Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 17. März 2017 - 5 Ta 8/17
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 06.01.2017 wird der Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Schwerin vom 10.11.2016, ausgefertigt am 19.12.2016, aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
- 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen personenbedingten Kündigung, die Entfernung zweier Abmahnungen aus der Personalakte und über die an Wochenenden abzuleistenden Schichtzeiten.
- 2
Der 1969 geborene Kläger schloss am 27.03.1997 mit einer Rechtsvorgängerin der Beklagten zum 01.04.1997 einen Arbeitsvertrag über eine Beschäftigung als Verpackungshelfer. Die Beklagte produziert im Mehrschichtbetrieb verschiedene Brotsorten und beschäftigt rund 450 Arbeitnehmer. Der Kläger ist verheiratet und hat unterhaltspflichtige Kinder. Er ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert. Von 2010 bis 2014 war er Mitglied des Betriebsrats.
- 3
Der Kläger wurde aufgrund eines ärztlichen Attestes zuletzt nur noch in der Frühschicht eingesetzt. Er durfte keine Gegenstände mit einem Gewicht von mehr als 5 kg tragen oder heben. Der Kläger war in den zurückliegenden Jahren mehrfach arbeitsunfähig. Es fanden seit dem Jahr 2009 insgesamt vier Gespräche zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement statt, zuletzt im August 2015.
- 4
Das Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern - Integrationsamt Schwerin - erteilte der Beklagten am 18.04.2016 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers.
- 5
Die Beklagte unterrichtete den Betriebsrat mit Schreiben vom 21.04.2016 zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung noch am selben Tag.
- 6
Unter dem 27.04.2016 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid des Integrationsamtes vom 18.04.2016 ein.
- 7
Mit Schreiben vom 28.04.2016, dem Kläger zugegangen am selben Tag, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.10.2016. Unter demselben Datum mahnte sie den Kläger ab wegen des unerlaubten Kopierens von Firmenunterlagen zum Privatgebrauch am 22.04.2016.
- 8
Mit Schreiben vom 19.08.2016 sprach die Beklagte eine weitere Abmahnung aus, mit der sie dem Kläger vorwarf, am 25.07.2016 von einem Brot ein Stück abgebrochen und gegessen zu haben und damit gegen die Hygienerichtlinien verstoßen zu haben.
- 9
Der Widerspruch des Klägers gegen die Zustimmung des Integrationsamtes wurde am 12.10.2016 zurückgewiesen. Hiergegen reichte der Kläger beim Verwaltungsgericht Klage ein.
- 10
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam und bestreitet die von der Beklagten aufgelisteten Fehlzeiten. Er sei durchaus in der Lage, zeitweise auch schwerere Gegenstände als 5 kg zu bewegen. Es sei von einer positiven Gesundheitsprognose auszugehen. Zudem habe die Beklagte den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört. Die Abmahnungen seien nicht berechtigt. Die Unterlagen habe er für eine Beschwerde beim Betriebsrat kopiert. Er habe kein Brot gegessen, sondern sich nur an dem noch warmen Abfall-Brot die Hände wärmen wollen.
- 11
Die Beklagte meint, die Kündigung sei wirksam. Sie behauptet, dass der Kläger wie folgt gefehlt habe (ohne Fehlzeiten wegen Arbeitsunfällen):
- 12
2013
101 Arbeitstage
2014
132 Arbeitstage
2015
40 Arbeitstage
- 13
Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß unterrichtet worden.
- 14
Das Arbeitsgericht Schwerin hat den Rechtsstreit im Anschluss an die streitige Verhandlung vom 10.11.2016 mit Beschluss vom selben Tag, ausgefertigt am 19.12.2016, gemäß § 148 ZPO bis zur Rechtskraft des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2016 ausgesetzt. Zur Begründung hat es angeführt, dass die Wirksamkeit der Kündigung vom 28.04.2016 nach derzeitiger Beurteilung von der Wirksamkeit der Zustimmung des Integrationsamtes abhängen werde.
- 15
Der Kläger hat gegen diesen, ihm am 23.12.2016 gestellten Beschluss mit Schriftsatz vom 06.01.2017, beim Arbeitsgericht eingegangen am selben Tag, fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 23.01.2017 nicht abgeholfen und hat sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
- 16
Der Kläger meint, das Arbeitsgericht habe den Rechtsstreit zu Unrecht ausgesetzt. In Bestandsschutzverfahren sei eine Aussetzung wegen des Beschleunigungsgrundsatzes regelmäßig ermessensfehlerhaft. Für die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag sei nur erheblich, ob das Integrationsamt die Zustimmung vor Ausspruch der Kündigung erteilt habe, nicht aber, ob die Zustimmung wirksam erteilt sei. Die Anfechtung der Zustimmung habe keine aufschiebende Wirkung. Im Übrigen sei die Kündigung schon aus anderen Gründen unwirksam, da es an einem Kündigungsgrund fehle.
- 17
Die Beklagte hat von einer Stellungnahme abgesehen.
II.
- 18
Die sofortige Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.
- 19
Das Gericht kann nach § 148 ZPO, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreites oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde ausgesetzt wird. Zweck einer Aussetzung ist es, einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern (BAG, Beschluss vom 16. April 2014 - 10 AZB 6/14 - Rn. 5, juris = NJW 2014, 1903). Die Aussetzung führt jedoch zwangsläufig zu einer Verzögerung des Rechtsstreits, die das Recht der Prozessparteien auf eine zeitnahe Entscheidung des Rechtsstreits berührt.
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1. Vorgreiflichkeit
- 21
Eine Aussetzung setzt zunächst voraus, dass die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Die in dem anderen Rechtsstreit oder Verwaltungsverfahren zu treffende Entscheidung muss vorgreiflich sein. Sie muss die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht nur in tatsächlicher Hinsicht (z. B. wegen der gleichen entscheidungserheblichen Rechtsfrage), sondern rechtlich beeinflussen können (BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - VIII ZB 54/11 - Rn. 6, juris = NJW-RR 2012, 575; LAG Hessen, Beschluss vom 29. Februar 2016 - 14 Ta 488/15 - Rn. 15, juris).
- 22
Die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung des Klägers stellt ein Rechtsverhältnis dar. Ob die Zustimmung wirksam erteilt ist, hat die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu entscheiden. Diese Frage ist Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits. Das Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kann rechtlichen Einfluss auf den Kündigungsschutzantrag des Klägers haben, da die Kündigung unwirksam ist, falls die Zustimmung rechtskräftig aufgehoben wird.
- 23
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX). Eine ohne wirksame Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig. Hat das Integrationsamt die erforderliche Zustimmung erteilt, ist dem Arbeitgeber damit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem schwerbehinderten Menschen gestattet. Diese Wirkung des Zustimmungsbescheids entfällt noch nicht, wenn der Widerspruchsausschuss oder das Verwaltungsgericht den Bescheid aufhebt; sie entfällt erst mit der Rechtskraft der Aufhebungsentscheidung (BAG, Urteil vom 23. Mai 2013 - 2 AZR 991/11 - Rn. 19, juris = NJW 2013, 3597). Wird die Zustimmung aber rechtskräftig aufgehoben, führt dies zur Unwirksamkeit der Kündigung.
- 24
2. Ermessen
- 25
Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern - sind insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen (BAG, Beschluss vom 16. April 2014 - 10 AZB 6/14 - Rn. 5, juris = NJW 2014, 1903). Dabei sind der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer (§ 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 198 ff. GVG). In Bestandsstreitigkeiten ist eine Aussetzung wegen der besonderen Prozessförderungspflicht in Kündigungsverfahren (§ 61a Abs. 1 ArbGG) regelmäßig ermessensfehlerhaft (ErfK/Koch, 17. Aufl. 2017, § 9 ArbGG, Rn 3).
- 26
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist hinsichtlich der Ermessensausübung im Beschwerderechtszug nur eingeschränkt überprüfbar (BAG, Beschluss vom 16. April 2014 - 10 AZB 6/14 - Rn. 9, juris = NJW 2014, 1903). Das Beschwerdegericht hat lediglich zu prüfen, ob das Arbeitsgericht den Ermessensspielraum eingehalten, alle wesentlichen Ermessensgesichtspunkte einschließlich gesetzlicher Wertentscheidungen berücksichtigt und den Zweck des Ermessens beachtet hat (vgl. LAG Hessen, Beschluss vom 29. Februar 2016 - 14 Ta 488/15 - Rn. 15, juris; LAG Köln, Beschluss vom 24. September 2013 - 11 Ta 146/13 - Rn. 8, juris). Das Beschwerdegericht ist nicht befugt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des dem Vorgericht eingeräumten Ermessens zu setzen (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 12. August 2016 - 4 Ta 488/16 - Rn. 17, juris).
- 27
Das Arbeitsgericht Schwerin hat zwar den arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgrundsatz berücksichtigt, nicht jedoch die gesetzgeberische Wertung des § 88 Abs. 4 SGB IX. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung keine aufschiebende Wirkung. Die vom Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung entfaltet so lange Wirksamkeit, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist (BAG, Urteil vom 23. Mai 2013 - 2 AZR 991/11 - Rn. 22, juris = NJW 2013, 3597). Nach der Wertung des Gesetzgebers ist es dem Arbeitgeber nicht zumutbar, trotz der erteilten Zustimmung die Entscheidung im verwaltungsrechtlichen Widerspruchs- und Anfechtungsverfahren abzuwarten. Auch das prozessuale Beschleunigungsgebot verlangt, dass die Gerichte für Arbeitssachen bei behördlich erteilter Zustimmung den Kündigungsrechtsstreit der Parteien ohne Rücksicht auf den Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach Maßgabe der einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften entscheiden und - falls es darauf ankommt - erst eine rechtskräftige Versagung der Zustimmung berücksichtigen. Eine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens für die Dauer des Verwaltungsrechtsstreits ist in der Regel nicht angezeigt (BAG, Urteil vom 23. Mai 2013 - 2 AZR 991/11 - Rn. 28, juris = NJW 2013, 3597).
- 28
Es besteht nicht die Gefahr, dass es zu sich widersprechenden rechtskräftigen Entscheidungen kommt. Ist die Kündigungsschutzklage rechtskräftig abgewiesen und wird später die Zustimmung des Integrationsamtes im Widerspruchs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren rechtskräftig aufgehoben, ist das Kündigungsschutzverfahren auf Antrag des Arbeitnehmers in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen (BAG, Urteil vom 23. Mai 2013 - 2 AZR 991/11 - Rn. 24, juris = NJW 2013, 3597).
- 29
Da das Arbeitsgericht Schwerin nach summarischer Würdigung des Parteivortrags davon ausgegangen ist, dass die Wirksamkeit der Kündigung im Wesentlichen nur noch von dem endgültigen Bestand des Zustimmungsbescheides abhängt, kann es den Rechtsstreit entscheiden. Sollte die Zustimmung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren später rechtskräftig aufgehoben werden und die Abweisung des Kündigungsschutzantrages bereits in Rechtskraft erwachsen sein, kann der Kläger das Kündigungsschutzverfahren durch Restitutionsklage wieder aufnehmen.
III.
- 30
Eine Kostenentscheidung entfällt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 - Rn. 12, juris = MDR 2006, 704; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 12. August 2016 - 4 Ta 488/16 - Rn. 33, juris).
- 31
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 78 Satz 2, § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben.
Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 17. März 2017 - 5 Ta 8/17
Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 17. März 2017 - 5 Ta 8/17
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Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 17. März 2017 - 5 Ta 8/17 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).
(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.
Tenor
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1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 29. Januar 2014 - 4 Ta 248/13 (9) - wird zurückgewiesen.
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2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
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3. Der Streitwert wird auf 8.137,02 Euro festgesetzt.
Gründe
- 1
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I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über Annahmeverzugsansprüche der Klägerin für die Monate Juni 2012 bis Mai 2013 in Höhe von 60.000,00 Euro brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 19.314,90 Euro.
- 2
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Die Beklagte hatte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vom 23. April 2012 zum 31. Mai 2012 gekündigt. Mit Urteil vom 5. Dezember 2012 hat das Arbeitsgericht Dresden der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die von der Beklagten eingelegte Berufung ist durch das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 5. April 2013 (- 6 Sa 13/13 -) ohne Zulassung der Revisionsbeschwerde als unzulässig verworfen worden. Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2013 (- 6 Sa 265/13 -) zurück. Die Beklagte erhob daraufhin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts und die Beschlüsse des Sächsischen Landesarbeitsgerichts beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde (- 1 BvR 1954/13 -), über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Beschluss vom 27. September 2013 hat das Arbeitsgericht Dresden den Rechtsstreit auf Antrag der Beklagten gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 29. Januar 2014 diese Entscheidung aufgehoben und den Aussetzungsantrag zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
- 4
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II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht nimmt im Ergebnis zutreffend an, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf die erhobene Verfassungsbeschwerde nicht in Betracht kommt.
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1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Eine Aussetzung muss nur dann erfolgen, wenn sich das Ermessen des Gerichts auf null reduziert hat (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 106, 293). Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern - sind insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 c der Gründe, aaO). Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer(§ 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 198 ff. GVG).
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2. Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des Landesarbeitsgerichts zutrifft, wonach es wegen der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden über die Kündigung bereits an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis, das Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits ist, fehlt.
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a) Das Landesarbeitsgericht nimmt insoweit zutreffend an, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden nach Verwerfung der Berufung der Beklagten als unzulässig (§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 522 Abs. 1 ZPO) und (spätestens) nach der Entscheidung über deren Anhörungsrüge (§ 78a ArbGG) rechtskräftig geworden ist. Hieran ändert die erhobene Verfassungsbeschwerde nichts. Bei ihr handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf, der die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt und die Pflicht des Unterlegenen, das Urteil zu befolgen, nicht beseitigt (BVerfG 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - zu C III 2 a aa der Gründe, BVerfGE 107, 395; 18. Januar 1996 - 1 BvR 2116/94 - zu B der Gründe, BVerfGE 93, 381). Damit steht (zunächst) rechtskräftig fest, dass die Kündigung vom 23. April 2012 unwirksam war.
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b) Kommt allerdings das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der erhobenen Verfassungsbeschwerde zu dem Ergebnis, dass das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde und hebt es die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG auf, stünde die Wirksamkeit der Kündigung erneut im Streit. Deshalb spricht manches dafür, dass trotz des anderen Streitgegenstandes der Verfassungsbeschwerde (vgl. dazu Zuck Das Recht der Verfassungsbeschwerde 4. Aufl. Rn. 19) die Annahme des Bestehens eines vorgreiflichen Rechtsstreits und eine entsprechende Anwendung des § 148 ZPO im Einzelfall nicht ausgeschlossen sind(vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerfG 11. Januar 2000 - 1 BvR 1392/99 - zu II 2 der Gründe; BAG 28. Januar 1988 - 2 AZR 296/87 - zu II 3 a der Gründe; BGH 17. Juli 2013 - IV ZR 150/12 - [jeweils zu anhängigen Verfassungsbeschwerden über ein entscheidungserhebliches Gesetz]; BAG 27. Januar 1998 - 3 AZR 430/96 - zu A der Gründe [zu Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen in Parallelfällen]).
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3. Unabhängig hiervon ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht durfte den Rechtsstreit über die von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsansprüche (§ 615 BGB) nicht aussetzen. Auch unter Berücksichtigung der - was die Ermessensausübung angeht - eingeschränkten Überprüfungskompetenz im Beschwerderechtszug (vgl. dazu BAG 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - Rn. 7 ff.; BGH 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 - Rn. 6) hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts einer Überprüfung nicht stand. Es hat die Grenzen seines Ermessens deutlich überschritten und wesentliche Aspekte verkannt.
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a) Die Vorgreiflichkeit eines Rechtsstreits ist kein Ermessenskriterium, sondern eine Voraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, damit das Ermessen des Gerichts überhaupt eröffnet ist(BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 19, BVerfGK 14, 270).
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b) Führen Parteien einen Rechtsstreit über Entgeltansprüche, die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers vorliegt, kommt eine Aussetzung dieses Rechtsstreits regelmäßig nicht in Betracht. Dem steht der Umstand entgegen, dass der Arbeitnehmer typischerweise auf seine Vergütung angewiesen ist und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen muss, wenn ein Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber besteht. Der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) verbietet in solchen Fällen regelmäßig, eine Aussetzung vorzunehmen (vgl. zB LAG Köln 19. Juni 2006 - 3 Ta 60/06 -; LAG Schleswig-Holstein 24. November 2006 - 2 Ta 268/06 -; Hessisches LAG 3. Juli 2002 - 12 Ta 213/02 -; Thüringer LAG 27. Juni 2001 - 6/9 Ta 160/00 -; Düwell/Lipke/Kloppenburg ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 25; GK-ArbGG/Schütz Stand Dezember 2013 § 55 Rn. 48; GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 55 Rn. 29; Schwab/Weth/Korinth ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 43; vgl. auch BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 20, BVerfGK 14, 270). Für eine ermessensfehlerfreie Aussetzungsentscheidung müssen in einem solchen Fall besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen, die das schützenswerte Interesse des Arbeitnehmers an einer auch vorläufigen Existenzsicherung ausnahmsweise überwiegen (LAG Köln 14. Dezember 1992 - 11 Ta 234/92 -). Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, nämlich den Rechtsstreit über die Vergütung ggf. deutlich zu vereinfachen, kann dabei keine Rolle spielen. Diese Erwägungen gelten erst recht, wenn das zunächst vorgreifliche Verfahren über die Wirksamkeit einer Kündigung rechtskräftig abgeschlossen und lediglich ein außerordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist. Solche besonderen Gründe hat das Arbeitsgericht weder erwogen noch hat die Beklagte diese vorgetragen. Sie hat sich vielmehr ausschließlich auf die Vorgreiflichkeit ihrer Verfassungsbeschwerde berufen. Allein die Gefahr widersprechender Entscheidungen bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde und einem Erfolg der Beklagten im dann fortzusetzenden Kündigungsschutzprozess führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Arbeitgeberin bleibt auch im Fall einer Ablehnung der Aussetzung nicht schutzlos. Sollte es nach einem Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde im Ergebnis zur Abweisung der Kündigungsschutzklage kommen, stünde ihr, falls der Vergütungsklage rechtskräftig stattgegeben worden ist, die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 6 ZPO zur Verfügung(vgl. BAG 7. November 2002 - 2 AZR 297/01 - zu B I 6 der Gründe, BAGE 103, 290; vgl. auch BGH 23. November 2006 - IX ZR 141/04 - zu I 2 b der Gründe). Ob in Fällen, in denen erkennbar eine Überschreitung der 5-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO droht, etwas anderes gilt, kann dahinstehen. Dafür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
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Mikosch
Schmitz-Scholemann
W. Reinfelder
Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.
Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.
Tenor
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1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. Juli 2011 - 7 Sa 1155/09 - aufgehoben.
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2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
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Der Kläger war bei dem Beklagten seit 1992 als Elektriker beschäftigt. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt und war Mitglied des für das Dezernat „Kultur/Umwelt“ gewählten Personalrats.
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Am 24. April 2008 erschien in der örtlichen Presse ein Artikel unter der Überschrift „Chef der Abtei … unter Verdacht - ‚ausgeprägte Selbstbedienungsmentalität’ in der Außenstelle …“. Darin heißt es: „In der Schreinerei sollen Gartenmöbel für den Chef gebaut worden sein, wie der ehemalige Personalvertreter … sagt.“ Auf Befragen des Beklagten räumte der Kläger ein, sich gegenüber dem recherchierenden Journalisten entsprechend geäußert zu haben.
- 4
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Mit Datum vom 23. Mai 2008 beantragte der Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung des Klägers. Diese wurde mit Bescheid vom 6. Juni 2008 erteilt. Am selben Tag kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach Zustimmung von Personalrat und Gesamtpersonalrat außerordentlich fristlos.
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Der Kläger hat rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamts hat er Widerspruch eingelegt. Dieser wurde vom Widerspruchsausschuss zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Mit Urteil vom 24. Juni 2010 hat dieses den Bescheid des Integrationsamts in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen.
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Der Kläger hat die Kündigung für unwirksam gehalten. Seine Auskünfte gegenüber der Presse entsprächen der Wahrheit. Jahrelang seien in der Schreinerei mit Kenntnis und Billigung des Leiters Möbel für Privatzwecke gebaut und verkauft worden. Der Leiter habe durch Mitarbeiter des Beklagten auch die Privatwohnungen von Angehörigen renovieren lassen. Im Übrigen habe es nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts an einem wirksamen Zustimmungsbescheid des Integrationsamts gefehlt.
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Der Kläger hat beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 6. Juni 2008 nicht aufgelöst worden ist.
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Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe haltlose Vorwürfe gegen Vorgesetzte erhoben und diese der Presse zugänglich gemacht. Er habe zudem fünf - unberechtigte - anonyme Anzeigen zu seinen - des Beklagten - Lasten erstattet. Der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts sei inhaltlich nicht zu beanstanden und zu keinem Zeitpunkt rechtskräftig aufgehoben worden.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren zunächst ausgesetzt. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat es das Verfahren fortgeführt und der Klage stattgegeben. Mit seiner vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
- 10
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Mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Januar 2013 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Anfechtungsklage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
- 11
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Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 6. Juni 2008 nicht als unwirksam ansehen. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).
- 12
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A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung eine wirksame Zustimmung des Integrationsamts nicht (mehr) vorgelegen habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die den Zustimmungsbescheid aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig gewesen sei. Sie habe die Wirkung des Bescheids jedenfalls zunächst beseitigt. Eine Fortdauer der Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits sei dem Kläger wegen des im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes nicht zumutbar gewesen. Der Beklagte sei für den Fall eines ihm günstigen Ausgangs des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch die Möglichkeit der Restitutionsklage hinreichend geschützt.
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B. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
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I. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergibt bereits deshalb eine Rechtsverletzung iSv. § 561 ZPO, weil aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts inzwischen rechtskräftig feststeht, dass das Integrationsamt der Kündigung zustimmen durfte. Der Klage kann deshalb jedenfalls mittlerweile nicht (mehr) mit der Begründung stattgegeben werden, ein wirksamer Zustimmungsbescheid habe nicht vorgelegen.
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1. Zwar sind neue Tatsachen in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Abweichendes gilt jedoch, wenn andernfalls ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben wäre (vgl. BAG 16. Mai 2002 - 2 AZR 730/00 - zu B II 2 a cc der Gründe, BAGE 101, 138; 15. Mai 1997 - 2 AZR 43/96 - zu IV der Gründe, BAGE 86, 7). Das Revisionsgericht darf nicht sehenden Auges ein Urteil erlassen, das alsbald durch eine Restitutionsklage wieder beseitigt würde (GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 74 Rn. 117).
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2. So liegt es hier. Würde der Senat die angefochtene Entscheidung mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung, dh. ohne Berücksichtigung des mittlerweile ergangenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts bestätigen, wäre das Verfahren auf Antrag des Beklagten nach § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen.
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II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch ungeachtet dieses nach Abschluss des Berufungsverfahrens eingetretenen Umstands als rechtsfehlerhaft.
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1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Das gilt nach § 91 Abs. 1 SGB IX uneingeschränkt auch für die außerordentliche Kündigung. Eine ohne wirksame Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 14).
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2. Im Streitfall hatte das Integrationsamt die erforderliche Zustimmung vor Abgabe der Kündigungserklärung erteilt. Dem Beklagten war damit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger gestattet. Diese Wirkung des Zustimmungsbescheids ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht - auch nicht vorübergehend - dadurch entfallen, dass das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben hat.
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a) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, die Gerichte für Arbeitssachen seien bezogen auf die Wirksamkeit der Zustimmung an die Entscheidungen von Verwaltung und Verwaltungsgerichten gebunden. Das Gesetz sieht für den Fall der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen eine Aufspaltung des Rechtswegs vor. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zustimmungsbescheids sind danach ausschließlich die Verwaltungsgerichte zuständig. Die Arbeitsgerichte sind nicht befugt, deren Entscheidungen rechtlich zu überprüfen (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 125; GK-SGB IX/Lampe
§ 88 Rn. 103) .
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b) Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht aber angenommen, auch die noch nicht rechtskräftige Aufhebung des Zustimmungsbescheids des Integrationsamts durch ein Verwaltungsgericht entfalte Bindungswirkung im arbeitsgerichtlichen Verfahren.
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aa) Gemäß § 88 Abs. 4 SGB IX haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung - vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit - so lange Wirksamkeit entfaltet, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist (LPK-SGB IX/Düwell 3. Aufl. § 88 Rn. 28; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 80).
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bb) Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids die Kündigung zunächst zu erklären, ist es folglich ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 107; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 45).
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(1) Die Regelung des § 88 Abs. 4 SGB IX will verhindern, dass der Arbeitnehmer durch die Einlegung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für oft längere Zeit auch in den Fällen erzwingen kann, in denen er ohne Zusammenhang mit der Behinderung einen Grund zur Kündigung gegeben hat(BT-Drucks. 7/656, S. 44). Nach der Wertung des Gesetzgebers ist es dem Arbeitgeber bei einmal erteilter Zustimmung nicht zumutbar, für die (weitere) Dauer des verwaltungsrechtlichen Widerspruchs- und Anfechtungsverfahrens von einer Kündigung abzusehen. Etwas anderes gilt erst mit der rechtskräftigen Aufhebung des Zustimmungsbescheids. In diesem Fall wird eine aufgrund der zunächst erteilten Zustimmung ausgesprochene Kündigung rückwirkend unwirksam (BAG 15. Mai 1986 - 2 AZR 497/85 - zu B II 3 b der Gründe). Sollte bis dahin die Kündigungsschutzklage bereits rechtskräftig abgewiesen worden sein, ist das Kündigungsschutzverfahren auf Antrag des Arbeitnehmers in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen(BAG 29. September 2011 - 2 AZR 674/10 - Rn. 33; KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 144; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 22; Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX § 85 Rn. 39a; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 49).
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(2) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts findet in der gesetzlichen Regelung keine Stütze. Zwar schließt § 88 Abs. 4 SGB IX die aufschiebende Wirkung ausdrücklich nur für „Widerspruch und Anfechtungsklage“ aus. Unter der „Anfechtungsklage“ ist jedoch nicht nur der Rechtszug erster Instanz, sondern sind auch die gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelverfahren zu verstehen (Deinert/Neumann/Braasch SGB IX 2. Aufl. § 19 Rn. 244).
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(a) Dieses Verständnis folgt schon aus dem Wortsinn. Die „Anfechtungsklage“ ist nicht bereits mit Ende der ersten Instanz erledigt. Auch im ggf. zweiten und dritten Rechtszug ist weiterhin „Anfechtungsklage“ erhoben, solange sie rechtshängig ist. Dies gilt unabhängig davon, wie die jeweilige Vorinstanz über sie entschieden hat. § 80b VwGO bestätigt diese Lesart. Dort heißt es, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ende nach einer bestimmten Frist, wenn „die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist“. Das impliziert ein Begriffsverständnis, demzufolge ggf. auch im zweiten und dritten Rechtszug noch über „die Anfechtungsklage“ entschieden wird.
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(b) Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gebietet ebenfalls ein solches Verständnis. § 18 Abs. 5 SchwbG sah in seiner bis zum 31. Juli 1986 geltenden Fassung bei der außerordentlichen Kündigung den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von „Rechtsmitteln“ vor. Diese Regelung wurde in § 18 Abs. 4 SchwbG 1986 und später in § 88 Abs. 4 SGB IX mit der Änderung übernommen, dass die aufschiebende Wirkung auch bei einer ordentlichen Kündigung entfallen sollte(vgl. BT-Drucks. 10/3138, S. 21). Dafür, dass der Gesetzgeber mit der zugleich erfolgten Ersetzung des Begriffs „Rechtsmittel“ durch die präzisere Formulierung „Widerspruch und Anfechtungsklage“ eine zeitliche Beschränkung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung auf die Dauer der Anfechtungsklage in erster Instanz beabsichtigt hätte, gibt es keinen Anhaltspunkt.
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(c) Die gegenteilige Ansicht widerspricht überdies Sinn und Zweck der Regelung. Ihr zufolge wären die Gerichte für Arbeitssachen nach einem erstinstanzlichen Erfolg der Anfechtungsklage auch bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes gehalten, auf die Unwirksamkeit der Kündigung zu erkennen. Der Arbeitnehmer könnte damit entgegen der gesetzlichen Intention die vorläufige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erzwingen, obwohl die Kündigung behördlich zugelassen worden und das verwaltungsgerichtliche Anfechtungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Auch wären die Gerichte für Arbeitssachen gezwungen, innerhalb ihres Instanzenzugs selbst bei übereinstimmend angenommenem Vorliegen eines Kündigungsgrundes unterschiedliche Entscheidungen zu treffen, wenn mittlerweile ein Verwaltungsgericht anders als die Behörde und/oder die gerichtliche Vorinstanz geurteilt hätte, ohne dass dessen Entscheidung in Rechtskraft erwachsen wäre. Dies entspricht nicht dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichtszweige und schon aus Kostengründen nicht den wohlverstandenen Interessen der Parteien. Auch das prozessuale Beschleunigungsgebot verlangt danach, dass die Gerichte für Arbeitssachen bei behördlich erteilter Zustimmung zur Kündigung den Kündigungsrechtsstreit der Parteien ohne Rücksicht auf den Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach Maßgabe der einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften entscheiden und - falls es darauf ankommt - erst auf eine rechtskräftige Versagung der Zustimmung Bedacht zu nehmen haben. Dementsprechend ist eine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens für die Dauer des Verwaltungsrechtsstreits in der Regel nicht angezeigt (BAG 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - zu B V der Gründe).
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C. Die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Sie ist nicht entscheidungsreif. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben war. Der Senat kann dies mangels der erforderlichen Feststellungen nicht selbst beurteilen.
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Kreft
Berger
Rinck
Beckerle
Torsten Falke
Tenor
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1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 29. Januar 2014 - 4 Ta 248/13 (9) - wird zurückgewiesen.
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2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
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3. Der Streitwert wird auf 8.137,02 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über Annahmeverzugsansprüche der Klägerin für die Monate Juni 2012 bis Mai 2013 in Höhe von 60.000,00 Euro brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 19.314,90 Euro.
- 2
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Die Beklagte hatte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vom 23. April 2012 zum 31. Mai 2012 gekündigt. Mit Urteil vom 5. Dezember 2012 hat das Arbeitsgericht Dresden der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die von der Beklagten eingelegte Berufung ist durch das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 5. April 2013 (- 6 Sa 13/13 -) ohne Zulassung der Revisionsbeschwerde als unzulässig verworfen worden. Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2013 (- 6 Sa 265/13 -) zurück. Die Beklagte erhob daraufhin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts und die Beschlüsse des Sächsischen Landesarbeitsgerichts beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde (- 1 BvR 1954/13 -), über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Beschluss vom 27. September 2013 hat das Arbeitsgericht Dresden den Rechtsstreit auf Antrag der Beklagten gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 29. Januar 2014 diese Entscheidung aufgehoben und den Aussetzungsantrag zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
- 4
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II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht nimmt im Ergebnis zutreffend an, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf die erhobene Verfassungsbeschwerde nicht in Betracht kommt.
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1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Eine Aussetzung muss nur dann erfolgen, wenn sich das Ermessen des Gerichts auf null reduziert hat (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 106, 293). Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern - sind insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 c der Gründe, aaO). Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer(§ 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 198 ff. GVG).
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2. Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des Landesarbeitsgerichts zutrifft, wonach es wegen der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden über die Kündigung bereits an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis, das Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits ist, fehlt.
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a) Das Landesarbeitsgericht nimmt insoweit zutreffend an, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden nach Verwerfung der Berufung der Beklagten als unzulässig (§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 522 Abs. 1 ZPO) und (spätestens) nach der Entscheidung über deren Anhörungsrüge (§ 78a ArbGG) rechtskräftig geworden ist. Hieran ändert die erhobene Verfassungsbeschwerde nichts. Bei ihr handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf, der die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt und die Pflicht des Unterlegenen, das Urteil zu befolgen, nicht beseitigt (BVerfG 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - zu C III 2 a aa der Gründe, BVerfGE 107, 395; 18. Januar 1996 - 1 BvR 2116/94 - zu B der Gründe, BVerfGE 93, 381). Damit steht (zunächst) rechtskräftig fest, dass die Kündigung vom 23. April 2012 unwirksam war.
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b) Kommt allerdings das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der erhobenen Verfassungsbeschwerde zu dem Ergebnis, dass das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde und hebt es die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG auf, stünde die Wirksamkeit der Kündigung erneut im Streit. Deshalb spricht manches dafür, dass trotz des anderen Streitgegenstandes der Verfassungsbeschwerde (vgl. dazu Zuck Das Recht der Verfassungsbeschwerde 4. Aufl. Rn. 19) die Annahme des Bestehens eines vorgreiflichen Rechtsstreits und eine entsprechende Anwendung des § 148 ZPO im Einzelfall nicht ausgeschlossen sind(vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerfG 11. Januar 2000 - 1 BvR 1392/99 - zu II 2 der Gründe; BAG 28. Januar 1988 - 2 AZR 296/87 - zu II 3 a der Gründe; BGH 17. Juli 2013 - IV ZR 150/12 - [jeweils zu anhängigen Verfassungsbeschwerden über ein entscheidungserhebliches Gesetz]; BAG 27. Januar 1998 - 3 AZR 430/96 - zu A der Gründe [zu Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen in Parallelfällen]).
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3. Unabhängig hiervon ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht durfte den Rechtsstreit über die von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsansprüche (§ 615 BGB) nicht aussetzen. Auch unter Berücksichtigung der - was die Ermessensausübung angeht - eingeschränkten Überprüfungskompetenz im Beschwerderechtszug (vgl. dazu BAG 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - Rn. 7 ff.; BGH 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 - Rn. 6) hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts einer Überprüfung nicht stand. Es hat die Grenzen seines Ermessens deutlich überschritten und wesentliche Aspekte verkannt.
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a) Die Vorgreiflichkeit eines Rechtsstreits ist kein Ermessenskriterium, sondern eine Voraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, damit das Ermessen des Gerichts überhaupt eröffnet ist(BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 19, BVerfGK 14, 270).
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b) Führen Parteien einen Rechtsstreit über Entgeltansprüche, die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers vorliegt, kommt eine Aussetzung dieses Rechtsstreits regelmäßig nicht in Betracht. Dem steht der Umstand entgegen, dass der Arbeitnehmer typischerweise auf seine Vergütung angewiesen ist und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen muss, wenn ein Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber besteht. Der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) verbietet in solchen Fällen regelmäßig, eine Aussetzung vorzunehmen (vgl. zB LAG Köln 19. Juni 2006 - 3 Ta 60/06 -; LAG Schleswig-Holstein 24. November 2006 - 2 Ta 268/06 -; Hessisches LAG 3. Juli 2002 - 12 Ta 213/02 -; Thüringer LAG 27. Juni 2001 - 6/9 Ta 160/00 -; Düwell/Lipke/Kloppenburg ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 25; GK-ArbGG/Schütz Stand Dezember 2013 § 55 Rn. 48; GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 55 Rn. 29; Schwab/Weth/Korinth ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 43; vgl. auch BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 20, BVerfGK 14, 270). Für eine ermessensfehlerfreie Aussetzungsentscheidung müssen in einem solchen Fall besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen, die das schützenswerte Interesse des Arbeitnehmers an einer auch vorläufigen Existenzsicherung ausnahmsweise überwiegen (LAG Köln 14. Dezember 1992 - 11 Ta 234/92 -). Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, nämlich den Rechtsstreit über die Vergütung ggf. deutlich zu vereinfachen, kann dabei keine Rolle spielen. Diese Erwägungen gelten erst recht, wenn das zunächst vorgreifliche Verfahren über die Wirksamkeit einer Kündigung rechtskräftig abgeschlossen und lediglich ein außerordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist. Solche besonderen Gründe hat das Arbeitsgericht weder erwogen noch hat die Beklagte diese vorgetragen. Sie hat sich vielmehr ausschließlich auf die Vorgreiflichkeit ihrer Verfassungsbeschwerde berufen. Allein die Gefahr widersprechender Entscheidungen bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde und einem Erfolg der Beklagten im dann fortzusetzenden Kündigungsschutzprozess führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Arbeitgeberin bleibt auch im Fall einer Ablehnung der Aussetzung nicht schutzlos. Sollte es nach einem Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde im Ergebnis zur Abweisung der Kündigungsschutzklage kommen, stünde ihr, falls der Vergütungsklage rechtskräftig stattgegeben worden ist, die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 6 ZPO zur Verfügung(vgl. BAG 7. November 2002 - 2 AZR 297/01 - zu B I 6 der Gründe, BAGE 103, 290; vgl. auch BGH 23. November 2006 - IX ZR 141/04 - zu I 2 b der Gründe). Ob in Fällen, in denen erkennbar eine Überschreitung der 5-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO droht, etwas anderes gilt, kann dahinstehen. Dafür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
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Mikosch
Schmitz-Scholemann
W. Reinfelder
(1) Das Verfahren ist in allen Rechtszügen zu beschleunigen.
(2) Die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über Zustellungs- und Vollstreckungsbeamte, über die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung, über die Gerichtssprache, über die Wahrnehmung richterlicher Geschäfte durch Referendare und über Beratung und Abstimmung gelten in allen Rechtszügen entsprechend. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landesarbeitsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesarbeitsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Arbeitsgerichtsgesetz tritt.
(3) Die Vorschriften über die Wahrnehmung der Geschäfte bei den ordentlichen Gerichten durch Rechtspfleger gelten in allen Rechtszügen entsprechend. Als Rechtspfleger können nur Beamte bestellt werden, die die Rechtspflegerprüfung oder die Prüfung für den gehobenen Dienst bei der Arbeitsgerichtsbarkeit bestanden haben.
(4) Zeugen und Sachverständige erhalten eine Entschädigung oder Vergütung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz.
(5) Alle mit einem befristeten Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen enthalten die Belehrung über das Rechtsmittel. Soweit ein Rechtsmittel nicht gegeben ist, ist eine entsprechende Belehrung zu erteilen. Die Frist für ein Rechtsmittel beginnt nur, wenn die Partei oder der Beteiligte über das Rechtsmittel und das Gericht, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist, die Anschrift des Gerichts und die einzuhaltende Frist und Form schriftlich belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsmittels nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung der Entscheidung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsmittel nicht gegeben sei; § 234 Abs. 1, 2 und § 236 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung gelten für den Fall höherer Gewalt entsprechend.
(1) Verfahren in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind nach Maßgabe der folgenden Vorschriften vorrangig zu erledigen.
(2) Die Güteverhandlung soll innerhalb von zwei Wochen nach Klageerhebung stattfinden.
(3) Ist die Güteverhandlung erfolglos oder wird das Verfahren nicht in einer sich unmittelbar anschließenden weiteren Verhandlung abgeschlossen, fordert der Vorsitzende den Beklagten auf, binnen einer angemessenen Frist, die mindestens zwei Wochen betragen muß, im einzelnen unter Beweisantritt schriftlich die Klage zu erwidern, wenn der Beklagte noch nicht oder nicht ausreichend auf die Klage erwidert hat.
(4) Der Vorsitzende kann dem Kläger eine angemessene Frist, die mindestens zwei Wochen betragen muß, zur schriftlichen Stellungnahme auf die Klageerwiderung setzen.
(5) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf der nach Absatz 3 oder 4 gesetzten Fristen vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.
(6) Die Parteien sind über die Folgen der Versäumung der nach Absatz 3 oder 4 gesetzten Fristen zu belehren.
Tenor
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1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 29. Januar 2014 - 4 Ta 248/13 (9) - wird zurückgewiesen.
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2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
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3. Der Streitwert wird auf 8.137,02 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über Annahmeverzugsansprüche der Klägerin für die Monate Juni 2012 bis Mai 2013 in Höhe von 60.000,00 Euro brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 19.314,90 Euro.
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Die Beklagte hatte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vom 23. April 2012 zum 31. Mai 2012 gekündigt. Mit Urteil vom 5. Dezember 2012 hat das Arbeitsgericht Dresden der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die von der Beklagten eingelegte Berufung ist durch das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 5. April 2013 (- 6 Sa 13/13 -) ohne Zulassung der Revisionsbeschwerde als unzulässig verworfen worden. Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2013 (- 6 Sa 265/13 -) zurück. Die Beklagte erhob daraufhin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts und die Beschlüsse des Sächsischen Landesarbeitsgerichts beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde (- 1 BvR 1954/13 -), über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Beschluss vom 27. September 2013 hat das Arbeitsgericht Dresden den Rechtsstreit auf Antrag der Beklagten gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 29. Januar 2014 diese Entscheidung aufgehoben und den Aussetzungsantrag zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
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II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht nimmt im Ergebnis zutreffend an, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf die erhobene Verfassungsbeschwerde nicht in Betracht kommt.
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1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Eine Aussetzung muss nur dann erfolgen, wenn sich das Ermessen des Gerichts auf null reduziert hat (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 106, 293). Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern - sind insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 c der Gründe, aaO). Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer(§ 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 198 ff. GVG).
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2. Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des Landesarbeitsgerichts zutrifft, wonach es wegen der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden über die Kündigung bereits an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis, das Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits ist, fehlt.
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a) Das Landesarbeitsgericht nimmt insoweit zutreffend an, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden nach Verwerfung der Berufung der Beklagten als unzulässig (§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 522 Abs. 1 ZPO) und (spätestens) nach der Entscheidung über deren Anhörungsrüge (§ 78a ArbGG) rechtskräftig geworden ist. Hieran ändert die erhobene Verfassungsbeschwerde nichts. Bei ihr handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf, der die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt und die Pflicht des Unterlegenen, das Urteil zu befolgen, nicht beseitigt (BVerfG 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - zu C III 2 a aa der Gründe, BVerfGE 107, 395; 18. Januar 1996 - 1 BvR 2116/94 - zu B der Gründe, BVerfGE 93, 381). Damit steht (zunächst) rechtskräftig fest, dass die Kündigung vom 23. April 2012 unwirksam war.
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b) Kommt allerdings das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der erhobenen Verfassungsbeschwerde zu dem Ergebnis, dass das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde und hebt es die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG auf, stünde die Wirksamkeit der Kündigung erneut im Streit. Deshalb spricht manches dafür, dass trotz des anderen Streitgegenstandes der Verfassungsbeschwerde (vgl. dazu Zuck Das Recht der Verfassungsbeschwerde 4. Aufl. Rn. 19) die Annahme des Bestehens eines vorgreiflichen Rechtsstreits und eine entsprechende Anwendung des § 148 ZPO im Einzelfall nicht ausgeschlossen sind(vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerfG 11. Januar 2000 - 1 BvR 1392/99 - zu II 2 der Gründe; BAG 28. Januar 1988 - 2 AZR 296/87 - zu II 3 a der Gründe; BGH 17. Juli 2013 - IV ZR 150/12 - [jeweils zu anhängigen Verfassungsbeschwerden über ein entscheidungserhebliches Gesetz]; BAG 27. Januar 1998 - 3 AZR 430/96 - zu A der Gründe [zu Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen in Parallelfällen]).
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3. Unabhängig hiervon ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht durfte den Rechtsstreit über die von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsansprüche (§ 615 BGB) nicht aussetzen. Auch unter Berücksichtigung der - was die Ermessensausübung angeht - eingeschränkten Überprüfungskompetenz im Beschwerderechtszug (vgl. dazu BAG 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - Rn. 7 ff.; BGH 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 - Rn. 6) hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts einer Überprüfung nicht stand. Es hat die Grenzen seines Ermessens deutlich überschritten und wesentliche Aspekte verkannt.
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a) Die Vorgreiflichkeit eines Rechtsstreits ist kein Ermessenskriterium, sondern eine Voraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, damit das Ermessen des Gerichts überhaupt eröffnet ist(BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 19, BVerfGK 14, 270).
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b) Führen Parteien einen Rechtsstreit über Entgeltansprüche, die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers vorliegt, kommt eine Aussetzung dieses Rechtsstreits regelmäßig nicht in Betracht. Dem steht der Umstand entgegen, dass der Arbeitnehmer typischerweise auf seine Vergütung angewiesen ist und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen muss, wenn ein Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber besteht. Der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) verbietet in solchen Fällen regelmäßig, eine Aussetzung vorzunehmen (vgl. zB LAG Köln 19. Juni 2006 - 3 Ta 60/06 -; LAG Schleswig-Holstein 24. November 2006 - 2 Ta 268/06 -; Hessisches LAG 3. Juli 2002 - 12 Ta 213/02 -; Thüringer LAG 27. Juni 2001 - 6/9 Ta 160/00 -; Düwell/Lipke/Kloppenburg ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 25; GK-ArbGG/Schütz Stand Dezember 2013 § 55 Rn. 48; GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 55 Rn. 29; Schwab/Weth/Korinth ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 43; vgl. auch BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 20, BVerfGK 14, 270). Für eine ermessensfehlerfreie Aussetzungsentscheidung müssen in einem solchen Fall besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen, die das schützenswerte Interesse des Arbeitnehmers an einer auch vorläufigen Existenzsicherung ausnahmsweise überwiegen (LAG Köln 14. Dezember 1992 - 11 Ta 234/92 -). Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, nämlich den Rechtsstreit über die Vergütung ggf. deutlich zu vereinfachen, kann dabei keine Rolle spielen. Diese Erwägungen gelten erst recht, wenn das zunächst vorgreifliche Verfahren über die Wirksamkeit einer Kündigung rechtskräftig abgeschlossen und lediglich ein außerordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist. Solche besonderen Gründe hat das Arbeitsgericht weder erwogen noch hat die Beklagte diese vorgetragen. Sie hat sich vielmehr ausschließlich auf die Vorgreiflichkeit ihrer Verfassungsbeschwerde berufen. Allein die Gefahr widersprechender Entscheidungen bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde und einem Erfolg der Beklagten im dann fortzusetzenden Kündigungsschutzprozess führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Arbeitgeberin bleibt auch im Fall einer Ablehnung der Aussetzung nicht schutzlos. Sollte es nach einem Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde im Ergebnis zur Abweisung der Kündigungsschutzklage kommen, stünde ihr, falls der Vergütungsklage rechtskräftig stattgegeben worden ist, die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 6 ZPO zur Verfügung(vgl. BAG 7. November 2002 - 2 AZR 297/01 - zu B I 6 der Gründe, BAGE 103, 290; vgl. auch BGH 23. November 2006 - IX ZR 141/04 - zu I 2 b der Gründe). Ob in Fällen, in denen erkennbar eine Überschreitung der 5-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO droht, etwas anderes gilt, kann dahinstehen. Dafür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
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Mikosch
Schmitz-Scholemann
W. Reinfelder
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1, 2, 3 und 6 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.06.2016 - 6 BV 206/15 - wird zurückgewiesen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl der Delegierten zur Wahl des Aufsichtsrats des zu 5) beteiligten Versicherungsunternehmens am 22.04.2015 sowie der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Delegierten am 19.05.2015. Die Beteiligten zu 1) bis 3) sind wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 5). Die Beteiligte zu 6), die Vereinigung "Neue B. Gewerkschaft (O.) e.V.", reichte unter dem 02.02.2015 einen Wahlvorschlag zur Aufsichtsratswahl ein (Bl. 30 - 31 d. A.). Mit Schreiben vom 16.02.2015 wies der Unternehmenswahlvorstand den Vorschlag als ungültig zurück, da die Beteiligte zu 6) keine Gewerkschaft sei.
4Mit einem am 04.06.2015 beim Arbeitsgerichts Hamburg eingegangenen Antrag haben die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) daraufhin die Feststellung der Unwirksamkeit der vorgenannten Wahlen beantragt.
5Das Landesarbeitsgericht Hessen stellte mit Beschluss vom 09.04.2015 - 9 TaBV 225/14 - in einem Verfahren nach § 97 Abs. 2 ArbGG fest, dass die O. keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG sei. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 17.11.2015 - 1 ABN 39/15 - zurück. Nachfolgend legte die O. Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des hessischen Landesarbeitsgerichts ein (1 BvR 1/16). Über die Verfassungsbeschwerde ist bislang eine Entscheidung nicht ergangen.
6Mit Schriftsatz vom 22.12.2015 (Bl. 372 d. A.) haben die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) beantragt,
7das vorliegende Verfahren vorläufig bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Annahme der Verfassungsbeschwerde bzw. über die Verfassungsbeschwerde selbst auszusetzen.
8Mit Beschluss vom 16.06.2016 (Bl. 629 d. A.) hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Aussetzung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es auf Entscheidungen in einem Parallelrechtsstreit Bezug genommen (14 BV 160/15 Arbeitsgericht Düsseldorf und 3 Ta 63/16 Landesarbeitsgericht Düsseldorf, versehentlich mit 4 Ta 63/16 bezeichnet). Der Beschluss wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 16.06.2016 in der mündlichen Verhandlung verkündet und mitsamt Begründung und Rechtsmittelbelehrung in das Protokoll aufgenommen. Das Protokoll ist dem Prozessbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) am 20.07.2016 zugestellt worden (Bl. 661 d. A.).
9Mit ihrer am 29.07.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde wenden sich die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) gegen die Zurückweisung ihres Aussetzungsantrages. Sie machen insbesondere geltend, die bloße Bezugnahme des Arbeitsgerichts auf Entscheidungen in einem Parallelrechtsstreit könne die Zurückweisung des Aussetzungsantrages nicht begründen. Es sei nicht erkennbar, inwieweit das Arbeitsgericht das ihm zustehende Ermessen nach § 148 ZPO selbst ausgeübt habe. Ungeachtet dessen sei in den vom Arbeitsgericht angeführten Entscheidungen aus dem Parallelverfahren unberücksichtigt gelassen, dass es im vorliegenden Rechtsstreit um eine grundrechtsrelevante Entscheidung über den Bestand einer Gewerkschaft gehe. Deren Status könne nicht nachfolgend im Falle einer für sie positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und der Erhebung einer Restitutionsklage einfach "wiederhergestellt" werden. Ungeachtet dessen stünde bereits heute und unabhängig vom Ausgang der Verfassungsbeschwerde fest, dass die streitigen Unternehmenswahlen rechtsunwirksam seien. Denn der Wahlvorstand habe ohne jede intensive Prüfung und Anhörung bereits am 16.02.2015 und damit vor der Entscheidung des hessischen Landesarbeitsgerichts (09.04.2015) oder des Bundesarbeitsgerichts (17.11.2015) rechtswidrig den Wahlvorschlag der zu 6) beteiligten O. zurückgewiesen. Aus diesem Grund könne eine spätere Entscheidung über die Tariffähigkeit über die Beteiligte zu 6) gar nicht mehr "rückwirkend" auf die Wahl durchschlagen. Die Wahl sei bereits endgültig unwirksam.
10Mit Beschluss vom 01.08.2016 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es sich die Ermessensentscheidung der 14. Kammer im Parallelverfahren zu eigen gemacht (14 BV 160/15 Arbeitsgericht Düsseldorf) und ergänzend darauf hingewiesen, eine Aussetzung des Verfahrens scheide erst recht aus, wenn - wie in der Beschwerdebegründung - die Vorgreiflichkeit der Verfassungsbeschwerde verneint würde.
11II.
12Die vom Arbeitsgericht der Beschwerdekammer am 05.08.2016 vorgelegte sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 78 ArbGG, 252, 567 ZPO), aber unbegründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist beschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
131.Eine Aussetzung gem. § 97 Abs. 5 ArbGG, die gegenüber der Aussetzung nach § 148 ZPO vorgreiflich ist (lex specialis), kommt nicht in Betracht.
14a.Gem. § 97 Abs. 5 ArbGG hat das Gericht - ohne Ermessen - ein Verfahren bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits unter anderem davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig ist. Gem. § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für die Entscheidung über die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung. Ein solches Beschlussverfahren ist im Sinne von § 97 Abs. 5 ArbGG "erledigt", wenn das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG zurückgewiesen hat. In diesem Fall tritt formelle Rechtskraft ein, das Verfahren ist beendet. Die Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG greift nicht mehr ein. Das Beschlussverfahren wird auch durch den außerordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde nicht verlängert. Es ist - vorbehaltlich einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht - zunächst formell rechtskräftig beendet (BAG 16.04.2014 - 10 AZB 6/14, NJW 2014, 1903, Rn 7 mwN).
15Das Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht 9 TaBV 225/14 war zwar ein solches nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG. Es ging um die Eigenschaft der O. als tariffähige Gewerkschaft. Doch war das Verfahren nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das Bundesarbeitsgericht am 17.11.2015 rechtskräftig beendet.
16b.Eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 5 ArbGG im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde scheidet nach Auffassung der Beschwerdekammer aus.
17Allerdings wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 148 ZPO eine entsprechende Anwendung auf Verfassungsbeschwerden im Einzelfall für möglich gehalten (vgl. die Nachweise in BAG 16.04.2016, aaO, Rn 8). Dies kann jedoch nicht auf die Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG übertragen werden. Hier besteht kein Ermessen, das den Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen könnte, sondern eine zwingende Aussetzungspflicht. Mit dieser verträgt sich eine analoge Anwendung "im Einzelfall" nicht.
182.Nach rechtskräftiger Beendigung des Beschlussverfahrens nach § 97 Abs. 2 ArbGG dürfte § 97 Abs. 5 ArbGG einer Anwendung von § 148 ZPO grundsätzlich nicht mehr entgegenstehen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, das Verfahren nicht in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO auszusetzen, ist beschwerderechtlich aber jedenfalls nicht zu beanstanden.
19a.Gem. § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Rechtsstreits auszusetzen ist. Die Vorschrift ist trotz der fehlenden Verweisung in § 80 Abs. 2 ArbGG auch im Beschlussverfahren anzuwenden (vgl. LAG Düsseldorf 15.11.1974 - 16 TaBV 23/74, EzA § 148 ZPO Nr. 1; Germelmann/Matthes/Spinner, ArbGG, 8. Aufl., § 80 Rn 43 mwN).
20Der Umstand, dass dem Erstgericht auf der Rechtsfolgenseite des § 148 ZPO ein Ermessen eingeräumt ist und es sich hier nicht nur um einen rechtlich gebundenen Beurteilungsspielraum handelt, wie er oft bei Prüfungen auf der Rechtsvoraussetzungsseite der Norm vorliegt, hat Auswirkung auf die Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts. Das Beschwerdegericht hat den Entscheidungsspielraum des Erstgerichts zu achten (MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 252 Rn 26). Der Prüfung des Beschwerdegerichts unterliegt lediglich, ob das Erstgericht die Grenzen des ihm durch § 148 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens bei der Anordnung der Aussetzung überschritten hat (OLG Düsseldorf - 2 W 26/84, NJW 1985, 1966). Es hat die angegriffene Entscheidung zunächst nur auf etwaigen Missbrauch des Ermessens zu überprüfen (Musielak, ZPO, 3. Aufl., Rn 4 zu § 252), das heißt darauf, ob sich das Erstgericht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte in seine Entscheidung einbezogen hat (Dahlem/Wiesner, NZA-RR 2001, 173). Solange dies nicht der Fall ist, fehlt dem Beschwerdegericht die Befugnis, sein Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessens zu setzen (OLG Düsseldorf, NJW 85, 1967). Da der Ermessensspielraum des § 148 ZPO weit ist, wird ein Entscheidungsfehlgebrauch nur in besonderen Ausnahmefällen vorliegen (OLG Düsseldorf, aaO). Voll überprüfbar ist dagegen, ob die tatbestandliche Voraussetzung für eine Aussetzung, nämlich eine Vorgreiflichkeit, vorliegt (LAG Nürnberg 27.02.2003 - 7 Ta 13/03, Rn. 8, juris).
21Bei Anlegung dieser Maßstäbe spricht viel dafür, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Vorschrift erfüllt sind (dazu b). Doch hält es sich jedenfalls im Rahmen des dem Arbeitsgericht zustehenden Ermessens, den Rechtsstreit nicht auszusetzen (dazu c).
22b)Das vor dem Bundesverfassungsgericht seit Anfang des Jahres 2016 anhängige Verfahren 1 BVR 1/16 dürfte grundsätzlich in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO für den vorliegenden Rechtsstreit als vorgreiflich angesehen werden können.
23aa)Für das Beschwerdeverfahren nach § 252 ZPO wird unterstellt, dass der Ausgang des Hauptverfahrens von der Eigenschaft der O. als tariffähige Gewerkschaft abhängt. An der Entscheidungserheblichkeit dieser Frage für das Hauptverfahren fehlt es jedenfalls nicht offenkundig.
24Das Arbeitsgericht hat nicht ausgeführt, dass aus seiner Sicht der Ausgang des Rechtsstreits von der Vorfrage abhängt, ob die O. den Status einer tariffähigen Gewerkschaft hat. Dies geht jedenfalls aus der bloßen Inbezugnahme des Arbeitsgerichts auf die Erwägungen der 14. Kammer in dem Parallelrechtsstreit 14 BV 160/15 nicht hervor. Allerdings hat die 14. Kammer eine Aussetzung des Rechtsstreits in Ausübung ihres Ermessens abgelehnt und nicht mangels Abhängigkeit von der anderweitig anhängigen Vorfrage. Ob es im zugrundeliegenden Rechtsstreit darauf ankommt, dass die O. eine tariffähige Gewerkschaft ist, haben das Ausgangsgericht und ggfs. die Rechtsmittelgerichte des Hauptverfahrens zu beurteilen, nicht aber das Beschwerdegericht im Verfahren nach § 252 ZPO (BAG 26.10.2009 - 3 AZR 24/09, NZA 2009, 1436, Rn 9). Eine Ausnahme gilt nur bei offensichtlichem Fehlen der Entscheidungserheblichkeit (BAG 16.10.2009, aaO).
25bb)Es ist unschädlich, dass der Rechtsstreit vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht nicht das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zum Gegenstand hatte, sondern die Feststellung einer Eigenschaft (tariffähige Gewerkschaft).
26Rechtsverhältnis iSv. § 148 ZPO ist ein solches, dessen Bestehen oder Nichtbestehen nach § 256 Abs. 1 ZPO festgestellt werden kann (vgl. Zöller/Greger, aaO, § 148 Rn 5). Danach ist ein Rechtsverhältnis jede durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Das kann sich auch auf bloße einzelne Beziehungen, Ansprüche oder Verpflichtungen und den Umfang einer Leistungspflicht beziehen. Damit können bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses ebenso wie abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht Gegenstand eines Feststellungsantrags im Sinne von § 256 ZPO sein. Etwas anderes gilt aber dann, wenn das Gesetz wie etwa in § 2 a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ArbGG die Möglichkeit der gerichtlichen Klärung rechtlicher Vorfragen ausdrücklich vorsieht (BAG 18.03.2015 - 7 ABR 42/12 - Rn 23, zitiert nach juris, mwN). Eine solche gesetzlich ausdrücklich zugelassene Klage kann in gleicher Weise für den Ausgang eines Rechtsstreits präjudiziell iSv. § 148 ZPO sein wie eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO. Die von § 148 ZPO verfolgten Zwecke der Prozessökonomie und der Entscheidungsharmonie gebieten daher in den spezialgesetzlich zugelassenen sonstigen Feststellungsklagen regelmäßig eine analoge Anwendung.
27cc) Das vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren 1 BVR 1/16 dürfte nach den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO als vorgreiflich angesehen werden können.
28Zwar hat dieses Verfahren nicht unmittelbar die Feststellung der Eigenschaft einer tariffähigen Gewerkschaft zum Gegenstand. Doch betrifft es die Frage einer Grundrechtsverletzung im Verfahren vor dem hessischen Landesarbeitsgericht (9 TaBV 225/14), in dem es um die vorgenannte Feststellung ging. Im Falle des Erfolgs der Verfassungsbeschwerde ist das Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht fortzuführen. Dies gilt unabhängig davon, ob vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) oder etwa die Verfassungswidrigkeit der Verkürzung des Rechtswegs durch § 97 Abs. 2 ArbGG (Art. 19 Abs. 4 GG) geltend gemacht wird.
29c)Die Frage einer entsprechenden Anwendung von § 148 ZPO kann jedoch offen bleiben. Denn die Ablehnung der Aussetzung hält sich jedenfalls im Rahmen des dem Arbeitsgericht gemäß § 148 ZPO eingeräumten Ermessens.
30aa)Die Vorgreiflichkeit selbst ist kein Ermessenskriterium, sondern Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein Ermessen des Gerichts zur Entscheidung über die Aussetzung des Rechtsstreits eröffnet ist (BAG 16.04.2014 - 10 AZB 6/14 - juris; BVerfG 22.09.2008 - 1 BvR 1707/08 -, juris, Rn 19).
31bb)Unter Berücksichtigung der nur eingeschränkten Überprüfungskompetenz des Beschwerdegerichts (vgl. oben unter 2. a.) ist die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens nicht zu beanstanden.
32Das Arbeitsgericht hat weder die Grenzen seines Ermessens überschritten noch wesentliche Ermessensgesichtspunkte nicht beachtet noch ist ihm ein sonstiger Ermessensfehlgebrauch anzulasten. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren 14 BV 160/15 vom 22.01.2013 wie auch auf die weitere Nichtabhilfeentscheidung vom 29.01.2016 (Bl. 459-468 d. A.) hat das Arbeitsgericht die maßgeblichen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen und eine ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen. Es hat sowohl die Gründe der Prozessökonomie und Entscheidungsharmonie, das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG, den Beschleunigungsgrundsatz für arbeitsgerichtliche Verfahren gem. § 9 Abs. 5 ArbGG als auch die Möglichkeit einer Restitutionsklage nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde und Neuverhandlung vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht berücksichtigt.
33Der von den Beschwerdeführern mit der Beschwerde vorgebrachte Gesichtspunkt, dass eine Mobilisierung von Beschäftigten nach einer Restitutionsklage nicht mehr ohne weiteres möglich sei, rechtfertigt die Aussetzung des Verfahrens nicht. Grundsätzlich kann allerdings das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG auch durch nachteilige faktische Auswirkungen für die Handlungsfähigkeit einer Gewerkschaft, die aus einer bestimmten Verfahrensführung des Gerichts folgen, verletzt werden. Dafür haben die Beschwerdeführer jedoch nichts dargetan. Der bloße Hinweis darauf, dass eine Mobilisierung von Arbeitnehmern nicht jederzeit aus dem Stand wiederherstellbar ist, genügt nicht. Die Beschwerdeführer betreiben das Anfechtungsverfahren betreffend die Unternehmenswahlen, dessen Aussetzung sie nunmehr begehren, selbst. Die Liste der O. wurde bei den Wahlen nicht berücksichtigt, die darauf befindlichen Kandidaten wurden offenbar nicht gewählt, zumindest nicht über die Liste. An diesem Zustand würde eine Aussetzung des Verfahrens nichts ändern. Es ist nicht ersichtlich, warum sie einer Mobilisierung von Arbeitnehmern für die O. gleichwohl zuträglich sein soll.
34Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch die nur begrenzte Dauer der Wahlperiode der Unternehmenswahlen von längstens fünf Jahren gemäß §§ 13, 15 MitbestG iVm. mit den für das jeweilige Organ maßgeblichen Bestimmungen (vgl. HWK/Seibt, 7. Aufl., §§ 9 - 18 MitbestG Rn 44). Die Dauer des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ist nicht absehbar. Sie ist nicht auf die Dauer der Wahlperiode im vorliegenden Rechtsstreit ausgerichtet, da es in dem der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht schlechthin um den Status der O. ging. Im Falle des Obsiegens vor dem Bundesverfassungsgericht sowie in dem anschließend fortgesetzten Rechtsstreit vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht könnte bei Aussetzung des vorliegenden Verfahrens betreffend die Unternehmenswahlen ein Restitutionsverfahren dann (mangels Rechtsschutzbedürfnisses) nicht mehr durchgeführt werden, wenn die Wahlperiode abgelaufen ist. In diesem Fall bliebe das Aufsichtsgremium während seiner gesamten Amtszeit ohne Klärung der Rechtswirksamkeit seiner Wahl. Es käme mithin nicht nur zu einer Verfahrensverzögerung, sondern uU zu einer vollständigen Vermeidung einer Entscheidung. Dies spricht gegen eine Aussetzung.
35Die Erwägung der Beschwerdeführer, die Unternehmenswahlen seien bereits unabhängig vom Ausgang der Verfassungsbeschwerde rechtsunwirksam gewesen, weil der Wahlvorstand bereits vor Ergehen der gerichtlichen Entscheidungen über die Tariffähigkeit der O. deren Wahlvorschlag zurückgewiesen habe, rechtfertigt erst recht keine Aussetzung des Verfahrens, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat. In diesem Fall fehlte es bereits an der Vorgreiflichkeit.
36III.
37Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden Teil der Prozesskosten und sind gegebenenfalls bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen (BGH 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704 mwN).
38Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
39Quecke
(1) Die Bundesregierung berichtet den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes einmal in der Legislaturperiode, mindestens jedoch alle vier Jahre, über die Lebenslagen der Menschen mit Behinderungen und der von Behinderung bedrohten Menschen sowie über die Entwicklung ihrer Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft. Die Berichterstattung zu den Lebenslagen umfasst Querschnittsthemen wie Gender Mainstreaming, Migration, Alter, Barrierefreiheit, Diskriminierung, Assistenzbedarf und Armut. Gegenstand des Berichts sind auch Forschungsergebnisse über Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen und der Leistungen der Rehabilitationsträger für die Zielgruppen des Berichts.
(2) Die Verbände der Menschen mit Behinderungen werden an der Weiterentwicklung des Berichtskonzeptes beteiligt.
Tenor
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1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. Juli 2011 - 7 Sa 1155/09 - aufgehoben.
-
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
- 2
-
Der Kläger war bei dem Beklagten seit 1992 als Elektriker beschäftigt. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt und war Mitglied des für das Dezernat „Kultur/Umwelt“ gewählten Personalrats.
- 3
-
Am 24. April 2008 erschien in der örtlichen Presse ein Artikel unter der Überschrift „Chef der Abtei … unter Verdacht - ‚ausgeprägte Selbstbedienungsmentalität’ in der Außenstelle …“. Darin heißt es: „In der Schreinerei sollen Gartenmöbel für den Chef gebaut worden sein, wie der ehemalige Personalvertreter … sagt.“ Auf Befragen des Beklagten räumte der Kläger ein, sich gegenüber dem recherchierenden Journalisten entsprechend geäußert zu haben.
- 4
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Mit Datum vom 23. Mai 2008 beantragte der Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung des Klägers. Diese wurde mit Bescheid vom 6. Juni 2008 erteilt. Am selben Tag kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach Zustimmung von Personalrat und Gesamtpersonalrat außerordentlich fristlos.
- 5
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Der Kläger hat rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamts hat er Widerspruch eingelegt. Dieser wurde vom Widerspruchsausschuss zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Mit Urteil vom 24. Juni 2010 hat dieses den Bescheid des Integrationsamts in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen.
- 6
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Der Kläger hat die Kündigung für unwirksam gehalten. Seine Auskünfte gegenüber der Presse entsprächen der Wahrheit. Jahrelang seien in der Schreinerei mit Kenntnis und Billigung des Leiters Möbel für Privatzwecke gebaut und verkauft worden. Der Leiter habe durch Mitarbeiter des Beklagten auch die Privatwohnungen von Angehörigen renovieren lassen. Im Übrigen habe es nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts an einem wirksamen Zustimmungsbescheid des Integrationsamts gefehlt.
- 7
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Der Kläger hat beantragt
-
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 6. Juni 2008 nicht aufgelöst worden ist.
- 8
-
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe haltlose Vorwürfe gegen Vorgesetzte erhoben und diese der Presse zugänglich gemacht. Er habe zudem fünf - unberechtigte - anonyme Anzeigen zu seinen - des Beklagten - Lasten erstattet. Der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts sei inhaltlich nicht zu beanstanden und zu keinem Zeitpunkt rechtskräftig aufgehoben worden.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren zunächst ausgesetzt. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat es das Verfahren fortgeführt und der Klage stattgegeben. Mit seiner vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
- 10
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Mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Januar 2013 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Anfechtungsklage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
- 11
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Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 6. Juni 2008 nicht als unwirksam ansehen. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).
- 12
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A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung eine wirksame Zustimmung des Integrationsamts nicht (mehr) vorgelegen habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die den Zustimmungsbescheid aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig gewesen sei. Sie habe die Wirkung des Bescheids jedenfalls zunächst beseitigt. Eine Fortdauer der Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits sei dem Kläger wegen des im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes nicht zumutbar gewesen. Der Beklagte sei für den Fall eines ihm günstigen Ausgangs des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch die Möglichkeit der Restitutionsklage hinreichend geschützt.
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B. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
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I. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergibt bereits deshalb eine Rechtsverletzung iSv. § 561 ZPO, weil aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts inzwischen rechtskräftig feststeht, dass das Integrationsamt der Kündigung zustimmen durfte. Der Klage kann deshalb jedenfalls mittlerweile nicht (mehr) mit der Begründung stattgegeben werden, ein wirksamer Zustimmungsbescheid habe nicht vorgelegen.
- 15
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1. Zwar sind neue Tatsachen in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Abweichendes gilt jedoch, wenn andernfalls ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben wäre (vgl. BAG 16. Mai 2002 - 2 AZR 730/00 - zu B II 2 a cc der Gründe, BAGE 101, 138; 15. Mai 1997 - 2 AZR 43/96 - zu IV der Gründe, BAGE 86, 7). Das Revisionsgericht darf nicht sehenden Auges ein Urteil erlassen, das alsbald durch eine Restitutionsklage wieder beseitigt würde (GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 74 Rn. 117).
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2. So liegt es hier. Würde der Senat die angefochtene Entscheidung mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung, dh. ohne Berücksichtigung des mittlerweile ergangenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts bestätigen, wäre das Verfahren auf Antrag des Beklagten nach § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen.
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II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch ungeachtet dieses nach Abschluss des Berufungsverfahrens eingetretenen Umstands als rechtsfehlerhaft.
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1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Das gilt nach § 91 Abs. 1 SGB IX uneingeschränkt auch für die außerordentliche Kündigung. Eine ohne wirksame Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 14).
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2. Im Streitfall hatte das Integrationsamt die erforderliche Zustimmung vor Abgabe der Kündigungserklärung erteilt. Dem Beklagten war damit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger gestattet. Diese Wirkung des Zustimmungsbescheids ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht - auch nicht vorübergehend - dadurch entfallen, dass das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben hat.
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a) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, die Gerichte für Arbeitssachen seien bezogen auf die Wirksamkeit der Zustimmung an die Entscheidungen von Verwaltung und Verwaltungsgerichten gebunden. Das Gesetz sieht für den Fall der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen eine Aufspaltung des Rechtswegs vor. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zustimmungsbescheids sind danach ausschließlich die Verwaltungsgerichte zuständig. Die Arbeitsgerichte sind nicht befugt, deren Entscheidungen rechtlich zu überprüfen (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 125; GK-SGB IX/Lampe
§ 88 Rn. 103) .
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b) Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht aber angenommen, auch die noch nicht rechtskräftige Aufhebung des Zustimmungsbescheids des Integrationsamts durch ein Verwaltungsgericht entfalte Bindungswirkung im arbeitsgerichtlichen Verfahren.
- 22
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aa) Gemäß § 88 Abs. 4 SGB IX haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung - vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit - so lange Wirksamkeit entfaltet, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist (LPK-SGB IX/Düwell 3. Aufl. § 88 Rn. 28; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 80).
- 23
-
bb) Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids die Kündigung zunächst zu erklären, ist es folglich ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 107; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 45).
- 24
-
(1) Die Regelung des § 88 Abs. 4 SGB IX will verhindern, dass der Arbeitnehmer durch die Einlegung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für oft längere Zeit auch in den Fällen erzwingen kann, in denen er ohne Zusammenhang mit der Behinderung einen Grund zur Kündigung gegeben hat(BT-Drucks. 7/656, S. 44). Nach der Wertung des Gesetzgebers ist es dem Arbeitgeber bei einmal erteilter Zustimmung nicht zumutbar, für die (weitere) Dauer des verwaltungsrechtlichen Widerspruchs- und Anfechtungsverfahrens von einer Kündigung abzusehen. Etwas anderes gilt erst mit der rechtskräftigen Aufhebung des Zustimmungsbescheids. In diesem Fall wird eine aufgrund der zunächst erteilten Zustimmung ausgesprochene Kündigung rückwirkend unwirksam (BAG 15. Mai 1986 - 2 AZR 497/85 - zu B II 3 b der Gründe). Sollte bis dahin die Kündigungsschutzklage bereits rechtskräftig abgewiesen worden sein, ist das Kündigungsschutzverfahren auf Antrag des Arbeitnehmers in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen(BAG 29. September 2011 - 2 AZR 674/10 - Rn. 33; KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 144; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 22; Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX § 85 Rn. 39a; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 49).
- 25
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(2) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts findet in der gesetzlichen Regelung keine Stütze. Zwar schließt § 88 Abs. 4 SGB IX die aufschiebende Wirkung ausdrücklich nur für „Widerspruch und Anfechtungsklage“ aus. Unter der „Anfechtungsklage“ ist jedoch nicht nur der Rechtszug erster Instanz, sondern sind auch die gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelverfahren zu verstehen (Deinert/Neumann/Braasch SGB IX 2. Aufl. § 19 Rn. 244).
- 26
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(a) Dieses Verständnis folgt schon aus dem Wortsinn. Die „Anfechtungsklage“ ist nicht bereits mit Ende der ersten Instanz erledigt. Auch im ggf. zweiten und dritten Rechtszug ist weiterhin „Anfechtungsklage“ erhoben, solange sie rechtshängig ist. Dies gilt unabhängig davon, wie die jeweilige Vorinstanz über sie entschieden hat. § 80b VwGO bestätigt diese Lesart. Dort heißt es, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ende nach einer bestimmten Frist, wenn „die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist“. Das impliziert ein Begriffsverständnis, demzufolge ggf. auch im zweiten und dritten Rechtszug noch über „die Anfechtungsklage“ entschieden wird.
- 27
-
(b) Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gebietet ebenfalls ein solches Verständnis. § 18 Abs. 5 SchwbG sah in seiner bis zum 31. Juli 1986 geltenden Fassung bei der außerordentlichen Kündigung den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von „Rechtsmitteln“ vor. Diese Regelung wurde in § 18 Abs. 4 SchwbG 1986 und später in § 88 Abs. 4 SGB IX mit der Änderung übernommen, dass die aufschiebende Wirkung auch bei einer ordentlichen Kündigung entfallen sollte(vgl. BT-Drucks. 10/3138, S. 21). Dafür, dass der Gesetzgeber mit der zugleich erfolgten Ersetzung des Begriffs „Rechtsmittel“ durch die präzisere Formulierung „Widerspruch und Anfechtungsklage“ eine zeitliche Beschränkung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung auf die Dauer der Anfechtungsklage in erster Instanz beabsichtigt hätte, gibt es keinen Anhaltspunkt.
- 28
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(c) Die gegenteilige Ansicht widerspricht überdies Sinn und Zweck der Regelung. Ihr zufolge wären die Gerichte für Arbeitssachen nach einem erstinstanzlichen Erfolg der Anfechtungsklage auch bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes gehalten, auf die Unwirksamkeit der Kündigung zu erkennen. Der Arbeitnehmer könnte damit entgegen der gesetzlichen Intention die vorläufige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erzwingen, obwohl die Kündigung behördlich zugelassen worden und das verwaltungsgerichtliche Anfechtungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Auch wären die Gerichte für Arbeitssachen gezwungen, innerhalb ihres Instanzenzugs selbst bei übereinstimmend angenommenem Vorliegen eines Kündigungsgrundes unterschiedliche Entscheidungen zu treffen, wenn mittlerweile ein Verwaltungsgericht anders als die Behörde und/oder die gerichtliche Vorinstanz geurteilt hätte, ohne dass dessen Entscheidung in Rechtskraft erwachsen wäre. Dies entspricht nicht dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichtszweige und schon aus Kostengründen nicht den wohlverstandenen Interessen der Parteien. Auch das prozessuale Beschleunigungsgebot verlangt danach, dass die Gerichte für Arbeitssachen bei behördlich erteilter Zustimmung zur Kündigung den Kündigungsrechtsstreit der Parteien ohne Rücksicht auf den Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach Maßgabe der einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften entscheiden und - falls es darauf ankommt - erst auf eine rechtskräftige Versagung der Zustimmung Bedacht zu nehmen haben. Dementsprechend ist eine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens für die Dauer des Verwaltungsrechtsstreits in der Regel nicht angezeigt (BAG 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - zu B V der Gründe).
- 29
-
C. Die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Sie ist nicht entscheidungsreif. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben war. Der Senat kann dies mangels der erforderlichen Feststellungen nicht selbst beurteilen.
-
Kreft
Berger
Rinck
Beckerle
Torsten Falke
Die Restitutionsklage findet statt:
- 1.
wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat; - 2.
wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war; - 3.
wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat; - 4.
wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist; - 5.
wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat; - 6.
wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist; - 7.
wenn die Partei - a)
ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder - b)
eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde;
- 8.
wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.
Tenor
-
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. Juli 2011 - 7 Sa 1155/09 - aufgehoben.
-
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
- 2
-
Der Kläger war bei dem Beklagten seit 1992 als Elektriker beschäftigt. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt und war Mitglied des für das Dezernat „Kultur/Umwelt“ gewählten Personalrats.
- 3
-
Am 24. April 2008 erschien in der örtlichen Presse ein Artikel unter der Überschrift „Chef der Abtei … unter Verdacht - ‚ausgeprägte Selbstbedienungsmentalität’ in der Außenstelle …“. Darin heißt es: „In der Schreinerei sollen Gartenmöbel für den Chef gebaut worden sein, wie der ehemalige Personalvertreter … sagt.“ Auf Befragen des Beklagten räumte der Kläger ein, sich gegenüber dem recherchierenden Journalisten entsprechend geäußert zu haben.
- 4
-
Mit Datum vom 23. Mai 2008 beantragte der Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung des Klägers. Diese wurde mit Bescheid vom 6. Juni 2008 erteilt. Am selben Tag kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach Zustimmung von Personalrat und Gesamtpersonalrat außerordentlich fristlos.
- 5
-
Der Kläger hat rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamts hat er Widerspruch eingelegt. Dieser wurde vom Widerspruchsausschuss zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Mit Urteil vom 24. Juni 2010 hat dieses den Bescheid des Integrationsamts in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen.
- 6
-
Der Kläger hat die Kündigung für unwirksam gehalten. Seine Auskünfte gegenüber der Presse entsprächen der Wahrheit. Jahrelang seien in der Schreinerei mit Kenntnis und Billigung des Leiters Möbel für Privatzwecke gebaut und verkauft worden. Der Leiter habe durch Mitarbeiter des Beklagten auch die Privatwohnungen von Angehörigen renovieren lassen. Im Übrigen habe es nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts an einem wirksamen Zustimmungsbescheid des Integrationsamts gefehlt.
- 7
-
Der Kläger hat beantragt
-
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 6. Juni 2008 nicht aufgelöst worden ist.
- 8
-
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe haltlose Vorwürfe gegen Vorgesetzte erhoben und diese der Presse zugänglich gemacht. Er habe zudem fünf - unberechtigte - anonyme Anzeigen zu seinen - des Beklagten - Lasten erstattet. Der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts sei inhaltlich nicht zu beanstanden und zu keinem Zeitpunkt rechtskräftig aufgehoben worden.
- 9
-
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren zunächst ausgesetzt. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat es das Verfahren fortgeführt und der Klage stattgegeben. Mit seiner vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
- 10
-
Mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Januar 2013 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Anfechtungsklage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
- 11
-
Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 6. Juni 2008 nicht als unwirksam ansehen. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).
- 12
-
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung eine wirksame Zustimmung des Integrationsamts nicht (mehr) vorgelegen habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die den Zustimmungsbescheid aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig gewesen sei. Sie habe die Wirkung des Bescheids jedenfalls zunächst beseitigt. Eine Fortdauer der Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits sei dem Kläger wegen des im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes nicht zumutbar gewesen. Der Beklagte sei für den Fall eines ihm günstigen Ausgangs des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch die Möglichkeit der Restitutionsklage hinreichend geschützt.
- 13
-
B. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
- 14
-
I. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergibt bereits deshalb eine Rechtsverletzung iSv. § 561 ZPO, weil aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts inzwischen rechtskräftig feststeht, dass das Integrationsamt der Kündigung zustimmen durfte. Der Klage kann deshalb jedenfalls mittlerweile nicht (mehr) mit der Begründung stattgegeben werden, ein wirksamer Zustimmungsbescheid habe nicht vorgelegen.
- 15
-
1. Zwar sind neue Tatsachen in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Abweichendes gilt jedoch, wenn andernfalls ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben wäre (vgl. BAG 16. Mai 2002 - 2 AZR 730/00 - zu B II 2 a cc der Gründe, BAGE 101, 138; 15. Mai 1997 - 2 AZR 43/96 - zu IV der Gründe, BAGE 86, 7). Das Revisionsgericht darf nicht sehenden Auges ein Urteil erlassen, das alsbald durch eine Restitutionsklage wieder beseitigt würde (GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 74 Rn. 117).
- 16
-
2. So liegt es hier. Würde der Senat die angefochtene Entscheidung mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung, dh. ohne Berücksichtigung des mittlerweile ergangenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts bestätigen, wäre das Verfahren auf Antrag des Beklagten nach § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen.
- 17
-
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch ungeachtet dieses nach Abschluss des Berufungsverfahrens eingetretenen Umstands als rechtsfehlerhaft.
- 18
-
1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Das gilt nach § 91 Abs. 1 SGB IX uneingeschränkt auch für die außerordentliche Kündigung. Eine ohne wirksame Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 14).
- 19
-
2. Im Streitfall hatte das Integrationsamt die erforderliche Zustimmung vor Abgabe der Kündigungserklärung erteilt. Dem Beklagten war damit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger gestattet. Diese Wirkung des Zustimmungsbescheids ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht - auch nicht vorübergehend - dadurch entfallen, dass das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben hat.
- 20
-
a) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, die Gerichte für Arbeitssachen seien bezogen auf die Wirksamkeit der Zustimmung an die Entscheidungen von Verwaltung und Verwaltungsgerichten gebunden. Das Gesetz sieht für den Fall der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen eine Aufspaltung des Rechtswegs vor. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zustimmungsbescheids sind danach ausschließlich die Verwaltungsgerichte zuständig. Die Arbeitsgerichte sind nicht befugt, deren Entscheidungen rechtlich zu überprüfen (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 125; GK-SGB IX/Lampe
§ 88 Rn. 103) .
- 21
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b) Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht aber angenommen, auch die noch nicht rechtskräftige Aufhebung des Zustimmungsbescheids des Integrationsamts durch ein Verwaltungsgericht entfalte Bindungswirkung im arbeitsgerichtlichen Verfahren.
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aa) Gemäß § 88 Abs. 4 SGB IX haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung - vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit - so lange Wirksamkeit entfaltet, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist (LPK-SGB IX/Düwell 3. Aufl. § 88 Rn. 28; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 80).
- 23
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bb) Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids die Kündigung zunächst zu erklären, ist es folglich ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 107; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 45).
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(1) Die Regelung des § 88 Abs. 4 SGB IX will verhindern, dass der Arbeitnehmer durch die Einlegung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für oft längere Zeit auch in den Fällen erzwingen kann, in denen er ohne Zusammenhang mit der Behinderung einen Grund zur Kündigung gegeben hat(BT-Drucks. 7/656, S. 44). Nach der Wertung des Gesetzgebers ist es dem Arbeitgeber bei einmal erteilter Zustimmung nicht zumutbar, für die (weitere) Dauer des verwaltungsrechtlichen Widerspruchs- und Anfechtungsverfahrens von einer Kündigung abzusehen. Etwas anderes gilt erst mit der rechtskräftigen Aufhebung des Zustimmungsbescheids. In diesem Fall wird eine aufgrund der zunächst erteilten Zustimmung ausgesprochene Kündigung rückwirkend unwirksam (BAG 15. Mai 1986 - 2 AZR 497/85 - zu B II 3 b der Gründe). Sollte bis dahin die Kündigungsschutzklage bereits rechtskräftig abgewiesen worden sein, ist das Kündigungsschutzverfahren auf Antrag des Arbeitnehmers in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen(BAG 29. September 2011 - 2 AZR 674/10 - Rn. 33; KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 144; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 22; Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX § 85 Rn. 39a; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 49).
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(2) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts findet in der gesetzlichen Regelung keine Stütze. Zwar schließt § 88 Abs. 4 SGB IX die aufschiebende Wirkung ausdrücklich nur für „Widerspruch und Anfechtungsklage“ aus. Unter der „Anfechtungsklage“ ist jedoch nicht nur der Rechtszug erster Instanz, sondern sind auch die gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelverfahren zu verstehen (Deinert/Neumann/Braasch SGB IX 2. Aufl. § 19 Rn. 244).
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(a) Dieses Verständnis folgt schon aus dem Wortsinn. Die „Anfechtungsklage“ ist nicht bereits mit Ende der ersten Instanz erledigt. Auch im ggf. zweiten und dritten Rechtszug ist weiterhin „Anfechtungsklage“ erhoben, solange sie rechtshängig ist. Dies gilt unabhängig davon, wie die jeweilige Vorinstanz über sie entschieden hat. § 80b VwGO bestätigt diese Lesart. Dort heißt es, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ende nach einer bestimmten Frist, wenn „die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist“. Das impliziert ein Begriffsverständnis, demzufolge ggf. auch im zweiten und dritten Rechtszug noch über „die Anfechtungsklage“ entschieden wird.
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(b) Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gebietet ebenfalls ein solches Verständnis. § 18 Abs. 5 SchwbG sah in seiner bis zum 31. Juli 1986 geltenden Fassung bei der außerordentlichen Kündigung den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von „Rechtsmitteln“ vor. Diese Regelung wurde in § 18 Abs. 4 SchwbG 1986 und später in § 88 Abs. 4 SGB IX mit der Änderung übernommen, dass die aufschiebende Wirkung auch bei einer ordentlichen Kündigung entfallen sollte(vgl. BT-Drucks. 10/3138, S. 21). Dafür, dass der Gesetzgeber mit der zugleich erfolgten Ersetzung des Begriffs „Rechtsmittel“ durch die präzisere Formulierung „Widerspruch und Anfechtungsklage“ eine zeitliche Beschränkung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung auf die Dauer der Anfechtungsklage in erster Instanz beabsichtigt hätte, gibt es keinen Anhaltspunkt.
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(c) Die gegenteilige Ansicht widerspricht überdies Sinn und Zweck der Regelung. Ihr zufolge wären die Gerichte für Arbeitssachen nach einem erstinstanzlichen Erfolg der Anfechtungsklage auch bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes gehalten, auf die Unwirksamkeit der Kündigung zu erkennen. Der Arbeitnehmer könnte damit entgegen der gesetzlichen Intention die vorläufige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erzwingen, obwohl die Kündigung behördlich zugelassen worden und das verwaltungsgerichtliche Anfechtungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Auch wären die Gerichte für Arbeitssachen gezwungen, innerhalb ihres Instanzenzugs selbst bei übereinstimmend angenommenem Vorliegen eines Kündigungsgrundes unterschiedliche Entscheidungen zu treffen, wenn mittlerweile ein Verwaltungsgericht anders als die Behörde und/oder die gerichtliche Vorinstanz geurteilt hätte, ohne dass dessen Entscheidung in Rechtskraft erwachsen wäre. Dies entspricht nicht dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichtszweige und schon aus Kostengründen nicht den wohlverstandenen Interessen der Parteien. Auch das prozessuale Beschleunigungsgebot verlangt danach, dass die Gerichte für Arbeitssachen bei behördlich erteilter Zustimmung zur Kündigung den Kündigungsrechtsstreit der Parteien ohne Rücksicht auf den Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach Maßgabe der einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften entscheiden und - falls es darauf ankommt - erst auf eine rechtskräftige Versagung der Zustimmung Bedacht zu nehmen haben. Dementsprechend ist eine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens für die Dauer des Verwaltungsrechtsstreits in der Regel nicht angezeigt (BAG 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - zu B V der Gründe).
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C. Die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Sie ist nicht entscheidungsreif. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben war. Der Senat kann dies mangels der erforderlichen Feststellungen nicht selbst beurteilen.
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Kreft
Berger
Rinck
Beckerle
Torsten Falke
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1, 2, 3 und 6 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.06.2016 - 6 BV 206/15 - wird zurückgewiesen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl der Delegierten zur Wahl des Aufsichtsrats des zu 5) beteiligten Versicherungsunternehmens am 22.04.2015 sowie der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Delegierten am 19.05.2015. Die Beteiligten zu 1) bis 3) sind wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 5). Die Beteiligte zu 6), die Vereinigung "Neue B. Gewerkschaft (O.) e.V.", reichte unter dem 02.02.2015 einen Wahlvorschlag zur Aufsichtsratswahl ein (Bl. 30 - 31 d. A.). Mit Schreiben vom 16.02.2015 wies der Unternehmenswahlvorstand den Vorschlag als ungültig zurück, da die Beteiligte zu 6) keine Gewerkschaft sei.
4Mit einem am 04.06.2015 beim Arbeitsgerichts Hamburg eingegangenen Antrag haben die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) daraufhin die Feststellung der Unwirksamkeit der vorgenannten Wahlen beantragt.
5Das Landesarbeitsgericht Hessen stellte mit Beschluss vom 09.04.2015 - 9 TaBV 225/14 - in einem Verfahren nach § 97 Abs. 2 ArbGG fest, dass die O. keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG sei. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 17.11.2015 - 1 ABN 39/15 - zurück. Nachfolgend legte die O. Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des hessischen Landesarbeitsgerichts ein (1 BvR 1/16). Über die Verfassungsbeschwerde ist bislang eine Entscheidung nicht ergangen.
6Mit Schriftsatz vom 22.12.2015 (Bl. 372 d. A.) haben die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) beantragt,
7das vorliegende Verfahren vorläufig bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Annahme der Verfassungsbeschwerde bzw. über die Verfassungsbeschwerde selbst auszusetzen.
8Mit Beschluss vom 16.06.2016 (Bl. 629 d. A.) hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Aussetzung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es auf Entscheidungen in einem Parallelrechtsstreit Bezug genommen (14 BV 160/15 Arbeitsgericht Düsseldorf und 3 Ta 63/16 Landesarbeitsgericht Düsseldorf, versehentlich mit 4 Ta 63/16 bezeichnet). Der Beschluss wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 16.06.2016 in der mündlichen Verhandlung verkündet und mitsamt Begründung und Rechtsmittelbelehrung in das Protokoll aufgenommen. Das Protokoll ist dem Prozessbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) am 20.07.2016 zugestellt worden (Bl. 661 d. A.).
9Mit ihrer am 29.07.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde wenden sich die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) gegen die Zurückweisung ihres Aussetzungsantrages. Sie machen insbesondere geltend, die bloße Bezugnahme des Arbeitsgerichts auf Entscheidungen in einem Parallelrechtsstreit könne die Zurückweisung des Aussetzungsantrages nicht begründen. Es sei nicht erkennbar, inwieweit das Arbeitsgericht das ihm zustehende Ermessen nach § 148 ZPO selbst ausgeübt habe. Ungeachtet dessen sei in den vom Arbeitsgericht angeführten Entscheidungen aus dem Parallelverfahren unberücksichtigt gelassen, dass es im vorliegenden Rechtsstreit um eine grundrechtsrelevante Entscheidung über den Bestand einer Gewerkschaft gehe. Deren Status könne nicht nachfolgend im Falle einer für sie positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und der Erhebung einer Restitutionsklage einfach "wiederhergestellt" werden. Ungeachtet dessen stünde bereits heute und unabhängig vom Ausgang der Verfassungsbeschwerde fest, dass die streitigen Unternehmenswahlen rechtsunwirksam seien. Denn der Wahlvorstand habe ohne jede intensive Prüfung und Anhörung bereits am 16.02.2015 und damit vor der Entscheidung des hessischen Landesarbeitsgerichts (09.04.2015) oder des Bundesarbeitsgerichts (17.11.2015) rechtswidrig den Wahlvorschlag der zu 6) beteiligten O. zurückgewiesen. Aus diesem Grund könne eine spätere Entscheidung über die Tariffähigkeit über die Beteiligte zu 6) gar nicht mehr "rückwirkend" auf die Wahl durchschlagen. Die Wahl sei bereits endgültig unwirksam.
10Mit Beschluss vom 01.08.2016 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es sich die Ermessensentscheidung der 14. Kammer im Parallelverfahren zu eigen gemacht (14 BV 160/15 Arbeitsgericht Düsseldorf) und ergänzend darauf hingewiesen, eine Aussetzung des Verfahrens scheide erst recht aus, wenn - wie in der Beschwerdebegründung - die Vorgreiflichkeit der Verfassungsbeschwerde verneint würde.
11II.
12Die vom Arbeitsgericht der Beschwerdekammer am 05.08.2016 vorgelegte sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 78 ArbGG, 252, 567 ZPO), aber unbegründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist beschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
131.Eine Aussetzung gem. § 97 Abs. 5 ArbGG, die gegenüber der Aussetzung nach § 148 ZPO vorgreiflich ist (lex specialis), kommt nicht in Betracht.
14a.Gem. § 97 Abs. 5 ArbGG hat das Gericht - ohne Ermessen - ein Verfahren bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits unter anderem davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig ist. Gem. § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für die Entscheidung über die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung. Ein solches Beschlussverfahren ist im Sinne von § 97 Abs. 5 ArbGG "erledigt", wenn das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG zurückgewiesen hat. In diesem Fall tritt formelle Rechtskraft ein, das Verfahren ist beendet. Die Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG greift nicht mehr ein. Das Beschlussverfahren wird auch durch den außerordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde nicht verlängert. Es ist - vorbehaltlich einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht - zunächst formell rechtskräftig beendet (BAG 16.04.2014 - 10 AZB 6/14, NJW 2014, 1903, Rn 7 mwN).
15Das Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht 9 TaBV 225/14 war zwar ein solches nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG. Es ging um die Eigenschaft der O. als tariffähige Gewerkschaft. Doch war das Verfahren nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das Bundesarbeitsgericht am 17.11.2015 rechtskräftig beendet.
16b.Eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 5 ArbGG im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde scheidet nach Auffassung der Beschwerdekammer aus.
17Allerdings wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 148 ZPO eine entsprechende Anwendung auf Verfassungsbeschwerden im Einzelfall für möglich gehalten (vgl. die Nachweise in BAG 16.04.2016, aaO, Rn 8). Dies kann jedoch nicht auf die Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG übertragen werden. Hier besteht kein Ermessen, das den Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen könnte, sondern eine zwingende Aussetzungspflicht. Mit dieser verträgt sich eine analoge Anwendung "im Einzelfall" nicht.
182.Nach rechtskräftiger Beendigung des Beschlussverfahrens nach § 97 Abs. 2 ArbGG dürfte § 97 Abs. 5 ArbGG einer Anwendung von § 148 ZPO grundsätzlich nicht mehr entgegenstehen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, das Verfahren nicht in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO auszusetzen, ist beschwerderechtlich aber jedenfalls nicht zu beanstanden.
19a.Gem. § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Rechtsstreits auszusetzen ist. Die Vorschrift ist trotz der fehlenden Verweisung in § 80 Abs. 2 ArbGG auch im Beschlussverfahren anzuwenden (vgl. LAG Düsseldorf 15.11.1974 - 16 TaBV 23/74, EzA § 148 ZPO Nr. 1; Germelmann/Matthes/Spinner, ArbGG, 8. Aufl., § 80 Rn 43 mwN).
20Der Umstand, dass dem Erstgericht auf der Rechtsfolgenseite des § 148 ZPO ein Ermessen eingeräumt ist und es sich hier nicht nur um einen rechtlich gebundenen Beurteilungsspielraum handelt, wie er oft bei Prüfungen auf der Rechtsvoraussetzungsseite der Norm vorliegt, hat Auswirkung auf die Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts. Das Beschwerdegericht hat den Entscheidungsspielraum des Erstgerichts zu achten (MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 252 Rn 26). Der Prüfung des Beschwerdegerichts unterliegt lediglich, ob das Erstgericht die Grenzen des ihm durch § 148 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens bei der Anordnung der Aussetzung überschritten hat (OLG Düsseldorf - 2 W 26/84, NJW 1985, 1966). Es hat die angegriffene Entscheidung zunächst nur auf etwaigen Missbrauch des Ermessens zu überprüfen (Musielak, ZPO, 3. Aufl., Rn 4 zu § 252), das heißt darauf, ob sich das Erstgericht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte in seine Entscheidung einbezogen hat (Dahlem/Wiesner, NZA-RR 2001, 173). Solange dies nicht der Fall ist, fehlt dem Beschwerdegericht die Befugnis, sein Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessens zu setzen (OLG Düsseldorf, NJW 85, 1967). Da der Ermessensspielraum des § 148 ZPO weit ist, wird ein Entscheidungsfehlgebrauch nur in besonderen Ausnahmefällen vorliegen (OLG Düsseldorf, aaO). Voll überprüfbar ist dagegen, ob die tatbestandliche Voraussetzung für eine Aussetzung, nämlich eine Vorgreiflichkeit, vorliegt (LAG Nürnberg 27.02.2003 - 7 Ta 13/03, Rn. 8, juris).
21Bei Anlegung dieser Maßstäbe spricht viel dafür, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Vorschrift erfüllt sind (dazu b). Doch hält es sich jedenfalls im Rahmen des dem Arbeitsgericht zustehenden Ermessens, den Rechtsstreit nicht auszusetzen (dazu c).
22b)Das vor dem Bundesverfassungsgericht seit Anfang des Jahres 2016 anhängige Verfahren 1 BVR 1/16 dürfte grundsätzlich in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO für den vorliegenden Rechtsstreit als vorgreiflich angesehen werden können.
23aa)Für das Beschwerdeverfahren nach § 252 ZPO wird unterstellt, dass der Ausgang des Hauptverfahrens von der Eigenschaft der O. als tariffähige Gewerkschaft abhängt. An der Entscheidungserheblichkeit dieser Frage für das Hauptverfahren fehlt es jedenfalls nicht offenkundig.
24Das Arbeitsgericht hat nicht ausgeführt, dass aus seiner Sicht der Ausgang des Rechtsstreits von der Vorfrage abhängt, ob die O. den Status einer tariffähigen Gewerkschaft hat. Dies geht jedenfalls aus der bloßen Inbezugnahme des Arbeitsgerichts auf die Erwägungen der 14. Kammer in dem Parallelrechtsstreit 14 BV 160/15 nicht hervor. Allerdings hat die 14. Kammer eine Aussetzung des Rechtsstreits in Ausübung ihres Ermessens abgelehnt und nicht mangels Abhängigkeit von der anderweitig anhängigen Vorfrage. Ob es im zugrundeliegenden Rechtsstreit darauf ankommt, dass die O. eine tariffähige Gewerkschaft ist, haben das Ausgangsgericht und ggfs. die Rechtsmittelgerichte des Hauptverfahrens zu beurteilen, nicht aber das Beschwerdegericht im Verfahren nach § 252 ZPO (BAG 26.10.2009 - 3 AZR 24/09, NZA 2009, 1436, Rn 9). Eine Ausnahme gilt nur bei offensichtlichem Fehlen der Entscheidungserheblichkeit (BAG 16.10.2009, aaO).
25bb)Es ist unschädlich, dass der Rechtsstreit vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht nicht das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zum Gegenstand hatte, sondern die Feststellung einer Eigenschaft (tariffähige Gewerkschaft).
26Rechtsverhältnis iSv. § 148 ZPO ist ein solches, dessen Bestehen oder Nichtbestehen nach § 256 Abs. 1 ZPO festgestellt werden kann (vgl. Zöller/Greger, aaO, § 148 Rn 5). Danach ist ein Rechtsverhältnis jede durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Das kann sich auch auf bloße einzelne Beziehungen, Ansprüche oder Verpflichtungen und den Umfang einer Leistungspflicht beziehen. Damit können bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses ebenso wie abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht Gegenstand eines Feststellungsantrags im Sinne von § 256 ZPO sein. Etwas anderes gilt aber dann, wenn das Gesetz wie etwa in § 2 a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ArbGG die Möglichkeit der gerichtlichen Klärung rechtlicher Vorfragen ausdrücklich vorsieht (BAG 18.03.2015 - 7 ABR 42/12 - Rn 23, zitiert nach juris, mwN). Eine solche gesetzlich ausdrücklich zugelassene Klage kann in gleicher Weise für den Ausgang eines Rechtsstreits präjudiziell iSv. § 148 ZPO sein wie eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO. Die von § 148 ZPO verfolgten Zwecke der Prozessökonomie und der Entscheidungsharmonie gebieten daher in den spezialgesetzlich zugelassenen sonstigen Feststellungsklagen regelmäßig eine analoge Anwendung.
27cc) Das vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren 1 BVR 1/16 dürfte nach den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO als vorgreiflich angesehen werden können.
28Zwar hat dieses Verfahren nicht unmittelbar die Feststellung der Eigenschaft einer tariffähigen Gewerkschaft zum Gegenstand. Doch betrifft es die Frage einer Grundrechtsverletzung im Verfahren vor dem hessischen Landesarbeitsgericht (9 TaBV 225/14), in dem es um die vorgenannte Feststellung ging. Im Falle des Erfolgs der Verfassungsbeschwerde ist das Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht fortzuführen. Dies gilt unabhängig davon, ob vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) oder etwa die Verfassungswidrigkeit der Verkürzung des Rechtswegs durch § 97 Abs. 2 ArbGG (Art. 19 Abs. 4 GG) geltend gemacht wird.
29c)Die Frage einer entsprechenden Anwendung von § 148 ZPO kann jedoch offen bleiben. Denn die Ablehnung der Aussetzung hält sich jedenfalls im Rahmen des dem Arbeitsgericht gemäß § 148 ZPO eingeräumten Ermessens.
30aa)Die Vorgreiflichkeit selbst ist kein Ermessenskriterium, sondern Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein Ermessen des Gerichts zur Entscheidung über die Aussetzung des Rechtsstreits eröffnet ist (BAG 16.04.2014 - 10 AZB 6/14 - juris; BVerfG 22.09.2008 - 1 BvR 1707/08 -, juris, Rn 19).
31bb)Unter Berücksichtigung der nur eingeschränkten Überprüfungskompetenz des Beschwerdegerichts (vgl. oben unter 2. a.) ist die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens nicht zu beanstanden.
32Das Arbeitsgericht hat weder die Grenzen seines Ermessens überschritten noch wesentliche Ermessensgesichtspunkte nicht beachtet noch ist ihm ein sonstiger Ermessensfehlgebrauch anzulasten. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren 14 BV 160/15 vom 22.01.2013 wie auch auf die weitere Nichtabhilfeentscheidung vom 29.01.2016 (Bl. 459-468 d. A.) hat das Arbeitsgericht die maßgeblichen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen und eine ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen. Es hat sowohl die Gründe der Prozessökonomie und Entscheidungsharmonie, das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG, den Beschleunigungsgrundsatz für arbeitsgerichtliche Verfahren gem. § 9 Abs. 5 ArbGG als auch die Möglichkeit einer Restitutionsklage nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde und Neuverhandlung vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht berücksichtigt.
33Der von den Beschwerdeführern mit der Beschwerde vorgebrachte Gesichtspunkt, dass eine Mobilisierung von Beschäftigten nach einer Restitutionsklage nicht mehr ohne weiteres möglich sei, rechtfertigt die Aussetzung des Verfahrens nicht. Grundsätzlich kann allerdings das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG auch durch nachteilige faktische Auswirkungen für die Handlungsfähigkeit einer Gewerkschaft, die aus einer bestimmten Verfahrensführung des Gerichts folgen, verletzt werden. Dafür haben die Beschwerdeführer jedoch nichts dargetan. Der bloße Hinweis darauf, dass eine Mobilisierung von Arbeitnehmern nicht jederzeit aus dem Stand wiederherstellbar ist, genügt nicht. Die Beschwerdeführer betreiben das Anfechtungsverfahren betreffend die Unternehmenswahlen, dessen Aussetzung sie nunmehr begehren, selbst. Die Liste der O. wurde bei den Wahlen nicht berücksichtigt, die darauf befindlichen Kandidaten wurden offenbar nicht gewählt, zumindest nicht über die Liste. An diesem Zustand würde eine Aussetzung des Verfahrens nichts ändern. Es ist nicht ersichtlich, warum sie einer Mobilisierung von Arbeitnehmern für die O. gleichwohl zuträglich sein soll.
34Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch die nur begrenzte Dauer der Wahlperiode der Unternehmenswahlen von längstens fünf Jahren gemäß §§ 13, 15 MitbestG iVm. mit den für das jeweilige Organ maßgeblichen Bestimmungen (vgl. HWK/Seibt, 7. Aufl., §§ 9 - 18 MitbestG Rn 44). Die Dauer des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ist nicht absehbar. Sie ist nicht auf die Dauer der Wahlperiode im vorliegenden Rechtsstreit ausgerichtet, da es in dem der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht schlechthin um den Status der O. ging. Im Falle des Obsiegens vor dem Bundesverfassungsgericht sowie in dem anschließend fortgesetzten Rechtsstreit vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht könnte bei Aussetzung des vorliegenden Verfahrens betreffend die Unternehmenswahlen ein Restitutionsverfahren dann (mangels Rechtsschutzbedürfnisses) nicht mehr durchgeführt werden, wenn die Wahlperiode abgelaufen ist. In diesem Fall bliebe das Aufsichtsgremium während seiner gesamten Amtszeit ohne Klärung der Rechtswirksamkeit seiner Wahl. Es käme mithin nicht nur zu einer Verfahrensverzögerung, sondern uU zu einer vollständigen Vermeidung einer Entscheidung. Dies spricht gegen eine Aussetzung.
35Die Erwägung der Beschwerdeführer, die Unternehmenswahlen seien bereits unabhängig vom Ausgang der Verfassungsbeschwerde rechtsunwirksam gewesen, weil der Wahlvorstand bereits vor Ergehen der gerichtlichen Entscheidungen über die Tariffähigkeit der O. deren Wahlvorschlag zurückgewiesen habe, rechtfertigt erst recht keine Aussetzung des Verfahrens, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat. In diesem Fall fehlte es bereits an der Vorgreiflichkeit.
36III.
37Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden Teil der Prozesskosten und sind gegebenenfalls bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen (BGH 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704 mwN).
38Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
39Quecke
Hinsichtlich der Beschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte oder ihrer Vorsitzenden gelten die für die Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte maßgebenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gilt § 72 Abs. 2 entsprechend. Über die sofortige Beschwerde entscheidet das Landesarbeitsgericht ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, über die Rechtsbeschwerde das Bundesarbeitsgericht.
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.