Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 08. Dez. 2015 - 3 K 2224/13

ECLI:ECLI:DE:FGRLP:2015:1208.3K2224.13.0A
bei uns veröffentlicht am08.12.2015

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Tenor

I. Die Einkommensteuerbescheide 2005, 2006, 2008 und 2009 vom 23. April 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 27. September 2013 werden aufgehoben.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten zugunsten der Klägerin vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob und wenn ja in welchem Umfang Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit der inländischen Besteuerung unterliegen.

2

Die Klägerin ist Betriebswirtin und seit 2007 mit einem Architekten verheiratet. In den Streitjahren 2005, 2006, 2008 und 2009 wird sie einzeln (2005 und 2006) bzw. getrennt (2008 und 2009) zur Einkommensteuer veranlagt. Nur für das Jahr der Eheschließung (2007) wird sie zusammen mit ihrem Ehemann veranlagt (Gegenstand des Klageverfahrens 3 K 2225/13).

3

In allen Streitjahren war die Klägerin an der … GmbH & Co. KG (im Folgenden: "KG“) in … als Kommanditistin beteiligt. Wie einem Bericht der IHK Trier vom 1. Juni 2010 zu entnehmen ist (Bl. 83 f. der ESt-Akte 2009), wurde das Unternehmen von ihren Eltern Anfang der 1960er Jahre am Standort ...-B gegründet. Damals waren die Produktion und der Handel im Bereich Fenster- und Rollladenbau der Kern des auf die Region Trier und Luxemburg konzentrierten Geschäftes. Der von B aus eroberte Markt in Luxemburg war sodann Anlass für die im Jahr 2003 erfolgte Gründung der … Luxemburg S.A. (im Folgenden: „S.A.") mit Sitz in Luxemburg (W in der Gemeinde M). Inzwischen umfasst das Leistungsspektrum auch Dienstleistungen, die unter der Bezeichnung "X" angeboten werden (In- und Outdoormöbel sowie Accessoires). Entsprechende Ausstellungsräume wurden im Juni 2008 in W eröffnet (Bl. 85 der ESt-Akte 2009).

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In den Streitjahren (2005, 2006, 2008 und 2009) war die Klägerin Geschäftsführerin der S.A. und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In dem Arbeitsvertrag mit der S.A. vom 1. August 2003 wird u.a. ausgeführt (BL 16 f. der Sonderakte), Hauptarbeitsort sei die Adresse der Betriebsleitung. Die Klägerin werde als Geschäftsführerin eingestellt, unbeschadet einer späteren Versetzung auf Grund ihrer beruflichen und persönlichen Fähigkeiten oder nach den Bedürfnissen des Betriebes. Die „normale Arbeitsdauer“ betrage 40 Stunden pro Woche. Es werde ihr gestattet, für die deutsche Firma GmbH & Co. KG die finanzbuchhalterischen Arbeiten mit einem Stundenaufkommen von ca. 20 Stunden pro Woche zu übernehmen.

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In den Einkommensteuererklärungen für 2005 und 2006 - Eingang beim Beklagten am 29. Januar 2007 (2005) bzw. 28. Januar 2008 (2006) - gab die Klägerin an, sie habe nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Luxemburg (DBA-LUX) steuerfreien Arbeitslohn erhalten. Sie legte entsprechende Jahreseinkommensbestätigungen mit Lohnsteuerausweis vor, auf die wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 3 der ESt-Akte 2005, Bl. 2 der ESt-Akte 2006).

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Beide Einkommensteuerfestsetzungen' (für 2005 vom 22. März 2007 und für 2006 vom 31. März 2008) berücksichtigten die ausländischen Einkünfte erklärungsgemäß nur unter Einbeziehung in die Berechnung des Steuersatzes (Progressionsvorbehalt nach § 32 b EStG) und ergingen ohne Vorbehalt der Nachprüfung.

7

Mit ihren Einkommensteuererklärungen für 2008 und 2009 beantragte die Klägerin getrennte Veranlagung und erstmals auch den Abzug von Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung (...) und Arbeitsstätte (W), und zwar an 230 Arbeitstagen jährlich (Bl. 11 der ESt-Akte 2008, Bl. 8 und 10 der ESt-Akte 2009).

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Beide Einkommensteuerfestsetzungen (für 2008 vom 28. Mai 2010 und für 2009 vom 21. April 2011) unterwarfen die ausländischen Einkünfte (unter Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten) nur dem Progressionsvorbehalt und ergingen ebenfalls ohne Vorbehalt der Nachprüfung.

9

Im Jahr 2011 führte das Finanzamt - Steuerfahndungsstelle -eine allgemeine Überprüfung der Besteuerung von Steuerpflichtigen mit luxemburgischem Arbeitslohn durch. Die Klägerin wurde vom Fahndungsprüfer zu Hause aufgesucht und entsprechend befragt. Wie dem Vermerk vom 19. Januar 2012 zu entnehmen ist (Bl. 73 f. der ESt-Akte 2009), erklärte die Klägerin, sie sei mit der kompletten Finanzbuchhaltung der S.A. beauftragt. Neben ihr sei noch ihre Schwester - Frau B - in Luxemburg tätig, die sich hauptsächlich um den Vertrieb kümmere, sowie eine Dame an der Rezeption, die laufende Tätigkeiten erledige, Telefondienst mache und sich um die Laufkundschaft mit kleineren Aufträgen kümmere. Sie - die Klägerin - halte sich um die 40 Stunden in der Woche im Rahmen ihrer Tätigkeit für die S.A. in Luxemburg auf. Die steuerlichen Konsequenzen, die sich aus Kundenbesuchen in Deutschland bzw. einem Tätigwerden für die S.A. von Deutschland aus ergeben würden (der EDV-Server der S.A. stehe - It. Klägerin aus Sicherheitsgründen - in Deutschland), habe sich die Klägerin erläutern lassen. Sie habe keine Angaben zum Umfang eines etwaigen Tätigwerdens außerhalb Luxemburg gemacht, habe jedoch auch nicht abgestritten, dass dies vorkomme. Die KG in Deutschland habe bereits seit 2003 keine Produktion mehr. Die Leitung erfolge relativ autark durch einen Ingenieur/Techniker und eine weitere Dame aus dem beschäftigten Personal. Neben diesen leitenden Personen sei eine weitere Dame dort beschäftigt sowie zwei Monteure und diverse Aushilfskräfte. Bei der Ausführung der Kundenaufträge werde mit Subunternehmern gearbeitet. Die Schwester, Frau B , besuche morgens auf dem Weg nach Luxemburg gelegentlich die Firma in ....

10

Mit Bescheiden vom 23. April 2012 wurden die Einkommensteuerfestsetzungen für 2005 bis 2009 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert und auf den „Prüfungsbericht vom 27. Februar 2012“ verwiesen.

11

Dagegen legte die Klägerin bzw. ihr Steuerberater am 4. Mai 2012 Einspruch ein. Zur Begründung wurde Folgendes ausgeführt:

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Bei der Klägerin habe keine Außenprüfung stattgefunden. Ein Bericht vom 27. Februar 2012 sei nicht bekannt. Um Zusendung des Berichts werde gebeten. Für das Jahr 2005 sei bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, so dass der angefochtene Bescheid bereits aus diesem Grund aufzuheben sei. Für die Jahre 2006 bis 2009 lägen bestandskräftige und nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Bescheide vor, so dass eine Änderung nur eingeschränkt möglich sei. Eine Änderung nach § 173 AO komme nicht in Betracht, denn es liege keine neue Tatsache vor. Es treffe zwar zu, dass sie vereinzelt auch Kundengespräche in Deutschland geführt habe, wenn einer der wenigen Kunden sie darum gebeten habe, eine Beratung bei ihm in Deutschland durchzuführen, um die örtlichen Gegebenheiten direkt beurteilen zu können. Dies sei aber sehr selten und zudem erst seit der Erweiterung der Geschäfte um den Zweig „Accessoires" im Frühjahr 2009 der Fall gewesen. Die sehr seltenen Besuche in Deutschland führten nicht zu einer anderen Besteuerung, denn sie fielen unter die Bagatellregelung der Verständigungsvereinbarung zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Luxemburg vom 26. Mai 2011. Die Gesamtzahl der Besuche deutscher Kunden in Deutschland werde auf deutlich weniger als 10 Tage im Jahr geschätzt, vermutlich seien es nicht mehr als 5 Tage im Jahr gewesen.

13

Das Finanzamt Trier nahm zu der Einspruchsbegründung mit Schreiben vom 14. Mai 2012 (Bl. 55 bis 57 der ESt-Akte 2009) wie folgt Stellung:

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Für 2005 sei keine Festsetzungsverjährung eingetreten, weil die Steuerfahndung bereits im Jahr 2011 und damit vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit ihren, Ermittlungen begonnen habe. Dies sei in der Akte dokumentiert. Die Steuerberaterin selbst habe bereits am 5. Oktober 2011 eine Fristverlängerung zur Beantwortung des Schreibens der Steuerfahndung beantragt. Insoweit komme die beantragte Aufhebung des Bescheides für 2005 wegen Festsetzungsverjährung nicht in Betracht.

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Die angefochtene Änderung der Einkommensteuerbescheide stütze sich auf § 173 Abs. 1 Nr. 1AO, denn die Ermittlungen der Steuerfahndung hätten ergeben, dass die Klägerin auch außerhalb Luxemburgs für die S.A. tätig gewesen sei. Es werde zwar nicht bezweifelt, dass sich die Klägerin mindestens 40 Stunden pro Woche in Luxemburg aufgehalten habe. Die Klägerin habe jedoch nicht nachgewiesen, dass sie ausschließlich in Luxemburg tätig gewesen sei.

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Die Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin erwiderten, die Anwesenheit der Klägerin in Luxemburg sei arbeitstäglich erforderlich. Die Klägerin habe in den betreffenden Zeiträumen 2005 bis 2009 und auch in der Folgezeit die folgenden Messen jeweils eintägig besucht: Christmas World in Frankfurt Ende Januar, Ambiente-Messe in Frankfurt Mitte Februar und Messe Paris im September. Technische Messen wie z.B. die Fensterbaumesse in München oder die Rollladen- und Sonnenschutz-Messe in Stuttgart würden von ihr nicht besucht, da bereits im Vorfeld bei technischen Änderungen Unterrichtungen der einzelnen Lieferanten Vorort in Luxemburg stattfänden.

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Mit Einspruchsentscheidung vom 27. September 2013 wurden die, Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide für 2005, 2006, 2008 und 2009 als unbegründet zurückgewiesen, Grund und Umfang der Vorläufigkeit gem. § 165 Abs. 1 AO wurden aktualisiert. Zur Begründung wurde ausgeführt (Bl. 133 bis 142 der ESt-Akte 2009), die Besteuerung richte sich nach Art. 10 Abs. 1 DBA-Luxemburg (Arbeitsortprinzip), ln der Verständigungsvereinbarung vom 26. Mai 2011 zur Besteuerung des Arbeitslohns von Grenzpendlern mit dem Großherzogtum Luxemburg sei geregelt, dass - soweit der Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Ansässigkeitsstaat oder in Drittstaaten erbracht habe - der darauf entfallende Teil des Arbeitslohns abweichend von der Regelung in Abs. 1 der Vereinbarung im Ansässigkeitsstaat freizustellen sei, wenn der Arbeitnehmer im Ansässigkeitsstaat oder in Drittstaaten während weniger als 20 Arbeitstagen im Kalenderjahr für solche Zwecke anwesend sei und dieser Teil des Arbeitslohnes durch den Tätigkeitsstaat tatsächlich besteuert werde. Danach sei der Arbeitslohn der Klägerin nur freizustellen, wenn sie weniger als 20 Tage außerhalb von Luxemburg tätig gewesen sei. Unstreitig sei, dass die Klägerin auch außerhalb von Luxemburg für die S.A. tätig gewesen sei. Die Klägerin habe jedoch keine Aufzeichnungen über den Umfang ihrer Tätigkeit außerhalb von Luxemburg geführt, so dass der Anteil zu schätzen sei. Damit stelle sich die Frage, wen die Feststellungslast treffe. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung treffe die Feststellungslast grundsätzlich denjenigen, der sich auf die steuerbefreiende Tatsachen berufe. Den Steuerpflichtigen treffe die Feststellungslast insbesondere dann, wenn die aufzuklärenden Tatsachen allein in seiner Verantwortungssphäre lägen. Vorliegend berufe sich die Klägerin auf die Steuerbefreiung der von ihr unstreitig erzielten Einkünfte nach dem DBA Luxemburg. Daraus ergebe sich für die Klägerin die grundsätzliche Feststellungslast für die Tatbestandsmerkmale des Artikel 10 DBA-Luxemburg sowie der Ausnahme-/Bagatellregelung auf Grund der Vereinbarung vom 26. Mai 2011. Zwar könne sie keine Feststellungslast für ein Nichttätigwerden außerhalb von Luxemburg treffen. Ungeschehenes sei nicht beweisbar. Die Klägerin hätte jedoch Beweismittel beschaffen oder Vorhalten können, aus denen sich Umfang und Inhalt ihrer Tätigkeit in Luxemburg ergeben hätten. Dazu sei sie im Hinblick auf die Regelung in § 90 Abs. 2 AO dem Grunde nach verpflichtet. Dies gelte auch im Hinblick auf die Bagatellregelung (Tätigkeit an weniger als 20 Tagen außerhalb von Luxemburg), auf die sich die Klägerin berufe. Im Hinblick auf die sich aus § 90 Abs. 2 AO ergebende Beweismittelbeschaffungslast sei in Abschnitt 5.2 des BMF-Schreibens vom 14. September 2006 bestimmt, dass der Nachweis über die Ausübung der Tätigkeit in dem anderen Staat durch Vorlage geeigneter Aufzeichnungen (z.B. Stundenprotokolle, Terminkalender, Reisekostenabrechnungen) zu führen sei. Derartige Aufzeichnungen bzw. Unterlagen, die unmittelbar den jeweiligen Umfang und Ort der Tätigkeit dokumentierten, seien nicht vorgelegt worden. Damit sei der Umfang der Tätigkeit in Luxemburg und außerhalb von Luxemburg zu schätzen. Nach den Saldenlisten 2009 seien die überwiegenden Umsätze in Luxemburg getätigt worden. Die Lieferantenliste enthalte bei überschlägiger Betrachtung in etwa zur Hälfte Lieferanten aus Deutschland und anderen Staaten (ohne Luxemburg). Im Internet weise die Firmengruppe auf ihre Standorte in L- W und D-... hin. Auf Grund des gemeinsamen Internetauftritts und insbesondere der Darstellung als ein Familienunternehmen in zweiter Generation mit jeweils einem Standort in Luxemburg und Deutschland, wobei zu berücksichtigen sei, dass der Standort in W/Luxemburg an der Grenze zu Deutschland liege, gehe das Finanzamt davon aus, dass die Klägerin in erheblichem Umfang außerhalb von Luxemburg für die S.A. tätig werde. Dazu gehörten nach Auffassung des Finanzamtes insbesondere das Aufsuchen und der Kontakt von/mit Lieferanten insbesondere in Deutschland aber auch die Kontaktpflege mit Kunden, Lieferanten und sonstigen Firmen, zu denen die Firma geschäftliche Beziehungen unterhalte sowie die Pflege der Geschäftsbeziehungen zu der inländischen KG. Außerdem stehe der Server der S.A. in den Räumen der KG im Inland, was es der Klägerin ermögliche, ihre Haupttätigkeit (die Finanzbuchhaltung) von Deutschland aus auszuüben. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass auch die Schwester der Klägerin, Frau B , nach deren Sachvortrag in ihrem Einspruchsverfahren ebenfalls für die S.A. tätig sei. Es bestehe von daher rein zeitlich-gesehen die Möglichkeit, Tätigkeiten wie z.B. Telefonate, EDV- und Büroarbeiten (soweit von ... aus technisch möglich) von ... aus zu erledigen, während die Schwester in W präsent sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass die S.A. ihre „Wurzeln“ in ... habe. Die S.A. sei zwar in 2003 neu gegründet worden. Aus dem Internetauftritt, in dem auf die Unternehmensgründung im Inland in 1960 und die Fortführung des Unternehmens in zweiter Generation verwiesen werde, und der günstigen Grenzlage in W (u.a. Tanktourismus) lasse sich herleiten, dass auch viele in Deutschland ansässige Interessenten die Gelegenheit zur Information, Angebotserstellung (auch als Lieferant) nutzen würden. Daraus wiederum ergebe sich, dass Kunden vor Ort und damit auch in Deutschland aufgesucht würden. Das Finanzamt gehe auch davon aus, dass in erheblichem Umfang die bereits mit der KG bestehenden Geschäftsbeziehungen zu Kunden und insbesondere zu Lieferanten von der S.A. weiter genutzt würden. Zudem habe die Klägerin an drei Tagen je Kalenderjahr im Rahmen ihrer Tätigkeit für die S.A. außerhalb von Luxemburg Messen besucht. Die vorgelegte Werkstattrechnung beziehe sich auf das Firmenfahrzeug mit dem luxemburgischen Kennzeichen …. Die Fahrleistung dieses Fahrzeugs belege nicht, dass die Klägerin an 230 Tagen je Kalenderjahr von ... nach W gefahren sei. im Übrigen stellten auch Tätigkeiten im Zusammenhang mit Reparaturen oder Wartungsarbeiten an dem selbstgenutzten wie auch an anderen Firmenfahrzeugen der S.A. Tätigkeiten für diese Firma dar. Soweit die Klägerin solche Tätigkeiten außerhalb von Luxemburg ausgeführt habe, erhöhten sie den steuerpflichtigen Anteil am Bruttoarbeitslohn. Die Klägerin sei zudem als Geschäftsführerin nicht weisungsgebunden. Sie könne - soweit sachdienlich und dem Interesse der Firma dienend - Ort und zeitlichen Umfang der für die Firma zu erbringenden Arbeitsleistung - ggfs. nach Absprache mit ihrer Schwester B - im Wesentlichen selbst bestimmen und gestatten. Auf Grund der Entfernung zwischen Wohnung in ... und Arbeitsstelle in Luxemburg sei nicht auszuschließen, dass auch von ... aus Telefonate mit Kunden, Lieferanten und Angestellten der S.A. geführt würden. Aus den obigen Erwägungen schätze das Finanzamt den außerhalb von Luxemburg erbrachten Anteil der für die S.A. erbrachten Arbeitsleistung auf 20 %. Bei 230 Arbeitstagen jährlich ergäben sich 46 Arbeitstage außerhalb von Luxemburg. Damit sei die Grenze von 20 Arbeitstagen gemäß Verständigungsvereinbarung vom 26. Mai 2011 überschritten. Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 AO sei das Tätigwerden der Klägerin im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses mit der S.A. außerhalb von Luxemburg. Dies werde von der Klägerin nicht mehr dem Grunde nach, sondern nur hinsichtlich des Umfangs bestritten.

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Am 11. Oktober 2013 hat die Klägerin unter dem Aktenzeichen 3 K 2224/13 (Einkommensteuer 2005, 2006, 2008 und 2009) und unter dem Aktenzeichen 3 K 2225/13 (2007) Klage erhoben.

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Sie trägt ergänzend vor, im Jahr 2003 habe die KG die gesamte Produktion eingestellt und das Unternehmen sei umstrukturiert worden (nur noch Vertrieb). Um die Marktanteile in Luxemburg zu erweitern sei die S.A. gegründet worden. Seitdem biete die S.A. ihre Dienstleistungen in Luxemburg und die KG (seit 2010 in der Rechtsform der GmbH) in ... an. Erst ab dem Jahr 2009 habe sich der Geschäftsbereich „In- und Outdoormöbel/Accessoires" intensiviert und nur im Jahr 2009 habe sie vereinzelt (an ca. 5 bis 10 Tagen) Kundengespräche in Deutschland geführt, allerdings ausnahmslos nach Geschäftsschluss in den Abendstunden oder am Wochenende, also außerhalb ihrer regelmäßigen Arbeitszeit. Die Überstunden seien ihr nicht vergütet worden. Sie sei ausschließlich für die S.A. tätig. Die S.A. und die KG/GmbH hätten jeweils eigene Mitarbeiter. Auch der Geschäftsbereich „ln- und Outdoormöbel" sowie „Accessoires“ werde nur von der S.A. angeboten. Es sei zudem völlig unerheblich, wo sich der Server der S.A. befinde, da sie über Zugangsdaten an jedem beliebigen Ort auf die Serverdaten zugreifen und z.B. ihre Finanzbuchhaltung erledigen könne. Als die Steuerfahndung sie zu Hause aufgesucht habe, seien auch keine Hinweise gefunden worden, dass sie von zu

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Hause aus für die SA arbeite. Im Übrigen beruhe es auf einem Versehen des Steuerberaters der Klägerin, Herrn , dass in den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2005 bis 2007 keine entsprechenden Fahrten nach Luxemburg geltend gemacht worden seien. Diese Angaben seien schlicht vergessen worden. Ihre Gesellschafterstellung (Kommanditistin und Anteilseignerin der GmbH) lasse nicht auf den angeblichen Tätigkeitsort im Inland schließen. Die vom Beklagten angeführten Wahrscheinlichkeiten seien nicht ausreichend, um bestandskräftige Steuerbescheide ändern zu können. Auch. die Feststellungen der Ermittlungsbeamtin, die das Firmengelände der GmbH von Oktober 2013 bis März 2014 beobachtet habe, hätten für die Streitjahre keine Relevanz.

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Die Klägerin beantragt,

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die Einkommensteuerbescheide für 2005, 2006, 2008 und 2009 vom 23. April 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 27. September 2013 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er trägt ergänzend vor, erst jetzt - im Klageverfahren - behaupte die Klägerin, dass sie vor 2009 überhaupt nicht im Inland tätig geworden sei. Für eine Tätigkeit der Klägerin im Inland spreche übrigens auch der Umstand, dass sie und ihrer Schwester die einzigen Kommanditisten der KG und zudem die alleinigen Gesellschafterinnen der einzigen persönlich haftenden Gesellschafterin der KG - der Verwaltungs-GmbH - seien. Mit notariellem Vertrag vom 16. Dezember 2009 sei außerdem die GmbH mit Sitz in ... gegründet worden. Gesellschafter der GmbH seien die Klägerin und ihre Schwester B . Frau B sei Geschäftsführerin der GmbH, der Klägerin sei Einzelprokura erteilt. Gegenstand des Unternehmens sei der Vertrieb und die Montage von Bauelementen, Toren, Türen, Fenstern und Sonnenschutz sowie der Handel mit Mobiliar und Wohnaccessoires. Die Klägerin habe für 2010 und 2011 keinen Arbeitslohn von der GmbH erklärt und den von der S.A. bezogenen Arbeitslohn als im vollen Umfang steuerfrei erklärt. Das Finanzamt halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Klägerin in den Streitjahren 2005 bis 2009 auch deshalb für die S.A. Im Inland tätig gewesen sei, weil auf Grund der teilweise übereinstimmenden Geschäftsbereiche der S.A. einerseits und der KG bzw. (ab 2009) der GmbH andererseits bereits aus Synergieeffekten und der Nähe des inländischen Firmensitzes der KG/GmbH zum Wohnort der Klägerin soweit möglich und vertretbar Arbeiten für die S.A. vom inländischen Firmensitz der KG erledigt worden .seien. Während ihrer Abwesenheit von Luxemburg habe ihre Schwester in der Firma in Luxemburg Kunden betreuen können.

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Die Feststellungen der Ermittlungsbeamtin lieferten zwar keinen Nachweis für die Streitjahre. Dass das Fahrzeug bei nur sporadischen Besuchen so häufig anzutreffen gewesen sei, verdeutliche jedoch, dass die Tätigkeit der Klägerin für die S.A. keine tägliche und ununterbrochen ganztägige Anwesenheit in Luxemburg erfordert habe. Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass sich die Klägerin auch an Tagen, an denen das betreffende Fahrzeug nicht auf dem Firmengelände gesehen worden sei, dort anwesend gewesen sei.

27

Es könne dahinstehen, an wie vielen Tagen die Klägerin zum Firmensitz nach Luxemburg gefahren sei, weil auch bei 230 Fahrten je Kalenderjahr nach Luxemburg ein Tätigwerden außerhalb von Luxemburg in dem vom Finanzamt geschätzten Umfang von 20 v.H. wegen der Besonderheiten dieses Einzelfalles Vorgelegen habe. Damit sei auch die Bagatellgrenze von weniger als 20 Arbeitstagen der Verständigungsvereinbarung vom 26. Mai 2011 überschritten. Würde den Angaben in den Einkommensteuererklärungen 2008 und 2009 zu den Fahrten nach Luxemburg maßgebliche Bedeutung hinsichtlich des Umfanges der Tätigkeit in Luxemburg bzw. im Inland und Drittstaaten beigemessen, bedeute dies im Umkehrschluss, dass die Klägerin in den Jahren 2005 bis 2007, für die sie keine Fahrtkosten als Werbungskosten geltend gemacht habe, weit überwiegend im Inland für die S.A. tätig geworden sei.

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Im Übrigen werde auf das BMF-Schreiben vom 12. November 2014 zur steuerlichen Behandlung des Arbeitslohnes nach den Doppelbesteuerungsabkommen (BStBl I Seite 1467, insbesondere Abschn. 5.4.2 bzw. Rz. 173) hingewiesen. Danach sei der Arbeitslohn für jeden Tag, an dem sich ein Arbeitnehmer nicht ausschließlich im anderen Staat aufhalte, zeitanteilig ggfs, im Schätzungswege aufzuteilen. Die Aufteilung sei nicht auf Berufskraftfahrer, Lokomotivführer und Begleitpersonal beschränkt.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg.

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Die Einkommensteuerbescheide für 2005, 2006, 2008 und 2009 vom 23. April 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 27. September 2013 sind rechtswidrig, verletzen die Klägerin in ihren Rechten und sind daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil mit diesen Bescheiden bereits bestandskräftige Bescheide geändert wurden und es an der dafür erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt.

31

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, auf den der Beklagte die angefochtene Änderung gestützt hat, sind Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

32

Im Gegensatz zu. der Regelung des § 164 AO ist die Vorschrift des § 173 AO keine Rechtsgrundlage für eine allgemeine Überprüfung einer bestandskräftigen Veranlagung, um erst neue Tatsachen in Erfahrung zu bringen, die dann den Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnen könnten. Zudem wurde dem Beklagten durch die allgemeine Überprüfung durch die Steuerfahndung nachträglich nur bekannt, dass die Klägerin für die S.A. auch im Inland bzw. in Frankreich (eintägiger Messebesuch in Paris) tätig war. Diese Tatsache allein führt allerdings (noch) nicht zu einer höheren Steuer. Eine höhere Steuer ergibt sich erst dann, wenn die Einnahmen der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit, für die die Bundesrepublik Deutschland nach Art. 10 Abs. 1 des für die Streitjahre anzuwendenden DBA-Luxemburg (vgl. zu dem ab dem 01. Januar 2014 gültigen DBA- Luxemburg 2012 die Regelungen in dessen Art. 14) als Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht hat, den im jeweiligen Veranlagungszeitraum maßgeblichen Werbungskostenpauschbetrag nach § 9a Einkommensteuergesetz (EStG) übersteigen.

33

Soweit die Klägerin ein Tätigwerden in Deutschland bzw. einem Drittstaat eingeräumt bzw. nicht bestritten hat, liegen die darauf entfallenden Einnahmen, für die die Bundesrepublik Deutschland das Besteuerungsrecht hat, allerdings unter dem für den jeweiligen Veranlagungszeitraum maßgeblichen Werbungskostenpauschbetrag nach § 9a EStG. Dies ergibt sich aus Folgendem:

34

Art. 10 Abs. 1 des für die Streitjahre anzuwendenden DBA-Luxemburg lautet:

35

„Bezieht eine natürliche Person mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, so hat der andere Staat das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte, wenn die Arbeit in dem anderen Staat ausgeübt wird oder worden ist.

36

Das Großherzogtum Luxemburg und die Bundesrepublik Deutschland haben zur Beseitigung von Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des Besteuerungsrechts für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von Grenzpendlern, die in einem der Vertragsstaaten ansässig sind und ihre nichtselbständige Tätigkeit für einen in dem anderen Vertragsstaat ansässigen Arbeitgeber ausüben, eine mit BMF-Schreiben vom 14. Juni 2011 IV B 3 - S 1301 LUX/10/10003, BStBl I 2011, 576 veröffentlichte Verständigungsvereinbarung vom 26. Mai 2011 getroffen, die am 27. Mai 2011 in Kraft getreten ist. Dieser Verständigungsvereinbarung kommt allerdings keine unmittelbare Gesetzeskraft zu und ist daher -zumindest für die Gerichte - nicht verbindlich (BFH-Urteil vom 11. November 2009 - R 15/09 (Anm. Dok-Stelle: wohl richtiges Az. I R 15/09), BStBl II 2010, 602).

37

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat zwar am 09. Juli 2012 eine Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg erlassen (Deutsch-Luxemburgische Konsultationsvereinbarungsverordnung - KonsVerLUXV - BGBl I 2012, .1484). Nach § 11 Nr. 1 KonsVerLUXV ist diese Verordnung allerdings auf Besteuerungssachverhalte, die Grenzpendler betreffen, erst seit dem 11. Juli 2011 erstmals anzuwenden, also nicht auf Besteuerungssachverhalte der hier streitigen Jahre 2005, 2006, 2008 und 2009. Daher kann offen bleiben, ob die Regelungen in der Verständigungsvereinbarung vom 26. Mai 2011 mit der KonsVerLUXV überhaupt in innerstaatliches Recht überführt und damit auch für die Gerichte bindend werden konnten. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofes (Urteil vom 10. Juni 2015 I R 79/13, BFHE 250, 110) ist dies nicht der Fall, weil die mit dem Jahressteuergesetz 2010 mit § 2 Abs. 2 AO (erstmals) geschaffene Ermächtigungsgrundlage, wonach das BMF mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen erlassen kann, den dafür gebotenen Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Grundgesetz nicht genügt.

38

Vor diesem Hintergrund beurteilt sich die Frage, welcher der Vertragsstaaten (Deutschland bzw. Luxemburg) das Besteuerungsrecht hat, allein nach den Regelungen des DBA-LUX.

39

Nach Art. 10 Abs. 1 des für die Streitjahre anzuwendenden DBA-Luxemburg (s.o.) hat Luxemburg das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, wenn die Arbeit in Luxemburg ausgeübt wird oder worden ist. Die Ausnahmebestimmung des Art. 10 Abs. 2 DBA-Lux (sog. 183 Tage-Regelung), wonach der Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers unter den dort genannten Voraussetzungen das Besteuerungsrecht hat, ist im vorliegenden Fall - was unstreitig ist - bereits deshalb nicht einschlägig, weil die Arbeitgeberin der Klägerin (S.A.) ihren Sitz in Luxemburg hat. Da die Ausnahmebestimmung des Art. 10 Abs. 2 DBA Luxemburg somit nicht eingreift, richtet sich die Besteuerung nach Art. 10 Abs. 1 i.V.m. Art. 16 DBA Luxemburg (Vgl. BFH- Beschlüsse vom 22.01.2002 und 16.05.2002 I B 79/01 und I B 80/01, BFH/NV 2002, 902 und 1432). Danach verbleibt es bei dem Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaates (hier Deutschland) auch dann, wenn eine Person mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten Einkünfte bezieht, für die das Doppelbesteuerungsabkommen keine Regelung getroffen hat (Art. 16 DBA-Luxemburg). Dies ist der Fall bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Ansässigkeitsstaat oder in einem Drittstaat (BFH-Urteil vom 31.03. 2004 I R 88/03, BStBl II 2004, 936). Hieraus folgt, dass das strikte Arbeitsortprinzip gilt.

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Da die Klägerin selbst eingeräumt hat, dass sie auch im Inland (= Deutschland) bzw. an einem Tag im Jahr in Frankreich (Messe in Paris) tätig war, ist ihr Bruttoarbeitslohn nach den Grundsätzen der Urteile des BFH vom 31.03.2004 - I R 88/03 (BStBl II 2004, 936) und I R 90/03 (n.v.) in steuerfreie und steuerpflichtige Einkünfte aufzuteilen. Danach ist der Anteil der der deutschen Besteuerung unterfallenden Einkünfte in der Weise zu ermitteln, dass nur jene Arbeitstage, in denen der in Deutschland wohnende Steuerpflichtige sich tatsächlich in Deutschland oder in Drittstaaten zur Arbeitsausübung aufgehalten hat, in ein rechnerisches Verhältnis zu den vereinbarten Arbeitstagen gesetzt werden und der hiernach berechnete Quotient auf die Gesamteinkünfte bezogen wird. Dabei sind Urlaubstage wie auch andere vergleichbare arbeitsfreie Tage wie etwa Wochenend- und Feiertage aus dem Aufteilungsmaßstab auszuscheiden; solche Tage sind gerade nicht als Arbeitstage vereinbart (ebenda, m.w.N.).

41

Für die Jahre 2008 und 2009 hat die Klägerin 230 Arbeitstage jährlich geltend gemacht. Diese Anzahl an Jahresarbeitstagen wird von der Finanzverwaltung im Allgemeinen anerkannt und ist auch im vorliegenden Fall plausibel, wie das Gericht mit Schreiben an den Beklagten vom 20. August 2015 ausführlich dargelegt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher auf dieses Schreiben verwiesen (Blatt 125 bis 127 der Gerichtsakte). Auch für die Jahre 2005 und 2006 kann daher von 230 Jahresarbeitstagen ausgegangen werden.

42

An drei Tagen jährlich hat die Klägerin nach eigenen Angaben nicht in Luxemburg gearbeitet und hat im Inland bzw. Frankreich (Paris) Messen besucht. Der Anteil der der deutschen Besteuerung unterfallenden Einkünfte beträgt somit (mindestens) 3/230 ihres Bruttolohns und berechnet sich wie folgt (zur Höhe der Arbeitslöhne siehe die Zusammenstellung der Steuerfahndungsprüfung auf Blatt 12 der Sonderakte):

43

2005: 

67.618,00 € x 3/230 = 881,97 €

2006: 

61.309,00 € x 3/230 = 799,68 €

2008: 

56.082,00 € x 3/230 = 731,50 €

2009: 

65.532,00 € x 3/230 = 854,76 €

44

Zieht man von diesen Einnahmen den in allen Streitjahren maßgeblichen Werbungskostenpauschbetrag in Höhe von 920,00 € ab (§ 9a Satz 1 Nr. 1a EStG in der in den Streitjahren jeweils geltenden Fassung), verbleiben (inländische) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von (nur) 0 €.

45

Der deutschen Besteuerung unterfallende Einkünfte ergäben sich nur dann, wenn der Anteil der Zeiten, die die Klägerin im Inland für die S.A. gearbeitet hat (Kundenbesuche usw.) so groß wäre, dass sich unter Anwendung eines entsprechend geänderten Quotienten über dem Pauschbetrag liegende Einnahmen ergäben. Da es sich bei diesem Tätigkeitsumfang, den die Klägerin bestritten hat, um die (zu der höheren Besteuerung führende) "neue Tatsache” i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO handelt, trägt der Beklagte hierfür die (volle) objektive Beweis- bzw. Feststellungslast (BFH-Beschluss vom 18. Juni 2015 VI R 84/13, BFH/NV 2015, 1342 m.w.N.), Der Beklagte hat diesen Tätigkeitsumfang allerdings nicht festgestellt, sondern mangels Bekanntwerden neuer Tatsachen eine entsprechende Schätzung vorgenommen. Eine solche Schätzung stellt jedoch keine „Tatsache“ i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dar.

46

Das Gericht kann zwar auch eigene Feststellungen treffen, ob die geltend gemachte „neue Tatsache" i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegt. Dazu müsste sich im vorliegenden Fall der Tätigkeitsumfang der Klägerin im Inland mit hinreichender Sicherheit feststellen lassen. Dies ist aus folgenden Gründen allerdings nicht möglich:

47

Streitjahre 2005, 2006 und 2008:

48

Die Klägerin hat - vom Beklagten unwidersprochen bzw. nicht widerlegt - geltend gemacht, dass sie erst ab Frühjahr 2009 mit der Erweiterung der Geschäfte um den Zweig „Accessoires" Kunden in Deutschland besucht habe. Für die davor liegenden Streitjahre 2005, 2006 und 2008 sind daher auch für das Gericht Kundenbesuche der Klägerin in Deutschland nicht feststellbar. Die vom Beklagten aufgeführten sonstigen Tätigkeiten, die die Klägerin für die S.A. (auch) in den Jahren 2005, 2006 und 2008 im Inland verrichtet haben soll (Buchhaltungsarbeiten usw.), hat die Klägerin schon dem Grunde nach bestritten und konnten vom Beklagten nicht konkret nachgewiesen werden. Auch solche Tätigkeiten kann das Gericht daher nicht - jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit - feststellen.

49

2009:

50

Für das Jahr 2009 hat die Klägerin zwar vereinzelte Kundenbesuche in Deutschland eingeräumt und einmal die Vermutung geäußert, dass solche Kundenbesuche maximal 5 Mal im Jahr stattgefunden hätten. Auch mit Rücksicht auf diese Einlassung liegen jedoch sowohl die Anzahl als auch die Dauer dieser Besuche (Stunden? Minuten?) völlig im Dunkeln. Es lässt sich daher nicht mit der für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der auf Kundenbesuche der Klägerin in Deutschland entfallende Zeit- bzw. Stundenanteil so hoch ist, dass sich über dem Pauschbetrag liegende Einnahmen errechnen lassen.

51

Der Beklagte kann sich auch nicht auf § 90 Abs. 2 AO (verstärkte Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten) berufen, denn das Finanzamt trägt die (volle) objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, dass die "neue Tatsache" i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegt (BFH-Beschluss vom 18. Juni 2015 VI R 84/13, BFH/NV 2015, 1342 m.w.N.). Da der Beklagte das Vorliegen dieser Tatsache nicht hat nachweisen können, fehlt den angefochtenen Änderungsbescheiden die erforderliche Rechtsgrundlage. Sie sind daher aufzuheben.

52

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

53

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten beruht auf §§ 151 Abs. 2 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.

54

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 08. Dez. 2015 - 3 K 2224/13

Urteilsbesprechungen zu Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 08. Dez. 2015 - 3 K 2224/13

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu
Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 08. Dez. 2015 - 3 K 2224/13 zitiert 16 §§.

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(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets

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(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; §

Abgabenordnung - AO 1977 | § 173 Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel


(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,1.soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,2.soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen


Die in den §§ 711, 712 zugunsten des Schuldners zugelassenen Anordnungen sollen nicht ergehen, wenn die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen.

Abgabenordnung - AO 1977 | § 165 Vorläufige Steuerfestsetzung, Aussetzung der Steuerfestsetzung


(1) Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann sie vorläufig festgesetzt werden. Diese Regelung ist auch anzuwenden, wenn1.ungewiss ist, ob und wann Verträge mit anderen Staaten über die Besteue

Abgabenordnung - AO 1977 | § 90 Mitwirkungspflichten der Beteiligten


(1) Die Beteiligten sind zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Sie kommen der Mitwirkungspflicht insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen un

Abgabenordnung - AO 1977 | § 2 Vorrang völkerrechtlicher Vereinbarungen


(1) Verträge mit anderen Staaten im Sinne des Artikels 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes über die Besteuerung gehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Steuergesetzen vor. (2) Das Bundesministerium der F

Einkommensteuergesetz - EStG | § 9a Pauschbeträge für Werbungskosten


1Für Werbungskosten sind bei der Ermittlung der Einkünfte die folgenden Pauschbeträge abzuziehen, wenn nicht höhere Werbungskosten nachgewiesen werden:1.a)von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit vorbehaltlich Buchstabe b:ein Arbeitnehmer-Paus

Deutsch-Luxemburgische Konsultationsvereinbarungsverordnung - KonsVerLUXV | § 11 Anwendungszeitpunkt


Diese Verordnung ist erstmals anzuwenden1.in den Fällen der §§ 3 bis 5 auf Besteuerungssachverhalte seit dem 11. Juli 2011,2.in allen anderen Fällen auf Besteuerungssachverhalte seit dem 17. Oktober 2011.

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Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 08. Dez. 2015 - 3 K 2224/13

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Diese Entscheidung zitiert Tenor I. Die Einkommensteuerbescheide 2005, 2006, 2008 und 2009 vom 23. April 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 27. September 2013 werden aufgehoben. II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Bundesfinanzhof Beschluss, 18. Juni 2015 - VI R 84/13

bei uns veröffentlicht am 18.06.2015

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts des Saarlandes vom 13. März 2013  2 K 1503/08 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Bundesfinanzhof Urteil, 10. Juni 2015 - I R 79/13

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Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 8. Oktober 2013  10 K 2176/11 aufgehoben, soweit dieses wegen Feststellung der Steuerermäßigung nach § 10a Abs
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Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 08. Dez. 2015 - 3 K 2224/13

bei uns veröffentlicht am 08.12.2015

Diese Entscheidung zitiert Tenor I. Die Einkommensteuerbescheide 2005, 2006, 2008 und 2009 vom 23. April 2012 und die Einspruchsentscheidung vom 27. September 2013 werden aufgehoben. II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

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(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann sie vorläufig festgesetzt werden. Diese Regelung ist auch anzuwenden, wenn

1.
ungewiss ist, ob und wann Verträge mit anderen Staaten über die Besteuerung (§ 2), die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken, für die Steuerfestsetzung wirksam werden,
2.
das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz festgestellt hat und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet ist,
2a.
sich auf Grund einer Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union ein Bedarf für eine gesetzliche Neuregelung ergeben kann,
3.
die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht ist oder
4.
die Auslegung eines Steuergesetzes Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesfinanzhof ist.
Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben. Unter den Voraussetzungen der Sätze 1 oder 2 kann die Steuerfestsetzung auch gegen oder ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt werden.

(2) Soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie die Festsetzung aufheben oder ändern. Wenn die Ungewissheit beseitigt ist, ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären; eine ausgesetzte Steuerfestsetzung ist nachzuholen. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 4 endet die Ungewissheit, sobald feststeht, dass die Grundsätze der Entscheidung des Bundesfinanzhofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus allgemein anzuwenden sind. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 muss eine vorläufige Steuerfestsetzung nach Satz 2 nur auf Antrag des Steuerpflichtigen für endgültig erklärt werden, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist.

(3) Die vorläufige Steuerfestsetzung kann mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung verbunden werden.

(1) Die Beteiligten sind zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Sie kommen der Mitwirkungspflicht insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und die ihnen bekannten Beweismittel angeben. Der Umfang dieser Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.

(2) Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes bezieht, so haben die Beteiligten diesen Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Sie haben dabei alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Ein Beteiligter kann sich nicht darauf berufen, dass er Sachverhalte nicht aufklären oder Beweismittel nicht beschaffen kann, wenn er sich nach Lage des Falls bei der Gestaltung seiner Verhältnisse die Möglichkeit dazu hätte beschaffen oder einräumen lassen können.

(3) Ein Steuerpflichtiger hat über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen im Sinne des § 1 Absatz 4 des Außensteuergesetzes Aufzeichnungen zu erstellen. Die Aufzeichnungspflicht umfasst neben der Darstellung der Geschäftsvorfälle (Sachverhaltsdokumentation) auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Fremdvergleichsgrundsatz beachtende Vereinbarung von Bedingungen, insbesondere Preisen (Verrechnungspreisen), sowie insbesondere Informationen zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung, zur verwendeten Verrechnungspreismethode und zu den verwendeten Fremdvergleichsdaten (Angemessenheitsdokumentation). Hat ein Steuerpflichtiger Aufzeichnungen im Sinne des Satzes 1 für ein Unternehmen zu erstellen, das Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe ist, so gehört zu den Aufzeichnungen auch ein Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe und über die von ihr angewandte Systematik der Verrechnungspreisbestimmung, es sei denn, der Umsatz des Unternehmens hat im vorangegangenen Wirtschaftsjahr weniger als 100 Millionen Euro betragen. Eine multinationale Unternehmensgruppe besteht aus mindestens zwei in verschiedenen Staaten ansässigen, im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes einander nahestehenden Unternehmen oder aus mindestens einem Unternehmen mit mindestens einer Betriebsstätte in einem anderen Staat. Zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen sind zeitnah Aufzeichnungen zu erstellen. Die Aufzeichnungen im Sinne dieses Absatzes sind auf Anforderung der Finanzbehörde zu ergänzen.

(4) Die Finanzbehörde kann jederzeit die Vorlage der Aufzeichnungen nach Absatz 3 verlangen; die Vorlage richtet sich nach § 97. Im Falle einer Außenprüfung sind die Aufzeichnungen ohne gesondertes Verlangen vorzulegen. Die Aufzeichnungen sind jeweils innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Anforderung oder nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung vorzulegen. In begründeten Einzelfällen kann die Vorlagefrist verlängert werden.

(5) Um eine einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen, wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Art, Inhalt und Umfang der nach den Absätzen 3 und 4 zu erstellenden Aufzeichnungen zu bestimmen.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.

(2) Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden. Der Steuerpflichtige kann die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung jederzeit beantragen. Die Entscheidung hierüber kann jedoch bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalls, die innerhalb angemessener Frist vorzunehmen ist, hinausgeschoben werden.

(3) Der Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit aufgehoben werden. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich; § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 gilt sinngemäß. Nach einer Außenprüfung ist der Vorbehalt aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben.

(4) Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. § 169 Absatz 2 Satz 2, § 170 Absatz 6 und § 171 Absatz 7, 8 und 10 sind nicht anzuwenden.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

1Für Werbungskosten sind bei der Ermittlung der Einkünfte die folgenden Pauschbeträge abzuziehen, wenn nicht höhere Werbungskosten nachgewiesen werden:

1.
a)
von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit vorbehaltlich Buchstabe b:ein Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 1 230 Euro;
b)
von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, soweit es sich um Versorgungsbezüge im Sinne des § 19 Absatz 2 handelt:ein Pauschbetrag von 102 Euro;
2.
(weggefallen)
3.
von den Einnahmen im Sinne des § 22 Nummer 1, 1a und 5:ein Pauschbetrag von insgesamt 102 Euro.
2Der Pauschbetrag nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b darf nur bis zur Höhe der um den Versorgungsfreibetrag einschließlich des Zuschlags zum Versorgungsfreibetrag (§ 19 Absatz 2) geminderten Einnahmen, die Pauschbeträge nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und Nummer 3 dürfen nur bis zur Höhe der Einnahmen abgezogen werden.

Diese Verordnung ist erstmals anzuwenden

1.
in den Fällen der §§ 3 bis 5 auf Besteuerungssachverhalte seit dem 11. Juli 2011,
2.
in allen anderen Fällen auf Besteuerungssachverhalte seit dem 17. Oktober 2011.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 8. Oktober 2013  10 K 2176/11 aufgehoben, soweit dieses wegen Feststellung der Steuerermäßigung nach § 10a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes ergangen ist. Die Klage wird insoweit als unzulässig abgewiesen.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Rechtsstreits fallen dem Beklagten zur Last.

Tatbestand

1

A. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wohnte im Streitjahr 2010 bis zum 30. April im Inland und übte hier eine nichtselbständige Tätigkeit aus. Am 1. Mai verzog er in die Schweiz, wo er eine neue nichtselbständige Tätigkeit aufnahm.

2

Das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und seinem seinerzeitigen inländischen Arbeitgeber wurde mit Vertrag vom 16./29. Dezember 2009 aus dringenden betrieblichen Gründen einvernehmlich zum 31. Juli 2010 beendet. Der Kläger wurde unter Fortzahlung der regulären Bezüge sowie unter Zahlung von Boni für 2009 und 2010 zum 1. Januar 2010 unwiderruflich freigestellt. Er konnte seinerseits das Arbeitsverhältnis mit 14-tägiger Kündigungsfrist auch vor dem 31. Juli 2010 beenden. Als Entschädigung für den Verlust des Anstellungsverhältnisses und zum Ausgleich bereits entstandener und der damit in Zukunft verbundenen beruflichen und finanziellen Nachteile vereinbarten die Vertragspartner eine Abfindung in Höhe eines Einmalbetrages von 780.500 €. Für den Fall einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Erklärung des Klägers sollte sich der Abfindungsbetrag um das ansonsten zwischen dem Beendigungsdatum und dem am 31. Juli 2010 fällige Grundgehalt erhöhen. Die Versteuerung sollte durch den Arbeitgeber erfolgen.

3

Die Abfindung wurde im September 2010 gezahlt. Der ehemalige Arbeitgeber behielt darauf 337.990 € an Lohnsteuer und 18.589,45 € an Solidaritätszuschlag ein. Zuvor war eine vom Kläger angestrebte lohnsteuerliche Freistellung der Abfindung durch das zuständige Betriebsstättenfinanzamt gescheitert.

4

Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2010 behandelte der Kläger einen Betrag von 785.194 € als nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) --DBA-Schweiz 1971-- steuerfreien Arbeitslohn. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) behandelte den Betrag demgegenüber als Entschädigung für mehrere Jahre, die in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) als Arbeitslohn nach § 19 i.V.m. § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2009) ermäßigt zu versteuern sei. Das Besteuerungsrecht Deutschlands ergebe sich aus Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971 und der dazu ergangenen (ergänzenden) deutsch-schweizerischen Konsultationsvereinbarung zur Besteuerung von Abfindungszahlungen vom 17. März 2010, bekanntgegeben durch das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 25. März 2010 (BStBl I 2010, 268), Letztere i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 2 und § 25 der Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft --Deutsch-Schweizerische Konsultationsvereinbarungsverordnung (KonsVerCHEV)-- vom 20. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 2187, BStBl I 2010, 146). Die in der Schweiz erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wurden gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 2009 beim sog. Progressionsvorbehalt berücksichtigt.

5

Die Klage gegen die hiernach ergangenen Bescheide über Einkommensteuer und Feststellung der Steuermäßigung nach § 10a Abs. 4 EStG 2009 war erfolgreich. Das Hessische Finanzgericht (FG) gab ihr durch Urteil vom 8. Oktober 2013  10 K 2176/11, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 288 statt.

6

Das FA stützt seine Revision auf Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8

Dem Revisionsverfahren ist das BMF beigetreten. Es schließt sich in der Sache dem FA an, ohne eigene Anträge zu stellen.

Entscheidungsgründe

9

B. Die Revision ist nur im Hinblick auf die Feststellung der Steuerermäßigung nach § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG 2009 begründet, weil die Klage insoweit unzulässig ist. Im Übrigen aber ist sie unbegründet.

10

I. Die Anfechtung des Feststellungsbescheids gemäß § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG 2009 ist unzulässig. Es handelt sich bei diesem Bescheid bezogen auf den angefochtenen Einkommensteuerbescheid um einen Folgebescheid (vgl. § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung --AO--). Das ergibt sich aus § 10a Abs. 4 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 2009, wonach § 10d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG 2009 auf die Feststellung entsprechend anzuwenden ist, und in jener Vorschrift ist die Grundlagenwirkung des Einkommensteuerbescheids justiert (s. dazu z.B. Schmidt/Heinicke, EStG, 34. Aufl., § 10d Rz 41; Schmidt/Weber-Grellet, ebenda, § 10a Rz 30, m.w.N.).

11

II. Im eigentlichen Streitpunkt ist die Revision jedoch unbegründet. Das Deutschland nach innerstaatlichem Recht zustehende Besteuerungsrecht für die Abfindung wurde durch das DBA-Schweiz 1971 beschränkt; das Besteuerungsrecht steht nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971 der Schweiz als dem (nunmehrigen) Wohnsitzstaat des Klägers zu.

12

1. Der Kläger hat seinen Wohnsitz seit dem 1. Mai des Streitjahres in der Schweiz und ist seitdem in Deutschland nicht mehr --wie zuvor-- unbeschränkt (vgl. § 1 Abs. 1 EStG 2009), sondern beschränkt (vgl. § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 EStG 2009) steuerpflichtig. Letzteres betrifft nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG 2009 auch seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG 2009), die im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder --und insofern hier bezogen auf die in Rede stehende Abfindungszahlung allein einschlägig-- "worden ist". Es betrifft nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG 2009 zudem Einkünfte, die als Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG 2009 für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden, soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte --wie vorliegend-- der inländischen Besteuerung unterlegen haben. Die Vorinstanz geht übereinstimmend mit den Beteiligten davon aus, dass es sich bei der an den Kläger geleisteten Abfindungszahlung um eine derartige Entschädigung handelt, nicht aber um nachträglichen Arbeitslohn. Auch der Senat hat keinen Anlass, diese Sachverhaltswürdigung in Frage zu stellen.

13

2. Deutschland steht infolge des mit der Schweiz geschlossenen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung jedoch das Besteuerungsrecht an der Zahlung nicht zu: Art. 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 DBA-Schweiz 1971 bestimmt, dass Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden können, es sei denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert werden. Daraus folgt nach ständiger Spruchpraxis des Senats (z.B. Urteile vom 2. September 2009 I R 111/08, BFHE 226, 276, BStBl II 2010, 387; I R 90/08, BFHE 226, 267, BStBl II 2010, 394; vom 24. Juli 2013 I R 8/13, BFHE 245, 291, BStBl II 2014, 929, jeweils m.w.N.), dass Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses nicht im Tätigkeitsstaat, sondern im Ansässigkeitsstaat zu besteuern sind. Denn bei Abfindungen handelt es sich unbeschadet dessen, dass sie nach dem insoweit maßgebenden innerstaatlichen Recht (vgl. Art. 3 Abs. 2 DBA-Schweiz 1971) Arbeitslohn (§ 19 EStG 2009) sind, nicht um ein zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit i.S. des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971. Sie werden nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern gerade für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut ("dafür") indes nicht. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Spruchpraxis, an welcher festzuhalten ist, prinzipiell angeschlossen (BMF-Schreiben vom 14. September 2006, BStBl I 2006, 532, dort Tz. 6.3 Rz 121, und --nunmehr mit Wirkung ab 1. Januar 2015-- vom 12. November 2014, BStBl I 2014, 1467, dort Tz. 5.5.4 Rz 178 ff.).

14

3. Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 226, 276, BStBl II 2010, 387 weiter entschieden hat, ändert sich an dieser Rechtsauffassung infolge der ursprünglichen (vgl. BMF-Schreiben vom 20. Mai 1997, BStBl I 1997, 560), durch das BMF-Schreiben vom 13. Oktober 1992 (Recht der Internationalen Wirtschaft 1993, 82; vgl. auch BStBl I 1997, 560) bekanntgegebenen Verständigungsvereinbarung der deutschen und eidgenössischen Finanzbehörden zur Besteuerung von Abfindungen nichts. Dabei verbleibt es auch vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich ergangenen ergänzenden Konsultationsvereinbarung vom 17. März 2010.

15

a) Das BMF und die Eidgenössische Steuerverwaltung haben sich in jenen Vereinbarungen auf der Basis von Konsultationsverhandlungen nach Maßgabe des Art. 26 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971 darauf verständigt, das Besteuerungsrecht der beiden Vertragsstaaten danach zuzuteilen, ob der Abfindung Versorgungscharakter beizumessen ist oder ob es sich um eine Nachzahlung von Lohn, Gehalt oder Tantiemen aus dem früheren Arbeitsverhältnis handelt oder die Abfindung allgemein für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Dienst gewährt wird. In dem ersten Fall kann --nach Satz 2 der Vereinbarungen-- die Abfindung danach gemäß Art. 18 DBA-Schweiz 1971 nur im Wohnsitzstaat des Empfängers besteuert werden, im zweiten Fall soll nach Satz 3 der Vereinbarungen gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971 das sog. Tätigkeitsortsprinzip gelten. Hintergrund dieser Vereinbarung ist der Umstand, dass andernfalls aufgrund der unterschiedlichen Verwaltungspraxis in Deutschland und in der Schweiz über die Besteuerungszuordnung die Gefahr sog. weißer Einkünfte, also der doppelten Nichtbesteuerung, bestand.

16

b) Der Senat misst einer derartigen zwischenstaatlichen Konsultationsvereinbarung --in Einklang mit den Grundsätzen zur Auslegung von Verträgen nach Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 --WÜRV-- (BGBl II 1985, 927), in innerstaatliches Recht transformiert seit Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 3. August 1985 (BGBl II 1985, 926) am 20. August 1987 (BGBl II 1987, 757)-- zwar Bedeutung für die Auslegung der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei. Er hat jedoch wiederholt klar zum Ausdruck gebracht, dass die "Grenzmarke" für das richtige Abkommensverständnis immer nur der Abkommenswortlaut sein kann. Wird das in der Konsultationsvereinbarung gefundene Abkommensverständnis durch den Wortlaut nicht gedeckt, kann die Vereinbarung die Abkommensauslegung durch die Gerichte nicht beeinflussen oder die Gerichte gar binden. Auch daran ist uneingeschränkt festzuhalten und auf das zitierte Urteil in BFHE 226, 276, BStBl II 2010, 387 ist deswegen zu verweisen.

17

4. Allerdings haben sich die Vereinbarungsgrundlagen zwischenzeitlich geändert. Der Gesetzgeber hat vermittels des Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) mit § 2 Abs. 2 der Abgabenordnung --AO n.F.-- (erstmals) eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, wonach --so Satz 1 der Vorschrift-- das BMF ermächtigt wird, zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung oder doppelten Nichtbesteuerung mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zu erlassen. Konsultationsvereinbarungen in diesem Sinne sind nach Satz 2 der Vorschrift einvernehmliche Vereinbarungen der zu-ständigen Behörden der Vertragsstaaten eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung mit dem Ziel, Einzelheiten der Durchführung eines solchen Abkommens zu regeln, insbesondere Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des jeweiligen Abkommens bestehen, zu beseitigen. Mit diesem tatbestandlich umschriebenen Inhalt zielt die Neuregelung darauf ab, zwischenstaatlichen behördlichen Konsultationsvereinbarungen i.S. von Art. 25 Abs. 3 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-MustAbk) den Rang einer Rechtsverordnung zu verleihen. In § 24 Abs. 1 KonsVerCHEV ist das für die im Streitfall in Rede stehenden Arbeitnehmer-Abfindungen geschehen; die Deutsch-Schweizerische Konsultationsverbindung vom 17. März 2010 ist darin textlich übernommen worden.

18

5. Es ist im Schrifttum kontrovers, ob die neugeschaffene Ermächtigungsgrundlage den dafür gebotenen Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) genügt und im Ergebnis geeignet ist, die seitens der Finanzverwaltung beanspruchte (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2014, 1467, dort Tz. 5.5.4.2 Rz 183 ff.) Verbindlichkeit der zwischenstaatlich gefundenen Abkommensauslegung herbeizuführen. Überwiegend wird das verneint und dem schließt sich der Senat an. Die Deutsch-Schweizerische Konsultationsvereinbarung vom 17. März 2010 genügt trotz ihrer unilateralen "Anhebung" in eine Rechtsverordnung den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht. Sie fußt mit § 2 Abs. 2 AO n.F. nicht auf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, in welcher Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung jedenfalls bezogen auf die Frage nach der Besteuerung von Abfindungszahlungen an einen (ehemals) nichtselbständig tätigen Arbeitnehmer hinreichend bestimmt werden. Dessen aber hätte es nach Art. 80 Abs. 1 GG bedurft.

19

a) Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG können durch Gesetz die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen dabei Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetze bestimmt werden. Das ist hier nicht gelungen.

20

aa) Zwar gilt gewissermaßen "natürlich" der Grundsatz, dass ein Gesetz nicht durch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift außer Kraft gesetzt oder abgeändert werden kann, ebenso wie seine Durchbrechung durch einen Verwaltungsakt und seine Verdrängung durch eine Rechtsnorm, die im Vergleich zum Gesetz von niedrigerem Range ist, also eine Rechtsverordnung, eine Gemeindesatzung, ausgeschlossen ist. Das ergibt sich unmittelbar aus dem "Vorrang des Gesetzes" (Art. 20 Abs. 3 GG): "Der in der Form des Gesetzes geäußerte Staatswille geht rechtlich jeder anderen staatlichen Willensäußerung vor", so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 6. Mai 1958  2 BvL 37/56, 2 BvL 11/57 (BVerfGE 8, 155). Dieser Vorrang des Gesetzes --also die dem Gesetz kraft Verfassungsrechts innewohnende Eigenschaft, staatliche Willensäußerungen niedrigeren Ranges rechtlich zu hindern oder zu zerstören-- kann sich aber naturgemäß nur auswirken, wo ein Widerspruch zwischen dem Gesetz und der Willensäußerung niederen Ranges besteht. Es bedarf keiner Ausführung, dass eine staatliche Willensäußerung, die das Gesetz befolgt und in Einklang mit ihm steht, nicht am Vorrang des Gesetzes scheitern kann. Im Einzelnen ist dazu beispielhaft auf den besagten Beschluss des BVerfG in BVerfGE 8, 155 hinzuweisen. So gesehen mag es auch möglich sein, kraft Verordnung eine Abkommensregelung zu spezifizieren und umzusetzen. Es mag prinzipiell ebenso ausreichen, die gesetzliche Ermächtigung dabei weit zu fassen, solange und soweit die "wesentlichen Konturen" in dem Referenzgesetz --hier also das bilaterale Abkommen in der Umsetzung des "einfachen" Zustimmungsgesetzes-- vom Gesetzgeber vorgegeben werden (s. z.B. Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 2 AO Rz 43e, m.w.N.; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 2 AO Rz 327, 332; Oellerich in Beermann/Gosch, AO, § 2 Rz 102; s.a. den vom beigetretenen BMF herangezogenen, allerdings in anderem Zusammenhang des Steuerberatungsgesetzes ergangenen BVerfG-Beschluss vom 3. November 1982  2 BvL 28/81, BVerfGE 62, 203; demgegenüber zweifelnd z.B. Gosch in Mellinghoff/Schön/Viskorf [Hrsg.], Steuerrecht im Rechtsstaat, Festschrift Spindler, 2011, S. 379, 421; derselbe in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 49 Rz 72; anders z.B. Nacke, Der Betrieb --DB-- 2010, 1149; Lehner, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2011, 739 und Finanz-Rundschau --FR-- 2011, 1091). Und es lässt sich schließlich auch hören, wenn argumentiert wird, der Gesetzgeber habe mit seiner Zustimmung zu dem Gesetz zur Überleitung des völkerrechtlichen Vertrages in nationales (einfaches) Recht die Möglichkeit von Konsultationsvereinbarungen auf Basis des Art. 25 Abs. 3 OECD-MustAbk antizipiert und akzeptiert (z.B. Hummel, IStR 2011, 399 ff.; Lehner, IStR 2011, 733, 737, jeweils m.w.N.; insoweit anders Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 2 AO Rz 43f, m.w.N., insbesondere auch aus dem staatsrechtlichen Schrifttum). Doch ist es auch vermittels einer derart gefassten Ermächtigungsregelung ausgeschlossen, den Abkommenstext und damit die besagte Besteuerungszuordnung für die betreffenden Einkünfte zu verändern (s. zu alledem z.B. FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 19. Dezember 2013  3 K 1189/13, Betriebs-Berater --BB-- 2014, 2071; sowie z.B. Hummel, IStR 2011, 397, 399 ff.; Lehner, IStR 2011, 733, und derselbe in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Grundlagen Rz 136; Schönfeld/Häck in Schönfeld/ Ditz, DBA, Systematik Rz 100; Dremel, daselbst, Art. 1 Rz 23 ff.; Flüchter, daselbst, Art. 25 Rz 218 ff.; Eilers in Wassermeyer, MA Art. 25 Rz 67; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, MA Art. 15 Rz 79; Kempermann in Flick/ Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 15 Rz 7, s.a. Art. 15a Rz 42; Kubaile, Internationale Wirtschafts-Briefe --IWB-- 2012, 1; Heger, Steuer Wirtschaft International 2011, 95; Micker, IWB 2011, 61; Gosch, BFH/PR 2011, 241; s.a. Musil in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, a.a.O., § 2 AO Rz 234; anders Neyer/Schlepper, FR 2011, 648).

21

bb) Das aber ist hier der Fall. Der Abkommenstext belässt aus den unter I.2. beschriebenen Gründen für die Frage der Besteuerungszuordnung von Abfindungen an ehemals nichtselbständig tätige Arbeitnehmer keine Spielräume. Und daran ändert auch das in § 2 Abs. 2 Satz 1 AO n.F. qualifizierte zusätzliche Ermächtigungsziel nichts, doppelte Nichtbesteuerungen zu vermeiden. Das mag --in Einklang mit "neuerem Abkommensdenken" der OECD-- das eine oder andere neuere Doppelbesteuerungsabkommen bezwecken, und das findet sich jetzt denn auch in der (ministeriellen) "Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen", BMF-Schreiben vom 17. April 2013, Stand: 22. August 2013 (abgedruckt in IStR, Beihefter 10/2013 unter II. und berichtigt in IStR 2013, 440) wieder. Dieser Paradigmenwechsel aber hat im DBA-Schweiz 1971, das allein die Freistellungsmethode anwendet und damit vorbehaltlos auf eine virtuelle Doppelbesteuerung abhebt (ständige Spruchpraxis, deutlich z.B. Senatsurteil vom 24. August 2011 I R 46/10, BFHE 234, 339, BStBl II 2014, 764), (noch) keinen Niederschlag gefunden. Durch § 24 Abs. 1 KonsVerCHEV wird indessen genau das sinn- und zweckverändert. Der Regelung käme der Charakter einer Rückfallklausel zu, die im Abkommen nicht angelegt ist, diesem vielmehr widerspricht (Lehner, IStR 2011, 733, 736, dort auch spezifisch für die Situation der Abfindungszahlung an ehemalige Arbeitnehmer). § 2 Abs. 2 AO n.F. ermächtigt jedoch nicht zu Ergänzungen vereinbarter Abkommen; hierzu bedarf es vielmehr der abermaligen Zustimmung des nationalen Parlaments (Lehner, IStR 2011, 733, 735). Solange diese Zustimmung fehlt, bleibt "die Grenzziehung zwischen Auslegung und einer an den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG scheiternden Lückenschließung (...)", darin ist Lehner (IStR 2011, 733, 739) uneingeschränkt beizupflichten, "Aufgabe der Judikative".

22

b) Lassen sich die vorbenannten Mängel nicht ausräumen, ist die Rechtsverordnung zu verwerfen. Dazu sind die Fachgerichte und damit der Senat befugt (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 12. Dezember 1984  1 BvR 1249/83, 1 BvR 1745/83, 1 BvR 1746/83, 1 BvR 1752/83, 1 BvR 1753/83, 1 BvR 1757/83, 1 BvR 1769/83, 1 BvR 1719/83, 1 BvR 1720/83, BVerfGE 68, 319, BVerfGE 68, 319, 325; BVerfG-Urteil vom 18. Dezember 1985  2 BvR 1167/84, 2 BvR 1185/84, 2 BvR 1636/84, 2 BvR 308/85, 2 BvQ 18/84, BVerfGE 71, 305, 337; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 2 AO Rz 43g, m.w.N.), und so geschieht es denn auch im Streitfall.

23

6. Unabhängig von diesen Erwägungen scheitert die erstrebte Verbindlichkeit für das Streitjahr auch daran, dass die verwaltungsseitig vorgegebene Auslegung nach § 26 KonsVerCHEV erstmals mit Wirkung vom 23. Dezember 2010 gilt, nicht aber für den bis dahin abgelaufenen Teil des Jahres 2010.

24

a) Der Senat legt seiner Auslegung von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in ebenfalls ständiger Spruchpraxis aus zeitlicher Sicht einen sog. statischen, keinen sog. dynamischen Auslegungsmodus zugrunde (vgl. z.B. Senatsurteile vom 16. Januar 2014 I R 30/12, BFHE 244, 354, BStBl II 2014, 721; vom 9. Februar 2011 I R 54, 55/10, BFHE 232, 476, BStBl II 2012, 106; vom 25. Mai 2011 I R 95/10, BFHE 234, 63; vom 8. Dezember 2010 I R 92/09, BFHE 232, 137, BStBl II 2011, 488; vom 23. September 2008 I R 57/07, BFH/NV 2009, 390; Senatsbeschluss vom 19. Mai 2010 I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156, jeweils m.w.N.). Eine Verwaltungspraxis, welche sich erst nach Inkrafttreten eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bildet, wirkt auf die Auslegung des Abkommens prinzipiell nicht zurück. Das gilt in erster Linie für Verwaltungsverlautbarungen, wie beispielsweise die Musterkommentierung der OECD zu deren Musterabkommen. Das gilt aber auch für bilaterale Konsultationsvereinbarungen. Abermals hindert Art. 31 WÜRV ein solches Verständnis nicht: Ein Vertrag ist danach nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seiner Bestimmung in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Außer dem bei der Auslegung zu berücksichtigenden und in Art. 31 Abs. 2 WÜRV näher beschriebenen systematischen "Zusammenhang" sind nach Art. 31 Abs. 3 WÜRV in gleicher Weise zu berücksichtigen: a) jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrages oder die Anwendung seiner Bestimmungen sowie b) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht. So gesehen kann ein übereinstimmendes Abkommensverständnis und eine gemeinsame "Übung" der beteiligten Finanzverwaltungen für eine Abkommensauslegung bedeutsam sein (s. z.B. Senatsurteile vom 25. Oktober 2006 I R 81/04, BFHE 215, 237, BStBl II 2010, 778, sowie I R 18/04, BFH/NV 2007, 875, beide zu leitenden Angestellten als sog. Grenzgänger i.S. von Art. 15 Abs. 4, Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992), das aber immer nur insofern, als sie nicht dem Wortlaut des Abkommens zuwiderläuft (vgl. Senatsurteil vom 27. August 2008 I R 64/07, BFHE 222, 553, BStBl II 2009, 97). Abgesehen davon, dass das Wiener Übereinkommen (nach dessen Art. 4) ohnehin nur auf Verträge Anwendung findet, die von Staaten geschlossen werden, nachdem das Übereinkommen für sie in Kraft getreten ist --und damit, ohne dass dem weiter nachzugehen wäre, nach Lage der Dinge nicht für das DBA-Schweiz 1971--, erzwingen auch diese Grundsätze eine Regelungsauslegung also immer nur nach Maßgabe jenes Wortlauts.

25

b) Und das gilt auch hier. Dass die neuerliche Konsultationsvereinbarung inhaltlich im Kern bloß auf der vorangegangenen Verständigungsvereinbarung aus dem Jahre 1992 aufsetzt, ist unbeachtlich. Denn jene Vereinbarung erfüllte die nötigen rechtsstaatlichen Anforderungen einer Auslegungsverbindlichkeit, wie beschrieben, von vornherein nicht. Auch ist es unbeachtlich, dass die Einkommensteuer für das Streitjahr erst am 31. Dezember 2010 entsteht (vgl. § 25 Abs. 1 EStG 2009), mithin nach dem in § 25 KonsVerCHEV bestimmten Anwendungszeitpunkt für die deutsch-schweizerische Konsultationsverordnung am 1. Januar 2010, welcher wiederum seinerseits in Einklang mit Art. 97 § 1 Abs. 9 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2010 (EGAO n.F.) steht; Rechtsverordnungen aufgrund des § 2 Abs. 2 AO n.F. können danach mit Wirkung für den Veranlagungszeitraum 2010 erlassen werden, sofern die dem Bundesrat zugeleitete Rechtsverordnung vor dem 1. Januar 2011 als Bundesratsdrucksache veröffentlicht worden ist, was hier der Fall ist (s. Bundesrats-Drucksache 716/10 vom 5. November 2010). Das alles mag vor dem Hintergrund des gängigen Verfassungsverständnisses in Deutschland jedenfalls nicht unbedingt einen Verstoß gegen das grundgesetzliche Rückwirkungsverbot auslösen (vgl. grundlegend z.B. BVerfG-Beschluss vom 10. Oktober 2012  1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302, BStBl II 2012, 932, m.w.N.; s.a. --bezogen auf Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und deren Überleitung in nationales Recht-- BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986  2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628; insoweit konkret bezogen auf § 2 Abs. 2 AO n.F. einerseits Bisle, IWB 2010, 794; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 2 AO Rz 337; andererseits Nacke, DB 2010, 1149; s. eingehend zum Problem auch Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 2 AO Rz 43d, m.w.N.). Für die Rechtsauslegung des Abkommenstextes bleibt das aber ohne Bedeutung, weil sich die Abkommensauslegung einem einseitigen vertragsstaatlichen Zugriff entzieht, wenn dieser Zugriff zeitlich nach dem zu beurteilenden tatsächlichen Lebenssachverhalt liegt. So liegt es hier, weil die in Rede stehende deutsch-schweizerische Konsultationsvereinbarung als solche in Gestalt der Konsultationsverordnung erst am 23. Dezember 2010 in Kraft getreten ist. Maßgebender Anwendungszeitpunkt für die abkommensüberschreibende Konsultationsvereinbarung kann immer nur der Zeitpunkt sein, in welchem eine solche Vereinbarung tatsächlich in der verfassungsrechtlich gebotenen Form in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist. Rückwirkende Anwendungsanordnungen vertragen sich damit nicht und scheiden aus. Insofern gilt nichts anderes als für das Abkommen als solches, für das Art. 32 Abs. 2 DBA-Schweiz 1971 den Anwendungszeitpunkt für das Jahr bestimmt, das dem Jahr folgt, in welchem das Abkommen infolge Austauschs der Ratifikationsurkunden in Kraft getreten ist (oder neuerlich auch in der bereits zitierten ministeriellen "Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen" vom 17. April 2013, nach deren Art. 31 Abs. 1 und 2 der Anwendungszeitpunkt des ratifizierten Abkommens auf den 1. Januar desjenigen Kalenderjahres justiert wird, das dem Jahr folgt, in welchem das Abkommen infolge Austauschs der Ratifikationsurkunden in Kraft getreten ist). Nur so kann sichergestellt werden, dass das bilateral Vereinbarte in beiden Vertragsstaaten zu ein- und demselben Zeitpunkt anzuwenden ist und genau diejenige Gefahr einer doppelten Besteuerung, ggf. auch doppelten Nichtbesteuerung, vermieden wird, der es nach den Absichten der vereinbarungsbeteiligten Vertragsstaaten (auch) bei einer abkommensverändernden Konsultationsvereinbarung entgegenzutreten gilt (s. zu alledem auch Gosch in Kaeser [Hrsg.], Festgabe für F. Wassermeyer, 2015, Stichwort 29, dort unter III.).

26

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2, § 136 Abs. 1 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung.

(1) Verträge mit anderen Staaten im Sinne des Artikels 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes über die Besteuerung gehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Steuergesetzen vor.

(2) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung oder doppelten Nichtbesteuerung mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zu erlassen. Konsultationsvereinbarungen nach Satz 1 sind einvernehmliche Vereinbarungen der zuständigen Behörden der Vertragsstaaten eines Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Ziel, Einzelheiten der Durchführung eines solchen Abkommens zu regeln, insbesondere Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des jeweiligen Abkommens bestehen, zu beseitigen.

(3) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen, die

1.
Einkünfte oder Vermögen oder Teile davon bestimmen, für die die Bundesrepublik Deutschland in Anwendung der Bestimmung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf Grund einer auf diplomatischem Weg erfolgten Notifizierung eine Steueranrechnung vornimmt, und
2.
in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über den öffentlichen Dienst eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung diejenigen Körperschaften und Einrichtungen einbeziehen, die auf Grund einer in diesem Abkommen vorgesehenen Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden bestimmt worden sind.

1Für Werbungskosten sind bei der Ermittlung der Einkünfte die folgenden Pauschbeträge abzuziehen, wenn nicht höhere Werbungskosten nachgewiesen werden:

1.
a)
von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit vorbehaltlich Buchstabe b:ein Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 1 230 Euro;
b)
von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit, soweit es sich um Versorgungsbezüge im Sinne des § 19 Absatz 2 handelt:ein Pauschbetrag von 102 Euro;
2.
(weggefallen)
3.
von den Einnahmen im Sinne des § 22 Nummer 1, 1a und 5:ein Pauschbetrag von insgesamt 102 Euro.
2Der Pauschbetrag nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b darf nur bis zur Höhe der um den Versorgungsfreibetrag einschließlich des Zuschlags zum Versorgungsfreibetrag (§ 19 Absatz 2) geminderten Einnahmen, die Pauschbeträge nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und Nummer 3 dürfen nur bis zur Höhe der Einnahmen abgezogen werden.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts des Saarlandes vom 13. März 2013  2 K 1503/08 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres 2007 verstorbenen Ehemanns (E). In ihrer am 22. Oktober 2001 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2000) machten die Eheleute Unterhaltsaufwendungen für ihren Sohn (S) als außergewöhnliche Belastungen geltend. Aus der Erklärung ergab sich, dass S als Student in Frankreich lebte und dort einen gemeinsamen Haushalt mit Ehefrau und zwei Kindern unterhielt. Die Klägerin und E teilten die eigenen Einkünfte des S, die sich im Streitjahr tatsächlich auf 31.047 DM beliefen, durch vier und gaben sie in der Einkommensteuererklärung dementsprechend nur in Höhe von 7.762 DM an.

3

In dem am 24. Oktober 2001 vom zuständigen Sachbearbeiter (B) freigegebenen Einkommensteuerbescheid vom 7. November 2001 berücksichtigte das FA die Unterhaltsaufwendungen für S in Höhe von 6.938 DM als außergewöhnliche Belastungen. Das FA ging dabei von eigenen Einkünften des S in Höhe von 7.762 DM aus.

4

S hatte seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr am 9. Oktober 2001 beim FA abgegeben. Er war ebenfalls von dem Sachbearbeiter B mit Bescheid vom 29. Oktober 2001 veranlagt worden, nachdem dieser am 12. Oktober 2001 die abschließende Zeichnung vorgenommen hatte. Der Gesamtbetrag der Einkünfte des S belief sich auf 31.047 DM.

5

Das FA änderte den Einkommensteuerbescheid vom 7. November 2001 am 19. Dezember 2002 --soweit es hier von Bedeutung ist-- gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Es ließ in diesem Bescheid wegen der Höhe der Einkünfte des S die Unterhaltsaufwendungen nicht mehr zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zu.

6

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) im ersten Rechtsgang ab. Allerdings berücksichtigte das FA in dem während des Klageverfahrens gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Bescheid vom 2. Juli 2009 Unterhaltsaufwendungen als außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 3.920 DM.

7

Mit Urteil vom 13. Juni 2012 VI R 85/10 (BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5) hob der Bundesfinanzhof (BFH) das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG habe nicht aufgeklärt, ob der für die Veranlagung der Klägerin und des S zuständige Sachbearbeiter B im maßgeblichen Zeitpunkt, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen gewesen sei, positive Kenntnis von der Höhe der Einkünfte des S gehabt habe. Das FG müsse daher im zweiten Rechtsgang aufklären, ob B im Zeitpunkt der Veranlagung der Klägerin und des E aufgrund der wenige Tage zuvor erfolgten Bearbeitung des Steuerfalls des S positive Kenntnis von dessen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Klägerin sowie von dessen Einkünften im Streitjahr besessen habe. Könne der Sachverhalt nicht (mehr) aufgeklärt werden, sei nach den Regeln der Beweislast zu entscheiden.

8

Im zweiten Rechtsgang wies das FG die Klage nach Vernehmung des B als Zeuge erneut ab. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass der Zeuge B, an dessen Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestünden, im Zeitpunkt der Veranlagung der Klägerin und des E aufgrund der wenige Tage zuvor erfolgten Bearbeitung des Steuerfalls des S positive Kenntnis von dessen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Klägerin und von dessen Einkünften im Streitjahr besessen habe. B habe glaubhaft bekundet, dass er sich weder an den Namen der Klägerin und des S noch an den konkreten Fall erinnern könne.

9

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

10

Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2000 vom 2. Juli 2009 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von weiteren außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 3.018 DM (1.543,08 €) festzusetzen.

11

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

13

Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass das FA den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid vom 7. November 2001 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigen durfte.

14

1. Im ersten Rechtsgang hat der beschließende Senat --für das FG bindend (§ 126 Abs. 5 FGO)-- entschieden, dass das FG im zweiten Rechtsgang aufklären müsse, ob B im Zeitpunkt der Veranlagung der Klägerin und des E aufgrund der wenige Tage zuvor erfolgten Bearbeitung des Steuerfalls des S positive Kenntnis von dessen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Klägerin und von dessen Einkünften im Streitjahr besessen habe.

15

Das FG hat daraufhin im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO den B als Zeuge für die von dem beschließenden Senat als entscheidungserheblich erachtete Frage vernommen.

16

Das FG hat aufgrund der in der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung wiedergegebenen Aussage des Zeugen B --insoweit nachvollziehbar-- festgestellt, dass sich der Zeuge B weder an den Namen der Klägerin oder des S noch sonst an den konkreten Fall erinnern konnte. Da dem Zeugen B der nach dem Senatsurteil in BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5 entscheidungserhebliche Sachverhalt bei seiner Vernehmung durch das FG somit überhaupt nicht mehr erinnerlich war, verbleibt es bei der auch für den Senat im zweiten Rechtsgang grundsätzlich bindenden rechtlichen Würdigung in dem zurückverweisenden Urteil (dazu BFH-Urteile vom 4. November 2004 III R 38/02, BFHE 208, 155, BStBl II 2005, 271, und vom 23. Oktober 1991 I R 52/90, BFH/NV 1992, 271), dass nach den Regeln der objektiven Beweislast zu entscheiden ist, wenn der Sachverhalt nicht (mehr) aufgeklärt werden kann.

17

Zwar hat das FG gegen die Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO verstoßen, indem es die Auffassung vertreten hat, dass die Regeln über die objektive Feststellungslast im Streitfall nicht maßgeblich seien. Die Vorentscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar. Denn auch bei Anwendung der Regeln über die objektive Feststellungslast durfte das FA den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern.

18

2. Die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die tatsächlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO trägt grundsätzlich das FA (BFH-Urteile vom 23. Januar 2002 XI R 55/00, BFH/NV 2002, 1009; vom 6. Dezember 1994 IX R 11/91, BFHE 176, 221, BStBl II 1995, 192; vom 22. April 1988 III R 89/86, BFH/NV 1988, 768, und vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 53, 85). Dies gilt jedoch nicht, soweit es nicht um die objektive Beweislast für die "neue Tatsache", sondern um die Verletzung der Ermittlungspflicht des FA geht. Diese Feststellungslast trifft den Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 19. Mai 1998 I R 140/97, BFHE 186, 124, BStBl II 1998, 599).

19

a) Nach ständiger Rechtsprechung gilt dem FA der Inhalt der Akten als bekannt, die in der zuständigen Dienststelle für den zu veranlagenden Steuerpflichtigen geführt werden (Senatsurteil in BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5, unter II.2.c, m.w.N.). Dagegen gelten Tatsachen, die sich aus den Akten anderer Steuerpflichtiger ergeben, auch dann nicht als bekannt, wenn für deren Bearbeitung dieselbe Person zuständig ist. Nach diesen Maßstäben war die tatsächliche Höhe der Einkünfte des S in Bezug auf die Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin und des E im Grundsatz eine neue steuererhöhende Tatsache, die das FA grundsätzlich zum Erlass des angefochtenen Änderungsbescheids gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigte. Denn nach den nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat daher nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG ergaben sich die von S im Streitjahr tatsächlich erzielten Einkünfte nicht aus den für die Klägerin und E beim FA geführten Steuerakten.

20

b) Allerdings muss sich der zuständige Bearbeiter das Wissen aus einem anderen steuerlichen Verfahren zurechnen lassen, wenn zur Hinzuziehung des entsprechenden Vorgangs nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung oder der präsenten Akten, eine besondere Veranlassung bestand. Denn andernfalls zöge das Unterlassen der Beiziehung eine Verletzung der Ermittlungspflicht nach sich. Deshalb hat der beschließende Senat dem FG in dem zurückverweisenden Urteil aufgegeben aufzuklären, ob der für die Veranlagung der Klägerin und des S zuständige Sachbearbeiter in sonstiger Weise im maßgeblichen Zeitpunkt positive Kenntnis von der Höhe der Einkünfte des S hatte.

21

c) Die Beweislast dafür, dass dem für die Veranlagung des Steuerpflichtigen zuständigen Sachbearbeiter ausnahmsweise auch nicht aktenkundige Tatsachen dienstlich bekannt waren oder nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung oder der präsenten Akten als bekannt zuzurechnen sind, trägt jedoch der Steuerpflichtige. Dies gilt insbesondere dann, wenn wegen des Unterlassens der Beiziehung "anderer" Akten die Verletzung der Ermittlungspflicht in Rede steht. Lassen sich entsprechende Umstände oder ein dahingehendes Fehlverhalten --wie im Streitfall-- nicht nachweisen, gelten nicht aktenkundige Tatsachen folglich nicht als bekannt und erlauben dem FA eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

22

Da der Zeuge B im Streitfall bei seiner Vernehmung durch das FG keinerlei Erinnerung mehr an den konkreten Steuerfall der Klägerin und des S hatte, lässt sich nicht mehr feststellen, ob dem Zeugen B als dem damals zuständigen Sachbearbeiter im Zeitpunkt der Veranlagung der Klägerin und des E die verwandtschaftlichen Beziehungen der Klägerin zu S und die Einkünfte des S im Streitjahr bekannt waren. Es ist somit auch nicht mehr feststellbar, ob der Zeuge B seinerzeit bei der Veranlagung der Klägerin und des E eine besondere Veranlassung hatte, hinsichtlich der Höhe der Einkünfte des S dessen Steuerakten beizuziehen. Folglich kann auch nicht (mehr) festgestellt werden, ob der Zeuge B durch das Unterlassen der Beiziehung der Steuerakten des S seine Ermittlungspflicht verletzt hat. Der Umstand, dass hiernach eine Verletzung der Ermittlungspflicht des FA im Streitfall nicht feststellbar ist, geht nach den oben dargelegten Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin.

23

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Die Beteiligten sind zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Sie kommen der Mitwirkungspflicht insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und die ihnen bekannten Beweismittel angeben. Der Umfang dieser Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.

(2) Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen, der sich auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes bezieht, so haben die Beteiligten diesen Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Sie haben dabei alle für sie bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Ein Beteiligter kann sich nicht darauf berufen, dass er Sachverhalte nicht aufklären oder Beweismittel nicht beschaffen kann, wenn er sich nach Lage des Falls bei der Gestaltung seiner Verhältnisse die Möglichkeit dazu hätte beschaffen oder einräumen lassen können.

(3) Ein Steuerpflichtiger hat über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen im Sinne des § 1 Absatz 4 des Außensteuergesetzes Aufzeichnungen zu erstellen. Die Aufzeichnungspflicht umfasst neben der Darstellung der Geschäftsvorfälle (Sachverhaltsdokumentation) auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Fremdvergleichsgrundsatz beachtende Vereinbarung von Bedingungen, insbesondere Preisen (Verrechnungspreisen), sowie insbesondere Informationen zum Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung, zur verwendeten Verrechnungspreismethode und zu den verwendeten Fremdvergleichsdaten (Angemessenheitsdokumentation). Hat ein Steuerpflichtiger Aufzeichnungen im Sinne des Satzes 1 für ein Unternehmen zu erstellen, das Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe ist, so gehört zu den Aufzeichnungen auch ein Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe und über die von ihr angewandte Systematik der Verrechnungspreisbestimmung, es sei denn, der Umsatz des Unternehmens hat im vorangegangenen Wirtschaftsjahr weniger als 100 Millionen Euro betragen. Eine multinationale Unternehmensgruppe besteht aus mindestens zwei in verschiedenen Staaten ansässigen, im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes einander nahestehenden Unternehmen oder aus mindestens einem Unternehmen mit mindestens einer Betriebsstätte in einem anderen Staat. Zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen sind zeitnah Aufzeichnungen zu erstellen. Die Aufzeichnungen im Sinne dieses Absatzes sind auf Anforderung der Finanzbehörde zu ergänzen.

(4) Die Finanzbehörde kann jederzeit die Vorlage der Aufzeichnungen nach Absatz 3 verlangen; die Vorlage richtet sich nach § 97. Im Falle einer Außenprüfung sind die Aufzeichnungen ohne gesondertes Verlangen vorzulegen. Die Aufzeichnungen sind jeweils innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Anforderung oder nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung vorzulegen. In begründeten Einzelfällen kann die Vorlagefrist verlängert werden.

(5) Um eine einheitliche Rechtsanwendung sicherzustellen, wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Art, Inhalt und Umfang der nach den Absätzen 3 und 4 zu erstellenden Aufzeichnungen zu bestimmen.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts des Saarlandes vom 13. März 2013  2 K 1503/08 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres 2007 verstorbenen Ehemanns (E). In ihrer am 22. Oktober 2001 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2000) machten die Eheleute Unterhaltsaufwendungen für ihren Sohn (S) als außergewöhnliche Belastungen geltend. Aus der Erklärung ergab sich, dass S als Student in Frankreich lebte und dort einen gemeinsamen Haushalt mit Ehefrau und zwei Kindern unterhielt. Die Klägerin und E teilten die eigenen Einkünfte des S, die sich im Streitjahr tatsächlich auf 31.047 DM beliefen, durch vier und gaben sie in der Einkommensteuererklärung dementsprechend nur in Höhe von 7.762 DM an.

3

In dem am 24. Oktober 2001 vom zuständigen Sachbearbeiter (B) freigegebenen Einkommensteuerbescheid vom 7. November 2001 berücksichtigte das FA die Unterhaltsaufwendungen für S in Höhe von 6.938 DM als außergewöhnliche Belastungen. Das FA ging dabei von eigenen Einkünften des S in Höhe von 7.762 DM aus.

4

S hatte seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr am 9. Oktober 2001 beim FA abgegeben. Er war ebenfalls von dem Sachbearbeiter B mit Bescheid vom 29. Oktober 2001 veranlagt worden, nachdem dieser am 12. Oktober 2001 die abschließende Zeichnung vorgenommen hatte. Der Gesamtbetrag der Einkünfte des S belief sich auf 31.047 DM.

5

Das FA änderte den Einkommensteuerbescheid vom 7. November 2001 am 19. Dezember 2002 --soweit es hier von Bedeutung ist-- gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Es ließ in diesem Bescheid wegen der Höhe der Einkünfte des S die Unterhaltsaufwendungen nicht mehr zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zu.

6

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) im ersten Rechtsgang ab. Allerdings berücksichtigte das FA in dem während des Klageverfahrens gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Bescheid vom 2. Juli 2009 Unterhaltsaufwendungen als außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 3.920 DM.

7

Mit Urteil vom 13. Juni 2012 VI R 85/10 (BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5) hob der Bundesfinanzhof (BFH) das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG habe nicht aufgeklärt, ob der für die Veranlagung der Klägerin und des S zuständige Sachbearbeiter B im maßgeblichen Zeitpunkt, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen gewesen sei, positive Kenntnis von der Höhe der Einkünfte des S gehabt habe. Das FG müsse daher im zweiten Rechtsgang aufklären, ob B im Zeitpunkt der Veranlagung der Klägerin und des E aufgrund der wenige Tage zuvor erfolgten Bearbeitung des Steuerfalls des S positive Kenntnis von dessen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Klägerin sowie von dessen Einkünften im Streitjahr besessen habe. Könne der Sachverhalt nicht (mehr) aufgeklärt werden, sei nach den Regeln der Beweislast zu entscheiden.

8

Im zweiten Rechtsgang wies das FG die Klage nach Vernehmung des B als Zeuge erneut ab. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass der Zeuge B, an dessen Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestünden, im Zeitpunkt der Veranlagung der Klägerin und des E aufgrund der wenige Tage zuvor erfolgten Bearbeitung des Steuerfalls des S positive Kenntnis von dessen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Klägerin und von dessen Einkünften im Streitjahr besessen habe. B habe glaubhaft bekundet, dass er sich weder an den Namen der Klägerin und des S noch an den konkreten Fall erinnern könne.

9

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

10

Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2000 vom 2. Juli 2009 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von weiteren außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 3.018 DM (1.543,08 €) festzusetzen.

11

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

13

Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass das FA den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid vom 7. November 2001 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigen durfte.

14

1. Im ersten Rechtsgang hat der beschließende Senat --für das FG bindend (§ 126 Abs. 5 FGO)-- entschieden, dass das FG im zweiten Rechtsgang aufklären müsse, ob B im Zeitpunkt der Veranlagung der Klägerin und des E aufgrund der wenige Tage zuvor erfolgten Bearbeitung des Steuerfalls des S positive Kenntnis von dessen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Klägerin und von dessen Einkünften im Streitjahr besessen habe.

15

Das FG hat daraufhin im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO den B als Zeuge für die von dem beschließenden Senat als entscheidungserheblich erachtete Frage vernommen.

16

Das FG hat aufgrund der in der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung wiedergegebenen Aussage des Zeugen B --insoweit nachvollziehbar-- festgestellt, dass sich der Zeuge B weder an den Namen der Klägerin oder des S noch sonst an den konkreten Fall erinnern konnte. Da dem Zeugen B der nach dem Senatsurteil in BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5 entscheidungserhebliche Sachverhalt bei seiner Vernehmung durch das FG somit überhaupt nicht mehr erinnerlich war, verbleibt es bei der auch für den Senat im zweiten Rechtsgang grundsätzlich bindenden rechtlichen Würdigung in dem zurückverweisenden Urteil (dazu BFH-Urteile vom 4. November 2004 III R 38/02, BFHE 208, 155, BStBl II 2005, 271, und vom 23. Oktober 1991 I R 52/90, BFH/NV 1992, 271), dass nach den Regeln der objektiven Beweislast zu entscheiden ist, wenn der Sachverhalt nicht (mehr) aufgeklärt werden kann.

17

Zwar hat das FG gegen die Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO verstoßen, indem es die Auffassung vertreten hat, dass die Regeln über die objektive Feststellungslast im Streitfall nicht maßgeblich seien. Die Vorentscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar. Denn auch bei Anwendung der Regeln über die objektive Feststellungslast durfte das FA den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern.

18

2. Die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die tatsächlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO trägt grundsätzlich das FA (BFH-Urteile vom 23. Januar 2002 XI R 55/00, BFH/NV 2002, 1009; vom 6. Dezember 1994 IX R 11/91, BFHE 176, 221, BStBl II 1995, 192; vom 22. April 1988 III R 89/86, BFH/NV 1988, 768, und vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 53, 85). Dies gilt jedoch nicht, soweit es nicht um die objektive Beweislast für die "neue Tatsache", sondern um die Verletzung der Ermittlungspflicht des FA geht. Diese Feststellungslast trifft den Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 19. Mai 1998 I R 140/97, BFHE 186, 124, BStBl II 1998, 599).

19

a) Nach ständiger Rechtsprechung gilt dem FA der Inhalt der Akten als bekannt, die in der zuständigen Dienststelle für den zu veranlagenden Steuerpflichtigen geführt werden (Senatsurteil in BFHE 238, 295, BStBl II 2013, 5, unter II.2.c, m.w.N.). Dagegen gelten Tatsachen, die sich aus den Akten anderer Steuerpflichtiger ergeben, auch dann nicht als bekannt, wenn für deren Bearbeitung dieselbe Person zuständig ist. Nach diesen Maßstäben war die tatsächliche Höhe der Einkünfte des S in Bezug auf die Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin und des E im Grundsatz eine neue steuererhöhende Tatsache, die das FA grundsätzlich zum Erlass des angefochtenen Änderungsbescheids gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtigte. Denn nach den nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat daher nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG ergaben sich die von S im Streitjahr tatsächlich erzielten Einkünfte nicht aus den für die Klägerin und E beim FA geführten Steuerakten.

20

b) Allerdings muss sich der zuständige Bearbeiter das Wissen aus einem anderen steuerlichen Verfahren zurechnen lassen, wenn zur Hinzuziehung des entsprechenden Vorgangs nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung oder der präsenten Akten, eine besondere Veranlassung bestand. Denn andernfalls zöge das Unterlassen der Beiziehung eine Verletzung der Ermittlungspflicht nach sich. Deshalb hat der beschließende Senat dem FG in dem zurückverweisenden Urteil aufgegeben aufzuklären, ob der für die Veranlagung der Klägerin und des S zuständige Sachbearbeiter in sonstiger Weise im maßgeblichen Zeitpunkt positive Kenntnis von der Höhe der Einkünfte des S hatte.

21

c) Die Beweislast dafür, dass dem für die Veranlagung des Steuerpflichtigen zuständigen Sachbearbeiter ausnahmsweise auch nicht aktenkundige Tatsachen dienstlich bekannt waren oder nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung oder der präsenten Akten als bekannt zuzurechnen sind, trägt jedoch der Steuerpflichtige. Dies gilt insbesondere dann, wenn wegen des Unterlassens der Beiziehung "anderer" Akten die Verletzung der Ermittlungspflicht in Rede steht. Lassen sich entsprechende Umstände oder ein dahingehendes Fehlverhalten --wie im Streitfall-- nicht nachweisen, gelten nicht aktenkundige Tatsachen folglich nicht als bekannt und erlauben dem FA eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

22

Da der Zeuge B im Streitfall bei seiner Vernehmung durch das FG keinerlei Erinnerung mehr an den konkreten Steuerfall der Klägerin und des S hatte, lässt sich nicht mehr feststellen, ob dem Zeugen B als dem damals zuständigen Sachbearbeiter im Zeitpunkt der Veranlagung der Klägerin und des E die verwandtschaftlichen Beziehungen der Klägerin zu S und die Einkünfte des S im Streitjahr bekannt waren. Es ist somit auch nicht mehr feststellbar, ob der Zeuge B seinerzeit bei der Veranlagung der Klägerin und des E eine besondere Veranlassung hatte, hinsichtlich der Höhe der Einkünfte des S dessen Steuerakten beizuziehen. Folglich kann auch nicht (mehr) festgestellt werden, ob der Zeuge B durch das Unterlassen der Beiziehung der Steuerakten des S seine Ermittlungspflicht verletzt hat. Der Umstand, dass hiernach eine Verletzung der Ermittlungspflicht des FA im Streitfall nicht feststellbar ist, geht nach den oben dargelegten Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin.

23

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; § 150 bleibt unberührt. Vollstreckungsgericht ist das Finanzgericht.

(2) Vollstreckt wird

1.
aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen,
2.
aus einstweiligen Anordnungen,
3.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen.

(3) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

Die in den §§ 711, 712 zugunsten des Schuldners zugelassenen Anordnungen sollen nicht ergehen, wenn die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.