Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 16. Juni 2015 - 5 K 1154/13

ECLI:ECLI:DE:FGRLP:2015:0616.5K1154.13.0A
bei uns veröffentlicht am16.06.2015

Tenor

I. Die geänderten Einkommensteuerbescheide vom 23.04.2012 sowie die Einspruchsentscheidung vom 23.01.2013 werden aufgehoben.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der vom Beklagten zu tragenden Kosten zugunsten der Klägerin vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob bestandskräftige Einkommensteuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geändert werden können.

2

Die im Jahr 1926 geborene Klägerin war bis einschließlich des Jahres 2006 von dem Finanzamt B zur Einkommensteuer veranlagt worden. Im Jahr 2007 verzog die Klägerin in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten, der die Besteuerung der Klägerin ab dem Jahr 2007 übernahm. Dabei wurden dem Beklagten lediglich Kontoauszüge übersandt, die Steuerakten verblieben bei dem Finanzamt B (Übernahme im sog. aktenlosen Verfahren).

3

Mit bei dem Beklagten für die Streitjahre 2007 bis 2010 eingereichten Einkommensteuererklärungen erklärte die Klägerin u.a. in der Anlage R eine Leibrente aus „sonstigen Verpflichtungsgründen“ i.H.v. 90.000,- € jährlich, die am 01.01.1994 begonnen hatte und bis zu ihrem Tod läuft (Bl. 14, 39, 58, 72 Einkommensteuerakte – EStA). Nähere Erläuterungen erfolgten nicht. Die maschinelle Datenverarbeitung für die Einkommensteuerveranlagung des Jahres 2007 steuerte im Rahmen des Risikomanagements einen Prüfhinweis betreffend die Rente aus (Bl. 15 EStA). Da – nach den Angaben des Beklagten – ein Steuerbescheid des Finanzamtes B ergab, dass die Zahlungen in der Vergangenheit mit dem Ertragsanteil (i.H.v. 17 %) der Steuerpflicht unterworfen worden waren, berücksichtigte der Beklagte mit Einkommensteuerbescheiden vom 04.11.2008 (2007), vom 13.10.2009 (2008), vom 06.09.2010 (2009) und vom 04.08.2011 (2010) die von der Klägerin erklärte Leibrente in allen Jahren entsprechend mit einem Ertragsanteil i.H.v. 17 %. Der maschinelle Prüfhinweis aus dem Jahr 2007 wurde mit dem handschriftlichen Bearbeitervermerk „erstmalige VA bei FA A s. Bescheid v. FA B“ versehen. Sämtliche Bescheide wurden bestandskräftig (Bl. 20 ff., 41 ff., 59 ff., 73 ff. EStA).

4

Am 06.03.2012 übersandte das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung dem Beklagten eine Kontrollmitteilung. Danach war bei der Prüfung des Sohnes der Klägerin festgestellt worden, dass dieser aus einem im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge geschlossenen notariellen Übertragungsvertrag vom 29.10.1993 regelmäßig Zahlungen i.H.v. 90.000,- € jährlich an seines Mutter – die Klägerin - geleistet hatte, die als dauernde Last bisher als Werbungskosten im Rahmen seiner Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt worden, richtigerweise jedoch bei seinen Sonderausgaben abzusetzen seien (Bl. 81 EStA). Der der Zahlungsverpflichtung zugrunde liegende notarielle Vertrag war der Kontrollmitteilung beigefügt (Bl. 83 ff. EStA). Nach Prüfung der übersandten Unterlagen gelangte der Beklagte zu dem Ergebnis, dass die von der Klägerin geltend gemachten Versorgungsleistungen i.H.v. 90.000,- € jährlich korrespondierend in voller Höhe steuerpflichtig seien. Da der notarielle Übertragungsvertrag dem Beklagten erstmals mit der Kontrollmitteilung vorlag und er – nach seinen Angaben – bis zu diesem Tag von dem Rechtsgrund für die erklärten Zahlungen keine Kenntnis gehabt hatte, sah der Beklagte außerdem die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO als erfüllt an und änderte die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre auf dieser Grundlage dahingehend, dass er die von der Klägerin erhaltenen Zahlungen als wiederkehrende Bezüge (dauernde Last) der vollen Besteuerung unterwarf (geänderte Einkommensteuerbescheide für 2007 bis 2010 vom 23.04.2012). Die Änderungen wurden in den Bescheiden erläutert (Bl. 27 ff., 48 ff., 64 ff., 78 ff. EStA).

5

Die Klägerin erhob dagegen am 23.05.2012 Einspruch und trug vor, der Übertragungsvertrag vom 29.10.1993 habe dem Finanzamt B bereits im Rahmen des Veranlagungsverfahrens 1994 vorgelegen. Sie könne sich lediglich nicht mehr daran erinnern, ob sie den Vertrag bereits mit der Einkommensteuererklärung 1994 oder erst später auf Anforderung des Finanzamtes während des Veranlagungsverfahrens eingereicht habe. Sie habe ihren Mitwirkungspflichten genügt. Die rechtliche Prüfung der erklärten Zahlungen als Leibrente habe dem Finanzamt oblegen.

6

Mit Einspruchsentscheidung vom 23.01.2013 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er führte im Wesentlichen aus, der vom Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung im März 2012 übersandte Übertragungsvertrag vom 29.10.1993 habe ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegen. Der Vertrag sei ein nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel; die Regelungen des Vertrages seien nachträglich bekannt gewordene Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

7

Die bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 1994 dem damals zuständigen Finanzamt B bekannt gewordenen Tatsachen seien nicht durch den Zuständigkeitswechsel zum Beklagten unbekannt geworden, sondern durch das Archivieren der Altakten. Letztlich sei es deshalb unerheblich, ob und wann der Übertragungsvertrag vom 29.10.1993 dem Finanzamt B bei der Steuerveranlagung 1994 vorgelegen habe oder nicht, denn die Akten des Jahres 1994 wären bei dem vormals zuständigen Finanzamt B zwischenzeitlich archiviert, wenn nicht sogar vernichtet worden. Die damals bekannt gewordenen Tatsachen seien dadurch unbekannt geworden. Nach der Rechtsprechung des BFH müsse das Finanzamt eine in archivierten Akten festgehaltene Tatsache nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen, wenn für die Hinzuziehung der Altakten nach den Umständen des Falles, d.h. nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärungen oder der präsenten Akten, eine besondere Veranlassung bestanden habe. Denn nur in diesem Fall ziehe die unterlassene Beiziehung der archivierten Akten eine Verletzung der Ermittlungspflicht nach sich. Eine besondere Veranlassung zur Beiziehung der Altakten oder zu weitergehenden Ermittlungen sei im Streitfall nicht gegeben gewesen. Die Steuererklärungen 2007 bis 2010 seien unter Mitwirkung eines Steuerberaters (und Diplom-Kaufmanns) erstellt worden, sodass er – der Beklagte - diesen Erklärungen ein erhöhtes Vertrauen habe entgegenbringen dürfen. Auch sei die Erklärung einer Leibrente weder zweifelhaft, geschweige denn offensichtlich falsch gewesen. Die Finanzbehörde sei nicht verpflichtet, den Sachverhalt auf alle möglichen Fallgestaltungen zu erforschen, sie brauche den Steuererklärungen auch nicht mit Misstrauen zu begegnen, sondern könne im Regelfall davon ausgehen, dass die Angaben des Steuerpflichtigen in der Steuererklärung vollständig und richtig seien.

8

In Akten befindliche Tatsachen könnten durch eine Archivierung unbekannt werden, denn sonst ergebe die Rechtsprechung des BFH für die Hinzuziehung von archivierten Altakten keinen Sinn. Ausgenommen davon seien lediglich Vorgänge der zwei vorangegangenen Jahre, die nicht dadurch unbekannt würden, dass das Finanzamt sie im Keller ablege (BFH-Urteil vom 09.12.1998 – IV B 22/98, BFH/NV 1999, 900). Dieser Ausnahmefall sei vorliegend aber nicht gegeben. Vielmehr seien die Grundsätze des BFH-Urteils vom 18.05.2010 (X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225) auf den Streitfall übertragbar. Denn wie in dem von dem BFH zu beurteilenden Sachverhalt sei auch im Streitfall das Vorliegen einer dauernden Last für den Beklagten nicht aus den bei ihm geführten aktuellen Akten, sondern allenfalls aus den von dem Finanzamt B archivierten Akten ersichtlich gewesen, für deren Hinzuziehung – wie dargelegt – keine Veranlassung bestanden habe. Auch der Grundsatz von Treu und Glauben stehe einer Änderung der Einkommensteuerfestsetzungen betreffend die Streitjahre nicht entgegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Einspruchsentscheidung verwiesen (Bl. 116 ff. EStA).

9

Mit der dagegen am 11.02.2013 erhobenen Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, der Übertragungsvertrag vom 29.10.1993 stelle zwar eine Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dar, jedoch sei diese dem Beklagten nicht im Sinne der Änderungsvorschrift nachträglich bekannt geworden. Der Vertrag sei sowohl dem Finanzamt B als auch ab dem Jahr 2007 dem Beklagten bekannt gewesen, denn weder durch eine von dem Beklagten behauptete Archivierung der Altakten noch durch den Zuständigkeitswechsel sei er wieder unbekannt geworden.

10

Die Argumentation des Beklagten, wonach im Streitfall keine besondere Veranlassung für die Hinzuziehung des archivierten Übertragungsvertrages bestanden habe, setze voraus, dass eine Archivierung der Akten rechtmäßig erfolgt sei. Sei dies nicht der Fall, bestehe eine Pflicht, die (pflichtwidrig archivierten) Akten bei der Veranlagung hinzuzuziehen. Der Beklagte habe den Übertragungsvertrag vom 29.10.1993 noch gar nicht archivieren dürfen. Der Vertrag betreffe einen Dauertatbestand mit Wirkung für die Zukunft. Er diene bis zum Tod der Klägerin als Rechtsgrundlage für die laufend von ihr bezogenen Zahlungen, sodass der Vorgang noch nicht abgeschlossen sei und mithin nicht hätte archiviert werden dürfen. Die Rechtswidrigkeit der Archivierung des Übertragungsvertrages ergebe sich auch aus dem gleich lautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder zur Neufassung der Geschäftsordnung für die Finanzämter (FAGO 2010) vom 16.11.2010, BStBl I 2010, 1315. Nach Ziffer 3.4.7 Abs. 3 FAGO 2010 hätte der Übertragungsvertrag in einer besonderen Einzelakte „Vertragsakte“ abgelegt werden müssen. Dass er nicht hätte archiviert werden dürfen ergebe sich aus Ziffer 3.4.3 Abs. 6 FAGO, denn danach seien nur abgeschlossene Vorgänge aus dem laufenden Aktenbestand herauszunehmen und zu archivieren. Insofern unterscheide sich der Streitfall auch von dem dem BFH-Urteil vom 18.05.2010 zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem es um die Kenntnis eines punktuellen und abgeschlossenen Vorgangs ohne Auswirkung auf die (künftige) aktuelle Veranlagung gegangen sei.

11

Im Übrigen werde die Archivierung der Altakten rein vorsorglich mit Nichtwissen bestritten.

12

Die Klägerin beantragt,
die geänderten Einkommensteuerbescheide vom 23.04.2012 sowie die Einspruchsentscheidung vom 23.01.2013 aufzuheben,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.

13

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

14

Zur Begründung trägt er vor, die Voraussetzungen des § 173 Abs.1 Nr. 1 AO seien im Streitfall erfüllt. Tatsache im Sinne der Vorschrift sei der in dem Vertrag beurkundete tatsächliche Vorgang einer Grundstücksübertragung gegen eine aus den daraus erzielbaren laufenden Nettoerträgen zahlbaren Versorgungsleistung. Diese Tatsache sei jedenfalls ihm - dem Beklagten - nachträglich bekannt geworden. Ob der Vertrag dem Finanzamt B jemals vorgelegen habe, sei völlig unklar. Die Akten seien jedenfalls nicht mehr da. Die Klägerin habe mit Angabe einer Leibrente in den von ihr eingereichten Einkommensteuererklärungen seit Jahren durchgängig ihre Mitwirkungspflichten gegenüber der Finanzbehörde verletzt. In der Abwägung dieser Mitwirkungspflichtverletzung und der Ermittlungspflichtverletzungen auf Seiten der Finanzbehörde liege die Lösung des Streitfalles.

15

Im Übrigen verweist der Beklagte auf die Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt er noch vor, auch ein Dauertatbestand (Rentenbezug, Mietverhältnis) unterliege nicht der permanenten Überwachung durch die Finanzbehörde. So werde ein Rentenbezug oder ein Mietverhältnis regelmäßig im Erstjahr intensiv überprüft und in den Folgejahren nicht mehr. Nur bei beobachtungsbedürftigen Dauersachverhalten bestehe eine besondere Veranlassung zur Beiziehung von Altakten. Es sei weder erforderlich noch geboten, jeden Vertrag ständig bei den laufenden Akten zu halten und von der Archivierung auszunehmen. Eine weitergehende Verpflichtung könne auch nicht aus der FAGO 2010 hergeleitet werden. Auch sei zu berücksichtigen, dass im sog. aktenlosen Verfahren nur die Vorgänge der vorangegangenen zwei Veranlagungszeiträume als bekannt zu gelten haben.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage ist begründet.

17

Die angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2010 vom 23.04.2012 sowie die Einspruchsentscheidung vom 23.01.2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO). Die Voraussetzungen zur Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 2007 bis 2010 nach der im Streitfall allein in Betracht kommenden Korrekturvorschrift gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO liegen nicht vor, sodass die Änderungsbescheide aufzuheben sind.

18

1. Streitig ist vorliegend nicht die materiell rechtliche Behandlung der von der Klägerin bezogenen Versorgungsrente in Form einer dauernden Last, sondern allein die Frage, ob der Beklagte berechtigt war, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide der Jahre 2007 bis 2010 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern.

19

2. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

20

a) Tatsache im Sinne der Vorschrift ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Demgegenüber sind rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen, keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 AO. Auch eine geänderte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, d.h. eine andere rechtliche Wertung bereits bekannter Tatsachen, ist keine Tatsache im Sinne der zuletzt bezeichneten Vorschrift (st. Rspr. z.B. BFH-Urteile vom 07. Juli 2004 - XI R 10/03, BStBl II 2004, 911 und vom 14.05.2003, BFH/NV 2003, 1144).

21

b) Nachträglich werden Tatsachen bekannt, wenn sie nach dem Zeitpunkt, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist, bekannt werden. Hierbei kommt es auf den Kenntnisstand der Finanzbehörde, und zwar der Personen an, die innerhalb der Behörde dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten. Zu diesen Personen zählen in der Regel der (zeichnungsberechtigte) Sachbearbeiter, der Sachgebietsleiter und der Vorsteher des Finanzamtes (BFH-Urteile vom 13. Juni 2012 - VI R 85/10, BStBl II 2013, 5 und vom 14. November 2007 - XI R 48/06, BFH/NV 2008, 367 m.w.N.). Dabei gilt für jede Stelle innerhalb der Behörde das als bekannt, was sich aus dem Inhalt der von ihr geführten Akten ergibt, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankommt. Ebenso wenig werden einmal bekannt gewordene Tatsachen durch Ablage der Vorjahresunterlagen im Keller wieder unbekannt (ständige Rspr., vgl. Urteile des BFH vom 8. Dezember 2011 - VI R 49/09, BFH/NV 2010, 692; vom 22. April 2010 - VI R 40/08, BStBl II 2010, 951 und vom 5. Dezember 2002 - IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588 jeweils m.w.N.). Hinsichtlich archivierter Akten entspricht es der gefestigten Rechtsprechung des BFH, dass die zuständige Dienststelle des Finanzamtes den Inhalt dieser Akten nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen muss, wenn zur Hinzuziehung dieser Vorgänge nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung eine besondere Veranlassung bestand. Nur wenn diese Voraussetzung gegeben ist, führt die unterlassene Beiziehung der archivierten Akten zu einer Verletzung der Ermittlungspflicht (BFH-Urteile vom 11.02.1998 – I R 82/97, BStBl II 1998, 552 und vom 18.05.2010 – X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225 m.w.N.).

22

c) Nach dem auch im Steuerrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben ist das Finanzamt gehindert, einen Steuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn ihm die Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre, sofern allerdings der Steuerpflichtige seinerseits seiner Mitwirkungspflicht in vollem Umfang genügt hat (st. Rspr., vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18.05.2010 – X R 49/08, a.a.O.). Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (st. Rspr., vgl. BFH-Urteil vom 21.01.2015 – X R 16/12, BFH/NV 2015, 815 m.w.N.). Das Finanzamt verletzt in der Regel seine aus § 88 AO folgende Ermittlungspflicht, wenn es ersichtlichen Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die sich bei einer Prüfung der Steuererklärung sowie der eingereichten Unterlagen ohne Weiteres aufdrängen mussten, nicht nachgeht (st. Rspr., vgl. BFH-Urteile vom 06. Februar 2013 - X B 164/12, BFH/NV 2013, 694; vom 08. Dezember 2011 - VI R 49/09, BFH/NV 2012, 692 und vom 16. Juni 2004 - X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502 m.w.N.). Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO trägt das Finanzamt die Feststellungslast (Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, § 88 AO Tz. 32; § 173 AO Tz. 53).

23

3. Unter Berücksichtigung dieser höchstrichterlichen Grundsätze, denen der Senat folgt, war der Beklagte zur Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 2007 bis 2010 nicht befugt. Die Voraussetzungen der vorliegend einzig in Betracht kommenden Korrekturvorschrift nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind nicht erfüllt.

24

a) Der Senat hat schon Zweifel daran, ob dem Beklagten mit der Übersendung des Übertragungsvertrages durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung eine Tatsache bzw. ein Beweismittel i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bekannt geworden ist. Denn mit der neuerlichen Prüfung und Qualifizierung der von der Klägerin in allen Streitjahren bereits erklärten Rente aus sonstigem Verpflichtungsgrund als dauernde Last anstelle als Leibrente hat der Beklagte das ausweislich der Steuerakten dokumentierte Ergebnis seiner vormaligen Rechtsprüfung hinsichtlich der von der Klägerin bezogenen Zahlung geändert. Eine geänderte Rechtsauffassung bzw. eine geänderte juristische Subsumtion stellt jedoch gerade keine Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dar. Folgt man dem Beklagten darin, dass mit dem Übertragungsvertrag vom 29.10.1993 tatsächliche Umstände, mithin Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, beurkundet worden sind, die – wie beispielsweise die Finanzierbarkeit der Rente aus den erzielbaren laufenden Nettoerträgen des übergebenen Vermögens sowie deren vertraglich vereinbarte Abänderbarkeit – als (neue) konstitutive Elemente einer dauernden Last die ursprüngliche Wertung der Zahlungen als Leibrente unzutreffend werden lassen, so steht einer Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO entgegen, dass diese Tatsachen dem Beklagten nicht nachträglich bekannt geworden sind.

25

b) Die Kenntnis des vormals zuständigen Finanzamtes B von der zwischen der Klägerin und ihrem Sohn beurkundeten Grundstücksübertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge muss sich der Beklagte zurechnen lassen. Das Gericht geht davon aus, dass dem Finanzamt B der Übertragungsvertrag vom 29.10.1993 vorlag. Denn dafür, dass dies nicht der Fall gewesen sein könnte, wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erstmals zu Bedenken gegeben hat, ist nichts ansatzweise ersichtlich. Insofern wertet der Senat diese Behauptung allenfalls als eine hypothetische Möglichkeit ins Blaue hinein, die keinerlei Veranlassung bot, dem tatsächlich nachzugehen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Übertragungsvertrag vom 29.10.1993 auch nicht durch eine mögliche Archivierung bzw. Vernichtung der Altakten unbekannt geworden.

26

1) Bei der von der Klägerin aus dem Vertrag bezogenen Versorgungsleistung handelt es sich um einen bis zu ihrem Tod währenden Dauersachverhalt, dessen Umstände nicht durch ein Ablegen bzw. eine (eventuelle) Archivierung von damit in Zusammenhang stehenden Unterlagen im Keller bzw. im Archiv unbekannt geworden sind. Denn das Bekanntsein einer Tatsache erstreckt sich grundsätzlich auf alle Veranlagungszeiträume, für die die Tatsache relevant ist (von Wedelstädt in Beermann/Gosch, Kommentar zur AO,    § 173 Rn. 56.4; vgl. auch FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.06.2000 – 1 K 1915/97, EFG 2001, 334). Dies muss zur Überzeugung des Senats jedenfalls für – wie im Streitfall – Dauertatbestände mit Wirkung für die Zukunft gelten, denn der Übertragungsvertrag ist bei erstmaliger Geltendmachung der Rentenzahlung zu prüfen und entsprechend dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung anschließend in jedem Veranlagungszeitraum Grundlage für die Prüfung und Qualifizierung der geltend gemachten Versorgungszahlungen. Die Notwendigkeit einer jährlichen Überprüfung des Vorgangs zeigt sich im Streitfall mehr als deutlich darin, dass es sich um einen Vertrag zwischen nahen Angehörigen handelt, für dessen steuerliche Anerkennung u.a. auch die tatsächliche Durchführung des Vereinbarten feststehen muss. Wollte man dies anders sehen, wäre das Bekanntsein von Steuer relevanten Umständen, die Dauersachverhalte betreffen, im Übrigen von Zufälligkeiten abhängig, die dem Kenntnisbereich des Steuerpflichtigen entzogen wären. Ein Steuerpflichtiger müsste dann stets neu und von sich aus Unterlagen beim Finanzamt einreichen, da er nie sicher sein könnte, ob die früher eingereichten Unterlagen nicht bereits archiviert sind.

27

2) Dem steht auch nicht das Urteil des BFH vom 18.05.2010 (X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225) entgegen. Die Grundsätze dieser Entscheidung sind auf den Streitfall nicht ohne Weiteres übertragbar, denn ihr liegt ein Sachverhalt zugrunde, der mit dem vorliegenden nicht vergleichbar ist. In dem von dem BFH zu beurteilenden Fall ging es um die Kenntnis bzw. Erkennbarkeit einer betrieblichen Veranlassung von Schuldzinsen aus einer in zwischenzeitlich archivierten Akten erfolgten Einbuchung von Darlehen in das Betriebsvermögen, mithin aus einem punktuellen, vergangenen und damit abgeschlossenen Vorgang. Die von der Klägerin jährlich erklärte Versorgungsrente ist jedoch ein Dauersachverhalt, der in jedem Veranlagungszeitraum rechtlich neu zu überprüfen ist. Vor diesem Hintergrund handelt es sich im Streitfall genau um den zeitraumübergreifenden Sachverhalt, der nach dem Urteil des BFH vom 11.02.1998 (I R 82/97, BStBl II 1998, 552) die veranlagende Dienststelle zur permanenten Beobachtung der steuerrelevanten Altvorgänge zwingt.

28

c) Archiviert das Finanzamt in einem solchen Fall dennoch den Dauersachverhalt betreffende Unterlagen bzw. vernichtet diese, müssen die insoweit relevanten Unterlagen bei der Veranlagung im Rahmen der nach § 88 AO bestehenden Ermittlungspflicht der Behörde neu angefordert und überprüft werden. Mit Übernahme der von der Klägerin erklärten Leibrente ohne eigene Prüfung des ihr zugrunde liegenden Verpflichtungsgrundes hat der Beklagte damit in den Streitjahren zudem seine Ermittlungspflicht verletzt, sodass er auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an einer Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2010 gehindert gewesen ist. Die steuerrechtliche Beurteilung der von der Klägerin in den Streitjahren erklärten Zahlungen allein anhand eines Steuerbescheids des Finanzamtes B, anstelle den den Zahlungen zugrunde liegenden Übertragungsvertrag von der Klägerin anzufordern, war in diesem Zusammenhang offensichtlich unzureichend. Letztlich hat der Beklagte damit die Ergebnisse der Rechtsprüfung des Finanzamtes B übernommen. Dabei wäre – wie vorstehend bereits ausgeführt – im Rahmen der Abschnittsbesteuerung die jährliche Überprüfung des Vorganges in der Veranlagung angezeigt gewesen, zumal das maschinelle Datenverarbeitungssystem den Bearbeiter noch auf eine Überprüfung der erklärten Rente hingewiesen hat. Eine demgegenüber schwerere Mitwirkungspflichtverletzung der Klägerin betreffend die Steuererklärungen der Streitjahre vermag das Gericht indes nicht zu erkennen, denn die Klägerin hat die erhaltenen Zahlungen wie in den Vorjahren erklärt. Der Senat verkennt nicht, dass der Sohn der Klägerin die von ihm in den Streitjahren an seine Mutter gezahlten Versorgungsleistungen wohl in voller Höhe steuerlich geltend gemacht haben dürfte. Jedoch besteht das im Rahmen der Einkünfte aus § 22 EStG verwirklichte Korrespondenzprinzip rein materiell-rechtlich, mit der Folge, dass verfahrensrechtlich keine Abhängigkeit zwischen dem Abzug der Zahlungen und ihrer Erfassung besteht (vgl. Blümich/Nacke, Kommentar zum EStG, § 22 Rn. 68). Somit kann auch dieser Umstand vorliegend nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 115 Abs. 2 FGO).

Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 16. Juni 2015 - 5 K 1154/13

Urteilsbesprechungen zu Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 16. Juni 2015 - 5 K 1154/13

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd
Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 16. Juni 2015 - 5 K 1154/13 zitiert 11 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 100


(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an di

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 151


(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; §

Abgabenordnung - AO 1977 | § 173 Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel


(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,1.soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,2.soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer

Einkommensteuergesetz - EStG | § 22 Arten der sonstigen Einkünfte


Sonstige Einkünfte sind1.Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen, soweit sie nicht zu den in § 2 Absatz 1 Nummer 1 bis 6 bezeichneten Einkunftsarten gehören; § 15b ist sinngemäß anzuwenden.2Werden die Bezüge freiwillig oder auf Grund einer freiwillig b

Abgabenordnung - AO 1977 | § 88 Untersuchungsgrundsatz


(1) Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. (2) Die Finanzbehörde bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen

Referenzen - Urteile

Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 16. Juni 2015 - 5 K 1154/13 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 16. Juni 2015 - 5 K 1154/13 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesfinanzhof Urteil, 21. Jan. 2015 - X R 16/12

bei uns veröffentlicht am 21.01.2015

Tenor Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 16. Juni 2011  3 K 3521/08 E wird als unbegründet zurückgewiesen.

Bundesfinanzhof Beschluss, 06. Feb. 2013 - X B 164/12

bei uns veröffentlicht am 06.02.2013

Tatbestand 1 I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 2005 bis 2007 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger wa

Bundesfinanzhof Urteil, 13. Juni 2012 - VI R 85/10

bei uns veröffentlicht am 13.06.2012

Tatbestand 1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres 2007 verstorbenen Ehemanns (E). E hatte im Streitjahr (2000) Einkünfte a

Bundesfinanzhof Urteil, 08. Dez. 2011 - VI R 49/09

bei uns veröffentlicht am 08.12.2011

Tatbestand 1 I. Im Streitjahr 1999 erzielte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) als Arbeitnehmerin der X-GmbH, einer Tochtergesellschaft der Y-AG (AG), Einkünf

Bundesfinanzhof Urteil, 18. Mai 2010 - X R 49/08

bei uns veröffentlicht am 18.05.2010

Tatbestand 1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre 1996 bis 1999 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger er

Bundesfinanzhof Urteil, 22. Apr. 2010 - VI R 40/08

bei uns veröffentlicht am 22.04.2010

Tatbestand 1 I. Streitig ist, ob bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern sind.

Referenzen

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre 1996 bis 1999 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielt aus einer Handelsvertretung Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich.

2

Für die Streitjahre ergingen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Einkommensteuerbescheide und Gewerbesteuermessbescheide. Die Festsetzungen waren jeweils lediglich wegen einzelner verfassungsrechtlicher Fragen vorläufig. Auch die Gewerbesteuerzerlegungsbescheide für 1997 bis 1999 ergingen endgültig.

3

Im Rahmen einer Außenprüfung beim Kläger vertrat der Prüfer und ihm folgend der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, Zinsen in Höhe von 35.163,82 DM (für 1997), von 33.258,63 DM (für 1998) und von 28.105,73 DM (für 1999) seien nicht als Betriebsausgaben abziehbar. Die Zahlungen beruhten auf zwei Darlehen, die nicht im Zusammenhang mit betrieblichen Vorgängen ständen.

4

Die Kläger hatten mit notariellem Vertrag vom 9. Dezember 1983 das mit einem Zweifamilienhaus bebaute Grundstück X in Z zu einem Kaufpreis von 845.000 DM erworben. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm die Klägerin bei der Stadtsparkasse Z zwei Darlehen über 520.000 DM (Kontonummer: Y1; künftig SSK Y1) und 280.000 DM (Kontonummer: Y2; künftig SSK Y2) auf. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärungen bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1985 machten die Kläger die Gesamtzinsen beider Darlehen als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. In der Gewinnermittlung für die klägerische Handelsvertretung 1986 buchte der Kläger zunächst über das Privatentnahmekonto das Darlehen SSK Y1 in Höhe von 512.299,20 DM. In seiner Bilanz zum 31. Dezember 1986 sowie in den Folgejahren wies er dieses Darlehen in Höhe von 506.403,61 DM als Verbindlichkeit aus. Im Rahmen der Gewinnermittlung für das Jahr 1989 verfuhr der Kläger mit dem Darlehen über den Ursprungsbetrag von 280.000 DM (SSK Y2) entsprechend.

5

Das FA erließ nach § 173 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) am 4. September 2001 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1997 bis 1999, in denen der Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb unter anderem um die genannten Zinsbeträge erhöht wurde. Eine entsprechende Korrektur der für diese Jahre ergangenen Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide wurde vom FA nach § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) vorgenommen. Der gegen diese geänderten Einkommensteuerbescheide gerichtete Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA in erneut geänderten Einkommensteuerbescheiden für 1997 bis 1999 die Zinsen aus den streitbefangenen Darlehen anteilig (der Höhe nach unstreitig) steuermindernd als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte.

6

Zudem erließ das FA unter dem 14. Dezember 2001 einen auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützten geänderten Einkommensteuerbescheid 1996. In diesem wurden die klägerischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb um die Zinsen aus den streitbefangenen Darlehen erhöht, diese jedoch gleichzeitig aber anteilig in unstreitiger Höhe bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt.

7

Die Einsprüche blieben erfolglos.

8

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 231 veröffentlichten Urteil ab. Die zu beurteilenden Schuldzinsen seien nicht betrieblich veranlasst. Die ihnen zugrunde liegenden Darlehen seien nicht zu betrieblichen Zwecken verwandt worden. Ein solcher betrieblicher Zusammenhang sei auch nicht nachträglich durch eine Umwidmung hergestellt worden. Hierfür sei der bloße buchmäßige Ausweis der Darlehen in der Bilanz der Kläger nicht ausreichend. Durch eine bloße Willensentscheidung des Steuerpflichtigen könne ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit einer bestimmten Einkunftsart nicht hergestellt werden.

9

Das FA sei auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass der geänderten Steuerbescheide berechtigt gewesen. Nachträglich sei bekannt geworden, dass ein privates, durch die Ehefrau des Klägers aufgenommenes, der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung zuzuordnendes Darlehen nur aufgrund eines Willensaktes des Klägers als betriebliches Darlehen behandelt worden sei. Aus den Bilanzen des Klägers sei dieser Vorgang auch unter Einbeziehung der Akten der Vorjahre so nicht erkennbar gewesen. Denn im Falle einer steuerlich anzuerkennenden Umwidmung hätte der buchmäßige Ausweis der Darlehensverbindlichkeit in gleicher Weise erfolgen müssen.

10

Mit ihrer Revision machen die Kläger weiterhin geltend, das FA sei nicht berechtigt gewesen, die Steuerbescheide zu ändern und die in Frage stehenden Schuldzinsen nicht mehr als Betriebsausgaben abzuziehen. Eine Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO scheide im Streitfall aus. Sie, die Kläger, hätten in vollem Umfang ihrer steuerlichen Mitwirkungspflicht dadurch genügt, dass sie die Darlehen offen in der Bilanz 1986 bzw. 1989 neu als Verbindlichkeit ausgewiesen und im Gegenzug eine Buchung auf dem Privatentnahmekonto vorgenommen hätten. Durch die Einbuchung der bis dahin bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend gemachten Darlehen als nunmehr betriebliche Verbindlichkeiten und deren eindeutige Kennzeichnung im Rahmen der Beschriftung der Konten im Kontennachweis hätten sie diesen Vorgang für das FA offenkundig gemacht. Dass das FA die steuerliche Behandlung nicht beanstandet habe, beruhe ausschließlich darauf, dass es seiner Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei. Unerheblich sei der Vortrag des FA, in den Streitjahren habe kein Anlass für weiter gehende Ermittlungen vorgelegen. Da dem FA (aufgrund der Steuererklärungen 1986 und 1989) die Umwidmung der Darlehen bekannt gewesen sei, hätte es, sofern sie diese für fragwürdig gehalten hätte, seinerzeit weitere Nachforschungen anstellen müssen.

11

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004 (bezogen auf die Einkommensteuer 1996 bis 1999) aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid 1996 vom 14. Dezember 2001 und die geänderten Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 7. Februar 2002 in der Weise zu ändern, dass Schuldzinsen von 32.733 DM (1996), von 35.163 DM (1997), von 33.258 DM (1998) und von 28.105 DM (1999) vollständig steuermindernd berücksichtigt werden.

12

Der Kläger beantragt des Weiteren,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004 (bezogen auf die Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 und die Bescheide über die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags 1997 bis 1999) die Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 11. September 2001 und die Gewerbesteuerzerlegungsbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 20. September 2001 in der Weise zu ändern, dass die für diese Jahre vorstehend genannten Schuldzinsen vollständig gewinnmindernd berücksichtigt werden.

13

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

14

Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO lägen vor.

Entscheidungsgründe

15

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend erkannt, dass die zu beurteilenden Schuldzinsen keine Betriebsausgaben sind (unter 1.). Im Ergebnis zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass das FA gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass geänderter Einkommensteuerbescheide berechtigt war (unter 2.). Daher konnte es auch die zuvor ergangenen Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide entsprechend ändern (unter 3.).

16

1. Zutreffend hat das FG angenommen, dass die hier zu beurteilenden Schuldzinsen wegen fehlender betrieblicher Veranlassung (§ 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) nicht als Betriebsausgaben abziehbar sind.

17

a) Schuldzinsen sind dann Betriebsausgaben, wenn die Zinsen für eine Verbindlichkeit geleistet werden, die durch den Betrieb veranlasst ist und deshalb zum Betriebsvermögen gehört. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn ein Steuerpflichtiger liquide Mittel seines Betriebs entnimmt und zur Tilgung privater Verbindlichkeiten verwendet und er betriebliche Vorgänge mittels eines Kredits finanziert (sog. Zweikonten-Modell; vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Dezember 1997 GrS 1-2/95, BFHE 184, 7, BStBl II 1998, 193; BFH-Urteil vom 20. Juni 2000 VIII R 57/98, BFH/NV 2001, 28, und Senatsurteil vom 21. September 2005 X R 46/04, BFHE 211, 238, BStBl II 2006, 125). Da allein die tatsächliche Verwendung der Darlehensvaluta maßgebend ist, sind Schuldzinsen nicht bereits deshalb betrieblich veranlasst, wenn der Steuerpflichtige mittels des Kredits ein privates Wirtschaftsgut finanziert, er aber in der Lage gewesen wäre, eine Finanzierung über das Zweikonten-Modell durchzuführen (BFH-Urteile in BFH/NV 2001, 28, und vom 29. August 2001 XI R 74/00, BFH/NV 2002, 188).

18

b) Auch ist es nach Auffassung des Großen Senats des BFH nicht möglich, einen betrieblichen Veranlassungszusammenhang durch eine bloße wirtschaftliche Umschuldung herzustellen. Ein zu privaten Zwecken aufgenommenes Darlehen kann nicht dadurch wirtschaftlich umgeschuldet werden, dass der Steuerpflichtige durch den bilanziellen Ausweis des Darlehens den Verwendungszweck des privaten Darlehens verändert (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 184, 7, BStBl II 1998, 193, unter B.II.1. der Gründe). Denn für die Besteuerung ist allein --auf der Grundlage des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts-- maßgebend, wofür die Darlehensmittel verwendet wurden. Auch kann ein wirtschaftlicher Zusammenhang des Darlehens mit dem Betrieb des Steuerpflichtigen nicht durch einen bloßen Willensakt desselben begründet werden (BFH-Urteile vom 12. September 1985 VIII R 336/82, BFHE 145, 327, BStBl II 1986, 255, und vom 17. Dezember 2003 XI R 19/01, BFH/NV 2004, 1277).

19

c) Allerdings wird eine Darlehensverbindlichkeit dann Bestandteil des Betriebsvermögens, wenn mittels des Darlehens ein privates Wirtschaftsgut finanziert worden ist, das durch eine Privateinlage in das (notwendige oder gewillkürte) Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen überführt wird. In einem solchen Fall teilt die Darlehensverbindlichkeit das steuerliche Schicksal des mit dem Darlehen finanzierten Wirtschaftsguts (Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 4 Rz 229). Hingegen kann eine Darlehensverbindlichkeit nicht isoliert als gewillkürtes Betriebsvermögen behandelt werden (BFH-Urteile vom 17. April 1985 I R 101/81, BFHE 143, 563, BStBl II 1985, 510, und in BFHE 145, 327, BStBl II 1986, 255).

20

d) Schließlich kann hinsichtlich einer Darlehensverbindlichkeit ein betrieblicher Veranlassungszusammenhang nachträglich dadurch hergestellt werden, dass ein mittels des Darlehens finanziertes Wirtschaftsgut des Privatvermögens veräußert und der Kaufpreis in das Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen überführt wird (sog. Umwidmung; vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1996 VIII R 68/94, BFHE 182, 312, BStBl II 1997, 454).

21

e) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen sind im Streitfall die zu beurteilenden Schuldzinsen nicht betrieblich veranlasst. Die ihnen zugrunde liegenden Darlehen der Stadtsparkasse X stehen nicht im Zusammenhang mit der Finanzierung betrieblicher Vorgänge des Klägers. Nach den Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist und die von den Klägern auch nicht angegriffen wurden, wurde mittels dieser Darlehen der Kauf eines zum Privatvermögen der Kläger gehörenden bebauten Grundstücks finanziert. Dieses Grundstück wurde weder zu einem späteren Zeitpunkt in das Betriebsvermögen des Klägers überführt noch veräußert. Es blieb Privatvermögen.

22

2. Im Ergebnis zu Recht hat das FG angenommen, dass das FA gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass geänderter Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre berechtigt war.

23

a) Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

24

Eine Tatsache wird nachträglich bekannt, wenn sie das FA im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens für den Erlass des ursprünglichen Steuerbescheids noch nicht kannte (BFH-Urteil vom 18. März 1987 II R 226/84, BFHE 149, 141, BStBl II 1987, 416). Maßgebend hierfür ist die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle (BFH-Urteil vom 23. März 1983 I R 182/82, BFHE 138, 313, BStBl II 1983, 548). Bekannt ist der zuständigen Dienststelle der Inhalt der dort geführten Akten, ohne dass insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters abzustellen ist (BFH-Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492).

25

Das FA ist allerdings gehindert, einen Steuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn dem FA die Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre, sofern der Steuerpflichtige seinerseits seiner Mitwirkungspflicht in vollem Umfang genügt hat (BFH-Urteil vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Gleiches gilt, wenn das FA seine Ermittlungspflicht und der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht verletzt haben, die Verletzung der Ermittlungspflicht im konkreten Einzelfall aber deutlich überwiegt (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585).

26

b) Es erscheint zweifelhaft, ob die Annahme des FG zutrifft, bei der damaligen Bearbeitung der Steuererklärungen 1986 und 1989 sei für das FA nicht erkennbar gewesen, dass der Kläger zu Unrecht private Darlehen in das Betriebsvermögen eingebucht hatte.

27

Die Zweifel ergeben sich vorliegend daraus, dass jedenfalls in Bezug auf das Jahr 1986 aus der vom Kläger eingereichten Bilanz und den hierzu gegebenen Erläuterungen, auf deren Inhalt das FG Bezug genommen und diesen damit festgestellt hat, für das FA erkennbar gewesen sein musste, dass weder eine Finanzierung nach dem Zweikonten-Modell erfolgt war noch eine sog. Umwidmung stattgefunden hatte.

28

c) Einer abschließenden Beurteilung dieser Problematik bedarf es indessen nicht, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als zutreffend erweist. Im Streitfall besteht nämlich die Besonderheit, dass die die Einbuchung der Darlehen in das Betriebsvermögen des Klägers betreffenden Vorgänge nicht aus den in den Streitjahren 1996 bis 1999 vom FA geführten aktuellen Akten, sondern lediglich aus den vom FA archivierten Akten der Jahre 1986 und 1989 ersichtlich sind.

29

Hinsichtlich archivierter Akten entspricht es der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass die zuständige Dienststelle des FA den Inhalt dieser Akten nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen muss, wenn zur Hinzuziehung dieser Vorgänge nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung eine besondere Veranlassung bestand. Nur wenn diese Voraussetzung gegeben ist, führt die unterlassene Beiziehung der archivierten Akten zu einer Verletzung der Ermittlungspflicht (BFH-Urteile vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1048, und vom 11. Februar 1998 I R 82/97, BFHE 185, 568, BStBl II 1998, 552; BFH-Beschlüsse vom 9. Dezember 1998 IV B 22/98, BFH/NV 1999, 900, und vom 12. August 1999 VIII B 12/99, juris).

30

Eine besondere Veranlassung zur Beiziehung der archivierten Akten bestand im Streitfall nicht. Nach dem von den Klägern nicht bestrittenen Vorbringen des FA in seiner Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004, auf die das FG im Tatbestand seines Urteils Bezug genommen hat, wiesen die Jahresabschlüsse und Steuererklärungen der Streitjahre unter Berücksichtigung der vorliegenden aktuellen Akten keine gravierenden Abweichungen zu den Vorjahren auf. Auch waren keine besonderen oder auffälligen Positionen in der Gewinnermittlung erkennbar. Bei dieser Sachlage war das FA zur Beiziehung der archivierten Akten nicht gehalten.

31

d) Unerheblich ist, dass das FA den für das Streitjahr 1996 ergangenen Einkommensteueränderungsbescheid auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt hat. Für die Rechtmäßigkeit eines Änderungsbescheids ist nicht entscheidend, ob die zutreffende Änderungsnorm genannt ist, sondern dass die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift erfüllt sind, die das FA zur Änderung verpflichtet (BFH-Urteil in BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Dies ist hier der Fall, weil die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt sind.

32

3. Das FA war auch zum Erlass geänderter Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide für 1997 bis 1999 berechtigt.

33

Die Befugnis zur Änderung der Gewerbesteuermessbescheide folgt aus § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG. Danach ist ein Gewerbesteuermessbescheid zu ändern, wenn der Einkommensteuerbescheid geändert wird und die Änderung den Gewinn aus Gewerbebetrieb betrifft. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist die Änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrags beeinflusst. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt, weil das FA zu Recht die Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 geändert und die hier zu beurteilenden Schuldzinsen nicht mehr als Betriebsausgaben abgezogen hat.

34

Die Befugnis zur Änderung der Gewerbesteuerzerlegungsbescheide 1997 bis 1999 folgt aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Denn Änderungen des Gewerbesteuermessbescheids führen dazu, dass auch der Zerlegungsbescheid als Folgebescheid zu ändern ist (Blümich/Hofmeister, GewStG, § 28 Rz 26, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres 2007 verstorbenen Ehemanns (E). E hatte im Streitjahr (2000) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. In ihrer am 22. Oktober 2001 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Eheleute Unterhaltsaufwendungen für ihren Sohn (S) als außergewöhnliche Belastungen geltend. Aus der Erklärung ergab sich, dass S als Student in Frankreich lebte und dort einen gemeinsamen Haushalt mit Ehefrau und zwei Kindern unterhielt. Die Klägerin und E teilten die eigenen Einkünfte des S, die sich im Streitjahr tatsächlich auf 31.047 DM beliefen, durch vier und gaben sie nur in Höhe von 7.762 DM an. Darüber hinaus gaben sie in der Anlage N der Steuererklärung die von E im Streitjahr bezogenen und auf der Lohnsteuerbescheinigung ausgewiesenen pauschalbesteuerten Arbeitgeberleistungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 7.020 DM nicht an.

2

In dem am 24. Oktober 2001 vom zuständigen Sachbearbeiter freigegebenen Einkommensteuerbescheid vom 7. November 2001 berücksichtigte das FA die Unterhaltsaufwendungen für S in Höhe von 6.938 DM als außergewöhnliche Belastungen. Das FA ging dabei von eigenen Einkünften des S in Höhe von 7.762 DM aus. Im Bereich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ließ es die erwähnten Arbeitgeberleistungen unberücksichtigt.

3

S hatte seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr am 9. Oktober 2001 beim FA abgegeben. Er war vom selben Sachbearbeiter bereits mit Bescheid vom 29. Oktober 2001 veranlagt worden, nachdem dieser am 12. Oktober 2001 die abschließende Zeichnung vorgenommen hatte. Der Gesamtbetrag der Einkünfte belief sich auf 31.047 DM.

4

Das FA änderte den Bescheid vom 7. November 2001 am 19. Dezember 2002 gemäß § 129 der Abgabenordnung (AO) und § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Es berücksichtigte die Arbeitgeberleistungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und kürzte die Werbungskosten des E bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit entsprechend. Darüber hinaus ließ das FA in diesem Bescheid wegen der Höhe der Einkünfte des S die Unterhaltsaufwendungen nicht mehr zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zu.

5

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet zurück. Allerdings berücksichtigte das FA im während des Klageverfahrens gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Bescheid vom 2. Juli 2009 die Unterhaltskosten als außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 3.920 DM.

6

Das FG vertrat die Auffassung, das FA habe die Änderung des Bescheids zu Recht auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO hinsichtlich der außergewöhnlichen Belastungen und auf § 129 AO bezüglich der Werbungskosten gestützt.

7

Der Sachbearbeiter des FA habe erst im Verfahren betreffend die Änderung des ursprünglichen Steuerbescheids Kenntnis davon erlangt, dass S über höhere zu berücksichtigende Einkünfte verfügt habe. Aus dem Vortrag der Beteiligten und aus den Akten folge nichts Gegenteiliges. Der vom FA vorgetragene und mit dem Akteninhalt übereinstimmende Geschehensablauf spreche dafür, dass erst im Zuge der Überprüfung, wie der pauschalbesteuerte Aufwendungsersatz für beruflich veranlasste Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in den Vorjahren behandelt worden sei, der neue Sachbearbeiter auch die Einkünfte des S überprüft habe.

8

Dem FA könne die Kenntnis des (früheren) Sachbearbeiters aus den Akten des S für den Steuerfall der Klägerin nicht zugerechnet werden. Zwar seien der zuständigen Dienststelle des FA der Inhalt der dort geführten Akten sowie die dem zuständigen Sachbearbeiter für seine Arbeit zugänglichen Dateien bzw. elektronischen Akten zuzurechnen, ohne dass es auf dessen individuelle Kenntnis im Einzelfall ankomme. Dabei komme es jedoch nur auf die denselben Steuerfall, d.h. die dasselbe Steuersubjekt betreffenden Akten an. Eine Tatsache sei nicht bekannt, wenn der Bearbeiter von ihr im Zusammenhang mit der Bearbeitung eines anderen Steuerfalls Kenntnis erlangt habe, weil dies die Anforderungen an das Erinnerungsvermögen der innerhalb des FA zuständigen Personen überspanne. Dem Sachbearbeiter müsse und könne der Inhalt sämtlicher in seinem Veranlagungsbezirk geführten Akten nicht bei der Bearbeitung einer jeden Steuerfestsetzung bekannt sein.

9

Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht könne dem FA nicht entgegengehalten werden. Für den Sachbearbeiter des FA habe keine besondere Veranlassung bestanden, bei der Veranlagung der Klägerin und des E die Steuerakten des S beizuziehen, um die Akten zu überprüfen. Die Angaben zu den Unterhaltsaufwendungen seien aus sich heraus nachvollziehbar gewesen, so dass eine besondere Überprüfung nicht angezeigt gewesen sei.

10

Die Voraussetzungen des § 129 AO lägen vor. Bei der erstmaligen Veranlagung habe der Sachbearbeiter offenkundig die pauschalversteuerten Arbeitgeberleistungen übersehen, obwohl diese aus der der Steuererklärung beigefügten Lohnsteuerkarte ohne weiteres ersichtlich gewesen seien. Es sei aber nicht ersichtlich, dass der Sachbearbeiter den Fahrtkostenersatz aufgrund eines Tatsachen- oder Rechtsirrtums unberücksichtigt gelassen habe. Für einen Tatsachen- oder Rechtsirrtum bestehe nicht der geringste vernünftige Grund. Im Gegenteil: Die offenbare Unrichtigkeit sei so offenkundig, dass sie jeglichen begründeten Zweifel hieran ausschließe.

11

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

12

Sie beantragt, das angefochtene Urteil, den geänderten Einkommensteuerbescheid 2000 vom 19. Dezember 2002 und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

13

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FA durfte zwar den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid wegen des ursprünglich nicht berücksichtigten Aufwendungsersatzes gemäß § 129 AO ändern. Zur Frage, ob das FA auch berechtigt war, denselben Bescheid im Hinblick auf die Berücksichtigung von Unterhaltskosten als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu berichtigen, fehlt es jedoch an ausreichenden Feststellungen.

15

1. Soweit das FA im angefochtenen Bescheid bei den Einkünften des Klägers die Werbungskosten gekürzt hat, ergibt sich die Änderungsbefugnis aus § 129 AO. Die Würdigung des FG, dem FA sei insoweit beim Erlass des ursprünglichen Bescheids ein die Berichtigung ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum nicht unterlaufen, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

16

a) Nach § 129 AO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Offenbare Unrichtigkeiten i.S. des § 129 AO sind mechanische Versehen, wie beispielsweise Eingabe- und Übertragungsfehler. Nicht erfasst sind hingegen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung, die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. der Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen. Nach § 129 AO zu berichtigende Fehler müssen auf einem "Versehen" beruhen; hingegen dürfen sie nicht auf die unzulängliche Erfassung oder rechtliche Würdigung eines Sachverhalts zurückzuführen sein.

17

Besteht die Möglichkeit, dass der Fehler auf Mängel bei der Ermittlung oder Würdigung des Sachverhalts zurückgeht, kommt eine Berichtigung nach § 129 AO nicht in Betracht. Diese Möglichkeit darf allerdings nicht nur theoretischer Natur sein. Vielmehr muss sie sich durch vom Gericht festgestellte Tatsachen belegen lassen. Deuten die Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hin und liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen ist, so kann berichtigt werden.

18

Mechanische Versehen können auch Übertragungsfehler sein. Eine offenbare Unrichtigkeit kann daher auch vorliegen, wenn der Veranlagungsbeamte den Eingabewertbogen falsch ausfüllt oder Daten versehentlich nicht in ein Computerprogramm eingibt. Ob ein mechanisches Versehen, ein Irrtum über den Programmablauf oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterliegt (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. Juli 2010 IV R 56/07, BFH/NV 2010, 2004, m.w.N.; Klein/Brockmeyer/Ratschow, AO, 11. Aufl., § 129 Rz 4).

19

Ein Fehler ist dann "offenbar" i.S. des § 129 AO, wenn er auf der Hand liegt, durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit anhand des Bescheids und der ihm vorliegenden Unterlagen erkennen konnte. Maßgebend ist, ob der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (Senatsentscheidung vom 8. Dezember 2011 VI R 45/10, BFH/NV 2012, 694).

20

b) Im Streitfall hat das FG die Nichtberücksichtigung der Arbeitgeberleistungen als Folge eines versehentlichen Erfassungsfehlers im Wesentlichen mit der Begründung angenommen, für einen Tatsachen- oder Rechtsirrtum bestehe "nicht der geringste vernünftige Grund". Für das FG war offensichtlich maßgeblich, dass sich nach Aktenlage ein Hinweis auf einen solchen, die Berichtigung ausschließenden Irrtum nicht belegen lässt. Vor diesem Hintergrund ist die Schlussfolgerung, die Nichtberücksichtigung der Arbeitgeberleistungen sei ein offen zutage liegender Umstand, noch nachvollziehbar. Ohne eine entsprechende Kenntlichmachung in den Akten kann nicht davon ausgegangen werden, der Bearbeiter hätte den Ansatz bewusst außer Betracht lassen wollen.

21

2. Anhand der Feststellungen des FG kann jedoch nicht abschließend beurteilt werden, ob das FA den angefochtenen Bescheid wegen neuer Tatsachen ändern durfte.

22

a) Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Die Änderung eines Bescheids ist nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (ständige Rechtsprechung des BFH, s. etwa Urteil vom 28. Juni 2006 XI R 58/05, BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835; Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 80 ff.)

23

b) Nachträglich werden Tatsachen oder Beweismittel bekannt, wenn deren Kenntnis nach dem Zeitpunkt erlangt wird, in dem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen ist.

24

Nach der Rechtsprechung des BFH kommt es dabei nicht auf die Kenntnis der "Finanzbehörde" als solche, sondern auf die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle an (a.A. Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 31).

25

Dabei ist allerdings dieser Stelle grundsätzlich das bekannt, was sich aus den bei ihr geführten Akten ergibt, ohne dass es auf die individuelle Kenntnis des Bearbeiters ankommt (BFH-Urteil vom 28. April 1998 IX R 49/96, BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458; kritisch zur Rechtsprechung von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 173 AO Rz 183 ff.). Zu den Akten gehören alle Schriftstücke, die bei der Dienststelle vorliegen oder sie im Dienstgang erreichen. Bekannt sind der zuständigen Dienststelle in diesem Sinn auch sämtliche Informationen, die dem Bearbeiter von vorgesetzten Dienststellen zur Verfügung gestellt werden (Senatsentscheidung vom 13. Januar 2011 VI R 61/09, BFHE 232, 5, BStBl II 2011, 479). Ist dem Bearbeiter der zuständigen Dienststelle im Zeitpunkt der Veranlagung der Inhalt der Akten nach diesen Grundsätzen bekannt, so können die hier aufgeführten Tatsachen nicht mehr nachträglich bekannt werden und damit auch nicht mehr Grundlage für die Änderung eines bestandskräftigen Bescheids gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sein (BFH-Urteile vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492; vom 5. November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220).

26

Ergibt sich die Tatsache oder das Beweismittel nicht aus den Akten, kommt es auf die Kenntnis derjenigen Person oder Stelle innerhalb der Finanzbehörde an, die für die Bearbeitung des Streitfalls organisationsmäßig berufen war (BFH-Urteil in BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458). Zu diesen Personen zählen regelmäßig der Sachbearbeiter, der Sachgebietsleiter und der Vorsteher (BFH-Urteil vom 14. November 2007 XI R 48/06, BFH/NV 2008, 367). Bekannt sind diejenigen Tatsachen und Beweismittel, die der zuständige Finanzbeamte in Ausübung seines Amtes erlangt. Rein privates Wissen des Beamten ist demgegenüber der Finanzbehörde nicht zuzurechnen (BFH-Urteil in BFHE 185, 370, BStBl II 1998, 458).

27

c) Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht die Auffassung vertreten, dass dem FA nur der Inhalt der Akten als bekannt gelten kann, die in der zuständigen Dienststelle für den zu veranlagenden Steuerpflichtigen geführt werden (BFH-Urteil in BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220; Urteil des FG Köln vom 13. März 2003  6 K 5158/99, Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 1060; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz 188; Frotscher in Schwarz, AO, § 173 Rz 123; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 173 Rz 56.4 unter Bezugnahme auf ein Urteil des FG Düsseldorf vom 31. Oktober 1991  14 K 185/87 E; Klein/Rüsken, a.a.O., § 173 Rz 65). Tatsachen, die sich aus den Akten anderer Steuerpflichtiger ergeben, gelten auch dann nicht als bekannt, wenn für deren Bearbeitung dieselbe Person zuständig ist. Denn maßgeblich ist grundsätzlich die tatsächliche Kenntnis der Finanzbehörde, nicht das Kennenkönnen oder Kennenmüssen. Soweit die Rechtsprechung aktenkundige Tatsachen stets als bekannt voraussetzt, handelt es sich um eine wesentliche Einschränkung und Ausnahme vom Grundsatz der subjektiven Gegebenheiten. Der Ausnahmecharakter gebietet die Beschränkung auf zugängliche (s. dazu von Groll in HHSp, § 173 AO Rz 190) und den Steuerpflichtigen unmittelbar betreffende Akten.

28

d) Der Streitfall ist gleichwohl nicht spruchreif. Denn das FG hat nicht aufgeklärt, ob der für die Veranlagung der Klägerin und des S zuständige Sachbearbeiter in sonstiger Weise im maßgeblichen Zeitpunkt positive Kenntnis von der Höhe der Einkünfte des S hatte (s. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 367). Hierzu bestand deshalb Anlass, weil der für die Klägerin und E zuständige Sachbearbeiter nur wenige Tage zuvor den S veranlagt hat. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass ihm die hieraus bekannt gewordene Höhe der Einkünfte des S noch im Gedächtnis war oder ihm die Bruchstücke seiner Erinnerung jedenfalls Anlass gaben, die Steuerakten des S beizuziehen. Denn der zuständige Bearbeiter muss sich jedenfalls das Wissen aus einem anderen steuerlichen Verfahren dann zurechnen lassen, wenn zur Hinzuziehung des entsprechenden Vorgangs nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung oder der präsenten Akten, eine besondere Veranlassung bestand mit der Folge, dass das Unterlassen der Beiziehung eine Verletzung der Ermittlungspflicht nach sich zöge (BFH-Urteil vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1047).

29

Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang aufklären müssen, ob der zuständige Sachbearbeiter im Zeitpunkt der Veranlagung der Klägerin und des E aufgrund der wenige Tage zuvor erfolgten Bearbeitung des Steuerfalls des S positive Kenntnis von dessen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Klägerin sowie von dessen Einkünften im Streitjahr besaß. Kann der Sachverhalt nicht (mehr) aufgeklärt werden, ist nach den Regeln der Beweislast zu entscheiden (s. dazu Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 AO Rz 53, m.w.N.).

Tatbestand

1

I. Im Streitjahr 1999 erzielte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) als Arbeitnehmerin der X-GmbH, einer Tochtergesellschaft der Y-AG (AG), Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

2

Am 29. Oktober 1999 machte sie von ihrem Wandlungsrecht aus einem am 21. Oktober 1997 mit der AG abgeschlossenen Darlehensvertrag Gebrauch. Die Klägerin als Darlehensgeberin hatte der AG als Darlehensnehmerin ein mit 2 % verzinsliches Darlehen in Höhe von 5.000 DM gewährt. Das Darlehen war mit einem Wandlungsrecht dahingehend ausgestattet, dass die Darlehensgeberin berechtigt war, erstmalig am 28. Oktober 1999 für maximal 50 % der Darlehenssumme Beträge von je 5 DM in Aktien der AG im Nennwert von je 5 DM zu wandeln.

3

Die am 17. Dezember 1998 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) eingegangene Einkommensteuererklärung für 1997 enthielt zunächst keine Hinweise auf diesen Vorgang. Mit Schreiben vom 14. Mai 1999 zeigte die Klägerin an, dass die abgegebene Steuererklärung unvollständig gewesen sei. Als Arbeitnehmerin einer Tochtergesellschaft der AG habe sie am 21. Oktober 1997 von der Möglichkeit der Zeichnung eines Wandeldarlehens Gebrauch gemacht. Der Vorstand der AG habe ihr mitgeteilt, dass sie mit der Zeichnung des Darlehens einen steuerpflichtigen Arbeitslohn in Höhe von 6.736,50 DM erzielt habe. Basis hierfür sei eine Berechnung der Z-Bank. Dem Schreiben waren der Darlehensvertrag, ein Schreiben der AG betreffend die steuerliche Behandlung des Wandeldarlehens sowie die Berechnung der Z-Bank beigefügt.

4

Mit Bescheid vom 30. Juni 1999 änderte das FA die Einkommensteuerveranlagung der Klägerin für 1997 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und erfasste den nacherklärten Betrag zusätzlich bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.

5

Im Mantelbogen der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1999 war hinsichtlich der Anlage KSO angekreuzt, dass die Einnahmen nicht mehr als 6.100 DM betragen hätten. Zusätzlich war eine "Erläuterung zu Zeile 31, Mantelbogen" beigefügt. Darin war ausgeführt, dass "aus den 1999 aus Wandeldarlehen bezogenen Y-Aktien noch keine Dividenden zugeflossen seien (vgl. Schreiben vom 14.5.1999 zu Einkommensteuer 1997)". Beigefügt war auch eine "Zinsbestätigung 1999" über einen im Jahre 1999 ausbezahlten Zinsbetrag in Höhe von 83,05 DM für das "der Y zur Verfügung gestellte Darlehen, (Vertrag vom 29.10.97)". Zusätzlich war in dem Schreiben ausgeführt, der Rückgang der Darlehenssumme resultiere aus der vorgenommenen Wandlung.

6

Der Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 9. Mai 2000 erging im Wesentlichen erklärungsgemäß.

7

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2000 übersandte das Finanzamt A dem FA eine Auswertung von Anzeigen des Arbeitgebers gemäß §§ 38 Abs. 4, 41c Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes. Aus den Angaben in einer dem Schreiben beigefügten tabellarischen Aufstellung mit Stand 11. April 2000 ergab sich, dass die Klägerin am 29. Oktober 1999 einen Teilbetrag ihres Wandeldarlehens in Höhe von 2.500 DM in 25 000 Aktien gewandelt hatte. Die Kursspanne war mit 45,03 bis 47,20 € angegeben. Als Anschaffungskosten waren 18.702,35 DM vermerkt. Unter Berücksichtigung des niedrigsten Kurswerts errechnete das FA hieraus einen geldwerten Vorteil in Höhe von 2.183.048 DM. Mit Bescheid vom 25. Februar 2002 änderte es die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und erhöhte die Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit entsprechend.

8

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wandte sich die Klägerin mit der Klage gegen den Ansatz eines geldwerten Vorteils aufgrund der Wandlung. Sie vertrat die Auffassung, die Voraussetzung für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO lägen nicht vor. Die Klage hatte Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1995 veröffentlicht.

9

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

10

Das FA beantragt,

das Urteil des FG München vom 26. Juni 2009  8 K 1338/07 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

II. 1. Die Revision ist unbegründet. Die Entscheidung des FG, das FA sei im Streitfall nicht berechtigt gewesen, die Steuerfestsetzung für das Streitjahr 1999 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.

13

2. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

14

a) Da § 173 AO nach seinem rechtlichen Gehalt keine Fehlerberichtigungsvorschrift ist, rechtfertigt nur das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen und Beweismitteln eine Änderung nach dieser Vorschrift, nicht hingegen ein nachträglich erkannter Rechtsfehler (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen, nicht hingegen rechtliche Erwägungen, müssen für eine auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützte Korrektur maßgeblich sein (BFH-Urteil vom 11. Juni 1997 X R 117/95, BFH/NV 1997, 853). Allerdings steht der Grundsatz von Treu und Glauben einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dann entgegen, wenn dem FA Tatsachen aufgrund einer Verletzung seiner Ermittlungspflichten unbekannt geblieben sind, der Steuerpflichtige seinerseits aber die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt hat. Im Falle einer beiderseitigen Pflichtverletzung ist nach ständiger Rechtsprechung eine Abwägung vorzunehmen (z.B. BFH-Urteile vom 16. Juni 2004 X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502, und vom 26. Februar 2009 II R 4/08, BFH/NV 2009, 1599, m.w.N.).

15

b) Im Streitfall kann offenbleiben, ob bereits die Rechtserheblichkeit nachträglich bekanntgewordener Umstände zu verneinen ist. Denn das FG ist auf der Grundlage seiner Feststellungen zu dem Ergebnis gekommen, das FA habe seine Ermittlungspflichten verletzt, weil es aufgrund der vorliegenden Unterlagen sich aufdrängende Ermittlungen nicht vorgenommen habe, während die Klägerin --ausgehend von der von ihr vertretenen Rechtsauffassung hinsichtlich des Zeitpunkts der Versteuerung eines geldwerten Vorteils-- ihrer Mitwirkungspflicht in zumutbarer Weise nachgekommen sei. Hieran sieht sich der Senat revisionsrechtlich gebunden. Denn diese in erster Linie der Tatsacheninstanz obliegende Tatsachenwürdigung ist verfahrensrechtlich ordnungsgemäß durchgeführt worden und verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--; vgl. BFH-Urteil vom 30. September 1997 VII R 76/97, BFH/NV 1998, 423).

16

3. Die vom FA erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

17

Der Vortrag des FA, das FG habe seine Pflicht zur Sachverhaltsermittlung (§ 76 FGO) verletzt, weil es den zuständigen Veranlagungsbeamten nicht vernommen habe, kann bereits deshalb nicht zum Erfolg der Revision führen, weil das mutmaßliche Verhalten des einzelnen Sachbearbeiters und seine individuellen Rechtskenntnisse für die Frage, ob die Veränderung im Tatsächlichen oder in der rechtlichen Beurteilung liegt, aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen ohne Bedeutung ist (BFH-Urteil vom 22. April 2010 VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951, m.w.N.).

18

Soweit das FA mit seinem Vorbringen, das FG habe sein Urteil auf bisher nicht erörterte Gesichtspunkte gestützt, die Verletzung rechtlichen Gehörs in Form einer sog. Überraschungsentscheidung geltend macht, liegt der behauptete Verstoß gegen Art. 103 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO nicht vor.

19

Ein Urteil darf zwar nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Ein bisher nicht erörterter Umstand, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, darf daher nicht zur Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung gemacht werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Gericht die für seine Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtern und den Beteiligten seine Rechtsauffassung im Einzelnen mitteilen müsste. Entsprechend muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ggf. prozessuale Anträge stellen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt erst dann vor, wenn das Gericht auf Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte, so dass dies im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleichkommt (BFH-Urteil vom 29. April 2008 VIII R 28/07, BFHE 220, 332, BStBl II 2009, 842). Die in der Öffentlichkeit bekannten Umstände, insbesondere auch die Kursentwicklung der Y-Aktie, hängen so eng mit dem verwirklichten Besteuerungssachverhalt zusammen, dass ein kundiger Verfahrensbeteiligter damit rechnen musste, sie könnten in der Würdigung des FG --hier im Bereich der Anforderungen an die Ermittlungspflichten des FA-- eine Rolle spielen. Eine Verletzung des Anspruchs des FA auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt danach nicht vor.

20

Im Übrigen sieht der Senat gemäß § 126 Abs. 6 FGO von einer weiteren Begründung ab.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern sind.

2

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und wurden in den Streitjahren (2001 bis 2003) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger, der bei der Stadtsparkasse A beschäftigt war, erwarb im Rahmen dieser Tätigkeit auch Ansprüche auf eine betriebliche Altersvorsorge. Bedingt durch die Auflösung der Zusatzversorgungskasse der Landeshauptstadt A wechselte die Stadtsparkasse zur Durchführung ihrer betrieblichen Altersvorsorge zur Y Zusatzversorgungskasse in B. Zum Ausgleich hierfür hat sie an die übernehmende Versorgungskasse neben einer allgemeinen Umlage einen jährlichen Nachteilsausgleich geleistet, diese Zahlungen --anteilig-- als Arbeitslohn des Klägers behandelt und dem Lohnsteuerabzug unterworfen. Dementsprechend sind auch die auf den Kläger entfallenden Nachteilsausgleichszahlungen in den auf den Lohnsteuerbescheinigungen ausgewiesenen Bruttoarbeitslöhnen enthalten und in die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre eingegangen.

3

Von diesem Umstand erfuhr der Kläger erstmals auf Grund einer "Allgemeinen Information" der Stadtparkasse A vom 15. März 2006. Zugleich wurde ihm mitgeteilt, dass die Versteuerung fehlerhaft gewesen sei, wie sich aus dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. September 2005 VI R 148/98 (BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532) ergebe. Daraufhin beantragten die Kläger beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) erfolglos, die bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dahingehend zu ändern, dass die zu Unrecht erfolgte Besteuerung des Nachteilsausgleichs als Arbeitslohn rückgängig gemacht werde. Auch die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg. Der fristgerecht erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1926 veröffentlichten Gründen statt.

4

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

5

Das FA beantragt,

das Urteil des FG Düsseldorf vom 22. August 2008  11 K 580/07 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die Einkommensteuerfestsetzungen 2001 bis 2003 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern sind.

8

1. Die Vorentscheidung verletzt § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen.

9

a) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob es sich bei dem Umstand, dass der auf der Lohnsteuerkarte des Klägers ausgewiesene Bruttolohn in den Streitjahren auch auf diesen entfallende Nachteilsausgleichszahlungen enthält, um eine dem FA nachträglich bekanntgewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO handelt. Denn auch bei rechtzeitiger Kenntnis um diese Sonderzahlungen an die aufnehmende Versorgungskasse und deren --anteilige-- Erfassung in den Lohnsteuerbescheinigungen des Klägers wäre das FA bei der ursprünglichen Veranlagung zu keiner niedrigeren Steuer gelangt.

10

b) Seit dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86 (BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180) vertritt die höchstrichterliche Finanzrechtsprechung die Auffassung, dass ein Steuerbescheid wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen nur aufgehoben oder geändert werden darf, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter C. II. am Anfang). Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO scheidet hingegen aus, wenn die Unkenntnis der später bekanntgewordenen Tatsache für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich (rechtserheblich) gewesen ist, weil das FA auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuer gelangt wäre (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter C. II. 2. b).

11

Rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft nach § 173 AO ist nicht die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung, sondern der Umstand, dass das FA bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist. Demnach ist die nachträgliche Berücksichtigung neuer Tatsachen und Beweismittel strikt von der Korrektur von Rechtsfehlern abzugrenzen. Insbesondere dürfen über den Umweg des § 173 Abs. 1 AO Rechtsfehler der Finanzbehörde weder zulasten (Nr. 1) noch zugunsten des Steuerpflichtigen (Nr. 2) berichtigt werden. Das Kriterium der Rechtserheblichkeit (Kausalität) der neuen Tatsache bei der ursprünglichen Veranlagung schließt demnach aus, dass die Beteiligten des Steuerschuldverhältnisses mit Hilfe eines Änderungsbescheids eine neue Tatsache zum bloßen Anlass oder Vorwand nehmen, ihre geläuterte Rechtsansicht nachträglich durchzusetzen (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Der Gesetzgeber hat vielmehr dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit in solchen Fällen Vorrang vor der materiellen Richtigkeit der ergangenen Verwaltungsentscheidung eingeräumt (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180).

12

c) Maßgebend für die Frage nach der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache oder eines neuen Beweismittels ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Willensbildung des FA über die Steuerfestsetzung abgeschlossen wird, d.h. im Normalfall der Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens (bei EDV-mäßiger Abwicklung der Steuerfestsetzung) oder der Verfügung zum Steuerbescheid (BFH-Urteile vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1047, und vom 20. Juni 2001 VI R 70/00, BFH/NV 2001, 1527; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, AO § 173 Rz 29, 47, m.w.N.).

13

d) Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und den die FÄ bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das FA gegolten haben (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 15. März 2007 III R 57/06, BFH/NV 2007, 1461; in BFH/NV 2001, 1527; vom 15. Dezember 1999 XI R 22/99, BFH/NV 2000, 818; Senatsbeschluss vom 10. Oktober 2007 VI B 48/06, BFH/NV 2008, 191, m.w.N.). Liegen --wie im Streitfall-- unmittelbar zu der umstrittenen Rechtslage weder eine Rechtsprechung des BFH noch bindende Verwaltungsanweisungen vor, so ist aufgrund anderer Umstände abzuschätzen, wie das FA in Kenntnis des vollständigen Sachverhalts entschieden hätte (vgl. auch BFH-Urteil vom 10. März 1999 II R 99/97, BFHE 188, 276, BStBl II 1999, 433). Hierzu rechnet beispielsweise das Vorgehen der Finanzbehörden in Parallelverfahren (BFH-Urteil vom 9. August 1989 X R 7/84, BFH/NV 1990, 613). Darüber hinaus sind auch interne Schreiben und Mitteilungen (BFH-Urteil vom 11. Juni 1997 X R 117/95, BFH/NV 1997, 853), etwa eines Landesfinanzministeriums an den Bundesminister der Finanzen, zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 15. Dezember 1999 XI R 22/99, BFH/NV 2000, 818, und XI R 38/99, BFH/NV 2000, 820). Deshalb ist das FG bei der Ermittlung der Verwaltungsauffassung auch nicht an bestimmte Beweismittel gebunden (BFH-Urteile in BFH/NV 2000, 818, und in BFH/NV 2000, 820; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 57b). Das mutmaßliche Verhalten des einzelnen Sachbearbeiters und seine individuellen Rechtskenntnisse sind hingegen für die Frage, ob die Veränderung im Tatsächlichen oder in der rechtlichen Beurteilung liegt, aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen ohne Bedeutung. Subjektive Fehler der FÄ und damit des einzelnen Bearbeiters, wie sie sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht denkbar sein mögen, sind für die Beurteilung der Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekanntgewordenen Tatsache unbeachtlich (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1988 I R 216/85, BFHE 153, 296, BStBl II 1988, 715).

14

Demgegenüber hat das FG im Streitfall den hypothetischen Kausalverlauf allein nach den idealtypischen individuellen Rechtskenntnissen des zuständigen Veranlagungssachbearbeiters und nicht nach der in den Streitjahren herrschenden Verwaltungsauffassung beurteilt. Deshalb war die Vorentscheidung aufzuheben.

15

2. Die Sache ist spruchreif.

16

Die Klage wird abgewiesen. Dass der auf der Lohnsteuerkarte des Klägers ausgewiesene Bruttolohn in den Streitjahren auch auf diesen entfallende Nachteilsausgleichszahlungen enthält, ist bei der ursprünglichen Veranlagung nicht rechtserheblich gewesen.

17

a) Im Streitfall wäre das FA bei den Veranlagungen der Streitjahre auch bei rechtzeitiger Kenntnis des Umstands, dass der auf der Lohnsteuerkarte des Klägers ausgewiesene Bruttoarbeitslohn in den Streitjahren auch die auf ihn entfallenden Nachteilsausgleichzahlungen enthielt, zu keiner anderen Steuer gelangt. Es hätte insbesondere nicht den Entlohnungscharakter der streitigen Sonderzahlungen verneint, sondern vielmehr die Ausgleichszahlungen im Zeitpunkt der streitigen Veranlagungen als steuerbaren Arbeitslohn beurteilt. Nach dem Urteil des Senats in BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532 fließt zwar den Arbeitnehmern kein Arbeitslohn zu, wenn der Arbeitgeber beim Wechsel zu einer anderen umlagefinanzierten Zusatzversorgungskasse Sonderzahlungen leistet. Im Streitfall erfolgte die abschließende Zeichnung der Eingabewertbögen zu den Einkommensteuerbescheiden 2001, 2002 und 2003 unstreitig jedoch jeweils vor der Veröffentlichung des BFH-Urteils in BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532 in der Ausgabe Nr. 11 des BStBl II 2006, das am 24. Juli 2006 ausgegeben wurde.

18

b) Bei rechtzeitiger Kenntnis von der im Bruttolohn des Klägers enthaltenen anteiligen Sonderumlage hätte das FA entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung diese Zahlungen als Arbeitslohn erfasst und der Besteuerung unterworfen. Dies ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass die Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen die Revisionsverfahren VI R 32/04 und VI R 148/98 geführt und in diesen Verfahren stets die Auffassung vertreten hat, dass es sich bei Sonderumlagen in Versorgungssysteme um Arbeitslohn handele. Darüber hinaus ist die Auffassung der Finanzbehörden, dass der Nachteilsausgleich als Arbeitslohn zu erfassen sei, u.a. in der Mitteilung für den Lohnsteueraußendienst Nr. 12/2001 vom 5. Dezember 2001 niedergelegt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist insoweit ohne Bedeutung, ob der zuständige Veranlagungssachbearbeiter diese Mitteilung kannte und berücksichtigt hätte. Insoweit ist ausreichend, dass aus diesem internen Schreiben die Rechtsauffassung der Verwaltung hervorgeht. Dies gilt gleichermaßen für den Schriftwechsel des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen und der Steuerberatungsgesellschaft der Zusatzversorgungskasse der Landeshauptstadt A. Auch aus diesen Schreiben ist zweifelsfrei ersichtlich, dass die Landesfinanzbehörden im Streitfall bei der Besteuerung von Zukunftssicherungsleistungen nicht nach allgemeinen Umlagezahlungen und dem sogenannten Nachteilsausgleich unterschieden hätten.

19

Schließlich weist das FA auch zu Recht darauf hin, dass sich aus der Gesetzesbegründung des Jahressteuergesetzes 2007 die in den Streitjahren herrschende Verwaltungsauffassung ergibt. Dort ist ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung Sonderzahlungen des Arbeitgebers, die er anlässlich der Überführung einer Mitarbeiterversorgung in eine Zusatzversorgungskasse leistet, als steuerpflichtiger Arbeitslohn beurteilt worden sind (BTDrucks 16/2712, 45 f.). Aufgrund dieser feststehenden Verwaltungsübung ist nicht ersichtlich, dass das FA im Streitfall bei rechtzeitiger Kenntnis um die Sonderzahlungen an die aufnehmende Versorgungskasse und deren --anteilige-- Erfassung in den Lohnsteuerbescheinigungen des Klägers die streitige Einkommensteuer niedriger festgesetzt hätte.

20

Folglich hätte die streitige Änderung der Einkommensteuerbescheide 2001, 2002 und 2003 mangels Rechtserheblichkeit dieses Umstands nicht durchgeführt werden dürfen. Damit war die Klage abzuweisen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre 1996 bis 1999 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielt aus einer Handelsvertretung Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich.

2

Für die Streitjahre ergingen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Einkommensteuerbescheide und Gewerbesteuermessbescheide. Die Festsetzungen waren jeweils lediglich wegen einzelner verfassungsrechtlicher Fragen vorläufig. Auch die Gewerbesteuerzerlegungsbescheide für 1997 bis 1999 ergingen endgültig.

3

Im Rahmen einer Außenprüfung beim Kläger vertrat der Prüfer und ihm folgend der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, Zinsen in Höhe von 35.163,82 DM (für 1997), von 33.258,63 DM (für 1998) und von 28.105,73 DM (für 1999) seien nicht als Betriebsausgaben abziehbar. Die Zahlungen beruhten auf zwei Darlehen, die nicht im Zusammenhang mit betrieblichen Vorgängen ständen.

4

Die Kläger hatten mit notariellem Vertrag vom 9. Dezember 1983 das mit einem Zweifamilienhaus bebaute Grundstück X in Z zu einem Kaufpreis von 845.000 DM erworben. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm die Klägerin bei der Stadtsparkasse Z zwei Darlehen über 520.000 DM (Kontonummer: Y1; künftig SSK Y1) und 280.000 DM (Kontonummer: Y2; künftig SSK Y2) auf. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärungen bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1985 machten die Kläger die Gesamtzinsen beider Darlehen als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. In der Gewinnermittlung für die klägerische Handelsvertretung 1986 buchte der Kläger zunächst über das Privatentnahmekonto das Darlehen SSK Y1 in Höhe von 512.299,20 DM. In seiner Bilanz zum 31. Dezember 1986 sowie in den Folgejahren wies er dieses Darlehen in Höhe von 506.403,61 DM als Verbindlichkeit aus. Im Rahmen der Gewinnermittlung für das Jahr 1989 verfuhr der Kläger mit dem Darlehen über den Ursprungsbetrag von 280.000 DM (SSK Y2) entsprechend.

5

Das FA erließ nach § 173 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) am 4. September 2001 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1997 bis 1999, in denen der Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb unter anderem um die genannten Zinsbeträge erhöht wurde. Eine entsprechende Korrektur der für diese Jahre ergangenen Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide wurde vom FA nach § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) vorgenommen. Der gegen diese geänderten Einkommensteuerbescheide gerichtete Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA in erneut geänderten Einkommensteuerbescheiden für 1997 bis 1999 die Zinsen aus den streitbefangenen Darlehen anteilig (der Höhe nach unstreitig) steuermindernd als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte.

6

Zudem erließ das FA unter dem 14. Dezember 2001 einen auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützten geänderten Einkommensteuerbescheid 1996. In diesem wurden die klägerischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb um die Zinsen aus den streitbefangenen Darlehen erhöht, diese jedoch gleichzeitig aber anteilig in unstreitiger Höhe bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt.

7

Die Einsprüche blieben erfolglos.

8

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 231 veröffentlichten Urteil ab. Die zu beurteilenden Schuldzinsen seien nicht betrieblich veranlasst. Die ihnen zugrunde liegenden Darlehen seien nicht zu betrieblichen Zwecken verwandt worden. Ein solcher betrieblicher Zusammenhang sei auch nicht nachträglich durch eine Umwidmung hergestellt worden. Hierfür sei der bloße buchmäßige Ausweis der Darlehen in der Bilanz der Kläger nicht ausreichend. Durch eine bloße Willensentscheidung des Steuerpflichtigen könne ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit einer bestimmten Einkunftsart nicht hergestellt werden.

9

Das FA sei auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass der geänderten Steuerbescheide berechtigt gewesen. Nachträglich sei bekannt geworden, dass ein privates, durch die Ehefrau des Klägers aufgenommenes, der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung zuzuordnendes Darlehen nur aufgrund eines Willensaktes des Klägers als betriebliches Darlehen behandelt worden sei. Aus den Bilanzen des Klägers sei dieser Vorgang auch unter Einbeziehung der Akten der Vorjahre so nicht erkennbar gewesen. Denn im Falle einer steuerlich anzuerkennenden Umwidmung hätte der buchmäßige Ausweis der Darlehensverbindlichkeit in gleicher Weise erfolgen müssen.

10

Mit ihrer Revision machen die Kläger weiterhin geltend, das FA sei nicht berechtigt gewesen, die Steuerbescheide zu ändern und die in Frage stehenden Schuldzinsen nicht mehr als Betriebsausgaben abzuziehen. Eine Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO scheide im Streitfall aus. Sie, die Kläger, hätten in vollem Umfang ihrer steuerlichen Mitwirkungspflicht dadurch genügt, dass sie die Darlehen offen in der Bilanz 1986 bzw. 1989 neu als Verbindlichkeit ausgewiesen und im Gegenzug eine Buchung auf dem Privatentnahmekonto vorgenommen hätten. Durch die Einbuchung der bis dahin bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend gemachten Darlehen als nunmehr betriebliche Verbindlichkeiten und deren eindeutige Kennzeichnung im Rahmen der Beschriftung der Konten im Kontennachweis hätten sie diesen Vorgang für das FA offenkundig gemacht. Dass das FA die steuerliche Behandlung nicht beanstandet habe, beruhe ausschließlich darauf, dass es seiner Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei. Unerheblich sei der Vortrag des FA, in den Streitjahren habe kein Anlass für weiter gehende Ermittlungen vorgelegen. Da dem FA (aufgrund der Steuererklärungen 1986 und 1989) die Umwidmung der Darlehen bekannt gewesen sei, hätte es, sofern sie diese für fragwürdig gehalten hätte, seinerzeit weitere Nachforschungen anstellen müssen.

11

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004 (bezogen auf die Einkommensteuer 1996 bis 1999) aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid 1996 vom 14. Dezember 2001 und die geänderten Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 7. Februar 2002 in der Weise zu ändern, dass Schuldzinsen von 32.733 DM (1996), von 35.163 DM (1997), von 33.258 DM (1998) und von 28.105 DM (1999) vollständig steuermindernd berücksichtigt werden.

12

Der Kläger beantragt des Weiteren,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004 (bezogen auf die Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 und die Bescheide über die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags 1997 bis 1999) die Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 11. September 2001 und die Gewerbesteuerzerlegungsbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 20. September 2001 in der Weise zu ändern, dass die für diese Jahre vorstehend genannten Schuldzinsen vollständig gewinnmindernd berücksichtigt werden.

13

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

14

Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO lägen vor.

Entscheidungsgründe

15

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend erkannt, dass die zu beurteilenden Schuldzinsen keine Betriebsausgaben sind (unter 1.). Im Ergebnis zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass das FA gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass geänderter Einkommensteuerbescheide berechtigt war (unter 2.). Daher konnte es auch die zuvor ergangenen Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide entsprechend ändern (unter 3.).

16

1. Zutreffend hat das FG angenommen, dass die hier zu beurteilenden Schuldzinsen wegen fehlender betrieblicher Veranlassung (§ 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) nicht als Betriebsausgaben abziehbar sind.

17

a) Schuldzinsen sind dann Betriebsausgaben, wenn die Zinsen für eine Verbindlichkeit geleistet werden, die durch den Betrieb veranlasst ist und deshalb zum Betriebsvermögen gehört. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn ein Steuerpflichtiger liquide Mittel seines Betriebs entnimmt und zur Tilgung privater Verbindlichkeiten verwendet und er betriebliche Vorgänge mittels eines Kredits finanziert (sog. Zweikonten-Modell; vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Dezember 1997 GrS 1-2/95, BFHE 184, 7, BStBl II 1998, 193; BFH-Urteil vom 20. Juni 2000 VIII R 57/98, BFH/NV 2001, 28, und Senatsurteil vom 21. September 2005 X R 46/04, BFHE 211, 238, BStBl II 2006, 125). Da allein die tatsächliche Verwendung der Darlehensvaluta maßgebend ist, sind Schuldzinsen nicht bereits deshalb betrieblich veranlasst, wenn der Steuerpflichtige mittels des Kredits ein privates Wirtschaftsgut finanziert, er aber in der Lage gewesen wäre, eine Finanzierung über das Zweikonten-Modell durchzuführen (BFH-Urteile in BFH/NV 2001, 28, und vom 29. August 2001 XI R 74/00, BFH/NV 2002, 188).

18

b) Auch ist es nach Auffassung des Großen Senats des BFH nicht möglich, einen betrieblichen Veranlassungszusammenhang durch eine bloße wirtschaftliche Umschuldung herzustellen. Ein zu privaten Zwecken aufgenommenes Darlehen kann nicht dadurch wirtschaftlich umgeschuldet werden, dass der Steuerpflichtige durch den bilanziellen Ausweis des Darlehens den Verwendungszweck des privaten Darlehens verändert (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 184, 7, BStBl II 1998, 193, unter B.II.1. der Gründe). Denn für die Besteuerung ist allein --auf der Grundlage des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts-- maßgebend, wofür die Darlehensmittel verwendet wurden. Auch kann ein wirtschaftlicher Zusammenhang des Darlehens mit dem Betrieb des Steuerpflichtigen nicht durch einen bloßen Willensakt desselben begründet werden (BFH-Urteile vom 12. September 1985 VIII R 336/82, BFHE 145, 327, BStBl II 1986, 255, und vom 17. Dezember 2003 XI R 19/01, BFH/NV 2004, 1277).

19

c) Allerdings wird eine Darlehensverbindlichkeit dann Bestandteil des Betriebsvermögens, wenn mittels des Darlehens ein privates Wirtschaftsgut finanziert worden ist, das durch eine Privateinlage in das (notwendige oder gewillkürte) Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen überführt wird. In einem solchen Fall teilt die Darlehensverbindlichkeit das steuerliche Schicksal des mit dem Darlehen finanzierten Wirtschaftsguts (Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 4 Rz 229). Hingegen kann eine Darlehensverbindlichkeit nicht isoliert als gewillkürtes Betriebsvermögen behandelt werden (BFH-Urteile vom 17. April 1985 I R 101/81, BFHE 143, 563, BStBl II 1985, 510, und in BFHE 145, 327, BStBl II 1986, 255).

20

d) Schließlich kann hinsichtlich einer Darlehensverbindlichkeit ein betrieblicher Veranlassungszusammenhang nachträglich dadurch hergestellt werden, dass ein mittels des Darlehens finanziertes Wirtschaftsgut des Privatvermögens veräußert und der Kaufpreis in das Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen überführt wird (sog. Umwidmung; vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1996 VIII R 68/94, BFHE 182, 312, BStBl II 1997, 454).

21

e) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen sind im Streitfall die zu beurteilenden Schuldzinsen nicht betrieblich veranlasst. Die ihnen zugrunde liegenden Darlehen der Stadtsparkasse X stehen nicht im Zusammenhang mit der Finanzierung betrieblicher Vorgänge des Klägers. Nach den Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist und die von den Klägern auch nicht angegriffen wurden, wurde mittels dieser Darlehen der Kauf eines zum Privatvermögen der Kläger gehörenden bebauten Grundstücks finanziert. Dieses Grundstück wurde weder zu einem späteren Zeitpunkt in das Betriebsvermögen des Klägers überführt noch veräußert. Es blieb Privatvermögen.

22

2. Im Ergebnis zu Recht hat das FG angenommen, dass das FA gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass geänderter Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre berechtigt war.

23

a) Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

24

Eine Tatsache wird nachträglich bekannt, wenn sie das FA im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens für den Erlass des ursprünglichen Steuerbescheids noch nicht kannte (BFH-Urteil vom 18. März 1987 II R 226/84, BFHE 149, 141, BStBl II 1987, 416). Maßgebend hierfür ist die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle (BFH-Urteil vom 23. März 1983 I R 182/82, BFHE 138, 313, BStBl II 1983, 548). Bekannt ist der zuständigen Dienststelle der Inhalt der dort geführten Akten, ohne dass insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters abzustellen ist (BFH-Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492).

25

Das FA ist allerdings gehindert, einen Steuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn dem FA die Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre, sofern der Steuerpflichtige seinerseits seiner Mitwirkungspflicht in vollem Umfang genügt hat (BFH-Urteil vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Gleiches gilt, wenn das FA seine Ermittlungspflicht und der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht verletzt haben, die Verletzung der Ermittlungspflicht im konkreten Einzelfall aber deutlich überwiegt (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585).

26

b) Es erscheint zweifelhaft, ob die Annahme des FG zutrifft, bei der damaligen Bearbeitung der Steuererklärungen 1986 und 1989 sei für das FA nicht erkennbar gewesen, dass der Kläger zu Unrecht private Darlehen in das Betriebsvermögen eingebucht hatte.

27

Die Zweifel ergeben sich vorliegend daraus, dass jedenfalls in Bezug auf das Jahr 1986 aus der vom Kläger eingereichten Bilanz und den hierzu gegebenen Erläuterungen, auf deren Inhalt das FG Bezug genommen und diesen damit festgestellt hat, für das FA erkennbar gewesen sein musste, dass weder eine Finanzierung nach dem Zweikonten-Modell erfolgt war noch eine sog. Umwidmung stattgefunden hatte.

28

c) Einer abschließenden Beurteilung dieser Problematik bedarf es indessen nicht, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als zutreffend erweist. Im Streitfall besteht nämlich die Besonderheit, dass die die Einbuchung der Darlehen in das Betriebsvermögen des Klägers betreffenden Vorgänge nicht aus den in den Streitjahren 1996 bis 1999 vom FA geführten aktuellen Akten, sondern lediglich aus den vom FA archivierten Akten der Jahre 1986 und 1989 ersichtlich sind.

29

Hinsichtlich archivierter Akten entspricht es der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass die zuständige Dienststelle des FA den Inhalt dieser Akten nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen muss, wenn zur Hinzuziehung dieser Vorgänge nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung eine besondere Veranlassung bestand. Nur wenn diese Voraussetzung gegeben ist, führt die unterlassene Beiziehung der archivierten Akten zu einer Verletzung der Ermittlungspflicht (BFH-Urteile vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1048, und vom 11. Februar 1998 I R 82/97, BFHE 185, 568, BStBl II 1998, 552; BFH-Beschlüsse vom 9. Dezember 1998 IV B 22/98, BFH/NV 1999, 900, und vom 12. August 1999 VIII B 12/99, juris).

30

Eine besondere Veranlassung zur Beiziehung der archivierten Akten bestand im Streitfall nicht. Nach dem von den Klägern nicht bestrittenen Vorbringen des FA in seiner Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004, auf die das FG im Tatbestand seines Urteils Bezug genommen hat, wiesen die Jahresabschlüsse und Steuererklärungen der Streitjahre unter Berücksichtigung der vorliegenden aktuellen Akten keine gravierenden Abweichungen zu den Vorjahren auf. Auch waren keine besonderen oder auffälligen Positionen in der Gewinnermittlung erkennbar. Bei dieser Sachlage war das FA zur Beiziehung der archivierten Akten nicht gehalten.

31

d) Unerheblich ist, dass das FA den für das Streitjahr 1996 ergangenen Einkommensteueränderungsbescheid auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt hat. Für die Rechtmäßigkeit eines Änderungsbescheids ist nicht entscheidend, ob die zutreffende Änderungsnorm genannt ist, sondern dass die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift erfüllt sind, die das FA zur Änderung verpflichtet (BFH-Urteil in BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Dies ist hier der Fall, weil die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt sind.

32

3. Das FA war auch zum Erlass geänderter Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide für 1997 bis 1999 berechtigt.

33

Die Befugnis zur Änderung der Gewerbesteuermessbescheide folgt aus § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG. Danach ist ein Gewerbesteuermessbescheid zu ändern, wenn der Einkommensteuerbescheid geändert wird und die Änderung den Gewinn aus Gewerbebetrieb betrifft. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist die Änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrags beeinflusst. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt, weil das FA zu Recht die Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 geändert und die hier zu beurteilenden Schuldzinsen nicht mehr als Betriebsausgaben abgezogen hat.

34

Die Befugnis zur Änderung der Gewerbesteuerzerlegungsbescheide 1997 bis 1999 folgt aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Denn Änderungen des Gewerbesteuermessbescheids führen dazu, dass auch der Zerlegungsbescheid als Folgebescheid zu ändern ist (Blümich/Hofmeister, GewStG, § 28 Rz 26, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre 1996 bis 1999 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielt aus einer Handelsvertretung Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich.

2

Für die Streitjahre ergingen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Einkommensteuerbescheide und Gewerbesteuermessbescheide. Die Festsetzungen waren jeweils lediglich wegen einzelner verfassungsrechtlicher Fragen vorläufig. Auch die Gewerbesteuerzerlegungsbescheide für 1997 bis 1999 ergingen endgültig.

3

Im Rahmen einer Außenprüfung beim Kläger vertrat der Prüfer und ihm folgend der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, Zinsen in Höhe von 35.163,82 DM (für 1997), von 33.258,63 DM (für 1998) und von 28.105,73 DM (für 1999) seien nicht als Betriebsausgaben abziehbar. Die Zahlungen beruhten auf zwei Darlehen, die nicht im Zusammenhang mit betrieblichen Vorgängen ständen.

4

Die Kläger hatten mit notariellem Vertrag vom 9. Dezember 1983 das mit einem Zweifamilienhaus bebaute Grundstück X in Z zu einem Kaufpreis von 845.000 DM erworben. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm die Klägerin bei der Stadtsparkasse Z zwei Darlehen über 520.000 DM (Kontonummer: Y1; künftig SSK Y1) und 280.000 DM (Kontonummer: Y2; künftig SSK Y2) auf. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärungen bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1985 machten die Kläger die Gesamtzinsen beider Darlehen als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. In der Gewinnermittlung für die klägerische Handelsvertretung 1986 buchte der Kläger zunächst über das Privatentnahmekonto das Darlehen SSK Y1 in Höhe von 512.299,20 DM. In seiner Bilanz zum 31. Dezember 1986 sowie in den Folgejahren wies er dieses Darlehen in Höhe von 506.403,61 DM als Verbindlichkeit aus. Im Rahmen der Gewinnermittlung für das Jahr 1989 verfuhr der Kläger mit dem Darlehen über den Ursprungsbetrag von 280.000 DM (SSK Y2) entsprechend.

5

Das FA erließ nach § 173 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) am 4. September 2001 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1997 bis 1999, in denen der Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb unter anderem um die genannten Zinsbeträge erhöht wurde. Eine entsprechende Korrektur der für diese Jahre ergangenen Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide wurde vom FA nach § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) vorgenommen. Der gegen diese geänderten Einkommensteuerbescheide gerichtete Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA in erneut geänderten Einkommensteuerbescheiden für 1997 bis 1999 die Zinsen aus den streitbefangenen Darlehen anteilig (der Höhe nach unstreitig) steuermindernd als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte.

6

Zudem erließ das FA unter dem 14. Dezember 2001 einen auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützten geänderten Einkommensteuerbescheid 1996. In diesem wurden die klägerischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb um die Zinsen aus den streitbefangenen Darlehen erhöht, diese jedoch gleichzeitig aber anteilig in unstreitiger Höhe bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt.

7

Die Einsprüche blieben erfolglos.

8

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 231 veröffentlichten Urteil ab. Die zu beurteilenden Schuldzinsen seien nicht betrieblich veranlasst. Die ihnen zugrunde liegenden Darlehen seien nicht zu betrieblichen Zwecken verwandt worden. Ein solcher betrieblicher Zusammenhang sei auch nicht nachträglich durch eine Umwidmung hergestellt worden. Hierfür sei der bloße buchmäßige Ausweis der Darlehen in der Bilanz der Kläger nicht ausreichend. Durch eine bloße Willensentscheidung des Steuerpflichtigen könne ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit einer bestimmten Einkunftsart nicht hergestellt werden.

9

Das FA sei auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass der geänderten Steuerbescheide berechtigt gewesen. Nachträglich sei bekannt geworden, dass ein privates, durch die Ehefrau des Klägers aufgenommenes, der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung zuzuordnendes Darlehen nur aufgrund eines Willensaktes des Klägers als betriebliches Darlehen behandelt worden sei. Aus den Bilanzen des Klägers sei dieser Vorgang auch unter Einbeziehung der Akten der Vorjahre so nicht erkennbar gewesen. Denn im Falle einer steuerlich anzuerkennenden Umwidmung hätte der buchmäßige Ausweis der Darlehensverbindlichkeit in gleicher Weise erfolgen müssen.

10

Mit ihrer Revision machen die Kläger weiterhin geltend, das FA sei nicht berechtigt gewesen, die Steuerbescheide zu ändern und die in Frage stehenden Schuldzinsen nicht mehr als Betriebsausgaben abzuziehen. Eine Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO scheide im Streitfall aus. Sie, die Kläger, hätten in vollem Umfang ihrer steuerlichen Mitwirkungspflicht dadurch genügt, dass sie die Darlehen offen in der Bilanz 1986 bzw. 1989 neu als Verbindlichkeit ausgewiesen und im Gegenzug eine Buchung auf dem Privatentnahmekonto vorgenommen hätten. Durch die Einbuchung der bis dahin bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend gemachten Darlehen als nunmehr betriebliche Verbindlichkeiten und deren eindeutige Kennzeichnung im Rahmen der Beschriftung der Konten im Kontennachweis hätten sie diesen Vorgang für das FA offenkundig gemacht. Dass das FA die steuerliche Behandlung nicht beanstandet habe, beruhe ausschließlich darauf, dass es seiner Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei. Unerheblich sei der Vortrag des FA, in den Streitjahren habe kein Anlass für weiter gehende Ermittlungen vorgelegen. Da dem FA (aufgrund der Steuererklärungen 1986 und 1989) die Umwidmung der Darlehen bekannt gewesen sei, hätte es, sofern sie diese für fragwürdig gehalten hätte, seinerzeit weitere Nachforschungen anstellen müssen.

11

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004 (bezogen auf die Einkommensteuer 1996 bis 1999) aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid 1996 vom 14. Dezember 2001 und die geänderten Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 7. Februar 2002 in der Weise zu ändern, dass Schuldzinsen von 32.733 DM (1996), von 35.163 DM (1997), von 33.258 DM (1998) und von 28.105 DM (1999) vollständig steuermindernd berücksichtigt werden.

12

Der Kläger beantragt des Weiteren,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004 (bezogen auf die Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 und die Bescheide über die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags 1997 bis 1999) die Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 11. September 2001 und die Gewerbesteuerzerlegungsbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 20. September 2001 in der Weise zu ändern, dass die für diese Jahre vorstehend genannten Schuldzinsen vollständig gewinnmindernd berücksichtigt werden.

13

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

14

Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO lägen vor.

Entscheidungsgründe

15

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend erkannt, dass die zu beurteilenden Schuldzinsen keine Betriebsausgaben sind (unter 1.). Im Ergebnis zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass das FA gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass geänderter Einkommensteuerbescheide berechtigt war (unter 2.). Daher konnte es auch die zuvor ergangenen Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide entsprechend ändern (unter 3.).

16

1. Zutreffend hat das FG angenommen, dass die hier zu beurteilenden Schuldzinsen wegen fehlender betrieblicher Veranlassung (§ 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) nicht als Betriebsausgaben abziehbar sind.

17

a) Schuldzinsen sind dann Betriebsausgaben, wenn die Zinsen für eine Verbindlichkeit geleistet werden, die durch den Betrieb veranlasst ist und deshalb zum Betriebsvermögen gehört. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn ein Steuerpflichtiger liquide Mittel seines Betriebs entnimmt und zur Tilgung privater Verbindlichkeiten verwendet und er betriebliche Vorgänge mittels eines Kredits finanziert (sog. Zweikonten-Modell; vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Dezember 1997 GrS 1-2/95, BFHE 184, 7, BStBl II 1998, 193; BFH-Urteil vom 20. Juni 2000 VIII R 57/98, BFH/NV 2001, 28, und Senatsurteil vom 21. September 2005 X R 46/04, BFHE 211, 238, BStBl II 2006, 125). Da allein die tatsächliche Verwendung der Darlehensvaluta maßgebend ist, sind Schuldzinsen nicht bereits deshalb betrieblich veranlasst, wenn der Steuerpflichtige mittels des Kredits ein privates Wirtschaftsgut finanziert, er aber in der Lage gewesen wäre, eine Finanzierung über das Zweikonten-Modell durchzuführen (BFH-Urteile in BFH/NV 2001, 28, und vom 29. August 2001 XI R 74/00, BFH/NV 2002, 188).

18

b) Auch ist es nach Auffassung des Großen Senats des BFH nicht möglich, einen betrieblichen Veranlassungszusammenhang durch eine bloße wirtschaftliche Umschuldung herzustellen. Ein zu privaten Zwecken aufgenommenes Darlehen kann nicht dadurch wirtschaftlich umgeschuldet werden, dass der Steuerpflichtige durch den bilanziellen Ausweis des Darlehens den Verwendungszweck des privaten Darlehens verändert (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 184, 7, BStBl II 1998, 193, unter B.II.1. der Gründe). Denn für die Besteuerung ist allein --auf der Grundlage des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts-- maßgebend, wofür die Darlehensmittel verwendet wurden. Auch kann ein wirtschaftlicher Zusammenhang des Darlehens mit dem Betrieb des Steuerpflichtigen nicht durch einen bloßen Willensakt desselben begründet werden (BFH-Urteile vom 12. September 1985 VIII R 336/82, BFHE 145, 327, BStBl II 1986, 255, und vom 17. Dezember 2003 XI R 19/01, BFH/NV 2004, 1277).

19

c) Allerdings wird eine Darlehensverbindlichkeit dann Bestandteil des Betriebsvermögens, wenn mittels des Darlehens ein privates Wirtschaftsgut finanziert worden ist, das durch eine Privateinlage in das (notwendige oder gewillkürte) Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen überführt wird. In einem solchen Fall teilt die Darlehensverbindlichkeit das steuerliche Schicksal des mit dem Darlehen finanzierten Wirtschaftsguts (Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 4 Rz 229). Hingegen kann eine Darlehensverbindlichkeit nicht isoliert als gewillkürtes Betriebsvermögen behandelt werden (BFH-Urteile vom 17. April 1985 I R 101/81, BFHE 143, 563, BStBl II 1985, 510, und in BFHE 145, 327, BStBl II 1986, 255).

20

d) Schließlich kann hinsichtlich einer Darlehensverbindlichkeit ein betrieblicher Veranlassungszusammenhang nachträglich dadurch hergestellt werden, dass ein mittels des Darlehens finanziertes Wirtschaftsgut des Privatvermögens veräußert und der Kaufpreis in das Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen überführt wird (sog. Umwidmung; vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1996 VIII R 68/94, BFHE 182, 312, BStBl II 1997, 454).

21

e) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen sind im Streitfall die zu beurteilenden Schuldzinsen nicht betrieblich veranlasst. Die ihnen zugrunde liegenden Darlehen der Stadtsparkasse X stehen nicht im Zusammenhang mit der Finanzierung betrieblicher Vorgänge des Klägers. Nach den Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist und die von den Klägern auch nicht angegriffen wurden, wurde mittels dieser Darlehen der Kauf eines zum Privatvermögen der Kläger gehörenden bebauten Grundstücks finanziert. Dieses Grundstück wurde weder zu einem späteren Zeitpunkt in das Betriebsvermögen des Klägers überführt noch veräußert. Es blieb Privatvermögen.

22

2. Im Ergebnis zu Recht hat das FG angenommen, dass das FA gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass geänderter Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre berechtigt war.

23

a) Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

24

Eine Tatsache wird nachträglich bekannt, wenn sie das FA im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens für den Erlass des ursprünglichen Steuerbescheids noch nicht kannte (BFH-Urteil vom 18. März 1987 II R 226/84, BFHE 149, 141, BStBl II 1987, 416). Maßgebend hierfür ist die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle (BFH-Urteil vom 23. März 1983 I R 182/82, BFHE 138, 313, BStBl II 1983, 548). Bekannt ist der zuständigen Dienststelle der Inhalt der dort geführten Akten, ohne dass insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters abzustellen ist (BFH-Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492).

25

Das FA ist allerdings gehindert, einen Steuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn dem FA die Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre, sofern der Steuerpflichtige seinerseits seiner Mitwirkungspflicht in vollem Umfang genügt hat (BFH-Urteil vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Gleiches gilt, wenn das FA seine Ermittlungspflicht und der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht verletzt haben, die Verletzung der Ermittlungspflicht im konkreten Einzelfall aber deutlich überwiegt (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585).

26

b) Es erscheint zweifelhaft, ob die Annahme des FG zutrifft, bei der damaligen Bearbeitung der Steuererklärungen 1986 und 1989 sei für das FA nicht erkennbar gewesen, dass der Kläger zu Unrecht private Darlehen in das Betriebsvermögen eingebucht hatte.

27

Die Zweifel ergeben sich vorliegend daraus, dass jedenfalls in Bezug auf das Jahr 1986 aus der vom Kläger eingereichten Bilanz und den hierzu gegebenen Erläuterungen, auf deren Inhalt das FG Bezug genommen und diesen damit festgestellt hat, für das FA erkennbar gewesen sein musste, dass weder eine Finanzierung nach dem Zweikonten-Modell erfolgt war noch eine sog. Umwidmung stattgefunden hatte.

28

c) Einer abschließenden Beurteilung dieser Problematik bedarf es indessen nicht, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als zutreffend erweist. Im Streitfall besteht nämlich die Besonderheit, dass die die Einbuchung der Darlehen in das Betriebsvermögen des Klägers betreffenden Vorgänge nicht aus den in den Streitjahren 1996 bis 1999 vom FA geführten aktuellen Akten, sondern lediglich aus den vom FA archivierten Akten der Jahre 1986 und 1989 ersichtlich sind.

29

Hinsichtlich archivierter Akten entspricht es der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass die zuständige Dienststelle des FA den Inhalt dieser Akten nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen muss, wenn zur Hinzuziehung dieser Vorgänge nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung eine besondere Veranlassung bestand. Nur wenn diese Voraussetzung gegeben ist, führt die unterlassene Beiziehung der archivierten Akten zu einer Verletzung der Ermittlungspflicht (BFH-Urteile vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1048, und vom 11. Februar 1998 I R 82/97, BFHE 185, 568, BStBl II 1998, 552; BFH-Beschlüsse vom 9. Dezember 1998 IV B 22/98, BFH/NV 1999, 900, und vom 12. August 1999 VIII B 12/99, juris).

30

Eine besondere Veranlassung zur Beiziehung der archivierten Akten bestand im Streitfall nicht. Nach dem von den Klägern nicht bestrittenen Vorbringen des FA in seiner Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004, auf die das FG im Tatbestand seines Urteils Bezug genommen hat, wiesen die Jahresabschlüsse und Steuererklärungen der Streitjahre unter Berücksichtigung der vorliegenden aktuellen Akten keine gravierenden Abweichungen zu den Vorjahren auf. Auch waren keine besonderen oder auffälligen Positionen in der Gewinnermittlung erkennbar. Bei dieser Sachlage war das FA zur Beiziehung der archivierten Akten nicht gehalten.

31

d) Unerheblich ist, dass das FA den für das Streitjahr 1996 ergangenen Einkommensteueränderungsbescheid auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt hat. Für die Rechtmäßigkeit eines Änderungsbescheids ist nicht entscheidend, ob die zutreffende Änderungsnorm genannt ist, sondern dass die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift erfüllt sind, die das FA zur Änderung verpflichtet (BFH-Urteil in BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Dies ist hier der Fall, weil die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt sind.

32

3. Das FA war auch zum Erlass geänderter Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide für 1997 bis 1999 berechtigt.

33

Die Befugnis zur Änderung der Gewerbesteuermessbescheide folgt aus § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG. Danach ist ein Gewerbesteuermessbescheid zu ändern, wenn der Einkommensteuerbescheid geändert wird und die Änderung den Gewinn aus Gewerbebetrieb betrifft. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist die Änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrags beeinflusst. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt, weil das FA zu Recht die Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 geändert und die hier zu beurteilenden Schuldzinsen nicht mehr als Betriebsausgaben abgezogen hat.

34

Die Befugnis zur Änderung der Gewerbesteuerzerlegungsbescheide 1997 bis 1999 folgt aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Denn Änderungen des Gewerbesteuermessbescheids führen dazu, dass auch der Zerlegungsbescheid als Folgebescheid zu ändern ist (Blümich/Hofmeister, GewStG, § 28 Rz 26, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 16. Juni 2011  3 K 3521/08 E wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

A. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

2

Der Kläger war Alleininhaber einer Einzelfirma. Das Vermögen der Firma bestand im Wesentlichen aus Grundbesitz und Anteilen an der G-GmbH, deren alleiniger Anteilseigner wiederum der Kläger war. Die Einzelfirma des Klägers überließ der GmbH den Grundbesitz für deren betriebliche Zwecke.

3

Mit notarieller Vereinbarung vom 30. Dezember 2002 übertrug der Kläger seinem Sohn seine GmbH-Beteiligung und das Einzelunternehmen mit allen Aktiva und Passiva im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Bezüglich des Einzelunternehmens behielt sich der Kläger auf Lebenszeit das unentgeltliche Nießbrauchsrecht "an dem übertragenen Einzelunternehmen, insbesondere am Grundbesitz" vor. Das Nießbrauchsrecht bezog sich auch auf die GmbH-Anteile. Für den Fall, dass der Sohn den Gesellschaftsanteil bzw. das Einzelunternehmen und den Grundbesitz ohne schriftliche Zustimmung des Klägers ganz oder teilweise veräußern oder belasten sollte, stand dem Kläger ein Rücktrittsrecht zu. Der beurkundende Notar wies ausdrücklich darauf hin, dass es zur Aufdeckung stiller Reserven komme, wenn die Finanzverwaltung die Betriebsaufspaltung aufgrund des Vertrags nicht mehr anerkennen würde.

4

Der Steuererklärung für das Jahr 2002 war die Bilanz des Einzelunternehmens beigefügt, in deren Anhang es unter der Überschrift "Rechtliche Verhältnisse" u.a. hieß: "Mit Vertrag vom 30.12.2002 ... hat Herr die Einzelfirma ... an seinen Sohn, Herrn ..., unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen, und zwar mit Wirkung zum 31.12.2002/ 01.01.2003." Die Kläger wiesen weder auf den Vorbehaltsnießbrauch hin noch übersandten sie den Vertrag. Einen Aufgabegewinn erklärten sie nicht. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Einkommensteuer 2002 mit Bescheid vom 27. April 2004 erklärungsgemäß fest. Die Veranlagung erfolgte --abgesehen von den maschinellen Vorläufigkeiten-- endgültig.

5

Am 12. April 2005 übersandten die Kläger den vom FA angeforderten Übertragungsvertrag vom 30. Dezember 2002. Mit Schreiben vom 13. April 2005 äußerte das FA die Auffassung, die Veranlagung 2002 sei nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) zu ändern und der Betriebsaufgabegewinn aufgrund der Übertragung steuerlich zu erfassen. In einem Aktenvermerk vom 14. Juni 2005 wurde festgehalten, ein Betriebsaufgabegewinn sei nicht zu besteuern.

6

Im Rahmen einer Außenprüfung für die Jahre 2002 bis 2004 stellte der Betriebsprüfer fest, die Übertragung vom 30. Dezember 2002 sei als Betriebsaufgabe zu bewerten und die aufgedeckten stillen Reserven seien nach § 16 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes der Besteuerung zu unterwerfen. In diesem Zusammenhang bat der Betriebsprüfer den Kläger mit Schreiben vom 2. Mai 2007 um Mitteilung, ob nach dem Übertragungsvertrag die Verbindlichkeiten gegenüber der Bank, den Lieferanten und der GmbH ebenfalls übergegangen seien, sowie um Vorlage der entsprechenden Zustimmungserklärungen der Gläubiger. Der Kläger legte hierzu eine Stellungnahme des beurkundenden Notars vor. Zustimmungserklärungen der Gläubiger wurden weder in Beantwortung des Schreibens vom 2. Mai 2007 noch später eingereicht.

7

Entsprechend den Feststellungen der Außenprüfung erließ das FA am 22. Februar 2008 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2002, in dem es einen von der Betriebsprüfung ermittelten Aufgabegewinn in Höhe von 854.594 € erfasste.

8

Den Einspruch hiergegen wies das FA zurück. Zur Begründung führte es aus, dass entgegen der Auffassung der Kläger eine neue Tatsache vorliege, die zu einer Änderung der Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO berechtige. Erstmals mit Vorlage des Vertragstextes am 12. April 2005 sei bekannt geworden, dass sich der Kläger bei der Übertragung des Einzelunternehmens auf seinen Sohn den Nießbrauch vorbehalten habe. Die Kläger könnten sich nicht auf einen Ermittlungsfehler des FA berufen, weil sie den Sachverhalt nicht in vollem Umfang offengelegt hätten.

9

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Es urteilte, der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung seien rechtswidrig, soweit das FA einen Aufgabegewinn von mehr als 500.000 € angesetzt habe. Das FA sei aber berechtigt gewesen, den Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Im Streitfall seien zu einer höheren Steuer führende Tatsachen nachträglich bekannt geworden, weil dem FA erst durch die Einreichung des Übertragungsvertrags am 12. Mai 2005 --richtig: 12. April 2005-- und damit nach der endgültigen Veranlagung am 27. August 2004 bekannt geworden sei, dass das Unternehmen unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen worden sei.

10

Auch liege kein Ermittlungsfehler des FA vor, weil die Kläger mit dem Hinweis auf den Übertragungsvertrag in der Gewinnermittlung für das Jahr 2002 nicht alle steuerlich relevanten Sachverhaltsdetails offengelegt hätten.

11

Zu Recht sei das FA auch davon ausgegangen, dass der Kläger mit der Übertragung vom 30. Dezember 2002 seinen im Wege einer Betriebsaufspaltung geführten Einzelbetrieb aufgegeben habe. Mit der Übertragung der Anteile an der GmbH und des Betriebsgrundstücks auf seinen Sohn unter Vorbehalt des Nießbrauchs sei die für die Betriebsaufspaltung notwendige personelle Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen gelöst worden. Wegen des Nießbrauchs könne der Sohn des Klägers insbesondere nicht die Geschäfte des täglichen Lebens in Bezug auf den Grundbesitz beherrschen. Zudem sei die Verfügungsbefugnis über den Grundbesitz wesentlich eingeschränkt.

12

Aufgrund der Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des FG hat der erkennende Senat die Revision mit Beschluss vom 20. Juni 2012 X B 106/11 zugelassen. Der Beschluss wurde den Klägern laut Zustellungsurkunde am 2. Juli 2012 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 3. August 2012, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 6. August 2012, beantragten die Kläger, die Frist zur Begründung der zugelassenen Revision um einen Monat, mithin bis zum 3. September 2012, zu verlängern. Mit Schreiben vom 7. August 2012, den Klägern zugestellt am 9. August 2012, wies der damalige Vorsitzende des erkennenden Senats unter Hinweis auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Kläger darauf hin, ihr Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist sei verspätet eingegangen.

13

Mit Schreiben vom 20. August 2012 beantragten die Kläger, die Fristverlängerung zu gewähren, da der Antrag wegen einer nicht ordnungsgemäßen Zustellung noch vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gestellt worden sei. Hilfsweise beantragten sie, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

14

Zur Begründung tragen die Kläger vor, der Beschluss über die Zulassung der Revision sei ihnen am 2. Juli 2012 nicht wirksam zugestellt worden, sondern erst am 3. Juli 2012 tatsächlich zugegangen (Entnahme des Beschlusses aus dem Briefkasten des Prozessbevollmächtigten). Ausweislich der Zustellungsurkunde sei der Beschluss in den zu den Büroräumen ihres Prozessbevollmächtigten gehörenden Briefkasten eingelegt worden, obwohl das Büro von 7:00 Uhr bis zumindest 18:00 Uhr besetzt und dank der offenen Türen auch jederzeit betretbar gewesen sei. Am 2. Juli 2012 habe die Geschäftsführerin das Büro erst um 19:00 Uhr verlassen. Der Beschluss sei lt. Aussage des zuständigen Postzustellers auch nicht außerhalb der üblichen Bürozeiten, sondern zwischen 8:30 Uhr und 10:00 Uhr zugestellt worden. Selbstverständlich verfüge das Büro über eine Klingel. Diese könne nicht nur am Empfang, sondern in allen Räumen des Büros von jedem Mitarbeiter gehört werden. Zum Beweis bieten die Kläger alle namentlich benannten Mitarbeiter ihres Prozessbevollmächtigten als Zeugen an. Zudem legen sie Versicherungen an Eides statt einer Geschäftsführerin ihres Prozessbevollmächtigten sowie zweier Mitarbeiter der zur Prozessbevollmächtigten bestellten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vor. Die Geschäftsführerin erklärt, am Hauseingang der Büroräume gebe es eine Klingel für die Büroräume der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Wochentags werde die Haustüre schon früh aufgeschlossen und bleibe bis abends geöffnet. Auch die Büroeingangstüre sei offen, sobald und solange Mitarbeiter vor Ort seien. Am 2. Juli 2012 sei sie, die Geschäftsführerin, gegen 8:30 Uhr in das Büro gekommen und bis 19:00 Uhr anwesend gewesen. Um 18:00 Uhr habe sie die Büroeingangstüre abgeschlossen und um 19:00 Uhr dann das Büro durch eine Nebentüre zum Parkhaus verlassen. Von einem Zustellungsversuch eines Postboten an diesem Tag habe sie nichts bemerkt. Einer der Mitarbeiter des Prozessbevollmächtigten der Kläger trägt vor, er habe am 2. Juli 2012 seine Arbeit um 7:00 Uhr begonnen, die Büroeingangstüre aufgeschlossen und entriegelt, sodass die Türe jederzeit offen gewesen sei. Die für die Post zuständige Mitarbeiterin (Empfangsdame) des Prozessbevollmächtigten der Kläger erläutert, sie entleere um 9:00 Uhr das Postfach ihres Arbeitgebers. Auf dem Rückweg entnehme sie dem Briefkasten die Post, öffne dann alle Briefsendungen und versehe sie mit dem Eingangsstempel des Tages. Am Morgen des 3. Juli 2012 habe sie im Briefkasten einen gelben Umschlag vorgefunden, der als Absender den BFH ausgewiesen habe. Sie habe auf dem Umschlag den Eingangsstempel 3. Juli 2012 aufgebracht und die Sendung in das Posteingangsbuch eingetragen. Dann habe sie die Sendung der Geschäftsführerin der Prozessbevollmächtigten der Kläger ausgehändigt. Die Mitarbeiterin erklärt weiter, sie könne ausschließen, dass während ihrer Arbeitszeit am 2. Juli 2012 bis 13:00 Uhr der Postbote eine Zustellung in den Büroräumen des Prozessbevollmächtigten der Kläger versucht habe.

15

Die Kläger verweisen zudem auf die Zustellung des Schreibens des Vorsitzenden des erkennenden Senats. Auch dieses sei in den Briefkasten eingeworfen worden, obwohl das Büro wie jeden Tag besetzt gewesen sei. Die Empfangsdame ihres Prozessbevollmächtigten habe den Brief gegen 9:15 Uhr dem Briefkasten entnommen. Als Zeugen, dass das Büro ihres Prozessbevollmächtigten an diesem Tag seit 7:30 Uhr besetzt gewesen sei, bieten die Kläger wiederum alle namentlich benannten Mitarbeiter ihres Prozessbevollmächtigten an.

16

Ihren Hilfsantrag (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) begründen die Kläger damit, sie seien ohne eigenes oder ihnen zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist gehindert gewesen.

17

Mit Schreiben vom 30. August 2012 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats die Frist zur Begründung der Revision --vorbehaltlich der Rechtsauffassung des Senats zur Zulässigkeit der Revision-- bis zum 3. September 2012 verlängert. Innerhalb dieser Frist tragen die Kläger zur Begründung ihrer Revision vor, das FG, das eine Änderungsbefugnis nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bejaht habe, verkenne den Umfang der gesetzlichen Ermittlungspflicht des FA.

18

Zwar sei dem FA der Vorbehaltsnießbrauch des Klägers an der im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf den Sohn übertragenen Einzelfirma erst nachträglich bekannt geworden und die Kläger hätten ihre Mitwirkungspflicht insoweit verletzt, als sie den Sachverhalt zwar wahrheitsgemäß, aber nicht vollständig unter Mitteilung aller Bedingungen des Übergabevertrags geschildert hätten. Jedoch habe das FA seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung dadurch verletzt, dass er trotz eines offenkundig nicht vollständig und eindeutig mitgeteilten Sachverhalts keine Nachfragen zu den Details der vorweggenommen Erbfolge gestellt habe. Trotz der Verletzung der Mitwirkungspflicht der Kläger habe eine Ermittlungspflicht des FA bestanden. Nach der Rechtsprechung des BFH (z.B. Senatsbeschluss vom 8. November 2011 X B 55/11, BFH/NV 2012, 169) müsse das FA jedenfalls offenkundigen Zweifelsfragen und Unklarheiten, die sich ohne weiteres aufdrängen, nachgehen und diese möglichst klären. Eine solche offenkundige Unklarheit liege im Streitfall in dem zwar wohlbekannten, inhaltlich jedoch kaum zu fassenden Begriff der "vorweggenommenen Erbfolge". Dessen Kern sei sicherlich die schenkweise Übertragung von Vermögen auf zukünftige gesetzliche Erben; alles andere sei jedoch so offen und in der Praxis vielfältig, dass der Begriff per se nicht geeignet sei, Klarheit zu vermitteln.

19

Dem Steuerpflichtigen obliege die Verpflichtung, dem FA mitzuteilen, "Ob" etwas passiert und "Was" passiert sei. Erfülle der Steuerpflichtige diese Anforderung nicht, habe das FA in der Regel keine Möglichkeit, eigene Ermittlungen einzuleiten und es entspreche nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben, dass dem Steuerpflichtigen ein Vorteil aus dieser Pflichtverletzung erwachse. Anders verhalte es sich jedoch bei der Frauge, "Wie" etwas passiert sei. Diese Frage könne oftmals nur durch die Vorlage des Vertragswerks beantwortet werden und der Steuerpflichtige als Laie könne in der Regel gar nicht abschätzen, welche juristischen Detailregelungen von steuerlicher Relevanz seien und welche nicht. Er müsste dann alle vertraglichen Unterlagen zu allen steuerlich relevanten Vorgängen dem FA vorlegen; dies sei weder dem Steuerpflichtigen noch dem FA zuzumuten, das dann mit einer Flut von Unterlagen konfrontiert würde. Dies zeige sich nicht zuletzt an § 97 AO, wonach die Finanzbehörde die Vorlage von Unterlagen verlangen könne, jedoch in der Regel erst dann, wenn der Vorlagepflichtige eine Auskunft nicht erteilt habe, die Auskunft unzureichend sei oder Bedenken gegen ihre Richtigkeit bestünden.

20

Selbst wenn man die unaufgeforderte Vorlage des Vertrags über die vorweggenommene Erbfolge als zumutbar ansehen würde (das FG habe hierzu keine Feststellungen getroffen) und so beide Beteiligten gegen ihre Pflichten verstoßen hätten, wäre bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass zwischen der Teilerfüllung der Mitwirkungspflichten durch den Kläger und der Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA ein Kausalzusammenhang bestehe. Ließe man in diesem Fall die Regel der Rechtsprechung greifen, wonach der Steuerpflichtige bei beidseitigem Pflichtverstoß die Verantwortung trage und der Steuerbescheid deshalb geändert werden könne, würde dies die rechtsstaatliche Pflicht des FA zur Ermittlung des Sachverhalts ins Leere laufen lassen.

21

Eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sei zudem jedenfalls im Jahr 2008 wegen des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens nicht mehr zulässig gewesen. Das FA habe im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Jahres 2003 den Überlassungsvertrag angefordert, im Schreiben vom 13. April 2005 die Auffassung vertreten, 2002 sei ein Aufgabegewinn zu erfassen sowie der Einkommensteuerbescheid nach § 173 AO zu ändern, und gleichwohl in den Einkommensteuerbescheiden der Jahre 2003 und 2004 die Einkünfte des Klägers aus dem Nießbrauch am Einzelunternehmen erklärungsgemäß als gewerbliche Einkünfte und nicht als Vermietungseinkünfte erfasst.

22

Die Kläger beantragen,
das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 2002 ohne Berücksichtigung eines Aufgabegewinns des Klägers betreffend die Einzelfirma festzusetzen.

23

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

24

Es habe den Einkommensteuerbescheid 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern können. Aus dem Jahresabschluss des Klägers sei nur hervorgegangen, dass er die Einzelfirma unentgeltlich an seinen Sohn im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen habe. Die Kläger hätten auch den notariellen Übertragungsvertrag nicht mit der Steuererklärung eingereicht. Das FA müsse eindeutigen Steuererklärungen und vorgelegten Jahresabschlüssen nicht mit Misstrauen begegnen. Es könne regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen, ohne besondere Ermittlungen anstellen zu müssen, zumal wenn sie --wie auch im Streitfall-- unter Mitwirkung eines steuerlichen Beraters gefertigt worden seien. Von diesem sei zu erwarten, dass er die denkbare steuerliche Relevanz der Übertragung kenne, so dass die möglicherweise bedeutsamen Tatsachen en detail dem FA zur Kenntnis und Entscheidung hätten unterbreitet werden müssen. Die Kläger könnten sich nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen, weil sie die ihnen obliegenden Mitwirkungs- und Erklärungspflichten nicht in zumutbarem Umfang erfüllt hätten. Im Streitfall sei für das FA aus dem eingereichten Jahresabschluss 2002 lediglich erkennbar gewesen, dass der Kläger seine Einzelfirma unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf den Sohn übertragen habe.

25

Zudem gehe die Argumentation der Kläger ins Leere, eine Änderung der Steuerbescheide sei auch deshalb ausgeschlossen, weil sie das FA mit Schreiben vom 13. April 2005 angekündigt, aber erst nach Abschluss der Außenprüfung im Jahr 2007 vorgenommen habe. Eine bloße Untätigkeit des FA reiche für eine Verwirkung des Steueranspruchs nicht aus. Eine Änderung sei vielmehr innerhalb der Festsetzungsfrist möglich gewesen und diese sei erst am 31. Dezember 2008 abgelaufen.

Entscheidungsgründe

26

B. Die Revision ist zulässig. Insbesondere wurde sie fristgemäß begründet (vgl. unten I.). Sie ist jedoch unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Zu Recht hat das FG erkannt, dass das FA berechtigt war, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern (vgl. unten II.).

27

I. Die Kläger haben die Frist zur Begründung der Revision nicht versäumt.

28

1. Gibt der BFH der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision statt, ist diese innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich zu begründen. Die Frist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden (§ 120 Abs. 2 FGO).

29

2. Der Zulassungsbeschluss vom 20. Juni 2012 X B 106/11 ist am 2. Juli 2012 nicht wirksam zugestellt worden. Die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung nach § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 180 der Zivilprozessordnung (ZPO) lagen im Streitfall nicht vor.

30

a) Wird der Post ein Zustellungsauftrag erteilt, erfolgt gemäß § 176 Abs. 2 ZPO die Ausführung der Zustellung nach den §§ 177 bis 181 ZPO. Wird die Person, der zugestellt werden soll --hier einem gesetzlichen Vertreter des Prozessbevollmächtigten (§ 170 ZPO)--, in dem Geschäftsraum nicht angetroffen, kann das Schriftstück nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person zugestellt werden. Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht ausführbar, kann nach § 180 ZPO das Schriftstück in einen zu dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung (§ 180 Satz 3 ZPO).

31

b) Im Streitfall hat der Postbedienstete zwar nach den Angaben in der Zustellungsurkunde das zuzustellende Schriftstück zu übergeben versucht und --weil die Übergabe in den Geschäftsräumen nicht möglich war (so jedenfalls der Eintrag in der Zustellungsurkunde)-- am 2. Juli 2012 in den zu diesen gehörenden Briefkasten eingelegt. Zudem erbringt die Zustellungsurkunde gemäß § 418 ZPO i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Die Beweiskraft erstreckt sich nicht nur auf das Einlegen des Schriftstücks in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung, sondern insbesondere auch darauf, dass der Postbedienstete unter der ihm angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme einer Ersatzzustellung in Betracht kommende Person angetroffen hat (BFH-Beschluss vom 4. Juli 2008 IV R 78/05, BFH/NV 2008, 1860). Ein Gegenbeweis kann nach § 418 Abs. 2 ZPO nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden. Derjenige, der sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung beruft, muss den Nachweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufs erbringen, der ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1860, m.w.N.).

32

c) Dieser Nachweis ist den Klägern gelungen. Sie haben substantiiert die Umstände dargelegt, die gegen die Richtigkeit des Inhalts der Zustellungsurkunde sprechen und die ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde zu belegen geeignet sind. Von der Richtigkeit dieser Angaben ist der erkennende Senat überzeugt.

33

Die Kläger haben vorgetragen und dies mit Versicherungen an Eides statt der Geschäftsführerin und zweier Mitarbeiter ihres Prozessbevollmächtigten belegt, dass die Steuerberatungskanzlei am 2. Juli 2012 zwischen 7:00 Uhr und 19:00 Uhr durchgehend besetzt gewesen sei. Zwischen 7:00 Uhr und 18:00 Uhr sei die Büroeingangstüre entsperrt (die Haustüre sei wegen der Arztpraxen im selben Gebäude permanent offen) und während dieser Zeit habe folglich das Büro von jedermann, also auch von dem Postzusteller, ungehindert betreten werden können. Die Kläger haben weiter dargelegt, die Büroeingangstüre sei mit einer Klingel verbunden, damit das Büro von niemand unbemerkt betreten werden könne. Wegen der Klingel könne das Öffnen der Eingangstüre im ganzen Büro gehört werden, auch wenn der Empfang neben der Eingangstüre ausnahmsweise nicht besetzt sei. Ein kurzfristiges, eventuell in Vergessenheit geratenes Verlassen des Empfangs (so wie in dem dem Beschluss in BFH/NV 2008, 1860 zugrunde liegenden Streitfall denkbar), konnte somit nicht zur Folge haben, dass der Postzusteller in den Geschäftsräumen des Prozessbevollmächtigten der Kläger niemand angetroffen hat. Zudem haben die Kläger vorgetragen, der Postzusteller sei nach dessen eigener Aussage am 2. Juli 2012 --wie stets-- zwischen 8:30 Uhr und 10:00 Uhr am Objekt vorbeigekommen, in dem der Prozessbevollmächtigte der Kläger seine Büroräume hat. Eine Übergabe des Zulassungsbeschlusses außerhalb der Geschäftszeiten des Prozessbevollmächtigten ist somit auch nicht denkbar.

34

Nach alledem ist der Zulassungsbeschluss am 2. Juli 2012 nicht wirksam zugestellt worden und der Antrag der Kläger auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist ist vor deren Ablauf beim BFH eingegangen.

35

II. Das FA war berechtigt, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern und den Gewinn aus der Aufgabe des Einzelunternehmens, der im Revisionsverfahren weder dem Grunde noch der Höhe nach streitig ist, zu erfassen.

36

1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

37

2. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Nießbrauchsvorbehalt (Tatsache i.S. des § 173 AO) nachträglich, d.h. nach der abschließenden Veranlagung der Einkommensteuer für 2002 bekannt geworden ist. Diese Tatsache führt auch zu einer höheren Steuer (vgl. z.B. Urteil des Niedersächsischen FG vom 20. Juni 2007  2 K 562/05, Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1584; die gegen diese Entscheidung eingelegte, vom FG zugelassene Revision wurde zurückgenommen). Gegen diese rechtliche Bewertung erheben die Kläger im Revisionsverfahren auch keine Einwände.

38

3. Die Tatsache ist auch rechtserheblich.

39

a) Seit dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86 (BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180) vertritt die höchstrichterliche Finanzrechtsprechung die Auffassung, dass ein Steuerbescheid wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen nur aufgehoben oder geändert werden darf, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter C.II. am Anfang). Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO scheidet hingegen aus, wenn die Unkenntnis der später bekanntgewordenen Tatsache für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich (rechtserheblich) gewesen ist, weil das FA auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuer gelangt wäre (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter C.II.2.b).

40

b) Maßgebend für die Frage nach der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Willensbildung des FA über die Steuerfestsetzung abgeschlossen wird, d.h. im Normalfall der Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens (bei EDV-mäßiger Abwicklung der Steuerfestsetzung) oder der Verfügung zum Steuerbescheid (z.B. BFH-Urteil vom 22. April 2010 VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951).

41

c) Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung ausgelegt wurde, und den die FA bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Steuerbescheids durch das FA gegolten haben (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 15. März 2007 III R 57/06, BFH/NV 2007, 1461; vom 15. Dezember 1999 XI R 22/99, BFH/NV 2000, 818; in BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951, und vom 27. Januar 2011 III R 90/07, BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543). Das mutmaßliche Verhalten des einzelnen Sachbearbeiters und seine individuellen Rechtskenntnisse sind hingegen für die Frage, ob die Veränderung im Tatsächlichen oder in der rechtlichen Beurteilung liegt, aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen ohne Bedeutung. Subjektive Fehler des einzelnen Bearbeiters und damit des FA, wie sie sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht denkbar sein mögen, sind für die Beurteilung der Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekanntgewordenen Tatsache unbeachtlich (vgl. BFH-Urteil in BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951).

42

d) Eine Betriebsaufspaltung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass das vermietende Besitzunternehmen mit dem mietenden Betriebsunternehmen sachlich und personell verflochten ist (vgl. z.B. Urteile vom 21. Januar 1999 IV R 96/96, BFHE 187, 570, BStBl II 2002, 771, m.w.N.; vom 12. Oktober 1988 X R 5/86, BFHE 154, 566, BStBl II 1989, 152). Eine personelle Verflechtung ist gegeben, wenn eine Person oder Personengruppe beide Unternehmen in der Weise beherrscht, dass sie in der Lage ist, in beiden Unternehmen einen einheitlichen Geschäfts- und Betätigungswillen durchzusetzen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 187, 570, BStBl II 2002, 771; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 8. November 1971 GrS 2/71, BFHE 103, 440, BStBl II 1972, 63). Eine Betriebsaufspaltung ist bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch dann gegeben, wenn der Vermieter nicht Eigentümer des vermieteten Wirtschaftsguts ist, sondern wenn es ihm (nur) zur Nutzung überlassen worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 24. August 1989 IV R 135/86, BFHE 158, 245, BStBl II 1989, 1014, m.w.N.).

43

Eine Betriebsaufspaltung endet, wenn sowohl das Besitzunternehmen als auch die GmbH-Anteile am Betriebsunternehmen unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs auf einen Dritten übertragen werden.

44

Spätestens seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. November 1998 II ZR 213/97 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 571) war geklärt, dass die Kompetenz des Gesellschafters, bei Beschlüssen, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, selber abzustimmen, ihm durch die Einräumung eines Nießbrauchs an seinem Gesellschaftsanteil nicht genommen wird. Der Nießbraucher an den Gesellschaftsanteilen erhält zwar ein dingliches Nutzungsrecht, wird aber nicht Gesellschafter. Inhalt seines Nutzungsrechts sind vor allem die Früchte der Mitgliedschaft (§ 100 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Die Kompetenz des Gesellschafters, bei Beschlüssen, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, selber abzustimmen, wird ihm durch die Einräumung eines Nießbrauchs an seinem Anteil nicht genommen.

45

Zwar ist diese Entscheidung zu Personengesellschaften ergangen. Auch in Bezug auf GmbH-Anteile entspricht es aber der herrschenden Meinung sowohl in der Instanzrechtsprechung (Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 16. Januar 1992  6 U 963/91, NJW 1992, 2163) als auch in der Literatur (z.B. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 15 Rz 102; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 15 Rz 217; Reichert/Weller in Münchner Kommentar zum GmbHG, 2010, § 15 Rz 338, jeweils m.w.N.), dass die Stimmrechte im Fall der Einräumung eines Nießbrauchs grundsätzlich beim Gesellschafter bleiben.

46

Da eine Betriebsaufspaltung voraussetzt, dass eine Person oder Personengruppe sowohl das Besitz- als auch das Betriebsunternehmen beherrscht (vgl. oben), kann keine Betriebsaufspaltung vorliegen, wenn zwar der/die Eigentümer des Besitzunternehmens und der/die Inhaber der GmbH-Anteile am Betriebsunternehmen identisch sind, jedoch am Besitzunternehmen und an den GmbH-Anteilen ein Nießbrauchsrecht zugunsten einer Person oder Personengruppe bestellt ist. Diese beherrscht zwar aufgrund des Nießbrauchs das Besitzunternehmen, nicht aber die GmbH, weil die Stimmrechte daran nicht ihm, sondern dem Gesellschafter der GmbH zustehen. Werden bei Vorliegen einer Betriebsaufspaltung sowohl das als Einzelunternehmen geführte Besitz- als auch die in der Rechtsform der GmbH betriebene Betriebsgesellschaft unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen, entfällt die personelle Verflechtung zwischen Besitzunternehmen und Betriebsgesellschaft. Dies war bei Bestellung des Nießbrauchs geklärt, auch wenn der BFH dies im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids der Kläger für die Übertragung eines Besitz- und Betriebsunternehmens unter Nießbrauchsvorbehalt nicht ausdrücklich entschieden hatte.

47

e) Im Streitfall hätte das FA nach alledem bei Kenntnis des Nießbrauchsvorbehalts unter Berücksichtigung der Rechtslage und der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Besteuerung der Kläger im Streitjahr einen Aufgabegewinn zugrunde legen müssen, da ein Nießbrauch an GmbH-Anteilen nicht bewirkt, dass der Nießbraucher stimmberechtigt wird. Darauf kommt es bei der Frage der Beherrschung einer GmbH entscheidend an, weil eine GmbH (abgesehen vom Fall der faktischen Beherrschung) durch die Ausübung der Stimmrechte beherrscht wird. Ab der Betriebsübergabe hat der die sachliche Beherrschung bewirkende Kläger die Betriebskapitalgesellschaft nicht mehr beherrscht.

48

4. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids ist auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen.

49

a) Einer Änderung einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO steht dann der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20. April 2004 IX R 39/01, BFHE 206, 105, BStBl II 2004, 1072).

50

b) Im Streitfall haben die Kläger ihre Mitwirkungs- und Erklärungspflicht verletzt. Sie haben zwar bei der Abgabe ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 erklärt, das Einzelunternehmen des Klägers sei im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf den Sohn übertragen worden. Sie haben jedoch --was für die einkommensteuerrechtliche Würdigung entscheidend gewesen wäre-- den vereinbarten Nießbrauchsvorbehalt nicht mitgeteilt.

51

Die Kläger tragen vor, dass die Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs der vorweggenommenen Erbfolge dem FA hätte bekannt sein müssen und eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass daneben noch Versorgungselemente (Rente, Wohnrecht, Nießbrauch) vereinbart worden seien. So diese Annahme zutreffend ist --und der Senat teilt diese Auffassung--, hätte es aber den steuerlich beratenen Klägern oblegen, die mit der vorweggenommenen Erbfolge verbundenen Versorgungselemente zu erklären. Sie haben dem FA nicht nur Details eines steuerlich relevanten Sachverhalts nicht offenbart, sondern den Nießbrauchsvorbehalt nicht erklärt, der die Beendigung der Betriebsaufspaltung zur Folge hatte. Die Ermittlungspflicht des FA kann nicht weiter gehen als die Erklärungspflichten der Steuerpflichtigen, die den steuerpflichtigen Sachverhalten doch so viel näher stehen und diese viel besser kennen als die Finanzbehörden. Die Verletzung der Ermittlungspflicht des FA ist im Streitfall als nachrangig im Hinblick auf die von den Klägern verletzte Mitwirkungs-/Erklärungspflicht einzustufen.

52

Aus dem von den Klägern angesprochenen BFH-Urteil vom 24. Juni 1960 VI 270/58 (Der Betrieb 1960, 1412) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Es kann offenbleiben, ob ein 54 Jahre altes Urteil noch dem heutigen Stand der Rechtsprechung zu § 173 AO entspricht. Jedenfalls ist diesem Urteil nicht der Rechtssatz zu entnehmen, die Verletzung der Ermittlungspflicht des FA überwiege das Verschulden des Steuerpflichtigen in jedem Fall, wenn das FA bei Anhaltspunkten für eine Betriebsaufgabe keine weiteren Ermittlungen anstellt und der Steuerpflichtige nicht bewusst unlauter handelt. Vielmehr enthält dieses Urteil lediglich eine Abwägung zwischen dem Grad der Verletzung der Erklärungspflicht durch den Steuerpflichtigen und der Ermittlungspflicht durch das FA im konkret zu entscheidenden Streitfall (so bereits zutreffend BFH-Beschluss vom 20. Juli 2011 IV B 19/10, BFH/NV 2011, 2077).

53

c) Die Möglichkeit, den Einkommensteuerbescheid 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, hat das FA auch nicht dadurch verwirkt, weil ihm der gesamte Übertragungsvertrag bereits 2005 bekannt geworden ist, es von der Änderungsmöglichkeit aber erst im Jahr 2008 Gebrauch gemacht und in der Zwischenzeit in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2003 und 2004 die Einkünfte des Klägers aus dem Nießbrauch am Einzelunternehmen erklärungsgemäß als gewerbliche Einkünfte und nicht als Vermietungseinkünfte erfasst hat.

54

aa) Als weiterer Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben und Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Tuns (venire contra factum proprium) setzt die Annahme von Verwirkung ein bestimmtes Verhalten der Finanzbehörde voraus, aufgrund dessen der Steuerpflichtige bei objektiver Betrachtung annehmen darf, die Behörde werde den Anspruch nicht oder nicht mehr geltend machen (Senatsurteil vom 7. Juli 2004 X R 24/03, BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975). Zum Tatbestand gehört sowohl ein Zeitmoment als auch ein Umstandsmoment (grundlegend BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121, unter 3.a). Während für das Zeitmoment bereits eine längere Untätigkeit des Anspruchsberechtigten genügen kann, setzt das Umstandsmoment ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten und einen hierdurch ausgelösten Vertrauenstatbestand beim Verpflichteten voraus. Das bloße Untätigbleiben der Finanzbehörde vermag einen Vertrauenstatbestand in der Regel nicht zu schaffen (BFH-Urteil vom 27. September 1988 VII R 181/85, BFHE 154, 406).

55

bb) Aus der Tatsache, dass das FA im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Jahres 2003 den Überlassungsvertrag angefordert sowie im Schreiben vom 13. April 2005 die Auffassung vertreten hat, 2002 sei ein Aufgabegewinn zu erfassen und der Einkommensteuerbescheid nach § 173 AO zu ändern, aber gleichwohl in den Einkommensteuerbescheiden der Jahre 2003 und 2004 die Einkünfte des Klägers aus dem Nießbrauch am Einzelunternehmen erklärungsgemäß als gewerbliche Einkünfte und nicht als Vermietungseinkünfte gewertet sowie den Steuerbescheid 2002 nicht zeitnah geändert hat, konnten die Kläger nicht schließen, dass das FA die Steuerfestsetzung für 2002 nicht mehr ändern wird. Der interne Aktenvermerk des FA vom 14. Juni 2005, in dem festgehalten worden ist, ein Betriebsaufgabegewinn sei nicht zu besteuern, wurde den Klägern jedenfalls nicht vor Erlass des auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheids bekannt. Die Einkommensteuer ist zudem eine Jahressteuer. Aus der Einstufung von Einkünften im einen Veranlagungszeitraum kann nicht geschlossen werden, dass dieser Einordnung auch für entsprechende Einkünfte in anderen Veranlagungszeiträumen zu folgen ist.

56

cc) Die positive Anerkennung einer Verwirkung von Rechten setzt neben dem von den Klägern angesprochenen Umstands- und Zeitmoment noch Weiteres voraus. Es reicht nicht aus, dass der Verpflichtete (im Streitfall die Kläger) bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Er muss vielmehr auch tatsächlich darauf vertraut und sich auf die Nichtgeltendmachung eingerichtet haben (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung auch anderer oberster Bundesgerichte), und zwar so, dass die nachträglich begehrte Anspruchsbefriedigung schlechthin als unzumutbar erscheint. Bei der Beurteilung dieser Voraussetzungen ist von dem Grundsatz auszugehen, dass jeder Schuldner --auch der Steuerschuldner-- seine Verpflichtungen erfüllen muss und nur unter ganz besonderen Umständen schon vor Vollendung der Verjährung einwenden kann, eine Inanspruchnahme verstoße gegen Treu und Glauben. Hierzu haben die Kläger nichts vorgetragen und Anhaltspunkte dafür, dass sie sich auf die Nichtmehrgeltendmachung der Steuer auf den Aufgabegewinn eingerichtet, also entsprechende Vermögensdispositionen getroffen haben, sind nicht ersichtlich.

57

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

(1) Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(2) Die Finanzbehörde bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden.

(3) Zur Gewährleistung eines zeitnahen und gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze können die obersten Finanzbehörden für bestimmte oder bestimmbare Fallgruppen Weisungen über Art und Umfang der Ermittlungen und der Verarbeitung von erhobenen oder erfassten Daten erteilen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist. Bei diesen Weisungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden. Die Weisungen dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Weisungen der obersten Finanzbehörden der Länder nach Satz 1 bedürfen des Einvernehmens mit dem Bundesministerium der Finanzen, soweit die Landesfinanzbehörden Steuern im Auftrag des Bundes verwalten.

(4) Das Bundeszentralamt für Steuern und die zentrale Stelle im Sinne des § 81 des Einkommensteuergesetzes können auf eine Weiterleitung ihnen zugegangener und zur Weiterleitung an die Landesfinanzbehörden bestimmter Daten an die Landesfinanzbehörden verzichten, soweit sie die Daten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zuordnen können. Nach Satz 1 einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zugeordnete Daten sind unter Beachtung von Weisungen gemäß Absatz 3 des Bundesministeriums der Finanzen weiterzuleiten. Nicht an die Landesfinanzbehörden weitergeleitete Daten sind vom Bundeszentralamt für Steuern für Zwecke von Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b bis zum Ablauf des 15. Jahres nach dem Jahr des Datenzugangs zu speichern. Nach Satz 3 gespeicherte Daten dürfen nur für Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b sowie zur Datenschutzkontrolle verarbeitet werden.

(5) Die Finanzbehörden können zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern und Steuervergütungen sowie Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme). Dabei soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung berücksichtigt werden. Das Risikomanagementsystem muss mindestens folgende Anforderungen erfüllen:

1.
die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird,
2.
die Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte durch Amtsträger,
3.
die Gewährleistung, dass Amtsträger Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können,
4.
die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung.
Einzelheiten der Risikomanagementsysteme dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Auf dem Gebiet der von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern legen die obersten Finanzbehörden der Länder die Einzelheiten der Risikomanagementsysteme zur Gewährleistung eines bundeseinheitlichen Vollzugs der Steuergesetze im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen fest.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 2005 bis 2007 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger war einer von sieben Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH. Sechs der Geschäftsführer hatten von der GmbH eine Pensionszusage erhalten, der siebente nicht. Zwischen den Beteiligten ist in materiell-rechtlicher Hinsicht unstreitig, dass beim Kläger im Rahmen des Abzugs der Vorsorgeaufwendungen der Vorwegabzug (§ 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- in der bis 2004 geltenden Fassung, die im Rahmen der Günstigerprüfung gemäß § 10 Abs. 4a EStG in der ab 2005 geltenden Fassung auch in den Streitjahren weiter anzuwenden ist) zu kürzen ist, weil die GmbH nicht sämtlichen Gesellschaftern eine Pensionszusage erteilt hat.

2

Bei der Einkommensteuerveranlagung für das den Streitjahren vorangehende Jahr (2004) nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) zunächst --erklärungsgemäß-- eine Kürzung des Vorwegabzugs vor. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und trugen u.a. vor: "Der Einspruch richtet sich gegen die Kürzung des Vorwegabzugs des Gesellschafter-Geschäftsführers Herrn . Herr ... ist Mitgesellschafter bei der ...-GmbH und von der Sozialversicherung befreit. Die ...-GmbH hat den Gesellschafter-Geschäftsführern jeweils eine Altersvorsorge (Pensionszusage) in gleicher Höhe ausgesprochen. Nach den neuesten Rechtsprechungen des BFH bezahlt somit der Gesellschafter-Geschäftsführer seine Vorsorgeaufwendungen selbst, da dieser auf Gewinnausschüttungen verzichtet. Dies gilt auch für Mehr-Personen-Kapitalgesellschaften."

3

Die für die Einkommensteuerveranlagung zuständige Sachbearbeiterin des FA (S) vermerkte aufgrund einer Anfrage bei der Körperschaftsteuerstelle in den Akten, dass es sich um sieben mit jeweils 14,29 % beteiligte Gesellschafter handele, die gleichberechtigte Geschäftsführer seien. Sie forderte die Kläger auf, "Nachweise über die Gesellschafter-Geschäftsführer-Regelung" sowie eine "Berechnung der Altersvorsorge aller Gesellschafter" einzureichen. Die Kläger übersandten daraufhin die sechs bestehenden Pensionszusagen. Anschließend vermerkte S in den Akten: "Alle denselben Vertrag --> Urteil ist anzuwenden" und half dem Einspruch ab, indem sie den ungekürzten Vorwegabzug gewährte.

4

In der Folgezeit gaben die Kläger ihre Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2005 bis 2007 ab. In der Rubrik "Es bestand keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht aus ... der Tätigkeit als ... Gesellschafter-Geschäftsführer" kreuzten sie jeweils die Antwort "Nein" an. Das FA sah für die Streitjahre von einer Kürzung des Vorwegabzugs ab. Die entsprechenden Einkommensteuerbescheide ergingen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

5

Im Anschluss an eine im Oktober 2009 bei der GmbH durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung teilte der Prüfer dem Veranlagungsbezirk mit, dass der siebente Geschäftsführer keine Pensionszusage erhalten hatte. Das FA erließ daraufhin die angefochtenen, auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gestützten Änderungsbescheide für 2005 bis 2007, in denen es nunmehr den Vorwegabzug kürzte.

6

Einspruch und Klage blieben in diesem Punkt ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO seien erfüllt. Der S sei weder beim Erlass des Abhilfebescheids für 2004 noch beim Erlass der ursprünglichen Bescheide für die Streitjahre 2005 bis 2007 bekannt gewesen, dass einer der Geschäftsführer keine Pensionszusage erhalten hatte. Das FA sei auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben an einer Änderung der Bescheide gehindert. Zwar habe S ihre Ermittlungspflichten verletzt, weil sie --entgegen einer einschlägigen Verwaltungsanweisung-- nicht darauf bestanden habe, dass auch eine Berechnung der Anwartschaftsbarwerte vorgelegt werde, und zudem dem offensichtlichen Widerspruch zwischen der Zahl der Gesellschafter-Geschäftsführer und der (geringeren) Zahl der vorgelegten Pensionszusagen nicht nachgegangen sei. Jedoch hätten die Kläger ihre Mitwirkungspflichten gleich mehrfach verletzt. Zum einen hätten sie dem FA im Einspruchsschreiben einen objektiv unzutreffenden Sachverhalt unterbreitet, indem sie erklärt hätten, die Gesellschafter-Geschäftsführer hätten jeweils eine Pensionszusage in gleicher Höhe erhalten. Zum anderen hätten sie bei Übersendung der sechs Pensionszusagen nicht kenntlich gemacht, dass ein weiterer Gesellschafter-Geschäftsführer vorhanden sei, der gerade keine Pensionszusage erhalten habe. In der Abwägung der jeweiligen Pflichtverletzungen zeige sich jedenfalls kein deutliches Überwiegen der Ermittlungspflichtverletzung des FA, was aber Voraussetzung für eine auf die Grundsätze von Treu und Glauben gestützte Nichtanwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wäre.

7

Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen Divergenz, greifbarer Gesetzwidrigkeit der Vorentscheidung sowie Verfahrensmängeln.

8

Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Beschwerde ist --bei Zweifeln daran, ob die gesetzlichen Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) überhaupt erfüllt sind-- jedenfalls unbegründet.

10

1. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen.

11

Die Darlegung dieses Zulassungsgrundes setzt die Gegenüberstellung einander widersprechender abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und der herangezogenen Divergenzentscheidung andererseits voraus (Senatsbeschluss vom 18. Januar 2011 X B 34/10, BFH/NV 2011, 813, unter 1.c, m.w.N.). Daran fehlt es.

12

a) Die Kläger entnehmen dem angefochtenen Urteil den Rechtssatz, ein Steuerpflichtiger verletzte seine Mitwirkungspflicht "in erheblichem Maße", wenn sein Steuerberater im Einspruchsverfahren ohne Ermittlung des Sachverhalts objektiv unzutreffend vortrage und den Sachverhalt während des anschließend mit dem FA geführten Schriftwechsels nicht erneut prüfe, so dass dem Einspruch mit einem fehlerhaften Abhilfebescheid stattgegeben werde. Dem stehe nicht entgegen, dass auch das FA seine Ermittlungspflicht verletzt habe, indem es eine einschlägige Verwaltungsanweisung nicht beachtet, einen offensichtlichen Widerspruch im Einspruchsvorbringen nicht aufgeklärt und entscheidungserhebliche Unterlagen nicht erneut angefordert habe, obwohl die Streitfrage einen Ausnahmetatbestand betreffe, der per se höhere Anforderungen an die Amtsermittlungspflicht stelle.

13

Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel daran, ob es sich hierbei --was für die Darlegung einer Divergenz erforderlich wäre-- um einen "Rechtssatz" handelt oder nicht vielmehr um eine Würdigung des konkreten Einzelfalls durch das FG, die von vornherein nicht Gegenstand einer Divergenz sein könnte (vgl. zur Unbeachtlichkeit bloßer Subsumtionsfehler Senatsbeschluss vom 11. Mai 2010 X B 183/09, BFH/NV 2010, 2077).

14

Im Übrigen enthält das FG-Urteil weder die von den Klägern behauptete Aussage, sie hätten ihre Mitwirkungspflicht "in erheblichem Maße" verletzt, noch die Wertung, die Streitfrage habe einen Ausnahmetatbestand betroffen, der höhere Anforderungen an die Amtsermittlungspflicht stelle. Dabei handelt es sich vielmehr um Interpretationen der Kläger, die im angefochtenen Urteil keine Grundlage haben.

15

Letztlich können die Zweifel an der Divergenzfähigkeit der Aussagen, die die Kläger dem angefochtenen Urteil entnehmen, aber dahinstehen, da tatsächlich zu keinem der Zitate, die die Kläger aus den vermeintlichen Divergenzentscheidungen anführen, eine Abweichung in rechtlicher Hinsicht gegeben ist.

16

b) Dies gilt zunächst, soweit die Kläger sich auf Entscheidungen berufen, in denen die jeweiligen Gerichte bereits keine Verletzung von Mitwirkungspflichten auf Seiten des Steuerpflichtigen hatten feststellen können (Urteil des FG München vom 16. Juni 1982 IX 187/80 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1983, 55; Urteil des FG Düsseldorf vom 18. Dezember 1998  11 K 9757/97 E, EFG 1999, 260, unter 3.; Urteil des FG Bremen vom 13. Oktober 1999 499108, K 3, EFG 2000, 175, Revision gemäß § 126a FGO als unbegründet zurückgewiesen durch nicht veröffentlichten Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Mai 2002 XI R 73/00; BFH-Urteil vom 3. Juli 2002 XI R 17/01, BFH/NV 2003, 137; Urteil des Hessischen FG vom 3. April 2008  5 K 1766/05, juris; Urteil des FG München vom 26. Juni 2009  8 K 1338/07, EFG 2009, 1995, unter II.1.3., Revision als unbegründet zurückgewiesen durch BFH-Urteil vom 8. Dezember 2011 VI R 49/09, BFH/NV 2012, 692; Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 2011  3 K 2208/08, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2011, 1150, unter 2.c). Denn vorliegend hat das FG --auch nach dem von den Klägern gebildeten "Rechtssatz"-- ausdrücklich sowohl eine Verletzung von Mitwirkungspflichten der Kläger als auch der Ermittlungspflichten des FA festgestellt.

17

c) Eine Divergenz zum BFH-Urteil vom 15. November 1974 VI R 58/72 (BFHE 114, 318, BStBl II 1975, 369) liegt ebenfalls nicht vor. Zwar betraf diese Entscheidung einen Fall, in dem neben einer Ermittlungspflichtverletzung des FA auch eine Verletzung von Mitwirkungspflichten auf Seiten des Steuerpflichtigen gegeben war. Der dortige Steuerpflichtige hatte im Rahmen der Geltendmachung von Beiträgen an Bausparkassen als Sonderausgaben --durch Nichtankreuzen des entsprechenden Verneinungs-Feldes-- erklärt, für diese Beiträge auch eine Wohnungsbau- bzw. Sparprämie beantragt zu haben. Bereits diese Erklärung hätte den Sonderausgabenabzug der Beiträge aufgrund des seinerzeit geltenden Verbots der Doppelförderung ausgeschlossen. Die Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen bestand allein darin, dass er die weiteren im Erklärungsvordruck enthaltenen Fragen, ob es sich um eine Wohnungsbau- oder Sparprämie handelte und bei welchem Institut die Anlage getätigt worden sei, nicht beantwortet hatte. Damit ist der vorliegende Sachverhalt, in dem die Kläger dem FA objektiv falsche Angaben unterbreitet haben, nicht vergleichbar.

18

In dem Fall, der dem Urteil des FG Baden-Württemberg vom 20. April 2009  8 K 360/09 (EFG 2009, 1174, Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen durch BFH-Beschluss vom 10. November 2009 VI B 54/09, BFH/NV 2010, 602) zugrunde lag, hat das FG den dortigen Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass der Steuerpflichtige zwar anfänglich seine Mitwirkungspflichten verletzt habe, dieser Pflichtenverstoß jedoch durch eine vollständige und wahrheitsgemäße Offenlegung der für die Besteuerung maßgeblichen Tatsachen im weiteren Verlauf des Verfahrens geheilt worden sei. Zu einer solchen Offenlegung ist es vorliegend aber nie gekommen.

19

Im Beschluss des FG Düsseldorf vom 25. November 1997  11 V 7605/97 A (E) (EFG 1998, 527) wurde der dort zu beurteilende Sachverhalt --im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung-- dahingehend gewürdigt, dass eine "mögliche Mitwirkungspflichtverletzung" durch die Verletzung der dem FA obliegenden Ermittlungspflichten deutlich überwogen werde. Dem dortigen Steuerpflichtigen waren indes keine Falschangaben zur Last zu legen; er hatte lediglich die für die rechtliche Beurteilung einer Abfindung maßgebenden Verträge nicht von sich aus vorgelegt.

20

d) Der Rechtssatz, den die Kläger dem BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 XI R 10/03 (BFHE 206, 303, BStBl II 2004, 911) entnehmen, weist keinen Bezug zu dem Rechtssatz auf, den sie aus dem angefochtenen Urteil abgeleitet haben.

21

2. Die Revision ist auch nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das finanzgerichtliche Urteil unter einem schwerwiegenden Rechtsfehler leiden würde.

22

a) Wenn auch eine allgemeingültige Definition derartiger Fehler von der Rechtsprechung noch nicht entwickelt worden ist, liegen diese Voraussetzungen jedenfalls dann vor, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar --d.h. greifbar gesetzwidrig-- ist und das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur wieder hergestellt werden kann (BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25). Eine Entscheidung ist nur dann (objektiv) willkürlich, wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Greifbare Gesetzwidrigkeit ist anzunehmen, wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht. Diese besonderen Umstände sind in der Beschwerdeschrift auszuführen (Senatsbeschlüsse vom 25. Februar 2009 X B 121/08, BFH/NV 2009, 890, unter 3., und vom 5. Mai 2011 X B 155/10, BFH/NV 2011, 1294, unter II.2.).

23

b) Daran fehlt es. Das FG hat alle gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gewürdigt und seiner Entscheidung darüber hinaus die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt, wonach die Änderung eines Bescheids nach dieser Vorschrift in Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeschlossen ist, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (BFH-Urteil vom 28. Juni 2006 XI R 58/05, BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835). In Fällen beiderseitiger Pflichtverletzungen scheidet eine Änderungsmöglichkeit allerdings aus, wenn der Verstoß des FA deutlich überwiegt (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585, unter II.6.).

24

c) Nach den Feststellungen des FG haben die Kläger in ihrem Einspruchsschreiben eine objektiv unzutreffende Sachverhaltsdarstellung abgegeben und diese auch im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens nicht korrigiert. Auf dieser Grundlage ist die Würdigung des FG, dass die festgestellten Ermittlungspflichtverletzungen des FA die Verstöße des Steuerpflichtigen gegen dessen Mitwirkungspflichten jedenfalls nicht deutlich überwiegen, nicht greifbar gesetzwidrig, sondern im Gegenteil ausgesprochen naheliegend.

25

Das --aus den Grundsätzen von Treu und Glauben abzuleitende und daher einen Ausnahmetatbestand darstellende-- Änderungsverbot bewirkt, dass das FA trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO an einer Erhöhung der Steuerfestsetzung gehindert ist. Bei Zugrundelegung der Grundsätze von Treu und Glauben kann der Steuerpflichtige seine verfahrensrechtliche Position aber nicht dadurch verbessern, dass er das Einspruchsschreiben durch einen Steuerberater fertigen lässt und der Steuerberater die weitere Bearbeitung des Einspruchsverfahrens seinem Büropersonal überträgt.

26

Letztlich erschöpft sich die Beschwerdebegründung --trotz vordergründiger Heranziehung der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO-- darin, die Sachverhaltswürdigung des FG anzugreifen, indem die Kläger ihre eigene Mitwirkungspflichtverletzung negieren bzw. als unbedeutend darzustellen versuchen, während sie die Ermittlungspflichtverletzungen des FA als gravierend werten. Mit derartigen materiell-rechtlichen Einwendungen kann die Zulassung der Revision indes nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschluss vom 24. September 2008 IX B 110/08, BFH/NV 2009, 39).

27

3. Soweit die Beschwerde als Verfahrensmangel rügt, das FG habe eine vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen, fehlt es an Darlegungen dazu, welche Beweise das FG in welcher Weise gewürdigt haben soll und welche Beweise es zusätzlich hätte erheben müssen.

28

4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

Tatbestand

1

I. Im Streitjahr 1999 erzielte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) als Arbeitnehmerin der X-GmbH, einer Tochtergesellschaft der Y-AG (AG), Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

2

Am 29. Oktober 1999 machte sie von ihrem Wandlungsrecht aus einem am 21. Oktober 1997 mit der AG abgeschlossenen Darlehensvertrag Gebrauch. Die Klägerin als Darlehensgeberin hatte der AG als Darlehensnehmerin ein mit 2 % verzinsliches Darlehen in Höhe von 5.000 DM gewährt. Das Darlehen war mit einem Wandlungsrecht dahingehend ausgestattet, dass die Darlehensgeberin berechtigt war, erstmalig am 28. Oktober 1999 für maximal 50 % der Darlehenssumme Beträge von je 5 DM in Aktien der AG im Nennwert von je 5 DM zu wandeln.

3

Die am 17. Dezember 1998 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) eingegangene Einkommensteuererklärung für 1997 enthielt zunächst keine Hinweise auf diesen Vorgang. Mit Schreiben vom 14. Mai 1999 zeigte die Klägerin an, dass die abgegebene Steuererklärung unvollständig gewesen sei. Als Arbeitnehmerin einer Tochtergesellschaft der AG habe sie am 21. Oktober 1997 von der Möglichkeit der Zeichnung eines Wandeldarlehens Gebrauch gemacht. Der Vorstand der AG habe ihr mitgeteilt, dass sie mit der Zeichnung des Darlehens einen steuerpflichtigen Arbeitslohn in Höhe von 6.736,50 DM erzielt habe. Basis hierfür sei eine Berechnung der Z-Bank. Dem Schreiben waren der Darlehensvertrag, ein Schreiben der AG betreffend die steuerliche Behandlung des Wandeldarlehens sowie die Berechnung der Z-Bank beigefügt.

4

Mit Bescheid vom 30. Juni 1999 änderte das FA die Einkommensteuerveranlagung der Klägerin für 1997 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und erfasste den nacherklärten Betrag zusätzlich bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.

5

Im Mantelbogen der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1999 war hinsichtlich der Anlage KSO angekreuzt, dass die Einnahmen nicht mehr als 6.100 DM betragen hätten. Zusätzlich war eine "Erläuterung zu Zeile 31, Mantelbogen" beigefügt. Darin war ausgeführt, dass "aus den 1999 aus Wandeldarlehen bezogenen Y-Aktien noch keine Dividenden zugeflossen seien (vgl. Schreiben vom 14.5.1999 zu Einkommensteuer 1997)". Beigefügt war auch eine "Zinsbestätigung 1999" über einen im Jahre 1999 ausbezahlten Zinsbetrag in Höhe von 83,05 DM für das "der Y zur Verfügung gestellte Darlehen, (Vertrag vom 29.10.97)". Zusätzlich war in dem Schreiben ausgeführt, der Rückgang der Darlehenssumme resultiere aus der vorgenommenen Wandlung.

6

Der Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 9. Mai 2000 erging im Wesentlichen erklärungsgemäß.

7

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2000 übersandte das Finanzamt A dem FA eine Auswertung von Anzeigen des Arbeitgebers gemäß §§ 38 Abs. 4, 41c Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes. Aus den Angaben in einer dem Schreiben beigefügten tabellarischen Aufstellung mit Stand 11. April 2000 ergab sich, dass die Klägerin am 29. Oktober 1999 einen Teilbetrag ihres Wandeldarlehens in Höhe von 2.500 DM in 25 000 Aktien gewandelt hatte. Die Kursspanne war mit 45,03 bis 47,20 € angegeben. Als Anschaffungskosten waren 18.702,35 DM vermerkt. Unter Berücksichtigung des niedrigsten Kurswerts errechnete das FA hieraus einen geldwerten Vorteil in Höhe von 2.183.048 DM. Mit Bescheid vom 25. Februar 2002 änderte es die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und erhöhte die Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit entsprechend.

8

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wandte sich die Klägerin mit der Klage gegen den Ansatz eines geldwerten Vorteils aufgrund der Wandlung. Sie vertrat die Auffassung, die Voraussetzung für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO lägen nicht vor. Die Klage hatte Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1995 veröffentlicht.

9

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

10

Das FA beantragt,

das Urteil des FG München vom 26. Juni 2009  8 K 1338/07 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

II. 1. Die Revision ist unbegründet. Die Entscheidung des FG, das FA sei im Streitfall nicht berechtigt gewesen, die Steuerfestsetzung für das Streitjahr 1999 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.

13

2. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

14

a) Da § 173 AO nach seinem rechtlichen Gehalt keine Fehlerberichtigungsvorschrift ist, rechtfertigt nur das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen und Beweismitteln eine Änderung nach dieser Vorschrift, nicht hingegen ein nachträglich erkannter Rechtsfehler (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. November 1987 GrS 1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen, nicht hingegen rechtliche Erwägungen, müssen für eine auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützte Korrektur maßgeblich sein (BFH-Urteil vom 11. Juni 1997 X R 117/95, BFH/NV 1997, 853). Allerdings steht der Grundsatz von Treu und Glauben einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dann entgegen, wenn dem FA Tatsachen aufgrund einer Verletzung seiner Ermittlungspflichten unbekannt geblieben sind, der Steuerpflichtige seinerseits aber die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt hat. Im Falle einer beiderseitigen Pflichtverletzung ist nach ständiger Rechtsprechung eine Abwägung vorzunehmen (z.B. BFH-Urteile vom 16. Juni 2004 X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502, und vom 26. Februar 2009 II R 4/08, BFH/NV 2009, 1599, m.w.N.).

15

b) Im Streitfall kann offenbleiben, ob bereits die Rechtserheblichkeit nachträglich bekanntgewordener Umstände zu verneinen ist. Denn das FG ist auf der Grundlage seiner Feststellungen zu dem Ergebnis gekommen, das FA habe seine Ermittlungspflichten verletzt, weil es aufgrund der vorliegenden Unterlagen sich aufdrängende Ermittlungen nicht vorgenommen habe, während die Klägerin --ausgehend von der von ihr vertretenen Rechtsauffassung hinsichtlich des Zeitpunkts der Versteuerung eines geldwerten Vorteils-- ihrer Mitwirkungspflicht in zumutbarer Weise nachgekommen sei. Hieran sieht sich der Senat revisionsrechtlich gebunden. Denn diese in erster Linie der Tatsacheninstanz obliegende Tatsachenwürdigung ist verfahrensrechtlich ordnungsgemäß durchgeführt worden und verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--; vgl. BFH-Urteil vom 30. September 1997 VII R 76/97, BFH/NV 1998, 423).

16

3. Die vom FA erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

17

Der Vortrag des FA, das FG habe seine Pflicht zur Sachverhaltsermittlung (§ 76 FGO) verletzt, weil es den zuständigen Veranlagungsbeamten nicht vernommen habe, kann bereits deshalb nicht zum Erfolg der Revision führen, weil das mutmaßliche Verhalten des einzelnen Sachbearbeiters und seine individuellen Rechtskenntnisse für die Frage, ob die Veränderung im Tatsächlichen oder in der rechtlichen Beurteilung liegt, aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen ohne Bedeutung ist (BFH-Urteil vom 22. April 2010 VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951, m.w.N.).

18

Soweit das FA mit seinem Vorbringen, das FG habe sein Urteil auf bisher nicht erörterte Gesichtspunkte gestützt, die Verletzung rechtlichen Gehörs in Form einer sog. Überraschungsentscheidung geltend macht, liegt der behauptete Verstoß gegen Art. 103 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO nicht vor.

19

Ein Urteil darf zwar nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Ein bisher nicht erörterter Umstand, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, darf daher nicht zur Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung gemacht werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Gericht die für seine Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtern und den Beteiligten seine Rechtsauffassung im Einzelnen mitteilen müsste. Entsprechend muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ggf. prozessuale Anträge stellen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt erst dann vor, wenn das Gericht auf Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte, so dass dies im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleichkommt (BFH-Urteil vom 29. April 2008 VIII R 28/07, BFHE 220, 332, BStBl II 2009, 842). Die in der Öffentlichkeit bekannten Umstände, insbesondere auch die Kursentwicklung der Y-Aktie, hängen so eng mit dem verwirklichten Besteuerungssachverhalt zusammen, dass ein kundiger Verfahrensbeteiligter damit rechnen musste, sie könnten in der Würdigung des FG --hier im Bereich der Anforderungen an die Ermittlungspflichten des FA-- eine Rolle spielen. Eine Verletzung des Anspruchs des FA auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt danach nicht vor.

20

Im Übrigen sieht der Senat gemäß § 126 Abs. 6 FGO von einer weiteren Begründung ab.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(2) Die Finanzbehörde bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden.

(3) Zur Gewährleistung eines zeitnahen und gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze können die obersten Finanzbehörden für bestimmte oder bestimmbare Fallgruppen Weisungen über Art und Umfang der Ermittlungen und der Verarbeitung von erhobenen oder erfassten Daten erteilen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist. Bei diesen Weisungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden. Die Weisungen dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Weisungen der obersten Finanzbehörden der Länder nach Satz 1 bedürfen des Einvernehmens mit dem Bundesministerium der Finanzen, soweit die Landesfinanzbehörden Steuern im Auftrag des Bundes verwalten.

(4) Das Bundeszentralamt für Steuern und die zentrale Stelle im Sinne des § 81 des Einkommensteuergesetzes können auf eine Weiterleitung ihnen zugegangener und zur Weiterleitung an die Landesfinanzbehörden bestimmter Daten an die Landesfinanzbehörden verzichten, soweit sie die Daten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zuordnen können. Nach Satz 1 einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zugeordnete Daten sind unter Beachtung von Weisungen gemäß Absatz 3 des Bundesministeriums der Finanzen weiterzuleiten. Nicht an die Landesfinanzbehörden weitergeleitete Daten sind vom Bundeszentralamt für Steuern für Zwecke von Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b bis zum Ablauf des 15. Jahres nach dem Jahr des Datenzugangs zu speichern. Nach Satz 3 gespeicherte Daten dürfen nur für Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b sowie zur Datenschutzkontrolle verarbeitet werden.

(5) Die Finanzbehörden können zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern und Steuervergütungen sowie Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme). Dabei soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung berücksichtigt werden. Das Risikomanagementsystem muss mindestens folgende Anforderungen erfüllen:

1.
die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird,
2.
die Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte durch Amtsträger,
3.
die Gewährleistung, dass Amtsträger Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können,
4.
die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung.
Einzelheiten der Risikomanagementsysteme dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Auf dem Gebiet der von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern legen die obersten Finanzbehörden der Länder die Einzelheiten der Risikomanagementsysteme zur Gewährleistung eines bundeseinheitlichen Vollzugs der Steuergesetze im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen fest.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre 1996 bis 1999 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielt aus einer Handelsvertretung Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich.

2

Für die Streitjahre ergingen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Einkommensteuerbescheide und Gewerbesteuermessbescheide. Die Festsetzungen waren jeweils lediglich wegen einzelner verfassungsrechtlicher Fragen vorläufig. Auch die Gewerbesteuerzerlegungsbescheide für 1997 bis 1999 ergingen endgültig.

3

Im Rahmen einer Außenprüfung beim Kläger vertrat der Prüfer und ihm folgend der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, Zinsen in Höhe von 35.163,82 DM (für 1997), von 33.258,63 DM (für 1998) und von 28.105,73 DM (für 1999) seien nicht als Betriebsausgaben abziehbar. Die Zahlungen beruhten auf zwei Darlehen, die nicht im Zusammenhang mit betrieblichen Vorgängen ständen.

4

Die Kläger hatten mit notariellem Vertrag vom 9. Dezember 1983 das mit einem Zweifamilienhaus bebaute Grundstück X in Z zu einem Kaufpreis von 845.000 DM erworben. Zur Finanzierung des Kaufpreises nahm die Klägerin bei der Stadtsparkasse Z zwei Darlehen über 520.000 DM (Kontonummer: Y1; künftig SSK Y1) und 280.000 DM (Kontonummer: Y2; künftig SSK Y2) auf. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärungen bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1985 machten die Kläger die Gesamtzinsen beider Darlehen als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. In der Gewinnermittlung für die klägerische Handelsvertretung 1986 buchte der Kläger zunächst über das Privatentnahmekonto das Darlehen SSK Y1 in Höhe von 512.299,20 DM. In seiner Bilanz zum 31. Dezember 1986 sowie in den Folgejahren wies er dieses Darlehen in Höhe von 506.403,61 DM als Verbindlichkeit aus. Im Rahmen der Gewinnermittlung für das Jahr 1989 verfuhr der Kläger mit dem Darlehen über den Ursprungsbetrag von 280.000 DM (SSK Y2) entsprechend.

5

Das FA erließ nach § 173 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) am 4. September 2001 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1997 bis 1999, in denen der Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb unter anderem um die genannten Zinsbeträge erhöht wurde. Eine entsprechende Korrektur der für diese Jahre ergangenen Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide wurde vom FA nach § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) vorgenommen. Der gegen diese geänderten Einkommensteuerbescheide gerichtete Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA in erneut geänderten Einkommensteuerbescheiden für 1997 bis 1999 die Zinsen aus den streitbefangenen Darlehen anteilig (der Höhe nach unstreitig) steuermindernd als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte.

6

Zudem erließ das FA unter dem 14. Dezember 2001 einen auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützten geänderten Einkommensteuerbescheid 1996. In diesem wurden die klägerischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb um die Zinsen aus den streitbefangenen Darlehen erhöht, diese jedoch gleichzeitig aber anteilig in unstreitiger Höhe bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt.

7

Die Einsprüche blieben erfolglos.

8

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 231 veröffentlichten Urteil ab. Die zu beurteilenden Schuldzinsen seien nicht betrieblich veranlasst. Die ihnen zugrunde liegenden Darlehen seien nicht zu betrieblichen Zwecken verwandt worden. Ein solcher betrieblicher Zusammenhang sei auch nicht nachträglich durch eine Umwidmung hergestellt worden. Hierfür sei der bloße buchmäßige Ausweis der Darlehen in der Bilanz der Kläger nicht ausreichend. Durch eine bloße Willensentscheidung des Steuerpflichtigen könne ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit einer bestimmten Einkunftsart nicht hergestellt werden.

9

Das FA sei auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass der geänderten Steuerbescheide berechtigt gewesen. Nachträglich sei bekannt geworden, dass ein privates, durch die Ehefrau des Klägers aufgenommenes, der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung zuzuordnendes Darlehen nur aufgrund eines Willensaktes des Klägers als betriebliches Darlehen behandelt worden sei. Aus den Bilanzen des Klägers sei dieser Vorgang auch unter Einbeziehung der Akten der Vorjahre so nicht erkennbar gewesen. Denn im Falle einer steuerlich anzuerkennenden Umwidmung hätte der buchmäßige Ausweis der Darlehensverbindlichkeit in gleicher Weise erfolgen müssen.

10

Mit ihrer Revision machen die Kläger weiterhin geltend, das FA sei nicht berechtigt gewesen, die Steuerbescheide zu ändern und die in Frage stehenden Schuldzinsen nicht mehr als Betriebsausgaben abzuziehen. Eine Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO scheide im Streitfall aus. Sie, die Kläger, hätten in vollem Umfang ihrer steuerlichen Mitwirkungspflicht dadurch genügt, dass sie die Darlehen offen in der Bilanz 1986 bzw. 1989 neu als Verbindlichkeit ausgewiesen und im Gegenzug eine Buchung auf dem Privatentnahmekonto vorgenommen hätten. Durch die Einbuchung der bis dahin bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend gemachten Darlehen als nunmehr betriebliche Verbindlichkeiten und deren eindeutige Kennzeichnung im Rahmen der Beschriftung der Konten im Kontennachweis hätten sie diesen Vorgang für das FA offenkundig gemacht. Dass das FA die steuerliche Behandlung nicht beanstandet habe, beruhe ausschließlich darauf, dass es seiner Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei. Unerheblich sei der Vortrag des FA, in den Streitjahren habe kein Anlass für weiter gehende Ermittlungen vorgelegen. Da dem FA (aufgrund der Steuererklärungen 1986 und 1989) die Umwidmung der Darlehen bekannt gewesen sei, hätte es, sofern sie diese für fragwürdig gehalten hätte, seinerzeit weitere Nachforschungen anstellen müssen.

11

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004 (bezogen auf die Einkommensteuer 1996 bis 1999) aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid 1996 vom 14. Dezember 2001 und die geänderten Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 7. Februar 2002 in der Weise zu ändern, dass Schuldzinsen von 32.733 DM (1996), von 35.163 DM (1997), von 33.258 DM (1998) und von 28.105 DM (1999) vollständig steuermindernd berücksichtigt werden.

12

Der Kläger beantragt des Weiteren,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004 (bezogen auf die Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 und die Bescheide über die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags 1997 bis 1999) die Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 11. September 2001 und die Gewerbesteuerzerlegungsbescheide 1997 bis 1999 jeweils vom 20. September 2001 in der Weise zu ändern, dass die für diese Jahre vorstehend genannten Schuldzinsen vollständig gewinnmindernd berücksichtigt werden.

13

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

14

Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO lägen vor.

Entscheidungsgründe

15

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend erkannt, dass die zu beurteilenden Schuldzinsen keine Betriebsausgaben sind (unter 1.). Im Ergebnis zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass das FA gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass geänderter Einkommensteuerbescheide berechtigt war (unter 2.). Daher konnte es auch die zuvor ergangenen Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide entsprechend ändern (unter 3.).

16

1. Zutreffend hat das FG angenommen, dass die hier zu beurteilenden Schuldzinsen wegen fehlender betrieblicher Veranlassung (§ 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) nicht als Betriebsausgaben abziehbar sind.

17

a) Schuldzinsen sind dann Betriebsausgaben, wenn die Zinsen für eine Verbindlichkeit geleistet werden, die durch den Betrieb veranlasst ist und deshalb zum Betriebsvermögen gehört. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn ein Steuerpflichtiger liquide Mittel seines Betriebs entnimmt und zur Tilgung privater Verbindlichkeiten verwendet und er betriebliche Vorgänge mittels eines Kredits finanziert (sog. Zweikonten-Modell; vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. Dezember 1997 GrS 1-2/95, BFHE 184, 7, BStBl II 1998, 193; BFH-Urteil vom 20. Juni 2000 VIII R 57/98, BFH/NV 2001, 28, und Senatsurteil vom 21. September 2005 X R 46/04, BFHE 211, 238, BStBl II 2006, 125). Da allein die tatsächliche Verwendung der Darlehensvaluta maßgebend ist, sind Schuldzinsen nicht bereits deshalb betrieblich veranlasst, wenn der Steuerpflichtige mittels des Kredits ein privates Wirtschaftsgut finanziert, er aber in der Lage gewesen wäre, eine Finanzierung über das Zweikonten-Modell durchzuführen (BFH-Urteile in BFH/NV 2001, 28, und vom 29. August 2001 XI R 74/00, BFH/NV 2002, 188).

18

b) Auch ist es nach Auffassung des Großen Senats des BFH nicht möglich, einen betrieblichen Veranlassungszusammenhang durch eine bloße wirtschaftliche Umschuldung herzustellen. Ein zu privaten Zwecken aufgenommenes Darlehen kann nicht dadurch wirtschaftlich umgeschuldet werden, dass der Steuerpflichtige durch den bilanziellen Ausweis des Darlehens den Verwendungszweck des privaten Darlehens verändert (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 184, 7, BStBl II 1998, 193, unter B.II.1. der Gründe). Denn für die Besteuerung ist allein --auf der Grundlage des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts-- maßgebend, wofür die Darlehensmittel verwendet wurden. Auch kann ein wirtschaftlicher Zusammenhang des Darlehens mit dem Betrieb des Steuerpflichtigen nicht durch einen bloßen Willensakt desselben begründet werden (BFH-Urteile vom 12. September 1985 VIII R 336/82, BFHE 145, 327, BStBl II 1986, 255, und vom 17. Dezember 2003 XI R 19/01, BFH/NV 2004, 1277).

19

c) Allerdings wird eine Darlehensverbindlichkeit dann Bestandteil des Betriebsvermögens, wenn mittels des Darlehens ein privates Wirtschaftsgut finanziert worden ist, das durch eine Privateinlage in das (notwendige oder gewillkürte) Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen überführt wird. In einem solchen Fall teilt die Darlehensverbindlichkeit das steuerliche Schicksal des mit dem Darlehen finanzierten Wirtschaftsguts (Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 4 Rz 229). Hingegen kann eine Darlehensverbindlichkeit nicht isoliert als gewillkürtes Betriebsvermögen behandelt werden (BFH-Urteile vom 17. April 1985 I R 101/81, BFHE 143, 563, BStBl II 1985, 510, und in BFHE 145, 327, BStBl II 1986, 255).

20

d) Schließlich kann hinsichtlich einer Darlehensverbindlichkeit ein betrieblicher Veranlassungszusammenhang nachträglich dadurch hergestellt werden, dass ein mittels des Darlehens finanziertes Wirtschaftsgut des Privatvermögens veräußert und der Kaufpreis in das Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen überführt wird (sog. Umwidmung; vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1996 VIII R 68/94, BFHE 182, 312, BStBl II 1997, 454).

21

e) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen sind im Streitfall die zu beurteilenden Schuldzinsen nicht betrieblich veranlasst. Die ihnen zugrunde liegenden Darlehen der Stadtsparkasse X stehen nicht im Zusammenhang mit der Finanzierung betrieblicher Vorgänge des Klägers. Nach den Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist und die von den Klägern auch nicht angegriffen wurden, wurde mittels dieser Darlehen der Kauf eines zum Privatvermögen der Kläger gehörenden bebauten Grundstücks finanziert. Dieses Grundstück wurde weder zu einem späteren Zeitpunkt in das Betriebsvermögen des Klägers überführt noch veräußert. Es blieb Privatvermögen.

22

2. Im Ergebnis zu Recht hat das FG angenommen, dass das FA gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Erlass geänderter Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre berechtigt war.

23

a) Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

24

Eine Tatsache wird nachträglich bekannt, wenn sie das FA im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens für den Erlass des ursprünglichen Steuerbescheids noch nicht kannte (BFH-Urteil vom 18. März 1987 II R 226/84, BFHE 149, 141, BStBl II 1987, 416). Maßgebend hierfür ist die Kenntnis der zur Bearbeitung des Steuerfalls organisatorisch berufenen Dienststelle (BFH-Urteil vom 23. März 1983 I R 182/82, BFHE 138, 313, BStBl II 1983, 548). Bekannt ist der zuständigen Dienststelle der Inhalt der dort geführten Akten, ohne dass insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters abzustellen ist (BFH-Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492).

25

Das FA ist allerdings gehindert, einen Steuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, wenn dem FA die Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre, sofern der Steuerpflichtige seinerseits seiner Mitwirkungspflicht in vollem Umfang genügt hat (BFH-Urteil vom 13. November 1985 II R 208/82, BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Gleiches gilt, wenn das FA seine Ermittlungspflicht und der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht verletzt haben, die Verletzung der Ermittlungspflicht im konkreten Einzelfall aber deutlich überwiegt (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585).

26

b) Es erscheint zweifelhaft, ob die Annahme des FG zutrifft, bei der damaligen Bearbeitung der Steuererklärungen 1986 und 1989 sei für das FA nicht erkennbar gewesen, dass der Kläger zu Unrecht private Darlehen in das Betriebsvermögen eingebucht hatte.

27

Die Zweifel ergeben sich vorliegend daraus, dass jedenfalls in Bezug auf das Jahr 1986 aus der vom Kläger eingereichten Bilanz und den hierzu gegebenen Erläuterungen, auf deren Inhalt das FG Bezug genommen und diesen damit festgestellt hat, für das FA erkennbar gewesen sein musste, dass weder eine Finanzierung nach dem Zweikonten-Modell erfolgt war noch eine sog. Umwidmung stattgefunden hatte.

28

c) Einer abschließenden Beurteilung dieser Problematik bedarf es indessen nicht, weil sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen als zutreffend erweist. Im Streitfall besteht nämlich die Besonderheit, dass die die Einbuchung der Darlehen in das Betriebsvermögen des Klägers betreffenden Vorgänge nicht aus den in den Streitjahren 1996 bis 1999 vom FA geführten aktuellen Akten, sondern lediglich aus den vom FA archivierten Akten der Jahre 1986 und 1989 ersichtlich sind.

29

Hinsichtlich archivierter Akten entspricht es der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass die zuständige Dienststelle des FA den Inhalt dieser Akten nur dann als bekannt gegen sich gelten lassen muss, wenn zur Hinzuziehung dieser Vorgänge nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärung eine besondere Veranlassung bestand. Nur wenn diese Voraussetzung gegeben ist, führt die unterlassene Beiziehung der archivierten Akten zu einer Verletzung der Ermittlungspflicht (BFH-Urteile vom 13. Juli 1990 VI R 109/86, BFHE 161, 11, BStBl II 1990, 1048, und vom 11. Februar 1998 I R 82/97, BFHE 185, 568, BStBl II 1998, 552; BFH-Beschlüsse vom 9. Dezember 1998 IV B 22/98, BFH/NV 1999, 900, und vom 12. August 1999 VIII B 12/99, juris).

30

Eine besondere Veranlassung zur Beiziehung der archivierten Akten bestand im Streitfall nicht. Nach dem von den Klägern nicht bestrittenen Vorbringen des FA in seiner Einspruchsentscheidung vom 18. August 2004, auf die das FG im Tatbestand seines Urteils Bezug genommen hat, wiesen die Jahresabschlüsse und Steuererklärungen der Streitjahre unter Berücksichtigung der vorliegenden aktuellen Akten keine gravierenden Abweichungen zu den Vorjahren auf. Auch waren keine besonderen oder auffälligen Positionen in der Gewinnermittlung erkennbar. Bei dieser Sachlage war das FA zur Beiziehung der archivierten Akten nicht gehalten.

31

d) Unerheblich ist, dass das FA den für das Streitjahr 1996 ergangenen Einkommensteueränderungsbescheid auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt hat. Für die Rechtmäßigkeit eines Änderungsbescheids ist nicht entscheidend, ob die zutreffende Änderungsnorm genannt ist, sondern dass die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift erfüllt sind, die das FA zur Änderung verpflichtet (BFH-Urteil in BFHE 145, 487, BStBl II 1986, 241). Dies ist hier der Fall, weil die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt sind.

32

3. Das FA war auch zum Erlass geänderter Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerzerlegungsbescheide für 1997 bis 1999 berechtigt.

33

Die Befugnis zur Änderung der Gewerbesteuermessbescheide folgt aus § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG. Danach ist ein Gewerbesteuermessbescheid zu ändern, wenn der Einkommensteuerbescheid geändert wird und die Änderung den Gewinn aus Gewerbebetrieb betrifft. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist die Änderung des Gewinns aus Gewerbebetrieb insoweit zu berücksichtigen, als sie die Höhe des Gewerbeertrags beeinflusst. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt, weil das FA zu Recht die Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 geändert und die hier zu beurteilenden Schuldzinsen nicht mehr als Betriebsausgaben abgezogen hat.

34

Die Befugnis zur Änderung der Gewerbesteuerzerlegungsbescheide 1997 bis 1999 folgt aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Denn Änderungen des Gewerbesteuermessbescheids führen dazu, dass auch der Zerlegungsbescheid als Folgebescheid zu ändern ist (Blümich/Hofmeister, GewStG, § 28 Rz 26, m.w.N. aus der Rechtsprechung).

(1) Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(2) Die Finanzbehörde bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden.

(3) Zur Gewährleistung eines zeitnahen und gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze können die obersten Finanzbehörden für bestimmte oder bestimmbare Fallgruppen Weisungen über Art und Umfang der Ermittlungen und der Verarbeitung von erhobenen oder erfassten Daten erteilen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist. Bei diesen Weisungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden. Die Weisungen dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Weisungen der obersten Finanzbehörden der Länder nach Satz 1 bedürfen des Einvernehmens mit dem Bundesministerium der Finanzen, soweit die Landesfinanzbehörden Steuern im Auftrag des Bundes verwalten.

(4) Das Bundeszentralamt für Steuern und die zentrale Stelle im Sinne des § 81 des Einkommensteuergesetzes können auf eine Weiterleitung ihnen zugegangener und zur Weiterleitung an die Landesfinanzbehörden bestimmter Daten an die Landesfinanzbehörden verzichten, soweit sie die Daten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zuordnen können. Nach Satz 1 einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zugeordnete Daten sind unter Beachtung von Weisungen gemäß Absatz 3 des Bundesministeriums der Finanzen weiterzuleiten. Nicht an die Landesfinanzbehörden weitergeleitete Daten sind vom Bundeszentralamt für Steuern für Zwecke von Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b bis zum Ablauf des 15. Jahres nach dem Jahr des Datenzugangs zu speichern. Nach Satz 3 gespeicherte Daten dürfen nur für Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b sowie zur Datenschutzkontrolle verarbeitet werden.

(5) Die Finanzbehörden können zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern und Steuervergütungen sowie Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme). Dabei soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung berücksichtigt werden. Das Risikomanagementsystem muss mindestens folgende Anforderungen erfüllen:

1.
die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird,
2.
die Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte durch Amtsträger,
3.
die Gewährleistung, dass Amtsträger Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können,
4.
die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung.
Einzelheiten der Risikomanagementsysteme dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Auf dem Gebiet der von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern legen die obersten Finanzbehörden der Länder die Einzelheiten der Risikomanagementsysteme zur Gewährleistung eines bundeseinheitlichen Vollzugs der Steuergesetze im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen fest.

Sonstige Einkünfte sind

1.
Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen, soweit sie nicht zu den in § 2 Absatz 1 Nummer 1 bis 6 bezeichneten Einkunftsarten gehören; § 15b ist sinngemäß anzuwenden.2Werden die Bezüge freiwillig oder auf Grund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht oder einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gewährt, so sind sie nicht dem Empfänger zuzurechnen; dem Empfänger sind dagegen zuzurechnen
a)
Bezüge, die von einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse außerhalb der Erfüllung steuerbegünstigter Zwecke im Sinne der §§ 52 bis 54 der Abgabenordnung gewährt werden, und
b)
Bezüge im Sinne des § 1 der Verordnung über die Steuerbegünstigung von Stiftungen, die an die Stelle von Familienfideikommissen getreten sind, in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 611-4-3, veröffentlichten bereinigten Fassung.
3Zu den in Satz 1 bezeichneten Einkünften gehören auch
a)
Leibrenten und andere Leistungen,
aa)
die aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, der landwirtschaftlichen Alterskasse, den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und aus Rentenversicherungen im Sinne des § 10 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b erbracht werden, soweit sie jeweils der Besteuerung unterliegen.2Bemessungsgrundlage für den der Besteuerung unterliegenden Anteil ist der Jahresbetrag der Rente.3Der der Besteuerung unterliegende Anteil ist nach dem Jahr des Rentenbeginns und dem in diesem Jahr maßgebenden Prozentsatz aus der nachstehenden Tabelle zu entnehmen:

Jahr des
Renten-
beginns
Besteuerungs-
anteil
in %
bis 200550
ab 200652
200754
200856
200958
201060
201162
201264
201366
201468
201570
201672
201774
201876
201978
202080
202181
202282
202383
202484
202585
202686
202787
202888
202989
203090
203191
203292
203393
203494
203595
203696
203797
203898
203999
2040100


4Der Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente ist der steuerfreie Teil der Rente.5Dieser gilt ab dem Jahr, das dem Jahr des Rentenbeginns folgt, für die gesamte Laufzeit des Rentenbezugs.6Abweichend hiervon ist der steuerfreie Teil der Rente bei einer Veränderung des Jahresbetrags der Rente in dem Verhältnis anzupassen, in dem der veränderte Jahresbetrag der Rente zum Jahresbetrag der Rente steht, der der Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente zugrunde liegt.7Regelmäßige Anpassungen des Jahresbetrags der Rente führen nicht zu einer Neuberechnung und bleiben bei einer Neuberechnung außer Betracht.8Folgen nach dem 31. Dezember 2004 Renten aus derselben Versicherung einander nach, gilt für die spätere Rente Satz 3 mit der Maßgabe, dass sich der Prozentsatz nach dem Jahr richtet, das sich ergibt, wenn die Laufzeit der vorhergehenden Renten von dem Jahr des Beginns der späteren Rente abgezogen wird; der Prozentsatz kann jedoch nicht niedriger bemessen werden als der für das Jahr 2005.9Verstirbt der Rentenempfänger, ist ihm die Rente für den Sterbemonat noch zuzurechnen;
bb)
die nicht solche im Sinne des Doppelbuchstaben aa sind und bei denen in den einzelnen Bezügen Einkünfte aus Erträgen des Rentenrechts enthalten sind.2Dies gilt auf Antrag auch für Leibrenten und andere Leistungen, soweit diese auf bis zum 31. Dezember 2004 geleisteten Beiträgen beruhen, welche oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden; der Steuerpflichtige muss nachweisen, dass der Betrag des Höchstbeitrags mindestens zehn Jahre überschritten wurde; soweit hiervon im Versorgungsausgleich übertragene Rentenanwartschaften betroffen sind, gilt § 4 Absatz 1 und 2 des Versorgungsausgleichsgesetzes entsprechend.3Als Ertrag des Rentenrechts gilt für die gesamte Dauer des Rentenbezugs der Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem Betrag, der sich bei gleichmäßiger Verteilung des Kapitalwerts der Rente auf ihre voraussichtliche Laufzeit ergibt; dabei ist der Kapitalwert nach dieser Laufzeit zu berechnen.4Der Ertrag des Rentenrechts (Ertragsanteil) ist aus der nachstehenden Tabelle zu entnehmen:

Bei Beginn
der Rente
vollendetes
Lebensjahr
des Renten-
berechtigten
Ertragsanteil
in %
0 bis 159
2 bis 358
4 bis 557
6 bis 856
9 bis 1055
11 bis 1254
13 bis 1453
15 bis 1652
17 bis 1851
19 bis 2050
21 bis 2249
23 bis 2448
25 bis 2647
2746
28 bis 2945
30 bis 3144
3243
33 bis 3442
3541
36 bis 3740
3839
39 bis 4038
4137
4236
43 bis 4435
4534
46 bis 4733
4832
4931
5030
51 bis 5229
5328
5427
55 bis 5626
5725
5824
5923
60 bis 6122
6221
6320
6419
65 bis 6618
6717
6816
69 bis 7015
7114
72 bis 7313
7412
7511
76 bis 7710
78 bis 799
808
81 bis 827
83 bis 846
85 bis 875
88 bis 914
92 bis 933
94 bis 962
ab 971


5Die Ermittlung des Ertrags aus Leibrenten, die vor dem 1. Januar 1955 zu laufen begonnen haben, und aus Renten, deren Dauer von der Lebenszeit mehrerer Personen oder einer anderen Person als des Rentenberechtigten abhängt, sowie aus Leibrenten, die auf eine bestimmte Zeit beschränkt sind, wird durch eine Rechtsverordnung bestimmt.6Doppelbuchstabe aa Satz 9 gilt entsprechend;
b)
Einkünfte aus Zuschüssen und sonstigen Vorteilen, die als wiederkehrende Bezüge gewährt werden;
c)
die Energiepreispauschale nach dem Rentenbeziehende-Energiepreispauschalengesetz;
1a.
Einkünfte aus Leistungen und Zahlungen nach § 10 Absatz 1a, soweit für diese die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug beim Leistungs- oder Zahlungsverpflichteten nach § 10 Absatz 1a erfüllt sind;
1b.
(weggefallen)
1c.
(weggefallen)
2.
Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23;
3.
Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten (§ 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 6) noch zu den Einkünften im Sinne der Nummern 1, 1a, 2 oder 4 gehören, z. B. Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände.2Solche Einkünfte sind nicht einkommensteuerpflichtig, wenn sie weniger als 256 Euro im Kalenderjahr betragen haben.3Übersteigen die Werbungskosten die Einnahmen, so darf der übersteigende Betrag bei Ermittlung des Einkommens nicht ausgeglichen werden; er darf auch nicht nach § 10d abgezogen werden.4Die Verluste mindern jedoch nach Maßgabe des § 10d die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Leistungen im Sinne des Satzes 1 erzielt hat oder erzielt; § 10d Absatz 4 gilt entsprechend;
4.
Entschädigungen, Amtszulagen, Zuschüsse zu Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen, Übergangsgelder, Überbrückungsgelder, Sterbegelder, Versorgungsabfindungen, Versorgungsbezüge, die auf Grund des Abgeordnetengesetzes oder des Europaabgeordnetengesetzes, sowie vergleichbare Bezüge, die auf Grund der entsprechenden Gesetze der Länder gezahlt werden, und die Entschädigungen, das Übergangsgeld, das Ruhegehalt und die Hinterbliebenenversorgung, die auf Grund des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments von der Europäischen Union gezahlt werden.2Werden zur Abgeltung des durch das Mandat veranlassten Aufwandes Aufwandsentschädigungen gezahlt, so dürfen die durch das Mandat veranlassten Aufwendungen nicht als Werbungskosten abgezogen werden.3Wahlkampfkosten zur Erlangung eines Mandats im Bundestag, im Europäischen Parlament oder im Parlament eines Landes dürfen nicht als Werbungskosten abgezogen werden.4Es gelten entsprechend
a)
für Nachversicherungsbeiträge auf Grund gesetzlicher Verpflichtung nach den Abgeordnetengesetzen im Sinne des Satzes 1 und für Zuschüsse zu Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen § 3 Nummer 62,
b)
für Versorgungsbezüge § 19 Absatz 2 nur bezüglich des Versorgungsfreibetrags; beim Zusammentreffen mit Versorgungsbezügen im Sinne des § 19 Absatz 2 Satz 2 bleibt jedoch insgesamt höchstens ein Betrag in Höhe des Versorgungsfreibetrags nach § 19 Absatz 2 Satz 3 im Veranlagungszeitraum steuerfrei,
c)
für das Übergangsgeld, das in einer Summe gezahlt wird, und für die Versorgungsabfindung § 34 Absatz 1,
d)
für die Gemeinschaftssteuer, die auf die Entschädigungen, das Übergangsgeld, das Ruhegehalt und die Hinterbliebenenversorgung auf Grund des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments von der Europäischen Union erhoben wird, § 34c Absatz 1; dabei sind die im ersten Halbsatz genannten Einkünfte für die entsprechende Anwendung des § 34c Absatz 1 wie ausländische Einkünfte und die Gemeinschaftssteuer wie eine der deutschen Einkommensteuer entsprechende ausländische Steuer zu behandeln;
5.
Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen, Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen.2Soweit die Leistungen nicht auf Beiträgen, auf die § 3 Nummer 63, 63a, § 10a, Abschnitt XI oder Abschnitt XII angewendet wurden, nicht auf Zulagen im Sinne des Abschnitts XI, nicht auf Zahlungen im Sinne des § 92a Absatz 2 Satz 4 Nummer 1 und des § 92a Absatz 3 Satz 9 Nummer 2, nicht auf steuerfreien Leistungen nach § 3 Nummer 66 und nicht auf Ansprüchen beruhen, die durch steuerfreie Zuwendungen nach § 3 Nummer 56 oder die durch die nach § 3 Nummer 55b Satz 1 oder § 3 Nummer 55c steuerfreie Leistung aus einem neu begründeten Anrecht erworben wurden,
a)
ist bei lebenslangen Renten sowie bei Berufsunfähigkeits-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrenten Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a entsprechend anzuwenden,
b)
ist bei Leistungen aus Versicherungsverträgen, Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen, die nicht solche nach Buchstabe a sind, § 20 Absatz 1 Nummer 6 in der jeweils für den Vertrag geltenden Fassung entsprechend anzuwenden,
c)
unterliegt bei anderen Leistungen der Unterschiedsbetrag zwischen der Leistung und der Summe der auf sie entrichteten Beiträge der Besteuerung; § 20 Absatz 1 Nummer 6 Satz 2 gilt entsprechend.
3In den Fällen des § 93 Absatz 1 Satz 1 und 2 gilt das ausgezahlte geförderte Altersvorsorgevermögen nach Abzug der Zulagen im Sinne des Abschnitts XI als Leistung im Sinne des Satzes 2.4Als Leistung im Sinne des Satzes 1 gilt auch der Verminderungsbetrag nach § 92a Absatz 2 Satz 5 und der Auflösungsbetrag nach § 92a Absatz 3 Satz 5.5Der Auflösungsbetrag nach § 92a Absatz 2 Satz 6 wird zu 70 Prozent als Leistung nach Satz 1 erfasst.6Tritt nach dem Beginn der Auszahlungsphase zu Lebzeiten des Zulageberechtigten der Fall des § 92a Absatz 3 Satz 1 ein, dann ist
a)
innerhalb eines Zeitraums bis zum zehnten Jahr nach dem Beginn der Auszahlungsphase das Eineinhalbfache,
b)
innerhalb eines Zeitraums zwischen dem zehnten und 20. Jahr nach dem Beginn der Auszahlungsphase das Einfache
des nach Satz 5 noch nicht erfassten Auflösungsbetrags als Leistung nach Satz 1 zu erfassen; § 92a Absatz 3 Satz 9 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass als noch nicht zurückgeführter Betrag im Wohnförderkonto der noch nicht erfasste Auflösungsbetrag gilt.7Bei erstmaligem Bezug von Leistungen, in den Fällen des § 93 Absatz 1 sowie bei Änderung der im Kalenderjahr auszuzahlenden Leistung hat der Anbieter (§ 80) nach Ablauf des Kalenderjahres dem Steuerpflichtigen nach amtlich vorgeschriebenem Muster den Betrag der im abgelaufenen Kalenderjahr zugeflossenen Leistungen im Sinne der Sätze 1 bis 3 je gesondert mitzuteilen; mit Einverständnis des Steuerpflichtigen kann die Mitteilung elektronisch bereitgestellt werden.8Werden dem Steuerpflichtigen Abschluss- und Vertriebskosten eines Altersvorsorgevertrages erstattet, gilt der Erstattungsbetrag als Leistung im Sinne des Satzes 1.9In den Fällen des § 3 Nummer 55a richtet sich die Zuordnung zu Satz 1 oder Satz 2 bei der ausgleichsberechtigten Person danach, wie eine nur auf die Ehezeit bezogene Zuordnung der sich aus dem übertragenen Anrecht ergebenden Leistung zu Satz 1 oder Satz 2 bei der ausgleichspflichtigen Person im Zeitpunkt der Übertragung ohne die Teilung vorzunehmen gewesen wäre.10Dies gilt sinngemäß in den Fällen des § 3 Nummer 55 und 55e.11Wird eine Versorgungsverpflichtung nach § 3 Nummer 66 auf einen Pensionsfonds übertragen und hat der Steuerpflichtige bereits vor dieser Übertragung Leistungen auf Grund dieser Versorgungsverpflichtung erhalten, so sind insoweit auf die Leistungen aus dem Pensionsfonds im Sinne des Satzes 1 die Beträge nach § 9a Satz 1 Nummer 1 und § 19 Absatz 2 entsprechend anzuwenden; § 9a Satz 1 Nummer 3 ist nicht anzuwenden.12Wird auf Grund einer internen Teilung nach § 10 des Versorgungsausgleichsgesetzes oder einer externen Teilung nach § 14 des Versorgungsausgleichsgesetzes ein Anrecht zugunsten der ausgleichsberechtigten Person begründet, so gilt dieser Vertrag insoweit zu dem gleichen Zeitpunkt als abgeschlossen wie der Vertrag der ausgleichspflichtigen Person, wenn die aus dem Vertrag der ausgleichspflichtigen Person ausgezahlten Leistungen zu einer Besteuerung nach Satz 2 führen.13Für Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen nach § 93 Absatz 3 ist § 34 Absatz 1 entsprechend anzuwenden.14Soweit Begünstigungen, die mit denen in Satz 2 vergleichbar sind, bei der deutschen Besteuerung gewährt wurden, gelten die darauf beruhenden Leistungen ebenfalls als Leistung nach Satz 1.15§ 20 Absatz 1 Nummer 6 Satz 9 in der ab dem 27. Juli 2016 geltenden Fassung findet keine Anwendung.16Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa Satz 9 gilt entsprechend.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; § 150 bleibt unberührt. Vollstreckungsgericht ist das Finanzgericht.

(2) Vollstreckt wird

1.
aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen,
2.
aus einstweiligen Anordnungen,
3.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen.

(3) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.