Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 25. Sept. 2013 - 2 BvR 1582/13

bei uns veröffentlicht am25.09.2013

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

2

1. Die Vollzugsbehörden sind allerdings verpflichtet, Anträge von Strafgefangenen rechtzeitig zu bescheiden (vgl. BVerfGE 69, 161 <170>). Geht es um Entscheidungen, die unmittelbar oder mittelbar die Gewährung von Lockerungen betreffen, besteht mit Rücksicht auf die Bedeutung solcher Entscheidungen für die Resozialisierung oder Erhaltung der Lebenstüchtigkeit des Gefangenen besonderer Anlass zu zügiger Bearbeitung (vgl. BVerfG, a.a.O.; LG Hildesheim, Beschluss vom 25. Juni 2007 - 23 StVK 302/07 -, juris). Ist gerichtlich beanstandet worden, dass mehrere aufeinanderfolgende Vollzugsplanfortschreibungen sich in ihrem lockerungsbezogenen Teil zur Frage der Flucht- oder Missbrauchsgefahr nicht oder nicht ausreichend verhalten haben, und wurde die Justizvollzugsanstalt insoweit zur Neubescheidung verpflichtet, so ist die Justizvollzugsanstalt in erhöhtem Maß zur Beschleunigung verpflichtet (vgl. allgemein zu den die Umsetzung gerichtlicher Entscheidungen betreffenden Anforderungen in zeitlicher Hinsicht BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. November 2010 - 2 BvR 1377/07 -, juris; s. außerdem für den Grundsatz, dass der Staat sich auf verzögernde Umstände, die in seinem eigenen Verantwortungsbereich liegen, nicht zulasten des Rechtsschutzsuchenden mit rechtfertigender Wirkung berufen kann, BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>, und vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11 -, juris; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

3

Das Landgericht hat jedoch ohne Verfassungsverstoß angenommen, dass eine Verletzung dieser Pflicht durch die Justizvollzugsanstalt - noch - nicht vorlag.

4

2. Auch unabhängig davon konnte der bei der Strafvollstreckungskammer gestellte Eilantrag des Beschwerdeführers keinen Erfolg haben. Verzögert eine Justizvollzugsanstalt in nicht hinnehmbarer Weise eine gerichtlich angeordnete Neubescheidung hinsichtlich des lockerungsbezogenen Teils einer Vollzugsplanfortschreibung, so ist die gebotene Beschleunigung nicht dadurch erreichbar, dass die Strafvollstreckungskammer im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig den Vollzugsplan in einem vom Antragsteller gewünschten Sinne fortzuschreiben anordnet. Dies widerspräche der Funktion des Vollzugsplans als entwicklungsangepasster verlässlicher Orientierungsrahmen (vgl. BVerfGK 9, 231 <236>), die er mit bloß vorläufigen, unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Entscheidung in der Hauptsache stehenden Inhalten gerade nicht erfüllen könnte, und wäre daher zur einstweiligen Sicherung der vollzugsplanbezogenen Rechte des Beschwerdeführers von vornherein ungeeignet.

5

Gegen eine etwaige zögerliche Umsetzung der Gerichtsbeschlüsse, die die Justizvollzugsanstalt zur Neubescheidung verpflichten, stünde dem Beschwerdeführer der Weg des Antrag auf Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung der bereits gerichtlich ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung (§ 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m. § 172 VwGO; vgl. zum Antrag nach § 172 VwGO (vgl. OVG Saarl., Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 2 E 291/10 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - 11 C 13.32 -, juris) offen.

6

3. Soweit der Beschwerdeführer die Erhebung von Kosten für seine Ausführung beanstandet, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da nicht ersichtlich ist, dass er insoweit den Rechtsweg erschöpft hätte.

7

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Urteilsbesprechung zu Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 25. Sept. 2013 - 2 BvR 1582/13

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Referenzen - Gesetze

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93d


(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsb

Strafvollzugsgesetz - StVollzG | § 120 Entsprechende Anwendung anderer Vorschriften


(1) Kommt die Behörde in den Fällen des § 114 Absatz 2 Satz 2 sowie des § 115 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 der ihr in der einstweiligen Anordnung oder im Beschluss auferlegten Verpflichtung nicht nach, gilt § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung entspr

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 172


Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen
Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 25. Sept. 2013 - 2 BvR 1582/13 zitiert 4 §§.

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93d


(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsb

Strafvollzugsgesetz - StVollzG | § 120 Entsprechende Anwendung anderer Vorschriften


(1) Kommt die Behörde in den Fällen des § 114 Absatz 2 Satz 2 sowie des § 115 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 der ihr in der einstweiligen Anordnung oder im Beschluss auferlegten Verpflichtung nicht nach, gilt § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung entspr

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 172


Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen

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Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 27. Sept. 2011 - 1 BvR 232/11

bei uns veröffentlicht am 27.09.2011

Tenor 1. Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Hildesheim - S 45 AS 185/07 (vormals: S 33 AS 185/07) - die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht a

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 21. Dez. 2010 - 2 E 291/10

bei uns veröffentlicht am 21.12.2010

Tenor Unter entsprechender Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 21. September 2010 – 5 N 580/10 – wird dem Vollstreckungsschuldner ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,-- Euro für den Fall angedroht, dass er bis zum 15.

Referenzen

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Hildesheim - S 45 AS 185/07 (vormals: S 33 AS 185/07) - die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes) verletzt.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer zu 1) lebt gemeinsam mit seinen drei am 5. Mai 1992, am 17. Januar 1994 und am 28. Februar 2000 geborenen Kindern, den Beschwerdeführern zu 2) bis 4), in einer laut Mietvertrag 110 qm großen Wohnung zur Miete. Für die Unterkunft ist eine monatliche Bruttokaltmiete in Höhe von 848,18 € zu entrichten.

3

Im fachgerichtlich streitigen Zeitraum von Dezember 2006 bis Mai 2007 stellte der Grundsicherungsträger ein Recht des Beschwerdeführers zu 1) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II fest. Ein solches Recht verneinte er hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 2) bis 4), da diese ihren Bedarf aus eigenem Einkommen decken könnten (Bescheid vom 22. November 2006; Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2007; Bescheid vom 7. Januar 2011).

4

2. Die Beschwerdeführer erhoben hiergegen am 14. Februar 2007 Klage, mit der sie die Gewährung höherer beziehungsweise überhaupt von Leistungen nach dem SGB II verfolgen. Im Wesentlichen beanstanden sie, dass hinsichtlich der Leistungen für Kosten der Unterkunft nicht von der Angemessenheit der monatlichen Bruttokaltmiete in Höhe von 848,18 € ausgegangen worden sei.

5

Nachdem die Klageerwiderung des Grundsicherungsträgers eingegangen war, verfügte das Sozialgericht am 21. März 2007 unter Hinweis auf ein vor einer anderen Kammer anhängiges Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiedervorlage der Akten in zwei Monaten. Am 1. Juni 2007 wurde deswegen die Wiedervorlage der Akten in drei Monaten, am 20. September 2007 in zwei Monaten und, nach Eingang eines Schreibens der Beschwerdeführer am 11. Oktober 2007, am Folgetag in drei Monaten verfügt. Noch im Oktober 2007 entschied sich das Sozialgericht nunmehr, die Ermittlungen dieser anderen Kammer in einem früher anhängigen Klageverfahren, bei dem um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft für einen früheren Zeitraum gestritten wurde, abzuwarten. Die deswegen schließlich mit Verfügung vom 2. Juli 2008 durch das Sozialgericht angeregte Antragstellung auf Ruhen des Verfahrens lehnten die Beschwerdeführer mit am 14. Juli 2008 eingegangenem Schreiben ab. Danach beschränkte sich das Sozialgericht im Wesentlichen darauf, eingehende Schriftstücke der Verfahrensbeteiligten der jeweils anderen Seite zuzuleiten. Bei den hauptsächlich von den Beschwerdeführern ausgehenden Schreiben ging es inhaltlich im Wesentlichen darum, dass der Grundsicherungsträger bislang überhaupt keine Ermittlungen zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft angestellt habe. Ferner führten die Beschwerdeführer regelmäßig Entscheidungen des Bundessozialgerichts an, die sich mit Leistungen für Kosten der Unterkunft befassten.

6

Mit Schriftsatz vom 17. März 2010, der zwei Tage später beim Sozialgericht einging, trug der Grundsicherungsträger unter Berücksichtigung mittlerweile er-gangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiter vor und wies in diesem Zusammenhang, allerdings ohne vom Sozialgericht zuvor dazu aufgefordert worden zu sein, auf ein von ihm für das Jahr 2008 in Auftrag gegebenes Gutachten („schlüssiges Konzept“) hin, das auch für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft für die streitgegenständliche Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 herangezogen werden könne. Hierauf erwiderten die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25. März 2010. Zum Zwecke der Beweiserhebung durch das Gericht benannte der Grundsicherungsträger im Schriftsatz vom 19. Mai 2010 eine der Personen, die an dem von ihm übersandten Gutachten mitgewirkt hatte. Mit Schreiben vom 11. Juni 2010 lehnten die Beschwerdeführer es ab, dass die benannte Person durch das Gericht gehört werde.

7

Auf die Anforderung der Verfahrensakten durch das Landessozialgericht verfügte das Sozialgericht am 16. Juli 2010 deren Übersendung und das Anlegen einer Restakte. Nachdem die Beschwerdeführer in einem weiteren Schreiben auf einen Bescheid vom 7. Januar 2011 eingingen, forderte das Sozialgericht den Grundsicherungsträger auf, eine Kopie hiervon zu übersenden; dem kam der Verwaltungsträger nach. Anschließend wurden keine verfahrensleitenden Verfügungen seitens des Gerichts vorgenommen. Ende April 2011 wurde die Wiedervorlage der Akten in drei Wochen verfügt. Durch Präsidiumsbeschluss des Sozialgerichts ist das Verfahren schließlich mit Wirkung ab 1. Mai 2011 von der 33. auf die 45. Kammer dieses Gerichts übertragen worden.

8

3. Mit ihrer am 27. Januar 2011 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die ihres Erachtens verfassungswidrige bisherige Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens und beantragen überdies die Festsetzung eines zu zahlenden Ausgleichsbetrags für die Verfahrensverzögerung. Sie rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG.

9

Die Beschwerdeführer tragen im Wesentlichen vor, das Sozialgericht habe das Verfahren von Anfang an nicht betrieben. Die zunächst zuständige Richterin sei überhaupt nicht tätig geworden. Mit Ausnahme des Verweises auf Ermittlungen in einem anderen Verfahren und des Versuchs, das Verfahren ruhend zu stellen, sei - nach einem Richterwechsel - im Jahre 2008 und bis Mitte 2009 das Verfahren nicht nur nicht befördert worden, sondern man habe auch den Versuch unternommen, durch übermäßig lange Fristsetzungen und verspätete Weiterleitungen von Schriftsätzen, das Verfahren zu behindern. Ebenso habe der dritte zuständige Richter, nach einem Richterwechsel im August 2009, das Verfahren in keiner Weise gefördert. Der Grundsicherungsträger sei in der Zeit zwischen September 2008 und Januar 2011 seitens des Gerichts kein einziges Mal um eine Stellungnahme gebeten worden.

10

4. Das Niedersächsische Justizministerium hat am 27. Mai 2011 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint.

11

Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.

II.

12

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde und eine Stattgabe durch die Kammer zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b und § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor, soweit sich die Beschwerdeführer gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht wenden (Art. 19 Abs. 4 GG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits entschieden (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.

13

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist auch eine mögliche Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG substantiiert dargelegt worden.

14

2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.

15

Die Beschwerdeführer sind durch die Untätigkeit des Sozialgerichts in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die von ihnen daneben angeführten Normen des Grundgesetzes - Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) - betreffen hingegen die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>).

16

a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dies entspricht auch den Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten an Gerichtsverfahren in einem demokratischen Rechtsstaat (vgl. EGMR, Urteil vom 1. Juli 1997 - 125/1996/744/943 - Probstmeier/Deutschland, NJW 1997, S. 2809 <2810>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind insbesondere die Natur des Verfahrens und die auch aus grundrechtlicher Sicht zu beurteilende Bedeutung der Sache sowie die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten und insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen, zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

17

b) Danach ist es verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, dass infolge der Untätigkeit des Sozialgerichts über den Abschluss des am 14. Februar 2007 eingeleiteten erstinstanzlichen Verfahrens über Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach inzwischen über vier Jahren noch keine Klarheit besteht. Insbesondere ist nicht hinnehmbar, dass das Sozialgericht das Verfahren nunmehr in einem Zeitraum von nahezu drei Jahren in keiner Weise gefördert hat.

18

aa) Zu den Rechtsangelegenheiten, die wegen ihrer Natur und ihrer Bedeutung für die Betroffenen besonders zu fördern sind, gehören Verfahren, bei denen dem Grunde oder der Höhe nach um Fürsorgeleistungen wie vorliegend die Grundsicherungsleistungen gestritten wird. Solche Leistungen dienen der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums, sind also auch aus der Sicht von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG von erheblicher Bedeutung (vgl. BVerfGE 125, 175 <222 f.>).

19

bb) Die Sachmaterie war nicht in einem Maße komplex, dass sie ein derart langes Verfahren rechtfertigen könnte.

20

(1) Ergeht während des Klageverfahrens ein neuer Verwaltungsakt, der den mit der Klage angefochtenen abändert (§ 96 Abs. 1 SGG), so kann allein hieraus nicht auf die Schwierigkeit der Sachmaterie geschlossen werden. So wurde vorliegend etwa durch den ohnehin erst am 7. Januar 2011 ergangenen und auf § 44 SGB X gestützten Verwaltungsakt, unter Zurücknahme des zunächst mit der Klage angefochtenen Verwaltungsaktes, ein Recht des Beschwerdeführers zu 1) auf höhere als bereits mit jenem Bescheid gewährte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II festgestellt. Dies kann seinen Grund auch allein darin gehabt haben, dass der Grundsicherungsträger zunächst von einem Sachverhalt ausgegangen war, der sich später als unrichtig erwiesen hat (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X); und damit unabhängig davon, ob die Sachmaterie schwierig war oder nicht.

21

(2) Soweit das Justizministerium einwendet, der Gang des Verfahrens sei von rechtlich komplexen und bis zu den jeweiligen Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht obergerichtlich entschiedenen Fragen geprägt gewesen, so kann dem nicht gefolgt werden.

22

(aa) Die Frage, ob von dem jeweiligen Einkommen der Beschwerdeführer zu 2) bis 4) ein pauschaler Betrag in Höhe von monatlich 30 € für die Beiträge zu privaten Versicherungen abzuziehen ist, ist rechtlich nicht schwierig. Die Antwort ergibt sich unzweifelhaft aus der gesetzlichen Regelung des § 13 Nr. 3 SGB II in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II- V) vom 20. Oktober 2004 (BGBl I S. 2622) in der Fassung der Verordnung vom 22. August 2005 (BGBl I S. 2499). Die Frage, ob, und wenn ja, mit welchem Anteil die Kosten für die Warmwasserbereitung in der Regelleistung enthalten sind, wurde durch das Bundessozialgericht bereits in der Entscheidung vom 27. Februar 2008 (BSGE 100, 94) in den Grundzügen geklärt.

23

(bb) Die im Kern aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen sind, gehört zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts. Sie war bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt.

24

(α) Die Beschwerdeführer begehren im Ausgangsverfahren die Gewährung höherer als die mit den angefochtenen Verwaltungsakten festgestellten beziehungsweise überhaupt von Leistungen nach dem SGB II. Zur Begründung stützen sie sich im Wesentlichen darauf, dass die ihnen tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft entgegen der Auffassung des Grundsicherungsträgers gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II als angemessen zugrunde zu legen seien. Bei dem Begriff der „Angemessenheit“ handelt es sich um einen durch die Fachgerichte vollständig überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. BSGE 97, 203 <206>). Zwar können solche Rechtsbegriffe unter Umständen wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwal-tungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt. Im Hinblick auf die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist allerdings zu beachten, dass der 7b. Senat des Bundessozialgerichts den Begriff der Angemessenheit der Aufwendungen für eine Unterkunft im Wesentlichen in zwei Entscheidungen vom 7. November 2006 konkretisierte (vgl. BSGE 97, 231 und 254). Er orientierte sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 97, 110; 101, 194). Dem ist der später für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständig gewordene 14. Senat des Bundessozialgerichts gefolgt und hat die Angemessenheitsprüfung in einem mehrstufigen Verfahren vorgenommen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 70/06 R -, ZFSH/SGB 2008, S. 422; Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R -, juris). Diesem Vorgehen hat sich der nunmehr neben dem 14. Senat ausschließlich für das Grundsicherungsrecht zuständige 4. Senat des Bundessozialgerichts angeschlossen (vgl. BSGE 102, 263).

25

Danach ist die Angemessenheitsprüfung in drei Schritten vorzunehmen, wobei in einem ersten Schritt abstrakt die angemessenen Wohnungsgrößen und Wohnungsstandards bestimmt werden, in einem zweiten Schritt festgelegt wird, auf welche konkreten räumlichen Gegebenheiten als räumlicher Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist und im dritten Schritt ermittelt wird, wie viel für eine nach Größe und Standard abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Das Bundessozialgericht vertritt dabei die sogenannte „Produkttheorie“, wonach es genügt, wenn das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) ergibt (vgl. BSGE 102, 263 <265 f.>). Es ist Sache der gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Grundsicherungsträger, für die Angemessenheitsprüfung in ihrem Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln. Entscheiden sie ohne ein solches Konzept, sind sie im Rahmen der prozessualen Mitwir-kungspflicht nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und gegebenenfalls eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht schlüssig erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind (vgl. BSGE 104, 192 <198 f.>). Zur Amtsermittlungspflicht des Gerichts gehört dann der Versuch, vom Grundsicherungsträger die erforderlichen Daten zu erlangen und gegebenenfalls für eine Auswertung zu sorgen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 27/09 R -, NZS 2010, S. 515 <517>). Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass - etwa durch Zeitablauf - keine weiteren Erkenntnisse erlangt werden können, sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R -, BSGE 104, 192 <199>) vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen der Hilfebedürftigen für die Unterkunft zu übernehmen, bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) in der Fassung von Art. 25 Nr. 5a des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I  S. 2954) beziehungsweise § 12 WoGG in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 24. September 2008 (BGBl I S. 1856).

26

(β) Da es sich bei den Leistungen für Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II um solche Leistungen handelt, die einen anderen Bedarf decken sollen als denjenigen, für den die Regelleistung bestimmt ist (vgl. § 20 Abs. 1 SGB II i.d.F. vor dem 1. Januar 2011 und § 20 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB II i.d.F. von Art. 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 ), ist die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Ausgangsverfahren unabhängig davon zu prüfen gewesen, ob die Normen, nach denen die Höhe der Regelleistung im SGB II bestimmt wird, als verfassungswidrig eingestuft werden. Daher ist es unerheblich, dass das Bundesverfassungsgericht erst in der Entscheidung vom 9. Februar 2010 (BVerfGE 125, 175) hierzu grundlegende Ausführungen gemacht hat.

27

(γ) Ergibt sich, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind, bedeutet das nicht, dass sie nicht trotzdem in vollem Umfang als Unterkunftsbedarf berücksichtigt werden können. Vom Sozialgericht wäre dann noch zu prüfen, ob eine Übernahme dieser den Beschwerdeführern im fachgerichtlich streitigen Zeitraum entstandenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II in Betracht kommt (BSGE 102, 263<269>).

28

cc) Die Beschwerdeführer selbst haben ebenfalls nicht maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen. In ihren Schreiben führten sie regelmäßig neuere Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu Leistungen für Kosten der Unterkunft an und gaben deren Inhalt wieder. Hierdurch war das Sozialgericht nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft anzustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass bei der Kammer, die das zugrunde liegende Verfahren zu bearbeiten hatte beziehungsweise hat, gleichzeitig ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anhängig war, so dass es auch deswegen nicht zu einer Verzögerung gekommen sein kann.

29

dd) Eine gerichtlich zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen.

30

ee) Die lange Verfahrensdauer geht vielmehr im Wesentlichen auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Das Sozialgericht hat das Verfahren nur in unzu-reichender Weise gefördert.

31

(1) Ob bereits zu beanstanden ist, dass das Sozialgericht zunächst den Abschluss eines bei einer anderen Kammer geführten Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes und dann die weiteren Ermittlungen in einem dort früher anhängig gewordenen Klageverfahren abwarten wollte, mag dahinstehen. Dem Zuwarten könnte die nachvollziehbare Erwägung zugrunde gelegen haben, dass in diesen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von Relevanz sind. Denn auch in diesen Verfahren wurde um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft gestritten, wenn auch für frühere Zeiträume.

32

(2) Hingegen begegnet die Untätigkeit des Sozialgerichts nach der am 14. Juli 2008 eingegangenen Mitteilung der Beschwerdeführer, trotz der Ermittlungen des Gerichts in dem anderen Klageverfahren keinen Antrag auf Ruhen des Verfahrens stellen zu wollen, durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte das Gericht das Verfahren dadurch fördern müssen, dass es selbst das Notwendige veranlasst, um - zunächst - die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft bestimmen zu können. Die Aktivitäten des Gerichts erschöpften sich jedoch darin, eingehende Schriftsätze der jeweils anderen Seite zuzuleiten. Hiervon auszunehmen ist zwar die Zeit vom 19. März bis 11. Juni 2010. Denn am 19. März 2010 trug der Grundsicherungsträger, allerdings ohne vom Sozialgericht zuvor dazu aufgefordert worden zu sein, unter Berücksichtigung mittlerweile ergangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiter vor und wies in diesem Zusammenhang auf ein von ihm für das Jahr 2008 in Auftrag gegebenes Gutachten („schlüssiges Konzept“) hin, das auch für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft für die Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 herangezogen werden könne. Das Sozialgericht hat es dann allerdings ver-säumt, nachdem die Beschwerdeführer am 11. Juni 2010 mitgeteilt hatten, der Anregung des Grundsicherungsträgers nicht näher treten zu wollen, einen der Gutachter vor dem Sozialgericht als sachverständigen Zeugen zu hören, das Ver-fahren dergestalt weiter zu fördern, dass es nun selbst Ermittlungen anstellt oder, wenn es von der Entscheidungsreife der Sache ausgeht, über das Klagebegehren zu entscheiden.

33

(3) Die Verzögerungen mögen zu einem gewissen Teil auch durch den Wechsel in der Kammerbesetzung Anfang August 2009 verursacht worden sein. Dem Staat sind solche Verzögerungen zuzurechnen, die durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, NJW-RR 2010, S. 207 <209>). Insoweit hätte das Sozialgericht durch sein Präsidium prüfen müssen, ob es beispielsweise die Kammer mit einem oder einer erfahreneren Richter oder Richterin besetzt oder ob die Geschäftsverteilung zu ändern ist. Letzteres hat das Präsidium des Sozialgerichts auch mit Wirkung ab 1. Mai 2011 beschlossen.

34

(4) Dem Sozialgericht kommt zudem nicht zugute, dass das Landessozialgericht im Juli 2010 die Verfahrensakten angefordert hatte. Denn ob der langen Verfahrensdauer hätte es eine Zweitakte anlegen müssen.

35

(5) Auch haben die Beschwerdeführer nicht nur mit ihrem mit „Beweisantrag“ überschriebenen Schreiben vom 4. Oktober 2008 Ermittlungen des Sozialgerichts hinsichtlich der Überprüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft angeregt. Sie haben zudem in ihren Schreiben vom 9. Februar 2009 und 2. März 2010 sinngemäß darauf hingewiesen, dass solche Ermittlungen immer noch nicht erfolgt seien. Es ist nicht ersichtlich, warum das Gericht dem nicht hätte folgen können.

36

ff) Nach alledem ist eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Grund-recht aus Art. 19 Abs. 4 GG festzustellen. Das Sozialgericht ist nunmehr gehalten, unverzüglich sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer möglichst raschen Entscheidung führen.

III.

37

Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die von den Beschwerdeführern erstrebte Zuerkennung einer Ausgleichszahlung kommt im Verfassungsbeschwerdeverfahren mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage nicht in Betracht (vgl. § 95 BVerfGG).

IV.

38

Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG.

39

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

(1) Kommt die Behörde in den Fällen des § 114 Absatz 2 Satz 2 sowie des § 115 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 der ihr in der einstweiligen Anordnung oder im Beschluss auferlegten Verpflichtung nicht nach, gilt § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend. Im Übrigen sind die Vorschriften der Strafprozessordnung und die auf der Grundlage des § 32a Absatz 2 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 Nummer 6, des § 32b Absatz 5 und des § 32f Absatz 6 der Strafprozessordnung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend anzuwenden, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt.

(2) Auf die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe sind die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen sie ein Zwangsgeld bis zehntausend Euro durch Beschluß androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken. Das Zwangsgeld kann wiederholt angedroht, festgesetzt und vollstreckt werden.

Tenor

Unter entsprechender Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 21. September 2010 – 5 N 580/10 – wird dem Vollstreckungsschuldner ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,-- Euro für den Fall angedroht, dass er bis zum 15. Februar 2011 keine Maßnahmen zur Erfüllung der ihm durch das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. September 2008 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes – 2 A 4/08 – auferlegten Verpflichtungen gegenüber dem Beigeladenen ergreift.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Vollstreckungsschuldner und der Beigeladene je zur Hälfte.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren und unter entsprechender Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Streitwertfestsetzung in dem vorbezeichneten Beschluss von Amts wegen auch für das erstinstanzliche Verfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 21.9.2010 ist auch begründet.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hat der Vollstreckungsgläubiger einen Anspruch darauf, dass der Vollstreckungsschuldner gemäß § 172 VwGO durch Androhung eines Zwangsgeldes zur Erfüllung der ihm durch Senatsurteil vom 18.9.2008 – 2 A 4/08 – auferlegten Verpflichtung angehalten wird. Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen sind erfüllt. Das vorbezeichnete Senatsurteil, mit dem dem Vollstreckungsschuldner als Beklagtem des damaligen Rechtsstreits (wörtlich) aufgegeben wird:

„…, der Beigeladenen die Nutzung des auf dem Grundstück A-Straße in A-Stadt im Grenzbereich zum Anwesen C-Straße befindlichen Schornsteins zu untersagen“,

ist - versehen mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung – dem Vollstreckungsschuldner am 31.10.2008 und den übrigen Beteiligten bereits am 23.10.2008 zugestellt worden und hat – nachdem keiner der Beteiligten innerhalb der Rechtsmittelfrist Beschwerde gegen die in ihm ausgesprochene Nichtzulassung der Revision erhoben hat - Rechtskraft erlangt. Ein Vollstreckungstitel im Verständnis von § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO liegt mithin vor, der den Beteiligten im Amtsbetrieb zugestellt worden ist. Mittlerweile – mit Schriftsatz vom 16.12.2010 – hat der Vollstreckungsgläubiger auch eine mit Vollstreckungsklausel versehene Kopie dieses Senatsurteils zu den Akten des vorliegenden Vollstreckungsverfahrens gereicht, so dass auch von der Erfüllung der Anforderungen der §§ 167 Abs. 1 VwGO, 724, 725 ZPO auszugehen ist. Im Übrigen neigt der Senat zu der Ansicht, dass es in den Fällen des § 172 VwGO in entsprechender Anwendung von § 171 VwGO einer vollstreckbaren Ausfertigung des zu vollstreckenden Verpflichtungstitels nicht bedarf. Zwar weist der Beigeladene zutreffend darauf hin, dass die Regelung des § 171 VwGO nach ihrem Wortlaut für die Fälle der §§ 169 und 170 Abs. 1 bis 3 VwGO eine Vollstreckungsklausel für entbehrlich erklärt, die Fälle des anschließenden § 172 VwGO jedoch gerade nicht einbezieht, wobei das Gewicht dieses hieraus gegen die erweiternde Auslegung von § 171 VwGO abgeleiteten systematischen Arguments noch durch den Umstand verstärkt wird, dass der Gesetzgeber in – hier zu unterstellender – Kenntnis des Meinungsstreits über die Zulässigkeit einer solchen Auslegung bislang keine Veranlassung gesehen hat, die betreffende Vorschrift – zum Beispiel im Zuge einer der Novellen zur Verwaltungsgerichtsordnung – zu ändern. Auf der anderen Seite betreffen jedoch auch die Fälle der §§ 169 sowie 170 Abs. 1 bis 3 VwGO Konstellationen, in denen entweder der Vorsitzende des Gerichts des ersten Rechtszugs oder das Gericht des ersten Rechtszugs selbst Vollstreckungsbehörde ist. Von daher erscheint es in den Fällen des § 172 VwGO ebenso wenig wie in den in § 171 VwGO ausdrücklich angesprochenen Fällen sinnvoll, vom Vollstreckungsgläubiger zu verlangen, dem Gericht eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels vorzulegen, den ihm dieses Gericht selbst oder allenfalls noch die Rechtsmittelinstanz zuvor erteilt hat. Das dürfte es rechtfertigen, auch in den Fällen des § 172 VwGO die Bestimmung des § 171 VwGO entsprechend anzuwenden

so OVG Münster, Beschluss vom 10.7.2006 – 8 E 91/06 – NVwZ – RR 2007, 140 m.w.N; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 171 Rdnr. 12; anderer Ansicht freilich Bader u.a., VwGO, § 171 Rdnr. 2; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage 2009, § 171 Rdnr. 1.

Das bedarf indes aus Anlass des vorliegenden Verfahrens keiner abschließenden Klärung, da – wie bereits angesprochen – dem Vollstreckungsgläubiger mittlerweile eine vollstreckbare Ausfertigung des Senatsurteils vom 18.9.2009 seitens des Verwaltungsgerichts erteilt worden ist, die er dann wiederum im vorliegenden Beschwerdeverfahren in beglaubigter Kopie vorgelegt hat.

Sind danach die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt, so ist ferner festzustellen, dass der Vollstreckungsschuldner der ihm im Senatsurteil vom 18.9.2008 – 2 A 4/08 – auferlegten Verpflichtung nicht (vollständig) nachgekommen ist. Erforderlich ist insoweit eine grundlose Säumnis des Vollstreckungsschuldners, wobei es freilich nicht darauf ankommt, ob ihn ein Verschulden trifft. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Allerdings hat der Vollstreckungsschuldner vorliegend, nachdem er nach Rechtskräftigwerden des Urteils zunächst einmal rund ein Jahr untätig geblieben war, wenn auch auf Drängen des Vollstreckungsgläubigers entsprechend dem Tenor des zu vollstreckenden Senatsurteils mit Bescheid vom 11.1.2010 ein Nutzungsverbot betreffend den umstrittenen Schornstein auf dem Anwesen des Beigeladenen verfügt, außerdem für den Fall der Nichtbefolgung dieser Anordnung innerhalb der gesetzten Frist ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,-- Euro angedroht und aufschiebend bedingt festgesetzt sowie ferner – nachdem der Beigeladene gegen die Verfügung vom 11.1.2010 Widerspruch erhoben hat – unter dem 9.6.2010 – wiederum auf Drängen des Vollstreckungsgläubigers – die sofortige Vollziehbarkeit dieses Nutzungsverbotes angeordnet. Auch entspricht es der den Beteiligten mit Verfügung vom 3.12.2010 mitgeteilten bisherigen Rechtsprechung des Senats

vgl. Beschluss vom 22.3.1985 – 2 W 419/85 – NVwZ 1986, 763,

dass in Fallgestaltungen, in denen sich die zu vollstreckende Entscheidung nach ihrem Wortlaut darauf beschränkt, der Behörde den Erlass einer bauaufsichtsbehördlichen Anordnung – einer Beseitigungsanordnung oder wie hier eines Nutzungsverbotes – aufzugeben, die behördliche Verpflichtung nicht auch die Vornahme von Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung dieser Verfügung einschließt. Zur Begründung ist in dem zitierten Beschluss vom 22.3.1985 ausgeführt, es entspreche einem vollstreckungsrechtlichen Grundsatz, dass im Wege der Zwangsvollstreckung nur solche Handlungen erzwungen werden könnten, die eindeutig Gegenstand des Verpflichtungsausspruches seien. Zum anderen wird die Ansicht vertreten, die Verbindung der Verpflichtung zum Erlass einer bauaufsichtlichen Anordnung mit der Verpflichtung zu ihrer Vollstreckung führte zu einem unzulässigen Entscheidungsinhalt, da die Durchsetzung der bauaufsichtlichen Maßnahme einen Verstoß des Verpflichteten gegen die ihm auferlegte Verhaltenspflicht voraussetze und der Behörde dann bei der Bestimmung des Zwangsmittels Ermessen zustehe.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach nochmaliger Überprüfung nicht mehr fest. Zum einen muss gesehen werden, dass die Verpflichtung der Behörde zum Erlass einer bauaufsichtlichen Anordnung im Baunachbarstreit voraussetzt, dass ein Verstoß gegen (auch) den Schutz des – rechtsmittelführenden – Nachbarn bezweckende Vorschriften des öffentlichen Rechts festgestellt wird und die bauaufsichtliche Anordnung, deren Erlass der Behörde im Verpflichtungsurteil aufgegeben wird, letztlich nur das Mittel bestimmt, mit dem der festgestellte Rechtsverstoß zu beseitigen ist. Geht es danach im Ergebnis um die Beseitigung einer festgestellten Rechtsverletzung beziehungsweise um die Herstellung eines nachbarrechtskonformen Zustandes, so kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass es mit dem Erlass der der Behörde aufgegebenen Maßnahme nicht sein Bewenden haben kann, wenn der Inanspruchgenommene der in Befolgung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung getroffenen Anordnung nicht Folge leistet. Dies lässt sich den Gründen der zu vollstreckenden Entscheidung entnehmen, auf die auch in anderen Fällen – zum Beispiel bei Bescheidungsurteilen – zurückgegriffen werden muss, um die Reichweite der behördlichen Verpflichtung zu bestimmen

vgl. zum Beispiel OVG Münster, Beschluss vom 20.2.1992 – 10 E 1357/91 – NVwZ-RR 1992, 518.

Im Übrigen hat dies offenbar auch der Vollstreckungsschuldner so gesehen, der das von ihm mit Bescheid vom 11.1.2010 ausgesprochene Nutzungsverbot mit der Androhung und aufschiebend bedingten Festsetzung eines Zwangsgeldes für den Fall der Nichtbefolgung bewehrt und – nach Erhebung des Widerspruchs des Beigeladenen – den Sofortvollzug angeordnet hat. Dass der Verbindung von Verpflichtung zum Erlass einer Ordnungsverfügung mit der Verpflichtung zu ihrer zwangsweisen Durchsetzung im Falle der Nichtbefolgung nicht per se durchgreifende prozessuale Hindernisse entgegen stehen, wird auch von Vertretern der Literatur angenommen, die es ablehnen, in der Verpflichtung zum Erlass einer bauaufsichtlichen Anordnung zugleich die Verpflichtung ihrer Erzwingung zu sehen

vgl. zum Beispiel Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage 2009, § 113 Rdnr. 177, 189, zur Zulässigkeit einer Stufenklage analog § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO beziehungsweise § 113 Abs. 4 VwGO.

Der gerichtlichen Verpflichtung, die der Behörde bei der Anwendung von Verwaltungszwang zustehenden Ermessensspielräume zu respektieren, kann im Rahmen der Vollstreckung eines Verpflichtungsurteils nach § 172 VwGO bei der Beurteilung des Erfordernisses der – grundlosen – Säumigkeit der Behörde Rechnung getragen werden. Diese Notwendigkeit ergäbe sich im Übrigen in gleicher Weise, wenn es um die Vollstreckung eines – im Wege der Stufenklage erstrittenen - Urteils ginge, das im zweiten Schritt zur Durchsetzung der der Behörde aufgegebenen Anordnung verpflichtete, oder um die Vollstreckung einer Entscheidung in einem nach Nichtbefolgung der auf ein Verpflichtungsurteil hin ergangenen bauaufsichtsbehördlichen Anordnung durchgeführten weiteren - selbstständigen – Klageverfahren mit dem Ziel, die Behörde zur zwangsweisen Durchsetzung der im Erstprozess erstrittenen Anordnung anzuhalten

vgl. Kopp/Schenke, a.a.O, § 113 Rdnr. 189; sowie im Übrigen Beschluss des Senats vom 7.9.1988 – 2 R 422/86 – betreffend die Verpflichtung zur Anwendung der Ersatzvornahme zur Durchsetzung einer nach fruchtloser Zwangsgeldfestsetzung weiterhin nicht befolgten in einem früheren Verfahren (1982) erstrittenen Beseitigungsanordnung.

Der der letztgenannten Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt macht im Übrigen deutlich, dass die Verweisung des Nachbarn auf ein gesondertes Erkenntnisverfahren, um die Verpflichtung der Behörde zur zwangsweisen Durchsetzung einer zuvor in einem – unter Umständen mehrjährigen – Rechtsstreit erstrittenen, aber nicht befolgten bauaufsichtlichen Anordnung zu erlangen, mit dem Gebot der effektiven Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 GG) allenfalls schwer zu vereinbaren sein dürfte.

Umfasst danach die durch das Senatsurteil vom 18.9.2008 – 2 A 4/08 – begründete Verpflichtung des Vollstreckungsschuldners nicht nur den Erlass des letztlich unter dem 11.1.2010 verfügten Nutzungsverbotes gegenüber dem Beigeladenen, sondern auch dessen zwangsweise Durchsetzung, so hat der Vollstreckungsschuldner diesen – zweiten – Teil seiner Verpflichtung ungeachtet des Umstandes, dass er das Nutzungsverbot für den Fall der Nichtbefolgung innerhalb der gesetzten Frist mit der Androhung und – aufschiebend bedingten – Festsetzung eines Zwangsgeldes bewehrt und seine Anordnung – nach Widerspruchserhebung – für sofort vollziehbar erklärt hat, ohne hinreichende Rechtfertigung nicht vollständig erfüllt. Denn der Vollstreckungsschuldner hat vorliegend, nachdem der Beigeladene in Absprache mit ihm den umstrittenen, von dem Nutzungsverbot erfassten Schornstein mittels eines Edelstahlrohrs erhöht und Bescheinigungen des zuständigen Bezirksschornsteinfegermeisters vorgelegt hat, wonach die Schornsteinmündung nunmehr 40 cm über First des vorgelagerten Wohngebäudes liege und dem Betreiben der Feuerstätte zugestimmt werde (Bescheinigung über die sichere Benutzbarkeit der Feuerungsanlage sowie über die Tauglichkeit und sichere Benutzbarkeit gemäß § 41 Abs. 6 und § 79 Abs. 2 LBO), von weiteren Maßnahmen zur Durchsetzung des Nutzungsverbotes Abstand genommen und dem Beigeladenen mitgeteilt, seine Verfügung vom 11.1.2010 und die Anordnung vom 9.6.2010 hätten sich erledigt (Schreiben vom 13.7.2010 an den Beigeladenen).

In der Erhöhung und Führung des umstrittenen Schornsteines über Fristhöhe liegt indes keine – im Verfahren nach § 172 VwGO freilich prinzipiell beachtliche - Erfüllung des Senatsurteils vom 18.9.2008. Denn die in diesem Urteil ausgesprochene Verpflichtung gibt als Mittel zur Beseitigung der festgestellten Verletzung von Rechten des Vollstreckungsgläubigers gerade den Erlass eines Nutzungsverbotes und – erforderlichenfalls – dessen zwangsweise Durchsetzung vor. Vorliegend wird der Schornstein – wenn auch in seiner geänderten Ausführung – gerade weiterbetrieben. Allenfalls handelt es sich bei der Erhöhung des Schornsteins um eine Beseitigung des Rechtsverstoßes „auf andere Weise“, nämlich durch Herstellung eines nunmehr nachbarrechtskonformen „aliud“. Die Herstellung eines „aliud“, das heißt die Änderung der beanstandeten baulichen Anlage kann zwar unter dem Gesichtspunkt eines zulässigen Austauschmittels einen dem Nutzungsverbot gleichwertigen Weg zur Beseitigung des Rechtsverstoßes darstellen. Bezogen auf den Zeitpunkt des Ergehens der zu vollstreckenden Entscheidung handelt es sich jedoch dann um eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage, die nach wohl überwiegender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, nicht mit Erfolg im Verfahren nach § 172 VwGO eingewandt werden kann, sondern vom Vollstreckungsschuldner mittels einer Vollstreckungsgegenklage (§§ 167 Abs. 1 VwGO, 767 ZPO) geltend zu machen ist, die erforderlichenfalls mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß den §§ 167 Abs. 1 VwGO, 769 ZPO verbunden werden kann

vgl. zum Beispiel Kopp/Schenke a.a.O, § 172 Rdnr. 8; Bader u.a., VwGO, 4. Auflage 2007, § 172 Rdnr. 12; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand 2010, § 172 VwGO Rdnr. 54-58; BVerwG, Beschluss vom 21.12.2001 – 2 AV 3/01 – zitiert nach Juris; OVG Münster, Beschluss vom 15.6.2010 – 13 E 201/10 – NVwZ-RR 2010, 750; OVG Lüneburg, Beschluss vom 10.12.1973 – I B 155/73 – NJW 1974, 918; anderer Ansicht möglicherweise OVG Münster, Beschluss vom 13.2.1997 – 10 E 45/97 – zitiert nach Juris, das sich mit der Frage befasst, ob nach – im entschiedenen Fall verneinter – Änderung der Identität der baulichen Anlage ein neuer Titel erforderlich wird.

Wäre der Einwand der gegenüber dem Titel erheblichen nachträglichen Veränderungen der Sach- und/oder Rechtslage im Verfahren nach § 172 VwGO beachtlich, würde ein etwaiger und auch hier entstandener Streit darüber, ob durch die Erhöhung des Schornsteins wirklich eine gegenüber der titulierten Verpflichtung durchgreifende Änderung der Sach- und/oder Rechtslage herbeigeführt wurde, das heißt vorliegend, ob die vorgenommene Schornsteinerhöhung ein gleichermaßen taugliches Mittel zur Behebung des der ausgesprochenen Verpflichtung zugrundeliegenden Nachbarrechtsverstoßes darstellt wie das dem Vollstreckungsschuldner aufgegebene Nutzungsverbot, von der Vollstreckungsgegenklage, mit deren Erhebung ein Erkenntnisverfahren zur Überprüfung der Berechtigung des Einwandes einer gegenüber dem Titel durchgreifenden nachträglichen Veränderung der Verhältnisse eingeleitet wird, auf ein hierfür allenfalls nur begrenzt taugliches Beschlussverfahren verlagert und letztlich dem Nachbarn, der nach der gerichtlichen Feststellung in den Entscheidungsgründen des Verpflichtungsurteils in seinen Rechten verletzt ist, angesonnen, von neuem gegen das geänderte Vorhaben vorzugehen, wenn er die Tauglichkeit des Austauschmittels bestreitet. Das wäre mit der prinzipiell vorgesehenen prozessualen Rollenverteilung nicht zu vereinbaren, nach der es Sache des Vollstreckungsschuldners ist, eine beachtliche Veränderung der Sach- und Rechtslage mittels der Vollstreckungsgegenklage geltend zu machen. Ob etwas anderes ausnahmsweise in Fallgestaltungen zu gelten hat, in denen die Tauglichkeit des Austauschmittels offenkundig ist – zum Beispiel wenn der mit dem Nutzungsverbot belegte Schornstein beseitigt worden wäre -, kann dahinstehen. Eine solche Situation ist hier nicht gegeben: Der Vollstreckungsgläubiger stellt sowohl die realisierte Schornsteinhöhe als auch – mit Blick auf den Standort des Schornsteins im Bereich eines Anbaus „hinter“ den Hauptgebäuden der privaten Beteiligten – auch die Eignung dieser Maßnahme in Frage. Auch wenn nach dem derzeitigen Erkenntnisstand wenig dafür spricht, dass ein solches pauschales Bestreiten gegenüber den Bestätigungen des sachkundigen Bezirksschornsteinfegermeisters zum Erfolg führen wird, kann nach dem Erkenntnisstand des vorliegenden Verfahrens nicht im Sinne von Offensichtlichkeit von der Tauglichkeit des Austauschmittels ausgegangen werden, und ist kein Raum für eine gegebenenfalls erforderliche weitere Sachaufklärung. Im Übrigen ist zu bemerken, dass die Feststellung eines Rechtsverstoßes zum Nachteil des Antragstellers im Senatsurteil vom 18.9.2008 – 2 A 4/08 – unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das in § 34 BauGB verankerte Rücksichtnahmegebot auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung erfolgt ist, in der die seinerzeit vorhandene – unzureichende – Schornsteinhöhe nur ein Element, wenn auch ein wesentliches, darstellte. Die nunmehr erfolgte Erhöhung des Schornsteines mit dem Ziel, unzumutbare Auswirkungen seines Betriebes auf das Anwesen des Vollstreckungsgläubigers zu verhindern, geht hier einher mit einer ebenfalls zu bewertenden Verstärkung des Eingriffes in die Abstandsflächenfunktionen, weil die unmittelbar an der Nachbargrenze stehende Anlage nunmehr deutlich höher ist. Auch das zeigt, dass für eine abschließende Beurteilung der Tauglichkeit des gewählten Austauschmittels im vorliegenden Vollstreckungsverfahren nach § 172 VwGO kein Raum ist. Der Vollstreckungsschuldner ist daher darauf zu verweisen, den Einwand, in der Schornsteinerhöhung liege ein dem ihm aufgegebenen Nutzungsverbot entsprechendes Austauschmittel zur Behebung der im Senatsurteil vom 18.9.2008 – 2 A 4/08 – beanstandeten Rechtsverletzung zum Nachteil des Vollstreckungsgläubigers mit der Vollstreckungsgegenklage und – gegebenenfalls – einem damit verbundenen Anordnungsantrag nach den §§ 167 Abs. 1 VwGO, 769 ZPO geltend zu machen. Bis zu einer auf diesem Weg ergehenden Entscheidung, unter Umständen einer Anordnung nach § 769 ZPO, bleibt er zur Durchsetzung des Nutzungsverbotes verpflichtet und bleibt das Senatsurteil vom 18.9.2008 prinzipiell vollstreckbar. Das bedeutet, dass der Vollstreckungsschuldner gehalten ist, Maßnahmen zur Durchsetzung des von ihm unter dem 11.1.2010 verfügten Nutzungsverbots zu ergreifen oder wenn er der Ansicht sein sollte, in seinem – nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen – Schreiben vom 13.7.2001 liege eine Aufhebung des Nutzungsverbotes vom 11.1.2010 und der dazu ergangenen Vollzugsanordnung oder eine verbindliche, der Bestandskraft fähige Zusicherung, dass diese Anordnung nicht mehr durchgesetzt werde, so bleibt er verpflichtet, das ihm aufgegebene Nutzungsverbot erneut zu erlassen und erforderlichenfalls durchzusetzen, sofern nicht der Vollstreckungsgläubiger die im Schreiben vom 13.7.2010 unter Umständen getroffene Regelung durch Widerspruchserhebung suspendiert.

In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass der Beigeladene hierdurch nicht rechtsschutzlos gestellt wird. Ist der Vollstreckungsschuldner nach dem vorbezeichneten Senatsurteil verpflichtet, das Nutzungsverbot im Wege des Verwaltungszwanges durchzusetzen, so hat der Beigeladene grundsätzlich die Möglichkeit, gegen Maßnahmen des Verwaltungszwanges (auch) gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Im Falle einer auf diesem Wege erwirkten - gegebenenfalls auch vorläufigen – gerichtlichen Einstellung der Zwangsvollstreckung könnte dem Vollstreckungsschuldner keine grundlose Säumnis im Verständnis von § 172 VwGO angelastet werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene, der ebenfalls einen Antrag gestellt hat und (mit-) unterlegen ist, ist an den Verfahrenskosten zu beteiligen. Es besteht keine Veranlassung, seine außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52, 63 Abs. 2 GKG, wobei es der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes entspricht, für das Vollstreckungsverfahren den Streitwert zum Ansatz zu bringen, der im Erkenntnisverfahren festgesetzt worden ist.

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Beschluss vom 21.2.2001 – 1 Y 5/01 -.

Der danach maßgebliche Streitwert von 5.000,-- Euro ist sowohl im Beschwerdeverfahren als auch in Anwendung von § 63 Abs. 3 GKG unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Streitwertfestsetzung für das erstinstanzliche Verfahren festzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.