Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 28. Nov. 2017 - 5 Sa 54/17

bei uns veröffentlicht am28.11.2017

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 09.03.2017 - 2 Ca 1361/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung aufgrund krankheitsbedingter Fehlzeiten.

2

Die 1959 geborene Klägerin nahm am 28.05.2014 bei der Beklagten eine Beschäftigung als Betreuungsassistentin mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 30 Wochenstunden auf. Die Beklagte betreibt unter anderem ein Pflegeheim für schwerbehinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die Alternative W.. Die Alternative W. verfügt über insgesamt 46 Plätze, die auf 5 Wohngruppen verteilt sind. In der Alternativen W. sind rund 70 Mitarbeiter tätig, davon drei Betreuungsassistenten mit jeweils 30 Wochenstunden. Die Betreuungsassistenten haben die Aufgabe, den Anspruch der Pflegebedürftigen auf eine zusätzliche Betreuung und Aktivierung, die über die nach Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit notwendige Versorgung hinausgeht (§ 43b SGB XI), zu erfüllen. Hierzu gehört es, mit den Bewohnern zu malen, zu basteln, zu singen, spazieren zu gehen, ihnen bei der Nahrungsaufnahme zu helfen etc.

3

Im Jahr 2014 war die Klägerin an folgenden Tagen arbeitsunfähig:

4

Arbeitsunfähigkeiten 2014

Zeitraum

Kalender-
tage

Diagnose nach ICD-Schlüssel

03.08.-04.08.

2       

R11G   

Übelkeit und Erbrechen

22.09.-26.09.

5       

J06.9G

Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet

29.11.-03.12.

5       

G43.9G

Migräne, nicht näher bezeichnet

10.12.-17.12.

8       

J06.9G

Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet

Summe 

20    

        

5

Im Jahr 2015 war die Klägerin wie folgt arbeitsunfähig:

6

Arbeitsunfähigkeiten 2015

Zeitraum

Kalender-
tage

Diagnose nach ICD-Schlüssel

01.01.-16.01.

16    

J20.9G

Akute Bronchitis, nicht näher bezeichnet

17.02.-18.02.

2       

G43.9G

Migräne, nicht näher bezeichnet

25.02.-06.03.

10    

J06.9G

Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet

13.04.-22.04.

10    

A09.0G

Sonstige und nicht näher bezeichnete Gastroenteritis und Kolitis infektiösen Ursprungs

01.06.-12.06.

12    

F43.2G
J02.9

Anpassungsstörungen
Akute Pharyngitis, nicht näher bezeichnet (Krankheit des Atmungssystems)

29.06.-02.07.

4       

F43.2G

Anpassungsstörungen

12.09.-14.09.

3       

G43.9G

Migräne, nicht näher bezeichnet

21.09.-29.09.

9       

J06.9G

Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet

14.10.-16.10.

3       

J06.9G

Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet

19.10.-27.10.

9       

J20.9G

Akute Bronchitis, nicht näher bezeichnet

23.11.-02.12.

10    

J20.9G

Akute Bronchitis, nicht näher bezeichnet

Summe 

88    

        

7

Am 29.04.2015 fand ein Betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 SGB IX statt. Die Klägerin verneinte einen Zusammenhang ihrer Erkrankungen mit der Tätigkeit in der Alternativen W. oder den Arbeitsbedingungen dort.

8

Am 29.05.2015 zeigten mehrere Mitarbeiter der Alternativen W. in einem gemeinsamen Brief ihre Überlastung an aufgrund von unbesetzten Stellen sowie krankheits- und urlaubsbedingten Personalausfällen.

9

Am 23.12.2015 führte die Beklagte mit der Klägerin wiederum ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durch. Die Klägerin gab erneut an, keine Probleme bei der Arbeit zu haben, und verwies auf die mit dem Tod ihres Vaters verbundenen Belastungen und die daraus resultierende Krankheitsanfälligkeit.

10

Im Jahr 2016 kam es zu den nachstehenden Arbeitsunfähigkeiten:

11

Arbeitsunfähigkeiten 2016

Zeitraum

Kalender-
tage

Diagnose nach ICD-Schlüssel

16.01.-22.01.

7       

N39.0G

Harnwegsinfektion, Lokalisation nicht näher bezeichnet

30.01.-12.02.

13    

J06.9G

Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet

19.02.

1       

        

ohne Attest

22.02.-28.02.

7       

J06.9G

Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet

30.03.-01.04.

3       

J06.9G

Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet

19.04.-26.04.

8       

J11.1G

Grippe mit sonstigen Manifestationen an den Atemwegen, Viren nicht nachgewiesen

21.05.-24.05.

4       

        

- nicht dargelegt -

13.07.

1       

        

ohne Attest

27.07.-29.07.

3       

I10.90G
I10.91
G43.9G

Essentielle Hypertonie, nicht näher bezeichnet: ohne Angabe einer hypertensiven Krise
Essentielle Hypertonie, nicht näher bezeichnet: mit Angabe einer hypertensiven Krise
Migräne, nicht näher bezeichnet

04.08.-07.08.

4       

I10.90G
E10.91

Essentielle Hypertonie, nicht näher bezeichnet: Ohne Angabe einer hypertensiven Krise

Summe 

51    

        

12

Am 08.04.2016 ging bei der Beklagten erneut eine gemeinsame Überlastungsanzeige mehrerer Mitarbeiter der Alternativen W. ein.

13

Das monatliche Bruttogehalt der Klägerin betrug zuletzt € 1.528,12. Die Entgeltfortzahlungskosten beliefen sich im Jahr 2014 ab Beschäftigungsbeginn auf € 912,96, im Jahr 2015 auf € 4.875,85 und im Jahr 2016 bis einschließlich Juli auf € 2.858,-.

14

Mit Schreiben vom 10.08.2016 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über die beabsichtigte ordentliche, personenbedingte Kündigung der Klägerin. Sie teilte dem Betriebsrat die Sozialdaten der Klägerin (Name, Tätigkeit, Beschäftigungszeit, Lebensalter etc.) mit und gab die Fehlzeiten an. Sie legte ihm die Protokolle zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement vor und verwies auf die angefallenen Entgeltfortzahlungskosten und die Probleme der Heimbewohner bei einem ständigen Wechsel des Betreuungspersonals, insbesondere durch den Einsatz kurzfristiger Aushilfen. Des Weiteren erwähnte sie Meldungen von Beschäftigten aus der W., die sich durch Mehrarbeit aufgrund der immer wieder erforderlichen Kompensation des Ausfalls der Klägerin physisch und psychisch überlastet fühlten. Mit Beschluss vom 12.08.2016 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung unter Hinweis auf das Lebensalter der Klägerin und die eingeschränkte Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt.

15

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 17.08.2016, der Klägerin am selben Tag zugegangen, aus personenbedingten Gründen zum 30.09.2016.

16

Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer am 25.08.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt. Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, da es keine personenbedingten Gründe gebe. Die Krankheiten seien ausgeheilt; eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht, was die von der Schweigepflicht entbundene behandelnde Ärztin bestätigen könne. Die Entgeltfortzahlungskosten seien angesichts der Unternehmensgröße vergleichsweise geringfügig. Bei der Interessenabwägung habe die Beklagte dem Lebensalter der Klägerin kein hinreichendes Gewicht beigemessen. Zudem habe sich die Klägerin die Erkältungskrankheiten hauptsächlich am Arbeitsplatz zugezogen. Wenn sie erkältet gewesen sei, sei sie mit Rücksicht auf die Heimbewohner zu Hause geblieben, um diese nicht auch noch zu infizieren. Die Klägerin hat schließlich bestritten, dass die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört hat.

17

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

18

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.08.2016 nicht beendet wurde, und

19

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Betreuungsassistentin weiter zu beschäftigen.

20

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Kündigung sei wirksam. Nachdem es bereits in der Vergangenheit erhebliche krankheitsbedingte Ausfallzeiten gegeben habe, sei davon auszugehen, dass sich daran auch zukünftig nichts ändern werde. Die Beklagte könne die umfangreichen Fehlzeiten der Klägerin nicht durch andere Mitarbeiter im Heim oder durch Ersatzkräfte überbrücken. Zudem sei eine personelle Kontinuität für die Betreuung der Heimbewohner äußerst wichtig, weil jede Veränderung im Tages- oder Wochenablauf bei ihnen zu Unruhe und mitunter zu aggressiven Reaktionen führe. Angesichts der gewährten Pflegesätze gebe es keine Spielräume, zusätzlich zu den genehmigten Stellen eine Personalreserve vorzuhalten.

21

Das Arbeitsgericht Rostock hat die Klage mit Urteil vom 09.03.2017 abgewiesen und zur Begründung angeführt, dass angesichts der umfangreichen und in der Tendenz zunehmenden Fehlzeiten der Klägerin von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen sei. Zwar mögen die einzelnen Erkältungskrankheiten jeweils ausgeheilt sein. Die Klägerin sei jedoch für solche Krankheiten besonders anfällig, weshalb auch zukünftig erhebliche Ausfallzeiten zu erwarten seien. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass ihre Ärztin die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt habe. Die wirtschaftlichen und betrieblichen Belastungen durch die häufigen Kurzerkrankungen der Klägerin seien erheblich. Zum einen habe die Beklagte in rund zwei Jahren etwa € 8.600,- an Entgeltfortzahlungskosten aufbringen müssen. Zum anderen lasse sich ein Ausfall der Klägerin aufgrund der besonderen Aufgabenstellung im Heim praktisch nicht kompensieren. Bei der Interessenabwägung sei zugunsten der Klägerin die altersbedingt eingeschränkte Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Dennoch überwiege das Interesse der Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, da es nur um eine kurze Beschäftigungszeit gehe, die Krankheiten bereits von Beginn des Arbeitsverhältnisses an aufgetreten seien und ein Zusammenhang der Erkrankungen mit der Tätigkeit im Betrieb nicht ersichtlich sei. Darüber hinaus habe die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt.

22

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der sie sich zunächst auf ihr erstinstanzliches Vorbringen bezieht. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht die Kündigung als wirksam erachtet. Es gebe weder eine negative Gesundheitsprognose noch habe die Beklagte hinreichende betriebliche Interessen dargelegt. Ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 22.05.2017 habe sich ihr Gesundheitszustand seit Oktober 2016 deutlich stabilisiert. Der damals anhaltende postinfektiöse Reizhusten habe sich durch die initial regelmäßige Gabe eines Inhalationssprays gut zurückgebildet. Von einer chronischen Erkrankung sei nicht auszugehen. Die Klägerin hält die wirtschaftlichen Belastungen durch die Entgeltfortzahlungskosten in Anbetracht der Unternehmensgröße weiterhin für nicht erheblich und bestreitet, dass es nicht möglich sei, Aushilfen einzustellen und einzusetzen. Eine Kontinuität bei der Betreuung von Heimbewohnern spiele eher bei den Therapeuten und Heilerziehern eine Rolle, nicht aber bei den Betreuungsassistenten, denen nur die Freizeitgestaltung obliege. Soweit die Beklagte Überlastungsanzeigen aus der Alternativen W. vorgelegt habe, seien dort nicht die Fehlzeiten der Klägerin angesprochen. Zudem habe die Beklagte den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt. Sie habe sich gegenüber dem Betriebsrat pauschal auf Beschwerden von Mitarbeitern wegen Mehrarbeit berufen, ohne anzugeben, um wie viele Stunden und Mitarbeiter es überhaupt gehe.

23

Die Klägerin beantragt,

24

das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 09.03.2017 - 2 Ca 1361/16 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.08.2016 nicht beendet worden ist.

25

Die Beklagte beantragt,

26

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

27

Sie ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe zutreffend entschieden. Der Klägerin sei es auch in der Berufungsinstanz nicht gelungen, die negative Prognose zu erschüttern und darzulegen, dass sie zukünftig in der Lage sein werde, ihre Arbeitsaufgaben kontinuierlich zu erfüllen. Sie habe nicht einmal während des Laufs der Kündigungsfrist ihre Arbeitsfähigkeit wiedererlangt. Die Bewohner des Heims seien auf ein konstantes, gleichförmiges Umfeld und auf gleichförmige, wiederkehrende Arbeitsabläufe angewiesen. Das gelte auch für die Betreuungsassistenten. Die Beklagte habe den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört. Der Betriebsrat kenne die Verhältnisse in der Alternativen W. aus eigener Anschauung, sodass er ohne weiteres nachvollziehen könne, welche Folgen mit häufigen kurzfristigen krankheitsbedingten Ausfällen verbunden seien.

28

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

29

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit der zutreffenden Begründung abgewiesen. Das Berufungsgericht nimmt Bezug auf die Ausführung der Vorinstanz.

30

Die ordentliche Kündigung vom 17.08.2016 zum 30.09.2016 ist wirksam. Sie ist durch Gründe in der Person der Klägerin bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß beteiligt worden.

1.

31

Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeits-verhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).

32

Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, um eine Kündigung zu rechtfertigen, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG, Urteil vom 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 29, juris = NJW 2016, 588; BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 16, juris = NJW 2015, 1979; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07. März 2017 - 2 Sa 158/16 - Rn. 41, juris = NZA-RR 2017, 347; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. August 2016 - 5 Sa 77/16 - Rn. 30, juris = AuA 2017, 178).

33

Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt. Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 17, juris = NJW 2015, 1979; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07. März 2017 - 2 Sa 158/16 - Rn. 42 f., juris = NZA-RR 2017, 347).

34

Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhen. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert. Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (z. B. eine Operation) ergriffen wurden (BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 20, juris = NJW 2015, 1979).

35

Die Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist anhand der zum Zeitpunkt des Zugangs gegebenen objektiven Verhältnisse zu beurteilen (BAG, Urteil vom 17. Februar 2016 - 2 AZR 613/14 - Rn. 26, juris = ZTR 2016, 418; BAG, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 2 AZR 644/13 - Rn. 21, juris = NJW 2015, 1403).

36

Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass zum Kündigungszeitpunkt aufgrund der aufgetretenen Fehlzeiten weitere Erkrankungen im bisherigen Umfang zu befürchten waren und damit eine negative Gesundheitsprognose gerechtfertigt war. Die Klägerin war im Durchschnitt rund 6 Kalendertage pro Monat krank, also etwa zu 20 % eines Monats abwesend. Die Fehlzeiten in den Kalenderjahren 2015 und 2016 gehen weit über sechs Wochen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG) hinaus.

37

Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass und weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Sie hat zwar die jeweiligen Krankheitsursachen angegeben, aber nicht vorgetragen, aus welchem Grund ein erneutes Auftreten dieser Krankheitsbilder nicht zu erwarten war. Die im Berufungsverfahren nachgereichte Bescheinigung der Hausärztin aus Mai 2017 enthält hierzu keine Angaben. Die ärztliche Bescheinigung bezieht sich weder auf den Kündigungszeitpunkt noch enthält sie eine konkrete Einschätzung der gesundheitlichen Entwicklung bei Fortsetzung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit. Dass die Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr erhalten hat, lässt nicht auf eine störungsfreie Fortsetzung der Arbeit als Betreuungsassistentin schließen. Der mit dieser Tätigkeit zwangsläufig verbundene direkte Kontakt zu anderen Menschen birgt ein höheres Risiko, andere und sich selbst zu infizieren. Dieses erhöhte Infektionsrisiko hat sich bei der Klägerin verwirklicht, wie sich aus der Diagnoseliste entnehmen lässt. Danach litt die Klägerin immer wieder an Infektionen, insbesondere der Atemwege. Die einzelne Infektion mag ausgeheilt sein. Das ändert aber nichts an der erhöhten Anfälligkeit für diese Krankheit, die auch zukünftig bei einer Weiterbeschäftigung als Betreuungsassistentin erhebliche Fehlzeiten befürchten lässt. Soweit die Klägerin an Migräne leidet, gibt es ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Besserung des Gesundheitszustandes. Die Anpassungsstörungen (F43.2G) im Juni/Juli 2015, die auf den Tod des Vaters zurückgehen, sind nur einmal aufgetreten. Zugunsten der Klägerin können die damit zusammenhängenden Arbeitsunfähigkeitstage außer Betracht bleiben. Die sonstigen Fehlzeiten genügen jedoch, um eine Negativprognose zu begründen.

38

Die künftig zu erwartenden Fehlzeiten der Klägerin führen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten. Zum einen sind - wie in den Jahren 2015 und 2016 - Entgeltfortzahlungskosten zu erwarten, die über einen Umfang von sechs Wochen hinausgehen. Zum anderen stören die Fehlzeiten der Klägerin die betrieblichen Abläufe erheblich. Die Pflegebedürftigen können nicht sich selbst überlassen werden. Sie haben einen Anspruch auf eine zusätzliche Betreuung und Aktivierung. Diesen Anspruch hat die Beklagte zu erfüllen, wobei sie nicht verpflichtet ist, eine Personalreserve vorzuhalten, um überdurchschnittliche Fehlzeiten aufzufangen. Ein Austausch des Betreuungspersonals ist im Interesse der Pflegebedürftigen grundsätzlich auf das unabdingbar notwendige Mindestmaß zu beschränken. Für eine fachgerechte und nachhaltige Betreuung sind Kenntnisse über den Pflegebedürftigen und seine Behinderung bzw. Behinderungen ebenso notwendig wie der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses. Das gilt auch für die Betreuungsassistenten, die bei der Freizeitgestaltung auf die Möglichkeiten, Bedürfnisse und Wünsche der Heimbewohner eingehen müssen, um diese entsprechend dem gesetzlichen Auftrag aktivieren zu können.

39

Die Abwägung der wechselseitigen Interessen führt nicht dazu, dass die Beklagte diese Beeinträchtigungen hinzunehmen hat. Das Arbeitsgericht hat die maßgeblichen Gesichtspunkte angesprochen und angemessen gewichtet. Angesichts des nur kurzzeitigen Arbeitsverhältnisses und der bereits von Anfang an aufgetretenen Störungen durch Fehlzeiten hat das Interesse der Klägerin an einem Erhalt ihrer Einkommensgrundlage zurückzutreten. Das höhere Lebensalter der Klägerin und die damit verbundenen Schwierigkeiten, eine neue Beschäftigung zu finden, überwiegen nicht das Interesse der Beklagten an einer kontinuierlichen und möglichst geregelten Betreuung der pflegebedürftigen Heimbewohner. Eine weniger belastende Maßnahme als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht nicht zur Verfügung, nachdem die Beklagte zweimal ein Betriebliches Eingliederungsmanagement mit der Klägerin durchgeführt hat, bei dem sich keine Möglichkeiten ergeben haben, die Fehlzeiten zu verringern.

2.

40

Die Beklagte hat den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt.

41

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine Kündigung ist dabei nach Satz 3 nicht erst unwirksam, wenn eine Unterrichtung ganz unterblieben ist, sondern schon dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht im Interesse des Arbeitnehmers auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (BAG, Urteil vom 22. September 2016 - 2 AZR 700/15 - Rn. 25, juris = NJW 2017, 684).

42

Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist deshalb grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat diejenigen Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er dem Betriebsrat bewusst einen solchen irreführenden Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (BAG, Urteil vom 22. September 2016 - 2 AZR 700/15 - Rn. 26, juris = NJW 2017, 684).

43

Die Beklagte hat dem Betriebsrat mit Schreiben vom 10.08.2016 sämtliche Umstände mitgeteilt, die er benötigt, um die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich hierüber eine eigene Meinung bilden zu können. Die Sozialdaten der Klägerin sind vollständig aufgeführt, die Fehlzeiten und Entgeltfortzahlungskosten sind angegeben und es waren die Protokolle zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement beigefügt. Des Weiteren hat die Beklagte die betrieblichen Ablaufstörungen dargestellt. Soweit sie in diesem Zusammenhang Überlastungsanzeigen aus der Alternativen W´. mit konkretem Bezug zum Ausfall der Klägerin angesprochen hat, ist der Sachverhalt nicht unrichtig dargestellt. Die Klägerin ist zwar nicht die einzige Mitarbeiterin der W. mit Fehlzeiten. Dennoch ist sie eine Mitarbeiterin, deren Ausfall immer wieder von anderen Kräften zu kompensieren war, was zwar nicht allein, aber zumindest mitursächlich dazu beitrug, dass sich andere Mitarbeiterinnen überlastet fühlten. Das ist angesichts der erheblichen und immer wiederkehrenden Fehlzeiten der Klägerin, die nicht durch Mitarbeiter von außen aufgefangen wurden, nachvollziehbar. Die Beklagte hat dem Betriebsrat kein schiefes Bild zum Nachteil der Klägerin vermittelt, um ihn in die Irre zu führen.

44

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 28. Nov. 2017 - 5 Sa 54/17

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bei uns veröffentlicht am 18.08.2016

weitere Fundstellen ... Tenor 1. Die Berufung der Klägerin gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 7. Januar 2016, Az. 6 Ca 882/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen. 2. Die Revision wi

Bundesarbeitsgericht Urteil, 17. Feb. 2016 - 2 AZR 613/14

bei uns veröffentlicht am 17.02.2016

Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Juli 2014 - 7 Sa 662/14 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 20. Nov. 2014 - 2 AZR 755/13

bei uns veröffentlicht am 20.11.2014

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 23. Okt. 2014 - 2 AZR 644/13

bei uns veröffentlicht am 23.10.2014

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 20. März 2013 - 6 Sa 617/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Referenzen

Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen haben nach Maßgabe von § 84 Absatz 8 und § 85 Absatz 8 Anspruch auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung, die über die nach Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit notwendige Versorgung hinausgeht.

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte entwickelt und vertreibt Hygieneartikel. Der 1964 geborene Kläger ist bei ihr seit Juni 1991 als Maschinenführer tätig. Zuletzt war er - als einer von etwa 220 Arbeitnehmern - im Betrieb E im Dreischichtmodell beschäftigt. Sein monatlicher Bruttoverdienst belief sich auf ca. 2.700,00 Euro.

3

Der Kläger war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Im Jahr 2006 war er ab dem 27. Juli an wenigstens 59 Tagen wegen einer Handverletzung nicht arbeitsfähig. Im Jahr 2007 fehlte er wegen einer anderen Handverletzung 105 und aufgrund einer Kontaktallergie weitere 30 Tage. Im Jahr 2008 war er an 69 Tagen, im Jahr 2009 an 74 Tagen, im Jahr 2010 an 62 Tagen und im Jahr 2011 an 125 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Zwei Fehltage im Jahr 2008 und 21 Fehltage im Jahr 2009 waren auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Von den Krankheitstagen im Jahr 2011 entfielen 117 Tage auf ein Hüftleiden. Wegen dieser Erkrankung unterzog sich der Kläger am 28. März 2011 einer Operation.

4

Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit.

5

Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger auf Ersuchen der Beklagten beim arbeitsmedizinischen Dienst vor. Es folgten weitere Begutachtungen Ende 2009/Anfang 2010 und im September 2011. In den betriebsärztlichen Stellungnahmen hieß es jeweils, gegen eine Beschäftigung des Klägers bestünden keine gesundheitlichen Bedenken. Im Schreiben vom 2. Februar 2010 wurde außerdem berichtet, es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten. Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, sie habe dem Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden ließen.

6

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die seit dem Jahr 2008 aufgetretenen Fehlzeiten seien - soweit nicht auf Arbeitsunfällen und den Hüftbeschwerden beruhend - im Wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf eine Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittene Unfälle zurückzuführen. Die Fehlzeiten indizierten keine negative Zukunftsprognose. Mit dem Auftreten der Allergie sei nach den Maßnahmen der Berufsgenossenschaft und beim Tragen der empfohlenen Schutzhandschuhe nicht mehr zu rechnen. Sein Hüftleiden sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Der Fersensporn sei gleichfalls erfolgreich therapiert. Seine Erkältungskrankheiten seien durch Zugluft am Arbeitsplatz ausgelöst oder begünstigt worden. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig. Die Beklagte habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt. Sie könne sich deshalb nicht darauf berufen, alternative Möglichkeiten zur Vermeidung oder doch erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten hätten nicht bestanden. Das sei auch objektiv falsch. Neben Veränderungen am Arbeitsplatz, dessen bisheriger Zuschnitt ein kontinuierliches Treppensteigen erfordere, habe ein geeignetes „Gesundheitsmanagement“ zur Stabilisierung seines Abwehr- und Immunsystems beitragen können. Dies belege eine zwischenzeitlich durchgeführte Reha-Maßnahme, in deren Folge sich sein Gesundheitszustand deutlich gebessert habe. Unabhängig davon sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dieser sei bis einschließlich des 25. November 2011 an insgesamt 1061 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Davon habe sie für 803 Tage Entgeltfortzahlung geleistet. Die erheblichen Fehlzeiten sprächen für eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit des Klägers und begründeten eine negative Gesundheitsprognose. Dies wiederum beeinträchtige ihre betrieblichen Interessen erheblich. Sie habe damit rechnen müssen, an den Kläger weiterhin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die Dauer von mehr als sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Ihre Verpflichtung zur Durchführung eines bEM habe sie mit den in Auftrag gegebenen arbeitsmedizinischen Untersuchungen erfüllt. Jedenfalls stehe aufgrund der betriebsärztlichen Stellungnahmen fest, dass die Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch organisatorische Änderungen habe überwunden werden können. Die Kündigung sei damit selbst dann verhältnismäßig, wenn es an einem regelkonformen bEM fehlen sollte. Auf die allgemeine Gesundheitsprävention im Rahmen außerbetrieblicher Maßnahmen sei der gesetzlich vorgegebene Klärungsprozess nicht angelegt.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

A. Die Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sie im Tenor seines Urteils zugelassen. Daran ist der Senat gemäß § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden(vgl. BAG 16. April 1997 - 4 AZR 653/95 - zu I der Gründe). Eine Überprüfung der Zulassungsentscheidung - wie sie der Kläger offenbar anstrebt - findet nicht statt.

13

B. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden (I.). Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (II.).

14

I. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie erweist sich - ungeachtet der erheblichen Fehlzeiten - als unverhältnismäßig.

15

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. aus jüngerer Zeit BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335). Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen über mehrere Monate erstreckten, liegt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor.

16

2. Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (bspw. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - aaO; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335).

17

3. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 17, BAGE 121, 335; 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 20). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24; 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 92, 96). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO mwN).

18

4. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich danach die Kündigung nicht bereits im ersten Prüfungsschritt als unwirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die bisherigen Fehlzeiten hätten im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose indiziert und der Kläger habe diese Indizwirkung nicht entkräftet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

a) Die Beklagte hat die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war der Kläger auch ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Ausfallzeiten seit Mitte des Jahres 2007 in erheblichem Umfang wegen Krankheit arbeitsunfähig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stiegen seine Fehlzeiten kontinuierlich an (vgl. zu diesem Kriterium BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32 mwN). Lediglich im Jahr 2010 gingen sie gegenüber dem Vorjahr leicht zurück, verblieben aber auf hohem Niveau. Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht starr auf den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung abgestellt hat. Es konnte auch davor liegende Zeitspannen einbeziehen (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24).

20

b) Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten - den Angaben des Klägers zufolge - auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 26). Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO).

21

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, das künftige Auftreten von Krankheitszeiten im bisherigen Umfang sei aufgrund einer besonderen Krankheitsanfälligkeit indiziert. Zwar hat sich der Kläger bezüglich einzelner Erkrankungen darauf berufen, er habe besondere Therapiemaßnahmen durchgeführt. Seiner Schlussfolgerung, aufgrund dessen sei zumindest mit einer deutlichen Verringerung der Fehlzeiten zu rechnen gewesen, widerspricht aber der Umstand, dass er im Anschluss an die im März 2011 durchgeführte Operation noch bis Juli 2011 und erneut in der Zeit vom 8. bis 28. August 2011 wegen seines Hüftleidens krankgeschrieben war. Eine Rehabilitationsmaßnahme hat er erst nach Zugang der Kündigung begonnen und durchgeführt. Sie hat deshalb keinen Einfluss auf die Indizwirkung der vor dem Kündigungszeitpunkt aufgetretenen Fehlzeiten (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 558/99 - Rn. 20 mwN). Gleiches gilt für mögliche - nach der Kündigung ergriffene - Maßnahmen zur Verbesserung der Immunabwehr. Damit verblieb es vor der Kündigung bei umfangreichen, eine negative Prognose stützenden Arbeitsunfähigkeitszeiten.

22

d) Der Kläger hat die Indizwirkung der Fehlzeiten nicht dadurch erschüttert, dass er sich auf das Zeugnis seiner ihn behandelnden Ärzte berufen und diese von der Schweigepflicht entbunden hat. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin nicht die Behauptung erblickt, die Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung bezüglich sämtlicher prognosetragender Erkrankungen im Kündigungszeitpunkt positiv beurteilt (zu dieser Anforderung vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96; 6. September 1989 - 2 AZR 19/89 - zu B I 1 b der Gründe). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen richterlichen Hinweis vermisst, ist seine Gegenrüge unzulässig, zumindest unbegründet.

23

5. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass sie - bei unveränderter Sachlage - damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Die Kündigung ist dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte hat das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

24

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 92, 96; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 286; vHHL/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 324; jeweils mwN).

25

b) Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich - besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines bEM - zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16). Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - aaO mwN). Entsprechend abgestuft ist die Darlegungslast des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft, die Kündigung sei deshalb unverhältnismäßig, weil eine dem Arbeitgeber bekannte, ihm gleichwohl nicht geboten erscheinende Therapiemöglichkeit bestanden habe.

26

c) Die Kündigung erweist sich nicht schon nach diesen allgemeinen Grundsätzen als unwirksam. Der Kläger hat geltend gemacht, sein bisheriger Arbeitsplatz erfordere regelmäßiges Treppensteigen und sei ferner deshalb nicht leidensgerecht, weil an ihm Zugluft herrsche. An Ausführungen dazu, welche organisatorischen Änderungen oder welcher andere Arbeitsbereich - aus seiner Sicht - eine Beschäftigung ohne gesundheitliche Probleme möglich gemacht hätten, fehlt es. Ebenso wenig ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass er sich bereits vor Zugang der Kündigung um eine Rehabilitationsmaßnahme und ein besseres Gesundheitsmanagement bemüht und die Beklagte Anhaltspunkte für die Annahme gehabt hätte, entsprechende Maßnahmen könnten erfolgversprechend sein.

27

d) Im Streitfall traf die Beklagte indes eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Sie hatte es versäumt, ein bEM durchzuführen. Ihrer Obliegenheit detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden, ist sie nicht nachgekommen.

28

aa) Die Beklagte war gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM vorzunehmen. Der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19). Die Durchführung eines bEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 27, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234).

29

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein regelkonformes bEM habe nicht stattgefunden, ist berechtigt.

30

(1) Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20).

31

(2) Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 9, BAGE 140, 350; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 55, BVerwGE 137, 148).

32

(3) Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat(BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht(BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, BAGE 140, 350; dass das Gesetz hier vom „Arbeitsplatz“ spricht, dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen, vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 28). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 62).

33

(4) Kommt es stattdessen darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines bEM genügen, ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des bEM ausgerichtete Suchprozess erweisen.

34

(5) Danach kann in den betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers und den mit ihnen verbundenen Begutachtungen kein bEM erblickt werden.

35

(a) Der Betriebsarzt wird in § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX als ein Akteur erwähnt, der „bei Bedarf“ zum bEM hinzugezogen wird. Dies entspricht der Aufgabe des Arztes, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu unterstützen und in Fragen des Gesundheitsschutzes zu beraten (§ 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG). Die Nutzung seines Sachverstands kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstands steht einem bEM als ganzem aber nicht gleich (vgl. Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24, 25).

36

(b) Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber dem Betriebsarzt bei Bedarf die Durchführung und Leitung des bEM übertragen kann (befürwortend Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 152; zweifelnd Cramer/Ritz/Schian SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 31). Die Behauptung der Beklagten, die betriebsärztlichen Untersuchungen seien „teilweise … unter dem Titel ‚betriebliches Eingliederungsmanagement‘ [gelaufen]“, macht nicht deutlich, dass sie dem arbeitsmedizinischen Dienst die regelgerechte Durchführung eines bEM überantwortet hätte. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die Betriebsärzte ihre Beauftragung in einem solch weitreichenden Sinne verstanden und entsprechend agiert hätten. Ihre Stellungnahmen beschränken sich auf die Einschätzung der Einsatzfähigkeit des Klägers auf der Grundlage arbeitsmedizinischer Untersuchungen. Auch fehlt es an substantiierten Darlegungen zu einer den Anforderungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX genügenden Unterrichtung und Belehrung des Klägers, aus der sich für diesen die Absicht, ein bEM durchzuführen, deutlich hätte erschließen können. Das Vorbringen der Beklagten, die Betriebsärztin habe aus Anlass der Ende 2009/Anfang 2010 vorgenommenen Untersuchung mit dem Kläger „die Fragestellung“ eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen „besprochen“ und ihn „über den Sinn und Zweck der Untersuchungen“ unterrichtet, reicht dafür nicht aus. Es kann deshalb offenbleiben, ob die fragliche Begutachtung, hätte es sich bei ihr um ein bEM gehandelt, dem Zweck des § 84 Abs. 2 SGB IX deshalb nicht genügen konnte, weil der Kläger innerhalb des der Kündigung vorausgegangenen Jahres erneut Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen aufwies(zur Problematik KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 16; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10).

37

cc) Das Unterlassen eines bEM führt hier dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist.

38

(1) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

39

(2) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 25).

40

(3) Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

41

(4) Diesen Vorgaben wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis gerecht.

42

(a) Ein bEM ist nicht nur bei lang andauernden Krankheiten geboten. Es ist auch bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen oder von vorneherein überflüssig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX kommt es allein auf den Umfang, nicht auf die Ursache der Erkrankungen an. Auch aus Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich - zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten - eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll (KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 17; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10; Deinert NZA 2010, 969, 971; aA Balders/Lepping NZA 2005, 854, 855).

43

(b) Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass einem künftigen Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen nicht hätte entgegengewirkt werden können. Dass ihr entsprechende Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar gewesen wären, hat sie nicht aufgezeigt.

44

(aa) In diesem Zusammenhang waren nähere Darlegungen der Beklagten nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger vorgerichtlich geäußert haben mag, seine Erkrankungen seien nicht „betriebsbedingt“. Unabhängig davon, was genau er damit hat ausdrücken wollen, ist es nicht treuwidrig, wenn er sich gegenüber der ausgesprochenen Kündigung auf das Unterbleiben erfolgversprechender innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen beruft. Das Landesarbeitsgericht musste seine Behauptung, solche Maßnahmen hätten dem Auftreten neuerlicher Fehlzeiten vorbeugen oder diese zumindest verringern können, nicht etwa als Schutzbehauptung werten. Die Beklagte hat die vom Kläger aufgezeigten, einer günstigen Veränderung jedenfalls dem ersten Anschein nach nicht unzugänglichen Arbeitsbedingungen nicht in Abrede gestellt. Der Umstand, dass der Kläger während einer Prozessbeschäftigung trotz des Einsatzes am bisherigen Arbeitsplatz keine relevanten krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehr gezeigt hat, spricht nicht notwendig gegen einen möglichen Zusammenhang zwischen den äußeren Arbeitsumständen und seinen bisherigen Fehlzeiten. Die Entwicklung kann ebenso gut durch die zwischenzeitlich durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme oder dadurch begünstigt worden sein, dass der Kläger - wie er behauptet hat - nunmehr ein effektiveres „Gesundheitsmanagement“ betreibt.

45

(bb) Die Beklagte hat die objektive Nutzlosigkeit innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen nicht dadurch aufgezeigt, dass sie auf den Gegenstand der arbeitsmedizinischen Untersuchungen verwiesen und sich die Stellungnahmen der Betriebsärzte - konkludent - zu Eigen gemacht hat. Zwar verpflichtet § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. c) ASiG die Betriebsärzte, Ursachen von „arbeitsbedingten Erkrankungen“ zu untersuchen. Auch ist der Stellungnahme vom 2. Februar 2010 zu entnehmen, dass die Ärzte keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und seinen Fehlzeiten erkannt haben. Das schließt aber die Gewinnung anderer Erkenntnisse im Rahmen eines in alle Richtungen offenen bEM nicht aus. Bei diesem geht das Gesetz davon aus, dass sich neben dem Arbeitnehmer auch die anderen beteiligten Stellen, insbesondere die Rehabilitationsträger, aktiv in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit einbringen. Es kommt hinzu, dass die Berufsgenossenschaft im Jahr 2010 einen Zusammenhang zumindest zwischen den Arbeitsbedingungen und der Kontaktallergie gesehen und ein Hilfsmittel empfohlen hat. Soweit die Beklagte anführt, die im Jahr 2011 erfolgte betriebsärztliche Untersuchung sei „unter Berücksichtigung der arbeitsplatztypischen Belastungsfaktoren Lärm, Hautkontakt mit Stoffen, Schichttätigkeit“ erfolgt und „negativ“ verlaufen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann. Im Übrigen ergibt sich aus ihm nicht, dass der Arbeitsplatz des Klägers auf besondere Belastungen durch Zugluft und Treppensteigen, dh. auf Umstände und deren mögliche Änderung hin untersucht worden wäre, in denen der Kläger eine Ursache seiner Krankheitsanfälligkeit erblickt.

46

(cc) Soweit die Beklagte gemeint hat, die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zu der Möglichkeit, im Rahmen eines bEM zu einer von den arbeitsmedizinischen Gutachten abweichenden Beurteilung zu gelangen, bewegten sich im Bereich der Spekulation, liegt darin kein beachtliches Vorbringen. Es handelt sich weder um eine zulässige Verfahrens-, noch um eine begründete Sachrüge. Es hat nicht das Landesarbeitsgericht Spekulationen angestellt, sondern die Beklagte ist ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen, im Einzelnen darzulegen, weshalb eine abweichende Beurteilung objektiv ausgeschlossen sein soll.

47

(c) Die Kündigung wäre selbst dann unverhältnismäßig, wenn feststünde, dass die tatsächlichen betrieblichen Bedingungen, zu denen der Kläger arbeitete, nicht hätten geändert werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.

48

(aa) Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783 S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinzische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig, ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, hat der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX erbracht werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei - neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung - insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX in Betracht(vgl. Knittel SGB IX 7. Aufl. § 84 Rn. 207; KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 9; Nebe in MünchAnwHdb Sozialrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 22; Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 190).

49

(bb) Denkbares Ergebnis eines bEM kann es damit sein, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Dem steht nicht entgegen, dass deren Durchführung von seiner Mitwirkung abhängt und nicht in der alleinigen Macht des Arbeitgebers steht. Ggf. muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistung setzen. Eine Kündigung kann er dann wirksam erst erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen ist (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 29). Durch die Berücksichtigung entsprechender, aus dem bEM entwickelter Empfehlungen wird der „ultima-ratio-Grundsatz“ nicht, wie die Beklagte meint, über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Die aus ihm resultierende Verpflichtung des Arbeitgebers, ggf. mildere Mittel zu ergreifen, ist nicht auf arbeitsplatzbezogene Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG beschränkt. Diese Vorschrift dient der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich mit Blick auf ihren eigenen Regelungsbereich. Sie schließt die Berücksichtigung sonstiger Umstände, die eine Kündigung entbehrlich machen könnten, nicht aus. Eine Kündigung muss, damit sie durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“ ist, unter allen Gesichtspunkten verhältnismäßig, dh. unvermeidbar sein. Daraus kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, auf bestehende Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Wenn er ein bEM unterlassen hat, kann er gegen eine solche Verpflichtung nicht einwenden, ihm seien im Kündigungszeitpunkt - etwa schon mangels Kenntnis der Krankheitsursachen - entsprechende Möglichkeiten weder bekannt gewesen, noch hätten sie ihm bekannt sein können.

50

(cc) Das bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber bei Unterlassen eines bEM, um die Verhältnismäßigkeit der Kündigung aufzuzeigen, für jede nur erdenkliche Maßnahme der Gesundheitsprävention - etwa bis zu möglichen Änderungen in der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers - von sich aus darzulegen hätte, dass und weshalb sie zur nachhaltigen Verminderung der Fehlzeiten nicht geeignet gewesen sei. Es reicht aus, wenn er dartut, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt lediglich die Berücksichtigung solcher Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen, deren Beachtung dem Arbeitgeber zumutbar ist. Zumutbar wiederum ist nur eine Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert ist. Auch muss deren tatsächliche Durchführung objektiv überprüft werden können. Beides trifft auf gesetzlich vorgesehene Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienen, typischerweise zu. Solche Maßnahmen muss der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich in Erwägung ziehen. Hat er ein bEM unterlassen, muss er von sich aus ihre objektive Nutzlosigkeit aufzeigen und ggf. beweisen. Dabei kommt eine Abstufung seiner Darlegungslast in Betracht, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind. Für eine Maßnahme außerhalb des Leistungskatalogs der Rehabilitationsträger - und sei es ein fachkundig entwickeltes Konzept zur privaten Gesundheitsprävention - gilt dies dagegen in aller Regel nicht. Deren objektive Nutzlosigkeit braucht der Arbeitgeber nicht darzutun.

51

(dd) Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung zwar nicht deshalb für unwirksam erachten, weil im Rahmen eines bEM die Möglichkeit bestanden hätte, ein - wie auch immer geartetes - Konzept für ein konsequentes Gesundheitsmanagement des Klägers zu entwickeln. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines bEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären. Das gilt umso mehr, als sich der Kläger ausdrücklich auf eine nach Zugang der Kündigung erfolgreich durchgeführte Reha-Behandlung berufen hat. Die Beklagte hätte aufzeigen müssen, warum Maßnahmen zur kurativen Behandlung und/oder der medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX - zu denen im Übrigen nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift auch die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“ zählt - nicht in Betracht gekommen wären oder doch zu einer erheblichen Verringerung der Fehlzeiten nicht hätten beitragen können. An solchen Darlegungen fehlt es.

52

II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gerichtet. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen.

53

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

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Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 7. Januar 2016, Az. 6 Ca 882/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit von zwei ordentlichen Kündigungen.

2

Die Beklagte unterhält in C-Stadt eine Rheumaklinik mit ca. 200 Arbeitnehmern; es besteht ein Betriebsrat. Die 1954 geborene Klägerin ist seit 01.01.1977 in der Klinik als Ergotherapeutin beschäftigt. Ihr Teilzeitverdienst betrug im Jahr 2013 bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 33,5 Stunden € 2.887,68 brutto monatlich. Ob die Klägerin die Abteilung Ergotherapie zuletzt noch leitete, ist streitig.

3

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist seit dem Jahr 2005 ua. durch krankheitsbedingte Fehlzeiten der Klägerin belastet. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis bereits am 18.10.2010 aus krankheitsbedingten Gründen (274 Fehltage vom 01.01.2007 bis 01.10.2010) zum 30.06.2011 gekündigt. Die Klägerin hat im Vorprozess behauptet, ihre Erkrankungen seien ausgeheilt, in Zukunft seien deshalb keine weiteren Erkrankungen im bisherigen Umfang zu erwarten. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage im Vorprozess (6 Ca 945/10) mit - rechtskräftigem - Urteil vom 01.02.2011 stattgegeben und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Seit 2007 weist die Klägerin folgende Fehlzeiten auf:

4

von     

bis     

AT    

Diagnose laut Angaben der Klägerin

                                   

2007   

        

63

        

18.01.

26.01.

7

akute Infektion der oberen Atemwege

05.07.

06.07.

2

vorübergehende Befindlichkeitsstörung

10.07.

23.09.

54

Verletzungen nach Motorradunfall

2008   

        

12

        

16.01.

17.01.

2

Kopfschmerzen

28.01.

29.01.

2

Kopfschmerzen

08.07.

10.07.

3

Kopfschmerzen

10.09.

12.09.

3

Kopfschmerzen

23.09.

        

1

Kopfschmerzen

10.11.

        

1

Kopfschmerzen

2009   

        

107

        

19.01.

27.02.

30

akute Infektion der oberen Atemwege, Grippe

20.08.

21.08.

2

?       

24.08.

25.08.

1

?       

27.08.

        

1

?       

09.09.

18.09.

8

?       

29.09.

31.12.

65

Tinnitus mit Hörsturz mit anschließender
depressiver Episode

2010   

        

112

        

01.01.

31.01.

20

depressive Episode

03.02.

04.02.

2

sonstige biomechanische Funktionsstörung

12.02.

05.03.

16

virusbedingte Darminfektion mit Darmgrippe
und Entzündung des Dickdarms

30.04.

        

1

Darminfektion

25.05.

26.05.

2

mit Nichtwissen bestritten

17.06.

08.08.

32

Entzündung durch Rizarthrose
Knöchelverletzung am Fuß

09.08.

20.08.

10

akute Infektion der oberen Atemwege
mit Bronchitis und Sinusitis

21.09.

31.10.

29

gastroösophageale Refluxkrankheit

2011   

        

71

        

26.04.

29.04.

4

akute Infektion der oberen Atemwege

16.05.

25.05.

8

anhaltende somatische Schmerzstörung

16.06.

30.06.

10

depressive Episode

01.07.

15.07.

11

depressive Episode

28.07.

29.07.

2

depressive Episode

01.08.

12.08.

10

depressive Episode

30.09.

        

1

Fingerprellung

11.10.

31.10.

15

Neurasthenie

01.11.

03.11.

3

Neurasthenie

17.11.

25.11.

7

akute Infektion der Atemwege

2012   

        

44

        

21.03.

08.04.

12

Radikulopathie Lumbalbereich

10.04.

20.04.

9

infektiöse Diarrhoe

29.05.

31.05.

3

rezidivierende depressive Störung
mittelgradige Episode

01.06.

15.06.

10

rezidivierende depressive Störung
mittelgradige Episode

24.08.

        

1

mit Nichtwissen bestritten

10.09.

20.09.

9

Thrombophlebitis

2013   

        

73

        

24.01.

25.01.

2

mit Nichtwissen bestritten

14.02.

15.02.

2

mit Nichtwissen bestritten

27.03.

28.03.

2

mit Nichtwissen bestritten

11.04.

19.04.

7

Neurasthenie

07.05.

30.05.

15

Gehirnerschütterung bis 24.05.bis 30.05.
mit Nichtwissen bestritten

03.06.

12.06.

5

Gehirnerschütterung, HWS - Distorsion

26.06.

28.06.

2

Gehirnerschütterung, HWS - Distorsion

01.07.

31.07.

23

somatoforme Störungen

01.08.

08.08.

9

somatoforme Störungen

12.08.

23.08.

9

Verbrennungen/Verbrühung

5

Der Beklagten sind nach ihren Angaben, die die Klägerin bestreitet, seit 2007 folgende Entgeltfortzahlungskosten entstanden:

6

Jahr   

EUR

2007   

5.281,33

2008   

1.338,67

2009   

11.142,14

2010   

13.626,03

2011   

10.850,04

2012   

6.840,30

2013   

10.432,19

Summe  

59.511,06

7

Mit Schreiben vom 22.08.2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich, weil die Klägerin geplant haben soll, vom 9. bis 11.08.2013 ein im Internet veröffentlichtes Seminar "Oneness Awakening Kurs und Initiation zum Deeksha-Geber" durchzuführen, obwohl sie ursprünglich bis zum 09.08.2013 krankgeschrieben war. Mit Schreiben vom 05.09.2013 kündigte die Beklagte erneut außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30.04.2014 wegen dauerhafter Störung des Betriebsfriedens und unkollegialem Verhalten. Schließlich kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 26.09.2013 zum 30.04.2014 aus krankheitsbedingten Gründen ordentlich. Die Klägerin erhob gegen sämtliche Kündigungen Klage.

8

Das Arbeitsgericht hat mit - rechtskräftigem - Teilurteil vom 03.04.2014 (6 Ca 882/13) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.08.2013 weder fristlos noch ordentlich und durch die Kündigung vom 05.09.2013 nicht fristlos aufgelöst worden ist.

9

Die Klägerin machte erstinstanzlich - soweit noch von Interesse - geltend, die krankheitsbedingte Kündigung vom 26.09.2013 zum 30.04.2014 sei bereits deshalb nicht gerechtfertigt, weil es an der erforderlichen negativen Prognose fehle. In Zukunft seien keine weiteren Erkrankungen im bisherigen Umfang zu erwarten.

10

Das Arbeitsgericht hat über den Gesundheitszustand der Klägerin Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens. Die Sachverständige, Frau Dr. med. Dipl.-Psych. G.-M. (Oberärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie), hat das Gutachten, auf dessen Inhalt wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, am 25.06.2015 erstattet. Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Schlussurteils vom 07.01.2016 Bezug genommen.

11

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

12

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 05.09.2013 nicht zum Ablauf der nächstmöglichen Frist, dem 30.04.2014, geendet hat,

13

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 26.09.2013 nicht zum 30.04.2014 geendet hat.

14

Die Beklagte hat beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Schlussurteil vom 07.01.2016 abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei durch die krankheitsbedingte Kündigung der Beklagten 26.09.2013 mit Ablauf des 30.04.2014 aufgelöst worden. Die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin seien im Wesentlichen unstreitig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Einholung des Sachverständigengutachtens sei mit weiteren Ausfallzeiten der Klägerin infolge psychischer Destabilisation im bisherigen Umfang zu rechnen. Es sei damit zu rechnen, dass der Beklagten in Zukunft erneut erhebliche Entgeltfortzahlungskosten sowie weitere Kosten entstehen, weil die anderen Ergotherapeuten Überstunden leisten müssen. Außerdem seien Betriebsablaufstörungen zu befürchten, weil die Behandlungstermine von Patienten verschoben werden müssen, wenn die Klägerin ausfalle. Der Beklagten sei unter Berücksichtigung der bereits seit 2005 andauernden Störungen durch krankheitsbedingte Fehlzeiten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Es sei nicht ersichtlich, was die Beklagte organisatorisch tun könnte, um ein für die Klägerin stressfreies Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Schlussurteils des Arbeitsgerichts vom 07.01.2016 Bezug genommen.

17

Gegen das am 03.02.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 02.03.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 03.05.2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am 03.05.2016 eingegangenem Schriftsatz begründet.

18

Sie macht geltend, aus dem Sachverständigengutachten sei nicht zu folgern, dass auch in der Zeit nach Zugang der Kündigung vom 26.09.2013 mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen sei. Die Beklagte habe den notwendigen vollen Beweis für die von ihr behauptete negative Prognose nicht geführt, denn die Sachverständige sei zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund des unauffälligen psychopathologischen Befunds keine gesundheitliche Disposition vorliege, die mit krankheitsbedingten Ausfallzeiten von regelmäßig über sechs Wochen im Jahr einhergehe. Die Beklagte selbst sei davon ausgegangen, dass sich auf das Sachverständigengutachten keine negative Gesundheitsprognose stützen lasse und habe deshalb eine ergänzende sozialmedizinische Begutachtung angeregt. Das Ergebnis des Arbeitsgerichts, wonach "das sorgfältig begründete und ohne weiteres nachvollziehbare" Gutachten die negative Prognose stütze, sei für beide Parteien mehr als überraschend. Dies gelte trotz der von der Sachverständigen getätigten Einschränkung, dass eine Arbeit im "gestörten interpersonell konfliktreichen Arbeitsumfeld" vermieden werden sollte, weil es sonst erneut zu krankheitsbedingten Ausfallzeiten kommen könnte. Die Sachverständige habe zwar diese Einschränkung genannt, aber nicht festgestellt, dass im Rahmen ihrer konkreten Tätigkeit mit krankheitsbedingten Ausfallzeiten von regelmäßig über sechs Wochen im Jahr zu rechnen sei. Den Schluss, "weiterer Ausfallzeiten infolge psychischer Destabilisation in einem den bisherigen Ausfallzeiten entsprechenden Maß", seien wahrscheinlich, habe das Arbeitsgericht ohne Gutachten gezogen. Auf die persönliche Gewissheit des Vorsitzenden komme es nicht an. Bezüglich der vom Arbeitsgericht unterstellten Betriebsablaufstörungen und/oder wirtschaftlichen Belastungen sei zu rügen, dass sie die Höhe der Entgeltfortzahlungskosten bestritten habe. Diese seien von der Beklagten nicht im Einzelnen aufgeschlüsselt und bewiesen worden. Darüber hinaus begründe ihr Lebensalter, die ungewöhnlich lange Betriebszugehörigkeit und ihre gesteigerte soziale Schutzbedürftigkeit ein besonderes Interesse am Erhalt des Arbeitsplatzes. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, die - unstreitig - seit dem Jahr 2005 bestehenden "Störungen" im Arbeitsverhältnis machten der Beklagten ein weiteres Festhalten daran unzumutbar, sei nicht nachvollziehbar. Wäre diese Interessenabwägung zu ihren Lasten rechtens, hätte es die Beklagte - die bewusst kein stressfreies Arbeitsumfeld gewährleiste - in der Hand sowohl die negative Gesundheitsprognose als auch die Interessenabwägung zu steuern. In diesem Zusammenhang sei auch von Bedeutung, dass das Konfliktpotenzial - Streitigkeiten zwischen ihr und der Arbeitnehmerin Br. - dadurch verringert worden sei, dass die Beklagte dem Arbeitnehmer B. wohl auch die kommissarische Leitung der Abteilung Ergotherapie übertragen habe.

19

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,

20

das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 07.01.2016, Az. 6 Ca 882/13, abzuändern und

21

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 05.09.2013 aufgelöst worden ist,

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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.09.2013 aufgelöst worden ist.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akte 6 Ca 945/10.

Entscheidungsgründe

I.

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Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

II.

27

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.09.2013 mit Ablauf des 30.04.2014 aufgelöst worden ist. Es kann deshalb unentschieden bleiben, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die am 05.09.2013 erklärte hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30.04.2014 geendet hätte.

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1. Die Kündigung vom 26.09.2013 ist aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG.

29

a) Das Arbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die das Bundesarbeitsgericht zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat.

30

Die Wirksamkeit einer auf häufige (Kurz-)Erkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen - zweite Stufe. Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen - dritte Stufe (BAG 16.07.2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 29 mwN; BAG 20.11.2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 15-17 mwN).

31

b) Die Beklagte hat die Krankheitszeiten der Klägerin nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war die Klägerin seit Anfang des Jahres 2007 in erheblichem Umfang wegen Krankheit arbeitsunfähig. Im Jahr 2007 fehlte sie an 63 Arbeitstage, im Jahr 2009 an 107 Arbeitstagen und im Jahr 2010 an 112 Arbeitstagen. Lediglich im Jahr 2008 fehlte sie nur 12 Arbeitstage. Obwohl die Klägerin im Vorprozess (6 Ca 945/10) behauptet hat, sie sei gesund, in Zukunft sei mit keinen weiteren Erkrankungen im bisherigen Umfang zu rechnen, verblieben ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten nach Verkündung des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - im Vorprozess am 01.02.2011 (6 Ca 945/10) auf hohem Niveau. Sie überstiegen in den Jahren 2011, 2012 und 2013 jeweils sechs Wochen. Die Klägerin fehlte 2011 an 71 Arbeitstagen, 2012 an 44 Arbeitstagen und 2013 (bis 23.08.2013) an 73 Arbeitstagen. Da die Klägerin ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen nicht mit Nichtwissen bestreiten konnte (§ 138 Abs. 4 ZPO), gelten auch die von der Beklagten angeführten Fehltage am 25./26.05.2010, 24.08.2012, 24./25.01.2013, 14./15.02.2013, 27./28.03.2013 sowie vom 25. bis 30.05.2013 als zugestanden. Die Beklagte konnte zur Beurteilung der Negativprognose auch auf die Fehlzeiten vor Ausspruch der ersten krankheitsbedingten Kündigung vom 18.10.2010 zurückgreifen. Die früheren Fehlzeiten belegen die Krankheitsanfälligkeit der Klägerin. Die weitere Entwicklung der Fehlzeiten ab Zugang der ersten krankheitsbedingten Kündigung vom 18.10.2010 belegt, dass die auch aus den früheren Fehlzeiten zu gewinnende Indizwirkung für die Zukunft gerade wieder bestätigt wird.

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c) Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens steht auch zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass zum Zeitpunkt der Kündigung vom 26.09.2013 eine negative Gesundheitsprognose gerechtfertigt war. Der von der Beklagten vorgetragene Verlauf der krankheitsbedingten Fehlzeiten seit 2007 rechtfertigt die Prognose, die Klägerin werde künftig im gleichen Maße fehlen wie in den vergangenen Jahren.

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(aa) Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 25.06.2015 ausgeführt, dass zwei Aspekte zu diskutieren seien. Die Klägerin leide laut Aktenlage (1. Aspekt) an einer rezidivierenden depressiven Störung mit vier fachärztlich-psychiatrisch diagnostizierten depressiven Episoden, die jeweils zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, sowie einer somatoformen Störung. Damit sei insgesamt eine sehr ungünstige Prognose gegeben. Nach drei Episoden bestehe eine 90%ige Wahrscheinlichkeit für das Auftreten weiterer Episoden. Nach Aktenlage sei unwahrscheinlich, dass die rezidivierende depressive Störung ausgeheilt sei. Damit müsse davon ausgegangen werden, dass noch weitere depressive Episoden in der Zukunft auftreten. Dabei sei wichtig anzumerken, dass die psychiatrischen Erkrankungen oder Krankheitsepisoden durch die Problematik am Arbeitsplatz zu einem nicht unerheblichen Anteil mitausgelöst worden seien, so dass bei Wegfall dieses Stressors ggf. eine deutlich günstigere Prognose zu stellen wäre.

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Der Aktenlage widersprächen die persönlichen Einlassungen der Klägerin bei der gutachterlichen Untersuchung (2. Aspekt). Die Klägerin habe auf depressive Symptome befragt, angegeben, niemals eine depressive Episode gehabt zu haben. Sie habe Anhedonie oder neurasthene Symptome verneint und angegeben, nie eine psychiatrische Erkrankung gehabt zu haben. Sie habe aktuell und auch in den letzten Jahren keine Medikamente, insb. noch nie psychiatrische Medikamente genommen. Sie sei in keiner ärztlichen Dauerbehandlung und sei nie länger stationär behandelt worden. Im psychopathologischen Befund habe sich in der aktuellen Untersuchung keine Pathologie gezeigt. Auch die Selbst- und Fremdbeurteilungsratings bezüglich Depression sprächen für das Fehlen depressiver Symptome.

35

Aufgrund der deutlichen Diskrepanz zwischen den Beschwerden laut Aktenlage und den Beschwerdeschilderungen der Klägerin sei die Frage zu stellen, ob bei den Erkrankungen, die zu den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geführt haben, Simulation (bewusstes Vortäuschen nicht vorhandener Krankheitssymptome oder ihre absichtliche Herbeiführung) und/oder Aggravation (absichtlich übertriebene Betonung/Darstellung vorhandener Krankheitssymptome) vorgelegen oder bei der aktuellen gutachterlichen Untersuchung Dissimulation (bewusstes Herunterspielen bzw. Verbergen von Krankheitszeichen, um für gesund gehalten zu werden) vorliege.

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Es sei wahrscheinlich und nachvollziehbar, dass die Klägerin aufgrund des "gestörten Arbeitsverhältnisses" seit etwa 2005 eine psychische Reaktion mit depressiver und somatoformer Störung entwickelt habe. Das gestörte Arbeitsverhältnis sei gleichzeitig auslösender und aufrechterhaltender Faktor der psychischen Erkrankung und habe wohl zu den Fehlzeiten laut Aktenlage geführt. Dabei könne durch das Vulnerabilitäts-Stress-Modell die Krankheitsentstehung begründet werden, dh. vereinfacht gesagt, dass ein äußerer Stressor (Arbeitsplatzproblematik) auf einen vulnerablen Organismus getroffen sei und zu einer psychischen Krise geführt habe. Verwunderlich dabei bleibe aber die Tatsache, dass die Klägerin diese Erkrankung nicht habe adäquat behandeln lassen bzw., dass sie nicht behandelt worden sei, so dass vermutlich keine schwerste psychiatrische Erkrankung vorgelegen habe. Passend hierzu habe die Klägerin ausgesagt, nie psychiatrisch erkrankt gewesen zu sein, so dass die damaligen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vermutlich ein deutlich schwereres Krankheitsbild zeichneten als es dem tatsächlichen Befinden (oder zumindest retrospektivem Befinden) der Klägerin entspreche.

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Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit den entsprechenden Diagnosen seien vor diesem Hintergrund eher als Erholung/Auszeit vor den Stressoren (Arbeitsplatz) zu bewerten und hätten der Genesung der Klägerin durch Karenz von diesen gedient. Für die aktuelle Beurteilung müsse daher konstatiert werden, dass die psychischen Beschwerden, deren Schwere in der Vergangenheit zumindest zweifelhaft sei, durch die nun lange Zeit ohne berufliche Beschäftigung im "gestörten Arbeitsumfeld" vollständig ausgeheilt seien. Aufgrund des derzeitigen unauffälligen psychopathologischen Befundes, den die Klägerin mehrfach betont habe und der in Zusammenschau aller zur Verfügung stehenden Unterlagen auch glaubhaft sei, sei daher in der Summe keine gesundheitliche Disposition der Klägerin zu erkennen, die mit krankheitsbedingten Ausfallzeiten von regelmäßig über sechs Wochen im Jahr einhergehen würde. Eine Einschränkung sei insofern zu machen, als dass eine Arbeit im "gestörten interpersonell konfliktreichen Arbeitsumfeld" vermieden werden sollte, da es sonst erneut zu krankheitsbedingten Ausfallzeiten kommen könnte.

38

(bb) Das Sachverständigengutachten ist auch aus Sicht der Berufungskammer vollständig, in sich schlüssig, in seinen Einzelaussagen nachvollziehbar und in seinen Schlussfolgerungen überzeugend. Es beruht auf der Auswertung sämtlicher bei der Klägerin erstellten Krankheitsdiagnosen aus dem psychiatrischen Formenkreis und auf einer umfassenden eigenen Untersuchung der Klägerin durch die Sachverständige.

39

Eine negative Zukunftsprognose ist unter jedem denkbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt. Sollte die Klägerin gegenüber den Fachärzten, die ihr in der Vergangenheit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Vorlage bei der Beklagten ausgestellt haben, psychiatrische Erkrankungen (vier diagnostizierte depressive Episoden) nicht bewusst vorgetäuscht oder Beschwerden absichtlich übertrieben haben, hat die Sachverständige überzeugend begründet, dass von einer sehr ungünstigen Prognose auszugehen sei, weil nach drei depressiven Episoden eine 90%ige Wahrscheinlichkeit für das Auftreten weiterer Episoden bestehe. Es kann der Klägerin nicht unterstellt werden, dass sie ihre Arbeitgeberin in der Vergangenheit durch das Vortäuschen einer psychiatrischen Erkrankung betrogen hat, obwohl die Ausführungen der Sachverständigen dies nicht ausschließen.

40

Sollten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit den entsprechenden Diagnosen in der Vergangenheit ausgestellt worden sein, um der Klägerin zusätzlich zum jährlichen Erholungsurlaub - was die Sachverständige zu Gunsten der Klägerin und der bescheinigenden Ärzte letztlich annimmt - eine "Erholung/Auszeit" vor den "Stressoren (Arbeitsplatz)" zu verschaffen, sprach im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung Ende September 2013 nichts dafür, dass die Klägerin in Zukunft diese "Erholung/Auszeit" nicht mehr benötigen wird, wenn sie ihre Arbeitsleistung tatsächlich erbringen muss. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten überzeugend herausgearbeitet, dass es in Zukunft erneut zu krankheitsbedingten Ausfallzeiten kommen wird, wenn die Klägerin eine Arbeit im "gestörten interpersonell konfliktreichen Arbeitsumfeld" nicht vermeidet. Die Berufungskammer folgt der Bewertung, dass bei einer erneuten Konfrontation der Klägerin mit den Bedingungen ihres im Wesentlichen unveränderten Arbeitsplatzes in der Abteilung Ergotherapie die Krankheitsepisoden in Zukunft wieder auftreten werden. Da eine unbehandelte depressive Episode nach den Ausführungen der Sachverständigen durchschnittlich drei bis zwölf Monate bzw. 22,6 Wochen dauert, wobei sich die Länge eines Intervalls zwischen zwei Episoden mit zunehmender Frequenz verkürzt, ist die Berufungskammer - wie bereits das Arbeitsgericht - davon überzeugt, dass es bei einer Rückkehr der Klägerin an ihren Arbeitsplatz erneut zu erheblichen krankheitsbedingten Ausfallzeiten kommen wird.

41

Entgegen der Ansicht der Berufung enthält das Gutachten keine positive Prognose. Die Klägerin war aus Sicht der Gutachterin zum Untersuchungszeitpunkt Ende Juli 2015 durch Karenz vom Arbeitsplatz (seit Juli 2013) genesen. Die psychischen Beschwerden, deren Schwere in der Vergangenheit zumindest zweifelhaft sei, seien durch die lange Zeit ohne berufliche Beschäftigung vollständig ausgeheilt. Die Sachverständige hat jedoch deutlich gemacht, dass eine Arbeit im "gestörten interpersonell konfliktreichen Arbeitsumfeld" erneut zu krankheitsbedingten Ausfallzeiten führen werde. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung war somit nicht mit einem Rückgang der Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen.

42

d) Die künftig zu erwartenden Fehlzeiten der Klägerin führen zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung der Beklagten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellen schon allein die entstandenen und zukünftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten, die jeweils für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind, eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen dar (BAG 16.07.2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 29 mwN).

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Die Beklagte leistete an die Klägerin seit dem Jahr 2007 bis zum Ausspruch der Kündigung Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall iHv. insgesamt € 59.511,06. Ihr sind - mit Ausnahme des Jahres 2008 - jährliche Entgeltfortzahlungskosten entstanden, die über sechs Wochen im Kalenderjahr deutlich hinausgingen (im Jahr 2007 € 5.281,33, im Jahr 2009 € 11.142,14, im Jahr 2010 € 13.626,03, im Jahr 2011 € 10.850,04, im Jahr 2012 € 6.840,30 und im Jahr 2013 (bis 23.08.) € 10.432,19. Die Beklagte hat als Anlage zum erstinstanzlichen Schriftsatz vom 26.03.2014 die Verdienstabrechnungen vorgelegt, die die geleisteten Zahlungen ausweisen. Die Klägerin konnte sich spätestens nach Vorlage der Abrechnungen nicht damit begnügen, die Entgeltfortzahlungskosten pauschal mit Nichtwissen oder Nicht-mehr-Wissen zu bestreiten. Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlung der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Der Klägerin war zumutbar, zu erklären, für welche konkreten Arbeitsunfähigkeitszeiten ihr von der Beklagten keine Entgeltfortzahlung geleistet worden sein soll. Durch Erkundigungen bei der Krankenkasse, die sie für die Darlegung der ärztlichen Diagnosen sicherlich eingeholt hat, hätte sie auch feststellen können, für welche konkreten Zeiten ihr Krankengeld gewährt worden ist.

44

Hinzu kommt, dass die Beklagte in Zukunft nicht (nur) mit wirtschaftlichen Belastungen aufgrund der zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten zu rechnen hat, sondern auch mit weiteren Beeinträchtigungen der Personaleinsatzplanung und der Betriebsabläufe. Die Notwendigkeit, die mit den Reha-Patienten vereinbarten Behandlungstermine - teilweise sehr kurzfristig - zu verschieben, führt zu verständlichem Unmut bei den Patienten, denen die Therapie verordnet worden ist, und den anderen Ergotherapeuten, die Überstunden leisten müssen, um den Ausfall der Klägerin zu kompensieren.

45

e) Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und die auf der dritten Stufe gebotene Abwägung der beiderseitigen Interessen ergeben, dass die Belange der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen. Die mit den krankheitsbedingten Fehlzeiten einhergehenden Belastungen muss die Beklagte bis zum Renteneintritt der Klägerin nicht mehr hinnehmen. Die Interessenabwägung fällt deshalb zu Lasten der Klägerin aus.

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Zugunsten der 1954 geborenen Klägerin fällt sowohl ihr Lebensalter als auch die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit seit 1977 erheblich ins Gewicht. Das Arbeitsverhältnis ist lange Zeit, bis zum Jahr 2005, ungestört verlaufen. Nach einer Betriebszugehörigkeit von mehr als drei Jahrzehnten und einem Lebensalter von seinerzeit 59 Jahren, dürfte es für die Klägerin schwierig sein, auf dem Arbeitsmarkt eine neue Stelle als Ergotherapeutin zu finden. Die Belange der Beklagten werden durch die lange Betriebszugehörigkeit und das Alter der Klägerin jedoch nicht aufgewogen. Das Arbeitsverhältnis ist seit 2007 (mit Ausnahme des Jahres 2008) über einen Zeitraum von mehreren Jahren mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin belastet. Auch in Zukunft sind erhebliche Fehlzeiten und Entgeltfortzahlungskosten zu erwarten. Die Klägerin musste zum Kündigungszeitpunkt im September 2013 noch sieben Jahre und acht Monate bis zum Anspruch auf die Regelaltersrente (65 Jahre + 8 Monate) zurücklegen. Für diese Zeitspanne ist der Beklagten ein derartiger Verlauf des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar.

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Es kann dahinstehen, ob das der Klägerin mit Schreiben vom 07.08.2013 angebotene Gespräch eine ausreichende Initiative zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) iSd. § 84 Abs. 2 SGB IX darstellte (zu den Anforderungen BAG 20.11.2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32 mwN). Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, ist nicht vorstellbar, wie das Arbeitsverhältnis gestaltet werden könnte, damit die von der Sachverständigen genannten "Stressoren (Arbeitsplatz)" nicht vorliegen. Die Beklagte müsste letztlich auf die Arbeitsleistung der Klägerin verzichten. Es ist - entgegen der Berufung - auch nicht ersichtlich, weshalb sich das Konfliktpotential im Arbeitsverhältnis dadurch verringern sollte, dass der Mitarbeiter B. die Leitung der therapeutischen Dienste und damit auch der Abteilung Ergotherapie kommissarisch übernommen hat. Es bestehen nicht nur Konflikte zwischen der Klägerin und sämtlichen Arbeitskollegen in der Abteilung Ergotherapie, sondern auch zwischen der Klägerin und der Klinikleitung. So hat die Klägerin im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 06.01.2014 ausführen lassen, der "wahre Grund" des gestörten Arbeitsverhältnisses liege darin, dass ihr Engagement, ihre Einstellung und ihre Nebentätigkeit bei der Geschäftsleitung offenbar nicht (mehr) auf Akzeptanz stießen; ihre Motivation habe einen "Knacks" erlitten. Was sich daran ändern ließe, ist nicht ersichtlich. Der Beklagten ist jedenfalls nicht zuzumuten, gegenüber der Klägerin auf ihr Weisungsrecht zu verzichten oder ihr jede gewünschte Nebentätigkeit zu genehmigen, um die krankheitsbedingten Fehlzeiten zu reduzieren.

48

f) Die Beklagte hat die ordentliche Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats gem. § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB eingehalten. Die Kündigung vom 26.09.2013, die der Klägerin am selben Tag zugegangen ist, zum 30.04.2014 wahrt diese Frist.

49

2. Weil die ordentliche Kündigung vom 26.09.2013 das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.04.2014 beendet hat, kommt es auf die Wirksamkeit der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 05.09.2013 zum 30.04.2014 nicht mehr an.

III.

50

Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

51

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. Juni 2013 - 21 Sa 1456/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte entwickelt und vertreibt Hygieneartikel. Der 1964 geborene Kläger ist bei ihr seit Juni 1991 als Maschinenführer tätig. Zuletzt war er - als einer von etwa 220 Arbeitnehmern - im Betrieb E im Dreischichtmodell beschäftigt. Sein monatlicher Bruttoverdienst belief sich auf ca. 2.700,00 Euro.

3

Der Kläger war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Im Jahr 2006 war er ab dem 27. Juli an wenigstens 59 Tagen wegen einer Handverletzung nicht arbeitsfähig. Im Jahr 2007 fehlte er wegen einer anderen Handverletzung 105 und aufgrund einer Kontaktallergie weitere 30 Tage. Im Jahr 2008 war er an 69 Tagen, im Jahr 2009 an 74 Tagen, im Jahr 2010 an 62 Tagen und im Jahr 2011 an 125 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Zwei Fehltage im Jahr 2008 und 21 Fehltage im Jahr 2009 waren auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Von den Krankheitstagen im Jahr 2011 entfielen 117 Tage auf ein Hüftleiden. Wegen dieser Erkrankung unterzog sich der Kläger am 28. März 2011 einer Operation.

4

Die Fehlzeiten verteilten sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, jeweils unterbrochen durch Tage der Arbeitsfähigkeit.

5

Im Jahr 2004 stellte sich der Kläger auf Ersuchen der Beklagten beim arbeitsmedizinischen Dienst vor. Es folgten weitere Begutachtungen Ende 2009/Anfang 2010 und im September 2011. In den betriebsärztlichen Stellungnahmen hieß es jeweils, gegen eine Beschäftigung des Klägers bestünden keine gesundheitlichen Bedenken. Im Schreiben vom 2. Februar 2010 wurde außerdem berichtet, es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten. Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft der Beklagten mit, sie habe dem Kläger einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt, bei deren Verwendung sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden ließen.

6

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2012.

7

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die seit dem Jahr 2008 aufgetretenen Fehlzeiten seien - soweit nicht auf Arbeitsunfällen und den Hüftbeschwerden beruhend - im Wesentlichen auf eine Kontaktallergie, einen Fersensporn, Erkältungskrankheiten, in geringem Umfang auf eine Herz-/Kreislauferkrankung sowie zwei in der Freizeit erlittene Unfälle zurückzuführen. Die Fehlzeiten indizierten keine negative Zukunftsprognose. Mit dem Auftreten der Allergie sei nach den Maßnahmen der Berufsgenossenschaft und beim Tragen der empfohlenen Schutzhandschuhe nicht mehr zu rechnen. Sein Hüftleiden sei zwischenzeitlich ausgeheilt. Der Fersensporn sei gleichfalls erfolgreich therapiert. Seine Erkältungskrankheiten seien durch Zugluft am Arbeitsplatz ausgelöst oder begünstigt worden. Jedenfalls sei die Kündigung unverhältnismäßig. Die Beklagte habe ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nicht durchgeführt. Sie könne sich deshalb nicht darauf berufen, alternative Möglichkeiten zur Vermeidung oder doch erheblichen Verringerung künftiger Fehlzeiten hätten nicht bestanden. Das sei auch objektiv falsch. Neben Veränderungen am Arbeitsplatz, dessen bisheriger Zuschnitt ein kontinuierliches Treppensteigen erfordere, habe ein geeignetes „Gesundheitsmanagement“ zur Stabilisierung seines Abwehr- und Immunsystems beitragen können. Dies belege eine zwischenzeitlich durchgeführte Reha-Maßnahme, in deren Folge sich sein Gesundheitszustand deutlich gebessert habe. Unabhängig davon sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden.

8

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Maschinenführer weiterzubeschäftigen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei durch Gründe in der Person des Klägers bedingt. Dieser sei bis einschließlich des 25. November 2011 an insgesamt 1061 Tagen wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Davon habe sie für 803 Tage Entgeltfortzahlung geleistet. Die erheblichen Fehlzeiten sprächen für eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit des Klägers und begründeten eine negative Gesundheitsprognose. Dies wiederum beeinträchtige ihre betrieblichen Interessen erheblich. Sie habe damit rechnen müssen, an den Kläger weiterhin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle für die Dauer von mehr als sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Ihre Verpflichtung zur Durchführung eines bEM habe sie mit den in Auftrag gegebenen arbeitsmedizinischen Untersuchungen erfüllt. Jedenfalls stehe aufgrund der betriebsärztlichen Stellungnahmen fest, dass die Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch organisatorische Änderungen habe überwunden werden können. Die Kündigung sei damit selbst dann verhältnismäßig, wenn es an einem regelkonformen bEM fehlen sollte. Auf die allgemeine Gesundheitsprävention im Rahmen außerbetrieblicher Maßnahmen sei der gesetzlich vorgegebene Klärungsprozess nicht angelegt.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

A. Die Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat sie im Tenor seines Urteils zugelassen. Daran ist der Senat gemäß § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden(vgl. BAG 16. April 1997 - 4 AZR 653/95 - zu I der Gründe). Eine Überprüfung der Zulassungsentscheidung - wie sie der Kläger offenbar anstrebt - findet nicht statt.

13

B. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 29. November 2011 nicht aufgelöst worden (I.). Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (II.).

14

I. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG). Sie ist nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie erweist sich - ungeachtet der erheblichen Fehlzeiten - als unverhältnismäßig.

15

1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. aus jüngerer Zeit BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335). Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen über mehrere Monate erstreckten, liegt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor.

16

2. Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (bspw. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 15). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - aaO; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 15, BAGE 121, 335).

17

3. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 17, BAGE 121, 335; 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 20). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24; 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 92, 96). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO mwN).

18

4. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich danach die Kündigung nicht bereits im ersten Prüfungsschritt als unwirksam. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die bisherigen Fehlzeiten hätten im Kündigungszeitpunkt eine negative Gesundheitsprognose indiziert und der Kläger habe diese Indizwirkung nicht entkräftet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

19

a) Die Beklagte hat die Krankheitszeiten des Klägers nach Zahl, Dauer und zeitlicher Folge im Einzelnen vorgetragen. Danach war der Kläger auch ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Ausfallzeiten seit Mitte des Jahres 2007 in erheblichem Umfang wegen Krankheit arbeitsunfähig. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts stiegen seine Fehlzeiten kontinuierlich an (vgl. zu diesem Kriterium BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32 mwN). Lediglich im Jahr 2010 gingen sie gegenüber dem Vorjahr leicht zurück, verblieben aber auf hohem Niveau. Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht nicht starr auf den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung abgestellt hat. Es konnte auch davor liegende Zeitspannen einbeziehen (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 24).

20

b) Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten - den Angaben des Klägers zufolge - auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert (BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - Rn. 26). Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - aaO).

21

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, das künftige Auftreten von Krankheitszeiten im bisherigen Umfang sei aufgrund einer besonderen Krankheitsanfälligkeit indiziert. Zwar hat sich der Kläger bezüglich einzelner Erkrankungen darauf berufen, er habe besondere Therapiemaßnahmen durchgeführt. Seiner Schlussfolgerung, aufgrund dessen sei zumindest mit einer deutlichen Verringerung der Fehlzeiten zu rechnen gewesen, widerspricht aber der Umstand, dass er im Anschluss an die im März 2011 durchgeführte Operation noch bis Juli 2011 und erneut in der Zeit vom 8. bis 28. August 2011 wegen seines Hüftleidens krankgeschrieben war. Eine Rehabilitationsmaßnahme hat er erst nach Zugang der Kündigung begonnen und durchgeführt. Sie hat deshalb keinen Einfluss auf die Indizwirkung der vor dem Kündigungszeitpunkt aufgetretenen Fehlzeiten (vgl. BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 558/99 - Rn. 20 mwN). Gleiches gilt für mögliche - nach der Kündigung ergriffene - Maßnahmen zur Verbesserung der Immunabwehr. Damit verblieb es vor der Kündigung bei umfangreichen, eine negative Prognose stützenden Arbeitsunfähigkeitszeiten.

22

d) Der Kläger hat die Indizwirkung der Fehlzeiten nicht dadurch erschüttert, dass er sich auf das Zeugnis seiner ihn behandelnden Ärzte berufen und diese von der Schweigepflicht entbunden hat. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin nicht die Behauptung erblickt, die Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung bezüglich sämtlicher prognosetragender Erkrankungen im Kündigungszeitpunkt positiv beurteilt (zu dieser Anforderung vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 96; 6. September 1989 - 2 AZR 19/89 - zu B I 1 b der Gründe). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen richterlichen Hinweis vermisst, ist seine Gegenrüge unzulässig, zumindest unbegründet.

23

5. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass sie - bei unveränderter Sachlage - damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für mindestens sechs Wochen jährlich leisten zu müssen. Die Kündigung ist dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte hat das gesetzlich vorgesehene bEM unterlassen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

24

a) Eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 24). Mildere Mittel können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 29 mwN). Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, ggf. spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (vgl. BAG 17. Juni 1999 - 2 AZR 639/98 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 92, 96; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 286; vHHL/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 324; jeweils mwN).

25

b) Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich - besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines bEM - zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 14, BAGE 135, 361; 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 16). Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - aaO mwN). Entsprechend abgestuft ist die Darlegungslast des Arbeitgebers, wenn sich der Arbeitnehmer darauf beruft, die Kündigung sei deshalb unverhältnismäßig, weil eine dem Arbeitgeber bekannte, ihm gleichwohl nicht geboten erscheinende Therapiemöglichkeit bestanden habe.

26

c) Die Kündigung erweist sich nicht schon nach diesen allgemeinen Grundsätzen als unwirksam. Der Kläger hat geltend gemacht, sein bisheriger Arbeitsplatz erfordere regelmäßiges Treppensteigen und sei ferner deshalb nicht leidensgerecht, weil an ihm Zugluft herrsche. An Ausführungen dazu, welche organisatorischen Änderungen oder welcher andere Arbeitsbereich - aus seiner Sicht - eine Beschäftigung ohne gesundheitliche Probleme möglich gemacht hätten, fehlt es. Ebenso wenig ist seinem Vorbringen zu entnehmen, dass er sich bereits vor Zugang der Kündigung um eine Rehabilitationsmaßnahme und ein besseres Gesundheitsmanagement bemüht und die Beklagte Anhaltspunkte für die Annahme gehabt hätte, entsprechende Maßnahmen könnten erfolgversprechend sein.

27

d) Im Streitfall traf die Beklagte indes eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast. Sie hatte es versäumt, ein bEM durchzuführen. Ihrer Obliegenheit detailliert darzulegen, dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Kündigung durch angemessene mildere Maßnahmen zu vermeiden, ist sie nicht nachgekommen.

28

aa) Die Beklagte war gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM vorzunehmen. Der Kläger war in jedem der letzten drei Jahre vor Zugang der Kündigung länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19). Die Durchführung eines bEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 27, BAGE 135, 361; 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BAGE 123, 234).

29

bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein regelkonformes bEM habe nicht stattgefunden, ist berechtigt.

30

(1) Die Durchführung eines bEM ist auf verschiedene Weisen möglich. § 84 Abs. 2 SGB IX schreibt weder konkrete Maßnahmen noch ein bestimmtes Verfahren vor. Das bEM ist ein rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener „Suchprozess“, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20). Allerdings lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den Zielen des bEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 20).

31

(2) Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 9, BAGE 140, 350; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Bei der Durchführung muss er eine bestehende betriebliche Interessenvertretung, das Einverständnis des Arbeitnehmers vorausgesetzt, hinzuziehen (vgl. BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 55, BVerwGE 137, 148).

32

(3) Kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber eine solche Initiative ergriffen hat, kann davon nur ausgegangen werden, wenn er den Arbeitnehmer zuvor nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat(BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 23). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht(BVerwG 23. Juni 2010 - 6 P 8/09 - Rn. 52, BVerwGE 137, 148). Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann (vgl. BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 46/10 - Rn. 19, BAGE 140, 350; dass das Gesetz hier vom „Arbeitsplatz“ spricht, dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen, vgl. Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 28). Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann (Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24). Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten - als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG - erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 62).

33

(4) Kommt es stattdessen darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines bEM genügen, ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des bEM ausgerichtete Suchprozess erweisen.

34

(5) Danach kann in den betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers und den mit ihnen verbundenen Begutachtungen kein bEM erblickt werden.

35

(a) Der Betriebsarzt wird in § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB IX als ein Akteur erwähnt, der „bei Bedarf“ zum bEM hinzugezogen wird. Dies entspricht der Aufgabe des Arztes, den Arbeitgeber beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung zu unterstützen und in Fragen des Gesundheitsschutzes zu beraten (§ 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Satz 1 ASiG). Die Nutzung seines Sachverstands kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG). Die Inanspruchnahme des betriebsärztlichen Sachverstands steht einem bEM als ganzem aber nicht gleich (vgl. Schmidt Gestaltung und Durchführung des bEM S. 24, 25).

36

(b) Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber dem Betriebsarzt bei Bedarf die Durchführung und Leitung des bEM übertragen kann (befürwortend Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 152; zweifelnd Cramer/Ritz/Schian SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 31). Die Behauptung der Beklagten, die betriebsärztlichen Untersuchungen seien „teilweise … unter dem Titel ‚betriebliches Eingliederungsmanagement‘ [gelaufen]“, macht nicht deutlich, dass sie dem arbeitsmedizinischen Dienst die regelgerechte Durchführung eines bEM überantwortet hätte. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die Betriebsärzte ihre Beauftragung in einem solch weitreichenden Sinne verstanden und entsprechend agiert hätten. Ihre Stellungnahmen beschränken sich auf die Einschätzung der Einsatzfähigkeit des Klägers auf der Grundlage arbeitsmedizinischer Untersuchungen. Auch fehlt es an substantiierten Darlegungen zu einer den Anforderungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX genügenden Unterrichtung und Belehrung des Klägers, aus der sich für diesen die Absicht, ein bEM durchzuführen, deutlich hätte erschließen können. Das Vorbringen der Beklagten, die Betriebsärztin habe aus Anlass der Ende 2009/Anfang 2010 vorgenommenen Untersuchung mit dem Kläger „die Fragestellung“ eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen „besprochen“ und ihn „über den Sinn und Zweck der Untersuchungen“ unterrichtet, reicht dafür nicht aus. Es kann deshalb offenbleiben, ob die fragliche Begutachtung, hätte es sich bei ihr um ein bEM gehandelt, dem Zweck des § 84 Abs. 2 SGB IX deshalb nicht genügen konnte, weil der Kläger innerhalb des der Kündigung vorausgegangenen Jahres erneut Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen aufwies(zur Problematik KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 16; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10).

37

cc) Das Unterlassen eines bEM führt hier dazu, dass die Kündigung unverhältnismäßig ist.

38

(1) Die Durchführung des bEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dennoch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mit Hilfe des bEM können möglicherweise mildere Mittel als die Kündigung erkannt und entwickelt werden (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 20).

39

(2) Möglich ist, dass auch ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können. In einem solchen Fall darf dem Arbeitgeber kein Nachteil daraus entstehen, dass er es unterlassen hat. Will sich der Arbeitgeber hierauf berufen, hat er die objektive Nutzlosigkeit des bEM darzulegen und ggf. zu beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (BAG 20. März 2014 - 2 AZR 565/12 - Rn. 34; 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 25).

40

(3) Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt.

41

(4) Diesen Vorgaben wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis gerecht.

42

(a) Ein bEM ist nicht nur bei lang andauernden Krankheiten geboten. Es ist auch bei häufigen Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers nicht ausgeschlossen oder von vorneherein überflüssig. Nach der gesetzlichen Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX kommt es allein auf den Umfang, nicht auf die Ursache der Erkrankungen an. Auch aus Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich - zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten - eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll (KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 17; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 84 Rn. 10; Deinert NZA 2010, 969, 971; aA Balders/Lepping NZA 2005, 854, 855).

43

(b) Dem Vorbringen der Beklagten ist nicht zu entnehmen, dass einem künftigen Auftreten erheblicher, über sechs Wochen hinausgehender Fehlzeiten des Klägers durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen nicht hätte entgegengewirkt werden können. Dass ihr entsprechende Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar gewesen wären, hat sie nicht aufgezeigt.

44

(aa) In diesem Zusammenhang waren nähere Darlegungen der Beklagten nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger vorgerichtlich geäußert haben mag, seine Erkrankungen seien nicht „betriebsbedingt“. Unabhängig davon, was genau er damit hat ausdrücken wollen, ist es nicht treuwidrig, wenn er sich gegenüber der ausgesprochenen Kündigung auf das Unterbleiben erfolgversprechender innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen beruft. Das Landesarbeitsgericht musste seine Behauptung, solche Maßnahmen hätten dem Auftreten neuerlicher Fehlzeiten vorbeugen oder diese zumindest verringern können, nicht etwa als Schutzbehauptung werten. Die Beklagte hat die vom Kläger aufgezeigten, einer günstigen Veränderung jedenfalls dem ersten Anschein nach nicht unzugänglichen Arbeitsbedingungen nicht in Abrede gestellt. Der Umstand, dass der Kläger während einer Prozessbeschäftigung trotz des Einsatzes am bisherigen Arbeitsplatz keine relevanten krankheitsbedingten Ausfallzeiten mehr gezeigt hat, spricht nicht notwendig gegen einen möglichen Zusammenhang zwischen den äußeren Arbeitsumständen und seinen bisherigen Fehlzeiten. Die Entwicklung kann ebenso gut durch die zwischenzeitlich durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme oder dadurch begünstigt worden sein, dass der Kläger - wie er behauptet hat - nunmehr ein effektiveres „Gesundheitsmanagement“ betreibt.

45

(bb) Die Beklagte hat die objektive Nutzlosigkeit innerbetrieblicher Anpassungsmaßnahmen nicht dadurch aufgezeigt, dass sie auf den Gegenstand der arbeitsmedizinischen Untersuchungen verwiesen und sich die Stellungnahmen der Betriebsärzte - konkludent - zu Eigen gemacht hat. Zwar verpflichtet § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. c) ASiG die Betriebsärzte, Ursachen von „arbeitsbedingten Erkrankungen“ zu untersuchen. Auch ist der Stellungnahme vom 2. Februar 2010 zu entnehmen, dass die Ärzte keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers und seinen Fehlzeiten erkannt haben. Das schließt aber die Gewinnung anderer Erkenntnisse im Rahmen eines in alle Richtungen offenen bEM nicht aus. Bei diesem geht das Gesetz davon aus, dass sich neben dem Arbeitnehmer auch die anderen beteiligten Stellen, insbesondere die Rehabilitationsträger, aktiv in die Suche nach Möglichkeiten zur Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit einbringen. Es kommt hinzu, dass die Berufsgenossenschaft im Jahr 2010 einen Zusammenhang zumindest zwischen den Arbeitsbedingungen und der Kontaktallergie gesehen und ein Hilfsmittel empfohlen hat. Soweit die Beklagte anführt, die im Jahr 2011 erfolgte betriebsärztliche Untersuchung sei „unter Berücksichtigung der arbeitsplatztypischen Belastungsfaktoren Lärm, Hautkontakt mit Stoffen, Schichttätigkeit“ erfolgt und „negativ“ verlaufen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung finden kann. Im Übrigen ergibt sich aus ihm nicht, dass der Arbeitsplatz des Klägers auf besondere Belastungen durch Zugluft und Treppensteigen, dh. auf Umstände und deren mögliche Änderung hin untersucht worden wäre, in denen der Kläger eine Ursache seiner Krankheitsanfälligkeit erblickt.

46

(cc) Soweit die Beklagte gemeint hat, die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zu der Möglichkeit, im Rahmen eines bEM zu einer von den arbeitsmedizinischen Gutachten abweichenden Beurteilung zu gelangen, bewegten sich im Bereich der Spekulation, liegt darin kein beachtliches Vorbringen. Es handelt sich weder um eine zulässige Verfahrens-, noch um eine begründete Sachrüge. Es hat nicht das Landesarbeitsgericht Spekulationen angestellt, sondern die Beklagte ist ihrer Obliegenheit nicht nachgekommen, im Einzelnen darzulegen, weshalb eine abweichende Beurteilung objektiv ausgeschlossen sein soll.

47

(c) Die Kündigung wäre selbst dann unverhältnismäßig, wenn feststünde, dass die tatsächlichen betrieblichen Bedingungen, zu denen der Kläger arbeitete, nicht hätten geändert werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass bei Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.

48

(aa) Nach der Konzeption des Gesetzes lässt das bEM den Beteiligten bei der Prüfung, mit welchen Maßnahmen, Leistungen oder Hilfen eine künftige Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglichst vermieden werden und das Arbeitsverhältnis erhalten bleiben kann, jeden denkbaren Spielraum. Es soll erreicht werden, dass keine vernünftigerweise in Betracht kommende, zielführende Möglichkeit ausgeschlossen wird (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 198/09 - Rn. 18). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1783 S. 16) soll durch eine derartige Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft gesichert werden. Zugleich sollen auf diese Weise medizinzische Rehabilitationsbedarfe frühzeitig, ggf. präventiv erkannt und auf die beruflichen Anforderungen abgestimmt werden. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, hat der Arbeitgeber deshalb gemäß § 84 Abs. 2 Satz 4 SGB IX auch bei nicht behinderten Arbeitnehmern die örtlichen gemeinsamen Servicestellen hinzuzuziehen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Hilfen und Leistungen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX erbracht werden. Als Hilfen zur Beseitigung und möglichst längerfristigen Überwindung der Arbeitsunfähigkeit kommen dabei - neben Maßnahmen zur kurativen Behandlung - insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX in Betracht(vgl. Knittel SGB IX 7. Aufl. § 84 Rn. 207; KHM/Kossens SGB IX 3. Aufl. § 84 Rn. 9; Nebe in MünchAnwHdb Sozialrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 22; Wullenkord Arbeitsrechtliche Kernfragen des bEM in der betrieblichen Praxis S. 190).

49

(bb) Denkbares Ergebnis eines bEM kann es damit sein, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Dem steht nicht entgegen, dass deren Durchführung von seiner Mitwirkung abhängt und nicht in der alleinigen Macht des Arbeitgebers steht. Ggf. muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine angemessene Frist zur Inanspruchnahme der Leistung setzen. Eine Kündigung kann er dann wirksam erst erklären, wenn die Frist trotz Kündigungsandrohung ergebnislos verstrichen ist (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 400/08 - Rn. 29). Durch die Berücksichtigung entsprechender, aus dem bEM entwickelter Empfehlungen wird der „ultima-ratio-Grundsatz“ nicht, wie die Beklagte meint, über die gesetzlichen Grenzen hinaus ausgedehnt. Die aus ihm resultierende Verpflichtung des Arbeitgebers, ggf. mildere Mittel zu ergreifen, ist nicht auf arbeitsplatzbezogene Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG beschränkt. Diese Vorschrift dient der Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lediglich mit Blick auf ihren eigenen Regelungsbereich. Sie schließt die Berücksichtigung sonstiger Umstände, die eine Kündigung entbehrlich machen könnten, nicht aus. Eine Kündigung muss, damit sie durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“ ist, unter allen Gesichtspunkten verhältnismäßig, dh. unvermeidbar sein. Daraus kann sich die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, auf bestehende Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Wenn er ein bEM unterlassen hat, kann er gegen eine solche Verpflichtung nicht einwenden, ihm seien im Kündigungszeitpunkt - etwa schon mangels Kenntnis der Krankheitsursachen - entsprechende Möglichkeiten weder bekannt gewesen, noch hätten sie ihm bekannt sein können.

50

(cc) Das bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber bei Unterlassen eines bEM, um die Verhältnismäßigkeit der Kündigung aufzuzeigen, für jede nur erdenkliche Maßnahme der Gesundheitsprävention - etwa bis zu möglichen Änderungen in der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers - von sich aus darzulegen hätte, dass und weshalb sie zur nachhaltigen Verminderung der Fehlzeiten nicht geeignet gewesen sei. Es reicht aus, wenn er dartut, dass jedenfalls durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt lediglich die Berücksichtigung solcher Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen, deren Beachtung dem Arbeitgeber zumutbar ist. Zumutbar wiederum ist nur eine Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert ist. Auch muss deren tatsächliche Durchführung objektiv überprüft werden können. Beides trifft auf gesetzlich vorgesehene Leistungen und Hilfen, die der Prävention und/oder Rehabilitation dienen, typischerweise zu. Solche Maßnahmen muss der Arbeitgeber deshalb grundsätzlich in Erwägung ziehen. Hat er ein bEM unterlassen, muss er von sich aus ihre objektive Nutzlosigkeit aufzeigen und ggf. beweisen. Dabei kommt eine Abstufung seiner Darlegungslast in Betracht, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind. Für eine Maßnahme außerhalb des Leistungskatalogs der Rehabilitationsträger - und sei es ein fachkundig entwickeltes Konzept zur privaten Gesundheitsprävention - gilt dies dagegen in aller Regel nicht. Deren objektive Nutzlosigkeit braucht der Arbeitgeber nicht darzutun.

51

(dd) Danach durfte das Landesarbeitsgericht die Kündigung zwar nicht deshalb für unwirksam erachten, weil im Rahmen eines bEM die Möglichkeit bestanden hätte, ein - wie auch immer geartetes - Konzept für ein konsequentes Gesundheitsmanagement des Klägers zu entwickeln. Die angefochtene Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass auch bei regelkonformer Durchführung eines bEM keine geeigneten Leistungen oder Hilfen für den Kläger hätten erkannt werden können, zu deren Erbringung die Rehabilitationsträger verpflichtet gewesen wären. Das gilt umso mehr, als sich der Kläger ausdrücklich auf eine nach Zugang der Kündigung erfolgreich durchgeführte Reha-Behandlung berufen hat. Die Beklagte hätte aufzeigen müssen, warum Maßnahmen zur kurativen Behandlung und/oder der medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX - zu denen im Übrigen nach Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift auch die „Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln“ zählt - nicht in Betracht gekommen wären oder doch zu einer erheblichen Verringerung der Fehlzeiten nicht hätten beitragen können. An solchen Darlegungen fehlt es.

52

II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses gerichtet. Dieser Rechtsstreit ist abgeschlossen.

53

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Juli 2014 - 7 Sa 662/14 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 14. Januar 2014 - 3 Ca 1440/13 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen aufgrund der Änderungskündigung der Beklagten vom 8. Juli 2013 unwirksam ist.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten unter Anrechnung von Beschäftigungszeiten seit August 1987 zuletzt im Betrieb „T“ (nachfolgend DTDB) beschäftigt. Auf ihr Arbeitsverhältnis fanden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die für den Betrieb oder Betriebsteil betrieblich bzw. fachlich einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. Bei der Beklagten sind regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt.

3

Unter dem 21. Juni 2011 vereinbarte die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di den „Tarifvertrag Bereichsausnahme DTDB“. Er sah für Beschäftigte im Betrieb DTDB vor, dass auf diese - mit Ausnahme von drei hier nicht interessierenden Regelwerken - nicht die bei der Beklagten geltenden Tarifverträge Anwendung fänden, sondern diejenigen der T D GmbH (TDG) in der jeweils aktuellen Fassung. Die Regelungen des TV Ratio sollten dabei mit der Maßgabe Anwendung finden, dass die Beschäftigungs- und Qualifizierungseinheit (BQE) im Sinne des TV Ratio diejenige im Sinne des TV Ratio der Beklagten (V) sei.

4

Ein TV Ratio der TDG war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrags Bereichsausnahme DTDB noch nicht geschlossen. Die Unterzeichnung des „Tarifvertrags Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung“ zwischen der TDG und der Gewerkschaft ver.di erfolgte erst im Juli 2013. Die Unterschriftszeile trägt das Datum „01.04.2010“. Nach den Regelungen des TV Ratio TDG sind alle Arbeitnehmer, die vom Wegfall gleicher Arbeitsplätze in ihrer Gesamtheit betroffen werden, in die BQE der TDG zu versetzen. Sie erhalten ein Angebot auf Abschluss eines entsprechenden Änderungsvertrags. Als Alternative zum Abschluss eines Änderungsvertrags können sie einen Auflösungsvertrag mit Abfindungsregelung wählen. Lehne ein Arbeitnehmer diese Angebote ab, erfolge eine Kündigung unter Aufrechterhaltung des Vertragsangebots zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen in der BQE. Abweichend von den Bestimmungen des Manteltarifvertrags gelte dafür eine Kündigungsfrist von drei Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats. Es werde auf die am 1. April 2010 geltenden gesetzlichen, steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen abgestellt. Sollten sich diese ändern, so seien die Tarifvertragsparteien verpflichtet, Verhandlungen über eine entsprechende Anpassung des Tarifvertrags zu führen. In § 17 des Tarifvertrags heißt es, er trete am 1. April 2010 in Kraft.

5

Die Beklagte legte den Betrieb DTDB zum 31. Juli 2013 still. Zuvor hatte sie am 2. Mai 2013 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich geschlossen. Sie bot der Klägerin sowohl einen Änderungsvertrag als auch einen Aufhebungsvertrag zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung an. Die Klägerin nahm keines der Angebote an.

6

Nach Anhörung des Betriebsrats und Erstattung einer Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 8. Juli 2013 „unter Beachtung der Kündigungsfrist von drei Wochen zum 15. eines Monats oder zum Monatsende mit Wirkung zum Ablauf des 31.07.2013, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin“. Zugleich bot sie der Klägerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses „ab dem 01.08.2013, hilfsweise ab dem nächst zulässigen Termin … in der Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit V … zu den in Abschnitt 1 des TV Ratio TDG (nebst Anlagen) genannten Bedingungen“ an. Die Kündigung ging der Klägerin am 10. Juli 2013 zu. Die Klägerin nahm das Änderungsangebot mit Schreiben vom 11. Juli 2013 unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der Änderung der Arbeitsbedingungen an.

7

Die Klägerin hat sich mit der vorliegenden Klage rechtzeitig gegen die Änderung ihrer Arbeitsbedingungen gewandt. Sie ist der Ansicht gewesen, die Änderungskündigung sei mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung habe kein wirksamer Tarifvertrag vorgelegen, aus dem sich die angebotenen Änderungen der Arbeitsbedingungen hätten ergeben können. Rückwirkung komme dem TV Ratio TDG trotz der Bestimmung zu seinem Inkrafttreten am 1. April 2010 nicht zu. Dementsprechend sei die Kündigung überdies mit einer zu kurzen Kündigungsfrist erklärt worden und daher unverhältnismäßig. Eine Auslegung bzw. Umdeutung dahingehend, dass die Kündigung zum nächst zulässigen Zeitpunkt wirken solle, komme nicht in Betracht. Im Übrigen kürze der TV Ratio TDG die gesetzlichen Kündigungsfristen in unzulässiger Weise ab. Darüber hinaus sei Folge des erst späteren Wirksamwerdens des Tarifvertrags, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß informiert worden sei.

8

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen aufgrund der Änderungskündigung der Beklagten vom 8. Juli 2013 sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen unwirksam ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Änderungskündigung für wirksam, insbesondere für hinreichend bestimmt gehalten. Der TV Ratio TDG habe rückwirkend seit dem 1. April 2010 Wirkung entfaltet. Die Beklagte hat behauptet, eine „finalisierte Fassung“ des Tarifvertrags sei für die Beschäftigten seit dem 19. Juni 2013 in ihrem Intranet abrufbar gewesen. Der TV Ratio TDG sei zunächst von der Gewerkschaft und sodann am 4. Juli 2013 von der TDG unterzeichnet worden. In der von beiden Parteien unterschriebenen Fassung sei er an die Gewerkschaft zurückgesandt worden. Dort sei er laut Auskunft von ver.di am 10. Juli 2013, nach Auskunft des Kurierunternehmens am 11. Juli 2013 zugegangen.

10

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hätte der Änderungsschutzklage auf die Berufung der Klägerin hin stattgeben müssen.

12

I. Die Revision ist entgegen der von der Beklagten geäußerten Zweifel nicht deshalb unbegründet, weil die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts unzulässig gewesen wäre.

13

1. Eine Berufungsbegründung muss gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 531/14 - Rn. 18; 11. November 2014 - 3 AZR 404/13 - Rn. 18).

14

2. Die Berufungsbegründung der Klägerin genügt diesen Anforderungen. Sie zeigt ausreichend deutlich auf, in welchen Punkten die Klägerin das erstinstanzliche Urteil für fehlerhaft hält.

15

a) Die Klägerin hat gerügt, der TV Ratio TDG sei erst nach Zugang der Kündigung wirksam geworden und entfalte keine Rückwirkung. Vor Eintritt der Wirksamkeit des TV Ratio TDG sei es rechtlich nicht möglich gewesen, ihr ein Angebot gemäß dessen § 5 Abs. 1 zu unterbreiten. Ohne ein solches Angebot wiederum sei die Kündigung unwirksam. Darüber hinaus sei Folge des erst späteren Wirksamwerdens des Tarifvertrags, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß informiert worden sei. Die Kündigung verstoße daher gegen § 102 BetrVG. Mangels eines wirksamen Tarifvertrags sei auch das mit der Kündigung verbundene Änderungsangebot nicht hinreichend bestimmt gewesen.

16

b) Damit hat sich die Klägerin in ausreichendem Maße gegen das arbeitsgerichtliche Urteil gewandt. Sie hat dargelegt, aus welchen Gründen die Kündigung ihrer Ansicht nach unwirksam sei. Zwar beruhten ihre Ausführungen ausschließlich auf der erst mit der Berufungsbegründung vorgetragenen Tatsache, dass der TV Ratio TDG zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht wirksam zustande gekommen sei. Ob dieser Vortrag nach § 67 ArbGG vom Landesarbeitsgericht zu berücksichtigen war, ist aber keine Frage der Zulässigkeit der Berufung, sondern ihrer Begründetheit(vgl. GMP/Germelmann 8. Aufl. § 64 Rn. 76). Es kann offenbleiben, ob es für die Zulässigkeit der Berufung zumindest der Darlegung bedurfte, weshalb das neue Vorbringen nach Auffassung der Klägerin gemäß § 67 ArbGG zuzulassen sei. Die Klägerin hat sich für die fragliche Tatsache auf Ausführungen in dem Urteil eines Arbeitsgerichts berufen, welches erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im vorliegenden Rechtsstreit verkündet worden war.

17

II. Die Änderungsschutzklage (§ 4 Satz 2 KSchG) ist begründet. Das mit der Kündigung der Beklagten vom 8. Juli 2013 verbundene Änderungsangebot war nicht hinreichend bestimmt. Die Änderung der Arbeitsbedingungen aufgrund der Änderungskündigung ist damit unwirksam. Ob sie dies auch aus anderen Gründen ist, bedarf keiner Entscheidung.

18

1. Die Änderungskündigung ist ein aus zwei Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft. Zur Kündigungserklärung muss als zweites Element ein bestimmtes, zumindest bestimmbares und somit den Voraussetzungen des § 145 BGB entsprechendes Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen hinzukommen(BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 346/12 - Rn. 38, BAGE 147, 237; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 576/09 - Rn. 21). Das Änderungsangebot muss so konkret gefasst sein, dass es der Arbeitnehmer ohne weiteres annehmen kann. Ihm muss klar sein, welche Vertragsbedingungen künftig gelten sollen. Nur so kann er eine abgewogene Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Angebots treffen. Er muss von Gesetzes wegen innerhalb einer recht kurzen Frist auf das Vertragsangebot des Arbeitgebers reagieren und sich entscheiden, ob er es ablehnt, ob er es mit oder ob er es ohne Vorbehalt annimmt. Schon im Interesse der Rechtssicherheit muss deshalb das Änderungsangebot zweifelsfrei klarstellen, zu welchen Vertragsbedingungen das Arbeitsverhältnis künftig fortbestehen soll. Unklarheiten gehen zu Lasten des Arbeitgebers. Sie führen zur Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 396/12 - Rn. 18; 29. September 2011 - 2 AZR 523/10 - Rn. 29).

19

2. Diesen Anforderungen genügte das der Klägerin mit der Änderungskündigung unterbreitete Änderungsangebot nicht.

20

a) Das Änderungsangebot lautete auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses „ab dem 01.08.2013, hilfsweise ab dem nächst zulässigen Termin … in der Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit V der D AG zu den in Abschnitt 1 des TV Ratio TDG (nebst Anlagen) genannten Bedingungen“. Es nahm damit Bezug auf die sich aus dem näher bezeichneten Tarifvertrag ergebenden Bedingungen.

21

b) Diese Bedingungen waren zu dem für die Beurteilung der Wirksamkeit der Änderungskündigung maßgeblichen Zeitpunkt ihres Zugangs nicht hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar. Ein „TV Ratio TDG“ existierte noch nicht. Da er bei Kündigungszugang nicht unter Wahrung des Schriftformerfordernisses des § 1 Abs. 2 TVG zustande gekommen war, lag allenfalls ein abgestimmter Entwurf vor, aber kein Tarifvertrag.

22

aa) Das Zustandekommen eines Tarifvertrags als eines privatrechtlichen Vertrags richtet sich nach den Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts (BAG 7. Juli 2010 - 4 AZR 1023/08 - Rn. 14). Es bedarf übereinstimmender Willenserklärungen - Antrag und Annahme -, gerichtet auf Abschluss eines Tarifvertrags. Darüber hinaus stellt § 1 Abs. 2 TVG für Tarifverträge ein Schriftformerfordernis iSd. § 126 BGB auf. Tarifverträge müssen schriftlich niedergelegt und von beiden Seiten unterzeichnet werden. Die nötige Schriftform dient der Klarstellung des Vertragsinhalts und damit dem Gebot der Normenklarheit (BAG 10. November 1982 - 4 AZR 1203/79 - BAGE 40, 327; 9. Juli 1980 - 4 AZR 564/78 - BAGE 34, 42).Wird der Antrag auf Abschluss eines Tarifvertrags gegenüber einem Abwesenden erklärt, ist dessen Annahmeerklärung erforderlich. Diese ist wie der Antrag eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Ist für einen Vertrag gesetzlich die Schriftform vorgesehen, wird die Annahmeerklärung erst in dem Zeitpunkt wirksam (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB), in dem sie dem anderen Teil in der vorgeschriebenen Form zugeht (BAG 7. Juli 2010 - 4 AZR 1023/08 - aaO). Es reicht nicht aus, dass der Empfänger des Antrags die Vertragsurkunde unterzeichnet und den anderen Teil hierüber in einer Form, die die Voraussetzungen des § 126 BGB nicht wahrt, in Kenntnis setzt(BAG 7. Juli 2010 - 4 AZR 1023/08 - aaO; BGH 30. Mai 1962 - VIII ZR 173/61 - zu II 2 der Gründe; 30. Juli 1997 - VIII ZR 244/96 - zu II 2 b bb der Gründe mwN; vgl. auch BAG 16. Oktober 1991 - 2 AZR 156/91 - zu II 4 d der Gründe). Etwas anderes gilt nur dann, wenn nach § 151 Satz 1 BGB eine Annahmeerklärung entbehrlich ist(BAG 7. Juli 2010 - 4 AZR 1023/08 - aaO).

23

bb) Solange der „TV Ratio TDG“ nicht formwirksam zustande gekommen war, stand nicht zweifelsfrei fest, ob und mit welchem Inhalt er wirksam würde. Solange wiederum war das auf ihn verweisende Änderungsangebot zu unbestimmt.

24

(1) Gegen die Unbestimmtheit des Änderungsangebots im Zeitpunkt seines Zugangs bei der Klägerin am 10. Juli 2013 lässt sich nicht mit Erfolg anführen, in einem Arbeitsvertrag könne ggf. auch auf nichtige oder nicht mehr wirksame Tarifverträge Bezug genommen werden, soweit nicht deren inhaltliche Festlegungen auch als arbeitsvertragliche Regelungen nichtig seien (vgl. dazu BAG 14. Dezember 2011 - 4 AZR 26/10 - Rn. 43). Dies besagt nicht, dass die in Bezug genommenen Regelungen nicht jedenfalls hinreichend bestimmt sein müssten. Das wiederum sind sie nicht, solange ihr Inhalt mangels wirksamen Abschlusses noch geändert werden kann.

25

(2) Keiner Entscheidung bedarf, ob das Änderungsangebot hinreichend bestimmt gewesen wäre, wenn darin auf eine genau bezeichnete Entwurfsfassung eines noch nicht formwirksam zustande gekommenen Tarifvertrags verwiesen worden wäre. Ein solches Änderungsangebot hat die Beklagte nicht unterbreitet. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob eine von der Beklagten so bezeichnete „finalisierte“ Fassung des Tarifvertrags in ihrem Intranet einsehbar war.

26

(3) Es wäre auch nicht ausreichend, wenn der Tarifvertrag zwar nach Zugang der Änderungskündigung, aber noch innerhalb der Frist zur Annahme des Änderungsangebots durch die Klägerin zustande gekommen wäre. Das Änderungsangebot muss bereits im Kündigungszeitpunkt hinreichend bestimmt sein. Die Kündigung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der ein Gestaltungsrecht ausgeübt wird (allgM, vgl. nur APS/Preis 4. Aufl. Grundlagen D Rn. 10). Nur dann, wenn alle Voraussetzungen für die Ausübung des Gestaltungsrechts im Zeitpunkt ihres Zugangs beim Erklärungsgegner vorliegen, kann die - dann wirksame - Kündigung ihr Gestaltungsziel erreichen (APS/Preis aaO Rn. 11). Der Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist daher der ihres Zugangs, ihre Wirksamkeit bestimmt sich nach den in diesem Zeitpunkt gegebenen objektiven Verhältnissen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 644/13 - Rn. 21, BAGE 149, 367; 27. Februar 1997 - 2 AZR 160/96 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 85, 194; APS/Preis aaO Rn. 11; für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung nach § 1 KSchG KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 235 mwN).

27

cc) Der TV Ratio TDG war in dem Zeitpunkt, als die Änderungskündigung der Klägerin zuging, noch nicht formwirksam zustande gekommen.

28

(1) Unstreitig ist, dass die Originalurkunde des TV Ratio TDG „im Juli 2013“ von beiden Tarifvertragsparteien unterzeichnet wurde.

29

(2) Nach dem Vorbringen der Beklagten war die Vertragsurkunde schon am 4. Juli 2013 von beiden Seiten unterschrieben. Die schriftliche Annahme durch die TDG war aber nicht in Anwesenheit des anderen Teils erfolgt und musste daher, um formwahrend zu sein, der Gewerkschaft noch zugehen. Die Beklagte hat vorgetragen, laut Auskunft von ver.di sei dies am 10. Juli 2013 der Fall gewesen, nach Auskunft des beauftragten Kurierunternehmens am 11. Juli 2013. Damit hat die Beklagte als sicher feststehend nur behauptet, die von beiden Seiten unterschriebene Urkunde sei jedenfalls nicht nach dem 11. Juli 2013 bei ver.di eingegangen. Das schließt einen Eingang bei ver.di erst nach Zugang des Kündigungsschreibens bei der Klägerin nicht aus. Diese hat die Änderungskündigung bereits am 10. Juli 2013 erhalten.

30

(3) Einer Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht, um der Beklagten Gelegenheit zu geben, ggf. zu einem früheren Zugang vorzutragen, bedurfte es nicht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagtenvertreter auf Nachfrage erklärt, der Zeitpunkt des Zugangs der Vertragsurkunde bei ver.di sei nicht weiter aufklärbar.

31

c) Der Umstand, dass der TV Ratio TDG nach seinem § 17 bereits zum 1. April 2010 in Kraft treten sollte, ändert nichts an der Unbestimmtheit des Änderungsangebots im Zeitpunkt der Kündigung. Es liegt zwar grundsätzlich - soweit Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht entgegenstehen - in der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien, eine rückwirkende Begründung oder Einschränkung tariflicher Ansprüche vorzusehen (vgl. BAG 24. Oktober 2007 - 10 AZR 878/06 - Rn. 18; 17. Juli 2007 - 9 AZR 1089/06 - Rn. 16; 22. Oktober 2003 - 10 AZR 152/03 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 108, 176). Der maßgebliche Zeitpunkt für die Wirksamkeit der Kündigung als Ausübung eines Gestaltungsrechts durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ist aber nicht tarifdispositiv.

32

III. Die Kosten des Rechtsstreits hat nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Nielebock    

                 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 20. März 2013 - 6 Sa 617/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen.

2

Die Beklagte ist tätig auf dem Gebiet der Bahnelektrifizierung und Bahnstromversorgung. Sie ist Marktführerin in Deutschland und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Der Kläger war bei ihr und ihrer Rechtsvorgängerin seit Oktober 1975, zuletzt als Bereichsleiter Technologie, beschäftigt. Sein Arbeitsort war seit Anfang 2010 O. Der Kläger ist vom Eisenbahn-Bundesamt als Plan- und Abnahmeprüfer auf dem Gebiet der Oberleitungsanlagen mit Rückstromführung und Bahnerdung einschließlich der Statik anerkannt. Er erstellte für die Beklagte Gutachten über elektrische Anlagen. Diese rechnete die Beklagte gegenüber ihren Auftraggebern ab.

4

In einem Rechtsstreit über Vergütungsansprüche des Klägers erklärte dieser vor dem Arbeitsgericht am 3. August 2011 zu Protokoll:

        

„Im Zusammenhang mit dem Reiseantrag für den Zeitraum vom 17. Februar bis 18. Februar 2011 habe ich meinem Vorgesetzten Herrn Dr. Z mitgeteilt, dass ich am 18. Februar 2011 den Dienstwagen zu einem TÜV-Termin nach Ol bringen werde. Er erwiderte daraufhin,
dass er seinen Wagen auch zum TÜV bringen müsse und dies normal sei.“

5

Nach Auffassung der Beklagten war diese Aussage falsch. Die Beklagte sah in dem Verhalten des Klägers den Versuch eines Prozessbetrugs und kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 24. August 2011 außerordentlich und fristlos sowie mit Schreiben vom 5. September 2011 hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2012. Sie hatte zuvor sowohl ihren sog. Montagebetriebsrat als auch den Betriebsrat in O zu den beabsichtigten Kündigungen angehört.

6

Die außerordentliche Kündigung vom 24. August 2011 ging dem Kläger am 25. August 2011 zu. Mit einem weiteren Schreiben vom 24. August 2011 widerrief die Beklagte die dem Kläger erteilte Prokura und forderte ihn auf, Firmeneigentum herauszugeben. Nach Zugang beider Schreiben bearbeitete der Kläger eine Prüfanfrage der D GmbH (künftig: D) und leitete dieser den Prüfbericht am 29. August 2011 von seiner Privatadresse aus zu. Er hatte den Bericht mit einem Stempel als Gutachter der Beklagten gekennzeichnet. Die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte der Beklagten mit Schreiben vom 19. September 2011 zu diesem Vorgang ua. mit:

        

„Der vorgenannten Schadensminderungspflicht ist unser Mandant nachgekommen, als er der … von Seiten der D GmbH an ihn persönlich gerichtete[n] Anfrage auf Erstellung eines Prüfberichts nachgekommen ist.

        

…       

        

Mit der Bearbeitung dieses Statik-Prüfberichts für die D GmbH ist unser Mandant daher eindeutig nicht für Ihr Unternehmen tätig geworden.

        

…       

        

Selbstverständlich also ist festzuhalten, dass unser Mandant diese Prüftätigkeit selbständig und auf eigene Rechnung vorgenommen hat.“

7

Nach Anhörung des Montagebetriebsrats und des Betriebsrats O kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 27. September 2011 erneut außerordentlich und fristlos sowie mit Schreiben vom 4. Oktober 2011 hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2012.

8

Ab dem 1. November 2011 war der Kläger auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 20. September 2011 für die S GmbH (künftig: S) als „Technischer Support/Gutachter im Fernverkehr“ tätig. Er nahm für diese Planprüfungen und damit verbundene Aufgaben wahr und beriet und unterstützte sie bei der Planerstellung. Nach erneuter Anhörung beider Betriebsräte kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 22. November 2011 ein weiteres Mal außerordentlich und fristlos sowie mit Schreiben vom 24. November 2011 ordentlich zum 31. Dezember 2012.

9

Da der Kläger außerdem einen Prüfauftrag der I GmbH (künftig: I) durchgeführt hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien - abermals nach Anhörung beider Betriebsräte - mit Schreiben vom 6. Dezember 2011 außerordentlich und fristlos sowie mit Schreiben vom 12. Dezember 2011 ordentlich zum 31. Dezember 2012. Bei der I handelt es sich um eine Schwestergesellschaft der Beklagten.

10

Gegen sämtliche Kündigungen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat gemeint, es fehle an einem Grund sowohl für die außerordentlichen als auch für die hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen. Der Versuch eines Prozessbetrugs habe nicht vorgelegen. Bei der Tätigkeit für die D habe er nicht auf eigene Rechnung gearbeitet. Es habe sich daher nicht um eine Konkurrenztätigkeit gehandelt. Die anders lautende Erklärung im Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 19. September 2011 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 1. Februar 2012 korrigiert. Er hat vorgetragen, er habe den Auftrag nach Zugang der ersten außerordentlichen Kündigung nur deshalb durchgeführt, weil er sich hierzu gegenüber der D verpflichtet gefühlt habe, insbesondere weil den Auftrag kein anderer Prüfer der Beklagten habe ausführen können. Der Kläger hat weiter vorgebracht, auch mit seiner Tätigkeit für die S sei er nicht in Wettbewerb zu der Beklagten getreten. Zwischen den beiden Unternehmen bestehe keine Konkurrenz im klassischen Sinne. Das Verhältnis zwischen ihnen sei vielmehr in erheblichem Umfang von unternehmerischer Zusammenarbeit geprägt. Die Beklagte selbst habe ihn in Kenntnis seiner Tätigkeit für die S mit Prüfungen beauftragt. Jedenfalls habe er die Interessen der Beklagten durch seine Tätigkeit nicht beeinträchtigt. Außerdem habe es sich, nachdem die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zuvor gekündigt habe, um eine Übergangslösung gehandelt und nicht um eine auf Dauer angelegte Konkurrenztätigkeit. Auch für die I sei er nicht in Konkurrenz zur Beklagten tätig geworden. Die I sei bei dem betreffenden Projekt als Nachunternehmerin der Beklagten beauftragt gewesen. Er habe zudem bei einem Mitarbeiter der Beklagten nachgefragt, ob seine Beauftragung durch die I von der Beklagten freigegeben sei, was dieser bejaht habe. Der Kläger hat hinsichtlich aller außerordentlichen Kündigungen gerügt, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Zu der Kündigung vom 22. November 2011 sei überdies der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden.

11

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. August 2011, noch durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 27. September 2011, 22. November 2011 und 6. Dezember 2011, noch durch die ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 5. September 2011, 4. Oktober 2011, 24. November 2011 und 12. Dezember 2011 beendet worden ist.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Kündigungen seien jeweils schon als außerordentliche gerechtfertigt. Der Kläger habe für den 18. Februar 2011 Dienstgeschäfte in E vorgetäuscht. Die von ihm in dem Vergütungsrechtsstreit zu Protokoll gegebene Erklärung, er habe seinen Vorgesetzten vorab über seinen Aufenthalt in Ol am 18. Februar 2011 unterrichtet, sei unwahr. Selbst wenn sie wahr wäre, hätte der Kläger sie, die Beklagte, im Zusammenwirken mit seinem Vorgesetzten doch darüber getäuscht, nicht in E, sondern in Ol gewesen zu sein. Mit Blick auf die Erledigung des Auftrags für die D habe sich aufgrund der Angaben im Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 19. September 2011 zumindest im Kündigungszeitpunkt der dringende Verdacht einer Konkurrenztätigkeit ergeben. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Sie habe erst mit Eingang der Stellungnahme des Klägers zu laufen begonnen. Auch mit der Tätigkeit für die S habe sich der Kläger in unerlaubten Wettbewerb zu ihr begeben. Der Umstand, dass sie und die S Aufträge gelegentlich in Arbeitsgemeinschaften oder im Haupt- und Subunternehmerverhältnis erledigten, beseitige nicht ihrer beider Konkurrenzverhältnis. Die Prüftätigkeit für die I habe ebenso einer ihrer Arbeitnehmer erbringen können. Ihre Geschäftsführung sei erst am 28. November 2011 über den Sachverhalt informiert worden.

13

Das Arbeitsgericht hat die außerordentlichen Kündigungen vom 24. August 2011 und 27. September 2011 als unwirksam angesehen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers insgesamt stattgegeben und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt diese ihr Begehren weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Für die außerordentlichen Kündigungen fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, die hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen sind sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG.

15

I. Die außerordentliche Kündigung vom 24. August 2011 ist nicht gerechtfertigt. In der Protokollerklärung des Klägers in dem vorausgegangenen Rechtsstreit liegt kein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

16

1. Bewusst wahrheitswidrige Erklärungen, die ein Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber abgibt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können, können geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 8. November 2007 - 2 AZR 528/06 - Rn. 17). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Einordnung an; ein Arbeitnehmer, der bewusst falsch vorträgt, um sich einen Vorteil im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber zu verschaffen, verletzt in erheblicher Weise seine nach § 241 Abs. 2 BGB bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers(vgl. BAG 8. November 2007 - 2 AZR 528/06 - aaO).

17

2. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, es gebe keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, der Kläger habe die fragliche Protokollerklärung in dem Bewusstsein abgegeben, sich durch wahrheitswidrige Angaben einen Vorteil gegenüber der Beklagten im Rechtsstreit über seine Vergütungsansprüche zu verschaffen.

18

a) Es hat dies daraus abgeleitet, dass die Frage, wo der Kläger den Dienstwagen zum TÜV gebracht und seine Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht habe, für seinen Vergütungsanspruch ohne Bedeutung gewesen sei. Aus dem weiteren Vorbringen des Klägers in dem Vorprozess ergebe sich, dass auch er selbst diese Frage in keiner Weise für entscheidungserheblich gehalten habe.

19

b) Die Beklagte hat demgegenüber geltend macht, in diesem Fall hätte der Kläger nichts befürchten müssen, wenn er wahrheitsgemäße Angaben gemacht hätte. Ein anderer Grund für seine unzutreffende Erklärung als die Absicht, sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen, sei daher nicht ersichtlich. Damit zeigt die Beklagte keinen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts auf. Ein solcher ist auch objektiv nicht ersichtlich. Die Schlussfolgerungen der Beklagten aus dem Prozessverhalten des Klägers sind nicht zwingend. Sie setzen voraus, dass der Kläger bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht hat. Dies ist weder festgestellt noch gibt es dafür objektiv hinreichende Anhaltspunkte. Selbst wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, die Erklärung des Klägers habe nicht der Wahrheit entsprochen, muss das diesem nicht bewusst gewesen sein. Ebenso gut kann er sich in seiner Erinnerung darüber, ob er seinen Vorgesetzten vorab über den Aufenthalt in Ol am 18. Februar 2011 unterrichtet hatte, getäuscht haben. Die Beklagte trägt die Darlegungslast für den Kündigungsgrund und damit für eine Schädigungsabsicht des Klägers. Dieser ist sie nicht hinreichend nachgekommen. Das Landesarbeitsgericht musste deshalb keinen Beweis darüber erheben, ob die Erklärung des Klägers wahrheitswidrig war.

20

II. Ebenso fehlt es an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung vom 27. September 2011. Die Voraussetzungen für eine Kündigung wegen des Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung liegen nicht vor.

21

1. In einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung sind nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten Tatsachen von Bedeutung. Es sind auch solche später bekannt gewordenen Umstände zu berücksichtigen, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken (BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 25; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 41). Dies gilt zumindest dann, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen. Der Arbeitgeber kann verdachtserhärtende Tatsachen in den Prozess einführen, die ihm erst nachträglich bekannt geworden sind, der Arbeitnehmer solche, die den Verdacht entkräften. Bei einer Verdachtskündigung muss der Besonderheit Rechnung getragen werden, dass für sie nicht der volle Nachweis einer Pflichtverletzung verlangt wird. Blieben den Arbeitnehmer entlastende Tatsachen, die erst im Prozess zutage getreten sind, außer Betracht, hätte der Arbeitgeber nur nachzuweisen, dass jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringender Tatverdacht bestand. Das würde der bei der Verdachtskündigung bestehenden Gefahr, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht gerecht (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 42; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28). Die Berücksichtigung später bekannt gewordener Umstände steht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass sich die Wirksamkeit einer Kündigung nach den bei ihrem Zugang gegebenen - objektiven - Tatsachen richtet (vgl. dazu BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52, BAGE 134, 349; 27. Februar 1997 - 2 AZR 160/96 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 85, 194). Diese erschöpfen sich auch im Fall der Verdachtskündigung nicht etwa notwendig in den dem Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt bekannten Verdachtsmomenten.

22

2. Selbst Umstände, die auch objektiv erst nachträglich eingetreten sind, können für die gerichtliche Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung ausnahmsweise von Bedeutung sein, falls sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53, BAGE 134, 349; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO mwN). Von Bedeutung kann dies gerade für die Würdigung von verdachtsbegründenden Indiztatsachen sein.

23

3. Danach hat das Landesarbeitsgericht in dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 19. September 2011 zu Recht keine hinreichenden Verdachtsmomente dafür gesehen, dass der Kläger einen der Beklagten erteilten Auftrag der D für eigene Rechnung bearbeitet habe.

24

a) Es durfte zum einen berücksichtigen, dass der Kläger die Angaben seiner Prozessbevollmächtigten im Schreiben vom 19. September 2011 nachträglich korrigiert hat. Damit hat er sich von ihnen distanziert. Sie können nicht mehr uneingeschränkt als sein eigenes Eingeständnis gewertet werden und erscheinen dadurch in einem anderen Licht.

25

b) Es durfte zum anderen annehmen, dass weitere Verdachtsmomente gegen den Kläger nicht bestünden. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe bei der D nicht nachgefragt, auf wen die Rechnung für den Auftrag gestellt worden sei. Der Inhalt der Prüfunterlagen spreche dafür, dass der Kläger durch die Verwendung des Stempels der Beklagten deutlich gemacht habe, für diese tätig geworden zu sein. Gegen diese Würdigung bringt die Beklagte keine beachtlichen Einwände vor. Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts sind auch objektiv nicht ersichtlich. Zwar hat es nicht festgestellt, aus welchem Grund es zu den zunächst falschen Angaben der Prozessbevollmächtigten des Klägers gekommen ist. Es hat aber, zumal die Prüfungsunterlagen die Version des Klägers stützten, ersichtlich einen bloßen Abstimmungsfehler für möglich gehalten. Soweit die Beklagte in der Revisionsinstanz geltend gemacht hat, der Kläger habe sehr wohl privat abrechnen wollen und dies nur deshalb nicht getan, weil er über keinen anderen als ihren Stempel verfügt habe, hat sie keine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Sie hat nicht dargelegt, dass und an welcher Stelle sie die für diese Annahme sprechenden Umstände in den Vorinstanzen vorgetragen habe. Die Rüge ist zudem unbegründet. Es bliebe auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens dabei, dass es keine hinreichenden Verdachtsmomente dafür gibt, der Kläger sei auf eigene Rechnung tätig geworden.

26

III. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Tätigkeit des Klägers für die S ab dem 1. November 2011 stelle keinen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vom 22. November 2011 dar. Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

27

1. Ein Arbeitnehmer, der während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Konkurrenztätigkeiten entfaltet, verstößt gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB. Es handelt sich in der Regel um eine erhebliche Pflichtverletzung. Sie ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (BAG 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 20; 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15 mwN).

28

a) Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses ist einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt (BAG 16. Januar 2013 - 10 AZR 560/11 - Rn. 14; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 22). Die für Handlungsgehilfen geltende Regelung des § 60 Abs. 1 HGB normiert einen allgemeinen Rechtsgedanken. Der Arbeitgeber soll vor Wettbewerbshandlungen seines Arbeitnehmers geschützt werden. Der Arbeitnehmer darf im Marktbereich seines Arbeitgebers Dienste und Leistungen nicht Dritten anbieten. Dem Arbeitgeber soll dieser Bereich uneingeschränkt und ohne die Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung durch den Arbeitnehmer offenstehen (BAG 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - aaO; 21. November 1996 - 2 AZR 852/95 - zu II 1 a der Gründe). Dem Arbeitnehmer ist aufgrund des Wettbewerbsverbots nicht nur eine Konkurrenztätigkeit im eigenen Namen und Interesse untersagt. Ihm ist ebenso wenig gestattet, einen Wettbewerber des Arbeitgebers zu unterstützen (BAG 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - aaO; 21. November 1996 - 2 AZR 852/95 - aaO). Allerdings darf er, wenn ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach § 74 HGB nicht vereinbart ist, schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach seinem Ausscheiden die Gründung eines eigenen Unternehmens oder den Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen vorbereiten(vgl. BAG 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - Rn. 15). Verboten ist lediglich die Aufnahme einer werbenden Tätigkeit, etwa durch Vermittlung von Konkurrenzgeschäften oder aktives Abwerben von Kunden. Bloße Vorbereitungshandlungen erfüllen diese Voraussetzungen regelmäßig nicht (BAG 26. Juni 2008 - 2 AZR 190/07 - aaO).

29

b) Das vertragliche Wettbewerbsverbot gilt während der gesamten rechtlichen Dauer des Arbeitsverhältnisses. Ein Arbeitnehmer darf deshalb grundsätzlich auch nach Zugang einer von ihm gerichtlich angegriffenen fristlosen Kündigung des Arbeitgebers keine Konkurrenztätigkeit ausgeübt haben, falls sich die Kündigung später als unwirksam herausstellt. Er ist in der Regel auch während des - für ihn erfolgreichen - Kündigungsschutzprozesses an das vertragliche Wettbewerbsverbot gebunden (BAG 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 23; 25. April 1991 - 2 AZR 624/90 - zu B III 3 a der Gründe). Dies gilt unabhängig davon, ob eine Karenzentschädigung angeboten oder er vorläufig weiterbeschäftigt wird (BAG 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - aaO). Seine Obliegenheit aus § 615 Satz 2 BGB, nicht böswillig anderweitigen Erwerb zu unterlassen, rechtfertigt es nicht, eine Konkurrenztätigkeit im Geschäftsbereich des Arbeitgebers aufzunehmen(BAG 25. April 1991 - 2 AZR 624/90 - zu B III 3 a bb der Gründe).

30

2. Bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot nach Zugang einer - gerichtlich angegriffenen - außerordentlichen Kündigung die weitere Kündigung des Arbeitsverhältnisses - falls es auf sie noch ankommt - rechtfertigen kann, ist im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung (vgl. auch dazu BAG 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26; 25. April 1991 - 2 AZR 624/90 - zu B III 3 b der Gründe) zu berücksichtigen, dass sich in einer solchen Konstellation beide Parteien objektiv vertragswidrig verhalten.

31

a) Eine Fallgestaltung wie die vorliegende ist durch ein in sich widersprüchliches Verhalten beider Vertragsparteien gekennzeichnet. Der Arbeitgeber beruft sich vorrangig auf die Wirksamkeit einer schon zuvor erklärten Kündigung, erwartet aber vom Arbeitnehmer ein Verhalten, das dieser nur bei Unwirksamkeit der Kündigung schuldet. Hätte im Übrigen der Arbeitgeber - entsprechend der objektiven Rechtslage - keine Kündigung erklärt, hätte aller Voraussicht nach der Arbeitnehmer keinen Anlass für die Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit gehabt. Der Arbeitnehmer wiederum erstrebt die Feststellung einer Unwirksamkeit der früheren Kündigung, verstößt aber mit der Aufnahme von Konkurrenztätigkeiten gegen gerade dann bestehende Unterlassungspflichten.

32

b) Auf diese Besonderheiten ist bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der Konkurrenztätigkeit des Arbeitnehmers zumutbar ist, Bedacht zu nehmen. Es spricht dabei zugunsten des Arbeitnehmers, wenn die Wettbewerbstätigkeit erst durch die frühere - unwirksame - Kündigung ausgelöst worden ist (vgl. für einen Handelsvertreter BGH 28. April 1960 - VII ZR 218/59 - zu 6 der Gründe). Dann rechtfertigt die objektiv gegebene Pflichtverletzung des Arbeitnehmers für die Zeit nach Prozessende in der Regel keine negative Verhaltensprognose. Auch ist zu berücksichtigen, ob der Wettbewerb auf eine dauerhafte Konkurrenz zum bisherigen Arbeitgeber angelegt ist oder zunächst nur eine Übergangslösung für den Schwebezustand bis zur Klärung der Rechtslage darstellt (BAG 25. April 1991 - 2 AZR 624/90 - zu B III 3 b bb der Gründe). Von Bedeutung ist ferner, ob dem Arbeitgeber aufgrund der Art und der Auswirkungen der Konkurrenztätigkeit unmittelbar ein Schaden zugefügt wird oder nur eine abstrakte Gefährdung von dessen geschäftlichen Interessen vorliegt (vgl. BAG 25. April 1991 - 2 AZR 624/90 - aaO).

33

3. Zu Recht hat danach das Landesarbeitsgericht den Interessen des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses den Vorrang gegenüber den Interessen der Beklagten an dessen Beendigung eingeräumt.

34

a) Der Kläger hat den Arbeitsvertrag mit der S erst geschlossen und die Tätigkeit für sie erst aufgenommen, nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zuvor fristlos gekündigt hatte. Da keine Anhaltspunkte für das Gegenteil vorliegen, lässt dies nur den Schluss zu, dass seine Wettbewerbstätigkeit durch die Kündigung ausgelöst worden ist. Das spricht zudem dafür, dass der Kläger sie lediglich als Ersatz für seine bisherige Tätigkeit aufgenommen hat. Es sind keine Umstände festgestellt oder objektiv erkennbar, die die Annahme rechtfertigten, er hätte es auf eine dauerhafte Konkurrenz zur Beklagten angelegt. Der Kläger hat nicht etwa ein eigenes Unternehmen in Konkurrenz zur Beklagten aufgebaut. Aus dem neu eingegangenen Arbeitsverhältnis konnte er sich für den Fall, dass er mit der Kündigungsschutzklage gegen die Beklagte obsiegen würde, jederzeit - etwa durch Kündigung - wieder lösen.

35

b) Das Landesarbeitsgericht durfte zugunsten des Klägers berücksichtigen, dass er durch seine Tätigkeit für die S der Beklagten keinen unmittelbaren Schaden zugefügt hat. Soweit die S für die Beklagte tätig geworden ist, hat er dieser sogar die zeitgerechte Auftragserfüllung gesichert. Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass ein Wettbewerbsverstoß auch ohne eine konkrete Schädigung vorliegen kann. Darum geht es jedoch nicht. Es geht darum, ob dieser Verstoß eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt.

36

c) Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht nicht angenommen, möglicher Gewinn sei im gegebenen Zusammenhang schlechthin kein schützenswertes Interesse. Es hat lediglich gewürdigt, dass der Beklagten ein Gewinn aus den Prüfarbeiten des Klägers nicht deshalb entgangen ist, weil dieser für die S tätig war. Dies sei vielmehr die Folge davon gewesen, dass sie das Arbeitsverhältnis der Parteien zuvor fristlos gekündigt habe, ohne einen Ersatz für den Kläger einzustellen. Das Landesarbeitsgericht hat damit zu Recht eine Kausalität zwischen der Konkurrenztätigkeit des Klägers und einem Gewinnausfall der Beklagten verneint. Auch wenn der Kläger nicht für die S gearbeitet hätte, hätte die Beklagte die von ihm erbrachte Tätigkeit nicht selbst und mit eigenen Arbeitnehmern durchführen können.

37

d) Die von der Beklagten vermissten weiteren Gesichtspunkte hat das Landesarbeitsgericht bei der Interessenabwägung nicht unberücksichtigt gelassen. Es hat ihnen nur kein zugunsten der Beklagten ausschlaggebendes Gewicht beigemessen.

38

aa) Die mit der Tätigkeit des Klägers verbundene Möglichkeit einer Gewinnerhöhung bei der S hat das Landesarbeitsgericht - wie seine Ausführungen zum Fehlen einer unmittelbaren Schädigung der Beklagten erkennen lassen - zutreffend nicht als einen erschwerenden Umstand erachtet. Ein möglicher wirtschaftlicher Vorteil für das konkurrierende Unternehmen ist einer Konkurrenztätigkeit immanent.

39

bb) Das Landesarbeitsgericht hat auch den Grad des Schuldvorwurfs nicht unberücksichtigt gelassen. Es hat vielmehr auf die Besonderheiten einer Konkurrenztätigkeit nach fristloser Kündigung abgestellt. Danach ist dem Arbeitnehmer zwar kein Wettbewerb zu seinem bisherigen Arbeitgeber gestattet, wenn das Arbeitsverhältnis - objektiv - fortbesteht. Die Situation lässt eine gleichwohl aufgenommene Konkurrenztätigkeit aber in der Regel in einem milderen Licht erscheinen. Durch die fristlose Kündigung hatte der Arbeitgeber zu verstehen gegeben, sich seinerseits an vertragliche Pflichten nicht mehr gebunden zu fühlen.

40

cc) Auf der Basis der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in vollem Bewusstsein der Tatsache gehandelt hätte, die Beklagte werde seine Konkurrenztätigkeit nicht akzeptieren. Die Beklagte macht zwar geltend, der Kläger habe dies daran erkennen müssen, dass sie schon auf seine Konkurrenztätigkeit für die D mit einer außerordentlichen Kündigung reagiert habe. Aus dem vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Kündigungsschreiben vom 27. September 2011 ergibt sich ein solcher Kündigungsgrund aber nicht. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass und ggf. welche sonstigen Umstände die Annahme rechtfertigen sollten, der Kläger habe im Bewusstsein dessen gehandelt, sie werde seine Tätigkeit für die S keinesfalls akzeptieren. Es kann daher dahinstehen, ob dies anderenfalls zu ihren Gunsten zu werten wäre. Dagegen spricht, dass es nicht auf die subjektive Bereitschaft zur Akzeptanz auf Seiten des Arbeitgebers, sondern darauf ankommt, was diesem objektiv zuzumuten ist (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, BAGE 134, 349).

41

dd) Das Landesarbeitsgericht hat auch berücksichtigt, dass der Kläger nicht nur punktuell, sondern im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, dh. kontinuierlich für die S tätig geworden ist. Es hat diesen Umstand erkennbar deshalb nicht als erschwerend angesehen, weil damit keine unmittelbare Schädigung der Beklagten einhergegangen sei. Diese habe nicht vorgetragen, dass ihre eigenen Arbeitnehmer, die solche Prüftätigkeiten hätten ausführen können, nicht ausgelastet gewesen seien. Sie habe vielmehr nicht über ausreichende eigene Kapazitäten verfügt, um eine zeitnahe Prüfung sicherzustellen. Diese Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

42

IV. Die außerordentliche Kündigung vom 6. Dezember 2011 ist mangels wichtigen Grundes ebenfalls unwirksam. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

43

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auch die auf wettbewerbswidriges Verhalten des Klägers gestützte Kündigung vom 6. Dezember 2011 sei nach § 626 Abs. 1 BGB nicht gerechtfertigt. Bei der I handele es sich um ein Schwesterunternehmen der Beklagten, das für diese bei dem fraglichen Auftrag als Nachunternehmerin tätig geworden sei. Eine Verletzung der Interessen der Beklagten sei nicht ersichtlich.

44

2. Die Sachrügen, die die Beklagte gegen diese Würdigung vorbringt, entsprechen denen, die sie gegen die Auffassung des Landesarbeitsgerichts von der Unwirksamkeit der Kündigung vom 22. November 2011 erhoben hat. Sie greifen aus den dargelegten Gründen nicht durch. Hinzu kommt, dass sich die Tätigkeit des Klägers für die I in der Ausführung eines einzelnen Prüfauftrags erschöpfte, für den die I Nachunternehmerin der Beklagten war. Eine fortdauernde Tätigkeit lag nicht vor. Die Verfahrensrüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe nicht in Erwägung gezogen, dass sie vorgetragen habe, einer ihrer Arbeitnehmer habe den Auftrag erledigen können, ist unzulässig. Aus dem Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ergibt sich lediglich, dass die Beklagte dies erstinstanzlich behauptet hat, nicht aber, was sie dazu im Einzelnen vorgebracht, ob sie für ihr Vorbringen Beweis angetreten und ob sie Vortrag und ggf. Beweisantritt im Berufungsverfahren aufrechterhalten hat. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass im Berufungsverfahren unstreitig wurde, die Beklagte sei an der Durchführung des Auftrags schon aus rechtlichen Gründen gehindert gewesen.

45

V. Gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen seien „aus den gleichen Gründen“ nicht sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG, erhebt die Beklagte keine gesonderten Rügen. Ein Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts ist auch objektiv nicht ersichtlich.

46

1. Das Landesarbeitsgericht hat offenbar angenommen, die ordentlichen Kündigungen seien aus eben den Gründen sozial ungerechtfertigt, aus denen die außerordentlichen Kündigungen unwirksam seien. Bei deren Prüfung hat es die Folgen der (teilweise unterstellten) Pflichtverletzungen und den Grad des Verschuldens des Klägers als nicht so schwerwiegend angesehen, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar gewesen sei.

47

2. Wenn das Landesarbeitsgericht auf diese Gründe mit Blick auf die ordentlichen Kündigungen Bezug nimmt, bedeutet das, dass es zu dem Ergebnis gelangt ist, der Beklagten sei eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zuzumuten. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

48

VI. Die Kosten ihrer erfolglosen Revision hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey     

        

    Torsten Falke    

                 

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 16. September 2015 - 17 Sa 48/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit April 1996 beschäftigt, zuletzt als „Leiter Revision Bereich Corporate Audit“. Beim Kläger wurde am 27. Juni 2013 eine Leukämie diagnostiziert. Unter dem 3. September 2013 wurde er rückwirkend zum 28. Juni 2013 als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt.

3

Im Verlauf des Jahres 2013 verdächtigte die Beklagte den Kläger, vertrauliche Informationen an Dritte weitergegeben zu haben. Bei den von ihr durchgeführten Ermittlungen stieß sie auf eine nach ihrem Dafürhalten auffällige Aufstellung des Klägers über die Betankung seines Dienstwagens. Ferner ergab sich, dass der Kläger während der Arbeitszeit zu privaten Zwecken das Internet und E-Mail-System der Beklagten genutzt hatte.

4

Anfang Juli 2013 teilte der Klägervertreter der Beklagten mit, dass sein Mandant arbeitsunfähig erkrankt sei und daher nicht an einem vorgesehenen Personalgespräch zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen teilnehmen könne. Der Kläger lehnte unter Hinweis auf seine andauernde Arbeitsunfähigkeit auch die Teilnahme an einem weiteren Gespräch ab.

5

Die Beklagte kündigte nach Anhörung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 13. August 2013 außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

6

Mit weiterem Schreiben vom 13. August 2013 hörte die Beklagte den Kläger zu den Sachverhalten an, die ihres Erachtens zumindest den Verdacht erheblicher Pflichtverletzungen begründeten und forderte ihn auf, bis zum 3. September 2013 Stellung zu nehmen. Der Kläger teilte mit Schreiben vom 29. August 2013 mit, dass er aufgrund einer ernsthaften Erkrankung nicht in der Lage sei, sich mit den Vorgängen zu befassen. Zugleich wies er darauf hin, dass er einen Feststellungsantrag nach § 69 SGB IX gestellt habe. Das Schreiben ging der Beklagten spätestens am 6. September 2013 zu.

7

Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 9. September 2013 den Betriebsrat zu einer weiteren außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung an. Darin führte sie unter anderem aus, der Kläger habe von der Möglichkeit, den gegen ihn bestehenden Verdacht auszuräumen, keinen Gebrauch gemacht, wodurch sie sich in ihrer „Auffassung bestätigt“ sehe, „daß er dieses Fehlverhalten begangen“ habe, jedenfalls habe sich der dahingehende Verdacht bestätigt. Sie habe Zweifel „am Wahrheitsgehalt der Aussage (des Klägers) zur Krankheit und zur Behinderung“. Nach Ablauf der Stellungnahmefrist am 3. September 2013 wisse sie, „dass [er] dem Verdacht nichts entgegensetzen kann oder will“.

8

Nachdem die Beklagte den Feststellungsbescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers erhalten hatte, beantragte sie am 11. September 2013 beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen und ordentlichen Kündigung.

9

Mit Schreiben vom 16. September 2013 hörte die Beklagte den Betriebsrat erneut zu einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung an. Dem Schreiben war das Anhörungsschreiben vom 9. September 2013 als Anlage beigefügt. Der Betriebsrat antwortete nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts „am 19. September 2013“.

10

Ebenfalls am 19. September 2013 fand ein Termin zur mündlichen Anhörung vor dem Integrationsamt statt. Die Beklagte erlangte bei dieser Gelegenheit Kenntnis von der Art und Schwere der Erkrankung des Klägers. Dieser übergab den Vertretern der Beklagten eine 26-seitige Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen.

11

Nachdem das Integrationsamt die beantragten Zustimmungen erteilt hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26. September 2013 erneut außerordentlich und mit Schreiben vom 28. Oktober 2013 hilfsweise ordentlich.

12

Gegen sämtliche Kündigungen hat sich der Kläger rechtzeitig mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen vom 13. August 2013 seien bereits mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamts unwirksam. Ein Kündigungsgrund liege nicht vor. Bei den außerordentlichen Kündigungen sei außerdem die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen nicht eingehalten. Hinsichtlich der Kündigungen vom 26. September 2013 und vom 28. Oktober 2013 fehle es überdies an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats.

13

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 13. August 2013 aufgelöst wurde;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 26. September 2013 noch durch die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 28. Oktober 2013 aufgelöst wurde.

14

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Die Kündigungen seien ua. wegen Arbeitszeitbetrugs und wegen Tankbetrugs gerechtfertigt, zumindest aber wegen eines entsprechenden Verdachts. Die Kündigungserklärungsfrist für die außerordentlichen Kündigungen sei eingehalten. Bezogen auf die Kündigungen vom 13. August 2013 könne sich der Kläger nicht mit Erfolg auf einen Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch berufen. Sie habe keine Kenntnis von seiner Schwerbehinderung gehabt, sie sei ihr auch nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt worden.

15

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungen vom 13. August 2013 und vom 26. September 2013 als rechtsunwirksam, die Kündigung vom 28. Oktober 2013 hingegen als wirksam angesehen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten der Klage insgesamt stattgegeben sowie den Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte vorrangig die vollständige Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Kündigungen haben das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet.

17

I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die außerordentliche und die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. August 2013 seien gem. § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB nichtig.

18

1. Die Kündigungen bedurften gem. §§ 85, 91 Abs. 1 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Diese lag bei deren Zugang nicht vor. Die Kündigungen verstießen damit gegen ein gesetzliches Verbot iSd. § 134 BGB. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 70 anerkannt (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX). Der Sonderkündigungsschutz ist nicht gem. § 90 Abs. 2a SGB IX ausgeschlossen. Der Kläger hatte mehr als drei Wochen vor Zugang der Kündigung den Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt (§ 90 Abs. 2a iVm. § 69 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX).

19

2. Der Kläger hat das Recht, sich auf den Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch zu berufen, nicht nach § 242 BGB verwirkt.

20

a) Hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten oder wenigstens - wie hier - rechtzeitig einen entsprechenden Antrag beim Versorgungsamt gestellt, steht ihm der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Antragstellung keine Kenntnis hatte (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 16, BAGE 133, 249; 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - Rn. 15). Allerdings unterliegt das Recht des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, der Verwirkung (§ 242 BGB). Diese ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Mit der Verwirkung wird ausgeschlossen, Rechte illoyal verspätet geltend zu machen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn der Gläubiger sich längere Zeit nicht auf seine Rechte berufen hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr wahrnehmen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist. Dies ist mit Blick auf den Sonderkündigungsschutz eines Arbeitnehmers nach §§ 85 ff. SGB IX der Fall, wenn der Arbeitgeber von der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch keine Kenntnis hatte und der Arbeitnehmer sich nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach Zugang der Kündigung gegenüber dem Arbeitgeber auf seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft beruft (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - aaO; 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - Rn. 16).

21

b) Für die Beurteilung der Länge der angemessenen Frist ist § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nicht analog anzuwenden. Der Gesetzgeber hat von der Möglichkeit einer entsprechenden Regelung für die Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft oder einer darauf bezogenen Antragstellung keinen Gebrauch gemacht. Er hat auf den ihm bekannten Konflikt zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an der möglichst schnellen Kenntnis der rechtlichen Voraussetzungen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses und dem des Arbeitnehmers, die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen des besonderen Kündigungsschutzes für schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Menschen nicht zu offenbaren, allein mit der Einfügung von § 90 Abs. 2a SGB IX durch Art. 1 Nr. 21a Buchst. b des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) reagiert. Allerdings konnte der Gesetzgeber bei der mit Wirkung zum 1. Mai 2004 erfolgten Änderung der Voraussetzungen für den Kündigungsausspruch gegenüber schwerbehinderten bzw. diesen gleichgestellten Menschen von der ständigen Senatsrechtsprechung ausgehen, wonach sich der Arbeitnehmer innerhalb einer Regelfrist von einem Monat gegenüber dem Arbeitgeber auf das Feststellungsverfahren oder die Antragstellung berufen muss, weil das Gebot der Rechtssicherheit im Kündigungsrecht eine zeitliche Begrenzung auch bei der Geltendmachung des Kündigungsschutzes durch den Arbeitnehmer erfordert (zuletzt BAG 7. März 2002 - 2 AZR 612/00 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 100, 355). Hat der Arbeitnehmer die Mitteilung unterlassen, ist die Kündigung jedenfalls nicht bereits wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamts unwirksam.

22

c) Als Maßstab für die Rechtzeitigkeit der Geltendmachung ist vielmehr seit der Änderung des Kündigungsschutzgesetzes durch Art. 1 des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) von der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG auszugehen(BAG 24. September 2015 2 AZR 347/14 - Rn. 34, BAGE 153, 1; 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 21, BAGE 133, 249). Binnen dieser Frist muss der Arbeitnehmer entscheiden, ob er gegen die Kündigung vorgehen will. Dieser Zeitraum steht ihm deshalb grundsätzlich auch für die Entscheidung zur Verfügung, ob er sich auf eine dem Arbeitgeber noch nicht bekannte Schwerbehinderteneigenschaft berufen möchte. Hinzuzurechnen ist die Zeitspanne, innerhalb derer er den Zugang der Mitteilung über den bestehenden Sonderkündigungsschutz beim Arbeitgeber zu bewirken hat. Ein Berufen auf den Sonderkündigungsschutz innerhalb dieses Zeitraums ist regelmäßig nicht als illoyal verspätet anzusehen. Hierbei darf es dem Arbeitnehmer auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn er - etwa zu Beweiszwecken - eine schriftliche Information wählt. Mit diesen Grundsätzen ist einerseits keine starre Grenze von drei Wochen, innerhalb derer der Arbeitgeber informiert sein müsste (dafür Gehlhaar NZA 2011, 673, 675 f.), zu vereinbaren. Andererseits kann sich ein Arbeitnehmer, der seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch allein in der bei Gericht eingereichten Klageschrift mitteilt, nicht auf den Rechtsgedanken des § 167 ZPO berufen, wenn die Zustellung außerhalb der für eine unmittelbare Übermittlung an den Arbeitgeber zuzugestehenden Zeitspanne erfolgt(aA Nägele NZA 2010, 1377, 1379).

23

d) Welche Zeitspanne noch als angemessen anzusehen ist, um den Zugang der Information über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für das Eingreifen des besonderen Kündigungsschutzes nach § 85 SGB IX beim Arbeitgeber zu bewirken, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Der Kläger hat den Sonderkündigungsschutz nicht verwirkt. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten hat sie die Mitteilung des Klägers über seine Antragstellung am 6. September 2013, und damit am 22. Tag nach dem Zugang der Kündigung vom 13. August 2013 erhalten. Die Beklagte hatte demnach von den möglicherweise den Sonderkündigungsschutz begründenden Umständen bereits am Tag nach Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis.

24

II. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend die fristlose Kündigung vom 26. September 2013 und die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 28. Oktober 2013 gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG für unwirksam gehalten.

25

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine Kündigung ist dabei nach Satz 3 nicht erst unwirksam, wenn eine Unterrichtung ganz unterblieben ist, sondern schon dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 773/10 - Rn. 30; 22. September 1994 - 2 AZR 31/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 78, 39). Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 14, BAGE 152, 118; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 22).

26

a) Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist deshalb grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er dem Betriebsrat bewusst einen solchen irreführenden Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 15 f., BAGE 152, 118; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14).

27

b) Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 19, BAGE 152, 118; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung - ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers - auch objektiv, dh. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - aaO).

28

2. Es kann dahinstehen, ob das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, die Beklagte habe das Ergebnis eines von ihr intern durchgeführten Betankungsversuchs dem Betriebsrat unabhängig von ihrer subjektiven Einschätzung schon deshalb mitteilen müssen, weil es objektiv geeignet gewesen sei, den Kläger zu entlasten. Bedenken hiergegen bestehen insofern, als das Landesarbeitsgericht gemeint hat, bei den Bedingungen des Tankversuchs habe es sich um ein „nicht ganz ungewöhnliche(s) Tankverhalten“ gehandelt, ohne dass erkennbar würde, aufgrund welcher Tatsachen es zu dieser Annahme gelangt ist.

29

3. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Anhörung des Betriebsrats nach den der Beklagten anlässlich des Termins beim Integrationsamt am 19. September 2013 bekannt gewordenen Umständen nicht mehr ordnungsgemäß war.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat die mit Schreiben vom 16. September 2013 eingeleitete Anhörung dahin verstanden, die Beklagte werte den Umstand, dass der Kläger keine Stellungnahme abgegeben habe, (zusätzlich) zu seinen Lasten. An ihrer Kündigungsabsicht wolle sie insofern auch deshalb festhalten, weil sie Zweifel daran habe, dass der Kläger tatsächlich erkrankt sei. Diese Würdigung lässt weder einen revisiblen Rechtsfehler erkennen noch hat die Revision eine hiergegen gerichtete Verfahrensrüge nach § 286 Abs. 1 ZPO erhoben.

31

aa) Die Beklagte hat im Berufungsverfahren selbst vorgetragen, dem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat vom 16. September 2013 sei als Anlage ihr Schreiben vom 9. September 2013 beigefügt gewesen. Sie hat sich zwar darauf berufen, dieses habe „keine Rolle mehr gespielt“. Sie hat aber nicht dargelegt, aufgrund welcher Umstände dies für den Betriebsrat erkennbar gewesen sei.

32

bb) Im Schreiben vom 9. September 2013 hatte die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger von der Möglichkeit, den gegen ihn bestehenden Verdacht auszuräumen, keinen Gebrauch gemacht habe. Sie sehe sich dadurch in ihrer „Auffassung bestätigt, daß er dieses Fehlverhalten begangen“ habe, jedenfalls sei der dahingehende Verdacht bestätigt. Sie habe Zweifel „am Wahrheitsgehalt (seiner) Aussage zur Krankheit“. Das darauf bezogene Verständnis des Berufungsgerichts, die Beklagte habe damit dem Betriebsrat die Tatsache, dass der Kläger ihres Erachtens ohne nachvollziehbaren Grund keine Stellungnahme abgegeben hatte, selbst als einen für ihren Kündigungsentschluss relevanten, (zusätzlich) belastenden Umstand mitgeteilt, hält sich im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Würdigung. Das Landesarbeitsgericht konnte die Ausführungen der Beklagten im Schreiben vom 9. September 2013 auch dahingehend verstehen, dass diese nicht nur auf die Verdachts-, sondern auch auf die Tatkündigung bezogen sein sollten. Dem Anhörungsschreiben vom 16. September 2013 lässt sich nicht entnehmen, die Beklagte habe an ihrer Bewertung nicht mehr festgehalten. In den Vorbemerkungen teilt diese zwar mit, ihr liege zwischenzeitlich der Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers vor. Sie weist aber ausdrücklich weiter darauf hin, ihr seien außer der Anerkennung der Schwerbehinderung „keine neuen wesentlichen Gesichtspunkte … bekannt geworden“.

33

b) Nachdem die Beklagte anlässlich des Termins vor dem Integrationsamt und damit noch vor Zugang der Kündigung Kenntnis davon erlangt hatte, dass der Kläger tatsächlich schwer erkrankt war, und sie nunmehr außerdem seine ausführliche schriftliche Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen erhalten hatte, hätte sie den Betriebsrat auf diese veränderte Sachlage hinweisen und ihre Mitteilung gegenüber dem Gremium ergänzen müssen. Für ihre bisherige negative Bewertung der unterbliebenen Reaktion des Klägers war, nachdem keine Zweifel mehr an der Erkrankung bestanden und auch eine Stellungnahme des Klägers mittlerweile vorlag, die tatsächliche Grundlage entfallen. Die zuvor erfolgte Unterrichtung war nunmehr irreführend. Zwar hielt die Beklagte im Ergebnis an ihrem Kündigungsentschluss fest. Sie musste aber aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Änderung des dem Betriebsrat mitgeteilten Sachverhalts diesem erneut die Möglichkeit zur Stellungnahme eröffnen. Dies gilt selbst dann, wenn das mit Schreiben vom 16. September 2013 eingeleitete Anhörungsverfahren durch eine der Beklagten zugegangene abschließende Stellungnahme des Betriebsrats bereits abgeschlossen gewesen sein sollte. Es lag eine wesentliche Änderung des von der Beklagten selbst bisher als für ihren Kündigungsentschluss maßgeblich dargestellten Sachverhalts vor (zu diesem Erfordernis BAG 20. Januar 2000 - 2 AZR 378/99 - zu B II 2 der Gründe, BAGE 93, 255; 18. Mai 1994 - 2 AZR 626/93 - zu B II 2 a der Gründe).

34

III. Den Auflösungsantrag der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung auf Antrag des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommt nur in Betracht, wenn eine ordentliche Kündigung allein aufgrund ihrer Sozialwidrigkeit und nicht aus anderen Gründen iSv. § 13 Abs. 3 KSchG rechtsunwirksam ist(BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 44; 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 19, BAGE 140, 47). Dies ist aus den vorgenannten Gründen bei den ordentlichen Kündigungen vom 13. August 2013 und vom 28. Oktober 2013 nicht der Fall.

35

IV. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Niebler     

        

    Alex    

                 

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 16. September 2015 - 17 Sa 48/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit April 1996 beschäftigt, zuletzt als „Leiter Revision Bereich Corporate Audit“. Beim Kläger wurde am 27. Juni 2013 eine Leukämie diagnostiziert. Unter dem 3. September 2013 wurde er rückwirkend zum 28. Juni 2013 als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt.

3

Im Verlauf des Jahres 2013 verdächtigte die Beklagte den Kläger, vertrauliche Informationen an Dritte weitergegeben zu haben. Bei den von ihr durchgeführten Ermittlungen stieß sie auf eine nach ihrem Dafürhalten auffällige Aufstellung des Klägers über die Betankung seines Dienstwagens. Ferner ergab sich, dass der Kläger während der Arbeitszeit zu privaten Zwecken das Internet und E-Mail-System der Beklagten genutzt hatte.

4

Anfang Juli 2013 teilte der Klägervertreter der Beklagten mit, dass sein Mandant arbeitsunfähig erkrankt sei und daher nicht an einem vorgesehenen Personalgespräch zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen teilnehmen könne. Der Kläger lehnte unter Hinweis auf seine andauernde Arbeitsunfähigkeit auch die Teilnahme an einem weiteren Gespräch ab.

5

Die Beklagte kündigte nach Anhörung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 13. August 2013 außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

6

Mit weiterem Schreiben vom 13. August 2013 hörte die Beklagte den Kläger zu den Sachverhalten an, die ihres Erachtens zumindest den Verdacht erheblicher Pflichtverletzungen begründeten und forderte ihn auf, bis zum 3. September 2013 Stellung zu nehmen. Der Kläger teilte mit Schreiben vom 29. August 2013 mit, dass er aufgrund einer ernsthaften Erkrankung nicht in der Lage sei, sich mit den Vorgängen zu befassen. Zugleich wies er darauf hin, dass er einen Feststellungsantrag nach § 69 SGB IX gestellt habe. Das Schreiben ging der Beklagten spätestens am 6. September 2013 zu.

7

Die Beklagte hörte mit Schreiben vom 9. September 2013 den Betriebsrat zu einer weiteren außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung an. Darin führte sie unter anderem aus, der Kläger habe von der Möglichkeit, den gegen ihn bestehenden Verdacht auszuräumen, keinen Gebrauch gemacht, wodurch sie sich in ihrer „Auffassung bestätigt“ sehe, „daß er dieses Fehlverhalten begangen“ habe, jedenfalls habe sich der dahingehende Verdacht bestätigt. Sie habe Zweifel „am Wahrheitsgehalt der Aussage (des Klägers) zur Krankheit und zur Behinderung“. Nach Ablauf der Stellungnahmefrist am 3. September 2013 wisse sie, „dass [er] dem Verdacht nichts entgegensetzen kann oder will“.

8

Nachdem die Beklagte den Feststellungsbescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers erhalten hatte, beantragte sie am 11. September 2013 beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen und ordentlichen Kündigung.

9

Mit Schreiben vom 16. September 2013 hörte die Beklagte den Betriebsrat erneut zu einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung an. Dem Schreiben war das Anhörungsschreiben vom 9. September 2013 als Anlage beigefügt. Der Betriebsrat antwortete nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts „am 19. September 2013“.

10

Ebenfalls am 19. September 2013 fand ein Termin zur mündlichen Anhörung vor dem Integrationsamt statt. Die Beklagte erlangte bei dieser Gelegenheit Kenntnis von der Art und Schwere der Erkrankung des Klägers. Dieser übergab den Vertretern der Beklagten eine 26-seitige Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen.

11

Nachdem das Integrationsamt die beantragten Zustimmungen erteilt hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26. September 2013 erneut außerordentlich und mit Schreiben vom 28. Oktober 2013 hilfsweise ordentlich.

12

Gegen sämtliche Kündigungen hat sich der Kläger rechtzeitig mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen vom 13. August 2013 seien bereits mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamts unwirksam. Ein Kündigungsgrund liege nicht vor. Bei den außerordentlichen Kündigungen sei außerdem die Kündigungserklärungsfrist von zwei Wochen nicht eingehalten. Hinsichtlich der Kündigungen vom 26. September 2013 und vom 28. Oktober 2013 fehle es überdies an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats.

13

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 13. August 2013 aufgelöst wurde;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 26. September 2013 noch durch die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 28. Oktober 2013 aufgelöst wurde.

14

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Die Kündigungen seien ua. wegen Arbeitszeitbetrugs und wegen Tankbetrugs gerechtfertigt, zumindest aber wegen eines entsprechenden Verdachts. Die Kündigungserklärungsfrist für die außerordentlichen Kündigungen sei eingehalten. Bezogen auf die Kündigungen vom 13. August 2013 könne sich der Kläger nicht mit Erfolg auf einen Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch berufen. Sie habe keine Kenntnis von seiner Schwerbehinderung gehabt, sie sei ihr auch nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt worden.

15

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungen vom 13. August 2013 und vom 26. September 2013 als rechtsunwirksam, die Kündigung vom 28. Oktober 2013 hingegen als wirksam angesehen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten der Klage insgesamt stattgegeben sowie den Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte vorrangig die vollständige Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Kündigungen haben das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet.

17

I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die außerordentliche und die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. August 2013 seien gem. § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB nichtig.

18

1. Die Kündigungen bedurften gem. §§ 85, 91 Abs. 1 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Diese lag bei deren Zugang nicht vor. Die Kündigungen verstießen damit gegen ein gesetzliches Verbot iSd. § 134 BGB. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 70 anerkannt (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX). Der Sonderkündigungsschutz ist nicht gem. § 90 Abs. 2a SGB IX ausgeschlossen. Der Kläger hatte mehr als drei Wochen vor Zugang der Kündigung den Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt (§ 90 Abs. 2a iVm. § 69 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX).

19

2. Der Kläger hat das Recht, sich auf den Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch zu berufen, nicht nach § 242 BGB verwirkt.

20

a) Hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten oder wenigstens - wie hier - rechtzeitig einen entsprechenden Antrag beim Versorgungsamt gestellt, steht ihm der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Antragstellung keine Kenntnis hatte (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 16, BAGE 133, 249; 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - Rn. 15). Allerdings unterliegt das Recht des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, der Verwirkung (§ 242 BGB). Diese ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Mit der Verwirkung wird ausgeschlossen, Rechte illoyal verspätet geltend zu machen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn der Gläubiger sich längere Zeit nicht auf seine Rechte berufen hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr wahrnehmen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist. Dies ist mit Blick auf den Sonderkündigungsschutz eines Arbeitnehmers nach §§ 85 ff. SGB IX der Fall, wenn der Arbeitgeber von der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch keine Kenntnis hatte und der Arbeitnehmer sich nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach Zugang der Kündigung gegenüber dem Arbeitgeber auf seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft beruft (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - aaO; 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - Rn. 16).

21

b) Für die Beurteilung der Länge der angemessenen Frist ist § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nicht analog anzuwenden. Der Gesetzgeber hat von der Möglichkeit einer entsprechenden Regelung für die Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft oder einer darauf bezogenen Antragstellung keinen Gebrauch gemacht. Er hat auf den ihm bekannten Konflikt zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an der möglichst schnellen Kenntnis der rechtlichen Voraussetzungen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses und dem des Arbeitnehmers, die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen des besonderen Kündigungsschutzes für schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Menschen nicht zu offenbaren, allein mit der Einfügung von § 90 Abs. 2a SGB IX durch Art. 1 Nr. 21a Buchst. b des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) reagiert. Allerdings konnte der Gesetzgeber bei der mit Wirkung zum 1. Mai 2004 erfolgten Änderung der Voraussetzungen für den Kündigungsausspruch gegenüber schwerbehinderten bzw. diesen gleichgestellten Menschen von der ständigen Senatsrechtsprechung ausgehen, wonach sich der Arbeitnehmer innerhalb einer Regelfrist von einem Monat gegenüber dem Arbeitgeber auf das Feststellungsverfahren oder die Antragstellung berufen muss, weil das Gebot der Rechtssicherheit im Kündigungsrecht eine zeitliche Begrenzung auch bei der Geltendmachung des Kündigungsschutzes durch den Arbeitnehmer erfordert (zuletzt BAG 7. März 2002 - 2 AZR 612/00 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 100, 355). Hat der Arbeitnehmer die Mitteilung unterlassen, ist die Kündigung jedenfalls nicht bereits wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamts unwirksam.

22

c) Als Maßstab für die Rechtzeitigkeit der Geltendmachung ist vielmehr seit der Änderung des Kündigungsschutzgesetzes durch Art. 1 des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) von der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG auszugehen(BAG 24. September 2015 2 AZR 347/14 - Rn. 34, BAGE 153, 1; 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 21, BAGE 133, 249). Binnen dieser Frist muss der Arbeitnehmer entscheiden, ob er gegen die Kündigung vorgehen will. Dieser Zeitraum steht ihm deshalb grundsätzlich auch für die Entscheidung zur Verfügung, ob er sich auf eine dem Arbeitgeber noch nicht bekannte Schwerbehinderteneigenschaft berufen möchte. Hinzuzurechnen ist die Zeitspanne, innerhalb derer er den Zugang der Mitteilung über den bestehenden Sonderkündigungsschutz beim Arbeitgeber zu bewirken hat. Ein Berufen auf den Sonderkündigungsschutz innerhalb dieses Zeitraums ist regelmäßig nicht als illoyal verspätet anzusehen. Hierbei darf es dem Arbeitnehmer auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn er - etwa zu Beweiszwecken - eine schriftliche Information wählt. Mit diesen Grundsätzen ist einerseits keine starre Grenze von drei Wochen, innerhalb derer der Arbeitgeber informiert sein müsste (dafür Gehlhaar NZA 2011, 673, 675 f.), zu vereinbaren. Andererseits kann sich ein Arbeitnehmer, der seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch allein in der bei Gericht eingereichten Klageschrift mitteilt, nicht auf den Rechtsgedanken des § 167 ZPO berufen, wenn die Zustellung außerhalb der für eine unmittelbare Übermittlung an den Arbeitgeber zuzugestehenden Zeitspanne erfolgt(aA Nägele NZA 2010, 1377, 1379).

23

d) Welche Zeitspanne noch als angemessen anzusehen ist, um den Zugang der Information über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für das Eingreifen des besonderen Kündigungsschutzes nach § 85 SGB IX beim Arbeitgeber zu bewirken, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Der Kläger hat den Sonderkündigungsschutz nicht verwirkt. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten hat sie die Mitteilung des Klägers über seine Antragstellung am 6. September 2013, und damit am 22. Tag nach dem Zugang der Kündigung vom 13. August 2013 erhalten. Die Beklagte hatte demnach von den möglicherweise den Sonderkündigungsschutz begründenden Umständen bereits am Tag nach Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis.

24

II. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend die fristlose Kündigung vom 26. September 2013 und die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 28. Oktober 2013 gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG für unwirksam gehalten.

25

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine Kündigung ist dabei nach Satz 3 nicht erst unwirksam, wenn eine Unterrichtung ganz unterblieben ist, sondern schon dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 773/10 - Rn. 30; 22. September 1994 - 2 AZR 31/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 78, 39). Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 14, BAGE 152, 118; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 22).

26

a) Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist deshalb grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er dem Betriebsrat bewusst einen solchen irreführenden Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 15 f., BAGE 152, 118; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 14).

27

b) Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - Rn. 19, BAGE 152, 118; 23. Oktober 2014 - 2 AZR 736/13 - Rn. 15). In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung - ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers - auch objektiv, dh. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert (BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 15/15 - aaO).

28

2. Es kann dahinstehen, ob das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, die Beklagte habe das Ergebnis eines von ihr intern durchgeführten Betankungsversuchs dem Betriebsrat unabhängig von ihrer subjektiven Einschätzung schon deshalb mitteilen müssen, weil es objektiv geeignet gewesen sei, den Kläger zu entlasten. Bedenken hiergegen bestehen insofern, als das Landesarbeitsgericht gemeint hat, bei den Bedingungen des Tankversuchs habe es sich um ein „nicht ganz ungewöhnliche(s) Tankverhalten“ gehandelt, ohne dass erkennbar würde, aufgrund welcher Tatsachen es zu dieser Annahme gelangt ist.

29

3. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Anhörung des Betriebsrats nach den der Beklagten anlässlich des Termins beim Integrationsamt am 19. September 2013 bekannt gewordenen Umständen nicht mehr ordnungsgemäß war.

30

a) Das Landesarbeitsgericht hat die mit Schreiben vom 16. September 2013 eingeleitete Anhörung dahin verstanden, die Beklagte werte den Umstand, dass der Kläger keine Stellungnahme abgegeben habe, (zusätzlich) zu seinen Lasten. An ihrer Kündigungsabsicht wolle sie insofern auch deshalb festhalten, weil sie Zweifel daran habe, dass der Kläger tatsächlich erkrankt sei. Diese Würdigung lässt weder einen revisiblen Rechtsfehler erkennen noch hat die Revision eine hiergegen gerichtete Verfahrensrüge nach § 286 Abs. 1 ZPO erhoben.

31

aa) Die Beklagte hat im Berufungsverfahren selbst vorgetragen, dem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat vom 16. September 2013 sei als Anlage ihr Schreiben vom 9. September 2013 beigefügt gewesen. Sie hat sich zwar darauf berufen, dieses habe „keine Rolle mehr gespielt“. Sie hat aber nicht dargelegt, aufgrund welcher Umstände dies für den Betriebsrat erkennbar gewesen sei.

32

bb) Im Schreiben vom 9. September 2013 hatte die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger von der Möglichkeit, den gegen ihn bestehenden Verdacht auszuräumen, keinen Gebrauch gemacht habe. Sie sehe sich dadurch in ihrer „Auffassung bestätigt, daß er dieses Fehlverhalten begangen“ habe, jedenfalls sei der dahingehende Verdacht bestätigt. Sie habe Zweifel „am Wahrheitsgehalt (seiner) Aussage zur Krankheit“. Das darauf bezogene Verständnis des Berufungsgerichts, die Beklagte habe damit dem Betriebsrat die Tatsache, dass der Kläger ihres Erachtens ohne nachvollziehbaren Grund keine Stellungnahme abgegeben hatte, selbst als einen für ihren Kündigungsentschluss relevanten, (zusätzlich) belastenden Umstand mitgeteilt, hält sich im Rahmen einer zulässigen tatrichterlichen Würdigung. Das Landesarbeitsgericht konnte die Ausführungen der Beklagten im Schreiben vom 9. September 2013 auch dahingehend verstehen, dass diese nicht nur auf die Verdachts-, sondern auch auf die Tatkündigung bezogen sein sollten. Dem Anhörungsschreiben vom 16. September 2013 lässt sich nicht entnehmen, die Beklagte habe an ihrer Bewertung nicht mehr festgehalten. In den Vorbemerkungen teilt diese zwar mit, ihr liege zwischenzeitlich der Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers vor. Sie weist aber ausdrücklich weiter darauf hin, ihr seien außer der Anerkennung der Schwerbehinderung „keine neuen wesentlichen Gesichtspunkte … bekannt geworden“.

33

b) Nachdem die Beklagte anlässlich des Termins vor dem Integrationsamt und damit noch vor Zugang der Kündigung Kenntnis davon erlangt hatte, dass der Kläger tatsächlich schwer erkrankt war, und sie nunmehr außerdem seine ausführliche schriftliche Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen erhalten hatte, hätte sie den Betriebsrat auf diese veränderte Sachlage hinweisen und ihre Mitteilung gegenüber dem Gremium ergänzen müssen. Für ihre bisherige negative Bewertung der unterbliebenen Reaktion des Klägers war, nachdem keine Zweifel mehr an der Erkrankung bestanden und auch eine Stellungnahme des Klägers mittlerweile vorlag, die tatsächliche Grundlage entfallen. Die zuvor erfolgte Unterrichtung war nunmehr irreführend. Zwar hielt die Beklagte im Ergebnis an ihrem Kündigungsentschluss fest. Sie musste aber aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Änderung des dem Betriebsrat mitgeteilten Sachverhalts diesem erneut die Möglichkeit zur Stellungnahme eröffnen. Dies gilt selbst dann, wenn das mit Schreiben vom 16. September 2013 eingeleitete Anhörungsverfahren durch eine der Beklagten zugegangene abschließende Stellungnahme des Betriebsrats bereits abgeschlossen gewesen sein sollte. Es lag eine wesentliche Änderung des von der Beklagten selbst bisher als für ihren Kündigungsentschluss maßgeblich dargestellten Sachverhalts vor (zu diesem Erfordernis BAG 20. Januar 2000 - 2 AZR 378/99 - zu B II 2 der Gründe, BAGE 93, 255; 18. Mai 1994 - 2 AZR 626/93 - zu B II 2 a der Gründe).

34

III. Den Auflösungsantrag der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung auf Antrag des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommt nur in Betracht, wenn eine ordentliche Kündigung allein aufgrund ihrer Sozialwidrigkeit und nicht aus anderen Gründen iSv. § 13 Abs. 3 KSchG rechtsunwirksam ist(BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 44; 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 19, BAGE 140, 47). Dies ist aus den vorgenannten Gründen bei den ordentlichen Kündigungen vom 13. August 2013 und vom 28. Oktober 2013 nicht der Fall.

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IV. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Niebler     

        

    Alex    

                 

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)