergleichbaren Fällen keinen Aufhebungsbescheid mehr erlassen werde. Bei Prozesserklärungen hat das Revisionsgericht - anders als bei materiell-rechtlichen Erklärungen (vgl zu Letzteren zB BSGE 75, 92, 96 = SozR 3-4100 § 141b Nr 10 mwN) - die Auslegung der Erklärung in vollem Umfang zu überprüfen, also das wirklich Gewollte, das in der Äußerung erkennbar ist, zu ermitteln (BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2; BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - Juris RdNr 21; BSG Urteil vom 29.5.1980 - 9 RV 8/80 - Juris; BSGE 21, 13, 14 = SozR Nr 5 zu § 156 SGG; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 488 f mwN). Dabei ist nach dem in § 133 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im öffentlichen Recht und im Prozessrecht gilt, bei der Auslegung von Erklärungen nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen(BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2; BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - Juris RdNr 21). Bei der Auslegung sind zudem das Willkürverbot gemäß Art 3 Abs 1 GG, das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art 19 Abs 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip zu beachten. Das Rechtsstaatsprinzip verbietet es dem Richter, das Verfahrensrecht so auszulegen und anzuwenden, dass den Beteiligten der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelinstanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (vgl BVerfGE 77, 275, 284 mwN). Eine angemessene Auslegung dient zugleich der Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl dazu BVerfGE 107, 395, 401 ff = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1 RdNr 5 ff; BVerfGE 110, 77, 85; zur Auswirkung des verfassungsrechtlichen Auftrags der Gerichte zur Gewährung effektiven und möglichst lückenlosen Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt auf die Auslegung von Prozesserklärungen vgl auch BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2 RdNr 9; zur Auslegung vgl auch Senat SozR 4-1500 § 158 Nr 1 RdNr 14 mwN).

7

Danach hätte das LSG den Fortsetzungsfeststellungsantrag nur dahin verstehen können, dass die Klägerin umfassend die Feststellung begehrte, aus dem bisher geltenden HzV-Vertrag und den sich hierauf beziehenden satzungsrechtlichen Regelungen der Beklagten auch zukünftig Leistungsansprüche bzw Zuzahlungsermäßigungen für sich ableiten zu können. Dies geht schon aus der in der Sitzungsniederschrift festgehaltenen Erklärung der Klägerin hervor, dass Klarheit bestehen müsse, wie vorzugehen sein werde, wenn künftig eine KK eine HzV, an der sie teilnehme, beende und welche Möglichkeiten der Klägerin dann zu Gebote stünden.

8

Soweit das LSG ergänzend darauf abgestellt hat, dass eine abstrakte Gefahr der Kündigung des HzV-Vertrags kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Sinne der Vorbeugung einer Wiederholungsgefahr zu begründen vermöge, hat es sich nicht damit auseinandergesetzt, dass zwischen der Beklagten und dem BHÄV erhebliche Konflikte (fort-)bestehen, die einen vertragslosen Zustand keineswegs als eine bloß abstrakte Frage erscheinen lassen. Diese Problematik ist gerichtsbekannt. Das LSG verweist insoweit selbst darauf, dass der ab 1.7.2012 geltende HzV-Vertrag aufgrund eines nicht abgeschlossenen Schiedsverfahrens weiter Anwendung finde (vgl dazu den Sachverhalt im Urteil des SG München vom 16.7.2014 - S 28 KA 696/12 - Juris; s ferner SG München Urteil vom 24.6.2015 - S 21 KA 620/15 ER - www.sozialgerichtsbarkeit.de; vgl hierzu ergänzend auch http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/54983/AOK-Bayern-kuendigt-Hausarztvertrag; http://www.bhaev.de/index.php/berufspolitik/berufspolitische-informationen/rundschreiben/2208-auseinandersetzung-mit-aok-bayern-politik-steht-hinter-hausaerzten.html; s ferner http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/62965/Hausarztvertrag-Huml-zwingt-AOK-zur-Umsetzung; alle abgerufen am 2.9.2015). Im Ergebnis nichts anderes gilt für das Argument des LSG, dass eine Wiederholungsgefahr auch deswegen entfalle, weil die Beklagte auch mit anderen Vertragspartnern als dem BHÄV einen HzV-Vertrag abschließen könne. Unter Berücksichtigung des hohen Organisationsgrades der Hausärzte im BHÄV (nach dessen Angaben 75 %, vgl http://www.bhaev.de/index.php/57-service.html; abgerufen am 2.9.2015) ist gerade dies vor dem Hintergrund der Vertragsabschlusspflicht nach § 73b Abs 4 S 1 SGB V nur eine theoretische Möglichkeit. Auf die Frage, ob das Feststellungsinteresse entfallen sein könnte, weil die Praxisgebühr durch Streichung des § 28 Abs 4 SGB V mit Wirkung vom 1.1.2013 (durch Art 1 Nr 2 Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen vom 20.12.2012, BGBl I 2789) nicht mehr zu entrichten ist, kommt es schon deswegen nicht an, weil nach § 53 Abs 3 S 2 SGB V neben Prämienzahlungen auch andere Formen der Zuzahlungsermäßigungen in Betracht kommen und der Klägerin es auch um die Weitergewährung sonstiger im HzV-Vertrag vereinbarter erweiterter Leistungen geht.

9

2. Für die Zulassung der Revision oder eine Zurückverweisung nach § 160a Abs 5 SGG ist indes kein Raum, wenn feststeht, dass das angefochtene LSG-Urteil unabhängig vom Vorliegen der geltend gemachten Zulassungsgründe aus anderen als den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen Bestand haben wird(Rechtsgedanke des § 170 Abs 1 S 2 SGG im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde; vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 23 RdNr 8 f mwN). Eine sich formgerecht auf einen Verfahrensfehler stützende Nichtzulassungsbeschwerde ist in solchen Fällen unbegründet. So verhält es sich hier.

10

Nach Wortlaut (dazu a) und Regelungszweck (dazu b) des § 73b SGB V - jeweils in Einklang mit dessen Entstehungsgeschichte - sowie nach dem Regelungssystem der Anspruchsberechtigung der Versicherten(dazu c) können einem an der HzV teilnehmenden Versicherten keine Ansprüche auf Leistungen aus einem HzV-Vertrag für Zeiträume nach Beendigung des HzV-Vertrages zustehen. Nichts anderes ergibt sich für Prämienzahlungen und Zuzahlungsermäßigungen nach § 53 Abs 3 S 2 SGB V(dazu d).

11

a) § 73b Abs 5 SGB V(idF durch Art 1 Nr 45 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007, BGBl I 378) bestimmt: "In den Verträgen nach Absatz 4 sind das Nähere über den Inhalt und die Durchführung der hausarztzentrierten Versorgung, insbesondere die Ausgestaltung der Anforderungen nach Absatz 2, sowie die Vergütung zu regeln. Eine Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Anforderungen nach Absatz 2 ist möglich. Gegenstand der hausarztzentrierten Versorgung dürfen nur solche Leistungen sein, über deren Eignung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 91 im Rahmen der Beschlüsse nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 keine ablehnende Entscheidung getroffen hat. Die Einzelverträge können Abweichendes von den Vorschriften dieses Kapitels sowie den nach diesen Vorschriften getroffenen Regelungen regeln. § 106a Abs. 3 gilt hinsichtlich der arzt- und versichertenbezogenen Prüfung der Abrechnungen auf Rechtmäßigkeit entsprechend." Hiernach eröffnete der Gesetzgeber des GKV-WSG den KKn und den anderen sich aus § 73b Abs 4 SGB V ergebenden möglichen Vertragspartnern einen erheblichen Spielraum zur Ausgestaltung der Leistungsansprüche der Versicherten, die freiwillig an der HzV teilnehmen. Insbesondere können danach HzV-Verträge Leistungen für die teilnehmenden Versicherten vorsehen, die unter Beachtung der sich aus § 73b Abs 5 S 3 SGB V ergebenden Grenzen über den GKV-Leistungskatalog hinausgehen. Dies steht in Einklang mit der Begründung zu Art 1 Nr 45 des GKV-WSG-Entwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Dort heißt es (BT-Drucks 16/3100 S 112): "Absatz 5 regelt, dass die Ausgestaltung der hausarztzentrierten Versorgung im Einzelnen den Vertragspartnern obliegt, d.h. insbesondere die Mindestanforderungen nach Absatz 2 zu operationalisieren und eine angemessene Vergütung zu vereinbaren. Hinsichtlich des Gestaltungsermessens der Vertragspartner bezüglich Inhalt und Organisation der hausärztlichen Versorgung lehnt sich die Regelung in Absatz 5 an die entsprechende Vorschrift in § 140b Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 1 an. (…)".

12

b) Dies entspricht auch dem Regelungszweck des durch Art 1 Nr 49 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vom 14.11.2003 (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG, BGBl I 2190) in das SGB V eingefügten § 73b SGB V. Er verpflichtet die KKn, ihren Versicherten eine qualitativ besonders hoch stehende hausärztliche Versorgung bereitzustellen und den KKn zur Erfüllung dieser Verpflichtung über das geltende Recht hinaus Gestaltungsspielraum zur einzelvertraglichen Ausgestaltung des Versorgungsgeschehens zu geben. Die KKn bekommen die Chance, im Rahmen der gesamtvertraglichen Vorgaben die hausarztzentrierte Versorgung in dem Vertrag mit dem Hausarzt auszugestalten (vgl Begründung des GMG-Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks 15/1525 S 97).

13

c) Damit ergänzt § 73b SGB V das Regelungssystem der GKV zur Begründung von Leistungsansprüchen Versicherter, indem er mit dem HzV-Vertrag eine zusätzliche Rechtsgrundlage für mehr oder weniger vom GKV-Leistungskatalog abweichende Ansprüche der Versicherten schafft. Danach kann der HzV-Vertrag die Leistungsansprüche der teilnehmenden Versicherten sowohl umfassend und abschließend als auch nur ergänzend regeln. § 73b SGB V regelt hingegen nicht selbst die Leistungsansprüche der Versicherten. Fällt der Vertrag weg, fehlt es auch an einer Rechtsgrundlage für vom GKV-Leistungskatalog abweichende Ansprüche der bislang an der HzV teilnehmenden Versicherten. Die Ansprüche der Versicherten bestimmen sich dann wieder allein nach dem GKV-Leistungskatalog.

14

d) Ergänzend sieht § 53 Abs 3 SGB V(idF durch Art 1 Nr 33 GKV-WSG) vor, dass die KK in ihrer Satzung für Versicherte, die an besonderen Versorgungsformen - ua § 73b SGB V - teilnehmen, Tarife anzubieten hat. Für diese Versicherten kann die KK eine Prämienzahlung oder Zuzahlungsermäßigungen vorsehen. Auch diese Regelung knüpft an das Vorliegen eines geltenden HzV-Vertrages an.

15

3. Die für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache notwendigen Voraussetzungen legt die Klägerin nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwieweit diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f mwN).

16

Die Klägerin formuliert folgende zwei Fragen:

        

"Hat der Versicherte einer gesetzlichen Krankenversicherung, hier die Klägerin, einen selbstständig einklagbaren Anspruch gegenüber ihrer Krankenversicherung, hier der Beklagten, dass ihr eine hausarztzentrierte Versorgung im Sinne des § 73b SGB V angeboten wird?"

        

und     

        

"Wenn eine hausarztzentrierte Versorgung seitens einer gesetzlichen Krankenversicherung, hier der Beklagten, gegenüber der Klägerin angeboten wird, diese zudem eine bestimmte Laufzeit hat, hat die Klägerin gegenüber der Beklagten einen selbstständig einklagbaren Anspruch bei Kündigung der hausarztzentrierten Versorgung gegenüber den Leistungserbringern (Hausärzten) durch die Klägerin bzw. Scheitern des zwischen der Klägerin und den Hausärzten bestehenden Vertrages auf eine Weitergewährung der in der hausarztzentrierten Versorgung angebotenen Leistungen bis zum Ende der Geltung des derzeitigen hausarztzentrierten Vertrages bzw. auch darüber hinaus bis zum Abschluss eines neuen Vertrages."

17

Die Klägerin zeigt bereits die Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der ersten Rechtsfrage nicht auf. Das Fortsetzungsfeststellungsbegehren der Klägerin ist nach ihrem eigenen Vorbringen weder darauf gerichtet zu klären, ob die Beklagte ihr überhaupt eine HzV aufgrund eines bestehenden HzV-Vertrages anzubieten hat, noch darauf, ob sie einen Anspruch darauf hat, die Beklagte zum Abschluss eines (neuen) HzV-Vertrages mit dem BHÄV oder einem anderen Vertragspartner iS des § 73b Abs 4 SGB V zu verpflichten. Das Fortsetzungsfeststellungsbegehren erschöpft sich nach dem gesamten Vorbringen der Klägerin darin, welche Rechtsfolgen sich aus dem Umstand ergeben, dass die Beklagte ihr die Teilnahme an einer HzV aufgrund des HzV-Vertrages vom 3.9.2009 zwar ermöglichte, aber diesen Vertrag mit Ablauf des 31.12.2010 außerordentlich kündigte.

18

Soweit die Klägerin hierzu die zweite Frage formuliert, lässt der Senat offen, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage klar formuliert hat. Die Beschwerdebegründung zeigt aber den Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, obwohl das BSG sie noch nicht ausdrücklich behandelt hat, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 17; BSG Beschluss vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - Juris RdNr 7 = NZS 2012, 557; BSG Beschluss vom 31.1.2013 - B 1 KR 106/12 B - RdNr 6; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 313). So verhält es sich hier wie zuvor unter 2. dargelegt. Die Klägerin setzt sich weder mit Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Regelungszweck des § 73b SGB V noch mit seiner Einordnung in die Regelungssystematik des übrigen Leistungs- und Leistungserbringungsrechts auseinander. Sie verweist lediglich darauf, dass bei den in Rede stehenden Leistungen und Zuzahlungsermäßigungen das Zustandekommen bzw der Wegfall des HzV-Vertrages insofern keine Relevanz ihr gegenüber habe, weil sie unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines solchen Vertrages Anspruch auf die ihr von der Beklagten mit Informationsschreiben mitgeteilten Leistungen habe. KKn hätten ihren Versicherten eine Versorgung nach § 73b SGB V mit den entsprechenden Leistungserbringern zur Verfügung zu stellen, wie sie sich aus dem Informationsschreiben der Beklagten ergebe. Anderenfalls würden Leistungsansprüche Versicherter zum Spielball der Vertragsparteien.

19

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin nahm an der zwischen der Beklagten und dem Bayerischen Hausärzteverband (BHÄV) vereinbarten hausarztzentrierten Versorgung (HzV) teil (HzV-Vertrag vom 3.9.2009). Die Beklagte sah als Leistungen für an der HzV teilnehmende Versicherte ua diverse Vorsorgeuntersuchungen und die Beschränkung der Praxisgebühr auf 10 Euro im Jahr vor. Die Beklagte kündigte den HzV-Vertrag außerordentlich zum 31.12.2010. Der BHÄV ist im einstweiligen Rechtsschutz erfolglos geblieben (Bayerisches LSG vom 22.2.2011 - L 12 KA 2/11 B ER - Breith 2011, 401). Die Beklagte stellte gegenüber der Klägerin fest, dass ihre Teilnahme an der HzV ab 2011 beendet und sie nicht länger von der Praxisgebühr befreit sei (Bescheid vom 21.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 19.5.2011). Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, weiterhin die von der Beklagten für die Teilnahme an der HzV vorgesehenen Leistungen und Zuzahlungsermäßigungen zu erhalten, beim SG erfolglos geblieben. Im Hinblick auf einen mit Wirkung vom 1.7.2012 neu abgeschlossenen HzV-Vertrag, an dem die Klägerin teilnimmt, hat sie im Berufungsverfahren nur noch beantragt, die Rechtswidrigkeit der erledigten Feststellung der Beklagten festzustellen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage sei unzulässig, weil es am besonderen Interesse, die Rechtswidrigkeit festzustellen, fehle. Insbesondere liege keine Wiederholungsgefahr vor. Die Beklage habe in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie in vergleichbaren Fällen zukünftig keine Aufhebungsbescheide mehr erlassen werde. Auch die abstrakte Möglichkeit der Kündigung eines HzV-Vertrags genüge nicht. Zudem hätten sich die Rahmenbedingungen geändert, weil eine Praxisgebühr nicht mehr zu entrichten sei, und die Beklagte könne auch mit anderen als dem BHÄV einen HzV-Vertrag schließen (Urteil vom 13.1.2015).

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

3

II. Soweit die Beschwerde zulässig einen Revisionszulassungsgrund geltend macht, ist sie nicht begründet. Zwar liegt der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) vor (dazu 1.). Nach dem Rechtsgedanken des § 170 Abs 1 S 2 SGG kann aber eine Revision keinen Erfolg haben. In einem solchen Falle ist für die Zulassung der Revision oder eine Zurückverweisung nach § 160a Abs 5 SGG kein Raum(dazu 2.). Im Übrigen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht die für die Zulässigkeit der Beschwerde maßgeblichen Darlegungsvoraussetzungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG. Soweit die Klägerin die Beschwerde auch auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) stützt, legt sie die hierfür notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar (dazu 3.).

4

1. Das LSG-Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), den die Klägerin entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG bezeichnet. Zu Recht rügt die Klägerin, das LSG hätte in der Sache entscheiden müssen und ihre Berufung nicht wegen Unzulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage zurückweisen dürfen.

5

Indem das LSG die Fortsetzungsfeststellungsklage als unzulässig angesehen hat, hat es der Klägerin insoweit rechtsfehlerhaft eine Sachentscheidung verwehrt. Darin liegt ein Verfahrensmangel, der im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zu berücksichtigen ist(vgl zum Verfahrensfehler infolge einer zu Unrecht erfolgten oder unterlassenen Sachentscheidung BSGE 3, 293, 297 f; BSGE 4, 200, 201; BSGE 39, 200, 201 = SozR 1500 § 144 Nr 3; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 16; BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - Juris RdNr 20; BSG Beschluss vom 18.9.2003 - B 9 V 82/02 B - Juris RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2 RdNr 6; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 19 RdNr 6; BSG Beschluss vom 24.2.2011 - B 14 AS 143/10 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 13.6.2013 - B 13 R 437/12 B - Juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 4.3.2014 - B 1 KR 43/13 B - Juris RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 23.6.2015 - B 1 KR 18/15 B - Juris RdNr 6).

6

Das LSG hat zu Unrecht die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage wegen fehlenden Feststellungsinteresses verneint, indem es auf die Behauptung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung abgestellt hat, dass sie zukünftig in vergleichbaren Fällen keinen Aufhebungsbescheid mehr erlassen werde. Bei Prozesserklärungen hat das Revisionsgericht - anders als bei materiell-rechtlichen Erklärungen (vgl zu Letzteren zB BSGE 75, 92, 96 = SozR 3-4100 § 141b Nr 10 mwN) - die Auslegung der Erklärung in vollem Umfang zu überprüfen, also das wirklich Gewollte, das in der Äußerung erkennbar ist, zu ermitteln (BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2; BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - Juris RdNr 21; BSG Urteil vom 29.5.1980 - 9 RV 8/80 - Juris; BSGE 21, 13, 14 = SozR Nr 5 zu § 156 SGG; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 488 f mwN). Dabei ist nach dem in § 133 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im öffentlichen Recht und im Prozessrecht gilt, bei der Auslegung von Erklärungen nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen(BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 2; BSG Urteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - Juris RdNr 21). Bei der Auslegung sind zudem das Willkürverbot gemäß Art 3 Abs 1 GG, das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art 19 Abs 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip zu beachten. Das Rechtsstaatsprinzip verbietet es dem Richter, das Verfahrensrecht so auszulegen und anzuwenden, dass den Beteiligten der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelinstanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (vgl BVerfGE 77, 275, 284 mwN). Eine angemessene Auslegung dient zugleich der Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl dazu BVerfGE 107, 395, 401 ff = SozR 4-1100 Art 103 Nr 1 RdNr 5 ff; BVerfGE 110, 77, 85; zur Auswirkung des verfassungsrechtlichen Auftrags der Gerichte zur Gewährung effektiven und möglichst lückenlosen Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt auf die Auslegung von Prozesserklärungen vgl auch BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2 RdNr 9; zur Auslegung vgl auch Senat SozR 4-1500 § 158 Nr 1 RdNr 14 mwN).

7

Danach hätte das LSG den Fortsetzungsfeststellungsantrag nur dahin verstehen können, dass die Klägerin umfassend die Feststellung begehrte, aus dem bisher geltenden HzV-Vertrag und den sich hierauf beziehenden satzungsrechtlichen Regelungen der Beklagten auch zukünftig Leistungsansprüche bzw Zuzahlungsermäßigungen für sich ableiten zu können. Dies geht schon aus der in der Sitzungsniederschrift festgehaltenen Erklärung der Klägerin hervor, dass Klarheit bestehen müsse, wie vorzugehen sein werde, wenn künftig eine KK eine HzV, an der sie teilnehme, beende und welche Möglichkeiten der Klägerin dann zu Gebote stünden.

8

Soweit das LSG ergänzend darauf abgestellt hat, dass eine abstrakte Gefahr der Kündigung des HzV-Vertrags kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Sinne der Vorbeugung einer Wiederholungsgefahr zu begründen vermöge, hat es sich nicht damit auseinandergesetzt, dass zwischen der Beklagten und dem BHÄV erhebliche Konflikte (fort-)bestehen, die einen vertragslosen Zustand keineswegs als eine bloß abstrakte Frage erscheinen lassen. Diese Problematik ist gerichtsbekannt. Das LSG verweist insoweit selbst darauf, dass der ab 1.7.2012 geltende HzV-Vertrag aufgrund eines nicht abgeschlossenen Schiedsverfahrens weiter Anwendung finde (vgl dazu den Sachverhalt im Urteil des SG München vom 16.7.2014 - S 28 KA 696/12 - Juris; s ferner SG München Urteil vom 24.6.2015 - S 21 KA 620/15 ER - www.sozialgerichtsbarkeit.de; vgl hierzu ergänzend auch http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/54983/AOK-Bayern-kuendigt-Hausarztvertrag; http://www.bhaev.de/index.php/berufspolitik/berufspolitische-informationen/rundschreiben/2208-auseinandersetzung-mit-aok-bayern-politik-steht-hinter-hausaerzten.html; s ferner http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/62965/Hausarztvertrag-Huml-zwingt-AOK-zur-Umsetzung; alle abgerufen am 2.9.2015). Im Ergebnis nichts anderes gilt für das Argument des LSG, dass eine Wiederholungsgefahr auch deswegen entfalle, weil die Beklagte auch mit anderen Vertragspartnern als dem BHÄV einen HzV-Vertrag abschließen könne. Unter Berücksichtigung des hohen Organisationsgrades der Hausärzte im BHÄV (nach dessen Angaben 75 %, vgl http://www.bhaev.de/index.php/57-service.html; abgerufen am 2.9.2015) ist gerade dies vor dem Hintergrund der Vertragsabschlusspflicht nach § 73b Abs 4 S 1 SGB V nur eine theoretische Möglichkeit. Auf die Frage, ob das Feststellungsinteresse entfallen sein könnte, weil die Praxisgebühr durch Streichung des § 28 Abs 4 SGB V mit Wirkung vom 1.1.2013 (durch Art 1 Nr 2 Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen vom 20.12.2012, BGBl I 2789) nicht mehr zu entrichten ist, kommt es schon deswegen nicht an, weil nach § 53 Abs 3 S 2 SGB V neben Prämienzahlungen auch andere Formen der Zuzahlungsermäßigungen in Betracht kommen und der Klägerin es auch um die Weitergewährung sonstiger im HzV-Vertrag vereinbarter erweiterter Leistungen geht.

9

2. Für die Zulassung der Revision oder eine Zurückverweisung nach § 160a Abs 5 SGG ist indes kein Raum, wenn feststeht, dass das angefochtene LSG-Urteil unabhängig vom Vorliegen der geltend gemachten Zulassungsgründe aus anderen als den vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen Bestand haben wird(Rechtsgedanke des § 170 Abs 1 S 2 SGG im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde; vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 23 RdNr 8 f mwN). Eine sich formgerecht auf einen Verfahrensfehler stützende Nichtzulassungsbeschwerde ist in solchen Fällen unbegründet. So verhält es sich hier.

10

Nach Wortlaut (dazu a) und Regelungszweck (dazu b) des § 73b SGB V - jeweils in Einklang mit dessen Entstehungsgeschichte - sowie nach dem Regelungssystem der Anspruchsberechtigung der Versicherten(dazu c) können einem an der HzV teilnehmenden Versicherten keine Ansprüche auf Leistungen aus einem HzV-Vertrag für Zeiträume nach Beendigung des HzV-Vertrages zustehen. Nichts anderes ergibt sich für Prämienzahlungen und Zuzahlungsermäßigungen nach § 53 Abs 3 S 2 SGB V(dazu d).

11

a) § 73b Abs 5 SGB V(idF durch Art 1 Nr 45 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007, BGBl I 378) bestimmt: "In den Verträgen nach Absatz 4 sind das Nähere über den Inhalt und die Durchführung der hausarztzentrierten Versorgung, insbesondere die Ausgestaltung der Anforderungen nach Absatz 2, sowie die Vergütung zu regeln. Eine Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigung bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Anforderungen nach Absatz 2 ist möglich. Gegenstand der hausarztzentrierten Versorgung dürfen nur solche Leistungen sein, über deren Eignung als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 91 im Rahmen der Beschlüsse nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 keine ablehnende Entscheidung getroffen hat. Die Einzelverträge können Abweichendes von den Vorschriften dieses Kapitels sowie den nach diesen Vorschriften getroffenen Regelungen regeln. § 106a Abs. 3 gilt hinsichtlich der arzt- und versichertenbezogenen Prüfung der Abrechnungen auf Rechtmäßigkeit entsprechend." Hiernach eröffnete der Gesetzgeber des GKV-WSG den KKn und den anderen sich aus § 73b Abs 4 SGB V ergebenden möglichen Vertragspartnern einen erheblichen Spielraum zur Ausgestaltung der Leistungsansprüche der Versicherten, die freiwillig an der HzV teilnehmen. Insbesondere können danach HzV-Verträge Leistungen für die teilnehmenden Versicherten vorsehen, die unter Beachtung der sich aus § 73b Abs 5 S 3 SGB V ergebenden Grenzen über den GKV-Leistungskatalog hinausgehen. Dies steht in Einklang mit der Begründung zu Art 1 Nr 45 des GKV-WSG-Entwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD. Dort heißt es (BT-Drucks 16/3100 S 112): "Absatz 5 regelt, dass die Ausgestaltung der hausarztzentrierten Versorgung im Einzelnen den Vertragspartnern obliegt, d.h. insbesondere die Mindestanforderungen nach Absatz 2 zu operationalisieren und eine angemessene Vergütung zu vereinbaren. Hinsichtlich des Gestaltungsermessens der Vertragspartner bezüglich Inhalt und Organisation der hausärztlichen Versorgung lehnt sich die Regelung in Absatz 5 an die entsprechende Vorschrift in § 140b Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 1 an. (…)".

12

b) Dies entspricht auch dem Regelungszweck des durch Art 1 Nr 49 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vom 14.11.2003 (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG, BGBl I 2190) in das SGB V eingefügten § 73b SGB V. Er verpflichtet die KKn, ihren Versicherten eine qualitativ besonders hoch stehende hausärztliche Versorgung bereitzustellen und den KKn zur Erfüllung dieser Verpflichtung über das geltende Recht hinaus Gestaltungsspielraum zur einzelvertraglichen Ausgestaltung des Versorgungsgeschehens zu geben. Die KKn bekommen die Chance, im Rahmen der gesamtvertraglichen Vorgaben die hausarztzentrierte Versorgung in dem Vertrag mit dem Hausarzt auszugestalten (vgl Begründung des GMG-Gesetzentwurfs der Fraktionen der SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks 15/1525 S 97).

13

c) Damit ergänzt § 73b SGB V das Regelungssystem der GKV zur Begründung von Leistungsansprüchen Versicherter, indem er mit dem HzV-Vertrag eine zusätzliche Rechtsgrundlage für mehr oder weniger vom GKV-Leistungskatalog abweichende Ansprüche der Versicherten schafft. Danach kann der HzV-Vertrag die Leistungsansprüche der teilnehmenden Versicherten sowohl umfassend und abschließend als auch nur ergänzend regeln. § 73b SGB V regelt hingegen nicht selbst die Leistungsansprüche der Versicherten. Fällt der Vertrag weg, fehlt es auch an einer Rechtsgrundlage für vom GKV-Leistungskatalog abweichende Ansprüche der bislang an der HzV teilnehmenden Versicherten. Die Ansprüche der Versicherten bestimmen sich dann wieder allein nach dem GKV-Leistungskatalog.

14

d) Ergänzend sieht § 53 Abs 3 SGB V(idF durch Art 1 Nr 33 GKV-WSG) vor, dass die KK in ihrer Satzung für Versicherte, die an besonderen Versorgungsformen - ua § 73b SGB V - teilnehmen, Tarife anzubieten hat. Für diese Versicherten kann die KK eine Prämienzahlung oder Zuzahlungsermäßigungen vorsehen. Auch diese Regelung knüpft an das Vorliegen eines geltenden HzV-Vertrages an.

15

3. Die für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache notwendigen Voraussetzungen legt die Klägerin nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwieweit diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f mwN).

16

Die Klägerin formuliert folgende zwei Fragen:

        

"Hat der Versicherte einer gesetzlichen Krankenversicherung, hier die Klägerin, einen selbstständig einklagbaren Anspruch gegenüber ihrer Krankenversicherung, hier der Beklagten, dass ihr eine hausarztzentrierte Versorgung im Sinne des § 73b SGB V angeboten wird?"

        

und     

        

"Wenn eine hausarztzentrierte Versorgung seitens einer gesetzlichen Krankenversicherung, hier der Beklagten, gegenüber der Klägerin angeboten wird, diese zudem eine bestimmte Laufzeit hat, hat die Klägerin gegenüber der Beklagten einen selbstständig einklagbaren Anspruch bei Kündigung der hausarztzentrierten Versorgung gegenüber den Leistungserbringern (Hausärzten) durch die Klägerin bzw. Scheitern des zwischen der Klägerin und den Hausärzten bestehenden Vertrages auf eine Weitergewährung der in der hausarztzentrierten Versorgung angebotenen Leistungen bis zum Ende der Geltung des derzeitigen hausarztzentrierten Vertrages bzw. auch darüber hinaus bis zum Abschluss eines neuen Vertrages."

17

Die Klägerin zeigt bereits die Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der ersten Rechtsfrage nicht auf. Das Fortsetzungsfeststellungsbegehren der Klägerin ist nach ihrem eigenen Vorbringen weder darauf gerichtet zu klären, ob die Beklagte ihr überhaupt eine HzV aufgrund eines bestehenden HzV-Vertrages anzubieten hat, noch darauf, ob sie einen Anspruch darauf hat, die Beklagte zum Abschluss eines (neuen) HzV-Vertrages mit dem BHÄV oder einem anderen Vertragspartner iS des § 73b Abs 4 SGB V zu verpflichten. Das Fortsetzungsfeststellungsbegehren erschöpft sich nach dem gesamten Vorbringen der Klägerin darin, welche Rechtsfolgen sich aus dem Umstand ergeben, dass die Beklagte ihr die Teilnahme an einer HzV aufgrund des HzV-Vertrages vom 3.9.2009 zwar ermöglichte, aber diesen Vertrag mit Ablauf des 31.12.2010 außerordentlich kündigte.

18

Soweit die Klägerin hierzu die zweite Frage formuliert, lässt der Senat offen, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage klar formuliert hat. Die Beschwerdebegründung zeigt aber den Klärungsbedarf nicht hinreichend auf. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, obwohl das BSG sie noch nicht ausdrücklich behandelt hat, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 17; BSG Beschluss vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - Juris RdNr 7 = NZS 2012, 557; BSG Beschluss vom 31.1.2013 - B 1 KR 106/12 B - RdNr 6; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 313). So verhält es sich hier wie zuvor unter 2. dargelegt. Die Klägerin setzt sich weder mit Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Regelungszweck des § 73b SGB V noch mit seiner Einordnung in die Regelungssystematik des übrigen Leistungs- und Leistungserbringungsrechts auseinander. Sie verweist lediglich darauf, dass bei den in Rede stehenden Leistungen und Zuzahlungsermäßigungen das Zustandekommen bzw der Wegfall des HzV-Vertrages insofern keine Relevanz ihr gegenüber habe, weil sie unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen eines solchen Vertrages Anspruch auf die ihr von der Beklagten mit Informationsschreiben mitgeteilten Leistungen habe. KKn hätten ihren Versicherten eine Versorgung nach § 73b SGB V mit den entsprechenden Leistungserbringern zur Verfügung zu stellen, wie sie sich aus dem Informationsschreiben der Beklagten ergebe. Anderenfalls würden Leistungsansprüche Versicherter zum Spielball der Vertragsparteien.

19

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Juli 2013 wird zurückgewiesen. Der Tenor des Urteils des Landessozialgerichts wird klarstellend wie folgt gefasst: Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Januar 2012 sowie der Bescheid des Beklagten vom 10. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2011 werden geändert und der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Änderung des Bescheides vom 31. Mai 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Januar 2011 für den Zeitraum vom 4. Juni bis 8. Oktober 2010 340 Euro als Mehrbedarfsleistung für Fahrtkosten zu gewähren.

Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II - ohne Leistungen für Unterkunft und Heizung - im Zeitraum vom 1.6. bis 30.11.2010 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs durch Fahrtkosten, die im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts mit seiner 1999 geborenen Tochter entstanden sind.

2

Der Beklagte bewilligte dem alleinstehenden in D. wohnenden Kläger auf dessen Fortzahlungsantrag für den zuvor benannten Zeitraum eine Regelleistung in Höhe von monatlich 359 Euro (Bescheid vom 31.5.2010, geändert durch Bescheid vom 25.1.2011 wegen der Bewilligung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehung ab dem 15.10.2010). Über berücksichtigungsfähiges Einkommen verfügte er nicht. Er bewohnte ein in seinem Miteigentum stehendes Zweifamilienhaus und erhielt als Unterkunftsleistungen einen Betrag von 341,78 Euro monatlich. Die Tochter des Klägers lebte zunächst in K. bei ihrer Mutter. Die Eltern hatten ein gemeinsames Sorgerecht. Alle 14 Tage von Freitag bis Sonntag übte der Kläger sein Umgangsrecht aus. In den Sommerferien verbrachte die Tochter drei Wochen bei ihm. Er holte das zehn- bzw elfjährige Kind an den Besuchswochenenden und zu Ferienbeginn mit dem eigenen Pkw in K. ab und brachte sie sonntags bzw am Ferienende wieder dorthin zurück. Die Mutter lehnte es ab, dass die Tochter die Bahnfahrt von K. nach D. und zurück allein unternehme. Am 9.11.2010 teilte der Kläger dem Beklagten ua mit, an welchen Tagen sich die Tochter seit dem 1.6.2010 bei ihm aufgehalten hatte und dass sie seit dem 8.10.2010 bei ihm lebe. Ferner machte er die Erstattung der ihm durch die Fahrten zur Ausübung des Umgangsrechts entstandenen Aufwendungen geltend. Durch Bescheid vom 10.3.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger Fahrtkostenerstattung in Höhe von 135,60 Euro. Dabei ging er von insgesamt zurückgelegten 3151 km aus, dividierte diese Summe durch zwei und multiplizierte sie mit 0,20. Von dem sich hieraus ergebenden Betrag von 315,20 Euro brachte er 10 % von der Regelleistung, die er dem Kläger für fünf Monate (Juni bis Oktober 2010) gewährt hatte (5 x 359 = 1795 Euro - hiervon 10 % = 179,50 Euro), in Abzug. Insoweit bestünden Einsparmöglichkeiten durch Umschichtung innerhalb der Regelleistung. Den Widerspruch wies er - nach Erhebung einer Untätigkeitsklage durch den Kläger beim SG Augsburg - mit derselben Begründung zurück (Widerspruchsbescheid vom 25.8.2011).

3

Der Kläger hat nunmehr einen Anfechtungs- und Leistungsantrag gestellt und eine Fahrtkostenerstattung in Höhe von 0,30 Euro für insgesamt zurückgelegte 3151 km begehrt. Das SG hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger weitere 179,50 Euro mit der Begründung zugesprochen, dass die von dem Beklagten in dieser Höhe vorgenommene Berücksichtigung einer Einsparung rechtswidrig sei (Gesamtleistung: 179,50 Euro + 135,60 Euro = 315,10 Euro). Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.1.2012).

4

Im Berufungsverfahren hat der Kläger geltend gemacht, 17 mal eine Wegstrecke von 272 km zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit dem Pkw zwischen D. und K. zurückgelegt zu haben. Eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei ihm nicht zumutbar gewesen, denn die Gesamtfahrtzeit betrage dann 5 Stunden, während er mit dem Pkw lediglich drei Stunden benötigt habe. Das LSG hat der Berufung insoweit stattgegeben, als es dem Kläger Leistungen von 80 Euro für den Monat Juni 2010, 100 Euro für den Monat Juli 2010, 40 Euro für den Monat August 2010 sowie jeweils 60 Euro für die Monate September 2010 und Oktober 2010 (insgesamt 340 Euro) abzüglich bereits erbrachter und vom SG ausgeurteilter Leistungen zugesprochen hat. Im Übrigen hat es die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Kläger zwar einen Anspruch auf Leistungen nach § 21 Abs 6 SGB II habe. Insoweit sei jedoch nur der unabweisbare Bedarf zu decken und seien Einsparmöglichkeiten zu nutzen. Unabweisbar sei der Bedarf lediglich in Höhe der Aufwendungen für die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu dem günstigsten Preis, hier mit dem "Bayern-Ticket" 2. Klasse zu einem Preis pro Fahrkarte von 20 Euro. Das LSG hat festgestellt, dass im streitigen Zeitraum die Fahrt zwischen D. und K. mit öffentlichen Verkehrsmitteln 2 bis 2 1/2 Stunden gedauert habe, mit einem Zwischenaufenthalt in U. von 45 bis zu 60 Minuten. Für die sonntägliche Fahrt von D. nach K. hätten zwei Anschlüsse (Abfahrt 13:25 Uhr bzw 17:25 Uhr) mit kurzem Zwischenaufenthalt und jeweils einer Gesamtfahrdauer von 1 Stunde und 47 Minuten bestanden. Die Mutter habe 17 "Fahrtage" zwischen dem 4.6. und dem 8.10.2010 bestätigt. Die Nutzung der Bahn sei dem Kläger auch trotz der im Vergleich längeren Fahrtzeit als mit einem Pkw zumutbar. Eine Einschränkung des Umgangsrechts folge hieraus nicht, denn bei den gemeinsamen Fahrten mit der Tochter habe er dieses bereits ausüben können. Weitere Einsparmöglichkeiten seien nicht ersichtlich, insbesondere keine solchen aus dem in der Regelleistung vorgesehenen Ansatz für Mobilitätsbedarf.

5

Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 21 Abs 6 SGB II sowie eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wenn er auf öffentliche Verkehrsmittel verwiesen werde. Die Entscheidung des LSG stelle zugleich eine Verletzung des Grundrechts auf Gleichbehandlung dar. Er begehrt einen Betrag von 1072,10 Euro, der sich aus 0,30 Euro x 4624 gefahrenen Kilometern errechnet (1387,20 Euro), abzüglich der bereits vom Beklagten erbrachten 315,10 Euro.

6

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 10.7.2013 und des SG Augsburg vom 17.1.2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.8.2011 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, ihm unter Änderung des Bescheides vom 31.5.2010 in der Fassung des Bescheides vom 25.1.2011 für den Zeitraum vom 4.6. bis 8.10.2010 weitere 1072,10 Euro zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält die Ausführungen des LSG für zutreffend. Ergänzend führt er aus, dass keine unbeschränkte Sozialisierung der Scheidungsfolgekosten durch Leistungen der Grundsicherung zu erfolgen brauche. Es sei dem Kläger zuzumuten, Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchzuführen, auch wenn diese länger dauerten als solche mit einem Pkw. Es gehe insoweit nicht um zeitsparendes und möglichst komfortables Reisen. Eine Einschränkung des Umgangsrechts sei damit nicht verbunden.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist unbegründet. Das LSG hat die Entscheidungen von SG und Beklagtem insoweit zutreffend geändert, als es die Höhe des Mehrbedarfs des Klägers, der ihm durch die Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter zwischen dem 4.6. und dem 8.10.2010 entstanden ist, mit 340 Euro beziffert hat. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf die von ihm begehrten, über den zugesprochenen Betrag von 340 Euro hinausgehenden Leistungen (weitere 1047,20 Euro).

10

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1.6. bis 30.11.2010 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs des Klägers wegen der Ausübung des Umgangsrechts mit der Tochter im Zeitraum vom 4.6. bis 8.10.2010. Der Beklagte hatte ihm eine Regelleistung und ab Mitte Oktober 2010 einen Mehrbedarf für Alleinerziehung durch bestandskräftigen Bescheid vom 31.5.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25.1.2011 für den Zeitraum vom 1.6. bis 30.11.2010 bewilligt und den die Regelleistung erhöhenden Härtemehrbedarf durch den hier streitbefangenen Bescheid vom 10.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.8.2011 mit 135,60 Euro beziffert. Der erkennende Senat folgt dem LSG insoweit, als nach der ausdrücklichen Erklärung des Klägers Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht im Streit stehen (zur Eigenständig- und Abtrennbarkeit der Kosten der Unterkunft als Streitgegenstand vgl BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; s auch Urteil vom 6.8.2014 - B 4 AS 55/13 R - RdNr 12, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die weiteren Regelungen in diesen Bescheiden betreffend die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts können jedoch nicht rechtlich zulässig in unterschiedliche Streitgegenstände aufgespalten werden (vgl BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - BSGE 105, 279 = SozR 4-1100 Art 1 Nr 7, RdNr 11). Dies gilt auch für eine Leistung für Mehrbedarf, die nach der Rechtsprechung des 14. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat angeschlossen hat, Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist (vgl nur BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2, RdNr 11; BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - BSGE 105, 279 = SozR 4-1100 Art 1 Nr 7, RdNr 11; BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 9 ff; s auch Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - RdNr 12). Daher stellt der Anspruch auf eine Leistung nach § 21 Abs 6 SGB II keinen eigenständigen und von der Höhe der Regelleistung abtrennbaren Streitgegenstand dar(BSG Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R - BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 12).

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2. Zutreffende Klageart ist hier die Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage. Der Kläger begehrt mit der Anfechtungsklage die Teilaufhebung des die Fahrtkosten bewilligenden Bescheides vom 10.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.8.2011. Die Verpflichtungsklage ist auf die Änderung des im Zeitpunkt der Mitteilung des Klägers vom 9.10.2010 bereits bestandskräftigen Ausgangsbescheides vom 31.5.2010 in der Fassung des Bescheides vom 25.1.2011 gerichtet. Diese Bescheide sind auf der Grundlage des § 44 SGB X zu überprüfen(vgl dazu BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 10; s auch Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - juris RdNr 13). Der die laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligende Bescheid vom 31.5.2010 ist nach dem klägerischen Begehren insoweit rechtswidrig iS des § 44 SGB X, als die Leistung von Beginn des Bewilligungsabschnitts an um den Härtemehrbedarf für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts hätte höher sein müssen. Mit der Leistungsklage beantragt der Kläger die Erbringung einer Leistung für höheren Regelbedarf über den von dem Beklagten bewilligten Betrag hinaus.

12

3. Vorliegend sind durch den Bescheid vom 31.5.2010 iS von § 44 Abs 1 SGB X Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden. Nach § 44 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. So liegt der Fall hier.

13

Der Kläger erfüllte nach den Feststellungen des LSG in dem streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Er hatte wegen seiner Hilfebedürftigkeit im Zeitraum vom 1.6. bis 30.11.2010 Anspruch auf eine Regelleistung in Höhe von damals 359 Euro gemäß § 20 Abs 2 S 1 SGB II(idF des Gesetzes über die Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706) sowie ab dem 15.10.2010 auf Leistungen für einen Mehrbedarf durch Alleinerziehung nach § 21 Abs 3 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954), wie durch Änderungsbescheid vom 25.1.2011 bewilligt. Daneben stand ihm - ohne dass es eines gesonderten Antrags insoweit bedurft hätte (vgl nur BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN) -ein Anspruch auf Leistungen für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter nach § 21 Abs 6 SGB II zu.

14

Die Voraussetzungen des § 21 Abs 6 SGB II liegen hier dem Grunde nach vor. Zum Zeitpunkt des ersten geltend gemachten Bedarfs für eine Fahrt am 4.6.2010 kann der Kläger sein Begehren bereits auf diese Vorschrift stützen. Sie ist mit dem Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortzuführenden Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 27.5.2010 durch dessen Art 3a Nr 2 Buchst b mit Wirkung vom 3.6.2010 in § 21 SGB II eingefügt worden(BGBl I 671). Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige einen Mehrbedarf, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht (Satz 1). Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (Satz 2).

15

a) Bei den Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts handelt es sich um einen besonderen Bedarf. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Entscheidung des 14. Senats des BSG vom 4.6.2014 (B 14 AS 30/13 R - RdNr 20 - zur Veröffentlichung vorgesehen) in Fortführung der Ausgangsentscheidung des 7b. Senats vom 7.11.2006 (B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 22)an.

16

Ein besonderer Bedarf im Einzelfall ist dann gegeben, wenn die Bedarfslage eine andere ist, als die, die bei typischen Empfängern von Grundsicherungsleistungen vorliegt. Es muss daher ein Mehrbedarf im Verhältnis zum "normalen" Regelbedarf gegeben sein (vgl auch Behrend in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 21 RdNr 78; Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 21, RdNr 75, Stand V/2011). Dies ist bei den Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts ungeachtet der Tatsache, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten enthalten ist, der Fall. Abgesehen davon, dass der Gesetzgeber nach der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua, BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)und bei der Einfügung des § 21 Abs 6 SGB II im Mai 2010 ua speziell die Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern als Anwendungsfall der Härtefallklausel im Blick hatte(BT-Drucks 17/1465, S 9), betrifft der Bedarf hier nicht nur die üblichen Fahrten im Alltag, sondern eine spezielle Situation bei der Aufrechterhaltung des Umgangs mit einem Kind. Diese Situation ist mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden, wenn die Wohnorte aufgrund der Trennung der Eltern weiter entfernt voneinander liegen (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 22; Behrend in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 21 RdNr 97, 102; s auch Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 21, RdNr 83, Stand V/2011). So liegt der Fall auch hier, denn der Kläger hatte seinen Wohnort rund 140 km entfernt von dem der Mutter, bei der das Kind lebte.

17

b) Der Bedarf war im vorliegenden Bewilligungsabschnitt auch ein laufender, nicht nur einmaliger. Dabei kann offen bleiben, ob ein Bedarf iS des § 21 Abs 6 SGB II nur dann ein laufender ist, wenn er prognostisch dauerhaft, regelmäßig und längerfristig entstehen wird(zu diesen Anforderungen s BSG im Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl hierzu kritisch Behrend in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 21 RdNr 80; Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 21, RdNr 74, Stand V/2011; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 67 f). Der Senat neigt dazu, die Reduzierung des Begriffs "laufender Bedarf" auf diesen Inhalt als nicht durch den Wortlaut des § 21 Abs 6 S 1 SGB II geboten zu bewerten. Es ist vielmehr im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal des laufenden Bedarfs in Abgrenzung zum einmaligen Bedarf eine Entscheidung unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls zu treffen. Dabei können Umschreibungen wie dauerhaft, regelmäßig oder längerfristig sowie eine prognostische Betrachtung nur Anhaltspunkte dafür sein, ob es sich um einen "laufenden Bedarf" handelt. Im vorliegenden Fall war jedoch nur über Leistungen bis zum Zuzug des Kindes zum Kläger zu befinden, sodass ungeprüft bleiben konnte, ob der Bedarf auch in Zukunft entstehen oder ggf entfallen wird, etwa weil im Hinblick auf das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes es nicht mehr erforderlich sein wird, das Kind abzuholen (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 73). Im streitigen Bewilligungsabschnitt ist der besondere Bedarf durch die regelmäßige Ausübung des Umgangsrechts - hier alle zwei Wochen an einem Wochenende von Freitag bis Sonntag im Zeitraum von Juni bis Oktober - laufend entstanden. Die Mutter des Kindes hatte in dieser Zeit ihre Zustimmung dazu verweigert, das zehn- bzw elfjährige Kind die Zugfahrt alleine unternehmen zu lassen (vgl zur Maßgeblichkeit von Entscheidungen der Familiengerichte bzw von Vereinbarungen zum Umfang des Umgangsrechts Behrend, jM 2014, 22, 27 f).

18

c) Ebenso ist der Bedarf unabweisbar. Nach § 21 Abs 6 S 2 SGB II ist der Mehrbedarf unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Wenn der Kläger das verfassungsrechtlich geschützte Umgangsrecht mit seinem Kind ausüben möchte, ist das Entstehen des Bedarfs durch Fahrtkosten dem Grunde nach unabweisbar. Der Bedarf ist auch erheblich (aa) und kann nicht durch Zuwendungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Klägers gedeckt werden (bb). Allerdings ist der anzuerkennende Bedarf der Höhe nach niedriger als vom Kläger geltend gemacht. Insoweit sind Einsparmöglichkeiten zu berücksichtigen (cc).

19

aa) Die Erheblichkeit des hier geltend gemachten Bedarfs steht außer Zweifel. Der erkennende Senat folgt dem 14. Senat des BSG, wenn er als erheblich einen atypischen Bedarf erkennt, der von einem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht (vgl BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - RdNr 28 - zur Veröffentlichung vorgesehen, unter Verweis auf BSG Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R - BSGE 99, 252 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3, RdNr 28). Zutreffend weist er darauf hin, dass Anknüpfungspunkt insoweit letztlich die Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und damit die Frage ist, ob das menschenwürdige Existenzminimum trotz Mehraufwendungen noch gewährleistet werden kann oder über die Regelleistung hinausgehende Leistungen dazu erforderlich sind (vgl BT-Drucks 17/1465, S 8). Im vorliegenden Fall ist eine erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf sowohl im Hinblick auf die Regelleistung von damals 359 Euro insgesamt, aber auch den in der damaligen Regelleistung enthaltenen Betrag für Fahrtkosten von rund 20 Euro zu bejahen.

20

bb) Eine Bedarfsdeckung durch Zuwendungen Dritter ist nach den bindenden Feststellungen des LSG nicht erfolgt. Auch sind nach dessen Feststellungen keine Anhaltspunkte für die Möglichkeit der Realisierung unterhaltsrechtlicher Ansprüche gegen die Mutter des Kindes vorhanden (vgl zur "ersten objektiv rechtlich möglichen Umsetzung einer Änderung": BSG vom 9.11.2010 - B 4 AS 7/10 R - BSGE 107, 97 = SozR 4-4200 § 11 Nr 34, RdNr 29 ff; vom 10.5.2011 - B 4 KG 1/10 R - BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr 2, juris RdNr 23; Behrend jM 2014, 22, 27 f). Der Senat folgt auch insoweit dem 14. Senat, wenn dieser darauf verweist, dass die im Grundsatz gegebene Einsparmöglichkeit durch "Umschichtung", also einer Präferenzentscheidung dahingehend, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen (BT-Drucks 17/1465, S 6 und 8), bei Bedarfen durch Fahrtkosten für die Ausübung des Umgangsrechts ausscheidet. Dieser Gedanke kommt nur bei Bedarfen, die dem Grunde nach vom Regelbedarf umfasst sind, zum Tragen. Dies ist aber gerade hinsichtlich des hier im Streit stehenden Mehrbedarfs nicht der Fall (BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - juris RdNr 25 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Ebenso wenig ist der Kläger auf den Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen (§ 12 Abs 2 Nr 4 SGB II) als Einsparmöglichkeit zu verweisen. Dieser dient nur dazu, einmalige Bedarfe abzufangen. Müsste dieser Ansparbetrag für laufende Aufwendungen abgezweigt werden, stünde er gerade als Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen nicht mehr zur Verfügung. Auch das Bestreiten des Bedarfs durch ein Darlehen (§ 24 Abs 1 SGB II) ist ausgeschlossen, denn insofern ist aufgrund der Entscheidung des BVerfG (Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175, 255 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 208; s auch BVerfG Beschluss vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua - RdNr 121) davon auszugehen, dass nur einmalig auftretende "Bedarfsspitzen" über die Darlehensregelung erfasst werden können, sodass dies kein denkbarer Weg ist, um die laufend auftretenden Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts abzufangen.

21

cc) Allerdings versteht der erkennende Senat das Merkmal der "Einsparmöglichkeit" des § 21 Abs 6 SGB II so, dass auch bei einem dem Grunde nach unabweisbaren Bedarf die Höhe der hierfür gewährten Leistungen unter Berücksichtigung realistischer Einsparmöglichkeiten zu bemessen ist. Bei der Bestimmung der grundsicherungsrechtlich gebotenen Einsparmöglichkeit hinsichtlich der Aufwendungen für die Ausübung des Umgangsrechts ist Ausgangspunkt die verfassungsrechtliche Absicherung dieses Rechts durch Art 6 Abs 2 GG. Eine Einschränkung der Kosten des Umgangsrechts allein aus fiskalischen Gründen scheidet daher aus. Erforderlich ist vielmehr eine Betrachtung der konkreten Umstände des Einzelfalls (Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 21, RdNr 86, Stand V/2011). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist - auch sozialhilferechtlich - eine Leistung für die Wahrnehmung des Umgangsrechts geboten, die dem Elternrecht beider Elternteile Rechnung trägt und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles dem Wohl des Kindes entspricht (BVerfG Beschluss vom 25.10.1994 - 1 BvR 1197/93 - juris RdNr 25). Mit dem BVerwG ist daher eine individualisierende Betrachtung, die alle das Eltern-Kind-Verhältnis bestimmenden Umstände würdigt, verfassungsrechtlich geboten. Es sind demnach das Alter, die Entwicklung und die Zahl der Kinder, die Intensität ihrer Bindung zum Umgangsberechtigten, die Einstellung des anderen Elternteils zum Umgangsrecht, insbesondere das Vorliegen und der Inhalt einverständlicher Regelungen, die Entfernung der jeweiligen Wohnorte beider Elternteile und die Art der Verkehrsverbindungen in den Blick zu nehmen (BVerwG Urteil vom 22.8.1995 - 5 C 15/94 - juris RdNr 12; vgl Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 21, RdNr 86, Stand V/2011).

22

Daneben ist zu berücksichtigen, dass Leistungen nach § 21 Abs 6 SGB II der Rechtsprechung des BVerfG Rechnung tragen, wonach die menschenwürdige Existenz gefährdet ist, wenn in bestimmten Situationen der Leistungsberechtigte allein auf die Regelleistung verwiesen wird und damit nicht in der Lage sein könnte, einen weiteren anerkannten, zwingenden Bedarf zu decken(vgl auch BT-Drucks 17/1465, S 8; BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 207 f).

23

Im Rahmen dieser Vorgaben sind andererseits bei der Beurteilung der "Einsparmöglichkeiten" sowohl die dem System des SGB II immanente Subsidiarität der Leistungserbringung nach § 5 Abs 1 S 1 SGB II(BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 6/13 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, SozR 4-4200 § 21 Nr 16, RdNr 21),als auch die aus § 3 Abs 3 1. Halbs SGB II folgende Beschränkung auf eine Leistungserbringung nur für den Fall, dass die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann, zu berücksichtigen. So hat der erkennende Senat bereits befunden, dass die getätigten Ausgaben iS eines durch Grundsicherungsleistungen zu deckenden Bedarfs aus Sicht eines verständigen Leistungsberechtigten nicht offenkundig außer Verhältnis zu dem stehen dürfen, was einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht (vgl hierzu BSG Urteil vom 23.5.2013 - B 4 AS 79/12 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 5, RdNr 22). Der darüber hinausgehende Bedarf ist nicht mehr der Höhe nach unabweisbar. Hieraus folgt: Die Aufwendungen für die Kosten des Umgangsrechts müssen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angemessen im Sinne des Grundsicherungsrechts sein; der Leistungsberechtigte muss also die kostengünstigste und gleichwohl im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Schutz des Umgangsrechts verhältnismäßige sowie zumutbare Variante zur Bedarfsdeckung wählen bzw hat nur Anspruch auf Leistungen in deren Höhe. Unter Berücksichtigung dessen hat der Kläger hier keinen grundsicherungsrechtlich zu deckenden Bedarf, der über einen solchen hinaus geht, der durch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstehen würde und den das LSG zutreffend nur insoweit als unabweisbar zugrunde gelegt hat.

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Der Kläger macht einen Bedarf geltend, der bedingt durch die Nutzung eines Pkw - folgt man seinen Berechnungen - über 1000 Euro höher ist, als der, der durch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstanden wäre. Folgt man den Ausführungen des 14. Senats des BSG in seiner aktuellen Entscheidung zum Bedarf für die Ausübung des Umgangsrecht (BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - RdNr 28 - zur Veröffentlichung vorgesehen) und legt der Berechnung eine Kilometerpauschale von 0,20 Euro iS von § 5 Abs 1 BRKG zugrunde, so wäre der Bedarf des Klägers durch die Fahrt mit dem Pkw immer noch 584,80 Euro höher als der aufgrund der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel(4624 km x 0,20 = 924,80 - 340 = 584,80 Euro). Zwar weist der 14. Senat insoweit darauf hin, dass es sich nicht um hypothetische Einsparungsmöglichkeiten handeln dürfe (BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - RdNr 24 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Jedoch hat das LSG nach eingehenden Ermittlungen festgestellt, dass es dem Kläger möglich gewesen wäre, unter Nutzung des Bayern-Tickets die Fahrtkosten pro Abholfahrt auf 20 Euro zu senken. Für den gesamten hier streitigen Zeitraum ergäbe sich dann ein Gesamtbedarf von 340 Euro.

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Der Verweis auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist hier auch weder unverhältnismäßig, noch wird der Kläger dadurch unzumutbar in seinem verfassungsrechtlich abgesicherten Umgangsrecht beeinträchtigt. Der Kläger hatte alle 14 Tage ein Umgangsrecht mit seiner im hier streitigen Zeitraum zehn bzw elf Jahre alten Tochter, das sich über 2 1/2 Tage erstreckte. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)betrug die maximale Fahrtzeit für eine Fahrtstrecke mit der Bahn jeweils rund 2 bis 2 1/2 Stunden, während mit dem Pkw ca 1 1/2 Stunden von Nöten waren.

26

Der Kläger gelangt mit der Bahn ebenso wie mit dem Auto an sein Ziel. Beide Reisemöglichkeiten sind daher grundsätzlich "gleich gut" im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geeignet, das Umgangsrecht auszuüben. Die Aufwendungen für die Bahnfahrt sind jedoch um den 2,8-fachen oder, legt man das BRKG zugrunde, um den 1,5-fachen monatlichen Regelbedarf niedriger als die für die Fahrt mit dem Pkw. Im Hinblick auf die Orientierung der Leistungshöhe an der Deckung nur einfacher und grundlegender Bedürfnisse kann daher eine Kostensenkung bei gleichen Ausgangsbedingungen vom Leistungsberechtigten gefordert werden. Die mit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel verbundene Verlängerung der Fahrtzeit um eine Stunde pro Fahrtstrecke ist im Hinblick auf die Preisdifferenz zwischen den vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für die Nutzung des Pkw und dem Preis für ein Bahnticket nicht unangemessen.

27

Anders als in dem vom 14. Senat zu entscheidenden Fall wäre das Umgangsrecht des Klägers auch nicht unzumutbar durch die Verlängerung der Fahrtzeit beeinträchtigt worden. Im Fall des 14. Senats wäre durch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zwar auch eine zusätzliche Fahrtzeit entstanden. Die Verlängerung der Fahrtzeit hätte jedoch das ohnehin nur fünf Stunden dauernde Umgangsrecht des dortigen Klägers mit dem damals vierjährigen Kind um eine weitere Stunde verkürzt (BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - RdNr 24 - zur Veröffentlichung vorgesehen) und damit in nicht hinzunehmendem Maße beschränkt. Vorliegend wäre das mindestens 48 Stunden dauernde Umgangsrecht durch die Fahrtzeitverlängerung nur unerheblich eingeschränkt worden. Soweit es die Fahrtzeiten mit der Tochter des Klägers betrifft, konnte während der Bahnfahrt, anders als je nach den Umständen des Falles bei einem vierjährigen Kind, das Umgangsrecht durch Unterhaltung und Beschäftigung mit dem Kind bereits ausgeübt werden. Soweit es die Fahrten betrifft, die der Kläger auf dem Hin- und Rückweg jeweils alleine zurückgelegt hat, ist die Verlängerung der Fahrtzeit um je eine Stunde ebenfalls nicht unzumutbar. Es sind nach den Feststellungen des LSG keine Gründe ersichtlich, die für den Kläger eine zwingende Verkürzung erforderlich gemacht hätten, etwa, weil er aufgrund einer Erwerbstätigkeit erst zu einem bestimmten Zeitpunkt hätte starten oder früher wieder zurück sein müssen.

28

4. Durch die Beschränkung der Mehrbedarfsleistung in dem zuvor dargelegten Umfang wird der Kläger auch nicht in seinem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Gleichbehandlung oder in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Im Hinblick auf die klägerische Rüge der Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art 3 Abs 1 GG ist bereits nicht erkennbar, gegenüber welcher Gruppe von Normadressaten er durch die Bewilligung von Leistungen zur Wahrnehmung des Umgangsrechts in Höhe der Kosten für ein Bahnticket ungleich behandelt werden könnte. Hierdurch wird auch weder das Persönlichkeitsrecht des Klägers, noch dessen Handlungsfreiheit iS des Art 2 Abs 1 GG beeinträchtigt. Die Bewilligung staatlicher Leistungen tangiert nicht dessen abwehrrechtliche Dimension (BVerfG Beschluss vom 29.5.2013 - 1 BvR 1083/09 - RdNr 10). Maßstab ist hier vielmehr das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, für dessen Ausgestaltung aus grundrechtlicher Sicht allein Art 1 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG maßgeblich ist (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Die Leistung nach § 21 Abs 6 SGB II ist jedoch gerade Ausfluss dessen auf Grundlage der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 207).

29

5. Der Tenor war klarstellend neu zu fassen, da das LSG den Verpflichtungsantrag des Klägers nicht tenoriert hat, obwohl es ebenfalls davon ausgegangen ist, dass es sich bei dem Bescheid vom 10.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.8.2011 um einen den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 31.5.2010 ändernden Bescheid handelt.

30

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts mit seiner am 2006 geborenen Tochter für den hier streitigen Zeitraum vom 1.7. bis zum 30.11.2010.

2

Das beklagte Jobcenter bewilligte dem alleinstehenden Kläger mit Bescheid vom 27.4.2010 für die Zeit vom 1.7.2010 bis zum 30.11.2010 Leistungen in Höhe von monatlich 696 Euro (359 Euro Regelleistung - jetzt Regelbedarf - plus tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 337 Euro). In der Zeit vom 20.7. bis Ende September 2010 übte der Kläger eine geringfügige Beschäftigung aus, der Aushilfslohn betrug nach den Abrechnungen von August und September 2010 jeweils 31,50 Euro, nach der Abrechnung von Oktober 2010 112,10 Euro.

3

Nachdem das Sozialamt der Stadt Bielefeld zum 30.6.2010 die bisher dem Kläger erbrachten Zahlungen zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter eingestellt hatte, beantragte der Kläger am 8.7.2010 bei dem Beklagten einen "laufenden, nicht vermeidbaren, besonderen Bedarf zur Ausübung des Umgangsrechts". Das Umgangsrecht stand ihm ua auch in der streitgegenständlichen Zeit regelmäßig alle zwei Wochen samstags von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr zu. Er holte seine Tochter um 12.00 Uhr bei der Mutter ab und brachte sie um 17.00 Uhr wieder dorthin zurück. Für die Wegstrecke nutzte er seinen eigenen Pkw, die einfache Fahrtstrecke betrug ca 17 km.

4

Mit Bescheid ebenfalls vom 8.7.2010 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil die begehrte monatliche Zahlung unter 10 % der Regelleistung liege. Die Entfernung zum Wohnort der Tochter betrage 17 km und bei zweimaliger Hin- und Rückfahrt pro Umgangstag ergäben sich, ausgehend von einer Pauschale von 0,20 Euro je Entfernungskilometer, nur 13,60 Euro im Monat. Der Kläger sei vorrangig darauf zu verweisen, seinen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen. Im Übrigen sei ihm die Bestreitung der nicht übernommenen Kosten aus dem zur Verfügung stehenden Einkommen zumutbar. Der dagegen gerichtete Widerspruch ist ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 25.11.2010).

5

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter Änderung der genannten Bescheide verurteilt, dem Kläger zur Ausübung des Umgangsrechts weitere 27,20 Euro monatlich zu gewähren und eine Wegstreckenentschädigung von 0,20 Euro je Kilometer nach dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) zugrunde gelegt (Urteil vom 23.2.2012). Das Landessozialgericht (LSG) hat nach deren Zulassung die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 21.3.2013). Aus der Regelung über die Rückzahlung von Darlehen sei keine allgemeine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der Regelleistung ableitbar. Der Kläger könne auch weder auf seinen im streitigen Zeitraum erzielten Nebenverdienst verwiesen werden, noch sei ihm wegen der Zeitdauer seines Umgangsrechts die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

6

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt die fehlerhafte Auslegung von § 21 Abs 6 SGB II durch das LSG. Der Bedarf des Klägers für die Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter sei nicht unabweisbar, denn bei diesem Tatbestandsmerkmal sei eine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der maßgeblichen Regelleistung zu berücksichtigen. Diese Grenze von 10 % ergebe sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010, in der davon ausgegangen werde, dass von Hilfebedürftigen erwartet werden könne, dass sie diese Teile des Regelbedarfs ansparen. Auch der Gesetzgeber gehe davon aus, dass eine 10 %ige Reduzierung der Regelleistung möglich sei, was das BVerfG nicht beanstandet habe. Dem stehe auch nicht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entgegen, denn dieses habe speziell zu der Regelung von § 21 Abs 6 SGB II noch nicht Stellung genommen, sondern habe im Rahmen einer Entscheidung über einen Hygienemehrbedarf noch auf § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abgestellt.

7

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 und des Sozialgerichts Detmold vom 23. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die Ausführungen des SG und des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Beklagten (§ 160 Abs 1, § 164 Sozialgerichtsgesetz) ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, denn die Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II war rechtswidrig.

11

1. Gegenstand des Verfahrens sind neben den Urteilen des LSG und des SG der Bescheid vom 8.7.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2010, mit dem der Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 27.4.2010 den zusätzlich zur Regelleistung (jetzt Regelbedarf) geltend gemachten Mehrbedarf für die Ausübung des Umgangsrechts zu gewähren. Der Bescheid vom 8.7.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2010 lässt zwar keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt erkennen, die Auslegung des Bescheids aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Beteiligten lässt aber allein den Schluss zu, dass der Beklagte die rechtlich einzig zulässige Regelung treffen wollte, über höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte zu entscheiden, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw der Gegenwart lagen und keine abschließende Entscheidung für die Zukunft treffen wollte (so bereits BSG Urteile vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 14; vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 15).

12

2. Die Vorinstanzen sind insofern zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit seiner zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts begehrt, denn die Gewährung eines Mehrbedarfs kann nicht in zulässiger Weise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht werden (stRspr, siehe nur BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 13; Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13, RdNr 14). Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Die Berufung gegen das Urteil des SG ist zulässig, ohne dass es auf die Beschwerdesumme ankommt (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 SGG), denn das LSG hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hin die Berufung mit Beschluss vom 26.9.2012 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

13

3. Ebenfalls zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 27.4.2010 unter dem Blickwinkel des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu ändern ist(vgl dazu BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 10). § 44 Abs 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist vorliegend einschlägig. Es liegt kein Fall des § 48 SGB X wegen des Wegfalls der Zahlungen des Sozialamts und der Antragstellung des Klägers beim Beklagten am 8.7.2010 vor, denn insofern handelt es sich nicht um eine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen während des Bewilligungsabschnitts, vielmehr ist der Bescheid vom 27.4.2010 in der Sache von Anfang an rechtswidrig gewesen. Da es sich bei dem Mehrbedarf um eine laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt, musste dieser grundsätzlich nicht besonders beantragt werden (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN).

14

a) Der Kläger hatte bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten am 27.4.2010 für den hier streitbefangenen Leistungszeitraum einen Anspruch gegen das beklagte Jobcenter auf den geltend gemachten Mehrbedarf dem Grunde nach, nachdem das BVerfG es mit Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) als mit dem Grundgesetz unvereinbar angesehen hat, dass für einen atypischen Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II und bestimmter zusätzlicher Hilfen das SGB II keinen Anspruch des Hilfebedürftigen auf einen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen und unabweisbaren Bedarf vorsieht, der zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist. Da Urteile des BVerfG gemäß § 31 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) iVm § 13 Nr 8a BVerfGG bindend sind und in Gesetzeskraft erwachsen(s dazu Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 93 RdNr 65), hatte der Kläger bereits am 27.4.2010 dem Grunde nach einen Anspruch auf Mehrbedarf gegen den Beklagten. Dem stand nicht entgegen, dass der Bedarf bis dahin von einem zu diesem Zeitpunkt unzuständigen Träger, nämlich der Stadt Bielefeld als Sozialhilfeträger, gedeckt worden ist. Ebenso ohne Bedeutung ist, dass der Beklagte von dem Bedarf keine Kenntnis hatte, weil es für den Beurteilungszeitpunkt bezüglich der Frage, ob ein Verwaltungsakt wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit zurückzunehmen ist, nicht auf den Stand der Erkenntnis bei Erlass des Verwaltungsakts, sondern im Zeitpunkt seiner Überprüfung ankommt und somit eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer eventuell geläuterten Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsakts geltenden Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist (vgl nur Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 44 RdNr 10 mwN).

15

b) Die weitere Voraussetzung, dass Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist ebenfalls gegeben. Der Kläger erfüllte nach den Feststellungen des LSG in dem streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II hinsichtlich des Alters, der Erwerbsfähigkeit und des gewöhnlichen Aufenthalts. Im Übrigen ist er hilfebedürftig gewesen und hatte in der Zeit vom 1.7. bis zum 30.11.2010 einen Anspruch auf die Regelleistung in Höhe von damals 359 Euro gemäß § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II in der seinerzeit gültigen Fassung sowie auf Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 337 Euro gemäß § 22 Abs 1 SGB II.

16

Daneben stand ihm ein Anspruch auf Leistungen für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts zu. Dass Eltern im Rahmen des Arbeitslosengelds II (Alg II) grundsätzlich Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit von ihnen getrennt lebenden Kindern haben, ergibt sich aus dem Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und dem daraufhin durch Gesetz vom 27.5.2010 (BGBl I 671) geschaffenen § 21 Abs 6 SGB II, bei dem der Gesetzgeber ua auch speziell die Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern als Anwendungsfall der Härtefallklausel des § 21 Abs 6 SGB II vor Augen hatte(BT-Drucks 17/1465, S 9).

17

4. Nach § 21 Abs 6 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung vom 27.5.2010 erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige (jetzt: Leistungsberechtigte) einen Mehrbedarf, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht (dazu a.). Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen (Leistungsberechtigten) gedeckt ist (dazu b.) und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (dazu c.).

18

Die genannten Tatbestandsmerkmale sind hinsichtlich der Kosten zur Ausübung des Umgangsrechts erfüllt. Dem Kläger stehen zumindest Fahrtkosten in Höhe von 27,20 Euro pro Monat als Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II zu.

19

a) Es handelt sich zunächst um einen laufenden Mehrbedarf im Einzelfall, weil die Bedarfslage eine andere ist, als sie bei typischen Empfängern von Grundsicherungsleistungen vorliegt. Es ist insofern ein Mehrbedarf im Verhältnis zum "normalen" Regelbedarf gegeben, anders als der Einzelfall in § 23 Abs 1 SGB II alte Fassung (aF) bzw in § 24 Abs 1 SGB II in der seit 1.1.2011 gültigen Fassung, der für alle SGB II-Empfänger gleichermaßen gilt, die einen zum Regelbedarf gehörenden Bedarf ausnahmsweise nicht decken können.

20

Bei den Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts handelt es sich ungeachtet der Tatsache, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten enthalten ist, um einen besonderen Bedarf, weil er nicht nur die üblichen Fahrten im Alltag betrifft, sondern eine spezielle Situation darstellt, weil die Aufrechterhaltung des Umgangs mit einem Kind mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden ist, wenn die Wohnorte aufgrund der Trennung der Eltern weiter entfernt voneinander liegen (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 22).

21

Es handelt sich vorliegend auch um einen regelmäßig wiederkehrenden, dauerhaften, längerfristigen Bedarf (dazu eingehend S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 67 und 68; zur Frage, ob der Mehrbedarf regelmäßig und in kürzeren Abständen auftreten muss, siehe auch von Boetticher/Münder in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 21 RdNr 42). Durch die regelmäßige Ausübung des Umgangsrechts - hier alle zwei Wochen an einem Samstag - entsteht der besondere Bedarf laufend, wobei die Einzelfallbetrachtung mit dem Ziel abzuwägen, ob die Fahrtkosten zur Abholung des Kindes erforderlich sind oder ob sie im Hinblick auf das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes nicht (mehr) in Frage kommen (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 73) ergibt, dass der besondere Bedarf zunächst auf unabsehbare Zeit entstehen wird, weil bei einem im streitigen Zeitraum vierjährigen Kind nicht vorhergesagt werden kann, wann es in der Lage sein wird, die Wegstrecke eigenständig zu bewältigen.

22

b) Der Mehrbedarf für die Ausübung des Umgangsrechts ist vorliegend auch unabweisbar. Das Merkmal der Unabweisbarkeit wird auch in anderen Zusammenhängen verwendet (§ 23 Abs 1 Satz 1 SGB II aF, jetzt § 24 Abs 1 Satz 1 SGB II; und § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII aF, jetzt § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII), ohne dass in den genannten Vorschriften das Merkmal näher definiert wäre. In § 21 Abs 6 SGB II findet sich jedoch eine nicht abschließende Aufzählung ("insbesondere") von Voraussetzungen (Deckung des Mehrbedarfs durch Zuwendungen Dritter oder Einsparmöglichkeiten), bei deren Vorliegen die Unabweisbarkeit zu verneinen bzw zu bejahen ist.

23

aa) Die Möglichkeit der Bedarfsdeckung durch Zuwendungen Dritter scheidet nach den Feststellungen des LSG vorliegend aus.

24

bb) Ebenso wenig liegen nach den Feststellungen des LSG Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger Einsparmöglichkeiten hatte. Dies gilt zunächst für Einsparmöglichkeiten im engeren Sinne des Wortes, also für den Fall, dass der Kläger an den Bedarfen selbst sparen konnte. Solche Einsparmöglichkeiten müssten ausdrücklich festgestellt werden, ein Leistungsberechtigter muss die Möglichkeiten tatsächlich haben, also zB im Besitz einer Monatskarte sein. Hypothetische Einsparmöglichkeiten reichen insoweit nicht aus. Zu Recht hat das LSG in diesem Zusammenhang auch dem Ansinnen, der Kläger könne öffentliche Verkehrsmittel nutzen, eine Absage erteilt, denn allein durch die zusätzliche Fahrzeit würde sein ohnehin nur fünf Stunden dauerndes Umgangsrecht um eine weitere Stunde verkürzt, was angesichts der verfassungsrechtlichen Absicherung dieses Rechts unzumutbar ist.

25

cc) Die im Grundsatz gegebene Einsparmöglichkeit durch "Umschichtung", also einer Präferenzentscheidung dahingehend, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen (BT-Drucks 17/1465, S 6 und 8) scheidet vorliegend aus, denn dieser Gedanke kommt nur zum Tragen bei Bedarfen, die dem Grunde nach vom Regelbedarf umfasst sind, was aber gerade hinsichtlich des hier im Streit stehenden Mehrbedarfs nicht der Fall ist.

26

dd) Ein Verweis auf den Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen (§ 12 Abs 2 Nr 4 SGB II) kann nicht herangezogen werden, denn dieser dient nur dazu, einmalige Bedarfe abzufangen. Müsste dieser Ansparbetrag für laufende Aufwendungen abgezweigt werden, stünde er gerade als Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen nicht mehr zur Verfügung. Ebenso ist auch das Bestreiten des Bedarfs durch ein Darlehen (§ 24 Abs 1 SGB II) ausgeschlossen, denn insofern ist aufgrund der Entscheidung des BVerfG (Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175, 255 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 208) davon auszugehen, dass nur einmalig auftretende "Bedarfsspitzen" über die Darlehensregelung erfasst werden können, sodass dies kein denkbarer Weg ist, um die laufend auftretenden Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts abzufangen.

27

ee) Der Kläger kann auch nicht zur Deckung seiner Kosten auf sein (geringfügiges) Einkommen verwiesen werden. Ohnehin führen die einen Freibetrag übersteigenden Einkommensanteile durch Berücksichtigung bei der Leistungsberechnung zu verminderten Leistungen. Die Freibeträge selbst müssen nicht für die Wahrnehmung des Umgangsrechts eingesetzt werden, weil die vollständige Anrechnung von Erwerbseinkommen auf das Alg II zur Folge hätte, dass Arbeitslosen kein finanzieller Anreiz zur Arbeitsaufnahme verbliebe, was der gesetzlichen Funktion der Freibeträge bei Einkommen aus Erwerbstätigkeit zuwiderlaufen würde (vgl nur Behrend, in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 21 RdNr 89; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 72). Dies findet seinen Niederschlag auch in den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Anwendung des SGB II, in denen zu § 21 unter Ziff 6.2 Abs 5 vermerkt ist, dass für den Fall, dass Erwerbseinkommen erzielt wird, dieses auch bei der Berechnung von Leistungen für besondere laufende Bedarfe in Höhe des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11b Abs 3 SGB II außer Betracht zu bleiben hat.

28

c) Das Merkmal der Erheblichkeit gemäß § 21 Abs 6 SGB II ist vorliegend ebenfalls erfüllt. Der Bedarf des Klägers zur Aufwendung der Fahrtkosten für die Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter weicht seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab und unterfällt insofern nicht der speziellen Bagatellgrenze, die in § 21 Abs 6 SGB II selbst durch das Tatbestandsmerkmal "erheblich" festgelegt worden ist. Es handelt sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang überprüfbar ist. Erheblich ist nach der Systematik der Norm ein atypischer Bedarf dann, wenn er von einem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht (vgl BSG Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R - BSGE 99, 252 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3, RdNr 28). Anknüpfungspunkt ist letztlich die genannte Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und damit die Frage, ob das menschenwürdige Existenzminimum durch die Mehraufwendungen nicht mehr gewährleistet ist (vgl BT-Drucks 17/1465, S 8). Eine erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf ist vorliegend sowohl hinsichtlich der Regelleistung von damals 359 Euro insgesamt und des in der damaligen Regelleistung enthaltenen Betrags für Fahrtkosten von hochgerechnet gut 20 Euro zu bejahen, zumal in der letztgenannten Position die Ausgaben für Pkw nicht berücksichtigt wurden. Der Kläger musste zur Ausübung seines Umgangsrechts alle zwei Wochen je 17 km für zweimal eine Hin- und Rückfahrt zurücklegen, sodass sich eine Gesamtkilometerzahl von 136 km ergibt. Selbst wenn nur eine Kilometerpauschale von 20 Cent zugrunde gelegt wird, wie sie in § 5 Abs 1 BRKG ausgewiesen ist, ergibt sich ein Betrag von zumindest 27,20 Euro pro Monat. Da auch die 20 Cent nach dem BRKG eine gegriffene Größe sind, die nicht die tatsächlichen Kosten in vollem Umfang widerspiegeln, sind die zugesprochenen 27,20 Euro pro Monat unter dem Blickwinkel der Sicherung des Existenzminimums jedenfalls nicht zu hoch gegriffen.

29

Eine Anknüpfung an § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst b Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V), wonach nur die Entfernungskilometer, also die einfache Strecke, maßgeblich sind, verbietet sich in Fällen wie dem vorliegenden. Die Alg II-V hat schon vom Ansatz her eine andere Zielrichtung, sie ist nicht maßgebend für den Bedarf, sondern regelt als Anreiz für die Aufnahme einer Beschäftigung lediglich, welche Beträge bei dem Leistungsberechtigten belassen und nicht bei der Leistungsberechnung berücksichtigt werden. Dass bei einem tatsächlich zu deckenden Bedarf neben der Alg II-V auch das BRKG herangezogen werden kann, hat das BSG bereits in anderem Zusammenhang entschieden (BSG Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 27/12 R - SozR 4-4225 § 6 Nr 2 - "Spesen").

30

5. Der Anspruch des Klägers scheitert auch nicht an einer - unabhängig von der Regelung des § 21 Abs 6 SGB II bestehenden - allgemein gültigen Bagatellgrenze. Eine Rechtsgrundlage für die vom Beklagten vertretene allgemeine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der Regelleistung ist nicht zu erkennen.

31

a) Zwar hat der erkennende Senat im Anschluss an eine Entscheidung des 7b-Senats (Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 25)mit Urteil vom 19.8.2010 (B 14 AS 13/10 R - SozR 4-3500 § 73 Nr 3 RdNr 20) bekräftigt, dass unter dem Prüfungsgesichtspunkt der Rechtfertigung des Einsatzes öffentlicher Mittel im Rahmen der Ermessenserwägungen sowohl Kosten (für das Umgangsrecht) beschränkt werden können, als auch daraus gefolgert, dass zu geringe Kosten ggf einen Einsatz öffentlicher Mittel nicht mehr rechtfertigen. In dem damals zu entscheidenden Fall, in dem der Kläger zusätzliche Hygienekosten auf 20,45 Euro monatlich beziffert hatte, hat der Senat jedenfalls ein Scheitern des Klagebegehrens bereits unter dem Gesichtspunkt einer in der Rechtfertigung des Mitteleinsatzes enthaltenen "Bagatellgrenze" nicht gesehen.

32

Anerkannt worden ist auch in der Rechtsprechung des BSG das gesetzgeberische Ziel, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden (BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 35/12 R - BSGE 111, 234 = SozR 4-1500 § 54 Nr 28; Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35). Dabei ist Ausgangspunkt allerdings, dass auch geringfügige Eingriffe in die Rechtsposition eines Leistungsberechtigten nicht grundsätzlich allein mit dem gesetzgeberischen Ziel der Verwaltungsvereinfachung abgewiesen werden können. Es verbleibt danach aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich" dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung (in dem entsprechenden Fall ging es um die Regelungen zur "Rundung") entsprechende Regelungen erlässt. Dieser Entscheidung kann als Grenze aber lediglich entnommen werden, dass jedenfalls Leistungen im Centbereich unter eine Bagatellgrenze fallen würden.

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b) Mit einer Rundungsregelung, die maximal 49 Cent abrundet, ist aber eine Bagatellgrenze, die nach den Vorstellungen des Beklagten bei 10 % des Regelbedarfs liegen soll (vgl Durchführungshinweise der BA zu § 21 SGB II unter 6.2 Abs 3), also derzeit bei 39 Euro pro Monat, nicht vergleichbar. Eine solche Bagatellgrenze kann insbesondere nicht über die Regelung des im streitigen Zeitraum maßgeblichen § 23 Abs 1 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung bzw nach § 42a SGB II neue Fassung (nF) begründet werden, wonach Rückzahlungsansprüche aus Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs getilgt werden können. Die genannten Regelungen passen schon im Ansatz nicht auf die Fälle, in denen es um nicht erfüllten Mehrbedarf geht, denn bei einer Darlehensgewährung haben die Betroffenen zur Deckung von Bedarfen das Geld tatsächlich erhalten, das sie dann an das Jobcenter zurückzahlen müssen, und nur im Rahmen der Tilgung wird davon ausgegangen, dass in Anbetracht der Ansparkonzeption des Gesetzgebers eine vorübergehende monatliche Kürzung der Regelleistung (des Regelbedarfs) in Höhe von 10 % im Grundsatz nicht zu beanstanden ist (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 150). Bei Annahme einer allgemeinen Bagatellgrenze würden dagegen Betroffenen Leistungen vorenthalten, obwohl sie einen Anspruch darauf haben. Im Übrigen sind die Grundsätze zur Rückzahlung von Darlehen auch deshalb nicht auf Fälle übertragbar, bei denen es um laufende, nicht nur einmalige Bedarfe geht, weil wiederkehrende Bedarfe einer darlehensweisen Gewährung grundsätzlich nicht zugänglich sind (BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 20; vgl § 24 SGB II nF; Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 24 RdNr 16). § 21 Abs 6 SGB II geht - wie aufgezeigt - bei seinen Tatbestandsmerkmalen (Einzelfall) davon aus, dass der Mehrbedarf abseits vom Regelbedarf des typischen SGB II-Empfängers entsteht, während die Darlehensregelungen Einzelfälle von Bedarfen umfassen, die im Regelbedarf enthalten sind und nur vorübergehend nicht gedeckt werden können.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.