Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 24. Jan. 2017 - 8 Sa 353/16

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2017:0124.8SA353.16.0A
bei uns veröffentlicht am24.01.2017

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau - vom 28.06.2016 - Az: 6 Ca 928/15 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

In dem vorliegenden Rechtsstreit streiten die Parteien in der Berufungsinstanz über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages.

2

Der 60-jährige, verheiratete Kläger war seit dem 01.04.1981 bei den Wasserwerken L. beschäftigt. Seit 1983 war der Kläger zudem Mitglied des Personalrats. Seit dem 01.07.2009 war der Kläger als Wassermeister für den technischen Bereich des Wasserwerks verantwortlich, wozu auch die Veranlassung der Beschaffung von Geräten und Werkzeugen für den Betrieb sowie die Quittierung der Lieferung/des Empfangs gehörte. Er erhielt zuletzt ein durchschnittliches Bruttomonats-entgelt von 5.000,00 EUR.

3

Während des Jahresurlaubes des Klägers in der Zeit vom 03.08.2015 bis 21.08.2015 begab sich der Vertreter des Klägers am 11.08.2015 zu der Firma R. in S., um dort den Freischneider der Marke Solo Typ 154 Baujahr 2010 reparieren zu lassen. Im Zuge dessen stellte sich heraus, dass der Kläger für die Beklagte zwei Freischneider der Marke Solo, gleichen Typs, nur mit unterschiedlichem Baujahren (2010 und 2013) bei der Firma R. in S. angeschafft und den mit Baujahr 2013 im April 2015 für 291,38 EUR netto reparieren lassen hatte. Ein Freischneider diesen Typs der Marke Solo aus dem Jahr 2013 war jedoch nicht im Bestand des Wasserwerkes vorhanden. Gleiches galt für einen Freischneider des Herstellers Stihl Typ SF510CEM (836,13 EUR netto), der von der Firma S. in I. im November 2013 angeschafft und dessen Empfang vom Kläger quittiert wurde. Zudem erklärten die Mitarbeiter des Wasserwerks schriftlich am 18.08.2015, dass es nur 3 Motorsensen im Bauhof gebe und sie noch nie eine zweite Solo-Sense in der Werkshalle gesehen haben und schon immer nur eine in Nutzung gewesen sei. Gleichfalls erklärten sie, dass es außer der einen Solo-Sense nur ein große, neue und eine sehr alte, kleinere STIHL-Motorsense nicht hingegen eine dritte, neue STIHL-Motorsense gab.

4

Nach der weiteren anschließenden Recherche der Beklagten unter Durchsicht aller Rechnungsbelege für Geräte- und Werkzeugbeschaffungen seit dem Jahr 2009 ergab sich insgesamt der nachfolgende Fehlbestand von Geräten und Werkzeugen, deren Beschaffung der Kläger veranlasst und deren Empfang mit Unterschrift bestätigt hatte:

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Gerät 

Hersteller/Typ

Lieferfirma

Rechnungs-
Datum

Betrag

1 Stromerzeuger

Mosa, GE7000

B. Baumaschinen

13.11.2012

1.179,00 €

1 Freischneider

Stihl, FS510 CEM

Landtechnik S.

27.11.2013

836,13 €

1 Freischneider

Solo 154

Motorgeräte R.

13.06.2013

714,28 €

1 Winkelschleifer

Master, EWS 230

A. W. GmbH

12.05.2010

148,85 €

3 Winkelschleifer

Master, EWS-125

A. W. GmbH

20.08.2013

179,85 €

1 Winkelschleifer

Master,EWS-125 ES

A. W. GmbH

10.12.2012

153,94 €

1 Ringratschenschlüsselsatz

FlexDrei

T. GmbH

08.01.2014

149,00 €

4 Hebelumschaltknarren

Zebra 

A. W. GmbH

08.05.2015

171,60 €

2Schrauben-dreher, Magazin

Zebra 

A. W. GmbH

08.05.2015

69,90 €

1 Ladungssicherungs-Set

Orsymobil

A. W. GmbH

08.05.2015

99,00 €

6

Nach Rückkehr des Klägers aus seinem Urlaub am 24.08.2015 wurde daher mit ihm ein persönliches Gespräch mit dem Bürgermeister B., dem Werksleiter S. und Büroleiter Sch. ergebnislos geführt. Die anschließende gemeinsame Suche auf dem Bauhof nach den drei in der Liste zuerst angeführten Geräten blieb gleichfalls erfolglos. Der Kläger gab sodann noch am selben Tag die schriftliche Erklärung ab, dass er die Anschuldigungen bezüglich Unterschlagung von Maschinen und Geräten (Freischneider, Stromerzeuger etc.) zurückweise (Bl. 57 d.A.). Mit Schreiben der Beklagten vom 25.08.2015 (Bl. 58 ff. d.A.) erhielt der Kläger eine schriftliche Anhörung mit der Gelegenheit sich zu den Vorwürfen, die den Verdacht der Untreue und einer Unterschlagung rechtfertigen, mit einer Fristsetzung bis zum 01.09.2015 zu äußern. Durch seinen damaligen Bevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt W. D., gab der Kläger mit Schreiben vom 27.08.2015 (Bl. 61 ff. d.A.) eine Stellungnahme ab und räumte dabei ein, dass verschiedene Geräte und Werkzeuge in seinem Besitz seien. Am 01.09.2015 fand sodann eine Übergabe von diversen Geräten und Werkzeugen durch den Kläger an den Büroleiter Sch. entsprechend dem Übergabeprotokoll (vgl. Bl. 64 f. d.A.) statt. Anders als mit Schreiben vom 27.08.2015 angekündigt gab der Kläger dabei nicht auch den Dachbalken (6000 x 300 x 200 mm) nebst Blechplatten und Balkenresten heraus, sondern bot dessen Bezahlung an, da er sie privat verbaut hatte.

7

Mit Schreiben der Beklagten vom 07.09.2015 (Bl. 134 ff. d.A.) wurde der Personalrat der Beklagten um Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung hilfsweise zur außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist gebeten. Am 08.09.2015 antwortete der Personalrat schriftlich (Bl. 139 d.A.), dass er an seiner Zustimmung zur beabsichtigten Personalmaßnahme gegen den Kläger festhält. Am selben Tag fand danach bei der Beklagten eine Besprechung zwischen dem Kläger mit seinem damaligen Prozessbevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt D. und dem Bürgermeister, Herrn B., dem Werkleiters Herrn S., dem Büroleiters Herrn Sch. und der Rechtsanwältin Frau K. statt. In diesem Gespräch wurden schließlich die Möglichkeiten und Modalitäten eines Aufhebungsvertrages zwischen den Parteien diskutiert. Dabei erklärte sich der Kläger bereit, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zur Vermeidung einer Strafanzeige, die Kosten des Stromerzeugers in Höhe von 1.179,00 EUR sowie des Freischneiders STIHL in Höhe von 836,13 EUR zu zahlen. Hinsichtlich des Beendigungszeitpunktes handelte der Kläger statt des von der Beklagten vorgeschlagenen 30.09.2015 den 31.12.2015 als Beendigungsdatum aus.

8

Die Prozessbevollmächtigte der Beklagten übermittelte sodann im Nachgang noch am selben Tag per Telefax den Entwurf eines Aufhebungsvertrags an den damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers. Auf Verlangen des Klägers wurden am 09.09.2015 zudem die schriftlichen Erklärungen der Arbeitskollegen an seinen damaligen Prozessbevollmächtigten gefaxt und ferner ein Frist zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages bis zum 10.09.2015, 9.00 Uhr gesetzt. Danach fand ein Besprechungstermin des Klägers mit seinem Prozessbevollmächtigten statt; bei dem der Kläger die zwei Exemplare des Aufhebungsvertrages unterzeichnete. Ein danach vom Bürgermeister unterschriebenes und mit Dienstsiegel versehenes Exemplar erhielt der damalige Prozessbevollmächtigte zurück.

9

Mit Schreiben vom 06.11.2015 (Bl. 44 ff. d.A.) erklärte der Kläger durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten die Anfechtung des Aufhebungsvertrages. Mit weiteren Schreiben vom 26.11.2015 (Bl. 47 d.A.) erklärte er ferner den Rücktritt vom Aufhebungsvertrag.

10

Mit seiner am 03.12.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger vor allem ein mit der Beklagten fortbestehendes Arbeitsverhältnis geltend gemacht.

11

Der Kläger hat vorgetragen,

12

ihm habe weder die Pflicht noch die Kompetenz zur Beschaffung oder Bestellung von Geräten und/oder Werkzeugen oblegen. Dies sei immanente Aufgabe des Herrn S. bzw. in dessen Abwesenheit seines Stellvertreters, Herrn M. P., gewesen. Hinsichtlich des fehlenden Freischneiders Solo Baujahr 2013 habe von Anbeginn kein objektiver Tatverdacht gegen ihn vorgelegen. Dieser sei in erheblichem Umfang von Herrn R. H. benutzt worden. Hinsichtlich des Freischneiders STIHL FS 510 CEM, der nie in Betrieb gewesen sein soll, sei der Vorwurf eines strafrechtlichen Verhaltens ebenfalls völlig absurd. Auch der Stromerzeuger MOSA GE 7000 sei bei allen Mitarbeitern bekannt gewesen. Die weiteren Geräte seien bei ihm zu Hause gewesen, wie in jedem Jahresurlaub. Diese Geräte habe er während seines Urlaubs aus dem Fahrzeug heraus genommen und zu Hause deponiert. Zu rügen sei insbesondere seine nicht ordnungsgemäße Anhörung im Gespräch am 24.08.2015. Zum Zeitpunkt der Drohung mit der Kündigung und dem Abschluss des Aufhebungsvertrages habe es keinen Grund gegeben, von der behaupteten Unterschlagung auszugehen, die eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt hätte. Er habe mehrmals im Rahmen der Anhörung erklärt, dass er die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages nicht als Schuldeingeständnis ansehe, sondern dass ihm keine Möglichkeit verbleibe, aufgrund der angeblichen Aussagen von Kollegen, die nicht stimmen würden, diesen zu unterzeichnen. Er sei über den konkreten Inhalt der Stellungnahmen der Kollegen getäuscht worden. Ferner sei ihm vorgespiegelt worden, die Kündigung könne unverzüglich erfolgen. Die Zustimmung des Personalrates werde bestritten, auch sei dieser nicht ordnungsgemäß angehört worden.

13

Der Kläger hat beantragt,

14

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeits-verhältnis durch den Aufhebungsvertrag vom 08.09.2015 nicht wirksam aufgelöst worden ist und über den 31.12.2015 hinaus fortbesteht.

15

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger über den 31.12.2015 hinaus als Wassermeister für den technischen Bereich der Wasserwerke L. im Betrieb in I. in Vollzeit weiter zu beschäftigen.

16

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Arbeitszeugnis in der Form eines qualifizierten Endzeugnisses zu erteilen, welches sich auf Art, Dauer, Leistung und Führung im Arbeitsverhältnis erstreckt und darüber hinaus eine Dankes-, Wunsches- und Beendigungsformel enthält.

17

Die Beklagte hat beantragt,

18

die Klage abzuweisen.

19

Sie hat vorgetragen,

20

aufgrund der vorliegenden Verdachtsmomente und der Beschäftigungsdauer des Klägers sowie seiner Stellung als Personalrat habe das Arbeitsverhältnis nur mit einer fristlosen Kündigung beendet werden können oder einvernehmlich durch einen Aufhebungsvertrag. Alle notwendigen Maßnahmen zur Ermittlung des Sachverhaltes seien mit dem Kläger und dessen Prozessbevollmächtigten erörtert worden. Auch bestehe keine Widerrechtlichkeit der Androhung einer fristlosen Kündigung. Es stehe selbstverständlich dem Arbeitgeber frei, eine Strafanzeige zu erstatten, wenn der Verlust von Geräten in seinem Betrieb nicht aufklärbar ist und ein strafbares Verhalten anzunehmen sei. Zu keinem Zeitpunkt habe die Beklagte bei dem Kläger den Eindruck erweckt, sie könne eine Hausdurchsuchung durchführen lassen. Auch bestehe keine Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages mangels angemessener Bedenkzeit. Schließlich habe der Kläger die Bedingung bezüglich des Aufhebungsvertrages mit der Beklagten am 08.09.2015 mit ausgehandelt und die Möglichkeit gehabt, den Vertrag bis zum 10.09.2015 zu unterzeichnen.

21

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau - hat der Klage durch Urteil vom 28.06.2015 allein hinsichtlich der Erteilung eines qualifizierten Endzeugnisses stattgegeben und im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung der Abweisung hat das Arbeitsgericht soweit für das vorliegende Berufungsverfahren relevant im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen einer Anfechtung aufgrund widerrechtlicher Drohung gem. § 123 Abs. 1 2. Alt. BGB lägen nicht vor. Es sei bereits die Kausalität der Drohung mit einer fristlosen Kündigung, die zu dem Aufhebungsvertrag führte, nicht ohne weiteres begründbar. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sich der Kläger aufgrund einer umfangreichen und umfassenden Beratung des damaligen Prozessbevollmächtigten dazu entschloss, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Im Übrigen sei vorliegend aber auch eine Drohung mit der außerordentlichen Kündigung nicht widerrechtlich gewesen. Unbestritten habe die Beklagte während der Urlaubszeit des Klägers Fehlbestände festgestellt und diese auch dem Kläger zuordnen können. Zudem habe der Kläger zunächst behauptet, dass er über den Verbleib von Gegenständen der Beklagten nichts wisse und erst später eine Aufbewahrung zu Hause eingeräumt. Infolge dessen habe für die Beklagte durchaus der Verdacht bestehen dürfen, dass der Kläger die letztendlich auch zurückgegebenen Gegenstände widerrechtlich in Besitz gehabt habe, zumal die Beklagte über einen Betriebshof verfüge, in dem die Arbeitswerkzeuge gelagert werden. Auch sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, dem Kläger vor Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages eine noch großzügigere Bedenkzeit einzuräumen. Es sei nicht verständlich, inwiefern der Kläger nunmehr die Anhörung und erteilte Zustimmung des Personalrates bestreite.

22

Das Urteil ist dem Kläger am 25.07.2016 zugestellt worden. Der Kläger hat hiergegen mit einem am 10.08.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese mit einem am 14.09.2016 beim Landesarbeitsgericht per Telefax eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.

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Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 206 ff. d. A.), macht der Kläger zur Begründung seines Rechtsmittels im Wesentlichen geltend:

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Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Voraussetzungen der wirksamen Anfechtung gegeben seien. Dabei habe es unberücksichtigt gelassen, dass auch der damalige bevollmächtigte Rechtsanwalt des Klägers im Gespräch am 08.09.2015 über das Vorhandensein belastender Aussagen von Mitarbeitern gegen den Kläger getäuscht worden sei. Die unfairen Mittel der Verhandlungsführung der Beklagten hätten sich auch in der zu kurz bemessenen Zeitspanne für die Unterzeichnung gezeigt, deren alleiniger Zweck gewesen sei, die vorangegangenen Täuschung über den Inhalt der schriftlichen Aussagen weiter aufrecht zu erhalten. Zudem sei die Zustimmung des Personalrats nicht bewiesen. Auch insoweit habe die Beklagte getäuscht. Schließlich habe das Arbeitsgericht unzureichend begründet, weshalb keine widerrechtliche Drohung gegeben gewesen sein soll. Die Anhörung am 24.08.2015 habe ihm keine Möglichkeit gelassen das Fehlen der Geräte aufzuklären. Auch habe das Arbeitsgericht zu Unrecht nicht darauf abgestellt, dass die Beklagte einfach ihre Ermittlungstätigkeiten hinsichtlich des Verbleibs der fehlenden Freischneider und des fehlenden Stromerzeugers eingestellt habe. Ferner habe das Arbeitsgericht außer Acht gelassen, dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB hinsichtlich des Dachbalkens und übrigen Baumaterials im Zeitpunkt des Gesprächs am 08.09.2015 längst verstrichen gewesen sei. Die Beklagte hätte statt der angedrohten Kündigung vielmehr eine Abmahnung aussprechen müssen.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen – Auswärtige Kammern Landau – vom 28.06.2016 – 6 Ca 928/16 abzuändern und

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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeits-verhältnis durch den Aufhebungsvertrag vom 08.09.2015 nicht wirksam aufgelöst worden ist und über den 31.12.2015 hinaus fortbesteht;

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2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände beendet wurde und über den letzten Tag der mündlichen Verhandlung hinaus fortbesteht;

29

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger über den 31.12.2015 hinaus als Wassermeister für den technischen Bereich der Wasserwerke L. im Betrieb in I. in Vollzeit weiter zu beschäftigen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

32

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und verweist darauf, dass der Kläger den Aufhebungsvertrag in Kenntnis aller Umstände in der Kanzlei seines damaligen Prozessbevollmächtigten erst am 09.09.2015 unterschrieben habe. Die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung lägen ebenso wenig vor wie die für einen Rücktritt vom Aufhebungsvertrag wegen vorvertraglicher Pflichtverletzungen.

33

Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

34

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

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Hinsichtlich des in der Berufungsinstanz nunmehr gestellten Feststellungsantrags zu 2. kann dahingestellt bleiben, ob es sich insoweit um eine zulässige Klageerweiterung in der Berufungsinstanz handelt, da jedenfalls der Antrag selbst mangels Vorliegen eines Feststellungsinteresses unzulässig ist. Denn eine zulässige Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO würde zumindest die Darlegung eines Feststellungsinteresses verlangen (BAG vom 16.03.1994 – 8 AZR 97/93 – AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969 und BAG vom 27.01.1994 – 2 AZR 484/93 – AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969 sowie BAG vom 13.03.1997 – 2 AZR 512/96 – AP Nr. 38 zu § 4 KSchG 1969 jeweils m.w.N.), was vorliegend nicht ansatzweise vorgetragen wurde, da sich die Berufungsbegründung allein mit der Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages beschäftigt.

II.

36

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Zutreffend hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den Aufhebungsvertrag vom 08.09.2015 mit Ablauf des 31.12.2015 aufgelöst worden ist.

37

Die Aufhebungsvereinbarung ist nicht infolge der vom Kläger erklärten Anfechtung nach § 142 Abs. 1 BGB nichtig. Denn die Anfechtung ist nicht begründet, weil kein Anfechtungsgrund vorliegt. Gleiches gilt für den vom Kläger erklärten Rücktritt, da keine vorvertragliche Pflichtverletzung der Beklagten im Rahmen der Verhandlungen zum Aufhebungsvertrag gegeben ist.

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1. Der Kläger beruft sich zum einen auf den Anfechtungsgrund der arglistigen Täuschung hinsichtlich des Inhalts der Aussagen der Kollegen sowie der Zustimmung des Personalrats und zum anderen auf den Anfechtungsgrund der widerrechtlichen Drohung mit einer fristlosen Kündigung und einer Strafanzeige.

39

a) Ist ein Arbeitnehmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags durch arglistige Täuschung veranlasst worden, so steht ihm ein Anfechtungsrecht nach § 123 BGB zu. Eine arglistige Täuschung i. S. von § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Dabei muss sich die Täuschung auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen. Die Äußerung subjektiver Werturteile genügt nicht (BAG, 12.05.2011 – 2 AZR 479/09, NZA-RR 2012, 43 Rdnr. 41 mwN.). Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war (vgl. BAG 11.07.2012 – 2 AZR 42/11, NZA 2012, 1316, 1317 m.w.N).

40

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist vorliegend keine arglistige Täuschung gegeben.

41

(1) Der Kläger macht insoweit zum einem geltend die Beklagte habe ihn und seinen damaligen Bevollmächtigten im Gespräch am 08.09.2015 insoweit getäuscht, als sie behauptet habe, dass vier Mitarbeiter schriftlich bestätigen würden, dass er eine Unterschlagung und andere Straftaten zum Nachteil der Beklagten begangen habe, die zu einer fristlosen Kündigung berechtigen würden.

42

Diese angebliche Aussage stellt jedoch bereits die subjektive Auswertung der Beweise durch die Beklagte in zweierlei Hinsicht dar: Zum einem die rechtliche Wertung, dass die Aussagen der Mitarbeiter eine Straftat bestätigten und zum zweiten, dass aufgrund dieser Aussagen auch eine fristlose Kündigung berechtigt sei. Eine rechtliche Bewertung stellt jedoch gerade keine Entstellung von Tatsachen dar, sondern die Äußerung eines subjektiven Werturteils dar. Ob diese Einschätzung ein verständiger Arbeitgeber so treffen durfte, ist vielmehr allein im Rahmen der Beurteilung der Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung von Relevanz.

43

In seiner Klageschrift hat der Kläger insoweit konkreter angeführt, dass das Gespräch am 08.09.2015 vom Bürgermeister B. damit eröffnet worden sei, dass es vier Kollegen gebe, die an den Vorwürfen festhielten, dass er Maschinen auf Kosten der Beklagten bestellt und diese selbst genutzt habe. Er sei so über den konkreten Inhalt der Aussagen getäuscht worden und seiner Aufforderung, die schriftlichen Dokumente mit den angeblichen Aussagen ihm vorzulegen, sei nicht nachgekommen worden.

44

Auch insoweit erscheint bereits fraglich, ob hierin eine Entstellung des konkreten Inhalts der gemachten Aussagen zu sehen ist. Denn die Beklagte hat bereits in ihrer schriftlichen Anhörung des Klägers vom 25.08.2009 angeführt, dass die Mitarbeiter schriftlich gegenüber der Werksleitung erklärt haben, dass die Geräte (Freischneider der Marke Solo Baujahr 2013, Freischneider der Marke Stihl, Stromerzeuger Mosa) nie in der Werkhalle angekommen oder gelagert wurden bzw. zum Einsatz kamen und die Mitarbeiter auch nach erneuter Befragung am 24.08.2016 hieran festhielten. Ein erneuter Verweis hierauf im Gespräch am 08.09.2016 mit anderer Formulierung stellt schon keine Entstellung der Tatsachen dar, da die Arbeitnehmer dies tatsächlich auch schriftlich erklärt haben.

45

(2) Unabhängig hiervon ist vorliegend aber keine Kausalität einer etwaigen Täuschung über den Inhalt der Aussagen im Gespräch am 08.09.2015 für die Unterschrift unter den schriftlichen Aufhebungsvertrag am 09.09.2015 gegeben.

46

Die Ursächlichkeit einer Täuschung kann nicht schon dann ohne weiteres bejaht werden, wenn die arglistige Täuschung conditio sine qua non, d. h. nicht wegzudenkende Ursache für die angefochtene Willenserklärung ist. Nach § 123 Abs. 1 BGB muss der Anfechtende vielmehr durch die Täuschung zur Abgabe der Willenserklärung „bestimmt“ worden sein. Er muss noch bei Abgabe der Willenserklärung unter dem Eindruck der Täuschung gehandelt haben und nicht aufgrund davon nicht mehr maßgeblich beeinflussten autonomen Willensbildung. So hat das Bundesarbeitsgericht hinsichtlich der gleichgelagerten Problematik der Kausalität einer widerrechtlichen Drohung (28.11.2007 - 6 AZR 1108/06 – Rn. 58 ff.) ausgeführt, dass für eine von der Drohung nicht mehr maßgeblich beeinflusste Willensbildung spreche, dass der Anfechtende die Bedenkzeit dazu genutzt habe, die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung durch aktives Verhandeln - z.B. neue eigene Angebote – erheblich zu seinen Gunsten zu beeinflussen, insbesondere wenn er rechtskundig sei oder zuvor Rechtsrat eingeholt habe bzw. aufgrund der Dauer der eingeräumten Bedenkzeit hätte einholen können. In diesem Fall bedarf es weiterer substantiierter Darlegungen und im Bestreitensfall eines entsprechenden Beweisantritts dafür, dass der Anfechtende seine Willenserklärung letztlich immer noch unter dem Druck der widerrechtlichen Drohung abgegeben und damit weiterhin nur das kleinere, wenn auch auf Grund des Nachverhandelns verkleinerte Übel gewählt und nicht etwa die Drohung nur zum Anlass dafür genommen hat, einen selbstbestimmt gebildeten Willen (hier: Abkehrwillen) zu von ihm angestrebten oder jedenfalls im Ergebnis als annehmbar angesehenen Bedingungen zu verwirklichen. Maßgebend sind insoweit die tatsächlichen Umstände zum Zeitpunkt der Abgabe der angefochtenen Willenserklärung (BAG 28.11.2007 - 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348 ff.).

47

Zum einen spricht bereits der vom Kläger selbst angeführte Umstand, dass er von Anfang an und auch erneut im Gespräch am 08.09.2015 die Vorlage der schriftlichen Aussagen verlangte, dafür, dass er den gemachten Angaben der Beklagten insoweit keinen Glauben schenkte und damit bei ihm auch kein diesbezüglicher Irrtum erregt wurde. Zum anderen hat der Kläger aber auch für die Unterzeichnung des schriftlichen Aufhebungsvertrages zur Bedingung gemacht, dass ihm zuvor die schriftlichen Aussagen (Anzeigen des Wassermeisters N. sowie Zeugenaussagen) vorgelegt werden. Die Beklagte ist unstreitig diesem Verlangen nachgekommen und hat die gewünschten Dokumente allesamt an den damaligen bevollmächtigten Rechtsanwalt des Klägers vor dessen abschließenden Besprechungstermin am 09.09.2015 gefaxt. Damit lagen dem Kläger und seinem damaligem Bevollmächtigten die entsprechenden Dokumente vor der Unterzeichnung vor. Der Kläger behauptet auch nicht, dass sein damaliger Bevollmächtigter oder er selbst diese Dokumente nicht auch schon vor Unterzeichnung noch zur Kenntnis genommen haben. Vielmehr macht er geltend, dass keine ausreichende Zeit bestanden habe um sie eingehend zu prüfen. Der konkrete Inhalt der Dokumente war damit aber bekannt, so dass keine etwaige Täuschung hierüber mehr bei Abschluss vorlag. Daher ist insoweit vielmehr davon auszugehen, dass die Unterzeichnung aufgrund der Beratung des damaligen Bevollmächtigten erfolgte, der nach dem soeben gesagten insoweit ebenso wie der Kläger keiner etwaigen Täuschung unterlag.

48

(3) Zum anderen macht der Kläger geltend, er sei ferner hinsichtlich der Zustimmung des Personalrats zu einer fristlosen Kündigung getäuscht worden, indem ihm im Gespräch am 08.09.2015 von der Beklagten vorgespiegelt wurde, dass der Personalrat einer fristlosen Kündigung zugestimmt habe.

49

Insoweit ist jedoch bereits keine Arglist der Beklagten dargetan.

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Das subjektive Merkmal „Arglist“ i. S. von § 123 Abs. 1 BGB liegt nur vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim Erklärungsgegner entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit – auch grobe Fahrlässigkeit – genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Anfechtende; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG 11.07.2012 – 2 AZR 42/11, NZA 2012, 1316, 1317 m.w.N).

51

Der Kläger bestreitet insoweit, dass das Antwortschreiben des Personalrats vom 08.09.2015 eine Zustimmung belege. Damit ist aber nicht dargelegt, dass die Beklagte aufgrund dieser Antwort zumindest billigend in Kauf genommen hat, falsche Angaben zu machen. Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Zustimmung des Personalrats nicht der Wahrheit entspricht und die Beklagte hiervon Kenntnis hatte. Im Gegenteil spricht vorliegend alles dafür, dass die Beklagte zutreffend aufgrund des Antwortschreibens von der Zustimmungserteilung ausgegangen ist. Unstreitig hat die Beklagte mit Schreiben vom 07.09.2015 die Zustimmung des Personalrats beantragt. Ferner lag das Antwortschreiben des Personalrats der Beklagten bereits beim Gesprächstermin am 08.09.2015 vor. Das Schreiben ist überschrieben mit dem Betreff „Antrag auf Zustimmung des Personalrats zu einer außerordentlichen Kündigung (Verdachtskündigung) sowie zu einer hilfsweisen außerordentlichen Kündigung (Verdachtskündigung) mit sozialer Auslauffrist“ und lautet sodann wörtlich „bezugnehmend auf unser Schreiben vom 03.09.2015 und ihr Schreiben vom 07.09.2015 teilen wir Ihnen mit, dass der Personalrat in seiner heutigen Sitzung ihre Informationen zur Kenntnis genommen hat und an seiner Entscheidung der Zustimmung gemäß § 70 Abs. 1 und 2 LPersVG zu der beabsichtigten Personalmaßnahme gegen den Kläger festhält“. Der Kontext dieses Schreibens und diese Formulierung lassen für die Beklagte allein den (tatsächlich wohl auch zutreffenden) Schluss zu, der Personalrat stimme einer beabsichtigen fristlosen Kündigung zu.

52

b) Die Würdigung des Arbeitsgerichts, der Kläger habe den Aufhebungsvertrag vom 08.09.2015 nicht wirksam wegen widerrechtlicher Drohung mit einer fristlosen Kündigung oder einer Strafanzeige angefochten, begegnet keinen Bedenken.

53

Zwar hat die Beklagte unstreitig im Gesprächstermin am 08.09.2015 sowohl erneut den Ausspruch einer fristlosen Kündigung als auch die Erstattung einer Anzeige in Aussicht gestellt. Doch waren diese Ankündigungen nicht widerrechtlich.

54

Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, ist die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung oder einer Strafanzeige widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche jeweils nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte.

55

(1) Die Widerrechtlichkeit der Kündigungsandrohung kann sich regelmäßig nur aus der In-Adäquanz von Mittel und Zweck ergeben. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Fall ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen (std. Rspr. vgl. BAG 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06 - Rn. 48 mwN, NZA 2008, 348; BAG 05.12.2005 - 6 AZR 197/05 - Rn. 23 mwN, NZA 2006, 841). Der Anfechtungsprozess ist nicht wie ein Kündigungsschutzprozess zu führen. Vielmehr trägt der anfechtende Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Anfechtung. Er hat deshalb die Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen, welche die angedrohte außerordentliche Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen (vgl. lag Mainz 28.01.2016 5 Sa 398/15). Der Kläger muss darlegen und beweisen, dass die Beklagte als verständiger Arbeitgeber nicht annehmen durfte, die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses sei unzumutbar und deshalb die Kündigung gerechtfertigt. Da es sich dabei jedoch um einen Negativbeweis handelt, genügt hierfür zunächst eine entsprechende pauschale Behauptung. Wegen der Schwierigkeiten des Negativbeweises ist von der Beklagten als Anfechtungsgegnerin nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast das substanziierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positive sprechenden Tatsachen und Umstände zu verlangen (vgl. BGH 19. 4. 2005 – X ZR 15/04 -, NJW 2005, 2766, 2768). Die Beklagte hat damit im Einzelnen darzulegen, dass sie in vertretbarer Weise einen Kündigungsgrund annehmen durfte. Nur die von der Beklagten in diesem Zusammenhang vorgetragenen Umstände braucht der beweispflichtige Kläger dann zu widerlegen (BAG 28.11.2007 - 6 AZR 1108/06 -, NZA 2008, 348, 354).

56

(2) Bereits nach dem unstreitigen Sachvortrag beider Parteien hatte die Beklagte bei dem Gespräch am 08.09.2015 ausreichenden Anlass, eine fristlose Kündigung in Erwägung zu ziehen.

57

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16 und 17, NZA 2013, 137; BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 14, NZA 2014, 143; BAG 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 29, NZA 2015, 741) kann auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (vgl. lag Rheinland-Pfalz 21.07.2016 – 2 Sa 27/16).

58

Folgende starke Verdachtsmomente lagen für die Beklagte aufgrund objektiver Tatsachen zu diesem Zeitpunkt vor:

59

Während des Jahresurlaubs des Klägers vom 03.08.2015 bis 21.08.2015 wurden Fehlbestände im Gerätebestand entdeckt, der insbesondere hinsichtlich des Freischneiders der Marke Solo 154 Baujahr 2013, sowie des der Marke Stihl FS510 und dem Stromerzeuger Mosa GE 7000 trotz Durchsuchung der Werkshalle nebst abgeschlossen Schränken, des Außenbereichs der Werkshalle und der Dienstfahrzeuge, sowie Befragung von Mitarbeitern und Anhörung des Klägers nicht geklärt werden konnten. Dabei wurden die Geräte auf Veranlassung des Klägers beschafft, der sodann auch den Erhalt jeweils quittierte. Hinsichtlich des Freischneiders der Marke Solo 154 Baujahr 2013 kam ferner hinzu, dass der Kläger dessen Reparatur noch im April 2015 veranlasst hatte und dieser sodann unstreitig an ihn zurückgegeben wurde. Zudem hatten 4 Mitarbeiter hinsichtlich der beiden fehlenden Freischneider schriftlich erklärt, dass ihnen diese nicht bekannt seien. Schließlich machte auch der Kläger selbst zu deren Verbleib sowohl in der mündlichen Anhörung am 24.08.2015 als auch in seiner schriftlichen Äußerung aufgrund der Anhörung vom 25.08.2015 keine Angaben. Auch hinsichtlich der übrigen 12 in der Tabelle angeführten Gegenstände, die der Kläger sodann am 01.09.2015 herausgegeben hatte, hatten der Wassermeister N. und der Obermonteur W. erklärt, dass diese Gegenstände im Bauhof nicht vorhanden seien. Sie waren ebenfalls bei einer Durchsuchung der Werkshalle nebst Spinden sowie dem Außengelände und der auf dem Gelände befindlichen Dienstfahrzeuge am 19.08.2015 nicht auffindbar. Während der Kläger zunächst im Rahmen der mündlichen Anhörung am 24.08.2015 auch für diese Gegenstände erklärte, über deren Verbleib nichts zu wissen und mit Schreiben vom selben Datum den Vorwurf einer Unterschlagung ausdrücklich zurückwies, räumte er sodann im Rahmen der schriftlichen Anhörung ein, diese im Besitz zu haben und gab sie schließlich am 01.09.2015 ausweislich des Übergabeprotokolls heraus. Auch die Mitnahme und bisherige Nichtrückgabe der im Anhörungsschreiben in einer zweiten Tabelle angeführten teilweise schon seit mehreren Jahren beim Kläger befindlichen Geräte/Werkzeuge gestand der Kläger und gab sie größtenteils am 01.09.2015 zurück. Allerdings räumte der Kläger erst bei diesem Übergabetermin ein, dass ihm anders als in seiner schriftlichen Äußerung zur Anhörung der Beklagten vom 25.08.2015 behauptet eine Rückgabe des Dachbalkens nebst Blechplatten und Balkenresten nicht möglich war, da er sie privat in seinem Dach verbaut hatte.

60

Bereits diese Geschehnisse reichen auch für einen verständigen Arbeitgeber aus, von dem auf objektive Tatsachen gestützten starken Verdacht auszugehen, dass der Kläger Werkzeuge auf Kosten der Beklagten angeschafft, dann jedoch für sich selbst genutzt hat bzw. sich Geräte und Sachen, die im Eigentum der Beklagten standen dauerhaft eigenmächtig angeeignet hat oder dies wollte. Damit bestand der Verdacht schwerwiegender Pflichtverletzungen mit strafrechtlicher Relevanz (Untreue, Betrug bzw. Unterschlagung). Zudem bezog sich dieser Verdacht darüber hinaus nicht nur auf einen einmaligen Vorfall, sondern sogar - was noch schwerer wiegt - auf ein wiederholtes und über einen längeren Zeitraum gezeigtes Fehlverhalten. Der Umstand, dass der Kläger am 01.09.2015 sodann die meisten Geräte und Werkzeuge wieder an die Beklagte zurückgab, ändert an dem objektiven Vorliegen des Verdachts hinsichtlich der schweren Pflichtverletzungen nichts. Insbesondere vermag er diesen nicht im Nachhinein entfallen lassen, da die Herausgabe erst nach der Aufdeckung des Fehlbestandes durch die Beklagte und Anhörung des Klägers zu ihrem Verdacht erfolgte. Ein verständiger Arbeitgeber durfte dies durchaus als Schadensbegrenzungshandlung nach erfolgter Entdeckung werten. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Kläger hinsichtlich aller Gegenstände aus der ersten Tabelle zunächst leugnete etwas über deren Verbleib zu wissen. Daher kann auch die spätere Einlassung hinsichtlich der sodann am 01.09.2015 übergebenen Werkzeuge, er habe diese lediglich wie in jedem Jahresurlaub zu Hause während des Urlaubs aufbewahrt, als reine Schutzbehauptung gewertet werden. Zumal die Beklagte über einen Betriebshof mit Lagerhalle und abschließbaren Schränken verfügte, worauf bereits auch das Arbeitsgericht zutreffend verwiesen hat. Ferner durfte die vom Kläger sodann im Rahmen der schriftlichen Anhörung angeführte Erklärung hinsichtlich der von der Beklagten teilweise schon vor mehreren Jahren zur privaten Nutzung mit nach Hause genommener Werkzeuge (zweite Tabelle aus dem Anhörungsschreiben Bl. 59 d.A.) von einem verständigen Arbeitgeber als faule Ausrede gewertet werden. Der Kläger hatte insoweit ausgeführt, dass es offenbar betriebliche Übung gewesen sei, im Bedarfsfalle einzelne Geräte oder Werkzeuge mit nach Hause zu nehmen und dort auch einzusetzen. Unabhängig davon, dass die Beklagte eine entsprechende betriebliche Übung abstreitet, kann dies allein aufgrund der zeitlichen Dauer des Behaltens und der Vielzahl der Geräte auch von einem verständigen Arbeitgeber als Notlüge gewertet werden. So enthielt die Liste hierzu allein 14 Einträge, dabei ua. eine jeweils vor ca. 7 Jahren mitgenommene Motorsäge und Motorsense, eine vor ca. 5 Jahren mitgenommene 3-teilige Leiter, ein vor ca. 3 Jahren mitgenommener Rüttelstampfer und zur gleichen Zeit auch mitgenommene Schmutzwasserpumpen. Von einem Ausborgen im Bedarfsfalle entsprechend einer angeblichen betrieblichen Übung kann daher schon aufgrund der zeitlichen Länge des Behaltens und der Vielzahl an Geräten wohl kaum die Rede sein. Schließlich räumt er auch selber ein, nicht zu wissen, ob die anderen Mitarbeiter eine Ausleihe im Bedarfsfalle mit der Werksleitung im Einzelfall abgesprochen haben. Er selber jedoch gibt niemanden an, mit dem er die Mitnahme abgesprochen haben will, vielmehr handelte er insoweit eigenmächtig. Dies gilt insbesondere auch für die vor ca. einem Jahr mitgenommenen und sodann verbauten Dachmaterialien.

61

(3) Schließlich verfängt auch nicht der Einwand des Klägers, dass die Beklagte den Sachverhalt noch weiter hätte aufklären müssen.

62

Denn nach der Rechtsprechung ist grundsätzlich maßgeblich, ob der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages Tatsachen vorbringen konnte, die den Schluss darauf zulassen, dass von diesem eine außerordentliche Kündigung ernsthaft in Erwägung habe gezogen werde dürfen (vgl. BAG Urteil vom 15.12.2005 - 6 AZR 197/05). Erfolgt jedoch im Rahmen des Anfechtungsprozesses eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes, die auch dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Drohung zumutbar gewesen wäre, so spricht allein die Möglichkeit der weiteren Sachaufklärung - unabhängig von deren Ergebnis - für die Widerrechtlichkeit der Drohung (vgl. BAG 21.03.1996 - 2 AZR 543/95 -, NZA 1996, 1030 ff.). Maßgeblich ist also insoweit der objektiv mögliche und damit hypothetische Wissenstand des Arbeitgebers.

63

Der Kläger verkennt insofern bereits, dass sich der Verdacht hinsichtlich schwerwiegender Pflichtverletzungen und hinsichtlich möglicher Straftaten sich gerade nicht allein auf die bis zum Schluss fehlenden zwei Freischneider und den fehlenden Stromerzeuger bezog, sondern vielmehr auch die vielen herausgegebenen Geräte aus den zwei Listen und den verbauten Dachbalken nebst weiterem Dachmaterial umfasste. Eine etwaige Aufklärung hinsichtlich des Verbleibs dieser 3 Geräte hätte daher auch für einen verständigen Arbeitgeber in der konkreten Situation der Beklagten nichts daran geändert, dass weiterhin ein Verdacht schwerer Pflichtverletzungen gegen den Kläger bezüglich der übrigen Geräte und Werkzeuge sowie des verbauten Materials bestand.

64

Im Übrigen war aber auch hinsichtlich dieser 3 Geräte kein abweichender hypothetischer Wissenstand eines verständigen Arbeitgebers zugrunde zu legen. Denn die Beklagte hatte alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen, insbesondere dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. So wurde das Gelände des Bauhofs komplett durchsucht. Die Beklagte hatte den Kläger nicht zuletzt auch mit der schriftlichen Anhörung vom 25.08.2015 umfassend zu den Vorwürfen angehört, weiterführende Angaben insbesondere über deren Einsatz und aktuellen Verbleib, die auch weitere Ermittlungsansätze aufdeckten, ergaben sich dabei jedoch nicht. Die Arbeitskollegen blieben nach dem mit dem Kläger geführten Gespräch am 24.08.2015 auch unter Hinweis auf mögliche Konsequenzen von Falschaussagen bei ihren jeweiligen vorherigen Angaben. Zu weitergehenden Aufklärungsmaßnahmen war die Beklagte nicht verpflichtet.

65

Schließlich ergeben auch die Ausführungen des Klägers im Anfechtungsprozess keine weitere Aufklärungsmöglichkeit. Der Kläger konnte selbst im Prozess nicht darlegen, wo sich die Geräte befinden, auch machte er keine Angaben dazu, wer sonst die entsprechenden Geräte haben sollte. Den Verdacht einer (späteren) Inbesitznahme räumte er nicht ansatzweise aus. Vielmehr bestreitet er als nicht glaubwürdig bzw. absurd, dass die Arbeitskollegen ausgesagt haben sollen, dass ihnen die Freischneider nicht bekannt gewesen bzw. dass der Stromerzeuger nie auf dem Bauhof aufgetaucht sei, obwohl entsprechende von den Arbeitskollegen unterschriebene Schriftstücke seiner Klageschrift beigefügt sind. Stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte an deren Aussagen zweifeln musste, liefert er hingegen nicht. Eine Überführungsmöglichkeit der schriftlichen Lüge der Kollegen begründen seine Angaben ebenfalls nicht. Hinsichtlich des Freischneiders STIHL FS 510 CEM führt er ferner an, dass die Beklagte aufgrund der Rechnung ermitteln konnte, dass dieser zusammen mit einem Dickichtmesser, welches für das hohe Gras im Regenrückhaltebecken benötigt wurde, bestellt worden sei und er dieses wohl kaum für seinen privaten Gebrauch bestellt habe. Auf ein Dickichtmesser bezieht sich jedoch vorliegend der Verdacht der Beklagten nicht, eine gleichzeitige Bestellung mehrerer Gegenstände führt auch nicht dazu, dass der Verdacht hinsichtlich des mitbestellten weiteren Freischneiders entfiele.

66

(4) Ein an sich geeigneter fristloser Kündigungsgrund war daher für einen verständigen Arbeitgeber gegeben. Auch durfte die Beklagte davon ausgehen, dass ihre angedrohte fristlose Kündigung im Falle des Ausspruchs nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB scheitern würde (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab der std. Rspr. BAG 5. 12. 2002 - 2 AZR 478/01, NZA 2003, 1055).

67

Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt erst, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis ist ohne Bedeutung (BAG 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348, 353).

68

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung war die Zwei-Wochenfrist im Gesprächszeitpunkt am 08.09.2015 noch nicht abgelaufen. Denn zu einer zuverlässigen und möglichst vollständigen Kenntnis der maßgebenden Tatsachen durfte die Beklagte nicht nur den Kläger zeitnah am 25.08.2015 umfassend die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme zu den zunächst nur mündlich geäußerten Vorwürfen des Vortages geben, vielmehr durfte sie auch den Übergabetermin am 01.09.2015 abwarten, um sich ein abschließendes Bild machen zu können. Gerade hinsichtlich des Dachmaterials ergab sich dabei zudem erst bei der Übergabe, dass der Kläger einräumte, diese verbaut zu haben und deren Bezahlung anbot.

69

(5) Zwar ist nicht zu verkennen, dass der Kläger aufgrund seiner langen Betriebszugehörigkeit seit April 1981 einen hohen sozialen Besitzstand erworben hat. Gleichwohl musste die Beklagte nicht davon ausgehen, dass die - unterstellte - angedrohte Kündigung im Fall ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Prüfung nicht standhalten würde, weil nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung als Reaktion ausgereicht hätte und die notwendige Interessenabwägung zwingend zu Gunsten des Klägers ausgefallen wäre.

70

(a) Die Beklagte musste insoweit nicht davon ausgehen, dass eine mögliche Kündigung im Falle der Überprüfung rechtlichen Bestand mit hoher Wahrscheinlichkeit nur dann gehabt hätte, wenn eine vorherige vergebliche Abmahnung erfolgt wäre. Vielmehr durfte sich eine Abmahnung aus der verständigen Sicht der Beklagten als entbehrlich darstellen.

71

Es stand der Verdacht mehrfacher und wiederholter schwerwiegender Pflichtverletzungen mit strafrechtlicher Relevanz im Raum. Die Beklagte durfte davon ausgehen, dass der Verdacht bestand, dass sich der Kläger sowohl die zurückgegebenen als auch die nicht aufgefundenen Werkzeuge eigenmächtig für sich privat entweder direkt oder im Laufe der Zeit angeeignet hatte. Der Kläger war als Wassermeister für den technischen Bereich verantwortlich. Zu seinen Aufgaben gehörte, die Beschaffung des benötigten Arbeitsmaterials zu veranlassen und den Empfang der angeschafften Geräte zu quittieren. Der hier von einem verständigen Arbeitgeber zu Recht angenommene dringende Verdacht, dass der Kläger auch unter Ausnutzung seiner Position mit Vertrauensstellung sich Geräte zur privaten Nutzung verschaffte, betrifft so schwerwiegende und wiederholte Pflichtverletzungen, so dass eine Hinnahme durch die Beklagte ganz offensichtlich ausgeschlossen war. Dass dieses Verhalten von der Beklagten nicht geduldet würde, musste dem Kläger klar sein. Aufgrund des schwerwiegenden Tatverdachts konnte auch von einem verständigen Arbeitgeber an Stelle der Beklagten eine Wiederherstellung des für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unabdingbar notwendigen Vertrauens nicht erwartet werden, so dass eine Abmahnung entbehrlich war.

72

(b) Da ein Anfechtungsprozess nach § 123 BGB nicht wie ein fiktiver Kündi-gungsschutzprozess behandelt werden darf, sind die für und gegen die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sprechenden Umstände hier nicht abschließend abzuwägen. Von einem verständigen Arbeitgeber kann nicht generell verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung die mutmaßliche Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft”. Im vorliegenden Fall stellt es aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers angesichts des starken Verdachts schwerwiegenden Fehlverhaltens des Klägers jedenfalls keine völlig überzogene Reaktion dar, wenn die Beklagte sofort an das äußerste Mittel der fristlosen Kündigung dachte.

73

(6) Auch musste die Beklagte nicht davon ausgehen, dass eine fristlose Kündigung an der fehlenden Zustimmung des Personalrats nach § 70 LPersVG scheitern würde.

74

Denn grundsätzlich ist im Rahmen der Widerrechtlichkeit der Drohung allein entscheidend, ob der Arbeitgeber einen fristlosen Kündigungsgrund annehmen durfte und damit ob er vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 626 BGB ausgehen durfte (vgl. DLW/Hoß 13. Aufl. Kap. 6 Rn. 339, lag Mainz 28.01.2016 5 Sa 398/15). Es ist daher ohne Bedeutung für die Frage der Widerrechtlichkeit der Drohung, ob die Beklagte im Zeitpunkt der Drohung überhaupt schon die Zustimmung des Personalrats eingeholt hatte.

75

Im Übrigen hatte die Beklagte jedoch unstreitig den Personalrat bereits mit Schreiben vom 07.09.2015 um die Zustimmung zur beabsichtigten fristlosen Verdachtskündigung gebeten und vor dem Gesprächstermin das Antwortschreiben des Betriebsrats am 08.09.2015 erhalten. Aufgrund des unter II. 1. a) (3) dargestellten Inhalts konnte die Beklagte davon ausgehen, dass der Personalrat mit diesem Schreiben der beabsichtigten fristlosen Kündigung zustimmte. Das diesbezügliche Bestreiten des Klägers genügt selbst bei abweichender Auffassung zum soeben dargestellten Prüfungsumfang der Widerrechtlichkeit der Drohung nicht seiner Darlegungs- und Beweislast im Anfechtungsprozess. Er hätte vielmehr selbst Tatsachen darlegen müssen, die ein Nichtgegebensein der Zustimmung stützen.

76

(7) Schließlich erweist sich auch die Drohung mit der Strafanzeige nicht als widerrechtlich im Sinne von § 123 Abs. 1 BGB.

77

Die Androhung einer Strafanzeige zum Zwecke der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses ist nur dann als unangemessen und somit rechtswidrig zu beurteilen, wenn dies das Ergebnis einer Gesamtwürdigung aller Umstände unter besonderer Berücksichtigung der Belange des Bedrohten als auch des Drohenden ist. Dabei kommt es auf das Gewicht des erhobenen Vorwurfs an, ob also bei einem bestimmten Sachverhalt ein verständiger Arbeitgeber auch eine Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen würde (BAG v. 30.01.1986 - 2 AZR 196/85 - NZA 1987, 91).

78

Dies ist vorliegend der Fall. Die Beklagte durfte unter den soeben unter II. 1. b) (2) ausführlich dargelegten Umständen davon ausgehen, dass sich das Verhalten des Klägers u.U. als Untreue, Betrug und/oder Unterschlagung darstellt, so dass sie die Erstattung einer Strafanzeige durchaus in Erwägung ziehen konnte.

79

(8) Nach alle dem durfte die Beklagte dem Kläger sowohl mit einer fristlosen Kündigung als auch mit einer Strafanzeige drohen, so dass schon mangels Vorliegen eines Anfechtungsgrundes, die erklärte Anfechtung keinen Erfolg haben konnte.

80

Darüber hinaus wird von der Berufungskammer die Auffassung des Arbeitsgerichts geteilt, dass vorliegend die Kausalität im Hinblick auf die vom Kläger in Anspruch genommene anwaltliche Beratung nicht ohne weitergehende Angaben des Klägers zu begründen war. Denn nach der Rechtsprechung kann die Ursächlichkeit der Drohung nicht schon dann bejaht werden, wenn die widerrechtliche Drohung conditio sine qua non, dh. nicht wegzudenkende Ursache für die angefochtene Willenserklärung ist. Nach § 123 Abs. 1 BGB muss der Anfechtende vielmehr durch die Drohung zur Abgabe der Willenserklärung “bestimmt” worden sein. Er muss noch bei der Abgabe der Willenserklärung unter dem Eindruck der Drohung gehandelt haben und nicht auf Grund einer davon nicht mehr maßgeblich beeinflussten autonomen Willensbildung (BGH 06.06.1974 - II ZR 114/72 - WM 1974, 1023, zu 1 der Gründe, BAG 23.11.2006 - 6 AZR 394/06 - Rn. 45, AP BGB § 623 Nr. 8).

81

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger bereits zur Beantwortung der schriftlichen Anhörung der Beklagten vom 25.08.2015 seinen damaligen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten eingeschaltet. Der damalige Rechtsanwalt kannte ebenso wie der Kläger bereits vor dem Gespräch am 08.09.2015 den dem Kläger gemachten Vorwurf. Im sodann am 08.09.2015 geführten Gespräch selbst hat der Kläger durchaus auch Punkte des Aufhebungsvertrages zu seinen Gunsten mitverhandelt. Schließlich wurde in diesem Gesprächstermin noch kein schriftlicher Aufhebungsvertrag vorgelegt, sondern erst im Nachgang an den damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers übersandt. Erst am darauffolgenden Tag (09.09.2015) und zwar nach Erhalt der vom Kläger geforderten Dokumente über die Aussagen der Arbeitskollegen fand ein Gespräch zwischen ihm und seinen Rechtsanwalt in dessen Kanzlei statt aufgrund dessen der Kläger sodann den Aufhebungsvertrag unterschrieb. Der Kläger konnte sich daher abschließend mit seinem Rechtsanwalt am Tag nach dem zwischen den Parteien im Beisein des damaligen Rechtsanwalts geführten Gesprächs beraten, weshalb der Kläger dennoch die Unterschrift nicht aufgrund freier Willensentschließung abgegeben haben soll, bleibt auch für die Berufungskammer unerklärlich. Dabei verkennt die Berufungskammer auch nicht, dass ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine dem Arbeitnehmer eingeräumte Bedenkzeit nichts an der Ursächlichkeit der Drohung für den späteren Abschluss des Aufhebungsvertrages ändert (vgl. BAG 28.11.2007 -6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348 ff.). Denn vorliegend gab es eben unter anderem den hinzutretenden Umstand, dass der Kläger anwaltlichen Rat einholte. Es hätte daher weiterer substantiierter Darlegungen und im Bestreitensfall eines entsprechenden Beweisantritts dafür bedurft, dass die Drohung kausal für die Abgabe der Unterschrift war. Allein der Hinweis darauf, dass seiner Ansicht nach die Bedenkzeit durch Fristsetzung zur Annahme (10.09.2015. 9.00 Uhr) zu kurz bemessen gewesen sei, genügt hierfür nicht. Zumal der Kläger selbst nicht nach einer längeren Bedenkzeit verlangt hatte. Der Kläger verkennt auch insoweit die ihn im Anfechtungsprozess treffende Darlegungs- und Beweislast für die Wirksamkeit seiner Anfechtung.

82

Zutreffend weist das Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Beklagte schon nicht verpflichtet gewesen war, überhaupt eine Bedenkzeit einzuräumen, zumal der Kläger hierum nicht nachgesucht hatte (vgl. BAG - 30.01.1986 – 2 AZR 196/85, NZA 1987, 91). Wenn die Beklagte dem Kläger dennoch eine Bedenkzeit einräumt, nämlich vom Gespräch am 08.09.2015 bis zum 10.09.2015, 9.00 Uhr und er diese auch zu einer weiteren Besprechung mit seinem damaligen Rechtsanwalt nutzt, so bestehen zu Recht Zweifel an der Ursächlichkeit der Drohung für den Abschluss des Aufhebungsvertrages. Der Kläger hätte schlichtweg den Aufhebungsvertrag nicht unterschreiben müssen.

83

2. Schließlich liegt auch kein wirksamer Rücktritt vom Aufhebungsvertrag nach 324, 241 Abs. 2 i.V.m. 311 Abs. 2 BGB vor.

84

Denn die Beklagte hat vorliegend keinerlei zum Rücktritt berechtigende Pflichtverletzung hinsichtlich des Abschlusses des Aufhebungsvertrages begangen.

85

Zwar ist mittlerweile in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt, dass der Arbeitgeber sich an das Gebot des fairen Verhandelns beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages halten muss (vgl. grundlegend BAG 27.11.2003 – 24 AZR 177/03 –, BB 2004,1858). Doch sind vorliegend vom Kläger keine Anhaltspunkte für ein mögliches unfaires Verhandeln vorgetragen. Im Gegenteil kam die Beklagte auch der Bitte des Klägers nach die ihn auch belastenden schriftlichen Aussagen/Anzeigen in Kopie noch vor Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages vorzulegen. Auch die von der Beklagten selbst eingeräumte Bedenkzeit kann nicht gegen sie verwandt werden. Das Fristende am Donnerstag den 10.09.2015 morgens ist nicht unfair, sondern erklärt sich daraus, dass es dem Kläger auch freistand den Aufhebungsvertrag nicht zu unterzeichnen und die Beklagte für diesem Fall noch eine angemessene Zeitspanne einplante, um im Fall der Fälle doch noch eine fristlose Kündigung fristwahrend innerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB aussprechen zu können.

III.

86

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

87

Die Zulassung der Revision ist mangels Vorliegens gesetzlicher Gründe nicht veranlasst (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 24. Jan. 2017 - 8 Sa 353/16

Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 24. Jan. 2017 - 8 Sa 353/16

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(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverh
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(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt. (2) Die Berufungsschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;2.die Erklärung, dass gegen dieses Urtei

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(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.

(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird;
2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.

(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen.

(2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 2. Juni 2009 - 14 Sa 101/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer Anfechtung ihres Arbeitsvertrags und über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1982 geborene Kläger war - nach seiner Ausbildung für den mittleren Verwaltungsdienst - befristet bis zum 31. Juli 2002 beim Landkreis K beschäftigt. Eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis unterblieb, nachdem der Landkreis von Aktivitäten des Klägers für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und deren Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) Kenntnis erlangt hatte.

3

Seit August 2003 war der Kläger beim beklagten Land als Verwaltungsangestellter in der Oberfinanzdirektion K (OFD) tätig. Aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme fand auf das Arbeitsverhältnis zunächst der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und anschließend der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 (TV-L) Anwendung.

4

Vor seiner Einstellung hatte das beklagte Land den Kläger schriftlich unter Bezugnahme auf § 8 BAT über seine Pflicht zur Verfassungstreue belehrt. Am 17. Juli 2003 unterzeichnete er eine sich an die Belehrung anschließende vorformulierte Erklärung mit folgendem Inhalt:

        

„Auf Grund dieser Belehrung erkläre ich hiermit ausdrücklich, dass ich die vorstehenden Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bejahe und dass ich bereit bin, mich jederzeit durch mein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten.

        

Ich versichere ausdrücklich, dass ich Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen eine ihrer obengenannten grundlegenden Prinzipien gerichtet sind, nicht unterstütze und auch nicht Mitglied einer hiergegen gerichteten Organisation bin.

        

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich bei einem Verstoß gegen diese Dienst- und Treuepflichten mit einer Entfernung aus dem Dienst rechnen muss.“

5

Seit 2004 war der Kläger im Druck- und Versandzentrum der OFD eingesetzt. Dort war er insbesondere für die Produktionsplanung, -steuerung und -überwachung zuständig. In dem Zentrum werden sämtliche im Zuständigkeitsbereich der OFD anfallenden Bescheide und Schreiben (etwa Steuerbescheide und Beihilfebescheide sowie Lohn- und Gehaltsabrechnungen) mittels elektronisch gesteuerter Druckabläufe erstellt.

6

Mit Schreiben vom 23. August 2007 berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz der OFD über „rechtsextremistische Aktivitäten“ des Klägers, die wie folgt beschrieben und als solche unstreitig sind:

        

„…    

        
        

•       

Am 7. August 2007 lädt er mit ‚Newsletter’ vom gleichen Tag zum ‚Sommerfest’ der ‚Nationaldemokratischen Partei Deutschlands’ (NPD) und deren Jugendorganisation, den ‚Jungen Nationaldemokraten’ (JN) für den 11. August 2007 ein; einem Bericht auf der Homepage des NPD-Kreisverbandes K zufolge ‚führte L in seiner unnachahmlichen Art eines souveränen Versammlungsleiters unterhaltsam durch das weitere Programm’.

        

•       

Mit ‚Newsletter’ vom 30. Juli 2007 weist L auf den ‚Nationalen Stammtisch’ des NPD-Kreisverbands K hin.

        

•       

Zum 17. Juni 2007 lädt er mittels ‚Newsletter’ zu einer Schulungsveranstaltung des NPD-Kreisverbands K nach B ein.

        

•       

Einer Meldung des Polizeipräsidiums K zufolge gab er sich als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN am 9. Juni 2007 in B zu erkennen.

                 

Über einen ‚Newsletter’ verbreitete er die Einladung zu der Veranstaltung.

        

•       

Am 8. Mai 2007 nahm L an einer Mahnwache: ‚Gegen das Vergessen - Zum Gedenken der gefallenen Soldaten des 1. und 2. Weltkrieges’ in K teil. Hauptredner auf der Veranstaltung war der ehemalige NPD-Landesvorsitzende D. Dieser thematisierte unter anderem den Prozess in M gegen den Revisionisten Z und lobte den Revisionismusgedanken, der zur Selbstfindung des deutschen Volkes unerlässlich sei. (…).

        

•       

Über die Jahreshauptversammlung des NPD-Regionalverbandes K am 25. März 2007 verschickte L per ‚Newsletter’ im Vorfeld einen Hinweis.

        

…“    

        
7

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2007 erteilte das beklagte Land dem Kläger nach vorheriger Anhörung eine Abmahnung. Es hielt ihm vor, die Erklärung zur Verfassungstreue unterschrieben zu haben, ohne auf die Nichtverlängerung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Landkreis K und die dafür ursächlichen Aktivitäten hingewiesen zu haben. Durch diese „Fehlinformationen“ und sein öffentliches Auftreten für eine „als verfassungsfeindlich eingestufte Partei wie die NPD“ habe er grob gegen seine „tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue“ verstoßen. Für den Fall anhaltender Aktivitäten für verfassungsfeindliche Organisationen müsse er mit einer fristlosen Kündigung rechnen.

8

Am 18. November 2007, dem Volkstrauertag, nahm der Kläger an einer von der NPD abgehaltenen Gedenkveranstaltung am Ehrenmal „P“ auf dem Gebiet der Gemeinde R teil. Dabei handelt es sich um ein von der Gemeinde errichtetes Steinkreuz zur Erinnerung an die dort beigesetzten deutschen und französischen Soldaten, die im April 1945 vor Ort gefallen sind. Mit Schreiben vom 17. April 2008, bei der OFD eingegangen am 25. April 2008, berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz auch über diese Aktivität.

9

Nach Beteiligung des Personalrats und mit dessen Zustimmung kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 8. Mai 2008 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger fristgerecht Kündigungsschutzklage. Mit Schriftsatz vom 23. September 2008 erklärte das beklagte Land die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, es fehle an Anfechtungs- und Kündigungsgründen. Er habe sich zu jeder Zeit und unmissverständlich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt. Seine politischen Aktivitäten stünden auf dem Boden des Grundgesetzes, zumal weder die NPD noch ihre Jugendorganisation verboten seien. Sollten sich einzelne Parteimitglieder in verfassungsfeindlicher Weise geäußert haben, sei dies nicht der Partei als Ganzer zuzurechnen. Neonazistisches Gedankengut lehne er strikt ab.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände geendet hat, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen, das beklagte Land zu verurteilen, ihn zu den im Arbeitsvertrag vom 4. November 2004 geregelten Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen und tätig werden zu lassen.

12

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, die Anfechtung sei berechtigt. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung fristlos und allemal fristgemäß aufgelöst worden. Der Kläger habe es durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Arbeitsvertrags bestimmt. Er sei, wie sich erst nach der Kündigung vom 8. Mai 2008 herausgestellt habe, aufgrund eines mit dem Personalverantwortlichen des Landkreises K geführten Gesprächs über die Gründe der Nichtverlängerung seines vorherigen Arbeitsverhältnisses genau informiert gewesen. Er habe somit bewusst eine unrichtige Erklärung zu seiner Verfassungstreue abgegeben. Jedenfalls habe er gegen seine Verpflichtung verstoßen, seine Aktivitäten für die vom Landesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestufte NPD bzw. JN zu offenbaren. Die Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe nach der Abmahnung erneut seine tarifvertragliche Pflicht zur Verfassungstreue verletzt und sich durch seine Aktivitäten für die NPD, deren Mitglied er sei, für die ihm übertragene Tätigkeit als ungeeignet erwiesen. Er habe sich die verfassungsfeindlichen Ziele der NPD zu eigen gemacht, diffamiere den Staat und seine Organe in aller Öffentlichkeit und bringe seinen Willen zum Ausdruck, ihn zu bekämpfen. Nach der Kündigung habe er seine verfassungsfeindlichen Aktivitäten fortgesetzt. Am 25. Juli 2008 habe er - unstreitig - anlässlich des Todes eines Rechtsextremisten einen Gedenkbrief versandt. Am Volkstrauertag 2008 sei er erneut bei der Veranstaltung der NPD am Ehrenmal „P“ aufgetreten, nunmehr als verantwortlicher Versammlungsleiter. Sein Verhalten beschädige das Ansehen der Finanzverwaltung und beeinträchtige das Vertrauen der Bürger in deren rechtsstaatliches Handeln.

13

Das Arbeitsgericht hat die Anfechtung und die außerordentliche Kündigung für unwirksam erachtet und der Klage insoweit stattgegeben. Im Übrigen hat es sie abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage auch hinsichtlich der ordentlichen Kündigung stattgegeben. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung des beklagten Landes hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Antrag weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet.

15

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur der Kündigungsschutzantrag. Mit dem erstinstanzlich - als unzulässig - abgewiesenen allgemeinen Feststellungsantrag hat sich das Landesarbeitsgericht nicht befasst. Es hat die Berufung des Klägers, die sich mit der Abweisung dieses Antrags nicht auseinandersetzt, stillschweigend dahin ausgelegt, dass der Antrag nicht weiterverfolgt werde. Soweit es den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung abgewiesen hat, ist das Urteil rechtskräftig.

16

B. Das Landesarbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Seine Entscheidung, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die Anfechtung vom 23. September 2008 noch durch die Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

17

I. Der Gegenstand der Kündigungsschutzklage umfasst zugleich die Frage, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund der Anfechtung beendet worden ist.

18

1. Gegenstand einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG(iVm. § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG) ist das Begehren festzustellen, dass „das Arbeitsverhältnis“ durch die fragliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die Klage kann daher nur Erfolg haben, wenn zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung ein Arbeitsverhältnis noch bestand (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13; 26. Juni 2008 - 6 AZN 648/07 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 66 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 85). Dementsprechend ist Gegenstand der Kündigungsschutzklage auch die Frage, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bzw. - im Fall der ordentlichen Kündigung - des Ablaufs der Kündigungsfrist bestand (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 16 f., BAGE 118, 95; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111). Ist dies nicht der Fall, kann ein der Klage stattgebendes Urteil nicht ergehen, vielmehr ist die Klage schon aus diesem Grund abzuweisen.

19

2. Danach hängt hier der Erfolg der Kündigungsschutzklage (auch) von der Berechtigung der Anfechtung ab. Dem steht nicht entgegen, dass die Anfechtung erst mit Schriftsatz vom 23. September 2008 und damit nach Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung erklärt wurde. Zwar wirkt die Anfechtung eines in Vollzug gesetzten Arbeitsvertrags nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten einer Rückabwicklung grundsätzlich nur „ex nunc“ (BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - BAGE 91, 349; 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV der Gründe, BAGE 41, 54). Im Streitfall wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien aber bereits mit Zugang der fristlosen Kündigung faktisch außer Funktion gesetzt. Unter solchen Umständen besteht kein Grund, die Vorschrift des § 142 Abs. 1 BGB, die der wirksamen Anfechtung grundsätzlich rückwirkende Kraft beilegt, einschränkend anzuwenden. Die Anfechtung wirkt vielmehr auf den Zeitpunkt der faktischen „Außerfunktionssetzung“ zurück, selbst wenn diese ihrerseits auf einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung beruhen sollte (BAG 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - zu IV 3 a der Gründe, aaO).

20

II. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung über die Wirksamkeit von Anfechtung und Kündigung die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. funktionsbezogenen Treuepflicht der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und einem auf diese bezogenen Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung zugrunde gelegt.

21

1. Danach kommt bei politischer Betätigung eines Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für eine verfassungsfeindliche Partei oder Organisation, insbesondere bei einem Eintreten für deren verfassungsfeindliche Ziele eine Kündigung sowohl unter verhaltensbedingten als auch unter personenbedingten Gesichtspunkten in Betracht. Das gilt unabhängig davon, ob die Verfassungswidrigkeit der Partei durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG festgestellt wurde. Auch das politische Engagement für eine nicht verbotene, gleichwohl verfassungsfeindliche Organisation kann kündigungsrechtlich beachtlich sein. Die dafür gegebenenfalls erforderlichen Feststellungen sind von dem zur Entscheidung berufenen Gericht eigenständig zu treffen (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu B II der Gründe, BVerfGE 39, 334; BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu IV der Gründe, BAGE 28, 62; zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD vgl. BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - NJW 2005, 85).

22

2. Eine verhaltensbedingte - außerordentliche oder ordentliche - Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei oder Organisation oder wegen deren aktiver Unterstützung setzt voraus, dass durch einen darin liegenden Verstoß gegen die Treuepflicht eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, sei es im Leistungsbereich, sei es im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

23

3. Eine personenbedingte Kündigung kommt unabhängig davon in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer aufgrund seiner Aktivitäten jedenfalls die Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit fehlt. Im öffentlichen Dienst kann sich ein Eignungsmangel aus begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue des Arbeitnehmers ergeben. Diese ist Bestandteil des Begriffs „Eignung“ in Art. 33 Abs. 2 GG(vgl. BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 96, 171). Mitgliedschaft und aktives Eintreten des Arbeitnehmers für eine verfassungsfeindliche Organisation können entsprechende Zweifel erwecken. Sie führen aber nicht ohne Weiteres zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 1 der Gründe, BAGE 63, 72; 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Entscheidend ist, inwieweit die außerdienstlichen politischen Aktivitäten in die Dienststelle hineinwirken und entweder die allgemeine Aufgabenstellung des öffentlichen Arbeitgebers oder das konkrete Aufgabengebiet des Arbeitnehmers berühren (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - mwN, aaO). Das wiederum hängt maßgeblich davon ab, welche staatlichen Aufgaben der Arbeitgeber wahrzunehmen hat, welche Verhaltenspflichten dem Arbeitnehmer obliegen und welches Aufgabengebiet innerhalb der Verwaltung er zu bearbeiten hat (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, aaO).

24

4. Verhaltenspflichten der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes sind ua. in § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L(zuvor: § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT) festgelegt.

25

a) Nach dieser Regelung, die aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung gelangt, sind die Beschäftigten des beklagten Landes verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Eine entsprechende Verpflichtungserklärung hat der Kläger zudem im Zusammenhang mit seiner Einstellung abgegeben.

26

b) Allerdings können weder die auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT abgegebene Erklärung des Klägers vom 17. Juli 2003, noch die mit § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT wörtlich übereinstimmende Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L mit ihren allgemein gehaltenen Formulierungen dahin verstanden werden, dass allen Beschäftigten des beklagten Landes ohne Bezug zu der jeweils auszuübenden Tätigkeit - vergleichbar den Beamten - eine Pflicht zur Verfassungstreue obliegt(grundlegend BAG 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - zu III 1 d der Gründe, BAGE 28, 62; seither st. Rspr. 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

27

aa) Beamte unterliegen einer gesteigerten politischen Treuepflicht. Diese fordert ihre Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates, dh. seiner freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung, zu identifizieren und dafür aktiv einzutreten. Beamte haben sich deshalb von Gruppen und Bestrebungen zu distanzieren, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 („Radikalenerlass“) - zu C I 2 der Gründe, BVerfGE 39, 334).

28

bb) Dieser - weite - Umfang der das Beamtenverhältnis prägenden Treuepflicht lässt sich nicht schematisch auf Beschäftigte übertragen, die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum öffentlichen Arbeitgeber stehen und denen in der Regel keine hoheitlichen Befugnisse übertragen sind (BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - zu C I 7 b der Gründe, BVerfGE 39, 334). Bei der Fülle staatlicher Aufgaben gibt es durchaus Bereiche, bei denen es für die konkret geschuldete Arbeitsleistung im Rahmen von Arbeitsverhältnissen nicht auf die von Beamten verlangte besondere politische Loyalität ankommt. In diesen Bereichen können Arbeitnehmer auch dann beschäftigt werden, wenn sie nur ein geringeres Maß an politischer Treue erfüllen. Würde man für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes gleichmäßig und unabhängig von ihrer Funktion das Bestehen einer besonderen politischen Treuepflicht annehmen, so würden damit politische Grundrechte der Arbeitnehmer - die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Freiheit, sich in einer Partei politisch zu betätigen (Art. 21 Abs. 1 GG)- unnötig und unverhältnismäßig eingeschränkt (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu II 4 a und III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1; 29. Juli 1982 - 2 AZR 1093/79 - zu B IV 2 c der Gründe, BAGE 39, 235).

29

cc) Das Maß der einem Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes obliegenden Treuepflicht ergibt sich aus seiner Stellung und dem Aufgabenkreis, der ihm laut Arbeitsvertrag übertragen ist (sog. Funktionstheorie, vgl. BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe mwN, BAGE 62, 256). Er schuldet (nur) diejenige politische Loyalität, die für die funktionsgerechte Amtsausübung unverzichtbar ist.

30

Trifft den Arbeitnehmer nach der ihm übertragenen Funktion keine Pflicht zu gesteigerter Loyalität, ist er arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, jederzeit und auch außerdienstlich aktiv für den Bestand der politischen Ordnung des Grundgesetzes einzutreten. Je nach Stellung und Aufgabenkreis kann er die Verfassung schon dadurch „wahren“, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung jedenfalls nicht aktiv bekämpft (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 c aa der Gründe, BAGE 62, 256; 12. März 1986 - 7 AZR 468/81 - zu II 2 c der Gründe, RzK I 1 Nr. 10).

31

Aber auch für Beschäftigte, an deren Verfassungstreue wegen ihrer Tätigkeit - etwa als Lehrer, Erzieher oder Sozialarbeiter - die gleichen oder zumindest ähnliche Anforderungen zu stellen sind wie an die von in vergleichbarer Stellung beschäftigten Beamten, gilt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation oder ein Tätigwerden für diese zwar Indizien für das Fehlen der Bereitschaft zur Verfassungstreue sind, für sich genommen aber als Eignungsmangel regelmäßig noch nicht ausreichen. Anders als bei der Einstellung, für deren Unterbleiben es grundsätzlich genügt, dass allgemeine Zweifel an der Verfassungstreue begründet sind (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a aa der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12), obliegt es dem öffentlichen Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess, derartige Zweifel durch bestimmte, auf den Arbeitnehmer und seinen Aufgabenbereich bezogene Umstände zu konkretisieren und so zu verstärken. Aufschlussreich kann insoweit das dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers sein, wenn es über die Verfolgung verfassungskonformer Ziele der betreffenden Organisation hinausgeht. Von Bedeutung kann auch das persönliche Verfassungsverständnis des Arbeitnehmers und das Fehlen der Bereitschaft sein, sich von verfassungsfeindlichen Zielen der Organisation, der er angehört oder für die er eintritt, zu distanzieren (BAG 28. September 1989 - 2 AZR 317/86 - zu B I 4 c der Gründe, BAGE 63, 72).

32

5. Das Maß der politischen Treuepflicht hat zugleich Einfluss auf das Erkundigungs-/Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung.

33

a) Auszugehen ist dabei von dem Grundsatz, dass die falsche Beantwortung einer zulässigerweise gestellten Frage die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB begründen kann(zur Frage nach früherer MfS-Tätigkeit BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - BVerfGE 96, 171; BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341).

34

b) Auch wenn zu den Eignungskriterien im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG die Verfassungstreue zählt, sind darauf bezogene Fragen nur zulässig, soweit die vorgesehene Funktion dies erfordert und rechtfertigt(vgl. BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 b und 2 a der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 31. März 1976 - 5 AZR 104/74 - BAGE 28, 62; 1. Oktober 1986 - 7 AZR 383/85 - BAGE 53, 137; Conze Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers und Offenbarungspflicht des Bewerbers bei der Vertragsanbahnung ZTR 1991, 99, 106 mwN). Die Frage muss so formuliert sein, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, wonach gefragt ist. Er muss die Zulässigkeit der Frage beurteilen können (BAG 13. Juni 2002 - 2 AZR 234/01 - zu B I 2 b der Gründe, BAGE 101, 341). Wenn politische Einstellungen den Arbeitnehmer bei funktionsbezogener Betrachtung nicht - auch für ihn erkennbar - an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Berufspflichten hindern, besteht keine Pflicht, die eigenen Überzeugungen und mögliche Parteimitgliedschaften oder Organisationszugehörigkeiten ungefragt zu offenbaren.

35

6. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.

36

a) Sie haben in der Literatur verbreitet Zustimmung erfahren (vgl. Sponer/Steinherr TV-L (2008) § 3 Rn. 55; Polzer/Powietzka NZA 2000, 970, 974 f.; jeweils mwN; mit Einschränkungen: Fleig DÖD 1999, 217) und stimmen mit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte überein (vgl. BVerwG 19. Januar 1989 - 7 C 89/87 - BVerwGE 81, 212; OVG Lüneburg 12. Dezember 2007 - 17 LP 4/06 - PersR 2008, 324).

37

b) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat anerkannt, dass ein demokratischer Staat das Recht hat, von seinen Bediensteten - jedenfalls in Abhängigkeit von ihrer Funktion - ein Bekenntnis zu zentralen Verfassungsgrundsätzen zu verlangen, auf denen der Staat beruht. Es seien - so der Gerichtshof - auch die Erfahrungen Deutschlands während der Weimarer Zeit und der anschließenden Phase bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes im Jahre 1949 sowie die Bestrebung zu berücksichtigen, die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage einer „wehrhaften Demokratie“ aufzubauen (EGMR 22. November 2001 - 39799/98 [Volkmer/Deutschland] - zu 1. der Gründe, NJW 2002, 3087; 26. September 1993 - 7/1994/454/535 [Vogt/Deutschland] - Rn. 51, 59 ff., NJW 1996, 375).

38

c) Die angeführten Grundsätze tragen den Diskriminierungsverboten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Rechnung (vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238). Dabei kann unterstellt werden, dass die Zugehörigkeit zu einer Partei oder das Eintreten für deren Ziele das in § 1 AGG genannte Diskriminierungsmerkmal der „Weltanschauung“ betrifft(dazu einerseits Annuß BB 2005, 1629, 1631; Wisskirchen/Bissels NZA 2007, 169, 172 f.; andererseits BVerwG 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 - zu 3 c ee der Gründe, NJW 2005, 85). Durch die funktionsbezogene Betrachtung ist hinreichend sichergestellt, dass ein Eignungsmangel des Bewerbers nur bejaht wird, wenn die von § 8 Abs. 1 Satz 2 BAT bzw. § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L geforderte Verfassungstreue eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG darstellt.

39

III. Ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen ist die Kündigungsschutzklage nicht deshalb unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Anfechtung des beklagten Landes aufgelöst worden wäre. Ein Anfechtungsgrund liegt auch bei Verfassungsfeindlichkeit der NPD und/oder ihrer Jugendorganisation nicht vor.

40

1. Die Anfechtung war trotz vorangegangener Kündigung nicht ausgeschlossen (vgl. dazu BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - zu B II 1 a der Gründe , AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5 ). Das beklagte Land hat sein Anfechtungsrecht nicht durch die fristlose Kündigung „verbraucht“. Es stützt Anfechtung und Kündigung im Übrigen auf unterschiedliche Sachverhalte. Ausschließlich zur Begründung der Anfechtung macht es geltend, der Kläger habe im Zusammenhang mit seiner Einstellung über Aktivitäten für die als verfassungsfeindlich eingestufte NPD arglistig getäuscht, wobei es von den die Arglist begründenden Tatsachen erst nach der Kündigung hinreichend Kenntnis erlangt habe.

41

2. Der in Rede stehende Anfechtungstatbestand des § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Dabei muss sich die Täuschung auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen. Subjektive Werturteile genügen nicht (BAG 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe). Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war.

42

a) Wird der (spätere) Arbeitnehmer zulässigerweise nach bestimmten Tatsachen befragt, so ist er zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung verpflichtet. Das Verschweigen nicht nachgefragter Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht bestand. Eine solche Pflicht ist an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände dem Arbeitnehmer die Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Leistungspflicht unmöglich machen oder aus sonstigen Gründen für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind (BAG 27. Mai 1999 - 8 AZR 345/98 - zu B II 2 der Gründe; 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 a der Gründe).

43

b) Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Dienstherrn entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 91, 349).

44

3. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, im Streitfall fehle es jedenfalls an der erforderlichen Arglist des Klägers, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

45

a) Ist die - vorformulierte - Erklärung vom 17. Juli 2003 zugleich als Antwort auf Frage(n) zur Verfassungstreue des Bewerbers zu verstehen, bestehen Bedenken an deren rechtlicher Verbindlichkeit. Die der Erklärung vorangestellte Belehrung nimmt auf die in den Landesgesetzen normierte Pflicht zur Verfassungstreue für Beamte (§ 70 Abs. 2 LBG) und Richter (§ 8 LRiG) Bezug und verweist darauf, dass sich „die gleichen politischen Treuepflichten“ für Angestellte aus § 8 BAT ergäben. Der Belehrung folgt ein umfassendes Bekenntnis des Stellenbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und die Erklärung seiner Bereitschaft, für deren Erhaltung einzutreten. Dem Bewerber wird dagegen nicht verdeutlicht, dass funktionsbezogen durchaus geringere Anforderungen an die Verfassungstreue bestehen können.

46

b) Zudem verlangt das beklagte Land mit der erbetenen Erklärung von dem Bewerber, eine eigene Beurteilung dessen, was unter „Bestrebungen … gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ zu verstehen ist, wann von einem „Unterstützen“ solcher Bestrebungen die Rede sein und wann angenommen werden kann, dass sich eine Organisation gegen diese Grundordnung richtet. Eine ordnungsgemäße Befragung zwecks Feststellung der Verfassungstreue setzt demgegenüber voraus, dass der Bewerber nach konkreten Umständen befragt wird, die gemäß den Anforderungen der ins Auge gefassten Tätigkeit einstellungsrelevant sind. Die allgemeine Frage, ob der Bewerber einer verfassungsfeindlichen Organisation angehört, ist unzulässig. Mit ihr würde vom Bewerber eine Wertung verlangt, die vorzunehmen Sache der einstellenden Behörde ist (BAG 28. Februar 1991 - 2 AZR 357/90 - zu II 1 b bb der Gründe).

47

c) Eine arglistige Täuschung kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil sich der Kläger gleichwohl der Unvereinbarkeit seiner politischen Aktivitäten mit der Pflicht zur Verfassungstreue bewusst gewesen wäre. Dafür fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten.

48

aa) Das Fehlen einer Unterrichtung darüber, welche Parteien, Organisationen und Aktivitäten das beklagte Land als verfassungsfeindlich einstuft, kann - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - Einfluss auf den subjektiven Tatbestand des § 123 Abs. 1 BGB haben. Ein Arbeitnehmer, der sich für eine zwar objektiv verfassungsfeindlich, aber nicht verbotene Partei oder Organisation engagiert und aktiv für deren Ziele eintritt, kann subjektiv der Auffassung sein, er bewege sich (noch) auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und setze sich nicht für verfassungsfeindliche Bestrebungen ein.

49

bb) Davon ist das Landesarbeitsgericht im Streitfall ausgegangen. Es hat angenommen, der Kläger habe aus seiner subjektiven Sicht in seinen Aktivitäten für die NPD/JN keinen Widerspruch zu dem Inhalt seiner Erklärung vom 17. Juli 2003 erblickt. Er berufe sich gerade darauf, dass er sich stets in vollem Umfang zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt habe und weiterhin bekenne, auch nicht Mitglied oder Anhänger einer Partei sei, deren Ziele sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes richteten. Umstände, die den Schluss zuließen, dies habe nicht der wahren Überzeugung des Klägers entsprochen, lägen nicht vor.

50

cc) Diese tatrichterliche Würdigung unterliegt der revisionsrechtlichen Kontrolle nur daraufhin, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist, gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände beachtet worden sind. Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Revision nicht auf. Sie bringt lediglich vor, das Landesarbeitsgericht habe nicht ausreichend auf die Erfahrungen Bedacht genommen, die der Kläger im Zusammenhang mit der Nichtverlängerung seines vorhergehenden Arbeitsverhältnisses gesammelt habe. Das trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat den Vortrag des beklagten Landes, der Kläger habe gewusst, dass sein Arbeitsverhältnis wegen seiner politischen Aktivitäten nicht verlängert worden sei, berücksichtigt. Daraus ergab sich aber weder, dass sich der Kläger wahrheitswidriger Angaben zu seiner Verfassungstreue bewusst gewesen wäre, noch dass er bewusst einer sich aufdrängenden Offenbarungspflicht zuwider gehandelt hätte. Zum einen ist nicht dargetan, dass der Kläger selbst von der Verfassungsfeindlichkeit der NPD oder ihrer Jugendorganisation überzeugt gewesen wäre oder dies zumindest billigend in Kauf genommen hätte. Zum anderen konnte er, selbst wenn er erkannt haben mag, dass zumindest das beklagte Land die NPD als verfassungsfeindlich einstuft, durchaus subjektiv der Auffassung sein, nicht selbst derartige Ziele zu unterstützen oder sonstwie auf ein aktives Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes auszugehen und damit jedenfalls (noch) das für die angestrebte Tätigkeit erforderliche Maß an Verfassungstreue aufzubringen.

51

IV. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 8. Mai 2008 aufgelöst worden. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Es sind nach der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 keine zusätzlichen Umstände eingetreten oder dem beklagten Land erstmals bekannt geworden, die als Verstoß des Klägers gegen seine (einfache) Pflicht zur Verfassungstreue anzusehen wären.

52

1. Es kann dahinstehen, ob die mit Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz vom 23. August 2007 mitgeteilten Aktivitäten des Klägers einen Kündigungsgrund darstellen. Das beklagte Land hat sie zum Gegenstand einer Abmahnung gemacht. Es hat sich damit eines etwaigen Kündigungsrechts wegen dieser Sachverhalte begeben, solange nicht neue Verstöße hinzutreten.

53

a) Regelmäßig liegt im Ausspruch einer Abmahnung der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, er sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, dass er es nicht mehr fortsetzen könne. Auf das dafür maßgebliche Motiv kommt es nicht an (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 13. Dezember 2007 - 6 AZR 145/07 - Rn. 24, BAGE 125, 208; 2. Februar 2006 - 2 AZR 222/05 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 52).

54

b) Das beklagte Land hat dem Kläger mit der Abmahnung vom 4. Oktober 2007 für den Fall „anhaltender Aktivitäten für die rechtsextremistische Szene“ eine Kündigung in Aussicht gestellt. Mit dieser Ankündigung hat es stillschweigend erklärt, eben dies aufgrund der aktuell bekannt gewordenen Ereignisse nicht tun zu wollen. Darin liegt ein bewusster Verzicht auf das Recht zur Kündigung.

55

c) Der mit einer Abmahnung verbundene Verzicht auf ein Kündigungsrecht erfasst auch das Recht, aus einem Grund in der Person des Arbeitnehmers zu kündigen, der sich aus dem betreffenden Sachverhalt ergeben mag. Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen auf steuerbarem Verhalten beruhenden, also behebbaren Eignungsmangel vorhält und ihn insoweit abgemahnt hat, ist es ihm wie nach der Abmahnung pflichtwidrigen Verhaltens verwehrt, zur Rechtfertigung einer späteren Kündigung ausschließlich den der Abmahnung zugrunde liegenden Sachverhalt heranzuziehen.

56

d) Der Verzicht wird hinfällig, wenn weitere Gründe zu den abgemahnten hinzutreten oder zwar bei Ausspruch der Abmahnung objektiv schon vorlagen, aber erst danach bekannt wurden. Diese können vom Arbeitgeber zur Begründung einer Kündigung herangezogen werden, die sowohl die neuen oder neu bekannt gewordenen Tatsachen als auch unterstützend die bereits abgemahnten Gründe erfasst, sofern sich daraus ein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender Kündigungsgrund ergibt (BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 15, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 10. November 1998 - 2 AZR 215/88 - zu II 2 d bb der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 3 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 18).

57

2. Danach ist die Kündigung nicht aus Gründen in der Person des Klägers gerechtfertigt.

58

a) Den Kläger trifft lediglich eine sog. einfache und keine gesteigerte politische Treuepflicht. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.

59

aa) Eine Verpflichtung des Klägers, wie ein Beamter jederzeit aktiv für die Grundordnung der Verfassung einzutreten, ergibt sich nicht schon aus der Aufgabenstellung der Finanzverwaltung. Auch wenn diese als Eingriffsverwaltung (vgl. bspw. BVerwG 26. Juni 1980 - 2 C 37/78 - BVerwGE 60, 254) hohe Anforderungen an die Integrität und Loyalität der mit der Erhebung und Beitreibung von Steuern befassten Mitarbeiter stellen muss, bedeutet dies nicht, dass es nicht auch in ihrem Bereich Funktionen gäbe, die den Einsatz von Beschäftigten mit einem geringeren Maß an Verfassungstreue zuließen.

60

bb) Dem Vorbringen des beklagten Landes lässt sich nicht entnehmen, dass für die Wahrnehmung der dem Kläger zugewiesenen Arbeitsaufgaben ein gesteigertes Maß an Verfassungstreue erforderlich wäre. Der Kläger trägt für die im Druckzentrum erstellten Steuer- oder Beihilfebescheide inhaltlich keine Verantwortung. Seine Aufgabe besteht vornehmlich in der Planung, Steuerung und Überwachung des Druck- und Versandverfahrens. Im Vordergrund steht die Gewährleistung eines technisch reibungslosen Ablaufs der (körperlichen) Herstellung der Bescheide und deren ordnungsgemäße Versendung. Der Umstand, dass der Kläger dabei Zugang zu personenbezogenen Daten der Steuerpflichtigen hat, vermag ein Verlangen nach gesteigerter Loyalität nicht zu begründen. Soweit das beklagte Land erstmals in der Revision vorgetragen hat, der Kläger habe „umfassende Zugriffsmöglichkeiten auf höchst sensible Daten und zwar sowohl im Bereich der Großrechner als auch der Produktionsserver“ und habe zudem die Möglichkeit, „Daten und Dokumente bei der Druckaufbereitung selbständig zu bearbeiten“, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, mit dem es in der Revision nicht mehr gehört werden kann. Auf die Schlüssigkeit des Vortrags kommt es nicht an.

61

b) Unterliegt der Kläger deshalb „nur“ einer sog. einfachen politischen Loyalitätspflicht, verlangt diese von ihm lediglich die Gewähr, nicht selbst aktiv verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen oder darauf auszugehen, den Staat, die Verfassung oder ihre Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen (BAG 5. August 1982 - 2 AZR 1136/79 - zu III 1 b der Gründe, BAGE 40, 1). Ein Verstoß gegen diese „einfache“ Treuepflicht kann nicht schon aus der Mitgliedschaft des Klägers in der NPD und Übernahme bestimmter Funktionen in der Partei abgeleitet werden, die dem beklagten Land nach eigenem Vorbringen erst nach der Abmahnung bekannt geworden sind. Dabei kann zugunsten des beklagten Landes erneut unterstellt werden, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.

62

aa) Ein Arbeitnehmer, dem eine „einfache“ Treuepflicht obliegt, verletzt diese nicht schon dadurch, dass er verfassungsfeindliche Ziele einer Organisation für richtig hält und dies durch eine Mitgliedschaft oder andere Aktivitäten zum Ausdruck bringt. Diese Pflicht wird erst durch ein Verhalten verletzt, das in seinen konkreten Auswirkungen darauf gerichtet ist, verfassungsfeindliche Ziele der Organisation aktiv zu fördern oder zu verwirklichen (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12; 12. März 1986 - 7 AZR 469/81 -). Dazu bedarf es der Darlegung konkreter, auf den Arbeitnehmer bezogener Umstände, die geeignet sind, ein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei hinreichend zu individualisieren (vgl. BAG 15. Juli 1982 - 2 AZR 887/79 - zu C II 2 d aa der Gründe, BAGE 39, 180).

63

bb) Derartige Umstände hat das beklagte Land - unter Beachtung der sich aus der Abmahnung ergebenden Beschränkungen - nicht dargetan.

64

(1) Die Teilnahme des Klägers an der „Gedenkveranstaltung“ der NPD am 18. November 2007 lässt kein aktives Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele der Partei erkennen. Zwar sind derartige Gedenkveranstaltungen in der Tradition des nationalsozialistischen „Heldengedenkens“ zu sehen. Die schlichte Teilnahme lässt aber keinen weitergehenden Schluss zu als dass er sich in innerer Übereinstimmung damit befunden haben mag. Dies gilt auch für die Behauptung des beklagten Landes, auf der Versammlung sei die erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen worden. Es hält sich im Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichts, wenn es in einem solchen Verhalten keinen genügenden Anhaltspunkt dafür gesehen hat, der Kläger sei etwa nicht bereit, die deutschen Staatsgrenzen anzuerkennen, und sei bestrebt, diese Grenzen auf verfassungs- und völkerrechtswidrigem Wege zu beseitigen.

65

(2) Soweit sich das beklagte Land auf das Versenden eines „Newsletters“ vom 25. Juli 2008 und weitere, im Anschluss daran entfaltete Aktivitäten beruft, kann dahinstehen, ob der Kläger insoweit in verfassungsfeindlicher Weise agiert hat. Es handelt sich um Vorgänge, die in die Zeit nach Ausspruch der Kündigung fallen und die zu deren Rechtfertigung nicht herangezogen werden können (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52 mwN, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

66

(3) Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht das schon vor Beginn des Arbeitsverhältnisses der Parteien verfasste Schreiben des Klägers vom 18. Dezember 2001.

67

(a) Das Landesarbeitsgericht ist, was die Einführung dieses Schreibens in den Rechtsstreit betrifft, von einem unzulässigen Nachschieben von Kündigungsgründen ausgegangen. Der Sachverhalt unterliege einem Verwertungsverbot, weil das beklagte Land nicht aufgezeigt habe, dass der Personalrat hierzu erneut beteiligt worden sei. Nicht erforderlich sei, dass der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats gerügt habe.

68

(b) Es kann dahinstehen, ob dieser Auffassung zu folgen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob eine Berücksichtigung des Schreibens schon deshalb nicht möglich ist, weil Grundlage der Beurteilung bereits eingetretener oder noch zu erwartender Vertragsverletzungen in erster Linie das Verhalten des Arbeitnehmers während der Dauer des Arbeitsverhältnisses sein muss (BAG 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 a ee der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls deshalb zutreffend (§ 561 ZPO), weil sich aus dem nachträglich bekannt gewordenen Schreiben kein über das abgemahnte Verhalten hinausgehender, eigenständiger Kündigungsgrund ergibt.

69

Das beklagte Land hat den Kläger ua. deshalb abgemahnt, weil er sich am 9. Juni 2007 als Verantwortlicher für die Gründung des Stützpunkts K der JN zu erkennen gegeben hat. Bereits in diesem Verhalten kam zum Ausdruck, dass der Kläger hinter den Zielen der JN steht und diese fördern will. Ein damit verbundener Verstoß gegen die ihm obliegende Treuepflicht erhält nicht deshalb ein größeres oder anderes Gewicht, weil der Kläger bereits vor der Kündigung mit seinem Sprachgebrauch eine Identifikation mit verfassungsfeindlichen Zielen der NPD/JN zum Ausdruck gebracht haben mag.

70

3. Die Kündigung ist nicht aus Gründen im Verhalten des Klägers gerechtfertigt.

71

a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass eine - sowohl von § 626 Abs. 1 BGB als auch § 1 Abs. 2 KSchG vorausgesetzte - konkrete Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses nicht schon darin liegt, dass der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden durch das innerbetriebliche oder außerdienstliche politische Verhalten des Arbeitnehmers abstrakt oder konkret gefährdet ist. Erforderlich ist, dass eine konkrete Störung tatsächlich eingetreten ist (BAG 20. Juli 1989 - 2 AZR 114/87 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 62, 256; 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - BAGE 58, 37; 6. Juni 1984 - 7 AZR 456/82 - zu II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 12).

72

b) Konkrete Beeinträchtigungen hat das beklagte Land nicht vorgetragen.

73

aa) Es behauptet nicht, der Kläger habe seine politische Einstellung innerhalb der Finanzverwaltung offen vertreten und dadurch die Arbeitsabläufe und/oder den Betriebsfrieden gestört.

74

bb) Ebenso wenig benennt es „greifbare“ Tatsachen, die erkennen ließen, das Verhalten des Klägers beeinträchtige unmittelbar berechtigte Sicherheitsinteressen. Soweit es vorbringt, der Kläger habe vor einem Sommerfest der JN, bei dem er „durch das Programm“ geführt habe, an einer von ihm - dem beklagten Land - angebotenen Fortbildungsveranstaltung teilgenommen und daraus Nutzen gezogen, waren ihm - dem beklagten Land - die maßgebenden Umstände bereits bei Ausspruch der Abmahnung bekannt.

75

cc) Eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses ergibt sich schließlich nicht aus einem möglichen Ansehensverlust oder einem Verlust des Vertrauens „redlicher Bürger“ in eine rechtsstaatliche Steuerverwaltung. Das beklagte Land hat nicht dargetan, dass die Aktivitäten des Klägers und dessen Stellung als Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes in der Bevölkerung bekannt geworden wären und konkrete Wirkungen gezeitigt hätten.

76

V. Das beklagte Land hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Baerbaum    

        

    Bartz    

                 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 15. Dezember 2010 - 2 Sa 742/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs.

2

Die Klägerin war seit dem 1. September 1981 in einem Warenhaus der Beklagten beschäftigt. Zuletzt hatte sie die Stellung einer Abteilungsleiterin inne.

3

Im Herbst des Jahres 2008 deutete die Klägerin dem Geschäftsführer ihrer Filiale an, aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden zu wollen, um ihren Mann bei dessen beabsichtigter Selbständigkeit zu unterstützen. Im Januar 2009 erkrankte die Klägerin. Ab Februar 2009 führte sie mit dem Personalleiter der Beklagten Gespräche über ihr Ausscheiden. Sie signalisierte bereit zu sein, ihr Arbeitsverhältnis gegen eine Abfindung von 55.000,00 Euro zu beenden. Man kam überein, dass die Beklagte kündigen und man sodann einen gerichtlichen Vergleich protokollieren lassen würde.

4

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 20. Mai 2009 zum 31. Dezember 2009. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage. In der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht schlossen die Parteien am 8. Juni 2009 folgenden Vergleich:

        

„1.     

Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung vom 20. Mai 2009 fristgerecht mit dem 31. Dezember 2009 endet.

        

2.    

Als Abfindung nur für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die Beklagte an die Klägerin entsprechend den §§ 9, 10 KSchG einen Betrag iHv. 55.000,00 Euro brutto.

        

3.    

Damit ist der Rechtsstreit beendet.“

5

Am 9. Juni 2009 stellte die Beklagte einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Verfahren wurde am 1. September 2009 eröffnet. Nachdem ein Insolvenzplan erstellt worden war, wurde es zum 30. September 2010 aufgehoben.

6

Mit Anwaltsschreiben vom 23. Oktober 2009 focht die Klägerin gegenüber dem Insolvenzverwalter den gerichtlichen Vergleich vom 8. Juni 2009 wegen arglistiger Täuschung an. Auf der Grundlage des Insolvenzplans hätte sie mit einer Quote von 3 vH der Vergleichsforderung zu rechnen.

7

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit des Vergleichs und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Sie hat behauptet, sie habe den Vergleich im Vertrauen darauf geschlossen, der vorgesehene Abfindungsbetrag werde tatsächlich gezahlt. Die rechtlichen Folgen einer Insolvenz seien ihr nicht geläufig gewesen. Es sei offensichtlich, dass die Beklagte bei Abschluss des Vergleichs gewusst habe, dass sie entgegen ihrer Zusicherung die Abfindungssumme nicht würde zahlen können. Die Beklagte habe den Insolvenzantrag am 8. Juni 2009 bereits konkret vorbereitet. Ihr selbst seien nur die allgemeinen finanziellen Schwierigkeiten der Beklagten bekannt gewesen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Schreiben vom 23. Oktober 2009 sei zugleich als Rücktritt vom Vergleich zu verstehen.

8

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass der gerichtliche Vergleich vom 8. Juni 2009 den Rechtsstreit nicht beendet hat;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20. Mai 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

3.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund des gerichtlichen Vergleichs mit Ablauf des 31. Dezember 2009 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht;

        

4.    

die Beklagte zu verurteilen, sie zu den bisherigen Bedingungen als Abteilungsleiterin weiterzubeschäftigen;

        

hilfsweise zu 2. und 3.,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihr Angebot, sie mit Wirkung vom 1. Januar 2010 unter Anerkennung der bisherigen Betriebszugehörigkeit wieder einzustellen, anzunehmen.

9

Die Beklagte hat beantragt festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 8. Juni 2009 beendet ist. Sie hat vorgetragen, sie habe am 8. Juni 2009 keine Kenntnis davon gehabt, dass sie am Folgetag Insolvenzantrag würde stellen müssen. Noch am 8. und sogar am 9. Juni 2009 selbst sei über die Gewährung von Staatshilfen verhandelt worden. Erst nachdem die Gespräche negativ verlaufen seien, sei der Antrag gestellt worden. Ein Rücktrittsrecht stehe der Klägerin nicht zu, es habe sich lediglich das Insolvenzrisiko realisiert.

10

Das Arbeitsgericht hat nach dem Antrag der Beklagten erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet. Der Rechtsstreit ist durch den gerichtlichen Vergleich vom 8. Juni 2009 beendet.

12

I. Die Anträge der Klägerin sind zulässig.

13

1. Zwar bestünden daran mit Blick auf den Antrag zu 1), wäre dieser als echter Sachantrag zu verstehen, Bedenken. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an einer entsprechenden Zwischenfeststellung gem. § 256 Abs. 2 ZPO nicht dargelegt. Die Auslegung ergibt jedoch, dass die Klägerin mit dem Antrag zu 1) keine eigenständige Feststellung begehrt. Ihr Ziel ist die sachliche Bescheidung ihrer Anträge zu 2) bis 4). Dafür ist als Vorfrage zu klären, ob der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 8. Juni 2009 beendet ist. Einer gesonderten Feststellung bedarf es nicht.

14

2. Streiten die Parteien über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs, ist dieser Streit in demselben Verfahren auszutragen, in dem der Vergleich geschlossen wurde (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 544/08 - Rn. 16, AP BGB § 123 Nr. 68 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 9; 23. November 2006 - 6 AZR 394/06 - Rn. 15, BAGE 120, 251). Ob der alte Prozess auch dann fortzusetzen ist, wenn der Prozessvergleich materiellrechtlich aus Gründen unwirksam wird, die erst nach seinem Abschluss entstanden sind - wenn etwa ausschließlich ein gesetzliches Rücktrittsrecht geltend gemacht wird -, kann dahinstehen (str.; vgl. bejahend BAG 5. August 1982 - 2 AZR 199/80 - zu B II 4 der Gründe, BAGE 40, 17; verneinend BGH 10. März 1955 - II ZR 201/53 - zu II 3 der Gründe, BGHZ 16, 388). Jedenfalls dann, wenn neben einem Rücktritt auch die Anfechtung erklärt wurde, ist der bisherige Prozess fortzusetzen (Hanseatisches OLG Hamburg 30. November 1994 - 4 U 167/94 - ZMR 1996, 266; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 30. Aufl. § 794 Rn. 36). Wird der Vergleich als wirksam angesehen, so ist auszusprechen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 544/08 - aaO; 23. November 2006 - 6 AZR 394/06 - aaO; BGH 10. März 1995 - II ZR 201/53 - aaO).

15

II. Die auf die Fortsetzung des bisherigen Rechtsstreits und eine Sachentscheidung gerichtete Klage ist unbegründet. Der Prozessvergleich vom 8. Juni 2009 hat den Rechtsstreit wirksam beendet. Über die Sachanträge, einschließlich des Hilfsantrags, ist nicht mehr zu entscheiden.

16

1. Ein Prozessvergleich hat neben seinen materiellrechtlichen Folgen iSv. § 779 BGB unmittelbar prozessbeendende Wirkung(vgl. BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 544/08 - Rn. 15, AP BGB § 123 Nr. 68 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 9; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 30. Aufl. § 794 Rn. 3, 26). Er wird zur Beilegung und damit Erledigung des Rechtsstreits geschlossen (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Erledigung tritt grundsätzlich mit dem Abschluss des Vergleichs ein. Auch im Streitfall haben die Parteien in Ziff. 3) des Vergleichs vereinbart, dass der Rechtsstreit damit beendet sei.

17

Auch soweit die Klägerin geltend macht, der Vergleich vom 8. Juni 2009 sei dahin auszulegen, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne die Abfindungszahlung habe eintreten sollen, ändert dies nichts an seiner unmittelbar prozessbeendenden Wirkung. Die von ihr begehrte Fortsetzung des Rechtsstreits ist deshalb nur bei Unwirksamkeit des Vergleichs möglich.

18

2. Der Prozessvergleich vom 8. Juni 2009 ist wirksam.

19

a) Er ist nicht aus formellen Gründen unwirksam. Die Klägerin macht solche Mängel weder geltend, noch sind sie sonst ersichtlich. Der Vergleich ist ausweislich der Sitzungsniederschrift des Arbeitsgerichts vom 8. Juni 2009 ordnungsgemäß protokolliert worden.

20

b) Der Prozessvergleich ist nicht gem. § 138 Abs. 1 BGB oder § 134 BGB von Anfang an nichtig. Versteht man seinen Inhalt mit dem Landesarbeitsgericht dahin, die Klägerin habe bereits mit seinem Abschluss der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zugestimmt, die Abfindung habe jedoch erst mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31. Dezember 2009 fällig werden sollen, hätte die Klägerin ihre Zustimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar als Vorleistung erbracht. Das verstieße aber weder gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB noch gegen die guten Sitten iSv. § 138 Abs. 1 BGB(vgl. für einen außergerichtlichen Aufhebungsvertrag BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - Rn. 21). Auch eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt nicht vor. Die Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers entspricht bei der Vereinbarung eines Beendigungsvergleichs regelmäßig den zugrunde liegenden Interessen. Einerseits wird der Arbeitnehmer dadurch bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirtschaftlich so gestellt, wie er ohne die Aufhebungsvereinbarung gestanden hätte. Andererseits kann, da ein Aufhebungsvertrag in der Regel unter der aufschiebenden Bedingung steht, dass das Arbeitsverhältnis bis zu dem vereinbarten Auflösungszeitpunkt fortgesetzt wird (BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - aaO; 5. April 2001 - 2 AZR 217/00 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 34 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10), die vereinbarte Abfindungszahlung dann gegenstandslos werden, wenn später zB eine außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis noch vor dem im Vertrag vorgesehenen Zeitpunkt auflöst (vgl. BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - aaO; DFL/Fischermeier 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 32).

21

c) Der Vergleich ist nicht gem. § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig. Die Klägerin hat ihn zwar frist- und formgerecht gem. § 124 Abs. 1 und Abs. 2, § 143 Abs. 1 und Abs. 2 BGB angefochten. Ein Anfechtungsgrund liegt aber nicht vor. Die Klägerin ist nicht durch arglistige Täuschung iSv. § 123 Abs. 1 BGB zum Abschluss des Vergleichs bestimmt worden.

22

aa) Eine arglistige Täuschung iSv. § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Dabei muss sich die Täuschung auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen. Die Äußerung subjektiver Werturteile genügt nicht (BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 41, EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10; 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5). Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war. Das subjektive Merkmal „Arglist“ iSv. § 123 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim Erklärungsgegner entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Anfechtende; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 43; 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 91, 349).

23

bb) Danach war die Anfechtung im Streitfall nicht berechtigt.

24

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe von der finanziell bedrängten Lage der Beklagten bei Abschluss des Vergleichs gewusst. Aus den Medien sei bekannt gewesen, eine Insolvenz der Beklagten sei möglich und würde nur durch staatliche Finanzhilfen abgewendet werden können. In dieser Lage habe die Klägerin nicht davon ausgehen können, die Zahlungsfähigkeit der Beklagten werde in der Folgezeit, jedenfalls für den Zeitraum bis zur Fälligkeit der Abfindung, gesichert sein.

25

(2) Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die Beklagte bei Abschluss des Vergleichs arglistig falsche Tatsachen behauptet oder die Offenbarung bestimmter Tatsachen pflichtwidrig und arglistig unterlassen hätte, so dass bei ihr - der Klägerin - für den Abschluss des Vergleichs ursächliche Fehlvorstellungen hervorgerufen worden wären.

26

(a) Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, das Berufungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, ihr sei unbekannt gewesen, dass die Beklagte den Insolvenzantrag am 8. Juni 2009 bereits konkret vorbereitet habe. Das Landesarbeitsgericht hat eine arglistige Täuschung auch angesichts dieses Vorbringens ohne Rechtsfehler verneint.

27

(aa) Die Klägerin hat nicht behauptet, der Personalleiter der Beklagten, welcher für diese den Vergleich schloss, habe bereits am 8. Juni 2009 Kenntnis von der Vorbereitung des Insolvenzantrags gehabt. Gem. § 166 Abs. 1 BGB ist im Falle der Vertretung jedoch auf die Kenntnis des Vertreters abzustellen. Ebenso wenig hat die Klägerin mit Blick auf § 166 Abs. 2 BGB behauptet, der Personalleiter habe den Vergleich auf Weisung anderer Vertreter der Beklagten geschlossen, welche ihrerseits Kenntnis von der Vorbereitung des Insolvenzantrags gehabt hätten.

28

(bb) Selbst bei entsprechender Kenntnis auf Seiten des Personalleiters läge kein arglistiges Verschweigen iSv. § 123 Abs. 1 BGB vor. Der Klägerin war bekannt, dass der Beklagten die Zahlungsunfähigkeit drohte. Unter diesen Umständen musste die Beklagte nicht annehmen, es sei für die Entscheidung der Klägerin, den Prozessvergleich abzuschließen, von Bedeutung, ob für den Fall des tatsächlichen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit ein Insolvenzantrag bereits vorbereitet wäre.

29

(b) Die Klägerin hat - anders als ihr Vorbringen in der Revision nahelegt - in den Vorinstanzen nicht behauptet, der Beklagten oder dem Personalleiter sei bei Abschluss des Vergleichs bekannt gewesen, dass der Insolvenzantrag in jedem Fall schon am nächsten Tag eingereicht würde. Ebenso wenig hat sie behauptet, sie würde den Vergleich jedenfalls nicht am 8. Juni 2009 geschlossen haben, hätte sie gewusst, dass am Folgetag möglicherweise die für eine Insolvenz entscheidenden Verhandlungen über mögliche Staatshilfen für die Beklagte geführt würden.

30

d) Die Klägerin ist nicht wirksam von dem Prozessvergleich vom 8. Juni 2009 zurückgetreten. Es bedarf keiner Entscheidung, ob dem Schreiben vom 23. Oktober 2009, mit welchem sie den Vergleich anfocht, zugleich eine Rücktrittserklärung entnommen werden kann oder ob zumindest eine entsprechende Umdeutung der Anfechtungserklärung möglich ist. Ein Rücktrittsrecht folgt, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, weder aus § 313 Abs. 1, Abs. 3 BGB noch aus § 323 Abs. 1 BGB. Es ergibt sich auch nicht aus § 326 Abs. 5 BGB.

31

aa) Die Klägerin konnte nicht wirksam wegen einer wesentlichen Änderung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB von dem Prozessvergleich zurücktreten.

32

(1) Gem. § 313 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB kann die benachteiligte Partei von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben, die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, ihr ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann und eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder ihrerseits einem Teil nicht zumutbar ist. Geschäftsgrundlage in diesem Sinne sind zum einen die gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragspartner, die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt geworden, beim Abschluss aber zutage getreten sind, zum anderen die dem Geschäftspartner erkennbaren oder von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Partei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien aufbaut (st. Rspr., etwa BGH 28. April 2005 - III ZR 351/04 - zu II 1 c der Gründe, BGHZ 163, 42).

33

(2) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein solches Rücktrittsrecht habe nicht bestanden. Die Zahlungsfähigkeit der Beklagten - und damit die Möglichkeit, den Vergleich vollständig zu erfüllen - sei objektiv bereits bei Abschluss des Vergleichs gefährdet gewesen. Den Parteien sei durch die umfangreiche Berichterstattung in den Medien bekannt gewesen, dass der A, zu der die Beklagte gehört habe, die Insolvenz gedroht habe. Die Zahlungsfähigkeit der Beklagten zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung am 31. Dezember 2009 sei damit von Beginn an nicht gesichert gewesen. Nach dem Scheitern der Sanierungsbemühungen habe sich dieses Insolvenzrisiko realisiert. Das berechtige die Klägerin nicht zum Rücktritt.

34

(3) Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Beklagten haben sich die Umstände, unter denen der Vergleich von beiden Parteien geschlossen worden war, nicht unvorhergesehen verändert. Soweit die Klägerin behauptet hat, beide Parteien seien vor und bei Abschluss des Vergleichs von der Erfüllbarkeit der Abfindungszahlung ausgegangen, hat sich, eine solche gemeinsame Erwartung unterstellt, durch den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Beklagten gleichwohl nur ein beiden Parteien bereits bei Vergleichsabschluss bekanntes Risiko verwirklicht. Es fehlt damit an einer schwerwiegenden nachträglichen Veränderung der Umstände iSv. § 313 Abs. 1 BGB.

35

bb) Die Klägerin konnte von dem Vergleich nicht gem. § 323 Abs. 1 BGB wegen Nichterbringung der Leistung zurücktreten. Der Umstand, dass ihr Abfindungsanspruch durch die Insolvenzeröffnung zu einer Insolvenzforderung geworden ist, begründete kein Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Nach Eröffnung der Insolvenz ist die Abfindungsforderung nicht mehr durchsetzbar. Damit ist für die Anwendung des § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB kein Raum.

36

(1) Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist Voraussetzung für das gesetzliche Rücktrittsrecht nach § 323 BGB die Durchsetzbarkeit der ursprünglichen Forderung(BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - Rn. 31; Staudinger/Otto/Schwarze [2009] § 323 Rn. B 28; Soergel/Gsell 13. Aufl. § 323 Rn. 50; Bamberger/Roth/Grothe BGB 2. Aufl. Bd. 1 § 323 Rn. 5; MünchKommBGB/Ernst 5. Aufl. § 323 Rn. 47). § 323 Abs. 1 BGB ermöglicht dem Gläubiger die Wahl, von der Durchsetzung der Forderung durch Leistungsklage abzusehen und sich stattdessen für eine Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses zu entscheiden. Das gesetzliche Rücktrittsrecht setzt damit voraus, dass der Schuldner die geschuldete Leistung ordnungsgemäß erbringen kann und muss, dies aber - warum auch immer - nicht tut (vgl. Staudinger/Otto/Schwarze [2009] § 323 Rn. A 8). Eine das Rücktrittsrecht begründende Verletzung der Leistungspflicht iSv. § 323 Abs. 1 BGB ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Schuldner gar nicht leisten muss oder gar nicht leisten darf, die Forderung also nicht durchsetzbar ist(BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - aaO).

37

(2) Ein Abfindungsanspruch aus einem mit dem Schuldner geschlossenen Vergleich, der bei Ausübung des Rücktrittsrechts wegen zwischenzeitlich erfolgter Insolvenzeröffnung nur noch eine Insolvenzforderung darstellt, ist nicht durchsetzbar (vgl. für den Abfindungsanspruch aus einem außergerichtlichen Aufhebungsvertrag BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - Rn. 32). Der Arbeitnehmer kann in einem solchen Fall nicht mehr auf Leistung der Abfindung klagen, sondern nur noch gem. §§ 174 ff. InsO die Feststellung seiner Forderung zur Insolvenztabelle verlangen. Die ursprüngliche Abfindungsforderung ist - auch nach Eintritt ihrer Fälligkeit - nicht mehr durchsetzbar (vgl. im Einzelnen BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - Rn. 32 ff.). Dabei bleibt es auch dann, wenn das Insolvenzverfahren nach Aufstellung eines Insolvenzplans gem. § 258 InsO aufgehoben wird. Nach § 254 Abs. 1 InsO gilt in diesem Fall der gestaltende Teil des bestätigten Insolvenzplans. Der Schuldner wird mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gem. § 227 Abs. 1 InsO befreit, soweit im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt ist.

38

(3) Ein Rücktrittsrecht der Klägerin gem. § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist danach nicht gegeben. Die Abfindungsforderung war nach der Insolvenzeröffnung am 1. September 2009 nicht mehr durchsetzbar. Die Klägerin hat den Rücktritt vom Vergleich frühestens mit Schreiben vom 23. Oktober 2009 erklärt.

39

cc) Ein Rücktritt vom Vergleich war auch nicht gem. § 326 Abs. 5 BGB möglich. Nach dieser Bestimmung kann der Gläubiger von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten, wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB nicht zu leisten braucht. Ein Fall des Ausschlusses der Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit lag hier nicht vor. Der Abfindungsanspruch der Klägerin war wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten zwar nicht durchsetzbar. Die Leistung wurde der Beklagten dadurch aber nicht im Sinne von § 275 BGB unmöglich(vgl. MünchKommBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 13; Palandt/Grüneberg 71. Aufl. § 275 Rn. 3, § 276 Rn. 28).

40

III. Als unterlegene Partei hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Söller    

        

    Jan Eulen    

                 

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 15. Dezember 2010 - 2 Sa 742/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs.

2

Die Klägerin war seit dem 1. September 1981 in einem Warenhaus der Beklagten beschäftigt. Zuletzt hatte sie die Stellung einer Abteilungsleiterin inne.

3

Im Herbst des Jahres 2008 deutete die Klägerin dem Geschäftsführer ihrer Filiale an, aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden zu wollen, um ihren Mann bei dessen beabsichtigter Selbständigkeit zu unterstützen. Im Januar 2009 erkrankte die Klägerin. Ab Februar 2009 führte sie mit dem Personalleiter der Beklagten Gespräche über ihr Ausscheiden. Sie signalisierte bereit zu sein, ihr Arbeitsverhältnis gegen eine Abfindung von 55.000,00 Euro zu beenden. Man kam überein, dass die Beklagte kündigen und man sodann einen gerichtlichen Vergleich protokollieren lassen würde.

4

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 20. Mai 2009 zum 31. Dezember 2009. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage. In der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht schlossen die Parteien am 8. Juni 2009 folgenden Vergleich:

        

„1.     

Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung vom 20. Mai 2009 fristgerecht mit dem 31. Dezember 2009 endet.

        

2.    

Als Abfindung nur für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die Beklagte an die Klägerin entsprechend den §§ 9, 10 KSchG einen Betrag iHv. 55.000,00 Euro brutto.

        

3.    

Damit ist der Rechtsstreit beendet.“

5

Am 9. Juni 2009 stellte die Beklagte einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Verfahren wurde am 1. September 2009 eröffnet. Nachdem ein Insolvenzplan erstellt worden war, wurde es zum 30. September 2010 aufgehoben.

6

Mit Anwaltsschreiben vom 23. Oktober 2009 focht die Klägerin gegenüber dem Insolvenzverwalter den gerichtlichen Vergleich vom 8. Juni 2009 wegen arglistiger Täuschung an. Auf der Grundlage des Insolvenzplans hätte sie mit einer Quote von 3 vH der Vergleichsforderung zu rechnen.

7

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit des Vergleichs und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Sie hat behauptet, sie habe den Vergleich im Vertrauen darauf geschlossen, der vorgesehene Abfindungsbetrag werde tatsächlich gezahlt. Die rechtlichen Folgen einer Insolvenz seien ihr nicht geläufig gewesen. Es sei offensichtlich, dass die Beklagte bei Abschluss des Vergleichs gewusst habe, dass sie entgegen ihrer Zusicherung die Abfindungssumme nicht würde zahlen können. Die Beklagte habe den Insolvenzantrag am 8. Juni 2009 bereits konkret vorbereitet. Ihr selbst seien nur die allgemeinen finanziellen Schwierigkeiten der Beklagten bekannt gewesen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Schreiben vom 23. Oktober 2009 sei zugleich als Rücktritt vom Vergleich zu verstehen.

8

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass der gerichtliche Vergleich vom 8. Juni 2009 den Rechtsstreit nicht beendet hat;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20. Mai 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

3.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund des gerichtlichen Vergleichs mit Ablauf des 31. Dezember 2009 beendet worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht;

        

4.    

die Beklagte zu verurteilen, sie zu den bisherigen Bedingungen als Abteilungsleiterin weiterzubeschäftigen;

        

hilfsweise zu 2. und 3.,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihr Angebot, sie mit Wirkung vom 1. Januar 2010 unter Anerkennung der bisherigen Betriebszugehörigkeit wieder einzustellen, anzunehmen.

9

Die Beklagte hat beantragt festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 8. Juni 2009 beendet ist. Sie hat vorgetragen, sie habe am 8. Juni 2009 keine Kenntnis davon gehabt, dass sie am Folgetag Insolvenzantrag würde stellen müssen. Noch am 8. und sogar am 9. Juni 2009 selbst sei über die Gewährung von Staatshilfen verhandelt worden. Erst nachdem die Gespräche negativ verlaufen seien, sei der Antrag gestellt worden. Ein Rücktrittsrecht stehe der Klägerin nicht zu, es habe sich lediglich das Insolvenzrisiko realisiert.

10

Das Arbeitsgericht hat nach dem Antrag der Beklagten erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet. Der Rechtsstreit ist durch den gerichtlichen Vergleich vom 8. Juni 2009 beendet.

12

I. Die Anträge der Klägerin sind zulässig.

13

1. Zwar bestünden daran mit Blick auf den Antrag zu 1), wäre dieser als echter Sachantrag zu verstehen, Bedenken. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an einer entsprechenden Zwischenfeststellung gem. § 256 Abs. 2 ZPO nicht dargelegt. Die Auslegung ergibt jedoch, dass die Klägerin mit dem Antrag zu 1) keine eigenständige Feststellung begehrt. Ihr Ziel ist die sachliche Bescheidung ihrer Anträge zu 2) bis 4). Dafür ist als Vorfrage zu klären, ob der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 8. Juni 2009 beendet ist. Einer gesonderten Feststellung bedarf es nicht.

14

2. Streiten die Parteien über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs, ist dieser Streit in demselben Verfahren auszutragen, in dem der Vergleich geschlossen wurde (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 544/08 - Rn. 16, AP BGB § 123 Nr. 68 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 9; 23. November 2006 - 6 AZR 394/06 - Rn. 15, BAGE 120, 251). Ob der alte Prozess auch dann fortzusetzen ist, wenn der Prozessvergleich materiellrechtlich aus Gründen unwirksam wird, die erst nach seinem Abschluss entstanden sind - wenn etwa ausschließlich ein gesetzliches Rücktrittsrecht geltend gemacht wird -, kann dahinstehen (str.; vgl. bejahend BAG 5. August 1982 - 2 AZR 199/80 - zu B II 4 der Gründe, BAGE 40, 17; verneinend BGH 10. März 1955 - II ZR 201/53 - zu II 3 der Gründe, BGHZ 16, 388). Jedenfalls dann, wenn neben einem Rücktritt auch die Anfechtung erklärt wurde, ist der bisherige Prozess fortzusetzen (Hanseatisches OLG Hamburg 30. November 1994 - 4 U 167/94 - ZMR 1996, 266; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 30. Aufl. § 794 Rn. 36). Wird der Vergleich als wirksam angesehen, so ist auszusprechen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 544/08 - aaO; 23. November 2006 - 6 AZR 394/06 - aaO; BGH 10. März 1995 - II ZR 201/53 - aaO).

15

II. Die auf die Fortsetzung des bisherigen Rechtsstreits und eine Sachentscheidung gerichtete Klage ist unbegründet. Der Prozessvergleich vom 8. Juni 2009 hat den Rechtsstreit wirksam beendet. Über die Sachanträge, einschließlich des Hilfsantrags, ist nicht mehr zu entscheiden.

16

1. Ein Prozessvergleich hat neben seinen materiellrechtlichen Folgen iSv. § 779 BGB unmittelbar prozessbeendende Wirkung(vgl. BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 544/08 - Rn. 15, AP BGB § 123 Nr. 68 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 9; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 30. Aufl. § 794 Rn. 3, 26). Er wird zur Beilegung und damit Erledigung des Rechtsstreits geschlossen (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Erledigung tritt grundsätzlich mit dem Abschluss des Vergleichs ein. Auch im Streitfall haben die Parteien in Ziff. 3) des Vergleichs vereinbart, dass der Rechtsstreit damit beendet sei.

17

Auch soweit die Klägerin geltend macht, der Vergleich vom 8. Juni 2009 sei dahin auszulegen, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne die Abfindungszahlung habe eintreten sollen, ändert dies nichts an seiner unmittelbar prozessbeendenden Wirkung. Die von ihr begehrte Fortsetzung des Rechtsstreits ist deshalb nur bei Unwirksamkeit des Vergleichs möglich.

18

2. Der Prozessvergleich vom 8. Juni 2009 ist wirksam.

19

a) Er ist nicht aus formellen Gründen unwirksam. Die Klägerin macht solche Mängel weder geltend, noch sind sie sonst ersichtlich. Der Vergleich ist ausweislich der Sitzungsniederschrift des Arbeitsgerichts vom 8. Juni 2009 ordnungsgemäß protokolliert worden.

20

b) Der Prozessvergleich ist nicht gem. § 138 Abs. 1 BGB oder § 134 BGB von Anfang an nichtig. Versteht man seinen Inhalt mit dem Landesarbeitsgericht dahin, die Klägerin habe bereits mit seinem Abschluss der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zugestimmt, die Abfindung habe jedoch erst mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31. Dezember 2009 fällig werden sollen, hätte die Klägerin ihre Zustimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar als Vorleistung erbracht. Das verstieße aber weder gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB noch gegen die guten Sitten iSv. § 138 Abs. 1 BGB(vgl. für einen außergerichtlichen Aufhebungsvertrag BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - Rn. 21). Auch eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt nicht vor. Die Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers entspricht bei der Vereinbarung eines Beendigungsvergleichs regelmäßig den zugrunde liegenden Interessen. Einerseits wird der Arbeitnehmer dadurch bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirtschaftlich so gestellt, wie er ohne die Aufhebungsvereinbarung gestanden hätte. Andererseits kann, da ein Aufhebungsvertrag in der Regel unter der aufschiebenden Bedingung steht, dass das Arbeitsverhältnis bis zu dem vereinbarten Auflösungszeitpunkt fortgesetzt wird (BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - aaO; 5. April 2001 - 2 AZR 217/00 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 34 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10), die vereinbarte Abfindungszahlung dann gegenstandslos werden, wenn später zB eine außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis noch vor dem im Vertrag vorgesehenen Zeitpunkt auflöst (vgl. BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - aaO; DFL/Fischermeier 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 32).

21

c) Der Vergleich ist nicht gem. § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig. Die Klägerin hat ihn zwar frist- und formgerecht gem. § 124 Abs. 1 und Abs. 2, § 143 Abs. 1 und Abs. 2 BGB angefochten. Ein Anfechtungsgrund liegt aber nicht vor. Die Klägerin ist nicht durch arglistige Täuschung iSv. § 123 Abs. 1 BGB zum Abschluss des Vergleichs bestimmt worden.

22

aa) Eine arglistige Täuschung iSv. § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Dabei muss sich die Täuschung auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen. Die Äußerung subjektiver Werturteile genügt nicht (BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 41, EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10; 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5). Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war. Das subjektive Merkmal „Arglist“ iSv. § 123 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim Erklärungsgegner entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Anfechtende; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 43; 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 91, 349).

23

bb) Danach war die Anfechtung im Streitfall nicht berechtigt.

24

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe von der finanziell bedrängten Lage der Beklagten bei Abschluss des Vergleichs gewusst. Aus den Medien sei bekannt gewesen, eine Insolvenz der Beklagten sei möglich und würde nur durch staatliche Finanzhilfen abgewendet werden können. In dieser Lage habe die Klägerin nicht davon ausgehen können, die Zahlungsfähigkeit der Beklagten werde in der Folgezeit, jedenfalls für den Zeitraum bis zur Fälligkeit der Abfindung, gesichert sein.

25

(2) Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die Beklagte bei Abschluss des Vergleichs arglistig falsche Tatsachen behauptet oder die Offenbarung bestimmter Tatsachen pflichtwidrig und arglistig unterlassen hätte, so dass bei ihr - der Klägerin - für den Abschluss des Vergleichs ursächliche Fehlvorstellungen hervorgerufen worden wären.

26

(a) Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, das Berufungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, ihr sei unbekannt gewesen, dass die Beklagte den Insolvenzantrag am 8. Juni 2009 bereits konkret vorbereitet habe. Das Landesarbeitsgericht hat eine arglistige Täuschung auch angesichts dieses Vorbringens ohne Rechtsfehler verneint.

27

(aa) Die Klägerin hat nicht behauptet, der Personalleiter der Beklagten, welcher für diese den Vergleich schloss, habe bereits am 8. Juni 2009 Kenntnis von der Vorbereitung des Insolvenzantrags gehabt. Gem. § 166 Abs. 1 BGB ist im Falle der Vertretung jedoch auf die Kenntnis des Vertreters abzustellen. Ebenso wenig hat die Klägerin mit Blick auf § 166 Abs. 2 BGB behauptet, der Personalleiter habe den Vergleich auf Weisung anderer Vertreter der Beklagten geschlossen, welche ihrerseits Kenntnis von der Vorbereitung des Insolvenzantrags gehabt hätten.

28

(bb) Selbst bei entsprechender Kenntnis auf Seiten des Personalleiters läge kein arglistiges Verschweigen iSv. § 123 Abs. 1 BGB vor. Der Klägerin war bekannt, dass der Beklagten die Zahlungsunfähigkeit drohte. Unter diesen Umständen musste die Beklagte nicht annehmen, es sei für die Entscheidung der Klägerin, den Prozessvergleich abzuschließen, von Bedeutung, ob für den Fall des tatsächlichen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit ein Insolvenzantrag bereits vorbereitet wäre.

29

(b) Die Klägerin hat - anders als ihr Vorbringen in der Revision nahelegt - in den Vorinstanzen nicht behauptet, der Beklagten oder dem Personalleiter sei bei Abschluss des Vergleichs bekannt gewesen, dass der Insolvenzantrag in jedem Fall schon am nächsten Tag eingereicht würde. Ebenso wenig hat sie behauptet, sie würde den Vergleich jedenfalls nicht am 8. Juni 2009 geschlossen haben, hätte sie gewusst, dass am Folgetag möglicherweise die für eine Insolvenz entscheidenden Verhandlungen über mögliche Staatshilfen für die Beklagte geführt würden.

30

d) Die Klägerin ist nicht wirksam von dem Prozessvergleich vom 8. Juni 2009 zurückgetreten. Es bedarf keiner Entscheidung, ob dem Schreiben vom 23. Oktober 2009, mit welchem sie den Vergleich anfocht, zugleich eine Rücktrittserklärung entnommen werden kann oder ob zumindest eine entsprechende Umdeutung der Anfechtungserklärung möglich ist. Ein Rücktrittsrecht folgt, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, weder aus § 313 Abs. 1, Abs. 3 BGB noch aus § 323 Abs. 1 BGB. Es ergibt sich auch nicht aus § 326 Abs. 5 BGB.

31

aa) Die Klägerin konnte nicht wirksam wegen einer wesentlichen Änderung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB von dem Prozessvergleich zurücktreten.

32

(1) Gem. § 313 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB kann die benachteiligte Partei von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben, die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, ihr ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann und eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder ihrerseits einem Teil nicht zumutbar ist. Geschäftsgrundlage in diesem Sinne sind zum einen die gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragspartner, die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt geworden, beim Abschluss aber zutage getreten sind, zum anderen die dem Geschäftspartner erkennbaren oder von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Partei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien aufbaut (st. Rspr., etwa BGH 28. April 2005 - III ZR 351/04 - zu II 1 c der Gründe, BGHZ 163, 42).

33

(2) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein solches Rücktrittsrecht habe nicht bestanden. Die Zahlungsfähigkeit der Beklagten - und damit die Möglichkeit, den Vergleich vollständig zu erfüllen - sei objektiv bereits bei Abschluss des Vergleichs gefährdet gewesen. Den Parteien sei durch die umfangreiche Berichterstattung in den Medien bekannt gewesen, dass der A, zu der die Beklagte gehört habe, die Insolvenz gedroht habe. Die Zahlungsfähigkeit der Beklagten zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung am 31. Dezember 2009 sei damit von Beginn an nicht gesichert gewesen. Nach dem Scheitern der Sanierungsbemühungen habe sich dieses Insolvenzrisiko realisiert. Das berechtige die Klägerin nicht zum Rücktritt.

34

(3) Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Beklagten haben sich die Umstände, unter denen der Vergleich von beiden Parteien geschlossen worden war, nicht unvorhergesehen verändert. Soweit die Klägerin behauptet hat, beide Parteien seien vor und bei Abschluss des Vergleichs von der Erfüllbarkeit der Abfindungszahlung ausgegangen, hat sich, eine solche gemeinsame Erwartung unterstellt, durch den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Beklagten gleichwohl nur ein beiden Parteien bereits bei Vergleichsabschluss bekanntes Risiko verwirklicht. Es fehlt damit an einer schwerwiegenden nachträglichen Veränderung der Umstände iSv. § 313 Abs. 1 BGB.

35

bb) Die Klägerin konnte von dem Vergleich nicht gem. § 323 Abs. 1 BGB wegen Nichterbringung der Leistung zurücktreten. Der Umstand, dass ihr Abfindungsanspruch durch die Insolvenzeröffnung zu einer Insolvenzforderung geworden ist, begründete kein Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Nach Eröffnung der Insolvenz ist die Abfindungsforderung nicht mehr durchsetzbar. Damit ist für die Anwendung des § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB kein Raum.

36

(1) Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist Voraussetzung für das gesetzliche Rücktrittsrecht nach § 323 BGB die Durchsetzbarkeit der ursprünglichen Forderung(BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - Rn. 31; Staudinger/Otto/Schwarze [2009] § 323 Rn. B 28; Soergel/Gsell 13. Aufl. § 323 Rn. 50; Bamberger/Roth/Grothe BGB 2. Aufl. Bd. 1 § 323 Rn. 5; MünchKommBGB/Ernst 5. Aufl. § 323 Rn. 47). § 323 Abs. 1 BGB ermöglicht dem Gläubiger die Wahl, von der Durchsetzung der Forderung durch Leistungsklage abzusehen und sich stattdessen für eine Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses zu entscheiden. Das gesetzliche Rücktrittsrecht setzt damit voraus, dass der Schuldner die geschuldete Leistung ordnungsgemäß erbringen kann und muss, dies aber - warum auch immer - nicht tut (vgl. Staudinger/Otto/Schwarze [2009] § 323 Rn. A 8). Eine das Rücktrittsrecht begründende Verletzung der Leistungspflicht iSv. § 323 Abs. 1 BGB ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Schuldner gar nicht leisten muss oder gar nicht leisten darf, die Forderung also nicht durchsetzbar ist(BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - aaO).

37

(2) Ein Abfindungsanspruch aus einem mit dem Schuldner geschlossenen Vergleich, der bei Ausübung des Rücktrittsrechts wegen zwischenzeitlich erfolgter Insolvenzeröffnung nur noch eine Insolvenzforderung darstellt, ist nicht durchsetzbar (vgl. für den Abfindungsanspruch aus einem außergerichtlichen Aufhebungsvertrag BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - Rn. 32). Der Arbeitnehmer kann in einem solchen Fall nicht mehr auf Leistung der Abfindung klagen, sondern nur noch gem. §§ 174 ff. InsO die Feststellung seiner Forderung zur Insolvenztabelle verlangen. Die ursprüngliche Abfindungsforderung ist - auch nach Eintritt ihrer Fälligkeit - nicht mehr durchsetzbar (vgl. im Einzelnen BAG 10. November 2011 - 6 AZR 342/10 - Rn. 32 ff.). Dabei bleibt es auch dann, wenn das Insolvenzverfahren nach Aufstellung eines Insolvenzplans gem. § 258 InsO aufgehoben wird. Nach § 254 Abs. 1 InsO gilt in diesem Fall der gestaltende Teil des bestätigten Insolvenzplans. Der Schuldner wird mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gem. § 227 Abs. 1 InsO befreit, soweit im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt ist.

38

(3) Ein Rücktrittsrecht der Klägerin gem. § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist danach nicht gegeben. Die Abfindungsforderung war nach der Insolvenzeröffnung am 1. September 2009 nicht mehr durchsetzbar. Die Klägerin hat den Rücktritt vom Vergleich frühestens mit Schreiben vom 23. Oktober 2009 erklärt.

39

cc) Ein Rücktritt vom Vergleich war auch nicht gem. § 326 Abs. 5 BGB möglich. Nach dieser Bestimmung kann der Gläubiger von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten, wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB nicht zu leisten braucht. Ein Fall des Ausschlusses der Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit lag hier nicht vor. Der Abfindungsanspruch der Klägerin war wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten zwar nicht durchsetzbar. Die Leistung wurde der Beklagten dadurch aber nicht im Sinne von § 275 BGB unmöglich(vgl. MünchKommBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 13; Palandt/Grüneberg 71. Aufl. § 275 Rn. 3, § 276 Rn. 28).

40

III. Als unterlegene Partei hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Söller    

        

    Jan Eulen    

                 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 22. Juli 2015, Az. 5 Ca 1537/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

3. Der Streitwert wird auf 7.800 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag.

2

Der 1960 geborene Kläger war seit 1978 im Betrieb der Beklagten als Maschineneinrichter zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt 2.600 EUR im Schichtbetrieb beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt ca. 120 Arbeitnehmer. Der Kläger war Ersatzmitglied des Betriebsrats.

3

Am 17.11.2014 führte der Geschäftsführer der Beklagten im Beisein des Prokuristen und des kaufmännischen Leiters ein Personalgespräch mit dem Kläger. Dem Kläger wurde vorgehalten, dass er nach den Beobachtungen des befristet beschäftigten Mitarbeiters H. in der Zeit vom 13.10. bis 14.11.2014 jeweils in der Spätschicht, abends nachdem die Geschäftsleitung das Haus verlassen hatte, wiederholt seine Arbeit für einen Zeitraum bis zu eineinhalb Stunden beendet und sich mit seinen Arbeitskollegen S. und/oder Sch. in Richtung Umkleidebereich, vermutlich zum gemeinsamen Biertrinken, zurückgezogen habe. Bei seiner Rückkehr aus der Umkleide habe der Kläger am 14.11.2014 nach Alkohol gerochen. Einzelheiten über Inhalt und Verlauf des Gesprächs sind zwischen den Parteien streitig. Im Ergebnis des Gesprächs unterzeichnete der Kläger einen von der Beklagten vorbereiteten Aufhebungsvertrag zum 30.11.2014. Auch mit den Arbeitnehmern Schm. und Schä. führte die Beklagte am 17.11.2014 getrennte Gespräche, die mit der Unterzeichnung eines vorbereiteten Aufhebungsvertrags zum 30.11.2014 endeten.

4

Mit Anwaltsschreiben vom 19.11.2014 focht der Kläger den Aufhebungsvertrag wegen Drohung mit einer Strafanzeige und einer fristlosen Kündigung an. Er sei durch die Art der Gesprächsführung in eine bedrohliche Situation gebracht und widerrechtlich zur Unterzeichnung des Vertrags genötigt worden. Die Beklagte wies die erklärte Anfechtung als unbegründet zurück. Daraufhin hat der Kläger am 26.11.2014 Klage erhoben. Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlichen Sachanträge wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 22.07.2015 Bezug genommen.

5

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die vom Kläger angeführte "Überrumpelung", binnen kurzer Zeit zu einer Fülle von Vorwürfen Stellung beziehen zu müssen, scheide als Anfechtungsgrund aus. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, das Personalgespräch anzukündigen. Auch auf "Angst und Panik" könne sich der Kläger nicht berufen. Er habe ein drohendes oder nötigendes Verhalten der Beklagten nicht substantiiert vorgetragen, jedenfalls sei er insoweit beweisfällig geblieben. Die Beklagte habe die Behauptung des Klägers bestritten, sie habe ihm die mehrfach verlangte Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds verwehrt, er sei sogar am Verlassen des Raums zu diesem Zweck gehindert worden. Der Kläger habe hierfür keinen tauglichen Beweis angeboten. Die von ihm benannten Zeugen S. und Sch. seien nicht zu vernehmen gewesen, weil sie an dem Gespräch nicht teilgenommen haben. Die Beklagte habe den Kläger nicht durch eine widerrechtliche Drohung mit einer fristlosen Kündigung bzw. der Einleitung eines Zustimmungsverfahrens zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags bestimmt. Trotz der langjährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers hätte ein verständiger Arbeitgeber den Ausspruch einer Kündigung - auch ohne Abmahnung - ernsthaft in Betracht ziehen dürfen. Der Kläger habe sich an einer Vielzahl von Tagen in der Spätschicht mit seinen Kollegen S. und/oder Sch. erhebliche Zeiträume unentschuldigt von seinem Arbeitsplatz entfernt, nämlich nach den Aufzeichnungen des Mitarbeiters H. am 13.10.2014 von 16:00 bis 17:30 Uhr und zwischen 20:00 und 21:30 Uhr, am 14.10.2014 von 19:25 bis 21:30 Uhr, am 27.10.2014 von 20:30 bis 21:30 Uhr, am 13.11.2014 von 19:35 bis 19:55 Uhr, von 20:00 bis 20:30 Uhr und von 20:33 bis 21:30 Uhr sowie am 14.11.2014 von 20:46 bis 21:00 Uhr und von 21:30 Uhr bis Feierabend. Der Kläger habe nicht substantiiert vorgetragen, was er in diesen Zeiträumen getan habe, sondern lediglich allgemein ausgeführt, er sei teilweise im Magazin, im Messraum oder auf der Toilette gewesen. Auch habe er öfter seinen Spind in der Umkleide aufgesucht, um Sprudelwasser zu trinken. Die Beklagte habe durch das Verhalten des Klägers einen Schaden, nämlich einen Arbeitszeitschaden, erlitten. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 22.07.2015 Bezug genommen.

6

Gegen das am 13.08.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 07.09.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 24.09.2015 eingegangenem Schriftsatz begründet.

7

Er macht geltend, er habe den Aufhebungsvertrag wirksam angefochten. Ein verständiger Arbeitgeber hätte eine Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Die Beklagte habe ihm aus dem Nichts mit einer Kündigung und einer Strafanzeige gedroht. Die Beklagte stütze ihre Vorwürfe auf die schriftlichen Aufzeichnungen des Mitarbeiters H.. Er habe dessen Aufenthaltsbeschreibungen erstinstanzlich teilweise eingeräumt bzw. teilweise bestritten. Die Schlussfolgerungen und Bewertungen, dass er in den aufgezeichneten Zeiträumen nicht gearbeitet habe, habe er voll bestritten. Er habe detailliert dargelegt, dass er in diesen Zeiten tatsächlich gearbeitet habe. Er habe auch dargelegt, dass der betriebsfremde H. die Arbeitsabläufe nicht gekannt habe. H. habe deshalb nicht beurteilen können, was er in diesen Zeiten gemacht habe. Da ihm nicht nachgewiesen sei, dass er seine Arbeitspflicht verletzt habe, und der Beklagten kein Schaden entstanden sei, weil alle Maschinen ordnungsgemäß gearbeitet haben, kein Schrott gefahren und die Mengenvorgaben eingehalten worden seien, hätte eine Arbeitgeberkündigung einer gerichtlichen Überprüfung nicht standgehalten. Das Arbeitsgericht habe Hinweispflichten gem. § 139 ZPO verletzt, weil es die von ihm benannten Zeugen S. und Sch. als untauglich angesehen, ihn jedoch erst im Urteil darauf hingewiesen habe. Er sei auch erst im Urteil darauf hingewiesen worden, dass er das Vorbringen der Beklagten nicht hinreichend substantiiert bestritten habe. Das Arbeitsgericht habe Beweisanträge übergangen, weil es nicht geklärt habe, ob H. von der Beklagten eigens als Detektiv auf ihn angesetzt worden sei. Hierfür habe er vier Zeugen benannt. Schließlich sei unklar, was das Arbeitsgericht unter einem "Arbeitszeitschaden" verstehe. Vermögensschäden oder Schäden an den Rechtsgütern des § 823 BGB seien der Beklagten nicht entstanden. Der bereits erstinstanzlich bestrittene Alkoholkonsum sei ihm nicht nachgewiesen worden. In der mündlichen Berufungsverhandlung hat der Kläger erstmals den Prokuristen, den kaufmännischen Leiter und den Geschäftsführer der Beklagten als Zeugen für den von ihm dargestellten Ablauf des Gesprächs vom 17.11.2014 benannt.

8

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

9

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 22.07.2015, Az. 5 Ca 1537/14, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis über den 30.11.2014 hinaus fortbesteht.

10

Die Beklagte beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und rügte Verspätung des Beweisantritts in der Berufungsverhandlung.

13

Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

14

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

15

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Im Ergebnis und in der Begründung völlig zutreffend hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den Aufhebungsvertrag vom 17.11. mit Ablauf des 30.11.2014 aufgelöst worden ist.

16

1. Der Kläger kann den Aufhebungsvertrag vom 17.11.2014 nicht erfolgreich mit der Begründung beseitigen, er sei von der Beklagten "überrumpelt" worden. Ihm steht kein Widerrufsrecht nach §§ 312 Abs. 1, 355 BGB zu. Im Übrigen ist ein Aufhebungsvertrag nicht allein deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- bzw. Widerrufsrecht eingeräumt und ihm auch das Thema des beabsichtigten Gesprächs vorher nicht mitgeteilt hat (vgl. BAG 27.11.2003 - 2 AZR 177/03 - AP BGB § 312 Nr. 1). Der Kläger kann die Anfechtung deshalb nicht darauf stützen, dass er "völlig unvorbereitet" zu einem Beendigungsgespräch gerufen und "aus dem Nichts" mit Vorwürfen konfrontiert worden sei.

17

2. Der Kläger hat keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen, denen sich entnehmen lassen könnte, er habe den Aufhebungsvertrag im Zustand der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit (§ 105 Abs. 2 BGB) unterzeichnet. Er ist nach seinem Vorbringen in "Angst und Panik" geraten und wollte der "erheblichen Stresssituation" durch die Vertragsunterzeichnung entfliehen. Aus diesen allgemein gehaltenen Symptomen kann keine Geschäftsunfähigkeit geschlussfolgert werden. Auch aus der Schilderung, der Kläger sei so "geschockt" nach Hause gekommen, dass seine Ehefrau beim Hausarzt angerufen habe, der eine Überweisung zum Psychologen ausgestellt habe, folgt nichts anderes.

18

3. Für seine bestrittene Behauptung, er sei am 17.11.2014 "körperlich unter Druck" gesetzt worden, weil sich der kaufmännische Leiter vor die Tür gestellt habe, um ihn daran zu hindern, den Raum zu verlassen, um ein Betriebsratsmitglied zu seiner Unterstützung herbeizurufen, hat der Kläger keinen Beweis angeboten. Die Beweislast für die behauptete körperliche Bedrohung bzw. Zwangslage liegt beim Kläger (vgl. Palandt/Ellenberger BGB 75. Aufl. § 123 Rn. 30).

19

4. Die Würdigung des Arbeitsgerichts, der Kläger habe den Aufhebungsvertrag vom 17.11.2014 nicht wirksam wegen widerrechtlicher Drohung mit einer fristlosen Kündigung oder einer Strafanzeige angefochten, begegnet keinen Bedenken.

20

a) Nach § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, die Erklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten. Die Darlegungs- und Beweislast für die behauptete Drohung trifft den Anfechtenden, hier den Kläger.

21

b) Der Kläger hat für seine bestrittene Behauptung, die Beklagte habe ihm im Gespräch vom 17.11.2014 sowohl mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung als auch mit der Erstattung einer Strafanzeige gedroht, falls er den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichnen sollte, keinen tauglichen Beweis angeboten.

22

Die Beklagte hat erwidert, sie habe dem Kläger erläutert, dass aufgrund der Beobachtungen des Mitarbeiters H. der Verdacht eines erheblichen Arbeitszeitbetrugs sowie des fortgesetzten Verstoßes gegen das betriebliche Alkoholverbot vorliege. Sein Verhalten sei von einem solchen Gewicht, dass sie eine weitere Zusammenarbeit als unzumutbar betrachte. Es sei deshalb beabsichtigt, die Zustimmung des Betriebsrats zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung zu beantragen. Sie habe dem Kläger angeboten, zur Vermeidung eines Zustimmungsverfahrens und der anschließenden fristlosen Kündigung, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 30.11.2014 zu beenden. Mit der Erstattung einer Strafanzeige habe sie nicht gedroht. Der Kläger hat darauf repliziert, die Beklagte habe ihm sehr wohl mit einer fristlosen Kündigung und einer Strafanzeige gedroht. Hinsichtlich der Drohung mit einer Strafanzeige habe sie ihm ausgemalt, dass dann ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren in Gang komme. Hinsichtlich der Drohung mit einer fristlosen Kündigung habe sie deutlich gemacht, dass dann seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt "gleich Null" seien, weil niemand einen fristlos gekündigten Arbeitnehmer einstelle. Für diese Behauptung hat der Kläger seine Arbeitskollegen S. und Sch. als Zeugen benannt, die in getrennten Gesprächen am 17.11.2014 ebenfalls einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet haben.

23

c) Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die als Zeugen benannten Arbeitskollegen S. und Sch. für den Inhalt des Gesprächs des Klägers mit den Vertretern der Beklagten kein taugliches Beweismittel darstellen, weil sie selbst nicht teilgenommen haben. Die Rüge des Klägers, er hätte hierauf hingewiesen werden müssen, greift nicht durch. Es ist offensichtlich, dass als Zeugen für Einzelheiten eines Gesprächs nur die Personen benannt werden können, die an dem Gespräch teilgenommen haben. Die Zeugen S. und Sch. hätten allenfalls das bezeugen können, was sie in ihrem eigenen Personalgespräch erlebt haben. Das spielt für den vorliegenden Rechtsstreit jedoch keine Rolle.

24

Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Berufungsverhandlung die Gesprächsteilnehmer auf Beklagtenseite, dh. den Prokuristen, den kaufmännischen Leiter und den Geschäftsführer, als Zeugen für den von ihm geschilderten Ablauf des Gesprächs vom 17.11.2014 benannt hat, war dieser Beweisantritt verspätet und daher nicht mehr zuzulassen. Nach § 67 Abs. 4 ArbGG sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die nicht bereits aus anderen Gründen als verspätet zurückzuweisen sind, vom Berufungskläger in der Berufungsbegründung vorzubringen. Hierzu gehören auch Beweisantritte. Nach § 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur dann zuzulassen, wenn sie erst nach der Berufungsbegründung entstanden sind oder wenn das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder nicht auf Verschulden der Partei beruht. Die Möglichkeit, den Prokuristen und den kaufmännischen Leiter der Beklagten als Zeugen zu benennen, ist nicht erst nach der Berufungsbegründung entstanden. Insoweit ist der verspätete Beweisantritt schuldhaft iSv. § 67 Abs. 4 ArbGG. Die Zulassung dieses Beweisantritts hätte die Erledigung des Rechtsstreits offensichtlich auch verzögert, da die als Zeugen benannten nicht an Gerichtsstelle anwesend waren und der Rechtsstreit somit hätte vertagt werden müssen. Zwar war der Geschäftsführer der Beklagten persönlich anwesend. Dieser wäre jedoch nicht als Zeuge, sondern als Partei zu vernehmen gewesen. Die Parteivernehmung ist als Beweismittel in dem in § 445 Abs. 1 ZPO bezeichneten Umfang subsidiär.

25

5. Selbst wenn die Beklagte dem Kläger mit einer fristlosen Kündigung oder einer Strafanzeige gedroht haben sollte, wäre diese nicht widerrechtlich gewesen.

26

a) Es konnte dahinstehen, ob der Kläger als Ersatzmitglied des Betriebsrats Sonderkündigungsschutz genoss. Der Kläger war nach seinem lediglich rudimentären Vortrag Ersatzmitglied des Betriebsrats "mit regelmäßiger Teilnahme an der Sitzung". Ihm stand - wenn überhaupt - im Zeitpunkt des Personalgesprächs am 17.11.2014 nur der nachwirkende Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu. Dieser verlangt nicht die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG zur Kündigung (vgl. hierzu BAG 27.09.2012 - 2 AZR 955/11 - NZA 2013, 425).

27

Im Übrigen hat für die Widerrechtlichkeit der Drohung die Tatsache keine Bedeutung, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Drohung mit einer fristlosen Kündigung noch nicht den Betriebsrat, das Integrationsamt oder eine sonstige Stelle, deren Zustimmung für die Kündigung erforderlich ist, angehört hat (vgl. DLW/Hoß 13. Aufl. Kap. 6 Rn. 339).

28

b) Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, ist die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung oder einer Strafanzeige widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Nicht erforderlich ist, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Fall ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen (st. Rspr. vgl. BAG 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06 - Rn. 48 mwN, NZA 2008, 348; BAG 05.12.2005 - 6 AZR 197/05 - Rn. 23 mwN, NZA 2006, 841). Der Anfechtungsprozess ist nicht wie ein Kündigungsschutzprozess zu führen. Der anfechtende Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Anfechtung. Er hat deshalb die Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen, welche die angedrohte außerordentliche Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen (vgl. BAG 28.11.2007 - 6 AZR 1108/06 - Rn. 55 mwN, aaO).

29

c) Ausgehend von diesen Grundsätzen durfte ein verständiger Arbeitgeber in der Situation der Beklagten am 17.11.2014 eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger in Betracht ziehen. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass sich der Kläger an einer Vielzahl von Tagen während der Spätschicht mit seinen Arbeitskollegen S. und/ oder Sch. erhebliche Zeiträume unentschuldigt von seinem Arbeitsplatz entfernt hat, nämlich nach den Aufzeichnungen des Mitarbeiters H. am 13.10.2014 von 16:00 bis 17:30 Uhr und zwischen 20:00 und 21:30 Uhr, am 14.10.2014 von 19:25 bis 21:30 Uhr, am 27.10.2014 von 20:30 bis 21:30 Uhr, am 13.11.2014 von 19:35 bis 19:55 Uhr, von 20:00 bis 20:30 Uhr und von 20:33 bis 21:30 Uhr sowie am 14.11.2014 von 20:46 bis 21:00 Uhr und von 21:30 Uhr bis Feierabend. Es bestand der Verdacht, dass sich der Kläger in dieser Zeit mit seinen Arbeitskollegen zum Biertrinken zurückgezogen hat.

30

Der beweispflichtige Kläger hat die von der Beklagten in diesem Zusammenhang vorgetragenen Umstände nicht widerlegt. Er hat zweitinstanzlich seinen Vortrag nicht ergänzt und detailliert dargelegt, was er in den oben genannten Zeiträumen konkret getan haben will. Dazu hätte Anlass bestanden, weil im angefochtenen Urteil im Einzelnen ausgeführt worden ist, weshalb der erstinstanzliche Vortrag des Klägers nicht genügt, um ihn zu entlasten. Der Kläger hat lediglich allgemein behauptet, dass er teilweise im Magazin, im Messraum oder auf der Toilette gewesen sei. Auch habe er öfter seinen Spind in der Umkleide aufgesucht, um Sprudelwasser zu trinken. Mit diesem pauschalen Vortrag lässt sich das unbestrittene Zusammensein mit den Arbeitskollegen S. und/oder Sch. nicht erklären. Zum anderen fehlt jede Erklärung, weshalb die gemeinsamen Abwesenheitszeiten erst in den Abendstunden, nachdem die Geschäftsleitung das Haus verlassen hatte, aufgetreten sind. Die langen Abwesenheitszeiten von bis zu eineinhalb Stunden lassen sich nicht mit einem Toilettengang oder einem Gang zum Spind erklären, um dort Sprudelwasser zu trinken. Der Kläger ist zweitinstanzlich mit keinem Wort darauf eingegangen, dass sich nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts in seinem Spind am 17.11.2014 zwar ein Sixpack Bier, aber kein Sprudelwasser befand. Auch zum Vorbringen der Beklagten, dass der Kläger die Sprudelflasche ohne weiteres mit an seinen Arbeitsplatz hätte nehmen dürfen, hat der Kläger nichts erwidert. Dasselbe gilt für den Vorhalt der Beklagten, dass der Kläger seine Abwesenheitszeiten nicht mit längeren Aufenthalten im Magazin erklären könne, weil man dort lediglich Gebrauchsgegenstände (wie Gehörstöpsel oder Handschuhe) abhole. Länger Aufenthalte, die wenige Minuten überstiegen, seien weder notwendig noch üblich. Auch zu den behaupteten Aufenthaltszeiten im Messraum hat der Kläger nicht konkretes vorgetragen.

31

d) Soweit die Berufung rügt, das Arbeitsgericht habe streitigen und unstreitigen Sachverhalt fehlerhaft dargestellt, sind Rechtsfehler nicht ersichtlich. Vielmehr hat das Arbeitsgericht den Sachverhalt sowohl in tatsächlicher Hinsicht zutreffend festgestellt als auch in rechtlicher Hinsicht fehlerfrei gewürdigt. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe vermögen nicht zu überzeugen und rechtfertigen keine anderweitige Entscheidung. Anders als die Berufung meint, hat der Kläger nicht detailliert dargelegt, was er in den von H. aufgezeichneten Abwesenheitszeiten gearbeitet hat. Es kommt nicht darauf an, ob H. die Arbeitsabläufe kannte oder beurteilen konnte, was der Kläger in den Zeiten, die er nicht in der Produktionshalle anwesend war, gearbeitet haben könnte. Der Kläger hätte seine Arbeitstätigkeiten konkret darlegen müssen. Es ist unerheblich, dass der Kläger meint, H. sei als Detektiv auf ihn "angesetzt" worden. Selbst wenn dem so wäre, was die Beklagte bestreitet, führt dies nicht dazu, dass seine Beobachtungen unberücksichtigt bleiben müssten, worauf das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat.

32

e) Zwar ist nicht zu verkennen, dass der Kläger aufgrund seiner langen Betriebszugehörigkeit seit 1978 einen hohen sozialen Besitzstand erworben hat. Gleichwohl musste die Beklagte nicht davon ausgehen, dass die - unterstellte - angedrohte Kündigung im Fall ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Prüfung nicht standhalten würde, weil nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung als Reaktion ausgereicht hätte und die notwendige Interessenabwägung zwingend zu Gunsten des Klägers ausgefallen wäre.

33

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, stand der Verdacht eines fortgesetzten Arbeitszeitbetrugs im Raum. Die Beklagte durfte davon ausgehen, dass sich der Kläger mit seinen Arbeitskollegen S. und/oder Sch. während der Spätschicht fortgesetzt und in diesem Sinne "regelmäßig" unentschuldigt vom Arbeitsplatz entfernt hat. Dass sein auf Heimlichkeit angelegtes Verhalten von der Beklagten nicht geduldet würde, musste dem Kläger klar sein. Er hat sich über erhebliche Zeiträume in der Spätschicht mit seinen Arbeitskollegen getroffen und dabei - so der begründete Verdacht - trotz des betrieblichen Alkoholverbots Bier konsumiert. Dieses Verhalten lässt sich nicht damit beschönigen, dass die Einlegung von Pausen "völlig normal" sei. Soweit die Berufung in Abrede stellt, dass der Beklagten durch das Verhalten des Klägers ein Schaden entstanden sei, den das Arbeitsgericht kurz als "Arbeitszeitschaden" bezeichnet hat, verkennt sie, dass die Beklagte dem Kläger für Zeiten, in denen er keine Arbeitsleistung erbracht hat, Arbeitsentgelt gezahlt hat. Hierdurch ist ihr ein finanzieller Schaden entstanden.

34

Da ein Anfechtungsprozess nach § 123 BGB nicht wie ein fiktiver Kündigungsschutzprozess behandelt werden darf, sind die für und gegen die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sprechenden Umstände hier nicht abschließend abzuwägen. Von einem verständigen Arbeitgeber kann nicht generell verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung die mutmaßliche Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft”. Im vorliegenden Fall stellt es aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers angesichts des Fehlverhalten des Klägers jedenfalls keine völlig überzogene Reaktion dar, wenn die Beklagte sofort an das äußerste Mittel der fristlosen Kündigung dachte, eine solche - was unterstellt wird - dem Kläger androhte und damit zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags bewegte.

III.

35

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.

36

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 15/04 Verkündet am:
19. April 2005
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Wer in einer privatrechtlichen Auseinandersetzung, um den Gegner zur Erfüllung
eines in vertretbarer Weise für berechtigt gehaltenen Anspruchs zu bewegen
, damit droht, die Presse zu informieren, handelt nicht widerrechtlich, wenn
der angedrohte Pressebericht seinerseits nicht rechtswidrig wäre. So weit die
Pressefreiheit reicht (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG), ist auch das Informieren der
Presse durch die Meinungsäußerungsfreiheit des Informanten geschützt (Art. 5
Abs. 1 Satz 1 GG).
BGH, Urt. v. 19. April 2005 - X ZR 15/04 - OLG München
LG München I
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. April 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter
Keukenschrijver, die Richterin Ambrosius und die Richter Asendorf und
Dr. Kirchhoff

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 2. Dezember 2003 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die klagende Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die einen Pflege-, Säuberungs- und Wartungsdienst für Trabrennbahnen betreibt, nimmt den beklagten Verein, der Inhaber der Trabrennbahn … und ist, sieben Personen, die zur Zeit der streitigen Vorfälle Vorstandsmitglieder des Vereins waren, wegen der vorzeitigen Beendigung eines Wartungsvertrages auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin und der beklagte Verein (Beklagter zu 1) schlossen am 8. August 1988 einen bis zum 31. Dezember 1999 befristeten Wartungsvertrag, nach dem die Klägerin sämtliche laufenden Pflege-, Säuberungs- und Wartungsarbeiten auf dem Gelände der Trabrennbahn … eine für - später erhöhte - Vergütung von 100.000,-- DM zuzüglich Mehrwertsteuer pro Monat sowie Sonderhonorare für die Bereitstellung und den Einsatz von Maschinen und Fahrzeugen durchführen sollte. Bei Abschluß dieses Vertrages war der Geschäftsführer der Klägerin zugleich Vorstandsmitglied des beklagten Vereins. Am 30. Juni 1993 wurde ein neuer Vereinsvorstand gewählt, dem die Beklagten zu 2-8 angehörten; der Geschäftsführer der Klägerin schied aus dem Vorstand aus. Am 9. August 1993 schlossen aufgrund von Verhandlungen der Beklagten zu 2 und 3 mit dem Geschäftsführer der Klägerin diese und der Beklagte zu 1 einen Aufhebungsvertrag, durch den der Vertrag vom 1. August 1988 vorzeitig, nämlich zum 2. Januar 1994, beendet wurde. Infolgedessen mußte die Klägerin ihren Betrieb, der von dem Wartungsvertrag mit dem Beklagten zu 1 abhängig war, auflösen. Durch Anwaltsschreiben vom 17. Februar 1994 focht sie den Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung an. Der Anfechtung liegt folgender unstreitiger Sachverhalt zugrunde, der dem Abschluß des Aufhebungsvertrages vorausgegangen war: Der Beklagte zu 1 ließ einen der Klägerin ausgehändigten Scheck sperren und bezahlte die Monatsabrechnungen für Juni und Juli 1993 nicht. Der Beklagte zu 2 kündigte an, die Klägerin werde überhaupt kein Geld mehr bekommen, wenn sie der Vertragsaufhebung nicht zustimme. Der Beklagte zu 3 drohte unstreitig mit einem Zeitungsbericht über die Rechnungen der Klägerin und nach deren Behauptung auch über den ganzen Pflege- und Wartungsvertrag im "Traber-Journal". Dann könne der Geschäftsführer der Klägerin sich auf der Rennbahn nicht mehr sehen lassen. Außerdem werde der Beklagte zu 1 die vom Geschäftsführer der Klägerin gemieteten Stallungen kündigen, ihm Rennbahnverbot erteilen, ihn aus dem Verein ausschließen und ihm ein Berufsverbot erteilen lassen sowie gegen
jedes Schadensersatzbegehren mit angeblichen Gegenforderungen aufrechnen und einen eventuellen Rechtsstreit so lange in die Länge ziehen, bis die Klägerin in den Konkurs getrieben sei. Die Klägerin behauptet außerdem, die Beklagten zu 2 und 3 hätten angekündigt, bei Ablehnung des Aufhebungsvertrages könne sich der Geschäftsführer der Klägerin nicht mehr auf die Straße trauen, da für ihn dann ernsthafte Gefahren für Leib und Leben bestehen würden.
Die Klägerin verlangt aus eigenem und aus abgetretenem Recht ihres Geschäftsführers Ersatz des ihr und ihm durch die vorzeitige Vertragsauflösung entstandenen Schadens (Gesellschaftsgewinn und Geschäftsführergehalt bis 1999) in Höhe von 2.600.000,-- DM nebst Zinsen. Sie trägt vor, die Beklagten hätten sie durch ihre rechtswidrigen Drohungen in eine wirtschaftliche Zwangslage versetzt, die ihr keinen anderen Weg offengelassen habe, als zunächst den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben und zu erfüllen, der unter anderem die Vereinbarung enthielt, daß der Beklagte zu 1 die Zahlungsrückstände zur Hälfte alsbald, zur anderen Hälfte aber erst bezahlen werde, wenn die Klägerin ihre beim Beklagten zu 1 genutzten Räume und Flächen geräumt habe, was bis zum 16. Januar 1994 geschehen sollte. Nur mit Hilfe dieser Zahlungen habe sie ihren Betrieb geordnet abwickeln können. Erst nach Wegfall der Zwangslage am 16. Januar 1994 sei sie wieder in der Lage gewesen, ohne weitere Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Interessen gegen den Aufhebungsvertrag vom 9. August 1993 vorzugehen.
Die Beklagten haben vorgetragen, der Verein sei sanierungsbedürftig gewesen und habe insbesondere die Kosten für Pflege und Wartung erheblich reduzieren müssen. Zahlreiche Mitglieder hätten dem Geschäftsführer der Klägerin Mißwirtschaft, persönliche Bereicherung und Ausbeutung des Vereins vorgeworfen. Der Vorstand habe den Pflege- und Wartungsvertrag mit der Klägerin fristlos kündigen und gerichtlich überprüfen lassen wollen. Aus diesem
Grund hätten die Beklagten zu 2 und 3 versucht, eine gütliche Einigung in Gestalt der einvernehmlichen Vertragsaufhebung herbeizuführen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Schadensersatzanträge weiter.
Die Beklagten zu 5, 7 und 8 haben sich in der Revisionsverhandlung nicht vertreten lassen.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat die Klageansprüche mit der Begründung verneint , die Klägerin habe keine widerrechtliche Drohung bewiesen. Es sei nicht zu verkennen, daß auf die Klägerin Druck ausgeübt worden sei, jedoch seien die Drohungen nicht rechtswidrig gewesen beziehungsweise nicht durch die Klägerin nachgewiesen. Wenn Vertreter des Beklagten zu 1 damit gedroht hätten , den Wartungsvertrag zu veröffentlichen, sei dies nicht rechtswidrig gewesen. Die Drohungen mit Stallkündigung, Rennbahnverbot und Vereinsausschluß seien für den Fall, daß der Wartungsvertrag rechtlich angreifbar gewesen sei, ebenfalls nicht rechtswidrig gewesen. Falls der Wartungsvertrag aber rechtlich einwandfrei gewesen sei, hätte die Klägerin gegen die angekündigten Maßnahmen gerichtlich vorgehen können und den Ausgang des Prozesses nicht zu fürchten brauchen. Bei der Gesamtschau dieser Drohungen sei von Bedeutung, daß der Beklagte zu 1 zum Ende der Vorstandstätigkeit des Ge-
schäftsführers der Klägerin Schulden in zweistelliger Millionenhöhe gehabt habe , daß der Vorstand 1992 nicht entlastet worden sei, daß der Geschäftsführer der Klägerin und der Vorstandsvorsitzende, die den Wartungsvertrag von 1988 geschlossen hätten, beide ab Mitte 1993 dem Vorstand des Beklagten zu 1 nicht mehr angehört hätten und daß schließlich dem nicht unglaubhaften Vorbringen der Beklagten zufolge in der Jahresmitgliederversammlung vom 1. Juli 1993 Vereinsmitglieder dem Geschäftsführer der Klägerin Mißwirtschaft, persönliche Bereicherung und Ausbeutung des Vereins vorgeworfen hätten. Möge die gegebene Situation auch auf Verdächtigungen und Vermutungen beruhen, so sei es doch den Vertretern des Beklagten zu 1 nicht verwehrt gewesen, auf den Geschäftsführer der Klägerin Druck auszuüben. Dieser Druck habe seine Wurzeln im Tun des Geschäftsführers der Klägerin und in dem Vertrag vom 1. August 1988 gehabt, dessen gerichtliche Überprüfung möglicherweise nicht zwingend den Fortbestand gewährleistet hätte. In dem vorgesehenen Kündigungsschreiben des Beklagten zu 1 sei dieser von Mehrfachfakturierung, vertragswidriger Erhöhung der Pauschalvergütung und weiteren Abrechnungsunstimmigkeiten ausgegangen und habe wegen überzahlter Pauschalen 1.434.809,80 DM zurückverlangen wollen. Auch die Drohungen, ohne Aufhebungsvertrag werde die Klägerin überhaupt kein Geld mehr erhalten und der Beklagte zu 1 gegen ihre Forderungen mit Schadensersatzansprüchen in Höhe von 3 Mio. DM aufrechnen, seien zwar unschön, aber nicht widerrechtlich gewesen. Die Klägerin hätte ihr zustehende Forderungen im Gerichtsweg realisieren können; sollten die Gegenforderungen des Beklagten zu 1 ins Blaue hinein und ohne Erfolgsaussicht erhoben worden sein, habe die Klägerin das Gerichtsverfahren nicht fürchten müssen. Daß der Geschäftsführer der Klägerin mit Gefahr für Leib und Leben bedroht sei, habe die Klägerin nicht nachweisen können. Die Zeugin B. , die dies bekundet habe, sei nicht glaubwürdig. Der Klägerin stehe demnach kein Schadensersatzanspruch wegen Erpressung oder Nötigung oder wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu.

II. Diese Ausführungen halten im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Als Anspruchsgrundlagen kommen für den eigenen Anspruch der Klägerin auf Ersatz des ihr entgangenen Gewinns gegen den Beklagten zu 1 eine Verletzung des Wartungsvertrages und Delikt (§ 823 Abs. 1 wegen Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb; § 823 Abs. 2 i.V.m. § 253 StGB; § 826 BGB), gegen die übrigen Beklagten nur Delikt in Betracht. Der Straftatbestand der Erpressung (§ 253 StGB) ist ein Schutzgesetz nicht nur zugunsten der genötigten natürlichen Person, sondern auch zugunsten der von ihr vertretenen juristischen Person. Für den abgetretenen Anspruch des Geschäftsführers auf Ersatz für sein entgangenes Gehalt kommt ein deliktischer Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Frage (§ 826 BGB). Die Beklagten wußten, daß der Geschäftsführer der Klägerin deren Alleingesellschafter war und daß deren Gewinn - teils in der Gestalt des Geschäftsführergehalts, teils als Reingewinn - letztlich ihm zugute kam. Den Beklagten war also bewußt, daß sie bei wirtschaftlicher Betrachtung den hinter der Klägerin stehenden Geschäftsführer schädigten; ihr etwaiger Schädigungsvorsatz bezog sich daher auch auf den Geschäftsführer.
Diese Anspruchsgrundlagen scheiden indessen aus, wenn der Aufhebungsvertrag wirksam geblieben ist. Denn dann war die vorzeitige Beendigung des Wartungsvertrages mitsamt dem daraus resultierenden Gewinn Folge des Aufhebungsvertrages und somit nicht rechtswidrig. Deshalb hat sich das Berufungsgericht zu Recht auf die Prüfung beschränkt, ob der Klägerin ein Grund zur Anfechtung des Aufhebungsvertrages in Gestalt einer widerrechtlichen Drohung zu Gebote stand (§§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB).
2. Aus dem Erfordernis einer von den Beklagten stammenden Drohung ergibt sich, daß die Klage gegen die Beklagten zu 5-8 - das Verfahren gegen den verstorbenen Beklagten zu 4 ist ausgesetzt - unabhängig von der Frage, ob überhaupt Drohungen stattgefunden haben und ob diese rechtswidrig waren, unbegründet ist. Denn die von der Klägerin als Drohungen gewerteten Ankündigungen sind nach ihrem Vortrag nur von den Beklagten zu 2 und 3 ausgesprochen worden. Der beklagte Verein muß sich das Verhalten dieser seiner Vorstandsmitglieder und vertraglichen Erfüllungsgehilfen zwar zurechnen lassen (§§ 31, 278 BGB). Ein Rechtsgrund, weshalb sich auch die Vorstandsmitglieder persönlich das Verschulden eines anderen Vorstandsmitglieds zurechnen lassen müßten, besteht jedoch nicht. Auch eine strafrechtliche Teilnahme der Beklagten zu 5-8 an der behaupteten Erpressung kommt nicht in Betracht, da die Klägerin nicht dargelegt hat, daß sie die Äuße rungen der Beklagten zu 2 und 3 angeregt, gebilligt oder auch nur davon gewußt hätten. Auf die Verteidigung der Beklagten zu 4-8, die Klage gegen sie sei mangels Vortrags eines Anspruchsgrundes offensichtlich rechtsmißbräuchlich, weil erkennbar nur zu dem Zweck erhoben, sie als Zeugen auszuschließen, hat die Klägerin lediglich erwidert, die Beklagten zu 4-8 seien im Zeitpunkt der Nötigungshandlung Vorstandsmitglieder des Beklagten zu 1 gewesen. Da die Beklagten zu 2 und 3 im Auftrag des gesamten Vorstandes gehandelt hätten, sei ihr Handeln den Beklagten zu 4-8 voll zuzurechnen (GA 54 I). Hierin liegt kein substantiierter Vortrag des Inhalts, die Beklagten zu 2 und 3 hätten nicht nur mit ihrem Vorschlag eines Aufhebungsvertrages, sondern auch hinsichtlich der von ihnen ausgesprochenen Drohungen im Auftrag der übrigen Vorstandsmitglieder gehandelt. Dafür reicht auch nicht die unter Beweis gestellte weitere Behauptung der Klägerin aus, die Beklagten zu 2 und 3 hätten die Frage des Geschäftsführers, ob auch die anderen Vorstandmitglieder von den Drohungen für Leib und Leben wüßten und sie billigten, bejaht. Da somit die Klägerin eine Beteiligung der Beklagten zu 5-8 an den behaupteten Drohungen nicht schlüssig dargelegt hat,
war die Klage gegen sie schon aus diesem Grunde abzuweisen. Die von dem Beklagten zu 6 im Revisionsverfahren geltend gemachte Einrede der kurzen deliktischen Verjährung brauchte daher nicht geprüft zu werden.
3. Für die Klageansprüche gegen die Beklagten zu 1-3 kommt es hingegen darauf an, ob die Beklagten zu 2 und 3 den Geschäftsführer der Klägerin widerrechtlich bedroht haben. Dies war nicht der Fall. Auch auf die Verjährungseinrede der Beklagten zu 2 und 3 kommt es daher nicht an.
4. Die behaupteten Drohungen für Leib und Leben, die widerrechtlich gewesen wären, hat das Berufungsgericht als nicht bewiesen angesehen. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Revision will, revisionsrechtlich unzulässig , lediglich ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts setzen, ohne daß sie Rechtsfehler der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts aufzeigt.
5. Die Drohung der Beklagten zu 2 und 3, der Beklagte zu 1 werde keine Zahlungen mehr leisten und in einem etwa von der Klägerin angestrengten Zahlungsprozeß mit Schadensersatzansprüchen aufrechnen, verbunden mit der Warnung, daß die Klägerin durch die lange Prozeßdauer insolvent werden könne , hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend als nicht widerrechtlich beurteilt. Die Beklagten zu 2 und 3 durften die Verteidigungsstrategie, die der Beklagte zu 1 im etwaigen Zahlungsprozeß der Klägerin eingeschlagen hätte, schon im vorgerichtlichen Stadium der Auseinandersetzung ankündigen.

a) Die Widerrechtlichkeit einer Drohung kann sich aus dem angedrohten Mittel, dem erstrebten Zweck oder der Inadäquanz von Zweck und Mittel (Zweck/Mittel-Relation) ergeben. In Rechtsprechung und Literatur ist unbestritten , daß die Androhung von Rechten und Rechtsbehelfen, welche die Rechts-
ordnung für die Wahrnehmung der Interessen des Drohenden zur Verfügung stellt, z.B. die Drohung mit Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts, Klageerhebung , Zwangsvollstreckung, Arrest, Konkursantrag oder berechtigter Selbsthilfe , erlaubte Mittel betrifft (vgl. nur BGH, Urt. v. 18.05.1972 - VII ZR 191/72, WM 1972, 946; Flume, BGB AT, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl., § 28 Nr. 2 b, S. 535 f.; MünchKomm./Kramer, BGB, 4. Aufl., § 123 Rdn. 47; Staudinger/ Singer-v. Finckenstein, BGB (2004), § 123 Rdn. 68). Ferner ist die Verfolgung von Rechten selbst dann ein erlaubter Zweck, wenn das verfolgte Recht nicht wirklich besteht. Für die Rechtmäßigkeit des Zwecks kommt es nicht darauf an, ob der Drohende einen Anspruch auf die erstrebte Handlung des Bedrohten hat. Es genügt bereits der gute Glaube bzw. ein berechtigtes Interesse an dem erstrebten Erfolg (BGH, Urt. v. 16.01.1997 - IX ZR 250/95, NJW 1997, 1980; BAG NJW 1999, 2059; Staudinger/Singer-v. Finckenstein, aaO Rdn. 69). Schließlich ist auch die Zweck-Mittel-Relation nicht zu beanstanden, wenn der Drohende ein vermeintliches Recht mit den Mitteln verfolgt, die die Rechtsordnung zur Durchsetzung eines solchen Anspruchs vorsieht. Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Geschäftspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken und zur Abgabe einer entsprechenden Willenserklärung veranlassen will (vgl. BGH, BGHZ 2, 287, 296 f.; BGHZ 25, 217, 219 f.; Urt. v. 20.06.1962 - VIII ZR 249/61, JZ 1963, 318; Urt. v. 06.05.1982 - VII ZR 208/81, NJW 1982, 2301; BAG, Urt. v. 20.11.1969 - 2 AZR 51/69, NJW 1970, 775).
Dies gilt insbesondere, wenn, wie hier, lediglich für den Fall einer von der Klägerin erhobenen Zahlungsklage eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung beabsichtigter Verteidigungsmittel schon im Vorfeld des Prozesses ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, weder mutwillig erfolgt noch zu einer über das
Bestreiten geltend gemachten Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt. Ein Schuldner, der in vertretbarer Weise vom Nichtbestehen seiner Verpflichtung ausgeht, darf deshalb, wie es die Beklagten zu 1-3 getan haben, damit drohen, daß er nicht freiwillig leisten werde, sondern sein Gläubiger ihn verklagen müsse und daß er im Prozeß Gegenrechte geltend machen werde.

b) Die Drohung der Beklagten zu 1-3 hätte deshalb allenfalls dann widerrechtlich sein können, wenn ihr Standpunkt, daß der Beklagte zu 1 den Wartungsvertrag von 1988 ohnehin fristlos kündigen könne und daß ihm aufrechenbare Gegenansprüche zustünden, nicht vertretbar gewesen wäre. Daran fehlt es hier.
aa) Die Darlegungslast dafür, daß der Rechtsstandpunkt des Beklagten zu 1 vertretbar war, trifft die Beklagten zu 1-3. Im Prinzip ist zwar der Anfechtende für die Tatsachen, die die Widerrechtlichkeit der Drohung begründen, darlegungs - und beweispflichtig (Palandt/Heinrichs, § 123 Rdn. 19, 30). Demnach müßte hier die Klägerin die Unvertretbarkeit des Rechtsstandpunkts der Beklagten darlegen. Wenn aber, wie hier, mit der Nichterfüllung eines Anspruchs gedroht wird, der klar aus dem Vertrag hervorgeht, so daß er nur durch Gegenrechte des Schuldners, insbesondere Einwendungen und Einreden, zu Fall gebracht werden kann, dann läuft die Beweislast des Anfechtenden auf einen Negativbeweis des Inhalts hinaus, daß der Anfechtungsgegner nicht in vertretbarer Weise davon ausgehen durfte, daß ihm Einreden oder Einwendungen zustünden. Wegen der Schwierigkeiten des Negativbeweises kann vom Prozeßgegner nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast das substantiierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positive sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (BGH, Urt. v. 08.10.1992 - I ZR 220/90, NJW-RR 1993, 746, 747). Nur diese vom Gegner vorgetragenen
Umstände braucht der Beweispflichtige dann zu widerlegen. Im vorliegenden Fall war es also zunächst Sache der Beklagten, darzulegen, daß ihr Standpunkt , sie hätten den Wartungsvertrag ohnehin fristlos kündigen und mit Gegenansprüchen aufrechnen dürfen, objektiv vertretbar war.
bb) Die Beklagten zu 2 und 3 sind ihrer Darlegungslast nachgekommen. Diese vom Berufungsgericht offengelassene Frage kann der Senat selbst entscheiden , weil weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind (vgl. BGHZ 122, 309, 316).
Die Beklagten haben zwar ihren Verdacht, daß der Wartungsvertrag von Anfang an auf Übervorteilung des Vereins angelegt war und durch Kollusion des Geschäftsführers der Klägerin mit dem damaligen Vereinspräsidenten zustande kam, nicht näher begründet. Der Umstand, daß der Geschäftsführer der Klägerin bei Abschluß des Vertrages zugleich dem Vorstand des Beklagten zu 1 angehörte, genügt dafür nicht. Wohl aber haben sie zu der späteren Erhöhung der Vergütung folgenden Sachverhalt substantiiert vorgetragen, der zu rechtlichen Bedenken Anlaß gibt: Die im Wartungsvertrag von 1988 vorgesehene Lohnpauschale von 100.000,-- DM monatlich sei am 19. August 1991 durch einen Nachtrag mit einer Gleitklausel versehen worden, wonach, wenn das arithmetische Mittel der Lohnsummen (Gesamtlohnsumme geteilt durch Anzahl der Arbeitnehmer) um mehr als 1 % steige, die Klägerin berechtigt sein sollte, eine dementsprechende Erhöhung des Pauschalentgelts zu verlangen. Nach dem Sinn dieses Nachtrags habe eine finanzielle Mehrbelastung der Klägerin durch Lohnzahlungen vom Verein ausgeglichen werden sollen. Am nächsten Tag habe die Klägerin rückwirkend zum 1. Januar 1991 eine Erhöhung der Lohnpauschale auf 150.000,-- DM monatlich geltend gemacht. Dem habe ein rechnerischer "Trick" zugrunde gelegen. Die Klägerin habe ihren Mitarbeiterbestand von 25 Personen im Jahre 1989 auf etwa 15 Personen im Jahre 1991
abgebaut und dadurch ihren Lohnaufwand von ursprünglich 100.000,-- DM auf ca. 90.000,-- DM monatlich gesenkt. Teile man jedoch die Lohnsumme durch die Anzahl der Mitarbeiter, so ergebe sich eine Erhöhung von 50 %. Die damals vom Beklagten zu 1 beigezogene Rechtsanwaltskanzlei sowie der neue Vorstand hätten in dieser ungerechtfertigten Erhöhung der Lohnpauschale einen Betrug gesehen. Die Anwaltskanzlei habe dem Vorstand geraten, die Überzahlungen in Höhe von insgesamt 1.434.809,80 DM bis zum 31. Mai 1993 von der Klägerin zurückzufordern. Die Rechtsanwälte seien auch überzeugt gewesen, daß eine fristlose Kündigung des Vertrages Erfolg haben werde, und hätten dazu geraten. - Von diesem Vortrag der Beklagten hat die Klägerin nur die anwaltliche Überzeugung und den anwaltlichen Rechtsrat bestritten, nicht aber den zugrundeliegenden Sachverhalt als solchen. Dieser Sachverhalt genügt aber, um die Ansicht der Beklagten, der Wartungsvertrag sei fristlos kündbar und die erhöhten Zahlungen könnten zurückgefordert werden, als jedenfalls vertretbar erscheinen zu lassen. Ob sie richtig war - was von dem durch Vertragsauslegung zu ermittelnden Zweck der Gleitklausel abhängen dürfte -, kann dahingestellt bleiben.
6. Auch die Bedrohung des Geschäftsführers der Klägerin mit Stallkündigung , Vereinsausschluß und Rennbahnverbot hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht als nicht widerrechtlich beurteilt.

a) Bei der Stallkündigung, dem Vereinsausschluß und dem Rennbahnverbot handelt es sich gleichfalls um im Zivilrecht grundsätzlich vorgesehene Maßnahmen und damit um erlaubte Mittel (Staudinger/Singer-v. Finckenstein, aaO Rdn. 68), deren Einsatz nur unter besonderen Umständen rechtswidrig ist, insbesondere dann, wenn der Drohende selbst nicht an seine Berechtigung glaubt oder sein Rechtsstandpunkt nicht mehr vertretbar ist. So ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Kündigungsdrohung eines
Arbeitgebers nur dann rechtswidrig, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte (vgl. nur NJW 2004, 2401; str., a.A. z.B. Staudinger/Singer-v. Finckenstein, aaO Rdn. 74; Karakatsanes, Die Widerrechtlichkeit in § 123 BGB, S. 160 f.). Die für die Rechtswidrigkeit der Drohung darlegungs- und beweispflichtige Klägerin mußte deshalb vortragen, daß der Beklagte zu 1 keine Gründe annehmen durfte, die eine Fortsetzung der Vertragsverhältnisse mit dem Geschäftsführer der Klägerin unzumutbar machten und deshalb seinen Ausschluß rechtfertigten. Da es sich dabei wiederum um einen Negativbeweis handelt, genügte eine entsprechende pauschale Behauptung. Demgegenüber mußten die Beklagten zu 1-3 substantiiert darlegen und erforderlichenfalls beweisen, daß sie in vertretbarer Weise einen Ausschlußgrund annehmen durften. Dies haben sie jedenfalls hinsichtlich der ihrer Ansicht nach vertragswidrigen Erhöhung der Pauschalvergütung getan. Hierzu kann auf die Ausführungen zur fehlenden Widerrechtlichkeit der Drohung, den Wartungsvertrag nicht länger zu erfüllen, verwiesen werden (s.o. II 4 b bb). Somit ist auch für die Drohung mit Stallkündigung, Vereinsausschluß und Rennbahnverbot die Widerrechtlichkeit zu verneinen.

b) Entgegen der Ansicht der Revision weicht das Berufungsurteil in der Frage der Rechtswidrigkeit dieser Drohungen auch nicht von dem Urteil des Kartellsenats des Bundesgerichtshofs vom 14. Juli 1998 ab (KZR 19/97, WuW/E DE-R 222-223), mit dem das der Räumungsklage des Beklagten zu 1 gegen den Kläger stattgebende Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen wurde, weil ein Verein, der als einziger in einem bestimmten Großraum ansässiger Veranstalter Trabrennen veranstaltet und über ein Rennbahngelände mit Einrichtungen verfügt, die ein tägliches Training von Rennpferden ermöglichen, verpflichtet sein kann, einem Berufstrainer wie anderen Trabertrainern Boxen zu vermieten. Der Kartellsenat hat sich nur damit befaßt, ob der Beklagte zu 1 als marktstarkes Unternehmen Normadressat des § 26
Abs. 2 GWB ist. Hingegen hat er sich nicht dazu geäußert, ob und unter welchen Voraussetzungen der Beklagte zu 1, auch wenn er Normadressat ist, den Geschäftsführer der Klägerin wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses gleichwohl ausschließen durfte.
7. Auch die behauptete Ankündigung des Beklagten zu 3, das Vertragswerk mit der Klägerin und ihre Rechnungen im "Traber-Journal" veröffentlichen zu lassen, hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend als nicht rechtswidrig beurteilt.

a) Ohne abschließende Prüfung kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß der Beklagte zu 3 der Klägerin mit der Veröffentlichung ein künftiges Übel in Aussicht stellte und es sich bei seiner Ankündigung um eine Drohung handelte.
aa) Als Übel kommt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin und ihres Geschäftsführers (Art. 2 Abs. 1 GG, § 823 Abs. 1 BGB) bzw. des Gewerbebetriebs der Klägerin in Frage (§ 823 Abs. 1 BGB). Der Bundesgerichtshof hat den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf juristische Personen ausgedehnt, wenn sie in ihrem sozialen Geltungsanspruch als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen betroffen werden (vgl. nur Urt. v. 08.02.1994 - VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281, 1282). Dies ist der Fall, wenn die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Unternehmensinterna gelenkt wird, die zu kritischen Wertungen Anlaß geben können (BGH, aaO). Eine kritische Bewertung des Unternehmens mag zu befürchten sein, wenn ein Vertrag des Unternehmens veröffentlicht wird, der, wie hier die Beklagten vortragen, einen wucherischen bzw. betrügerischen Charakter hat, oder auch, wenn der Öffentlichkeit ersichtlich überhöhte Rechnungen des Unternehmens unterbreitet werden. Die Rufschädigung könnte dann auch in den Gewerbebetrieb eingreifen.

bb) Der für den Beklagten zu 1 auftretende Beklagte zu 3 erfüllte auch die weitere Voraussetzung für eine Drohung, daß nämlich der Drohende auf den Eintritt des künftigen Übels einwirken zu können behauptet und es für den Fall ankündigt, daß der Bedrohte nicht die gewünschte Willenserklärung abgibt (BGHZ 2, 287, 295). Daß der Beklagte zu 3 einen Einfluß des Beklagten zu 1 auf die Presseveröffentlichung behauptete, ergibt sich nicht nur aus dem Vortrag der Klägerin, wonach der Beklagte zu 3 erklärte, daß der Beklagte zu 1 den Vertrag und die Rechnungen auf fünf Seiten im "Traber-Journal" abdrucken "lassen" wolle, sondern auch aus der demgegenüber abgeschwächten eigenen Darstellung der Beklagten, wonach der Beklagte zu 3 den Geschäftsführer der Klägerin lediglich darauf hinwies, daß im Falle einer gerichtlichen Überprüfung seine Einnahmen aus dem Vertrag und seine Rechnungen publik werden würden und hierüber im "Traber-Journal" berichtet werde. Auch einen solchen Hinweis mußte der Geschäftsführer der Klägerin dahin verstehen, daß der Beklagte zu 1 das "Traber-Journal" auf den Prozeß aufmerksam machen und dieser Zeitung detaillierte Sachverhaltsinformationen liefern werde.

b) Die Drohung mit einem Bericht im "Traber-Journal" war jedoch nicht widerrechtlich.
aa) Das Mittel der Drohung war, für sich betrachtet, nicht rechtswidrig. Eine Information der Presse durch den Beklagten zu 1 wäre durch dessen Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt gewesen (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).
(1) Die Veranlassung einer Presseveröffentlichung unterliegt dem Schutzbereich der Meinungsäußerungs-, nicht der Pressefreiheit. Die Meinungsäußerungsfreiheit schützt Äußerungen in ihrer Verbr eitungs- und Wirkungsdimension. Vom Schutz umfaßt ist das Recht des Äußernde n, das
Verbreitungsmedium frei zu bestimmen (st. Rspr. des BVerfG, vgl. nur Beschl. v. 17.12.2002, NJW 2003, 1109). Deshalb muß auch die Frage, ob der mit der Information der Presse Drohende sich eines rechtmäßigen oder eines rechtswidrigen Mittels bedient, im Lichte dieses Grundrechts beurteilt werden.
(2) Die Meinungsäußerungsfreiheit des Beklagten zu 1 ist allerdings gegen das allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin und ihres Geschäftsführers und das Recht der Klägerin an ihrem Gewerbebetrieb abzuwägen. Der angedrohte Artikel hätte, wie bereits dargelegt, wegen seines nach der Ankündigung zu erwartenden Inhalts das Unternehmenspersönlichkeitsrecht bzw. den Gewerbebetrieb der Klägerin (zur parallelen Schutzrichtung dieser beiden Rechtsgüter vgl. Staudinger/Hager, BGB (1999), § 823 Rdn. C 28), zu dem ihr guter wirtschaftlicher Ruf gehört, sowie auch das Persönlichkeitsrecht des sie beherrschenden Geschäftsführers beeinträchtigt. Die Meinungsäußerungsfreiheit findet in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und im Recht der persönlichen Ehre ihre Schranken (Art. 5 Abs. 2 GG). Das bedeutet aber nicht, daß die Veranlassung von Presseberichten, die den sozialen Geltungsanspruch des Betroffenen verletzen, in jedem Fall unzulässig ist. Die allgemeinen Gesetze müssen vielmehr in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte und in der Bedeutung der Grundrechte gesehen und so interpretiert werden , daß der besondere Wertgehalt dieser Rechte auf jeden Fall gewahrt bleibt. Die gegenseitige Beziehung zwischen Grundrecht und allgemeinem Gesetz ist also nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts aufzufassen ; es findet vielmehr eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, daß die allgemeinen Gesetze ihrerseits aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung der Grundrechte im freiheitlich-demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer die Grundrechte begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (sogenannte Wechselwirkung; BVerfG seit BVerfGE 7, 198, 207 f.). Notwendig ist eine fallbezogene Güterabwägung zwischen dem beein-
trächtigten Kommunikationsgrundrecht und den Interessen, die mit den allgemeinen Gesetzen verfolgt werden (BVerfGE 35, 202, 224 f.). Dieselben Grundsätze gelten für eine Kollision des Rechts der persönlichen Ehre (Art. 2 Abs. 1 GG) mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Das Gebot der Interessenabwägung greift gleich doppelt ein, wenn die Meinungsäußerungsfreiheit mit dem zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder dem zivilrechtlichen Recht am Gewerbebetrieb konkurriert. Denn letztere Rechte sind sogenannte offene oder Rahmentatbestände , bei denen der Eingriff nicht die Rechtswidrigkeit indiziert, sondern in jedem Einzelfall durch eine Güterabwägung ermittelt werden muß, ob der Eingriff durch ein konkurrierendes anderes Interesse gerechtfertigt ist oder nicht (BGH, Urt. v. 12.10.1993 - VI ZR 23/93, NJW 1994, 124; BGHZ 138, 311, 319; Staudinger/Hager, aaO Rdn. C 17).
(3) Hier ergibt diese Abwägung, bei der der überragende Rang der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG zu berücksichtigen ist (BVerfGE 71, 206, 219 f.), daß die Meinungsäußerungsfreiheit des Beklagten zu 1 schwerer wiegt.
(a) Soweit der Beklagte zu 3 (nur) die Veröffentlichung des Vertragswerks und der Rechnungen ankündigte, folgt dies schon aus dem Grundsatz, daß wahre Äußerungen, auch wenn sie für den Betroffe nen nachteilig sind, jedenfalls dann hinzunehmen sind, wenn sie, wie hier, nicht die Intim-, Privat-, oder Vertraulichkeitssphäre, sondern die Sozialsphäre betreffen (BVerfG, Beschl. v. 17.12.2002, aaO). Eine vertragliche Nebenpflicht des Beklagten zu 1, die Vertragsdokumente oder vertragliche Streitigkeiten vertraulich zu behandeln , ist nicht ersichtlich. Es ist auch nicht etwa allgemein unzulässig, mit einem privaten Rechtsstreit an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn interne Einigungsversuche scheitern. Eine Medienkampagne im Vorfeld oder am Rande einer gerichtlichen Auseinandersetzung ist in den Grenzen des Ehrenschutzes erlaubt (BVerfG, Beschl. v. 17.12.2002, aaO; BGH, Urt. v. 16.11.2004 - VI ZR 298/03,
NJW 2005, 279). Wahre Tatsachen, auch wenn sie einen privaten Rechtsstreit betreffen, darf die Presse also veröffentlichen. Man darf sie daher auch der Presse mitteilen. Ein Informant der Presse kann grundsätzlich nicht mit negativen Sanktionen bedroht werden, wenn die Presse selbst von Haftung frei ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.12.2002, aaO). Auch die bloße Drohung, die Presse zu informieren, ist dann, für sich betrachtet, erlaubt.
Die Veröffentlichung wahrer Tatsachen ist allerdings nur zulässig, sofern dabei nicht die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Das ist aber nicht der Fall, soweit es sich um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (vgl. BVerfGE 93, 266, 294; BGH, Urt. v. 12.10.1993, aaO; Staudinger/Hager, aaO Rdn. C 64). Hier kann zumindest der lokalen Öffentlichkeit - deren Informationsbedürfnis genügt (BVerfG, Beschl. v. 17.12.2002, aaO) - ein legitimes Interesse am Streit der Parteien nicht abgesprochen werden. Denn der Ausgang dieses Streits berührte einen größeren Kreis dritter Personen. Wenn ein Sportverein wie der Beklagte zu 1 eine Auseinandersetzung von erheblicher finanzieller Tragweite führt, die sich auf Art und Umfang seiner künftigen Vereinstätigkeit oder gar auf seinen Fortbestand auswirken kann und die zudem den Vorwurf einer - möglicherweise strafbaren - Kollusion zwischen dem Vereinspräsidenten und einem Vorstandsmitglied enthält, so sind daran zum einen alle Vereinsmitglieder, darüber hinaus aber auch diejenigen Bevölkerungskreise interessiert, die als Besucher der Sportveranstaltungen des Vereins oder auch nur als Konsumenten der Medienberichte über dessen Veranstaltungen am Vereinsleben Anteil nehmen. Die Veröffentlichung des Vertragswerks und der Rechnungen wäre daher grundsätzlich zulässig gewesen.
(b) Dasselbe gilt für einen etwaigen kritischen Kommentar der Zeitung zum Inhalt der veröffentlichten Unterlagen. Die Klägerin mußte die Drohung des
Beklagten zu 3 dahin verstehen, daß der Beklagte zu 1 nicht nur den kommentarlosen Abdruck der Urkunden, sondern auch einen negativ wertenden Begleitartikel im "Traber-Journal" anstoßen wolle. Wenn es sich, wie hier, um einen Beitrag zu einer die lokale Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt, spricht aber selbst bei scharfer Kritik eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG, BVerfGE 93, 266, 294; Beschl. v. 17.12.2002, aaO; BGH, Urt. v. 12.10.1993 - VI ZR 23/93, aaO).
(c) Bei der Abwägung ist weiter zugunsten des Beklagten zu 1 zu berücksichtigen , daß die angedrohte Berichterstattung nicht den privaten Lebenskreis des Geschäftsführers der Klägerin, sondern ihre und ihres Geschäftsführers wirtschaftliche Betätigung betroffen hätte. Die Persönlichkeit wird im geschäftlichen Bereich geringer geschützt als im privaten. Ein Gewerbetreibender hat es daher grundsätzlich hinzunehmen, daß sein Geschäftsgebaren auch in der Presse erörtert wird. Er muß kritische Berichte ertragen, solange diese der Wahrheit entsprechen (BGHZ 36, 77, 80 ff.; BGH, Urt. v. 25.11.1986 - VI ZR 269/85, NJW 1987, 2746; BGHZ 138, 311, 320). Eine etwa damit verbundene Beeinträchtigung der Privatsphäre muß in Kauf genommen werden, solange der Angriff nicht gegen die Privatperson, sondern gegen die Person in ihrer Eigenschaft als Verantwortungsträger des Unternehmens gerichtet ist (BGH, Urt. v. 12.10.1993, aaO). Eine Auseinandersetzung mit der in der Literatur überwiegend kritisch beurteilten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 08.02.1994 - VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281), daß der Veranstalter eines steuerrechtlichen Seminars nicht auf die negativen Punkte in der veröffentlichten Jahresabschlußbilanz eines Unternehmens hinweisen dürfe, ist im vorliegenden Fall nicht erforderlich, weil der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung maßgeblich auf die eigenerwerbswirtschaftlichen Zwecke des Verletzers abgestellt hat, die im vorliegenden Fall fehlen.
(d) Die Meinungsäußerungsfreiheit findet allerdings ihre Grenze an der sogenannten Schmähkritik, die nur dazu dient, den Betroffenen zu diffamieren und an den Pranger zu stellen (BVerfG, Beschl. v. 17.12.2002, aaO). Grundsätzlich ist indes davon auszugehen, daß ein Presseorgan, dem Informationen über einen die Öffentlichkeit interessierenden Privatrechtsstreit zugetragen werden, zunächst unter Beachtung seiner presserechtlichen Sorgfaltspflichten recherchiert, insbesondere dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, und sodann möglicherweise kritisch, dabei aber sachbezogen und nicht etwa diffamierend berichtet. Die Klägerin hat auch nicht dargelegt, daß der Beklagte zu 3 damit drohte, das "Traber-Journal" werde seinen Kommentar diffamierend gestalten und die Klägerin und ihren Geschäftsführer - unter Verletzung seiner presserechtlichen Sorgfaltspflichten - an den Pranger stellen. Eine derartige Drohung kann insbesondere nicht der angeblichen Äußerung des Beklagten zu 3 entnommen werden, der Geschäftsführer der Klägerin könne sich nach der Berichterstattung im "Traber-Journal" auf der Rennbahn nicht mehr sehen lassen. Da der Beklagte zu 3 den Vertrag und die Rechnungen der Klägerin für anstößig hielt, wäre eine derartige Äußeru ng vielmehr als Ausdruck seiner Überzeugung zu verstehen, daß allein die - nicht diffamierend gestaltete - Aufdeckung der objektiven Fakten den Lesern ein so negatives Bild des Klägers vermitteln werde, daß sich seine Rennbahnbekannten von ihm abwenden würden.
Nach alledem war die angedrohte Veranlassung einer Berichterstattung im "Traber-Journal" kein rechtswidriges Mittel.
bb) Ebensowenig war der Zweck der Drohung rechtswidrig. Wie bereits dargelegt, ist der Zweck der Drohung nicht schon dann rechtswidrig, wenn dem Drohenden kein Anspruch auf den erstrebten Erfolg zusteht, sondern genügt es für die Rechtmäßigkeit des erstrebten Erfolgs, daß der Drohende in vertretbarer
Weise an die Berechtigung seines Standpunktes glaubt (s.o. II 4 a). Dies war hier der Fall, weil der Beklagte zu 3 in vertretbarer Weise annehmen durfte, daß der Beklagte zu 1 den Wartungsvertrag, wenn dieser nicht ohnehin nichtig sei, jedenfalls vorzeitig kündigen und gegenüber den Restforderungen der Klägerin mit Schadensersatzansprüchen wegen Überzahlung aufrechnen könne.
cc) Schließlich war auch die Mittel-Zweck-Relation nicht rechtswidrig. Eine Drohung ist auch dann widerrechtlich, wenn Mittel und Zweck zwar für sich allein betrachtet nicht rechtswidrig sind, ihre Verbindung aber - die Benutzung dieses Mittels zu diesem Zweck - gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden oder gegen Treu und Glauben verstößt, d.h. wenn die Drohung kein angemessenes Mittel zur Erreichung des erstrebten Erfolgs ist (st. Rspr. d. BGH, vgl. nur Urt. v. 06.05.1982 - VII ZR 208/81, NJW 1982, 2301). So lag es hier indessen nicht. Die Drohung, die Presse zu informieren, ähnelt der Drohung mit einer Strafanzeige. Diese ist nach überwiegender Meinung adäquat , wenn der Verletzte den Täter zur Wiedergutmachung des von ihm angerichteten Schadens veranlassen will (BGHZ 25, 217, 220 f.; BGH, Urt. v. 06.02.1963 - VIII ZR 158/62, WM 1963, 511; Urt. v. 16.03.1973 - V ZR 38/71, WM 1973, 574; BAG, NJW 1999, 2059 m.w.N.; Staudinger/Singer-v. Finckenstein , BGB (2004), § 123 Rdn. 71). Sowenig demjenigen, der sich durch eine Straftat geschädigt glaubt, die Strafanzeige verwehrt werden kann, sowenig ist - wie bereits dargelegt - das vermeintliche Opfer zivilrechtlichen Unrechts gehindert , die Presse zu informieren, wenn ein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. In beiden Fällen erscheint es aber andererseits nicht anstößig , wenn der Geschädigte dem Straftäter bzw. dem zivilrechtlichen Schädiger erklärt, daß er im Falle der Erfüllung seiner zivilrechtlichen Ausgleichsansprüche auf die Strafanzeige bzw. die Information der Presse verzichten werde. Denn die sich darin ausdrückende Betrachtung des Geschädigten, daß durch die Anspruchserfüllung eine Wiedergutmachung des Unrechts erfolgt, die es
unnötig macht, den Täter strafrechtlich zu verfolgen oder ihn durch einen Pressebericht dem negativen Urteil der Öffentlichkeit auszuliefern, ist nicht zu beanstanden. Eine solche Entwicklung und Beendigung des Konflikts ist vielmehr sozialadäquat.
Somit war auch die Drohung des Beklagten zu 3 mit einer Berichterstattung im "Traber-Journal" nicht rechtswidrig.
Da nach alledem die Klägerin den Aufhebungsvertrag mangels widerrechtlicher Drohung nicht mit Erfolg anfechten konnte, kann sie aus der Erfüllung dieses Vertrages auch keine Schadensersatzansprüche herleiten.
Melullis Keukenschrijver Ambrosius
Asendorf Kirchhoff

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. Oktober 2010 - 8 Sa 249/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung.

2

Der 1953 geborene Kläger war seit Januar 2002 bei der Beklagten - einer bundesunmittelbaren juristischen Person des öffentlichen Rechts mit Sitz in F - als Ingenieur beschäftigt. Seine Tätigkeit verrichtete er in einer nach M ausgelagerten „Fachstelle/Bau“ der Abteilung „Zentrales Baumanagement“. In seine Zuständigkeit fiel die Abwicklung von Bau- und sonstigen Sanierungsvorhaben im Bereich der M Außenstelle der Beklagten und an ihren Liegenschaften in B und R.

3

Der Kläger betreute ua. das Projekt „Erneuerung der Brandschutzklappen des Dienstgebäudes B“. Um den Auftrag bewarb sich die A GmbH (im Folgenden: GmbH), die schon zuvor in dem Dienstgebäude mit regelmäßigen Wartungsarbeiten betraut war. Anfang März 2008 gab sie ein erstes Angebot und unter dem 11. März 2008 ein zweites, inhaltlich erweitertes Angebot mit einer Angebotssumme von 122.652,68 Euro ab.

4

Ein von der Beklagten beauftragtes Ingenieurbüro befürwortete im Hinblick auf das zweite Angebot die Vergabe des Auftrags an die GmbH, allerdings mit der Einschränkung, dass bestimmte Positionen wegen zu hoher Zeitansätze bzw. Einheitspreise nachzuverhandeln seien. Die Unterlagen reichte der Kläger an das Servicezentrum der Beklagten in F weiter. Nachdem von dort die Höhe des Angebots beanstandet worden war, reduzierte die GmbH nach Verhandlungen mit dem Kläger das zweite Angebot um einen Betrag von 10.499,75 Euro. Auf Vorschlag des Klägers und nach Gegenzeichnung durch seinen Vorgesetzten sowie weiteren Genehmigungen über mehrere Hierarchieebenen wurde der GmbH im Wege einer freihändigen Vergabe der Zuschlag erteilt.

5

Aufgrund einer Selbstanzeige des Geschäftsführers der GmbH leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Erpressung und Bestechlichkeit ein. Am 4. Februar 2009 wurden die Privatwohnung des Klägers und die Geschäftsräume der M Außenstelle der Beklagten durchsucht. Der Beklagten wurde der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts M vom 21. November 2008 eröffnet, der eine detaillierte Darstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts enthält. Insbesondere ist dort der Inhalt mehrerer Gespräche wiedergegeben, die zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer geführt worden sein sollen. Bei der Beklagten wurden Geschäftsunterlagen betreffend die Projekte „Erneuerung der Brandschutzklappen“ und „Umbau Zu- und Abluftanlage“ beschlagnahmt, darunter Unterlagen von Firmen, die hierauf bezogen Angebote abgegeben hatten. Ein dem Kläger am Folgetag eröffneter Haftbefehl wurde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

6

Mit Schreiben vom 5. Februar 2009 stellte die Beklagte den Kläger von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Zugleich teilte sie mit, er sei verdächtig, am 15. Februar 2008 vom Geschäftsführer der GmbH eine Gegenleistung in Höhe von 10 vH des Auftragswerts dafür gefordert zu haben, dass er sich in besonderer Weise für eine Beauftragung der GmbH durch die Beklagte einsetzen würde. Außerdem stehe er im Verdacht, im August 2008 das Angebot des Geschäftsführers der GmbH angenommen zu haben, ihm ohne finanzielle Gegenleistung eine Ferienwohnung am Gardasee für eine Woche zur Verfügung zu stellen. Um dem Kläger Gelegenheit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern, lud sie ihn zu einem Gespräch am Montag, dem 9. Februar 2009, in ihre F Zentrale ein.

7

Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Februar 2009 sagte der Kläger seine Teilnahme an dem Gespräch ab. Er berief sich mit Blick auf das laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren auf sein Schweigerecht. Gleichwohl sei er bereit, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, wozu er einen Fragenkatalog erbitte. Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Beklagte dem Kläger unter Beifügung einer Kopie des Durchsuchungsbeschlusses vom 21. November 2008 mit, es stehe ihm frei, sich schriftlich zu den in dem Beschluss angeführten Verdachtstatsachen zu äußern. Sie erwarte den Eingang einer Stellungnahme „bis Dienstschluss“ am 9. Februar 2009. Einen Fragenkatalog werde sie nicht erstellen.

8

Mit Schreiben vom 9. Februar 2009 erklärte der Kläger, ihm sei noch keine Akteneinsicht gewährt worden. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe wies er pauschal als unzutreffend zurück. Weder bei seinem ersten Zusammentreffen noch zu einem späteren Zeitpunkt habe er den mitbeschuldigten Geschäftsführer zu Zahlungen im Zusammenhang mit einer möglichen Beauftragung aufgefordert. Er habe auch keine finanziellen Zuwendungen oder einen geldwerten Vorteil sonstiger Art erhalten. Hinsichtlich der Ferienwohnung am Gardasee sei anzumerken, dass er gemeinsam mit seiner Ehefrau bereits Monate zuvor einen Hotelurlaub an der Adria gebucht und gezahlt habe, wie aus einer beigefügten Buchungsbestätigung hervorgehe.

9

Nach Beteiligung des Gesamtpersonalrats kündigte die Beklage das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 12. Februar 2009 außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 26. Februar 2009 erklärte sie hilfsweise eine ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009. Gegen beide Kündigungen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.

10

Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung lägen nicht vor. Die Beklagte habe sich nicht auf eine Aussage des Geschäftsführers im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren stützen dürfen, sondern habe eigene Nachforschungen anstellen müssen. Der Geschäftsführer sei nicht glaubwürdig. Diesem sei Straffreiheit zugesichert worden. Auch habe er wohl angesichts der knappen Kalkulation der Aufträge seinen Betrieb gefährdet gesehen und ihn - den Kläger - aus dem Weg räumen wollen. Er selbst habe keinen bestimmenden Einfluss auf die Vergabe von Aufträgen durch die Beklagte gehabt. Sollte je ein dringender Tatverdacht bestanden haben sei dieser mit der am 3. März 2010 - unstreitig - erfolgten Aufhebung des Haftbefehls entfallen. Die Erhebung der öffentlichen Klage vom 8. April 2010 und die anschließende Eröffnung des Hauptverfahrens ließen keine andere Bewertung zu. Diese Entscheidungen erforderten nur ein geringeres Maß an Tatverdacht. Eine im Verlauf des Rechtsstreits von der Beklagten veranlasste Innenrevision habe keine Unregelmäßigkeiten ergeben. Die Beklagte habe ihn vor der Kündigung nicht ausreichend angehört. Die Äußerungsfrist sei zu kurz gewesen und habe ihm keine substantiierte Stellungnahme ermöglicht. Mangels konkreter Vorgaben habe er nicht erkennen können, zu welchen Sachverhalten und/oder Tatsachen er sich habe äußern sollen. Die Beklagte habe es versäumt, auf ihre Kündigungsabsicht hinzuweisen.

11

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 12. Februar 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Februar 2009 nicht aufgelöst worden ist und weiter fortbesteht.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung liege vor, zumindest sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei einer Bestechlichkeit und der versuchten Erpressung verdächtig. Grundlage hierfür seien die im Durchsuchungsbeschluss festgehaltenen Ermittlungsergebnisse. Soweit diese auf Aussagen des Geschäftsführers der GmbH beruhten, habe sie keinen Anlass gehabt, an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Auch die Strafverfolgungsbehörden hätten offenkundig einen dringenden Tatverdacht angenommen, da ein Haftbefehl nur unter dieser Voraussetzung habe erlassen werden dürfen. Deren Erkenntnisse und Bewertungen mache sie sich zu eigen. Der Kläger habe an der Aufklärung des Sachverhalts nicht nach Kräften mitgewirkt. Weitere Ermittlungen habe sie weder anstellen müssen, noch sei sie dazu nach Beschlagnahme ihrer Geschäftsunterlagen in der Lage gewesen. Soweit der Kläger wegen der Ferienwohnung am Gardasee darauf verwiesen habe, vom 6. bis 13. September 2008 andernorts in Italien eine Unterkunft gebucht zu haben, sei dies angesichts des bis zum 26. September 2008 bewilligten Urlaubs nicht geeignet, den Vorwurf der Bestechlichkeit zu entkräften. Ebenso wenig komme es darauf an, ob der Kläger die Unterkunft tatsächlich genutzt habe. Entscheidend sei, dass er sich den Vorteil habe versprechen lassen.

13

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 12. Februar 2009 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Damit bleibt auch die Klage gegen die ordentliche Kündigung erfolglos.

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I. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

16

1. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155).

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2. Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 27, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 3). Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - Rn. 28, aaO). Der Umfang der Nachforschungspflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/10 - aaO; 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 - aaO).

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3. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht, ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 48 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 30, BAGE 134, 349). Auch der dringende Verdacht einer nicht strafbaren, gleichwohl erheblichen Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein(BAG 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17, aaO).

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II. Danach liegt „an sich“ ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor.

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1. Wer als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile für sich fordert, sich versprechen lässt oder entgegen nimmt, verletzt zugleich - unabhängig von einer möglichen Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB oder - als Beschäftigter im öffentlichen Dienst - wegen Vorteilsannahme nach § 331 Abs. 1 StGB bzw. Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB - seine Pflicht, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen(§ 241 Abs. 2 BGB). Ein solches Verhalten ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Der ins Auge gefasste Vorteil begründet vielmehr allgemein die Gefahr, der Annehmende werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn wahrnehmen. Der wichtige Grund liegt in der zu Tage getretenen Einstellung des Arbeitnehmers, bei der Erfüllung von arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben unberechtigte eigene Vorteile wahrzunehmen. Durch sein Verhalten zerstört der Arbeitnehmer regelmäßig das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; 21. Juni 2001 - 2 AZR 30/00 - zu B III 2 a der Gründe, EzA BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 7). Auch der dringende Verdacht einer derartigen Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 2 b der Gründe, aaO).

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2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei im Kündigungszeitpunkt einer in diesem Sinne schwerwiegenden Pflichtverletzung dringend verdächtig gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

22

a) Die Beklagte hat sich für den Verdacht auf den im Durchsuchungsbeschluss vom 21. November 2008 wiedergegebenen Sachverhalt berufen. Danach soll der Kläger - zusammengefasst - den Geschäftsführer der GmbH Mitte Februar 2008 aufgefordert haben, ihm eine Gegenleistung iHv. 10 vH des Werts des Auftrags betreffend die Brandschutzklappensanierung dafür zu gewähren, dass er sich in besonderer Weise für die Vergabe von Aufträgen an die GmbH einsetze. Nachdem der Geschäftsführer ihm in einem Telefonat vom 10. März 2008 mitgeteilt habe, er werde den geforderten Betrag nicht zahlen, soll der Kläger ihn gefragt haben, ob er sich diese Weigerung auch gut überlegt habe; diese Haltung könne Konsequenzen nach sich ziehen. Die Äußerungen soll der Kläger am 5. August 2008 anlässlich einer Besprechung in der Räumlichkeiten der Bu sinngemäß wiederholt und nachfolgend das Angebot des Geschäftsführers, ihm eine Ferienwohnung am Gardasee zur Verfügung zu stellen, angenommen haben.

23

b) Mit der Bezugnahme auf diese Sachverhaltsdarstellung hat die Beklagte hinreichend objektive Tatsachen aufgezeigt, die den Verdacht begründen, der Kläger habe sich in Bezug auf seine Berufstätigkeit Geld bzw. geldwerte Vorteile von einem Vertragspartner der Beklagten versprechen lassen und diesen zu dem Versprechen durch das Inaussichtstellen eines möglichen Auftragsverlusts genötigt. Die Beklagte beruft sich dazu nicht auf bloße Mutmaßungen oder Spekulationen, sondern auf einen greifbaren, durch die Strafverfolgungsbehörden ermittelten und in dem Durchsuchungsbeschluss über mehrere Seiten hinweg hinsichtlich Tatzeit und Tatgeschehen detailliert beschriebenen Sachverhalt. Dass dieser Sachverhalt im Wesentlichen auf den Angaben des im Ermittlungsverfahren mitbeschuldigten Geschäftsführers der GmbH über den Inhalt mit dem Kläger geführter Vieraugengespräche beruht und mit dessen Aussage „steht und fällt“, steht dem Umstand, dass es sich dabei um objektive Verdachtstatsachen handelt, nicht entgegen. Die Beklagte hatte keinen durchgreifenden Anlass, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschäftsführers in Zweifel zu ziehen. Auch wenn diesem - wie der Kläger im Verlauf des Kündigungsrechtsstreits behauptet hat - Straffreiheit zugesagt worden sein sollte, ist nicht erkennbar - und ist es fernliegend -, dass sich diese Zusage auch auf den Straftatbestand der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) bezöge. Möglichen Unsicherheiten in Bezug auf die Beweisführung hat die Beklagte dadurch Rechnung getragen, dass sie die Kündigung auf den Verdacht und nicht auf die Erwiesenheit einer Tat stützt.

24

c) Demgegenüber bringt der Kläger lediglich vor, das Landesarbeitsgericht sei zu Unrecht von der Dringlichkeit des Verdachts ausgegangen. Insbesondere habe es verkannt, dass sich die Beklagte hierfür nicht auf den gegen ihn erlassenen Haftbefehl habe berufen dürfen. Damit hat der Kläger die den Verdacht begründenden Tatsachen nicht entkräftet.

25

aa) Im Strafverfahren gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Derartige Umstände können nicht nur bei der Frage Bedeutung gewinnen, zu welchem Zeitpunkt eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden soll, und deshalb für die Einhaltung der Zweiwochenfrist von Bedeutung sein (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, aaO). Sie können auch den Kündigungsgrund selbst unterstützen, sofern es um Handlungen oder Anordnungen der Ermittlungsbehörden geht, die ihrerseits einen dringenden Tatverdacht voraussetzen (vgl. BAG 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 38, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Das trifft auf den in Rede stehenden Haftbefehl grundsätzlich zu. Nach § 112 Abs. 1 iVm. § 114 StPO darf Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten nur angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und - kumulativ - ein Haftgrund besteht. Hinzu kommt, dass die Staatsanwaltschaft der materiellen Wahrheit verpflichtet ist und deshalb nach § 160 Abs. 2 StPO auch den Beschuldigten entlastende Umstände zu ermitteln und bei ihrem Vorgehen zu berücksichtigen hat(Löwe/Rosenberg/Erb StPO § 160 Rn. 47 mwN). Gleiches gilt für den Ermittlungsrichter, der über die Anordnung von Untersuchungshaft entscheidet.

26

bb) Allerdings wird die Verdachtskündigung nicht allein auf eine den dringenden Tatverdacht bejahende Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden als solche gestützt werden können. Bei der Kündigung wegen erwiesener Tat reicht eine strafgerichtliche Verurteilung für sich genommen nicht aus, die Kündigung zu rechtfertigen. Vielmehr sind die Arbeitsgerichte gehalten, den Sachverhalt im Kündigungsschutzprozess ohne Bindung an das Strafurteil selbst aufzuklären und zu bewerten (BAG 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12; 26. März 1992 - 2 AZR 519/91 - zu B II 4 und III 3 b, dd der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 23 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Für die Verdachtskündigung wird nichts anderes gelten können. Dies hat zur Folge, dass Handlungen oder Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden allenfalls indizielle Bedeutung für die vom Gericht vorzunehmende Bewertung erlangen können, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund wegen des entsprechenden Verdachts gerechtfertigt ist. Die behördlichen Maßnahmen bilden dagegen für sich genommen keinen Kündigungsgrund und sind nicht geeignet, eine eigene Bewertung der den Verdacht begründenden Tatsachen durch die mit der Sache befassten Gerichte zu ersetzen. Im Ergebnis kommt es hierauf nicht an.

27

(1) Das Landesarbeitsgericht hat seine Auffassung, die Beklagte habe im Kündigungszeitpunkt davon ausgehen dürfen, der Kläger sei der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig, nicht mit dem Haftbefehl als solchem begründet. Es hat vielmehr angenommen, die Beklagte habe sich auf der Grundlage bekannter Verdachtstatsachen die Einschätzung der Ermittlungsbehörden zur Dringlichkeit des Verdachts zu eigen gemacht.

28

(2) Daran anknüpfend hat es weiter geprüft, ob sich der Verdacht aufgrund des Parteivorbringens im vorliegenden Verfahren als weniger intensiv darstellt. Seine Auffassung, dies sei nicht der Fall, hat es im Wesentlichen damit begründet, Manipulationen bei der Preisgestaltung seien den Umständen nach nicht auszuschließen. Das gelte auch dann, wenn das zweite Angebot der GmbH vom 11. März 2008 - wie vom Kläger behauptet - auf der Grundlage des Leistungsverzeichnisses des hinzugezogenen Ingenieurbüros erfolgt sei. Dieser Umstand entlaste den Kläger nicht, weil schon der Umfang der auf 38 Seiten zusammengestellten Angebotspositionen die Chance erhöhe, dass unbemerkt einzelne preisrelevante Posten höher als erforderlich kalkuliert würden. Außerdem sei eine mögliche Preismanipulation durch die später, allerdings erst auf Initiative des Servicezentrums der Beklagten tatsächlich erreichte deutliche Reduzierung des Angebotspreises indiziert.

29

(a) Diese Würdigung ist, soweit sie auf tatsächlichem Gebiet liegt, revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 7. November 2002 - 2 AZR 599/01 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 50; 1. Oktober 1997 - 5 AZR 685/96 - BAGE 86, 347 mwN). Einen derartigen Rechtsfehler zeigt der Kläger nicht auf.

30

(b) Die Wertung des Landesarbeitsgerichts ist grundsätzlich möglich. Das gilt umso mehr, als der Kläger keinen Grund dafür benannt hat, warum er als zuständiger Sachbearbeiter das Angebot an das Servicezentrum der Beklagten in F weitergeleitet hat, ohne auf die vom Ingenieurbüro beanstandeten Punkte einzugehen. Selbst wenn er sich damit im Rahmen bestehender Richtlinien bewegt haben sollte, fügt sich sein Vorgehen immerhin in das „Bild“ der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe in Erwägung ziehen müssen, dass vereinzelt falsche Mengen zu dem überhöhten Angebotspreis vom 11. März 2008 geführt hätten, ist unbegründet. Nach dem Tatbestand des Berufungsurteils hat das Ingenieurbüro eine Nachverhandlung des betreffenden Angebots wegen zu hoher Zeitansätze und Einheitspreise vorgeschlagen. Daran knüpfen die Ausführungen des Gerichts an. Das Landesarbeitsgericht hat dabei nicht den Vortrag des Klägers übergangen, er habe auf die Auftragsvergabe keinen bestimmenden Einfluss nehmen können. Es hat das Vorbringen im Tatbestand seines Urteils erwähnt und im Rahmen seiner rechtlichen Ausführungen (unter II 1.2.1.2 der Entscheidungsgründe) gewürdigt. Dass es darin keinen Umstand erblickt hat, der die Intensität des Verdachts hätte vermindern können, begründet keinen Rechtsfehler im aufgezeigten Sinne. Im Übrigen schließt das Fehlen einer Möglichkeit zur internen Einflussnahme nicht aus, dass sich der Arbeitnehmer nach außen einer solchen berühmt. Soweit der Kläger gemeint hat, die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts seien „lebensfremd“, setzt er seine eigene Bewertung der Abläufe an die Stelle derjenigen des Landesarbeitsgerichts. Das macht dessen Würdigung nicht rechtsfehlerhaft.

31

d) Die Beklagte hat ihre Verpflichtung nicht verletzt, den Verdacht so weit wie möglich aufzuklären. Insbesondere hat sie den Kläger vor der Kündigung ordnungsgemäß angehört.

32

aa) Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Bei dieser besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Dessen Anhörung ist deshalb ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Unterbliebe sie, wäre die Kündigung nicht „ultima ratio“ (BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 51, BAGE 131, 155; 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 14 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6).

33

bb) Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Verfehlung kann nur dann für den Ausspruch einer Kündigung genügen, wenn es weder gelungen ist, ihn auszuräumen, noch gelungen ist, die erhobenen Vorwürfe auf eine sichere Grundlage zu stellen (BAG 28. November 2007 - 5 AZR 952/06 - Rn. 19, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4). Die Anhörung des Arbeitnehmers ist deshalb ein stets gebotenes Mittel der Sachverhaltsaufklärung. Ihr Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Einerseits muss sie nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden(BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 15, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6; 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 b bb der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1). Andererseits reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt. Sie ist nicht etwa dazu bestimmt, als verfahrensrechtliche Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln (BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - aaO).

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cc) Diesen Anforderungen wird die Anhörung des Klägers gerecht. Die Beklagte hat ihm die konkreten Vorwürfe bekannt gemacht und hinreichend Zeit für eine Stellungnahme eingeräumt. Eines ausdrücklichen Hinweises auf eine bestehende Kündigungsabsicht bedurfte es nicht.

35

(1) Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 5. und 6. Februar 2009 mit dem gegen ihn gehegten Verdacht konfrontiert. Aufgrund der Mitteilungen im ersten Schreiben wusste der Kläger, dass es im Kern um zwei Sachverhalte geht. Die Darstellung der Vorwürfe war ausreichend. Der Kläger konnte angesichts des dem Schreiben vom 6. Februar 2009 beigefügten Durchsuchungsbeschlusses und der dort enthaltenen ausführlichen Darstellung des maßgebenden Sachverhalts in räumlicher und zeitlicher Hinsicht nicht im Unklaren sein, über welchen Kenntnisstand die Beklagte verfügte und auf welche Umstände sie den Verdacht stützte. Einen Katalog von Fragen - wie vom Kläger erbeten - brauchte die Beklagte nicht zu formulieren. Zweck der Anhörung ist die Aufklärung des belastenden Sachverhalts in seiner Gänze, und zwar auch in Richtung auf eine mögliche Entlastung. Der Arbeitnehmer soll Gelegenheit erhalten, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen des Arbeitgebers auseinanderzusetzen, weil möglicherweise schon seine spontane Reaktion zu einer Entlastung führt (Ebeling Die Kündigung wegen Verdachts S. 167). Diesem Zweck liefe die Formulierung konkreter Fragen zuwider.

36

(2) Die dem Kläger im zweiten Schreiben eingeräumte Frist zur Stellungnahme „bis Dienstschluss“ am Montag, dem 9. Februar 2009, war zwar knapp bemessen. Der Kläger hat aber weder dargelegt, dass und ggf. warum ihm tatsächlich eine sachangemessene Äußerung binnen der Frist nicht zumutbar war, noch sind solche Umstände objektiv erkennbar. Das gilt umso mehr, als die ihm eingeräumte Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung seinem Wunsch entsprach und die - allemal rechtzeitige - Einladung der Beklagten zu dem Gesprächstermin am 9. Februar 2009 nicht aufhob. Soweit mit Blick auf die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB für Aufklärungsbemühungen des Arbeitgebers im Wege der Anhörung des Arbeitnehmers in der Regel eine Frist von einer Woche zu veranschlagen ist(BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 22, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10), folgt daraus nicht, dass dem Arbeitnehmer stets eine entsprechend lange Frist zur Stellungnahme einzuräumen wäre. Das gilt auch angesichts der dem Arbeitnehmer grundsätzlich zuzugestehenden Möglichkeit, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen (vgl. insoweit BAG 13. März 2008 - 2 AZR 961/06 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6). Im Übrigen hat der Kläger in seinem Schreiben vom 9. Februar 2009 Stellung genommen, ohne um eine Verlängerung der Frist nachzusuchen. Daraus durfte die Beklagte folgern, es habe sich um eine abschließende Äußerung gehandelt. Dass sich der Kläger vorbehalten hat, nach Einsicht in die Ermittlungsakten zu einzelnen Punkten weiter Stellung zu beziehen, steht dem nicht entgegen. Der Kläger hat nicht begründet, warum er sich zu welchen Gesichtspunkten nicht abschließend hat erklären können oder wollen. Dessen hätte es aber bedurft, da sich die Verdachtstatsachen auf Gegenstände seiner eigenen Wahrnehmung bezogen und er keinen Anlass haben konnte anzunehmen, die Beklagte verfüge über bessere Erkenntnisse als er selbst (ähnlich BAG 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - zu B I 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1).

37

(3) Für die ordnungsgemäße Anhörung kommt es nicht darauf an, ob mit der Angabe „Dienstschluss“ das Ende der dem Kläger eingeräumten Frist hinreichend bestimmt bezeichnet worden ist. Die Beklagte hat sich gegenüber den Erklärungen im Schreiben vom 9. Februar 2009 nicht auf Verspätung berufen. Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte ihr Anhörungsschreiben nicht mehr an ihn persönlich, sondern an seinen bereits umfassend beauftragten Rechtsanwalt habe übermitteln müssen, ist vor diesem Hintergrund nicht verständlich.

38

(4) Die Anhörung ist auch nicht deshalb unzureichend, weil die Beklagte den Kläger nicht ausdrücklich auf eine bestehende Kündigungsabsicht für den Fall hingewiesen hat, dass sich die Vorwürfe nicht ausräumen ließen. Es ist bereits fraglich, ob den Arbeitgeber eine solche Verpflichtung trifft (bejahend Fischer BB 2003, 522, 523; Seeling/Zwickel MDR 2008, 1022). In jedem Fall bleibt die Nichterteilung eines Hinweises auf eine mögliche Kündigung dann folgenlos, wenn für den Arbeitnehmer die Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses erkennbar war. So liegt es hier. Die Beklagte hat den Kläger mit dem Schreiben vom 5. Februar 2009 mit sofortiger Wirkung von der Arbeitsleistung frei gestellt. Sie hat mitgeteilt, aufgrund des Verdachts und der Schwere der ihm zugrunde liegenden Tat sei ihr seine Weiterbeschäftigung unzumutbar. Unter diesen Umständen musste dem Kläger klar sein, dass der Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses aus Sicht der Beklagten ganz wesentlich von seiner Stellungnahme abhing.

39

dd) Die Beklagte hat nicht andere Erkenntnismöglichkeiten ungenutzt gelassen, insbesondere nur unzureichende eigene Ermittlungen angestellt. Anhaltspunkte für weitere Aufklärungsbemühungen konnten sich angesichts der Beschlagnahme relevanter Geschäftsunterlagen nur aus der Stellungnahme des Klägers ergeben. Dieser hat sich darauf beschränkt, den Verdacht pauschal von sich zu weisen. Er hat sich mit den im Durchsuchungsbeschluss einzeln aufgeführten Gesprächen weder auseinandergesetzt, noch ihnen substantiierten Vortrag entgegengehalten. Ohne eine detaillierte Erwiderung hatte die Beklagte keinen Anlass, etwa den Geschäftsführer der GmbH selbst zu befragen. Mit Blick auf das Angebot einer Ferienwohnung am Gardasee ist die Beklagte den Angaben des Klägers zur Buchung einer angeblich zeitgleichen Urlaubsreise an die Adria nachgegangen - mit dem Ergebnis, dass dieser Umstand in Anbetracht der Dauer des dem Kläger bewilligten Urlaubs nacheinander liegende Aufenthalte an beiden Orten nicht ausschloss.

40

3. Der Verdacht besteht weiterhin. Er wurde im Verlauf des Rechtsstreits weder entkräftet, noch sind Umstände eingetreten, die zu seiner Abschwächung geführt hätten.

41

a) Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Verdachtskündigung ist zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Verdacht durch später bekannt gewordene Umstände, jedenfalls soweit sie bei Kündigungszugang objektiv bereits vorlagen, abgeschwächt oder verstärkt werden kann (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - zu B II 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2). Eine Differenzierung danach, ob der Arbeitgeber objektiv die Möglichkeit hatte, von den betreffenden Tatsachen bis zum Kündigungsausspruch Kenntnis zu erlangen, ist nicht gerechtfertigt.

42

b) Demgegenüber hält das Landesarbeitsgericht nur solche Tatsachen für berücksichtigungsfähig, die der Arbeitgeber bei Anwendung gebotener und zumutbarer Sorgfalt hätte erkennen können. Dies überzeugt nicht. Hat der Arbeitgeber entlastende Umstände deshalb nicht erkannt, weil er den Sachverhalt nicht sorgfältig genug aufgeklärt hat, ist die Verdachtskündigung regelmäßig schon aus diesem Grund unwirksam. Dass zugunsten des Arbeitnehmers darüber hinaus Tatsachen berücksichtigungsfähig sind, die der Arbeitgeber selbst nach zumutbaren Aufklärungsbemühungen noch nicht hat kennen können, trägt der Besonderheit Rechnung, dass im Rahmen der Verdachtskündigung nicht der volle Nachweis einer Pflichtverletzung verlangt wird. Blieben den Arbeitnehmer entlastende Tatsachen, die erst im Prozess zutage getreten sind, außer Betracht, hätte der Arbeitgeber ein sehr geringes Prozessrisiko. Er müsste nur nachweisen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein dringender Tatverdacht bestand. Das würde der bei der Verdachtskündigung bestehenden Gefahr, einen Unschuldigen zu treffen, nicht gerecht (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 28, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67). Die Gefahr würde vielmehr „sehenden Auges“ vergrößert. Ihr erst mit einem möglichen Wiedereinstellungsanspruch zu begegnen, würde der Sach- und Interessenlage nicht gerecht.

43

c) Der Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts wirkt sich im Ergebnis nicht aus (§ 561 ZPO).

44

aa) Der Kläger hat dem Vorbringen der Beklagten zum Inhalt der Gespräche mit dem Geschäftsführer der GmbH keinen anderen, im Einzelnen dargelegten Gesprächsverlauf entgegengesetzt. Er hat sich auf ein einfaches Bestreiten beschränkt und lediglich behauptet, die eine oder andere Äußerung sei so nicht gefallen. Dabei ist er auch dann noch geblieben, als die Beklagte vorgetragen hatte, sie habe mittlerweile Einsicht in die beschlagnahmten Unterlagen nehmen können und diese ausgewertet, zudem habe sie den Geschäftsführer der GmbH befragt, der seine frühere Aussage bekräftigt habe. Spätestens angesichts dieses Vorbringens hätte der Kläger dem von der Beklagten behaupteten Inhalt und Verlauf der Gespräche mit dem Geschäftsführer der GmbH substantiiert entgegentreten müssen. Das hat er unterlassen. Damit hat er seiner Erklärungspflicht nach § 138 Abs. 1, Abs. 2 ZPO nicht genügt. Das gilt gleichermaßen für die bruchstückhafte Einlassung zum Komplex „Ferienwohnung“. Sie fügt sich ohne Weiteres in die von der Beklagten behaupteten Verdachtstatsachen ein und vermag diese gerade nicht zu entkräften. Der Kläger hat eine vollständige Darstellung des tatsächlichen, aus seiner Sicht wahrhaftigen Geschehensablaufs auch insoweit unterlassen. Auf eine Einschränkung seiner prozessualen Wahrheitspflicht wegen des laufenden Strafverfahrens hat er sich nicht berufen. Es kann deshalb offenbleiben, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein solcher Einwand mit Blick auf die Besonderheiten der Verdachtskündigung beachtlich gewesen wäre.

45

bb) Die Aufhebung des Haftbefehls entlastet den Kläger nicht. Aus ihr folgt - unbeschadet der Frage, inwieweit dies dem Kläger zugute kommen könnte - nicht, die Strafverfolgungsbehörden hätten einen dringenden Tatverdacht zuletzt nicht mehr bejaht. Sie kann ebenso gut darauf zurückzuführen sein, dass der Sachverhalt aus Sicht der zuständigen Stellen ausermittelt war und etwa der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht mehr vorlag. Die Annahme, dass nicht etwa der Wegfall eines dringenden Tatverdachts zur Aufhebung des Haftbefehls geführt hat, liegt deshalb nahe, weil er zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahr bestand. Zumindest hatte der Kläger aufgrund seiner Sachnähe Anlass, sich zum Grund der Aufhebung zu erklären. Das hat er versäumt. Ebenso wenig wird der Verdacht dadurch entkräftet, dass bei einer von der Beklagten durchgeführten Innenrevision kein weiteres den Kläger belastendes Material aufgefunden wurde.

46

III. Die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts ist unter Beachtung eines ihm zukommenden Beurteilungsspielraums (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, BAGE 134, 349; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es hat alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und vertretbar gegeneinander abgewogen. Danach konnte es ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangen, der Beklagten sei in Anbetracht der Schwere der Pflichtverletzung, derer der Kläger verdächtig war, ein Festhalten am Arbeitsverhältnis selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen.

47

IV. Die Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 BGB)ist gewahrt. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die den Verdacht begründenden Tatsachen der Beklagten erstmals am 4. Februar 2009 bekannt geworden. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 13. Februar 2009 zu.

48

V. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Kündigung an einer fehlerhaften Beteiligung des Personalrats oder des Gesamtpersonalrats scheitert. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zuletzt eine fehlerhafte Beteiligung nicht mehr behauptet. Dagegen wendet sich die Revision nicht. Ein Rechtsfehler liegt auch objektiv nicht vor.

49

1. Allerdings entbindet der Umstand, dass ein Arbeitnehmer, der die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bzw. Gesamtpersonalrats gerügt hat, den Ausführungen des Arbeitgebers nicht weiter entgegen tritt, das mit der Sache befasste Gerichte nicht von der Verpflichtung, den Arbeitgebervortrag auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Hinsichtlich des Vorbringens zur ordnungsgemäßen Beteiligung des zuständigen Personalrats gilt - wie für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG - eine abgestufte Darlegungslast(BAG 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - zu II 3 a der Gründe, AP LPVG Niedersachsen § 28 Nr. 1 = EzA BGB § 626 Krankheit Nr. 4). Hat der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bestritten, muss der Arbeitgeber im Detail darlegen, ob und ggf. wie das Verfahren durchgeführt worden ist. Erst wenn er dem nachgekommen ist und eine ordnungsgemäße Beteiligung des zuständigen Personalrats schlüssig aufgezeigt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer diesem Vorbringen iSv. § 138 Abs. 2 ZPO ausreichend entgegengetreten ist, insbesondere deutlich gemacht hat, welche Angaben des Arbeitgebers er weiterhin(mit Nichtwissen, § 138 Abs. 4 ZPO) bestreitet (BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 193/04 - zu II 1 b der Gründe, AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12; 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - aaO; 16. März 2000 - 2 AZR 75/99 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 114 = EzA BGB § 626 nF Nr. 179).

50

2. Einer Schlüssigkeitsprüfung im dargestellten Sinne bedarf es nur dann nicht, wenn der Arbeitnehmer auf die Ausführungen des Arbeitgebers zur Personalratsbeteiligung zweifelsfrei zu erkennen gibt, dass er an der betreffenden Rüge als solcher nicht länger festhält. Mit seinem Vorbringen, es fehle an einer ordnungsgemäßen Beteiligung der zuständigen Arbeitnehmervertretung, beruft sich der Arbeitnehmer auf einen „anderen“ Unwirksamkeitsgrund iSd. § 4 Satz 1, § 6 KSchG(BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 12, EzA KSchG § 6 Nr. 4). Die Rüge, die Kündigung sei noch aus einem anderen Grund als dem der Sozialwidrigkeit unwirksam, führt zwar nicht zu einem Wechsel des Streitgegenstands, sondern nur zu einer Erweiterung des Sachvortrags im Kündigungsschutzprozess. Die Regelung des § 6 KSchG ist aber Beleg dafür, dass der Arbeitnehmer über die Einführung der Unwirksamkeitsgründe frei entscheiden und den Prozessstoff insoweit von vorneherein begrenzen oder in den zeitlichen Grenzen des § 6 Satz 1 KSchG erweitern kann. Die gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung hat nur im Rahmen der iSv. § 4 Satz 1 iVm. § 6 Satz 1 KSchG rechtzeitig angebrachten Unwirksamkeitsgründe zu erfolgen. Für die außerordentliche Kündigung gilt über § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG Entsprechendes. Unterliegt es deshalb in diesem rechtlichen Rahmen der Disposition des Arbeitnehmers, den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer Kündigung zu bestimmen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich der Prozessstoff entsprechend reduziert, falls der Arbeitnehmer im Verlauf des Rechtsstreits zweifelsfrei zu erkennen gibt, sich auf bestimmte, rechtlich eigenständige Unwirksamkeitsgründe nicht mehr berufen zu wollen. Eine solche die Gerichte bindende Beschränkung des Sachvortrags ist grundsätzlich noch in zweiter Instanz möglich. Die Regelung des § 6 Satz 1 KSchG dient der Konzentration des Kündigungsschutzprozesses und in diesem Zusammenhang auch dem Schutz des Arbeitgebers. Dieser soll sich nicht erstmals in zweiter Instanz auf einen bis dahin in das gerichtliche Verfahren nicht eingeführten „anderen“ Unwirksamkeitsgrund einlassen und dementsprechend langfristig entsprechende Beweise sichern müssen. Diesem Zweck widerspricht es nicht, dem Arbeitnehmer die Befugnis einzuräumen, die Unwirksamkeitsrüge bezogen auf einen bestimmten Unwirksamkeitsgrund selbst im fortgeschrittenen Verfahrensstadium wieder fallen zu lassen.

51

3. So liegt es hier. Einer Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung mit Blick auf die (Gesamt-)Personalratsbeteiligung bedurfte es nicht. Das Landesarbeitsgericht hat im Tatbestand des Berufungsurteils festgestellt, der Kläger erhebe die betreffende Rüge nicht mehr. Tatbestandsberichtigung hat der Kläger nicht beantragt.

52

VI. Da die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 13. Februar 2009 beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2009 schon deshalb ohne Erfolg.

53

VII. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Berger    

        

        

        

    Gans    

        

    F. Löllgen    

                 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18. April 2012 - 18 Sa 1474/11 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer vorsorglichen ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt sog. Cash & Carry-Märkte. Der 1971 geborene Kläger war in einem ihrer Großhandelsmärkte seit August 1994 als Verkaufsmitarbeiter in der Getränkeabteilung tätig. In dem Markt beschäftigt die Beklagte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 4. März 2011 war der Kläger in der Spätschicht von 15:00 bis 22:00 Uhr eingesetzt. Wegen eines laut gewordenen Diebstahlverdachts öffnete der zuständige Geschäftsleiter im Beisein eines Betriebsratsmitglieds während der Arbeitszeit den verschlossenen Spind des Klägers und durchsuchte ihn. Nach Behauptung der Beklagten wurde dabei vom Kläger entwendete Damenunterwäsche entdeckt. Der Geschäftsleiter äußerte daraufhin seine Absicht, gegen Ende der Schicht unter Hinzuziehung zweier Betriebsratsmitglieder eine Taschen-/Personenkontrolle durchzuführen. Dem Kläger gelang es, den Markt schon vorher unkontrolliert zu verlassen. Die Umstände, unter denen dies geschah, sind streitig.

4

Die Beklagte erstattete nach Schichtende Strafanzeige gegen den Kläger wegen Diebstahls von vier Teilen Damenunterwäsche. Eine unmittelbar darauf beim Kläger - mit dessen Einverständnis - polizeilich durchgeführte Wohnungsdurchsuchung verlief ergebnislos. Gegen 22:30 Uhr durchsuchte der Geschäftsleiter den Spind des Klägers in Gegenwart eines Betriebsratsmitglieds ein weiteres Mal. Die Beklagte hat behauptet, dabei seien die Wäschestücke nicht mehr aufgefunden worden.

5

In der Zeit vom 5. bis zum 13. März 2011 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Am 7. März 2011 teilte ihm die Beklagte schriftlich mit, er stehe im Verdacht, zum Verkauf bestimmte Damenunterwäsche aus dem Markt entwendet zu haben. Sie lud ihn zu einem Gespräch am 11. März 2011, alternativ gab sie ihm Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme bis zum 14. März 2011. Der Kläger ließ den Gesprächstermin verstreichen und gab binnen der Frist auch keine schriftliche Erklärung ab. Auf Befragen durch den Geschäftsleiter äußerte er, er werde zu dem Vorwurf keine Angaben machen.

6

Nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 17. März 2011 fristlos, mit einem weiteren Schreiben vom selben Tage kündigte sie „hilfsweise“ ordentlich zum 31. Oktober 2011.

7

Der Kläger hat mit seiner fristgerecht erhobenen Kündigungsschutzklage geltend gemacht, beide Kündigungen seien unwirksam. Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er habe keinen Diebstahl begangen, insbesondere habe er keine Damenunterwäsche in seinem persönlichen Schrank aufbewahrt. Dessen heimliche Durchsuchung verletze sein Persönlichkeitsrecht. Daraus gewonnene Erkenntnisse seien prozessual nicht verwertbar.

8

Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 17. März 2011 aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;

3. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1., ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag zu unveränderten Bedingungen als Mitarbeiter im Verkauf weiter zu beschäftigten;

4. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1., ihm ein Endzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, beide Kündigungen seien wirksam. Sie hat behauptet, in der Getränkeabteilung seien mehrfach Etiketten gefunden worden, die von nicht bezahlten Waren anderer Abteilungen stammten. Auch hätten sich unter dem Müll Verpackungen von Backwaren aus ihrem Sortiment befunden. Befragungen von Mitarbeitern hätten ergeben, dass der Kläger einige Male „Rosinenschnecken“ aus der Warenauslage des „Backshops“ entnommen habe, ohne damit die Kasse zu passieren. Außerdem habe er eine Mitarbeiterin des „Textilshops“ nach der Farbe einer Kinderhose gefragt. Später sei das Etikett einer solchen Hose im Abfall bei den Getränken gefunden worden. Am 4. März 2011 habe ihr Geschäftsleiter beobachtet, wie der Kläger in der Wäscheabteilung Unterwäsche betrachtet und den Eindruck erweckt habe, als wolle er diese zum Kauf auswählen. Gegen 16:00 Uhr des Tages seien im Mülleimer der Getränkeabteilung vier Etiketten entsprechender Unterwäsche gefunden worden. Eine anhand der Artikelnummern erfolgte Nachfrage bei der Buchhaltung habe ergeben, dass die dazugehörigen Artikel nicht bezahlt worden seien. Der Geschäftsleiter habe sodann die Vorsitzende und ein weiteres Mitglied des Betriebsrats von einem gegen den Kläger bestehenden Verdacht unterrichtet, rechtswidrig Unterwäsche entwendet zu haben. Gegen 21:35 Uhr habe er im Beisein des betreffenden Mitglieds den verschlossenen Spind des Klägers geöffnet, diesen durchsucht und in einer Jacke des Klägers Unterwäsche gefunden. Die Betriebsratsvorsitzende habe vorab ihr Einverständnis mit der Maßnahme erklärt. Anschließend habe der Geschäftsleiter mit den beiden Betriebsratsmitgliedern verabredet abzuwarten, ob der Kläger die Waren bis Dienstschluss noch bezahle. Da dieser den Markt schon um 21:53 Uhr verlassen habe, sei es nicht gelungen, bei ihm - wie geplant - eine Taschenkontrolle durchzuführen. Geschäftsleiter und Betriebsratsmitglieder hätten versucht, den Kläger auf dem Parkplatz einzuholen, und sich dabei durch Zurufe bemerkbar gemacht. Der Kläger sei jedoch zu seinem Fahrzeug gerannt und eilig davongefahren. Da bei einer anschließenden Kontrolle im Spind des Klägers keine Unterwäsche mehr auffindbar gewesen, die vermisste Ware aber auch nicht bezahlt worden sei, sei erwiesen, dass der Kläger ein Vermögensdelikt zu ihrem Nachteil begangen habe. Zumindest sei er dessen dringend verdächtig. Ein prozessuales Beweisverwertungsverbot bestehe nicht. Die heimliche Kontrolle des Spinds sei die einzig effektive Möglichkeit gewesen, den Sachverhalt aufzuklären.

10

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben (I.). Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 17. März 2011 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest (II.).

12

I. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen nicht das Ergebnis, ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege nicht vor. Zwar ist die fristlose Kündigung nicht wegen einer erwiesenen Pflichtverletzung gerechtfertigt. Nicht frei von Rechtsfehlern ist jedoch die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei auch als Verdachtskündigung unwirksam. Der Beklagten ist es, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, nicht aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen verwehrt, sich auf den Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung als Kündigungsgrund zu berufen.

13

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei sind vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Vermögensdelikte regelmäßig geeignet, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen, und zwar auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 17; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 26, BAGE 134, 349; jeweils mwN).

14

2. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine auf ihn gestützte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16). Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er in der Sache zutrifft (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 14; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17). Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - Rn. 30).

15

3. Die kündigungsrechtliche Beurteilung des in Rede stehenden Verhaltens hängt - auch soweit es Grundlage eines Verdachts ist - nicht von der strafrechtlichen Bewertung des mitgeteilten Kündigungssachverhalts ab. Entscheidend ist der mit dem Verhalten oder dem Verdacht einhergehende Vertrauensverlust (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 15; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 18; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 17).

16

4. Die Würdigung, ob dem Arbeitnehmer ein Vermögensdelikt zum Nachteil seines Arbeitgebers oder eine ähnlich schwerwiegende Pflichtverletzung anzulasten ist oder ob zumindest ein dahingehender, dringender Verdacht besteht, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSd. § 286 ZPO. Diese ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht den Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob eine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist (vgl. BAG 18. Oktober 2012 - 6 AZR 289/11 - Rn. 43; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29).

17

5. Danach ist die fristlose Kündigung vom 17. März 2011 nicht deshalb gerechtfertigt, weil dem Kläger eine strafbare Handlung oder eine ähnlich schwerwiegende Pflichtverletzung zum Nachteil der Beklagten vorzuwerfen wäre.

18

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein solcher Tatvorwurf könne dem Kläger deshalb nicht gemacht werden, weil die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass er sich Waren aus ihrem Bestand tatsächlich angeeignet habe. Davon sei zwar auszugehen, falls am 4. März 2011 im Spind des Klägers Damenunterwäsche und zuvor im Mülleimer der Getränkeabteilung die dazugehörigen Preisetiketten gefunden worden sein sollten. Für ihr - vom Kläger bestrittenes - Vorbringen habe die Beklagte aber keinen geeigneten Beweis angeboten. Ihre Kenntnis vom Inhalt des Spinds beruhe auf einem unverhältnismäßigen und damit rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers. Das schließe die gerichtliche Beweiserhebung über das Ergebnis der Spindkontrolle aus.

19

b) Dagegen wendet sich die Beklagte ohne Erfolg. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts hält sich, was die für einen Tatnachweis vorgetragenen Indiztatsachen betrifft, im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum. Sie verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Das Landesarbeitsgericht hat § 286 ZPO auch nicht dadurch verletzt, dass es eine Beweiserhebung zum Ergebnis der Durchsuchung des Spinds unterlassen hat. Die darauf bezogene Rüge der Beklagten ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet (zu den Anforderungen an die Zulässigkeit einer Aufklärungsrüge vgl. BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 16, BAGE 130, 347). Die Verwertung von Beweismitteln, die die Beklagte aufgrund der in Abwesenheit des Klägers und insoweit für ihn heimlich erfolgten Durchsuchung gewonnen hat, ist im Streitfall ausgeschlossen. Dies folgt - sofern sich ein entsprechendes Verbot nicht bereits unmittelbar aus § 32 BDSG ergibt - daraus, dass mit der prozessualen Verwertung der Beweismittel durch Beweiserhebung ein - erneuter bzw. fortgesetzter - Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers einherginge, ohne dass ein solcher Eingriff durch überwiegende Interessen der Beklagten gerechtfertigt wäre. Das Verwertungsverbot impliziert ein Erhebungsverbot und schließt es aus, Personen, die die Schrankkontrolle selbst durchgeführt haben oder zu ihr hinzugezogen wurden, als Zeugen zu vernehmen (zum Beweiserhebungsverbot vgl. BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 26, aaO; 10. Dezember 1998 - 8 AZR 366/97 - zu II 1 der Gründe).

20

aa) Die Zivilprozessordnung kennt für rechtswidrig erlangte Informationen oder Beweismittel kein - ausdrückliches - prozessuales Verwendungs- bzw. Verwertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt im Gegenteil die grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte, den von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen(BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96 ua. - Rn. 60, BVerfGE 106, 28; BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 37; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BAGE 105, 356). Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindern soll, einer besonderen Legitimation in Gestalt einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - aaO; Musielak/Foerste ZPO 10. Aufl. § 284 Rn. 23; MünchKommZPO/Prütting 4. Aufl. § 284 Rn. 64).

21

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind(BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 94 mwN, aaO). Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (BVerfG 13. Februar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 21). Dieses Recht gewährleistet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre, sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch den informationellen Schutzinteressen des Einzelnen Rechnung (BVerfG 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 ua. - BVerfGE 120, 378; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 28). Es gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Diesem Schutz dient auch Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(EMRK) (BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 14).

22

cc) Die gesetzlichen Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung im BDSG konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in dieses Recht zulässig sind (vgl. für das Datenschutzgesetz NRW BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16). Dies stellt § 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des BDSG nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift diese erlaubt. Fehlt es an der danach erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser das deutsche Datenschutzrecht prägende Grundsatz ist in § 4 Abs. 1 BDSG kodifiziert(Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 4 Rn. 3; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 4 BDSG Rn. 1; Simitis/Sokol BDSG 7. Aufl. § 4 Rn. 1).

23

dd) Gemäß der - zum 1. September 2009 in Kraft getretenen und damit im Streitfall anwendbaren - Bestimmung des § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

24

ee) Es spricht viel dafür, dass es sich bei der in Rede stehenden Schrankkontrolle tatbestandlich um eine Datenerhebung iSv. § 32 Abs. 1 BDSG handelt(so Brink in jurisPR-ArbR 20/2013). Nach der Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 1 Satz 1 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Um die Gewinnung und Verwertung solcher Daten geht es hier. Die Durchsuchung des dem Kläger zugeordneten Spinds hatte zum Ziel, Erkenntnisse über dessen Inhalt zu gewinnen, um festzustellen, ob der Kläger im Besitz nicht bezahlter Waren aus dem Bestand der Beklagten war. § 32 BDSG setzt nicht voraus, dass die Datenerhebung zum Zwecke ihrer Nutzung und Verarbeitung in automatisierten Dateien erfolgt. Durch § 32 Abs. 2 BDSG wird die grundsätzliche Beschränkung der Anwendung des dritten Abschnitts des BDSG auf dateigebundene bzw. automatisierte Verarbeitungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, § 27 Abs. 1 BDSG) ausdrücklich aufgehoben. Die Vorschrift erfasst damit sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Regelungsgehalt die Datenerhebung durch rein tatsächliche Handlungen (Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 32 Rn. 7; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 32 BDSG Rn. 2; Simitis/Seifert BDSG 7. Aufl. § 32 Rn. 14, 100).

25

ff) Im Streitfall kann offen bleiben, ob § 32 BDSG einschlägig ist. Für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung des Spinds ergeben sich aus § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gegenüber einer unmittelbar an Art. 2 Abs. 1 GG orientierten Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Klägers keine anderen Vorgaben. Entsprechendes gilt mit Blick auf die Frage, ob der durch § 32 BDSG oder unmittelbar durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz des Persönlichkeitsrechts die prozessuale Verwertung der durch die Spindkontrolle gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel ausschließt. Auf die im Schrifttum umstrittene Frage, ob § 32 BDSG der Durchführung rein präventiver Kontrollen entgegensteht(zum Meinungsstand ErfK/Franzen 13. Aufl. § 32 BDSG Rn. 7; Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 43 Rn. 7), kommt es nicht an. Um eine solche Maßnahme handelt es sich hier nicht.

26

(1) Nach der Gesetzesbegründung sollte die Regelung des § 32 BDSG die bislang von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze des Datenschutzes im Beschäftigungsverhältnis nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG orientiert sich im Wortlaut an § 100 Abs. 3 Satz 1 TKG und inhaltlich an den Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht ua. in seinem Urteil vom 27. März 2003 (- 2 AZR 51/02 - BAGE 105, 356) zur verdeckten Überwachung von Beschäftigten aufgestellt hat (vgl. BT-Drucks. 16/13657, S. 21). Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten zur „Aufdeckung [einer Straftat] erforderlich ist“. Das verlangt eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten berücksichtigende Abwägung im Einzelfall, so wie sie ua. bei der heimlichen Videoüberwachung eines Arbeitnehmers vorzunehmen ist (statt vieler: Thüsing Anm. zu BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 13; Wybitul BB 2010, 2235; zur Videoüberwachung BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 30; 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO). Auch körperliche und sonstige Untersuchungen wie die Kontrolle des persönlichen Schranks des Arbeitnehmers, mitgeführter Taschen oder von Kleidungsstücken stellen grundsätzlich einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dar. Da das Persönlichkeitsrecht im Arbeitsverhältnis - jedenfalls außerhalb des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensführung - nicht schrankenlos gewährleistet ist, können solche Eingriffe aufgrund überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Das ist im Rahmen einer Güterabwägung festzustellen (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 35, 36). Mitentscheidend ist die Intensität des Eingriffs (ErfK/Schmidt 13. Aufl. Art. 2 GG Rn. 100). In diesem Zusammenhang gibt auch das Unionsrecht nichts anderes vor (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 43).

27

(2) Der persönliche Schrank eines Arbeitnehmers und dessen Inhalt sind Teil der Privatsphäre. Sie sind gleichwohl nicht unter allen Umständen einer Kontrolle durch den Arbeitgeber entzogen. Betroffen ist nicht der absolut geschützte Kernbereich privater Lebensgestaltung, sondern der nur relativ geschützte Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (zur Abgrenzung vgl. BVerfG 14. September 1989 - 2 BvR 1062/87 - BVerfGE 80, 367; vgl. auch BAG 29. Juni 2004 - 1 ABR 21/03 - zu B I 2 c der Gründe, BAGE 111, 173). Stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer - ggf. zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus § 6 Abs. 2 ArbStättV iVm. Nr. 4.1 Abs. 3 des Anhangs - einen abschließbaren Schrank zur Verfügung, berührt diese Überlassung auch seine eigenen Belange. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass ein Arbeitnehmer den Spind nicht bestimmungsgemäß nutzt, möglicherweise darin Gegenstände aufbewahrt, von denen Gefahren ausgehen, die der Arbeitgeber abzuwenden verpflichtet ist. Zum anderen kann es das Vorhandensein von Orten, auf die der Arbeitgeber keinen Zugriff hat, böswilligen Arbeitnehmern erleichtern, Handlungen zum Nachteil des Arbeitgebers oder anderer Mitarbeiter zu begehen. Dass dies uU Kontrollen des Arbeitgebers erforderlich machen kann, muss einem Arbeitnehmer bewusst sein.

28

(3) Arbeitnehmer müssen gleichwohl darauf vertrauen können, dass ihnen zugeordnete Schränke nicht ohne ihre Einwilligung geöffnet, dort eingebrachte persönliche Sachen nicht ohne ihr Einverständnis durchsucht werden. Geschieht dies dennoch, liegt regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in ihre Privatsphäre vor. Er kann nur bei Vorliegen zwingender Gründe gerechtfertigt sein. Bestehen konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und zählt der Arbeitnehmer zu dem anhand objektiver Kriterien eingegrenzten Kreis der Verdächtigen, kann sich zwar aus dem Arbeitsvertrag iVm. § 242 BGB eine Verpflichtung ergeben, Aufklärungsmaßnahmen zu dulden(ErfK/Schmidt 13. Aufl. Art. 2 GG Rn. 100). Erforderlich iSd. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG bzw. verhältnismäßig im Sinne einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann eine Schrankkontrolle aber nur sein, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen ist. Dem Arbeitgeber dürfen keine ebenso effektiven, den Arbeitnehmer weniger belastenden Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung stehen. Außerdem muss die Art und Weise der Kontrolle als solche den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren.

29

(4) Sowohl die Gerichte für Arbeitssachen als auch die ordentlichen Gerichte sind befugt, Erkenntnisse zu verwerten, die sich eine Prozesspartei durch Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verschafft hat, wenn eine Abwägung der beteiligten Belange ergibt, dass das Interesse an einer Verwertung der Beweise trotz der damit einhergehenden Rechtsverletzung das Interesse am Schutz der Daten überwiegt. Das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reichen dabei für sich betrachtet nicht aus, dem Verwertungsinteresse den Vorzug zu geben (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - Rn. 29). Dafür bedarf es zusätzlicher Umstände. Sie können etwa darin liegen, dass sich der Beweisführer mangels anderer Erkenntnisquellen in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage befindet (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36; BGH 15. Mai 2013 - XII ZB 107/08 - Rn. 22; jeweils mwN). Die besonderen Umstände müssen gerade die in Frage stehende Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt ausweisen (BVerfG 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 - aaO).

30

gg) Nach diesen Grundsätzen ist die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung fehlerfrei. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass zum Zeitpunkt der Schrankkontrolle ein durch objektive - im Anwendungsbereich des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zu dokumentierende - Tatsachen begründeter Verdacht gegen den Kläger bestand, sich Unterwäsche aus dem Bestand der Beklagten rechtswidrig zugeeignet oder zu einer solchen Tat zumindest unmittelbar angesetzt zu haben. Der Eingriff erweist sich auch dann als unverhältnismäßig. Die Beklagte hätte den Kläger zur Kontrolle seines Schranks hinzuziehen müssen. Ein Grund, der unter Berücksichtigung der Intensität des Eingriffs eine „heimliche“ Durchsuchung hätte rechtfertigen können, liegt nicht vor.

31

(1) Eine in Anwesenheit des Arbeitnehmers durchgeführte Schrankkontrolle ist gegenüber einer heimlichen Durchsuchung das mildere Mittel. Die Kontrolle in seinem Beisein gibt dem Arbeitnehmer nicht nur die Möglichkeit, auf die Art und Weise ihrer Durchführung Einfluss zu nehmen. Er kann sie uU - etwa durch freiwillige Herausgabe gesuchter Gegenstände - sogar ganz abwenden. Die verdeckte Ermittlung führt ferner dazu, dass dem Betroffenen vorbeugender Rechtsschutz faktisch verwehrt und nachträglicher Rechtsschutz erschwert wird. Die Heimlichkeit einer in Grundrechte eingreifenden Maßnahme erhöht typischerweise das Gewicht der Freiheitsbeeinträchtigung (BAG 26. August 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 21 mwN, BAGE 127, 276).

32

(2) Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergäbe, dass eine Kontrolle im Beisein des Klägers gegenüber der heimlichen weniger effektiv gewesen wäre. Zwar mögen „ertappte“ Arbeitnehmer im Falle offener Kontrollen einwenden können, sie hätten die bei ihnen aufgefundene, unbezahlte Ware vor Verlassen des Betriebs noch bezahlen wollen. Eine solche Einlassung ist aber auch bei heimlich durchgeführter Kontrolle nicht auszuschließen. Im Streitfall kommt - ausgehend vom eigenen Vorbringen der Beklagten - hinzu, dass die Etiketten der im Besitz des Klägers vermuteten Unterwäsche im Abfall der Getränkeabteilung gefunden worden waren. Dies hätte - als wahr unterstellt - eine (mögliche) Behauptung des Klägers, er habe die in seinem Spind gefundene Ware noch bezahlen wollen, ohne Weiteres als Schutzbehauptung entlarvt. Das gilt erst recht, wenn im Betrieb die Anweisung bestanden haben sollte, keinerlei für den Verkauf bestimmte Ware im Spind aufzubewahren. Dagegen kann die Beklagte nicht erfolgreich einwenden, in ihren Märkten würden gelegentlich auch nicht ausgezeichnete Waren zum Verkauf angeboten. Darauf musste es dem Landesarbeitsgericht in Anbetracht des von der Beklagten unterbreiteten Geschehensablaufs nicht ankommen. Aus diesem Grund ist auch die von der Beklagten im vorliegenden Zusammenhang erhobene Rüge, das Landesarbeitsgericht habe gegen seine Hinweispflicht verstoßen, nicht berechtigt.

33

(3) Es kann dahinstehen, ob schon diese Begründung des Landesarbeitsgerichts seine Entscheidung trägt. Die Schrankkontrolle erweist sich jedenfalls mit Blick auf die beabsichtigte anschließende Taschen-/Personenkontrolle als unverhältnismäßig. Mit seiner entsprechenden Würdigung hat das Landesarbeitsgericht nicht, wie die Beklagte offenbar meint, eine allgemeine, gegenüber einer Vielzahl von Arbeitnehmern angeordnete Taschenkontrolle oder eine Videoüberwachung als „milderes Mittel“ angesehen. Es hat einen überschießenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers vielmehr darin erblickt, dass die heimliche Schrankkontrolle lediglich der Vorbereitung einer geplanten Taschenkontrolle diente und deshalb nicht zwingend erforderlich war. Die Würdigung ist rechtsfehlerfrei. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, sie habe abwarten wollen, ob der Kläger die Ware bis Dienstschluss noch bezahle. Dies kann nur so verstanden werden, dass auch sie selbst - aus der maßgebenden Sicht ex ante - in der Ausgangskontrolle das effektivere Mittel erblickt hatte, den Kläger zu überführen. Die Schrankdurchsuchung sollte lediglich dazu dienen, die Grundlage für eine passgenaue Taschenkontrolle zu schaffen. Das reicht nicht aus, um den mit der verdeckten Durchsuchung verbundenen intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zu rechtfertigen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass Arbeitnehmer in großen Einkaufsmärkten während der Geschäftszeiten in aller Regel - so auch hier - mehrere Möglichkeiten haben, den Arbeitsplatz zu verlassen. Die Beklagte hat nicht dargelegt, weshalb sie den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten nicht durch eine intensivere Beobachtung des Klägers hätte begegnen können. Eine plausible Begründung dafür, dass sie nicht den Kündigungssachverhalt ebensogut durch eine (Personen-)Kontrolle des Klägers beim Verlassen des Marktes und ggf. eine anschließende - offene - Schrankkontrolle hätte aufklären können, hat sie nicht gegeben.

34

(4) Zu Unrecht meint die Beklagte, ihr müsse hinsichtlich mehrerer zur Verfügung stehender Aufklärungsmöglichkeiten ein Bewertungsspielraum zugebilligt werden; nicht jeder „Fehlgriff“ dürfe zur Unverhältnismäßigkeit der gewählten Maßnahme führen. Es ist stattdessen nicht Sache des Arbeitgebers, die Grenzen zu bestimmen, innerhalb derer Arbeitnehmer Schutz vor Eingriffen in ihr Persönlichkeitsrecht beanspruchen können. Wie Sachverhalte zu beurteilen sind, bei denen der Arbeitgeber unter mehreren gleich effektiven Aufklärungsmaßnahmen diejenige ergreift, die den Arbeitnehmer - geringfügig - stärker belastet, bedarf keiner Entscheidung; so liegt der Streitfall nicht.

35

(5) Die - bestrittene - Behauptung der Beklagten, ihre Vorgehensweise sei mit zwei Mitgliedern des Betriebsrats abgestimmt gewesen, von denen eines an der Kontrolle teilgenommen habe, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Aus persönlichkeitsrechtlicher und datenschutzrechtlicher Sicht ist der Eingriff deshalb nicht weniger intensiv. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Privatsphäre des Arbeitnehmers umso stärker verletzt wird, je mehr Personen ohne sein Einverständnis an dem Eingriff beteiligt sind (vgl. Brink jurisPR-ArbR 20/2013).

36

(6) Eine Beweiserhebung über das Ergebnis der Schrankdurchsuchung war deshalb ausgeschlossen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Kläger am 4. März 2011 - wie von der Beklagten behauptet - einer Ausgangskontrolle bewusst entzogen haben sollte. Dies ändert nichts an der Unverhältnismäßigkeit der von der Beklagten ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen.

37

hh) Auf die Frage, ob Personalaufenthaltsräume einschließlich dort vorhandener Schränke als „Wohnung“ iSv. Art. 13 GG zu qualifizieren sind(bejahend für nicht allgemein zugängliche Personalaufenthaltsräume Papier in Maunz/Dürig <2013> Art. 13 GG Rn. 11) und ob die Erkenntnisse aus einer heimlichen Schrankdurchsuchung durch den Arbeitgeber auch mit Blick auf Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO einem Verwertungsverbot unterliegen, kommt es nicht an. Ebenso wenig braucht der Frage nachgegangen zu werden, ob die Beklagte ihre Erkenntnisse aus der Schrankkontrolle mitbestimmungswidrig erlangt hat (zur Problematik vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 26).

38

6. Auch wenn die Beklagte den Beweis fällig geblieben ist, dass der Kläger tatsächlich Unterwäsche entwendet hat, folgt daraus nicht notwendig, dass ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt. Die Beklagte hat die Kündigung auch auf den Verdacht der rechtswidrigen Entwendung gestützt. Dies war ihr prozessual - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht deshalb verwehrt, weil sie den Betriebsrat zu diesem Kündigungsgrund nicht ordnungsgemäß angehört hätte. Zum einen ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts davon auszugehen, dass der Betriebsrat erkennen konnte, er solle auch zu einer Verdachtskündigung angehört werden. Zum anderen setzt die gerichtliche Würdigung, der Arbeitgeber sei mangels Anhörung des Betriebsrats gehindert, sich auf bestimmte Kündigungsgründe zu berufen, voraus, dass die Parteien über die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats überhaupt streiten. Daran fehlt es hier.

39

a) Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Eine ohne Anhörung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Dabei steht die nicht ordnungsgemäße Anhörung der unterbliebenen gleich (BAG 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13 mwN). Im Falle der auf einen bloßen Verdacht gestützten Kündigung zählt zur ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats über die Kündigungsgründe die Mitteilung, das Arbeitsverhältnis solle gerade (auch) deshalb gekündigt werden, weil der Arbeitnehmer eines bestimmten rechtswidrigen Verhaltens dringend verdächtig sei. Eine solche Mitteilung gibt dem Betriebsrat weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden im Anhörungsverfahren als eine Unterrichtung wegen einer als erwiesen dargestellten Handlung (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 28, BAGE 137, 54; 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe).

40

b) Hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitgeteilt, er beabsichtige, das Arbeitsverhältnis wegen einer nach dem geschilderten Sachverhalt für erwiesen erachteten Handlung zu kündigen, und stützt er die Kündigung im Prozess bei unverändert gebliebenem Sachverhalt auch darauf, der Arbeitnehmer sei dieser Handlung zumindest verdächtig, so ist er mit dem Kündigungsgrund des Verdachts wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats ausgeschlossen (BAG 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c der Gründe; vgl. auch BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 804/08 - Rn. 24; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 536/02 - Rn. 27).

41

c) Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen wurde der Betriebsrat über die Absicht der Beklagten, eine Kündigung auch wegen des Verdachts eines pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers auszusprechen, ausreichend unterrichtet. Die gegenteilige Würdigung des Landesarbeitsgerichts lässt wesentliche Umstände, die für die Auslegung der Anhörung von Bedeutung sind, außer Acht.

42

aa) Die Beklagte hat sich im Anhörungsschreiben vom 15. März 2011 für die Darstellung der Kündigungsgründe auf ein Protokoll vom 7. März 2011 bezogen. Darin heißt es einleitend, der Kläger habe seit längerer Zeit „unter Verdacht des Diebstahls“ gestanden. Es folgt eine Darstellung tatsächlicher Ereignisse, die sich am 4. März 2011 zugetragen haben sollen, ohne dass die Geschehnisse einer Beurteilung dahingehend unterzogen würden, ob sie den Verdacht aus Sicht der Beklagten endgültig bestätigt oder nur erhärtet haben. Unter diesen Umständen bedarf es für die Annahme, die Beklagte habe ihren Kündigungsentschluss ausschließlich mit einer nachgewiesenen Tat und nicht (auch) mit dem bloßen Verdacht der in Rede stehenden Pflichtwidrigkeit des Klägers begründen wollen, besonderer Anhaltspunkte.

43

bb) Solche Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich, insbesondere dann nicht, wenn der Betriebsrat im Anhörungszeitpunkt auch vom Inhalt eines Gesprächsprotokolls vom 14. März 2011 Kenntnis hatte, wie vom Landesarbeitsgericht zugunsten der Beklagten unterstellt. Sowohl der in dem Protokoll angegebene Betreff „Verdacht des Diebstahls“ als auch der darin enthaltene Hinweis auf die Anhörung des Klägers zu einem gegen ihn gerichteten entsprechenden Verdacht legen vielmehr den Schluss nahe, dass die Beklagte trotz des Ergebnisses ihrer Ermittlungen weiterhin nur von einem - wenngleich verfestigten - Diebstahlsverdacht ausging.

44

d) Im Ergebnis kommt es hierauf nicht an. Über die Anhörung des Betriebsrats streiten die Parteien nicht mehr.

45

aa) Hat sich der Arbeitnehmer rechtzeitig iSv. §§ 4, 6 KSchG auf eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG berufen, ist es Sache des Arbeitgebers, im Prozess die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats darzulegen und ggf. zu beweisen. Das betreffende Vorbringen des Arbeitgebers hat das mit der Sache befasste Gericht grundsätzlich selbst dann auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen, wenn der Arbeitnehmer ihm im weiteren Verlauf des Prozesses nicht nochmals entgegengetreten ist (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 49).

46

bb) Das gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitnehmer deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er an der betriebsverfassungsrechtlichen Rüge als solcher nicht mehr festhalte. Dann ist die Wirksamkeit der Kündigung unter dem Aspekt des § 102 Abs. 1 BetrVG nicht zu überprüfen(BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 50). Zwar führt die Rüge des Arbeitnehmers, die Kündigung sei auch aus einem anderen Grund als dem der Sozialwidrigkeit unwirksam, nicht zu einem Wechsel des Streitgegenstands, sondern nur zu einer Erweiterung des Sachvortrags im Kündigungsschutzprozess (BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 26 mwN, BAGE 140, 261). Die Regelung des § 6 KSchG ist aber Beleg dafür, dass der Arbeitnehmer über die Einführung der Unwirksamkeitsgründe frei entscheiden und den Prozessstoff insoweit von vorneherein begrenzen oder in den zeitlichen Grenzen des § 6 Satz 1 KSchG erweitern kann. Das gilt über § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG für die außerordentliche Kündigung entsprechend.

47

cc) Unterliegt es in diesem rechtlichen Rahmen der Disposition des Arbeitnehmers, den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer Kündigung zu bestimmen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich der Prozessstoff entsprechend reduziert, falls der Arbeitnehmer im Verlauf des Rechtsstreits zweifelsfrei zu erkennen gibt, sich auf bestimmte, rechtlich eigenständige Unwirksamkeitsgründe nicht (mehr) berufen zu wollen (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 50). An eine solche Beschränkung des Sachvortrags, die grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz möglich ist, sind die Gerichte selbst dann gebunden, wenn sich aus dem eigenen Vorbringen des Arbeitgebers Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung unter dem betreffenden Gesichtspunkt ergeben.

48

dd) Danach ist die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats hier nicht mehr Streitstoff. Der Kläger hat auf Seite 21 seines - erstinstanzlichen - Schriftsatzes vom 8. August 2011 ausgeführt: „Die Rüge, dass der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört wurde, bleibt nicht aufrechterhalten“. Die sich daraus ergebende Beschränkung des Prozessstoffs hat nicht nur mit Blick auf den Unwirksamkeitsgrund des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG als solchen Bedeutung. Sie verbietet es zugleich, bei der materiell-rechtlichen Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung den von der Beklagten geltend gemachten Verdacht außer Acht zu lassen, selbst wenn er dem Betriebsrat nicht explizit als Kündigungsgrund unterbreitet worden sein sollte.

49

(1) Das sich aus einer unvollständigen Unterrichtung des Betriebsrats ergebende Verbot der Berücksichtigung nicht mitgeteilter Kündigungsgründe dient der Absicherung der Beteiligungsrechte aus § 102 BetrVG. Der Betriebsrat soll Gelegenheit haben, im Vorfeld der Kündigung auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen und sein Widerspruchsrecht auszuüben (vgl. BAG 13. Dezember 2012 - 6 AZR 608/11 - Rn. 75; 22. September 1994 - 2 AZR 31/94 - zu II 2 der Gründe, BAGE 78, 39). Dem widerspräche es, wenn sich der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess auf Kündigungsgründe berufen könnte, zu denen Stellung zu nehmen der Betriebsrat keine Gelegenheit hatte.

50

(2) Auf ein - betriebsverfassungsrechtlich begründetes - Verbot der Verwertung von Sachvortrag kommt es nur an, wenn sich die Frage nach einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats überhaupt stellt. Erklärt der Arbeitnehmer ausdrücklich, er erhebe insoweit keine Rüge, gibt er zu erkennen, dass die ordnungsgemäße Beteiligung der Arbeitnehmervertretung für den Kündigungsrechtsstreit keine Rolle spielen soll. Der Arbeitgeber hat dann keine Veranlassung (mehr), entsprechenden Vortrag zu leisten oder doch zu vertiefen und/oder entsprechende Beweise zu sichern (vgl. BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 804/08 - Rn. 24).

51

(3) Ob der Arbeitnehmer den Prozessstoff auch in der Weise einschränken kann, dass er zwar den Unwirksamkeitsgrund des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht geltend machen wolle, wohl aber mögliche Folgen, die sich aus einer objektiv unvollständigen Anhörung für die Beachtlichkeit von Kündigungsgründen im Prozess ergeben, bedarf keiner Entscheidung. Für eine solche Differenzierung gibt die Erklärung des Klägers nichts her.

52

II. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dessen Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

53

1. Dem Feststellungsbegehren des Klägers kann nicht deshalb stattgegeben werden, weil das Vorbringen der Beklagten, aus dem sie einen schwerwiegenden, die außerordentliche Kündigung tragenden Verdacht gegen ihn herleiten will, dafür gänzlich untauglich wäre.

54

2. Ein anderer Grund, der der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung entgegenstünde, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ebenso wenig erkennbar. Es fehlt für eine Wirksamkeit der Verdachtskündigung nicht an der erforderlichen vorhergehenden Anhörung des Klägers. Die Beklagte hatte ihm mit Schreiben vom 5. März 2011 unter Bezug auf eine von ihr erstattete Strafanzeige mitgeteilt, er stehe im Verdacht, am 4. März 2011 Unterwäsche „entnommen“ und diese nach Feierabend „ohne Bezahlung mitgenommen“ zu haben. Sie hatte ihn für den 11. März 2011 zu einem Gespräch darüber geladen. Hilfsweise hatte sie ihm für eine schriftliche Äußerung eine Frist bis zum 14. März 2011 gesetzt. Sie hatte ihn in einem Gespräch am 14. März 2011 nochmals mit den Vorwürfen konfrontiert und ihm erneut Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Der Kläger lehnte eine konkrete Stellungnahme zu den Vorwürfen ab. Danach ist die Beklagte - auch angesichts der zeitweiligen Erkrankung des Klägers - ihrer Verpflichtung zur Anhörung hinreichend nachgekommen. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt.

55

3. Über die materielle Berechtigung der Verdachtskündigung kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit - aus seiner Sicht folgerichtig - keine zureichenden Feststellungen getroffen. Dies wird es - unter der Fragestellung, ob die von der Beklagten vorgebrachten Tatsachen auch ohne das Ergebnis der Schrankkontrolle den dringenden Verdacht begründen, der Kläger habe ein Vermögensdelikt zu ihrem Nachteil begangen - nachzuholen haben. Sollte es auf die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung ankommen, wird das Landesarbeitsgericht davon ausgehen müssen, dass auch diese nicht wegen erwiesener Tat gerechtfertigt ist. Insoweit gelten die Ausführungen zur fristlosen Kündigung gleichermaßen.

56

4. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt auch die Entscheidung über die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. April 2013 - 2 Sa 490/12 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses sowie über davon abhängige Vergütungsansprüche des Klägers.

2

Der 1989 geborene Kläger nahm zum 1. August 2010 eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der beklagten Bank auf. Die Ausbildungszeit sollte zum 31. Januar 2013 enden.

3

Am 11. Februar 2011 und am 30. März 2011 meldete sich der Kläger arbeitsunfähig und nahm am Berufsschulunterricht nicht teil. Er besuchte an diesen Tagen eine Spielhalle, wo er mehrere Zahlungen mit seiner EC-Karte vornahm und dabei sein Konto überzog.

4

Am 20. Juni 2011 war er mit dem Bankkaufmann S in der Filiale der Beklagten in G tätig. Der Kläger zählte an diesem Tag das sich in den Nachttresor-Kassetten befindliche Geld mit einer Zählmaschine. Dabei war Herr S nicht anwesend. Es ist ungeklärt, ob die Bündelung der Geldscheine nach der Zählung durch den Kläger oder Herrn S erfolgte. Im späteren Verlauf des Tages schweißte Herr S die Geldbündel zur Weiterleitung an die Landeszentralbank ein. Die Zentralbank stellte einen Kassenfehlbestand von 500,00 Euro in Form von zehn fehlenden 50-Euro-Scheinen fest. Hiervon erlangte die Beklagte am 28. Juni 2011 Kenntnis.

5

Die Beklagte bat den Kläger zu einem Personalgespräch am 30. Juni 2011. Diesen Termin nahm der Kläger aus persönlichen Gründen nicht wahr. Es wurde daraufhin eine Verlegung auf den 4. Juli 2011 vereinbart, obwohl dem Kläger ab diesem Tag für zwei Wochen Urlaub bewilligt worden war. Am 3. Juli 2011 sagte der Kläger den Termin ab, weil er kurzfristig am nächsten Tag noch in den Urlaub fliege. Das Gespräch fand schließlich am 21. Juli 2011 statt. Dem Kläger wurden die beabsichtigten Gesprächsthemen vorher nicht mitgeteilt. An dem Treffen nahmen das Vorstandsmitglied Si, der Ausbildungsleiter K sowie der Kläger teil.

6

Der Kläger räumte bei der Unterredung ein, dass er den Termin am 4. Juli 2011 nicht wegen einer Flugreise abgesagt habe. Er habe vielmehr zwei Wochen in einer Gießerei gearbeitet. Es wurden sodann die Fehlzeiten des Klägers im Berufsschulunterricht sowie seine Spielhallenbesuche besprochen. Der Kläger teilte mit, dass er wegen des Glückspiels Therapiestunden bei einer Beratungsstelle besuche. Über deren Inhalt und Zielsetzung ist nichts Näheres bekannt. Die Vertreter der Beklagten sprachen den Kläger auf Kassenfehlbeträge in Filialen, in denen der Kläger eingesetzt wurde, an. Dies betraf eine Differenz iHv. 50,00 Euro am 3. Juni 2011 in der Filiale D sowie die fehlenden 500,00 Euro am 20. Juni 2011 in G. Der diesbezügliche Gesprächsverlauf ist zwischen den Parteien streitig geblieben.

7

Mit Schreiben vom 22. Juli 2011 teilte die Beklagte dem bei ihr gebildeten Betriebsrat unter Nennung der Sozialdaten des Klägers mit, dass sie beabsichtige das Ausbildungsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß zu kündigen. Dem Betriebsrat wurde der Kassenfehlbetrag von 500,00 Euro am 20. Juni 2011 genannt. Da der Kläger alleine gebündelt habe und dies nicht nachkontrolliert worden sei, müsse die Beklagte „davon ausgehen, dass er die Differenz ‚verursacht‘ habe“. Im Gespräch mit Herrn Si und Herrn K habe der Kläger selbst die Höhe des Fehlbetrags genannt. Ferner habe er zugegeben, dass die Differenz in D am 3. Juni 2011 von ihm verursacht worden sei. Der Kläger habe weiterhin ausgeführt, dass er spielsüchtig sei. Zudem enthält die Betriebsratsanhörung Angaben zu den Fehlzeiten in der Berufsschule und zu der nicht genehmigten Arbeit in einer Gießerei während des Erholungsurlaubs. Insgesamt sei der Kläger für die Bank nicht mehr tragbar. Die Fortführung des Ausbildungsverhältnisses mit ihm stelle ein erhöhtes Risiko dar.

8

Der Betriebsrat stimmte der Kündigung noch mit Vermerk vom 22. Juli 2011 zu. Daraufhin kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis mit Schreiben vom 22. Juli 2011 außerordentlich fristlos zum 25. Juli 2011 und hilfsweise ordentlich zum 30. September 2011. Darin wurde die Kündigung entsprechend der Unterrichtung des Betriebsrats begründet. Die für das Ausbildungsverhältnis unverzichtbare Vertrauensbasis sei nicht mehr gegeben und könne auch nicht wieder hergestellt werden. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 25. Juli 2011 zu.

9

Mit seiner am 1. August 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage vom 29. Juli 2011 hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt. Das von ihm mit weiterem Schreiben vom 29. Juli 2011 beantragte Verfahren vor dem Schlichtungsausschuss der Industrie- und Handelskammer (IHK) T endete am 12. September 2011 ohne Einigung. Der Ausschuss fällte allerdings keinen Spruch. Er stellte lediglich das Scheitern der Verhandlungen fest. Damit sei der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet.

10

Nach Ansicht des Klägers ist die streitgegenständliche Kündigung unwirksam. Eine Verdachtskündigung sei im Ausbildungsverhältnis nicht zulässig. Eine solche widerspreche dem Zweck und Charakter der Berufsausbildung. Sie sei auch mit der besonderen Fürsorgepflicht des Ausbildenden nicht zu vereinbaren. Zudem bestehe kein hinreichender Tatverdacht. Er habe zwar entgegen der Anweisung, dass ein Auszubildender bei einem Zählvorgang durch einen Bankkaufmann kontrolliert werden müsse („Vier-Augen-Prinzip“), die Zählungen am 20. Juni 2011 in G alleine vorgenommen. Die Bündelung und das Einschweißen der Geldscheine sei jedoch durch Herrn S erfolgt. Dieser habe somit ebenso Zugriff auf das Geld gehabt wie andere Beschäftigte der Beklagten in dieser Filiale. Die Geldbestände seien nicht durchgehend gesichert gewesen. Die Beklagte habe sich auch nicht durch eine entsprechende Befragung von Herrn S einen vollständigen Überblick über die Geschehnisse verschafft.

11

Die Besprechung am 21. Juli 2011 sei keine ordnungsgemäße Anhörung gewesen. Dazu wäre die vorherige Mitteilung des beabsichtigten Gesprächsinhalts erforderlich gewesen. Die Beklagte hätte ihn darauf hinweisen müssen, dass er einen Rechtsanwalt oder eine sonstige Person seines Vertrauens hinzuziehen könne. Sie stelle zudem den Gesprächsverlauf falsch dar. Er habe nicht von sich aus den Fehlbetrag von 500,00 Euro genannt. Vielmehr hätten die Vertreter der Beklagten vorher erwähnt, dass zehn 50-Euro-Scheine gefehlt hätten. Daher sei ihm der Gesamtbetrag bekannt gewesen. Im Übrigen wäre die Anhörung auch fehlerhaft, wenn er erstmals die Summe von 500,00 Euro genannt hätte, denn dann hätte die Beklagte ihn anlässlich der Begründung eines Verdachts wegen Offenbarung von Täterwissen zu einer erneuten Anhörung einladen müssen. Die bloße Fortsetzung des Gesprächs stelle keine ordnungsgemäße Anhörung bezüglich dieser neuen Verdachtstatsachen dar. Zudem habe die Beklagte bei der Anhörung gegen datenschutzrechtliche Vorgaben (§§ 4, 32 BDSG) verstoßen.

12

Die Kündigung scheitere auch an dem Fehlen einer einschlägigen Abmahnung sowie an der vorzunehmenden Interessenabwägung. Bei dieser sei zu berücksichtigen, dass er kurz vor Vollendung seines ersten Ausbildungsjahres gestanden habe und das Berufsausbildungsverhältnis für ihn von existenzieller Bedeutung sei. Der in Frage stehende wirtschaftliche Schaden der Beklagten sei „überschaubar“. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte das Entstehen einer solch unklaren Situation bei einem Fehlbetrag maßgeblich zu verantworten habe. Wären die Vorgaben hinsichtlich des „Vier-Augen-Prinzips“ bei einem Zählvorgang und einer stringenten Kontrolle der Auszubildenden beachtet worden, wäre der Verdacht gegen ihn nicht entstanden. Durch eine konsequente Anwendung der Sicherheitsvorschriften könne die Beklagte künftig die Entstehung einer solchen Problematik ausschließen.

13

Weiterhin sei die Zwei-Wochen-Frist des § 22 Abs. 4 BBiG versäumt. Angesichts einer Kenntniserlangung von dem Fehlbetrag am 28. Juni 2011 und einem bewilligten Erholungsurlaub vom 4. Juli bis zum 18. Juli 2011 hätte die Beklagte ihn entweder noch in der Woche bis zum 1. Juli 2011 oder schriftlich anhören müssen.

14

Die Kündigung sei außerdem mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Der Anhörung sei nicht zu entnehmen, welche konkrete Handlung ihm vorgeworfen werde. Es werde nicht deutlich, dass es sich um eine Verdachtskündigung handeln solle. Zudem sei der Betriebsrat inhaltlich falsch unterrichtet worden. Er, der Kläger, habe nie erklärt, den Fehlbetrag von 50,00 Euro in D verursacht zu haben und spielsüchtig zu sein.

15

Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei unwirksam, da ein Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit nur außerordentlich gekündigt werden könne. Die Beklagte sei zur Nachzahlung der Ausbildungsvergütung iHv. monatlich 907,00 Euro für die Zeit von August 2011 bis einschließlich November 2011 sowie des anteiligen dreizehnten Monatseinkommens iHv. 1.360,50 Euro brutto verpflichtet.

16

Der Kläger hat daher zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 22. Juli 2011, zugegangen am 25. Juli 2011, nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 30. September 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 907,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. September 2011 zu zahlen;

        

4.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 907,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. Oktober 2011 zu zahlen;

        

5.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 907,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. November 2011 zu zahlen;

        

6.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.360,50 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. Dezember 2011 zu zahlen.

17

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag mit der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 22. Juli 2011 begründet. Die Verdachtskündigung eines Ausbildungsverhältnisses sei jedenfalls dann möglich, wenn dessen besonderer Charakter eine vertiefte Vertrauensbasis erfordere. Dies sei bei der Ausbildung zum Bankkaufmann der Fall. Die Voraussetzungen einer wirksamen Verdachtskündigung seien hier erfüllt. Die Anhörung des Klägers am 21. Juli 2011 sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Themen der Besprechung hätten dem Kläger vorher nicht bekannt gegeben werden müssen. Zudem habe sich der Verdacht eines Vermögensdeliktes erst im Verlauf des Gesprächs ergeben. Der Kläger habe von sich aus einen Fehlbetrag von 500,00 Euro genannt, ohne dass diese Summe oder fehlende Einzelbeträge zuvor erwähnt worden seien.

18

Es seien alle möglichen und erforderlichen Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt worden. Nachdem der Kläger im Gespräch am 21. Juli 2011 durch Preisgabe seines Täterwissens den Verdacht begründet habe, wäre eine weitere Anhörung bloße Förmelei gewesen. Der Ausbildungsleiter K habe auch Herrn S telefonisch befragt. Dieser habe mit einer E-Mail noch am 21. Juli 2011 mitgeteilt, dass der Kläger das Geld am 20. Juni 2011 sowohl gezählt als auch gebündelt habe.

19

Der begründete Verdacht der Unterschlagung von 500,00 Euro habe das erforderliche Vertrauen zu dem Kläger zerstört. Dabei sei auch die Spielsucht zu berücksichtigten, welche der Kläger am 21. Juli 2011 ausdrücklich eingeräumt habe. Deshalb habe er sich in Therapie befunden. Der Betriebsrat sei auch in diesem Punkt ordnungsgemäß unterrichtet worden.

20

Die Vorinstanzen haben die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageziele weiter.

Entscheidungsgründe

21

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Das Berufsausbildungsverhältnis wurde durch die Kündigung der Beklagten vom 22. Juli 2011 gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG mit ihrem Zugang am 25. Juli 2011 beendet. Mangels eines darüber hinausgehenden Bestands des Ausbildungsverhältnisses ist die Klage auch unbegründet, soweit sie sich gegen die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 30. September 2011 richtet und Vergütungsansprüche für die Zeit ab dem 1. August 2011 zum Gegenstand hat.

22

I. Die Klage ist zulässig.

23

1. Die nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG erforderliche Verhandlung vor dem bei der IHK T gebildeten Schlichtungsausschuss ist erfolgt.

24

a) Die nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG erforderliche Anrufung eines bestehenden Schlichtungsausschusses ist eine von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung für arbeitsgerichtliche Klagen in Ausbildungsstreitigkeiten. Nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG muss der Klage in allen Fällen die Verhandlung vor dem Ausschuss vorangegangen sein. Der Mangel der Nichtanrufung des Schlichtungsausschusses kann jedoch nach Klageeinreichung noch geheilt werden, wenn das Schlichtungsverfahren gemäß § 111 Abs. 2 ArbGG nachgeholt wird. Die Klage wird dann nachträglich zulässig (vgl. BAG 13. März 2007 - 9 AZR 494/06 - Rn. 10).

25

b) Die Parteien verhandelten vor dem Schlichtungsausschuss der IHK T am 5. September 2011. Ausweislich des Protokolls erging jedoch entgegen § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG kein Spruch. Es fand nur eine mündliche Verhandlung statt (§ 111 Abs. 2 Satz 2 ArbGG). Dies ist grundsätzlich unzureichend für die Erfüllung der Prozessvoraussetzung (vgl. GMP/Prütting ArbGG 8. Aufl. § 111 Rn. 19; GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2014 § 111 Rn. 24). Ausweislich des Protokolls wurde allerdings festgestellt, dass mangels einer Einigungsmöglichkeit die Verhandlung gescheitert und den Parteien der Weg zum Arbeitsgericht eröffnet sei. Hierdurch hat der Ausschuss den Abschluss des Verfahrens zum Ausdruck gebracht. Der Prozessvoraussetzung des § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG ist damit Genüge getan. Verweigert der Ausschuss den ordnungsgemäßen Abschluss des Schlichtungsverfahrens, ist der betroffene Antragsteller prozessual nicht schlechter zu stellen, als wenn der Ausschuss die Durchführung des Verfahrens gänzlich verweigert oder mitgeteilt hätte, dass ein Spruch nicht möglich sei. Auch in diesen Fällen kann die Klage erhoben werden (vgl. Zimmermann in Natter/Gross ArbGG 2. Aufl. § 111 Rn. 28; HWK/Kalb 6. Aufl. § 111 ArbGG Rn. 22; GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2014 § 111 Rn. 21). Das Unterbleiben einer Entscheidung kann dem Antragsteller nicht angelastet werden (BAG 27. November 1991 - 2 AZR 263/91 - zu B I der Gründe).

26

2. Für die beiden Feststellungsanträge ist das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben, obwohl die Ausbildungszeit und damit das Berufsausbildungsverhältnis mangels Erfüllung eines Verlängerungstatbestands spätestens zum 31. Januar 2013 geendet hat (§ 21 Abs. 1 Satz 1 BBiG). Wäre die streitgegenständliche Kündigung unwirksam, so hätte dies Konsequenzen für den Inhalt des nach § 16 BBiG zu erteilenden Zeugnisses. Der Kläger könnte zudem ggf. weitere Vergütung sowie Schadensersatz nach § 23 BBiG verlangen(vgl. BAG 13. März 2007 - 9 AZR 494/06 - Rn. 12; 17. Juli 2007 - 9 AZR 103/07 - Rn. 11, BAGE 123, 247 zu § 16 Abs. 1 BBiG aF).

27

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Beklagte hat das Ausbildungsverhältnis wegen des dringenden Verdachts der rechtswidrigen Zueignung von 500,00 Euro Bargeld wirksam zum 25. Juli 2011 gekündigt.

28

1. Entgegen der Auffassung der Revision kann der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden einen wichtigen Grund iSd. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen.

29

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bilden(BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 14, BAGE 145, 278; vgl. auch 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 16, BAGE 146, 303). Eine auf einen solchen Verdacht gestützte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13, BAGE 143, 244). Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er in der Sache zutrifft (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 14, aaO; 25. November 2010 - 2 AZR 801/09 - Rn. 16).

30

b) Die in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung steht der Verdachtskündigung entgegen der Auffassung der Revision nicht entgegen. Die Unschuldsvermutung bindet unmittelbar nur den Richter, der über die Begründetheit der Anklage zu entscheiden hat (BAG 14. September 1994 - 2 AZR 164/94 - zu II 3 c der Gründe, BAGE 78, 18). Bei der Verdachtskündigung geht es nicht um die Verhängung einer Strafe, sondern um die Beendigung eines privatrechtlichen Dauerschuldverhältnisses (vgl. Krause in vHH/L 15. Aufl. § 1 Rn. 466; HaKo/Gallner 4. Aufl. § 1 Rn. 633; Hoefs Die Verdachtskündigung S. 92, 93).

31

c) Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden kann auch die außerordentliche Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG rechtfertigen.

32

aa) Dies ist allerdings umstritten.

33

(1) Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 19. September 2006 (- 9 Sa 1555/05 - Rn. 26) entschieden, dass Verdachtskündigungen im Berufsausbildungsverhältnis grundsätzlich nicht zuzulassen seien. Eine nur in einem sehr engen Rahmen denkbare Ausnahme sei möglich, wenn der besondere Charakter des Ausbildungsverhältnisses eine vertiefte Vertrauensbasis zwischen den Vertragsparteien erfordere. In einem normalen Ausbildungsverhältnis ohne besondere Vertrauenssituation stünden dem Ausbildenden nach erfolgtem Aufklärungsversuch die Möglichkeiten der Abmahnung, ggf. der Versetzung, weit eher zur Verfügung als bei einem Arbeitnehmer, dessen Leistung an einem bestimmten Arbeitsplatz bereits bei der Einstellung fest eingeplant worden sei (zum Erfordernis besonderen Vertrauens vgl. bereits Heinze ArbuR 1984, 237, 243).

34

(2) In der Literatur wird diese Auffassung geteilt (KR/Weigand 10. Aufl. §§ 21 - 23 BBiG Rn. 48; ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 22 BBiG Rn. 3; APS/Biebl 4. Aufl. § 22 BBiG Rn. 16; HWK/Hergenröder 6. Aufl. § 22 BBiG Rn. 6; Benecke in Benecke/Hergenröder BBiG § 22 Rn. 22; Schieckel/Oestreicher/Decker/Grüner BBiG Bd. 1 Stand 1. September 2013 § 22 Rn. 8; Schulien in Hurlebaus/Baumstümmler/Schulien Berufsbildungsrecht Stand Mai 2014 § 22 Rn. 50c; Lakies in Lakies/Malottke BBiG 4. Aufl. § 22 Rn. 48; Lakies/Nehls BBiG 3. Aufl. § 22 Rn. 47a). Es sei zu beachten, dass es sich beim Ausbildungsverhältnis nicht um ein Arbeitsverhältnis, sondern um ein besonderes Rechtsverhältnis handle, bei dem die charakterliche Förderung nach § 14 Abs. 1 Nr. 5 BBiG eine besondere Rolle spiele(Pepping in Wohlgemuth BBiG § 22 Rn. 23).

35

(3) Nach anderer Ansicht ist die Verdachtskündigung wegen ihrer erhöhten Anforderungen auch im Berufsausbildungsverhältnis zulässig (Schaub/Vogelsang ArbR-HdB 15. Aufl. § 174 Rn. 95; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 228; Hoefs Die Verdachtskündigung S. 318; Stück in Braun/Mühlhausen/Munk/Stück BBiG § 15 Rn. 113; Herkert/Töltl BBiG Bd. 1 Stand Dezember 2014 § 22 Rn. 95 ff.; differenzierend Leinemann/Taubert BBiG 2. Aufl. § 22 Rn. 62). Die besondere Bedeutung des Ausbildungsverhältnisses könne im konkreten Einzelfall allerdings weiter gehende Einschränkungen erfordern (HK-ArbR/Herrmann 3. Aufl. § 22 BBiG Rn. 14).

36

bb) Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen. Der dringende Tatverdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden kann dem Ausbildenden die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses unzumutbar machen und daher einen wichtigen Grund zur Kündigung nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen. Dem besonderen Charakter des Berufsausbildungsverhältnisses ist jedoch bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Verdachtskündigung Rechnung zu tragen.

37

(1) Berufsausbildungsverhältnisse und Arbeitsverhältnisse sind nicht generell gleichzusetzen, weil beide Vertragsverhältnisse unterschiedliche Pflichtenbindungen aufweisen (BAG 10. Juli 2003 - 6 AZR 348/02 - zu 2 a bb der Gründe, BAGE 107, 72; 16. Juli 2013 - 9 AZR 784/11 - Rn. 37, BAGE 145, 371). Inhalt eines Arbeitsverhältnisses ist nach § 611 BGB die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung gegen Zahlung eines Entgelts. Demgegenüber schuldet der Auszubildende, sich ausbilden zu lassen, während die Hauptpflicht des Ausbildenden nach § 14 BBiG darin besteht, dem Auszubildenden die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Der Auszubildende schuldet im Gegensatz zu einem Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung gegen Zahlung eines Entgelts, sondern hat sich nach § 13 Satz 1 BBiG zu bemühen, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erwerben, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlich ist(BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 360/10 - Rn. 13 mwN).

38

(2) An den Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes ist erkennbar, dass der Gesetzgeber es zur Erreichung des Ausbildungsziels für erforderlich gehalten hat, auf einen möglichst lange dauernden Bestand des Ausbildungsverhältnisses hinzuwirken und Kündigungen zu erschweren (BAG 16. Juli 2013 - 9 AZR 784/11 - Rn. 38, BAGE 145, 371). Die Erfüllung der Berufsausbildungsaufgabe verlangt eine besonders starke Bindung der Vertragsparteien (BT-Drs. V/4260 S. 11 zu § 15 BBiG aF). Konsequenterweise ist eine ordentliche Kündigung nach Ablauf der Probezeit durch den Ausbildenden nicht möglich. Es bedarf eines wichtigen Grundes iSv. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG. Dies entspricht dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jedes Dauerrechtsverhältnis aus einem wichtigen Grund fristlos gekündigt werden kann. Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnissesbis zum Ablauf der Ausbildungszeit nicht zugemutet werden kann (BT-Drs. V/4260 aaO). Das Verständnis des wichtigen Grundes iSv. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG entspricht somit dem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB(vgl. hierzu BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16 mwN). Diese Parallelität spricht für die grundsätzliche Zulässigkeit der Verdachtskündigung auch im Berufsausbildungsverhältnis.

39

(3) § 10 Abs. 2 BBiG steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sind auf den Berufsausbildungsvertrag die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden, soweit sich aus dem Wesen und Zweck des Berufsausbildungsvertrags und aus dem Berufsbildungsgesetz nichts anderes ergibt. Dies ist bezogen auf die grundsätzliche Anerkennung eines Tatverdachts als wichtiger Grund iSv. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nicht der Fall. Auch bei Berücksichtigung der besonderen Verpflichtungen des Ausbildenden, welche nach § 14 Abs. 1 Nr. 5 BBiG auch die charakterliche Förderung des Auszubildenden umfassen, bedarf es zur zumutbaren Durchführung des Ausbildungsverhältnisses einer tragfähigen Vertrauensbasis. Insbesondere muss der Ausbildende darauf vertrauen können, dass der Auszubildende ihn nicht vorsätzlich schädigt.

40

(4) Die vom Landesarbeitsgericht Köln und Teilen der Literatur geforderte besondere Vertrauensstellung bzw. vertiefte Vertrauensbasis ist keine Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verdachtskündigung. Die Revision führt insoweit zutreffend aus, dass ein solches Kriterium zu unbestimmt wäre. Es lässt sich nicht hinreichend eingrenzen, bei welchen Ausbildungen eine solche vertiefte Vertrauensbasis gegeben sein muss. Dieses Erfordernis kann aus unterschiedlichen Gründen gegeben sein. Es gibt Ausbildungsberufe, bei denen ein hohes Maß an Vertrauen wegen der Erlangung der Kenntnis von Betriebsgeheimnissen erforderlich ist (vgl. § 13 Satz 2 Nr. 6 BBiG). Ferner existieren Ausbildungsberufe, bei denen ein besonderes Risiko daraus resultiert, dass der Auszubildende Umgang mit gefährlichen Maschinen hat, welche auch Dritte gefährden können. Auch hier muss die entsprechende Vertrauensbasis bestehen. Eine solche Grundlage muss auch gegeben sein, wenn der Auszubildende Zugang zu Bargeldbeständen hat. Dies hängt allerdings nicht von der Ausbildung ab, sondern von den Verhältnissen im Ausbildungsbetrieb. Alle Ausbildungen in Betrieben mit nicht hinreichend gesicherten Barkassen wären erfasst. Unabhängig von dem Ausbildungsgang wäre die besondere Vertrauensstellung deshalb in einer Vielzahl von Fällen bezogen auf die Umstände im Betrieb zu prüfen. Dies gilt auch bei Zugang zu anderen Wertgegenständen. Zudem hat schon Heinze (ArbuR 1984, 237, 243) darauf hingewiesen, dass in größeren Betrieben der Auszubildende den Einsatzort öfter wechselt. Hierbei mag es Bereiche geben, in denen eine vertiefte Vertrauensbasis erforderlich ist, in anderen nicht. In der Gesamtschau ist die Unterscheidung zwischen einem „normalen Ausbildungsverhältnis“ und einem mit besonderer Vertrauensstellung kein taugliches Kriterium für die grundsätzliche Zulässigkeit der Verdachtskündigung. Eine besondere Vertrauensstellung ist vielmehr bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses in die Interessenabwägung einzustellen.

41

(5) Die enge Bindung der Parteien des Berufsausbildungsvertrags ist bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Verdachtskündigung im Einzelfall zu berücksichtigen. Dabei ist dem Umstand Sorge zu tragen, dass es sich bei Auszubildenden typischerweise um Personen mit geringer Lebens- und Berufserfahrung handelt und den Ausbildenden besondere Fürsorgepflichten sowohl in charakterlicher als auch körperlicher Hinsicht treffen (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 BBiG). Ein Tatverdacht kann nur dann einen wichtigen Grund iSd. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG zur Kündigung darstellen, wenn der Verdacht auch bei Berücksichtigung der Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses dem Ausbildenden die Fortsetzung der Ausbildung objektiv unzumutbar macht. Dies bedarf einer Würdigung der Umstände im Einzelfall.

42

(6) Vor diesem Hintergrund dringen die weiteren Einwände der Revision nicht durch.

43

(a) Es ist zwar zutreffend, dass der mit der Kündigung verbundene faktische Abbruch der Ausbildung und das Verstreichen einer ggf. erheblichen Zeitspanne bis zur Wiederaufnahme der Ausbildung für den Auszubildenden besonders schwerwiegend ist. Dies gilt jedoch auch im Falle einer Tatkündigung, bei der nach dem Unterliegen im Kündigungsschutzverfahren zudem kein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht kommt (zu einem solchen Anspruch bei einer Verdachtskündigung vgl. ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 184; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 234). Bei der Verdachtskündigung ist außerdem ein strenger Maßstab anzulegen. Die besondere Schutzwürdigkeit des Auszubildenden ist dabei im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Die grundsätzliche Unzulässigkeit der Verdachtskündigung ist zur Gewährleistung des Schutzniveaus nicht erforderlich.

44

(b) Auch der Hinweis auf die Möglichkeit einer verstärkten Überwachung eines in Verdacht geratenen Auszubildenden trägt nicht. Die Realisierbarkeit und Zumutbarkeit einer verstärkten Anleitung und Kontrolle muss einzelfallbezogen beurteilt werden. Eine gleichsam permanente Überwachung des Auszubildenden zur Verhinderung von Vermögensdelikten ist dem Ausbildenden in der Regel nicht zumutbar. Dies stünde auch im Widerspruch zum Charakter des Ausbildungsverhältnisses, welches dem Auszubildenden nach § 13 BBiG Pflichten auferlegt und dabei die Beachtung materieller Interessen des Ausbildenden vorschreibt(vgl. § 13 Satz 2 Nr. 5, Nr. 6 BBiG).

45

(c) Schließlich ist die Verdachtskündigung auch nicht wegen der Befristung des Ausbildungsverhältnisses auszuschließen. Dies berücksichtigt § 22 Abs. 2 BBiG bereits mit dem Ausschluss der ordentlichen Kündigung nach der Probezeit. Zudem besteht insoweit kein Unterschied zum befristeten Arbeitsverhältnis.

46

2. Die streitgegenständliche Kündigung vom 22. Juli 2011 hat das zwischen den Parteien bestehende Berufsausbildungsverhältnis mit ihrem Zugang am 25. Juli 2011 gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG wegen des dringenden Verdachts des Diebstahls bzw. der Unterschlagung von 500,00 Euro beendet.

47

a) Die Würdigung, ob dem Auszubildenden ein Vermögensdelikt zum Nachteil seines Ausbildenden oder eine ähnlich schwerwiegende Pflichtverletzung anzulasten ist oder ob zumindest ein dahingehender dringender Verdacht besteht, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSd. § 286 ZPO. Diese ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht den Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob eine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen Erfahrungssätzen erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist (vgl. BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 16, BAGE 145, 278; 18. Oktober 2012 - 6 AZR 289/11 - Rn. 43; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 29).

48

b) Bei Berücksichtigung dieses revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs hat das Landesarbeitsgericht die Wirksamkeit der streitgegenständlichen außerordentlichen Kündigung rechtsfehlerfrei bejaht.

49

aa) Es ist der dringende Tatverdacht der Begehung eines Vermögensdelikts zulasten der Beklagten gegeben. Dieser Verdacht ist geeignet, das für die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören.

50

(1) Das Landesarbeitsgericht ist nach Vernehmung des Zeugen K zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in dem Gespräch am 21. Juli 2011 von sich aus den Betrag von 500,00 Euro genannt hat, welcher als Kassendifferenz der Filiale G am 20. Juni 2011 festgestellt wurde. Dies habe der Zeuge K widerspruchsfrei im Rahmen seiner Darstellung des Gesprächsverlaufs in jeder Hinsicht glaubhaft ausgesagt. Durch diese Offenbarung von Täterwissen könne mit großer Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden, dass sich der Kläger und kein anderer Mitarbeiter den fehlenden Geldbetrag zugeeignet habe. Diese Beweiswürdigung ist sowohl hinsichtlich der Bewertung der Glaubwürdigkeit des Zeugen als auch seiner inhaltlichen Aussage nicht zu beanstanden. Die Preisgabe fundamentalen Täterwissens ist ohne Hinzutreten weiterer Umstände geeignet, einen dringenden Tatverdacht zu begründen.

51

(2) Entgegen der Auffassung der Revision musste das Landesarbeitsgericht Herrn S nicht zu der Frage vernehmen, ob er oder der Kläger das Geld gebündelt hatte. Das Landesarbeitsgericht konnte die Bündelung durch Herrn S am 20. Juni 2011 zugunsten des Klägers unterstellen, ebenso wie Zugriffsmöglichkeiten anderer Mitarbeiter. In jedem Fall hätte auch Herr S die Gelegenheit zur Unterschlagung von Bargeld gehabt, weil er unstreitig am Ende des Arbeitstags die Geldbündel zum Versand an die Zentralbank eingeschweißt hat. Entscheidend war aber, dass sich der Kreis der Verdächtigen wegen der Nennung des Geldbetrags durch den Kläger auf diesen eingegrenzt hatte. Ein weiteres „Bild von den Geschehensabläufen“ durch Vernehmung des Zeugen S musste sich das Gericht entgegen der Revision nicht machen.

52

(3) Dieser Verdacht ist geeignet, das für die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören.

53

(a) Begeht der Auszubildende eine rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlung unmittelbar gegen das Vermögen seines Ausbildenden, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 10 Abs. 2 BBiG iVm. § 241 Abs. 2 BGB und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen(vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 26, BAGE 134, 349). Dies gilt auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Gegenstände von geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat. Maßgebend ist der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 27; 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 13, BAGE 145, 278).

54

(b) Ein Diebstahl bzw. eine Unterschlagung von 500,00 Euro wäre demnach eine schwerwiegende Pflichtverletzung, auch wenn es sich mit den Worten der Revision aus Sicht einer Bank um einen „überschaubaren Betrag“ handeln mag.

55

bb) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte dem Kläger ordnungsgemäß Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe. Die von der Revision wegen einer rechtswidrigen Anhörung des Klägers angenommenen Beweisverwertungsverbote bestehen deshalb nicht.

56

(1) Der Ausbildende hat erst dann alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts getan, wenn er dem Auszubildenden Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Die Notwendigkeit der Anhörung vor Erklärung einer Verdachtskündigung ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Die Anhörung soll den Ausbildenden vor voreiligen Entscheidungen bewahren und der Gefahr begegnen, dass ein Unschuldiger von der Kündigung betroffen wird (vgl. zu § 626 Abs. 1 BGB BAG 23. Mai 2013 - 2 AZR 102/12 - Rn. 31). Der Umfang der Nachforschungspflichten und damit auch die Ausgestaltung der Anhörung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 17; 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 24). Die Anhörung muss sich aber immer auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Auszubildende muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggf. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Ausbildenden im Dunkeln liegende Geschehnisse beizutragen (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 33).

57

(2) Sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der Durchführung der Anhörung hat der Ausbildende auf die typischerweise bestehende Unerfahrenheit des Auszubildenden und die daraus resultierende Gefahr einer Überforderung gemäß § 10 Abs. 2 BBiG iVm. § 241 Abs. 2 BGB Rücksicht zu nehmen. Die Anhörung eines psychisch blockierten Auszubildenden kann ihren Zweck nicht erreichen. Zudem besteht bei einem Auszubildenden eher als bei einem berufserfahrenen Arbeitnehmer das Risiko der Einräumung einer nicht begangenen Tat, um sich damit der Situation zu entziehen. Auch mag ein Auszubildender sensibler auf eine Überzahl an Vertretern des Ausbildungsbetriebs reagieren als ein lebens- und berufserfahrener Arbeitnehmer mit größerem Selbstbewusstsein. Maßgeblich sind jedoch durchweg die Umstände des Einzelfalls. Dabei ist ein objektiver Maßstab aus Sicht eines verständigen Ausbildenden zugrunde zu legen.

58

(3) Hiervon ausgehend ist es entgegen der Revision grundsätzlich nicht erforderlich, den Auszubildenden vor Durchführung einer Anhörung über den beabsichtigten Gesprächsinhalt zu unterrichten.

59

(a) Die Auffassung der Revision, wonach Art. 103 Abs. 1 GG dies im Wege der mittelbaren Drittwirkung verlange, ist unzutreffend. Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat jedermann vor Gericht Anspruch auf rechtliches Gehör. Diese Garantie gilt ausschließlich vor Gericht, das heißt bei allen staatlichen Gerichten iSd. Art. 92 GG(BeckOK GG/Radtke/Hagemeier Stand 1. Dezember 2014 GG Art. 103 Rn. 3; Kunig in v. Münch/Kunig GG 6. Aufl. Art. 103 Rn. 4; Nolte in v. Mangoldt/Klein/Starck GG 6. Aufl. Art. 103 Abs. 1 Rn. 16; aA Lembke RdA 2013, 82, 85).

60

(b) In Rechtsprechung und Literatur wird die Themenbekanntgabe vor der Anhörung gefordert (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 16. Dezember 2010 - 2 Sa 2022/10 - Rn. 31; HaKo/Gieseler 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 52; Lange/Vogel DB 2010, 1066, 1069; Klenter AiB 2012, 616, 619; vgl. auch Sasse/Freihube ArbRB 2006, 15, 16). Hierfür spricht, dass eine solche Information dem Arbeitnehmer bzw. Auszubildenden die inhaltliche und „mentale“ Vorbereitung auf das Gespräch ermöglicht (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 30. März 2012 - 10 Sa 2272/11 - Rn. 75; Eylert NZA-RR 2014, 393, 402; BeckOK BGB/Fuchs Stand 1. November 2014 BGB § 626 Rn. 43). Der Betroffene wird dadurch in die Lage versetzt, schon im Vorfeld der Anhörung zu entscheiden, ob er sich einlassen will oder nicht (Fischer BB 2003, 522, 523; Eylert/Friedrichs DB 2007, 2203, 2205). Bei umfangreichen und komplexen Sachverhalten ermöglicht eine entsprechende Vorbereitung eine substantiierte Einlassung in der Anhörung (vgl. Lücke BB 1998, 2259, 2261). Auch wird dem Arbeitnehmer Gelegenheit gegeben, sich schon vor der persönlichen Konfrontation mit Verdachtsmomenten an den Betriebsrat zu wenden oder sich Rat bei einem Rechtsanwalt einzuholen. Im Falle der Anhörung eines Auszubildenden kommt die mögliche Einschaltung der Jugend- und Auszubildendenvertretung hinzu.

61

(c) Andererseits besteht jedoch in Fällen des begründeten Verdachts die Gefahr einer Verdunkelung der Tat (Lembke RdA 2013, 82, 88; Dzida NZA 2013, 412, 415; Eylert/Friedrichs DB 2007, 2203, 2205; Gaul/Schmidt-Lauber ArbRB 2012, 18, 19; Lücke BB 1998, 2259, 2261), welcher nicht immer mit Mitteln der Beweissicherung zu begegnen sein wird (so aber wohl Lange/Vogel DB 2010, 1066, 1069). Zudem wird dem Anzuhörenden die Gelegenheit entzogen, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen und möglicherweise schon mit seiner spontanen Reaktion eine Entlastung herbeizuführen (BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 35).

62

(d) Eine Mitteilung des beabsichtigten Gesprächsthemas ist gegenüber dem Auszubildenden deshalb grundsätzlich nicht erforderlich (ebenso zur Anhörung eines Arbeitnehmers ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 178b). Die Revision weist allerdings zutreffend darauf hin, dass die Gesprächssituation den Auszubildenden erkennbar überfordern kann, sei es in psychischer Hinsicht oder wegen der Komplexität des Sachverhalts. Es entspricht dann der Rücksichtnahmepflicht des Ausbildenden, das Gespräch von sich aus oder auf Wunsch des Auszubildenden abzubrechen und eine erneute Anhörung anzuberaumen, wenn der Auszubildende grundsätzlich zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Verdachtsmomenten bereit ist. Damit erhält der Auszubildende die ggf. erforderliche Vorbereitungszeit (vgl. Dzida NZA 2013, 412, 414; ders. NZA 2014, 809, 814). Diese muss abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine angemessene Dauer aufweisen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 230). Die Unterbrechung der Anhörung ist auch geboten, wenn der Auszubildende die Beratung mit einer Vertrauensperson verlangt. Der Ausbildende ist jedoch nicht verpflichtet, den Auszubildenden auf die Möglichkeit der Kontaktierung eines Rechtsanwalts hinzuweisen (vgl. Lange/Vogel DB 2010, 1066, 1069; Eylert/Friedrichs DB 2007, 2203, 2205; Lembke RdA 2013, 82, 89; Hunold Anm. NZA-RR 2010, 184). Dies gilt auch bezüglich sonstiger Vertrauenspersonen.

63

(4) Die Beklagte war demnach nicht verpflichtet, den Kläger vor der Anhörung am 21. Juli 2011 über den beabsichtigten Inhalt dieses Gesprächs zu informieren. Von einem 21-jährigen Auszubildenden darf ohnehin erwartet werden, dass er sich zu einem Kassenfehlbestand äußern kann und sei es auch nur mit der Aussage, dass er ihm nicht erklärlich sei. Für die Beklagte war eine Überforderung des Klägers während der Anhörung nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts objektiv nicht erkennbar. Der Kläger hat zur Frage der Kassendifferenz Stellung genommen, ohne einen Abbruch des Gesprächs zu verlangen.

64

(5) Die Durchführung der Anhörung ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden.

65

(a) Die Beklagte musste den Kläger nicht weiter über ihren Kenntnisstand bezüglich der Geschehnisse am 20. Juni 2011 in der Filiale G unterrichten oder den Kläger mit einem Bericht der Revisionsabteilung konfrontieren. Es war ausreichend, ihm mitzuteilen, dass an dem bestimmten Tag in der bestimmten Filiale ein Fehlbetrag zu verzeichnen war, und ihn zu fragen, ob er sich dies erklären könne. Dies war der maßgebliche Sachverhalt.

66

(b) Soweit der Kläger im Revisionsverfahren erstmals vorbringt, dass er durch weitere Recherchen in Erfahrung gebracht habe, dass sich der Fehlbetrag entgegen der Darstellung der Beklagtenvertreter in der Anhörung nicht nur auf die von ihm gezählten Gelder aus dem Nachttresor, sondern auch auf von ihm nicht gezähltes Geld aus dem Tresor und dem Schalterbereich beziehe, handelt es sich zum einen um neues Tatsachenvorbringen, welches in der Revisionsinstanz nicht mehr zulässig ist. Zum anderen würde die Vermengung der beiden Geldmengen nichts an dem Fehlbetrag und an der Begründung des Verdachts durch die klägerseitige Nennung der genauen Summe ändern.

67

(c) Die Anhörung erweist sich auch nicht als fehlerhaft, weil dem Kläger keine Gelegenheit zur Beiziehung eines Rechtsanwalts oder einer sonstigen Vertrauensperson gegeben wurde. Eine solche Beteiligung hat der Kläger nicht verlangt. Er kann daher mit der Revision auch nicht einwenden, dass ihm ein nahestehender Zeuge für den Gesprächsverlauf fehle.

68

(6) Entgegen der Revision handelt es sich bei der Anhörung nicht um eine nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG unzulässige Datenerhebung. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist hier nicht eröffnet.

69

(a) Die gesetzlichen Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung im Bundesdatenschutzgesetz konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in dieses Recht zulässig sind(vgl. für das Datenschutzgesetz NRW BAG 15. November 2012 - 6 AZR 339/11 - Rn. 16, BAGE 143, 343). Dies stellt § 1 Abs. 1 BDSG ausdrücklich klar. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nach dem Gesamtkonzept des Bundesdatenschutzgesetzes nur zulässig, wenn eine verfassungsgemäße Rechtsvorschrift diese erlaubt. Fehlt es an der danach erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Dieser das deutsche Datenschutzrecht prägende Grundsatz ist in § 4 Abs. 1 BDSG kodifiziert(BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 22, BAGE 145, 278).

70

(b) Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach dessen Begründung für seine Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Auch Auszubildende sind gemäß § 3 Abs. 11 Nr. 2 BDSG Beschäftigte. Nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

71

(c) Bei der zur Aufklärung von Verdachtsmomenten vorgenommenen Anhörung eines Arbeitnehmers bzw. Auszubildenden handelt es sich um eine Datenerhebung iSv. § 32 Abs. 1 BDSG.

72

(aa) Nach der Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 1 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Persönliche und sachliche Verhältnisse sind Informationen über die Person des Betroffenen oder über einen auf diesen bezogenen Sachverhalt (Weichert in Däubler/Klebe/Wedde/Weichert BDSG 4. Aufl. § 3 Rn. 19; Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 3 Rn. 6, 7). Die Anhörung bezieht sich auf eine bestimmte Person und deren Angaben zu einem Sachverhalt, der wegen des Aufklärungszwecks sie selbst betrifft. Die Angaben werden über die betroffene Person iSd. § 3 Abs. 3 BDSG beschafft und damit erhoben.

73

(bb) § 32 BDSG setzt nicht voraus, dass die Datenerhebung zum Zwecke ihrer Nutzung und Verarbeitung in automatisierten Dateien erfolgt. Durch § 32 Abs. 2 BDSG wird die grundsätzliche Beschränkung der Anwendung des dritten Abschnitts des Bundesdatenschutzgesetzes auf dateigebundene bzw. automatisierte Verarbeitungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 3, § 27 Abs. 1 BDSG) ausdrücklich aufgehoben. Die Vorschrift erfasst damit sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Regelungsgehalt die Datenerhebung durch rein tatsächliche Handlungen (BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 24, BAGE 145, 278). Damit sind auch Befragungen eines Beschäftigten erfasst (ErfK/Franzen 15. Aufl. § 32 BDSG Rn. 2; Stamer/Kuhnke in Plath BDSG § 32 Rn. 7; Riesenhuber NZA 2012, 771, 774).

74

(d) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Anhörung des Klägers am 21. Juli 2011 nicht unter Verletzung des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG erfolgt. Zwar stellt sie eine Datenerhebung dar, welche zur Aufdeckung einer Straftat vorgenommen wurde. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, dass tatsächliche Anhaltspunkte dokumentiert wurden, die den Verdacht gegen den Kläger im Vorfeld der Anhörung begründet und seine Anhörung veranlasst hätten. Die Anhörung ist aber keine Überwachungsmaßnahme. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG bezieht sich nicht auf jede Aufklärungshandlung, sondern nur auf Kontroll- bzw. Überwachungsmaßnahmen zur Aufdeckung einer Straftat.

75

(aa) Nach der Gesetzesbegründung sollte die Regelung des § 32 BDSG die bislang von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze des Datenschutzes im Beschäftigungsverhältnis nicht ändern, sondern lediglich zusammenfassen(BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 52, BAGE 146, 303; 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 26, BAGE 145, 278; vgl. auch Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 32 Rn. 2; HWK/Lembke 6. Aufl. § 32 BDSG Rn. 2; Seifert in Simitis BDSG 8. Aufl. § 32 Rn. 1). § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG orientiert sich im Wortlaut an § 100 Abs. 3 Satz 1 TKG und inhaltlich an den Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht ua. in seinem Urteil vom 27. März 2003 (- 2 AZR 51/02 - BAGE 105, 356) zur verdeckten Überwachung von Beschäftigten aufgestellt hat (BT-Drs. 16/13657 S. 21). Der Tatbestand des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ist daher auf diese oder vergleichbare Fälle von Kontrollmaßnahmen zu beschränken(ErfK/Franzen 15. Aufl. § 32 BDSG Rn. 31). Der Gesetzgeber ging davon aus, dass Maßnahmen zur Aufdeckung einer Straftat in der Regel besonders intensiv in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifen (BT-Drs. 16/13657 S. 21). Dies ist bei (verdeckter) Überwachung von Beschäftigten der Fall, weshalb die - von der Gesetzesbegründung in Bezug genommenen - restriktiven Grundsätze der hierzu ergangenen Rechtsprechung mit § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG kodifiziert wurden. Die Vorschrift soll hinsichtlich der Eingriffsintensität vergleichbare Maßnahmen erfassen (vgl. Taeger/Gabel/Zöll § 32 BDSG Rn. 41). Die Gesetzesbegründung lässt umgekehrt darauf schließen, dass die erhöhten datenschutzrechtlichen Anforderungen des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG bei weniger belastenden Aufklärungsmaßnahmen, durch welche die Beschäftigten weder kontrolliert noch überwacht werden, keine Geltung beanspruchen sollen.

76

(bb) Demnach unterfällt die Anhörung eines Beschäftigten nicht den Anforderungen des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG(aA wohl Lembke RdA 2013, 82, 87; ders. in HWK 6. Aufl. § 32 BDSG Rn. 21). Die Anhörung ist weder Kontrolle noch Überwachung. Der Beschäftigte wird in offener Weise mit Verdachtsmomenten konfrontiert und erhält die Gelegenheit zu deren Entkräftung. Er kann sich der Anhörung - im Gegensatz zu einer Überwachungsmaßnahme - entziehen, indem er eine Einlassung verweigert. Dementsprechend hat die Rechtsprechung auch keinen einer Überwachungsmaßnahme vergleichbaren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht erkannt. Die in § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG vorgesehenen Anforderungen sind daher nicht veranlasst. Wie dargelegt wollte der Gesetzgeber mit § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG nur Aufklärungsmaßnahmen erfassen, die wegen der Intensität des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht solch erhöhte Anforderungen verlangen.

77

(cc) Die Anhörung des Klägers musste auch nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG dokumentiert werden. Im Rahmen der Anhörung entstand zwar die verdachtsbegründende Tatsache der Offenbarung von Täterwissen. Die Beklagte nahm aber nach der Anhörung deswegen keine weiteren Überwachungsmaßnahmen vor. Die Ermittlungen gegen den Kläger waren mit der Anhörung abgeschlossen.

78

(7) Die Anhörung des Klägers war gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig. Die damit verbundene Datenerhebung und -nutzung erfolgte für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses und war für die Entscheidung über dessen weitere Durchführung oder Beendigung erforderlich. Die Erforderlichkeit ergibt sich schon aus den Vorgaben der Rechtsprechung zur Wirksamkeit einer etwaigen Verdachtskündigung.

79

(8) Es kann hier unentschieden bleiben, ob § 32 Abs. 1 BDSG auch § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG verdrängt(vgl. zum Streitstand BeckOK DatenSR/Riesenhuber Stand 1. November 2014 BDSG § 32 Rn. 25 f.). Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG sind erfüllt. Das berechtigte Interesse der Beklagten folgt aus ihrer Verpflichtung zur Durchführung einer Anhörung im Rahmen der gebotenen Aufklärungsbemühungen. Das Interesse des Klägers an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung der durch die Anhörung gewonnenen Daten überwiegt demgegenüber nicht. Die Durchführung der Anhörung diente ursprünglich gerade seinem Interesse an einer Stellungnahme, welche die Möglichkeit zur Klärung des Sachverhalts in seinem Sinne gab. Der Umstand, dass sich erst durch die Anhörung der kündigungsbegründende Tatverdacht ergab, ändert daran nichts. Das Interesse des Klägers an der Nichtverwertung der belastenden Aussagen ist nicht schutzwürdig. Anderenfalls könnten nur entlastende Erkenntnisgewinne iSd. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG genutzt werden, während verdachtsbegründende oder -verstärkende Umstände unberücksichtigt bleiben müssten.

80

(9) Offenbleiben kann auch, ob § 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG neben § 32 Abs. 1 BDSG zur Anwendung kommt. Dies wird trotz der eindeutigen Gesetzesbegründung, wonach § 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG verdrängt wird(BT-Drs. 16/13657 S. 20), wegen der damit verbundenen und gesetzlich nicht beabsichtigten Absenkung des Schutzniveaus vertreten (vgl. Däubler in Däubler/Klebe/Wedde/Weichert BDSG 4. Aufl. § 32 Rn. 9; Thüsing NZA 2009, 865; ErfK/Franzen 15. Aufl. § 28 BDSG Rn. 4). Im vorliegenden Fall diente die Anhörung nach der unbestrittenen Darstellung der Beklagten der Aufklärung des Sachverhalts, indem der Kläger zu der Kassendifferenz befragt wurde. Damit wurde der Zweck festgelegt. Anderes behauptet auch der Kläger nicht. Eine schriftliche Festlegung des Zwecks verlangt § 28 Abs. 1 Satz 2 BDSG nicht(Plath in Plath BDSG § 28 Rn. 90; Simitis in Simitis BDSG 8. Aufl. § 28 Rn. 43; Taeger/Gabel/Taeger § 28 BDSG Rn. 111). Eine generelle Verpflichtung zur schriftlichen Fixierung der Zweckfestlegung lässt sich auch der allgemeinen Vorschrift des § 9 BDSG nicht entnehmen(aA jedenfalls bei Anwendbarkeit der Anlage zu § 9 Satz 1 BDSG Gola/Schomerus BDSG 11. Aufl. § 28 Rn. 35). Eine schriftliche Dokumentation der mit einer Anhörung verbundenen Zwecksetzung wäre iSd. § 9 BDSG nicht erforderlich, da der Aufklärungszweck evident ist. Die Unterrichtungspflicht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BDSG kann auch ohne eine solche schriftliche Dokumentation erfüllt werden.

81

(10) Soweit der Kläger in der Verhandlung vor dem Senat einen Verstoß gegen § 4 Abs. 3 BDSG wegen der fehlenden Themenbekanntgabe vor der Anhörung behauptet hat, greift diese Rüge nicht durch. Etwaige Unterrichtungs- und Hinweispflichten nach § 4 Abs. 3 BDSG müssen nur vor der Datenerhebung erfüllt werden(BeckOK DatenSR/Bäcker Stand 1. November 2014 BDSG § 4 Rn. 76). Dies kann auch unmittelbar vor der Anhörung erfolgen. Weder der im Revisionsverfahren verwertbare Tatsachenvortrag des Klägers noch die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lassen auf entsprechende Pflichtverletzungen schließen.

82

(11) Die Anhörung des Klägers hat folglich weder datenschutzrechtliche Vorgaben noch in sonstiger Weise das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt. Ein auf die Erkenntnisse der Anhörung bezogenes prozessuales Beweisverwertungsverbot (vgl. hierzu BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 48 f., BAGE 146, 303) besteht daher nicht.

83

(12) Nach der Begründung des Verdachts im Verlauf des Gesprächs am 21. Juli 2011 war entgegen der Ansicht der Revision keine erneute Anhörung erforderlich. Die Verdachtsbegründung war mit der Nennung des Fehlbetrags durch den Kläger abgeschlossen. Der Kläger war am 21. Juli 2011 sogleich damit konfrontiert worden. Weiter gehende Ermittlungen, die neue verdachtsbegründende Tatsachen ergeben hätten, wurden von der Beklagten nicht durchgeführt (vgl. zu einem solchen Fall BAG 13. September 1995 - 2 AZR 587/94 - zu II 4 a der Gründe, BAGE 81, 27). Dies gilt auch, wenn die Beklagte sich erst nach der Anhörung des Klägers mit Herrn S am 21. Juli 2011 in Verbindung gesetzt haben sollte. Die Stellungnahme von Herrn S mit seiner E-Mail vom selben Tag hat keine neuen Erkenntnisse gebracht, welche eine erneute Anhörung erforderlich gemacht hätten. Herr S hat lediglich angeführt, dass der Kläger auch die Bündelung vorgenommen habe. Wie dargestellt, ist dies jedoch wegen der Verdachtsbegründung aufgrund der Nennung des Fehlbetrags nicht ausschlaggebend.

84

cc) Schließlich ist auch die durch das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses vorgenommene Interessenabwägung nicht zu beanstanden.

85

(1) Das Landesarbeitsgericht hat die mit dem Verlust des Ausbildungsplatzes verbundenen erheblichen Nachteile für die künftige berufliche Entwicklung des Klägers ebenso wie die im Herbst 2011 erfolgreich abgelegte Zwischenprüfung berücksichtigt. Es hat zugunsten des Klägers angeführt, dass er kurz vor Vollendung seines ersten Ausbildungsjahres stand, obwohl diese relativ kurze Dauer des Ausbildungsverhältnisses eher zu seinen Lasten hätte gewertet werden können. Ferner hat das Landesarbeitsgericht die fehlende Einhaltung der Kontrollvorschriften („Vier-Augen-Prinzip“) berücksichtigt.

86

(2) Es überschreitet den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum nicht, wenn es dennoch zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses wegen des irreparablen, dh. auch durch eine Abmahnung nicht mehr auszugleichenden, Vertrauensverlustes überwiegen.

87

(a) Dabei hat das Landesarbeitsgericht den Kontakt des Klägers mit hohen Geldbeträgen angeführt. Die Beklagte könne nicht darauf verwiesen werden, den Kläger künftig in gesteigertem Maße zu überwachen. Dies ist nachvollziehbar, denn eine solche Kontrolldichte würde angesichts der Zugriffsmöglichkeiten auf Bargeld in einem Bankbetrieb eine unverhältnismäßige Belastung darstellen. Gelegenheiten des Diebstahls oder der Unterschlagung können bei entsprechendem Willen eines Beschäftigten potentiell auch bei der von der Revision angemahnten konsequenten Umsetzung von Anforderungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht an das Risikomanagement und Vorgaben der berufsgenossenschaftlichen Vorschriften (UVV Kassen) geschaffen werden.

88

(b) Nicht zu beanstanden ist auch das Abstellen auf die Fehltage in der Berufsschule am 11. Februar 2011 und 30. März 2011. Hierdurch hat der Kläger seine Verpflichtung aus § 13 Satz 2 Nr. 2 iVm. § 15 Satz 1 BBiG verletzt und damit das Ausbildungsverhältnis belastet. Dies steht entgegen der Revision nicht im Widerspruch zu der erfolgreich abgelegten Zwischenprüfung. Diese bezieht sich auf die fachlichen Inhalte der Ausbildung und nicht auf das Verhalten im Ausbildungsverhältnis.

89

(c) Das Landesarbeitsgericht hat ferner in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die „Spielproblematik“ abgestellt. Der Revision ist insoweit zwar zuzugestehen, dass mangels Feststellung einer Spielsucht ein Rückschluss auf das künftige Verhalten des Klägers insoweit schwierig ist. Das Landesarbeitsgericht durfte allerdings auf die unstreitigen Therapiestunden bei der Caritas und auf die spielbedingten Fehlzeiten im Berufsschulunterricht hinweisen. Vor diesem Hintergrund musste das Landesarbeitsgericht keinen unbeanstandeten Verlauf des Ausbildungsverhältnisses hervorheben.

90

3. Die nach § 22 Abs. 3 BBiG zu wahrenden Formerfordernisse wurden beachtet. Die Kündigung erfolgte schriftlich und gab den Kündigungsgrund an.

91

a) Nach § 22 Abs. 3 BBiG muss die Kündigung schriftlich und in den Fällen des § 22 Abs. 2 BBiG unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen. Der Kündigende muss dabei die Tatsachen mitteilen, die für die Kündigung maßgebend sind (vgl. zu § 15 Abs. 3 BBiG aF BAG 25. November 1976 - 2 AZR 751/75 - zu A III 1 a der Gründe). Pauschale Schlagworte und Werturteile genügen nicht (BAG 10. Februar 1999 - 2 AZR 176/98 - zu II 1 der Gründe). Der Ausbildende darf sich im Kündigungsschutzprozess nicht auf Gründe stützen, die er im Kündigungsschreiben nicht genannt hat (vgl. ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 22 BBiG Rn. 7).

92

b) Diesen Anforderungen genügt das Kündigungsschreiben vom 22. Juli 2011. Dort wird sowohl der Kassenfehlbestand als auch die Begründung des Verdachts gegen den Kläger mitgeteilt. Es bleibt nicht unklar, auf welche Pflichtverletzung sich der Verdacht richtet. Die Beklagte hat deutlich gemacht, dass sie den Kläger verdächtigt, sich den Fehlbestand iHv. 500,00 Euro „angeeignet zu haben“. Deutlich wird auch, dass die Beklagte die für die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses „unverzichtbare Vertrauensbasis“ als nicht mehr gegeben und nicht wiederherstellbar ansieht. Die Beklagte offenbart auch ihre Annahme einer Spielsucht des Klägers aufgrund der Aussagen des Klägers in dem Gespräch am 21. Juli 2011. Damit begründet sie die aus ihrer Sicht bestehende Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ausbildung. Soweit in dem Kündigungsschreiben weitere Pflichtverstöße angeführt werden (Fehlzeiten im Berufsschulunterricht; Arbeit in einer Gießerei während des Erholungsurlaubs), wird deutlich, dass die Beklagte das Ausbildungsverhältnis insgesamt als belastet ansieht. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Vertragsverstöße für sich genommen das Gewicht eines Kündigungsgrundes zum Ausdruck bringen. Die Beklagte hat sich im Prozess als Kündigungsgrund nur auf den - mitgeteilten - Verdacht eines Vermögensdelikts berufen.

93

4. Die Kündigung erfolgte auch unter Wahrung der Frist des § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG.

94

a) Nach § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG ist eine Kündigung aus wichtigem Grund unwirksam, wenn die ihr zugrunde liegenden Tatsachen dem zur Kündigung Berechtigten länger als zwei Wochen bekannt sind. Die Vorschrift entspricht nach Inhalt und Zweck § 626 Abs. 2 BGB. Dementsprechend beginnt auch die Frist des § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Ausbildungsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen eine Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen begänne. Dies gilt allerdings nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen. Bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie auch überschritten werden (vgl. BAG 20. März 2014 - 2 AZR 1037/12 - Rn. 14 mwN; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, BAGE 137, 54).

95

b) Demnach hatte die Beklagte von den der Kündigung zugrunde liegenden Tatsachen zum Zeitpunkt ihres Zugangs am 25. Juli 2011 nicht länger als zwei Wochen Kenntnis. Sie wusste zwar bereits seit dem 28. Juni 2011 von dem Kassenfehlbestand in G. Die Begründung des der Kündigung zugrunde liegenden Verdachts gegen den Kläger erfolgte jedoch erst in dessen Anhörung am 21. Juli 2011. Die Beklagte betrieb die Sachverhaltsaufklärung mit der gebotenen Eile, auch wenn die Anhörung nicht innerhalb einer Woche ab Kenntnis von der Kassendifferenz stattfand. Eine schriftliche Aufforderung zur Stellungnahme war nicht veranlasst. Durch die Anberaumung des Gesprächstermins zunächst auf den 30. Juni 2011 und dann auf den 4. Juli 2011 versuchte die Beklagte eine zeitnahe Anhörung durchzuführen. Am 30. Juni 2011 war der Kläger jedoch aus persönlichen Gründen verhindert. Den Termin am 4. Juli 2011 sagte er wegen einer angeblichen Flugreise ab. Nach dem Urlaubsende hat die Beklagte die Anhörung sodann zügig durchgeführt. Sie fand noch in der ersten Woche nach dem Urlaub statt. Nach der Verdachtsbegründung am 21. Juli 2011 hat die Beklagte die Kündigung innerhalb von zwei Wochen, nämlich bereits am 25. Juli 2011, erklärt.

96

5. Die Kündigung ist auch nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

97

a) Will der Arbeitgeber seine Kündigung auf den dringenden Verdacht einer erheblichen Pflichtverletzung stützen, muss er dies dem Betriebsrat mitteilen und die Umstände angeben, aus denen sich der konkrete Verdacht ergeben soll (BAG 23. April 2008 - 2 ABR 71/07 - Rn. 24). Nach dem Grundsatz der subjektiven Determination ist der Betriebsrat dabei ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber ihm die Gründe mitgeteilt hat, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind. Diesen Kündigungsentschluss hat er regelmäßig unter Angabe von Tatsachen so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann (BAG 12. September 2013 - 6 AZR 121/12 - Rn. 21).

98

b) Bei der Betriebsratsanhörung handelt es sich um eine atypische Willenserklärung, deren Auslegung grundsätzlich Sache der Tatsacheninstanz ist (BAG 22. September 2005 - 6 AZR 607/04 - zu II 4 b bb (1) der Gründe). Die Auslegung atypischer Willenserklärungen durch das Landesarbeitsgericht kann in der Revisionsinstanz nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt hat oder gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen, wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen oder eine gebotene Auslegung unterlassen hat (vgl. BAG 15. April 2014 - 3 AZR 435/12 - Rn. 18; 25. April 2013 - 8 AZR 453/12 - Rn. 23).

99

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 22. Juli 2011 genüge inhaltlich den Anforderungen des § 102 BetrVG, hält den Angriffen der Revision stand.

100

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend auf den Grundsatz der subjektiven Determination abgestellt und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Schluss gelangt, dass bei Berücksichtigung der Gesamtumstände die beabsichtigte Erklärung einer Verdachtskündigung für den Betriebsrat erkennbar gewesen sei. Dem Betriebsrat wurde der Geschehensablauf aus Sicht der Beklagten und die wesentliche verdachtsbegründende Tatsache (Nennung des Fehlbetrags durch den Kläger) mitgeteilt. Der Formulierung „müssen wir davon ausgehen, dass er die Differenz ‚verursacht‘ hat“, kann mit dem Landesarbeitsgericht die beabsichtigte Erklärung einer Verdachtskündigung entnommen werden. Jedenfalls lässt diese Wortlautinterpretation keine Tatsachen unberücksichtigt und verstößt nicht gegen Denk- und Erfahrungssätze. Durch die Beschreibung der Gesamtumstände wird dem Betriebsrat hinreichend verdeutlicht, dass die Beklagte im Sinne eines Verdachts von einem Vermögensdelikt „ausgeht“. Die Dringlichkeit des Verdachts wird mit „müssen wir“ zum Ausdruck gebracht.

101

bb) Es ist mit dem Landesarbeitsgericht auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Betriebsrat bewusst falsch über die Verursachung des Fehlbetrags von 50,00 Euro in D und über eine Spielsucht des Klägers informiert hat. Die Beklagte ging hiervon aus. Wegen des Grundsatzes der subjektiven Determinierung der Betriebsratsanhörung ist daher unbeachtlich, ob diese Vorwürfe objektiv gerechtfertigt sind.

102

cc) Der Betriebsrat wurde auch nicht fehlerhaft über den Kündigungsgrund des Verdachts eines Vermögensdelikts unterrichtet, weil in der Anhörung noch weiteres Fehlverhalten des Klägers angeführt wurde (Fehlzeiten in der Berufsschule; Arbeit in der Gießerei während des Erholungsurlaubs). Es handelt sich ersichtlich um eine für die Interessenabwägung bedeutsame Darstellung der aus Sicht der Beklagten bestehenden Belastungen des Ausbildungsverhältnisses.

103

6. Die Klage ist auch im Übrigen unbegründet. Wegen der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses am 25. Juli 2011 bestand zum Zeitpunkt der beabsichtigten Beendigung durch die ordentliche Kündigung am 30. September 2011 kein Ausbildungsverhältnis mehr. Aus demselben Grund kann der Kläger die eingeklagte Ausbildungsvergütung für die Zeit ab dem 1. August 2011 nicht beanspruchen.

104

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel    

        

        

        

    M. Jostes    

        

    M. Geyer    

                 

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Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 29.10.2015 - 1 Ca 390/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Der 1970 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten aufgrund Arbeitsvertrags vom 17. September 2007 (Bl. 17, 18 d. A.) seit 01. Januar 2008 beschäftigt. Er war Werkleiter des F.. Im Hinblick auf sein Lebensalter und seine Vorbeschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst war er nach § 34 Abs. 2 TVöD ordentlich unkündbar.

3

Am 02. Januar 2013 veranlasste der Kläger die Überweisung eines Betrages in Höhe von 3.500,00 EUR auf das Konto einer Bekannten, Frau S., die das Geld am Folgetag von ihrem Konto abhob. Dabei hatte er im EDV-Programm die Stammdaten eines bereits bestehenden Kunden (Familie E.) aufgerufen und der hinterlegten Kontoverbindung dieses Kunden die Kontoverbindung von Frau S. hinzugefügt. Aufgrund dieser Stammdatenänderung erschien im EDV-Programm die Bankverbindung von Frau S. als Bankverbindung des Kunden E., der Strom aus einer Photovoltaikanlage in das Netz der U. einspeiste und hierfür Zahlungsansprüche hatte. Mit dem von ihm erstellten und unterzeichneten "DTA-Begleitzettel" bat er die Kasse um Ausführung der entsprechenden Überweisung, die sodann zulasten der Beklagten auf das Konto von Frau S. erfolgte. Der Kontoauszug von Frau S. enthält zu dem überwiesenen Betrag von 3.500,00 EUR folgenden Überweisungsvermerk:

4

"Verbandsgemeinde C.
PV - V1 J.-MAERZ 2013
...-...000000000000 BLZ 00000000"

5

Frau S. war weder Kundin der F. noch hatte sie einen Zahlungsanspruch gegen die F. oder die Beklagte.

6

Aufgrund der am 02. Januar 2013 erfolgten Überweisung ist der Kläger vom Amtsgericht L-Stadt mit seinem am 17. Februar 2015 verkündeten und inzwischen rechtskräftigen Urteil (Bl. 80 - 87 d. A.), auf das Bezug genommen wird, wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe von 2.000,00 EUR verurteilt worden.

7

Am 23. Februar 2015 wurde der Kläger von der Beklagten zum Vorwurf der Untreue aus Anlass seiner strafgerichtlichen Verurteilung angehört. Bei seiner Anhörung, bei der auch der Personalratsvorsitzende zugegen war, gab er an, die Überweisung aus Versehen veranlasst zu haben. Mit Schreiben vom 24. Februar 2015 (Bl. 20 ff. d. A.) beantragte die Beklagte beim Personalrat die Zustimmung zu der von ihr beabsichtigten außerordentlichen fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist zum 30. September 2015 und wies u.a. darauf hin, dass aufgrund des Strafurteils zumindest von einem dringenden Verdacht auszugehen sei, weswegen sie die Kündigung vorsorglich auch als Verdachtskündigung aussprechen wolle; wegen der Einzelheiten wird auf das Anhörungsschreiben vom 24. Februar 2015 verwiesen. Mit Schreiben vom 25. Februar 2015 (Bl. 24 d. A.) teilte der Personalrat der Beklagten mit, dass der beabsichtigten Kündigung zugestimmt werde. Mit Schreiben vom 26. Februar 2015 (Bl. 5 d. A.), welches dem Kläger am gleichen Tag zuging, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos.

8

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 16. März 2015 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein eingegangenen Kündigungsschutzklage.

9

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands und des erstinstanzlichen wechselseitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 29. Oktober 2015 Bezug genommen.

10

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

11

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Februar 2015 nicht beendet wird,

12

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilten, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verwaltungsfachangestellter weiterzubeschäftigen.

13

Die Beklagte hat beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein hat mit seinem Urteil vom 29. Oktober 2015 - 1 Ca 390/15 - die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.

16

Gegen das ihm am 22. Dezember 2015 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Januar 2016, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22. März 2016 mit Schriftsatz vom 18. März 2016, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, begründet.

17

Er trägt vor, das Arbeitsgericht habe sich in seinen Urteilsgründen ausschließlich mit seinem angeblichen Fehlverhalten aus dem Jahr 2013 beschäftigt, nicht aber mit der Zukunftsprognose. Offen bleibe, welcher konkrete Nachteil durch seine Verurteilung für die Beklagte tatsächlich entstanden sei. Ausweislich des vorgelegten Aktenvermerks vom 02. April 2013 sei der Beklagten sein Verhalten, das er eingeräumt habe, bekannt gewesen. Wenn dieses Verhalten aber für die Beklagte derart gravierend sei, dass diese nunmehr nach Abwarten des strafgerichtlichen Urteils eine Kündigung erst zwei Jahre später ausspreche, so müsse sie sich fragen lassen, warum sie nach Bekanntwerden des Vorfalls im Frühjahr 2013 ihn nahtlos in seiner Funktion weiterbeschäftigt habe. Bei zutreffender Bewertung hätte das Gericht feststellen müssen, dass zur Zukunftsprognose nichts vorgetragen worden sei. Im Hinblick darauf, dass das ihm vorgeworfene Verhalten im Jahre 2013 der Beklagten ausweislich des Aktenvermerks vom 02. April 2013 bekannt gewesen sei, habe die erst zwei Jahre später erfolgte Kündigung die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Im Übrigen gehe die weitergehende Argumentation des Gerichts fehl, wonach seine Einlassung, er habe die Überweisung versehentlich gehandhabt, nicht überzeuge. Aufgrund der Ausführungen, dass die vorgenommenen Änderungen durch verschiedene Arbeitsschritte im Computerprogramm bestätigt werden müssten, werde suggeriert, dass dies ein höchst komplexer Vorgang sei. Ausweislich der vorgelegten Screenshots sei ersichtlich, dass es zur Änderung einer entsprechenden Bankverbindung lediglich zweier Klicks bedürfe. Dies habe er deshalb letztlich veranlasst, weil auf einem Notizzettel, der intern als "Fresszettel" bezeichnet werde, ein entsprechender Vermerk gewesen sei. Auf diesem Zettel sei zum einen vermerkt gewesen, dass die Familie E. einen Vorschuss in Form einer Abschlagszahlung erhalte, sowie zum anderen die Mitteilung einer anderen Bankverbindung in Bezug auf Frau S.. Der Familie E. seien Sonderkonditionen dahingehend eingerichtet worden, dass zwischen den Endabrechnungen Abschlagszahlungen in der Regel jeweils Anfang des Quartals erfolgten. Vor diesem Hintergrund sei es auch nicht untypisch, dass er zu Beginn des Quartals 2013 eine entsprechende Zahlung dorthin veranlasst habe. Untypisch sei auch nicht, dass Vermerkzettel an die entsprechenden Aufträge geheftet würden, die dann nach erfolgter Buchung und Zahlung vernichtet würden. Entgegen den Ausführungen des Arbeitsgerichts liege vor diesem Hintergrund ein plausibler Grund vor, warum bereits am 02. Januar 2013 Beträge an die Familie E. hätten überwiesen werden sollen. Für Frau S. habe er Kontakt zum Jobcenter aufgenommen und durch seine entsprechende Intervention auch erreicht, dass diese wieder in den Leistungsbezug nach dem SGB II gekommen sei. Da er Ansprechpartner in diesem Zusammenhang gewesen sei und Frau S. ihn auch gegenüber Dritten so bezeichnet habe, sei es nicht untypisch, dass ein erster Beigeordneter Erklärungen gegenüber dem Jobcenter abgeben könne. Entgegen den Ausführungen des Arbeitsgerichts sei nicht immer erforderlich, dass eine entsprechende Bankvollmacht vorliege. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht eine Abmahnung als entbehrlich angesehen und die entlastenden Argumente als Schutzbehauptungen abgetan, obwohl er ausweislich des Aktenvermerks vom 02. April 2013 bereits frühzeitig das Vertauschen der Kontodaten eingeräumt habe. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts sei die Personalratsanhörung unzureichend erfolgt. Entgegen der Darstellung in der Personalratsanhörung seien allein die Kontodaten verändert und weder im Überweisungsbeleg noch in den weitergehenden Angaben dazu in irgendeiner Form eine Tarnung ersichtlich. Entlastende Gesichtspunkte seien nicht dargestellt worden. Obwohl er selbst die Überweisung nicht getätigt habe, werde dies suggeriert. Ebenso sei nicht berücksichtigt worden, dass die Beklagte die Ermittlungen gegen ihn zum Anlass genommen habe, um im Jahr 2013 eine entsprechende Prüfung der Buchführung durchführen zu lassen. Der Prüfbericht weise aus, dass die Organisation der Finanzbuchhaltung als mangelhaft bewertet werde. Im Prüfbericht werde auch darauf hingewiesen, dass das Vier-Augen-Prinzip nicht vorhanden sei. Dies habe er verbindlich gefordert zum Schutz für sich selbst, aber auch für alle anderen, um ein erneutes versehentliches Ändern von Daten zu verhindern und so Nachteile abzuwenden. Im Übrigen sei die Beklagte schadlos gestellt. All diese entlastenden Gesichtspunkte seien nicht berücksichtigt und dem Personalrat nicht mitgeteilt worden, obwohl sie bekannt gewesen seien. Vor diesem Hintergrund sei die Personalratsanhörung unzureichend. Zudem hätten die entlastenden Aspekte auch im Rahmen der Interessenabwägung Berücksichtigung finden müssen.

18

Der Kläger beantragt,

19

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 29. Oktober 2015 - 1 Ca 390/15 - abzuändern und

20

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 26. Februar 2015 nicht beendet worden ist,

21

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verwaltungsfachangestellten weiterzubeschäftigen.

22

Die Beklagte beantragt,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie erwidert, ihr sei aufgrund der Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht -Strafgericht - L.-Stadt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar. Aufgrund dieses Urteils stehe fest, dass der Kläger sich des Vergehens einer Untreue zum Nachteil der F. schuldig gemacht habe, zumindest aber bestehe ein dringender Tatverdacht. Da ihr nur eingeschränkte Aufklärungs- und Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten und sie im Übrigen nicht vorschnell über ein schuldhaftes Verhalten des Klägers und über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe entscheiden wollen, sei es ihr auf das Werturteil eines Strafgerichts angekommen, das mit einer Verurteilung des Klägers verbunden sein würde. Davon sei ihr Kündigungsentschluss abhängig gemacht worden. Aufgrund der dann erfolgten Verurteilung des Klägers vom 17. Februar 2015 habe sie sich nicht auf bloße Mutmaßungen und Spekulationen, sondern auf einen greifbaren, von den Strafverfolgungsbehörden ermittelten Sachverhalt berufen, der zur Verurteilung geführt habe. Im Hinblick darauf, dass sich der Kläger von Anfang an bezüglich der Zahlungsanweisung an Frau S. auf ein Versehen berufen habe, habe sie aufgrund der Aufklärungsschwierigkeiten und eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten den Ausgang des Strafgerichtsverfahrens abwarten und an die daraus gezogenen Erkenntnisse ihre Kündigungsentscheidung knüpfen dürfen. Entgegen der Ansicht des Klägers stelle seine strafgerichtliche Verurteilung als Amtsträger wegen einer Vorsatztat zu ihrem Nachteil kein Sachverhalt dar, welcher sich nicht mehr nachteilig für die Zukunft auswirken könnte. Aus der Handlungsweise des Klägers und seiner strafgerichtlichen Verurteilung folge die schwere und nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses, welche irreparabel sei und deshalb auch in der Zukunft eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausschließe. Keinem Arbeitgeber, insbesondere keinem öffentlichen Arbeitgeber, könne aufgrund der strikten Bindung an Recht und Gesetz zugemutet werden, unter den hier gegebenen Voraussetzungen einen Amtsträger noch länger zu beschäftigen. Der Kläger sei daran zu erinnern, dass er ihr gegenüber hinsichtlich der betreffenden Überweisung stets von einem "Versehen" gesprochen habe. Indem der Kläger von Anfang an ihr gegenüber nicht mit "offenen Karten" gespielt habe, sondern in der Folge weiterhin ein bloßes "Versehen" für die Fehlüberweisung innerhalb der arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung vorgegeben habe, obwohl er vorsätzlich gehandelt habe, belege ebenfalls, dass ihm in keiner Weise mehr vertraut werden könne. Zur Verurteilung des Klägers sei es gekommen, weil die Beweise, die durch die Ermittlungsbehörden zusammengetragen worden seien, erdrückend gewesen seien, worauf letztlich wohl auch die Beschränkung der Rechtsmittel auf das Strafmaß zurückzuführen sein dürfte. Sie wiederum verfüge über diese Ermittlungs- und Aufklärungsmöglichkeiten nicht, sondern habe deren Ergebnisse, insbesondere den Ausgang des Strafverfahrens abwarten müssen, was gewollt gewesen sei. Soweit der Kläger erneut seine Verantwortlichkeit für die damalige Zahlungsüberweisung an Frau S. in Frage stelle und wiederum ein "Versehen" reklamiere, sei festzuhalten, dass das Arbeitsgericht zu keiner Zeit das Prozedere eines solchen Überweisungsvorganges komplizierter als tatsächlich gegeben dargestellt habe. Falls es einen "Fresszettel" überhaupt gegeben haben sollte, was sie mit Nichtwissen bestreite, habe sich auch hierzu das Strafgericht mit den widersprüchlichen Schutzbehauptungen des Klägers befasst, so dass darauf verwiesen werde. Warum auf diesem Zettel vermerkt gewesen sein solle, Familie E. erhalte einen Vorschuss in Form einer Abschlagszahlung, obwohl eine solche nicht angestanden habe und von der Familie E. zu diesem Zeitpunkt auch nicht erwartet worden sei, sei nicht nachvollziehbar. Auch lasse sich nicht nachvollziehen, weshalb eine "andere Bankverbindung in Bezug auf Frau S." darauf notiert gewesen sein solle, welche zu der angeblichen Verwechslung geführt habe. Abgesehen davon, dass der Kläger bisher nicht angegeben habe, welche Bankverbindung Frau S. vorher gehabt haben solle, habe sich jedenfalls an den per EDV erfassten Bankverbindungen der Familie E. nichts geändert. Die zweite Zeile des Vermerks auf dem Kontoauszug der Frau S. belege eindeutig, dass es sich bei der vom Kläger veranlassten Überweisung sehr wohl um eine "getarnte Zahlung" gehandelt habe. Zu Beginn des ersten Quartals 2013 sei von Seiten der Familie E. keine Abschlagszahlung erwartet worden, weshalb der Kläger eine solche Zahlung auch nicht veranlasst habe, sondern an seine Bekannte, Frau S.. Den von ihm reklamierten plausiblen Grund, warum bereits am 02. Januar 2013 Beträge an die Familie E. hätten überwiesen werden sollen, gebe es nicht. Der Name der Familie E. habe nur zur Täuschung und Irreführung hinsichtlich der für Frau S. bestimmten Zahlung gedient. Soweit der Kläger im Kammertermin vom 29. Oktober 2015 erstmals behauptet habe, die Kontodaten der Frau S. deshalb notiert zu haben, um diese ggf. dem Jobcenter mitzuteilen, handele es sich wiederum um eine reine Schutzbehauptung. Ein Jobcenter überweise grundsätzlich keine Zahlungen an vollmachtlose Vertreter. Die Personalratsanhörung sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Wer die vom Kläger veranlasste Überweisung schlussendlich im Tagesgeschäft per EDV ausgeführt habe, sei völlig irrelevant. Soweit die Organisation der Buchhaltung von einem Wirtschaftsprüfer beanstandet worden sei, wisse sie nicht, was dieser Hinweis des Klägers solle, sein strafbares Verhalten jedenfalls könne dadurch weder gerechtfertigt werden, noch in einem anderen Licht erscheinen. Dass er ihr später den Schaden ersetzt habe, sei dem Personalrat aufgrund der eigenen Erklärungen des Klägers ebenso bekannt gewesen, wie die Tatsache, dass das Arbeitsverhältnis zuvor im Wesentlichen störungsfrei verlaufen sei. Bei der ursprünglichen Personalratsanhörung habe sie im Übrigen im Zuge der mitgeteilten Interessenabwägung ausdrücklich betont, dass die zugunsten des Klägers sprechenden Umstände hinter seinem schwerwiegenden Fehlverhalten und dem damit verbundenen Vertrauensbruch zurücktreten müssten. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, impliziere die zu Lasten des Klägers getroffene Entscheidung. Eine nähere Begründung als geschehen sei vor dem Hintergrund des Grundsatzes der subjektiven Determinierung nicht erforderlich.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

27

Die Berufung des Klägers hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die fristlose Kündigung vom 26. Februar 2015 ist wirksam.

I.

28

Die außerordentliche Kündigung vom 26. Februar 2015 ist als Verdachtskündigung gemäß § 626 BGB gerechtfertigt.

29

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 16 und 17, NZA 2013, 137; BAG 20. Juni 2013 - 2 AZR 546/12 - Rn. 14, NZA 2014, 143; BAG 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 - Rn. 29, NZA 2015, 741) kann auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete - vom Kündigenden ggf. zu beweisende - Tatsachen gestützt sein. Der Verdacht muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, dass eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Schließlich muss der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhaltes getan, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben. Der Umfang der Nachforschungspflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles.

30

2. Die Voraussetzungen für eine außerordentliche Verdachtskündigung sind vorliegend erfüllt.

31

a) Im Streitfall besteht der dringende Verdacht, dass der Kläger mit der von ihm veranlassten Überweisung in Höhe von 3.500,-- EUR die Beklagte vorsätzlich und rechtswidrig geschädigt hat.

32

Der Kläger hat unstreitig am 02. Januar 2013 die Überweisung zu Lasten der Beklagten veranlasst, indem er im EDV-Programm den hinterlegten Kontodaten des Kunden E. die Bankverbindung seiner Bekannten, Frau S., hinzugefügt und mit dem von ihm erstellten DTA-Begleitzettel eine entsprechende Überweisung auf das Konto seiner Bekannten initiiert hat. Unerheblich ist hingegen, dass nicht der Kläger selbst, sondern die Kasse die vom Kläger veranlasste Überweisung tatsächlich ausgeführt hat. Unstreitig hatte Frau S. keinen Anspruch auf den ihr überwiesenen Geldbetrag, den sie nach Eingang des Geldes auf ihrem Konto am 03. Januar 2013 noch am gleichen Tag abhob.

33

Die vom Kläger veranlasste unberechtigte Überweisung an seine Bekannte im Wege einer Eingabe von deren Bankverbindung unter den hinterlegten Kontodaten eines anderen Kunden begründet den dringenden Verdacht, dass er mit seiner Vorgehensweise den überwiesenen Geldbetrag zum Nachteil der Beklagten veruntreut und nicht etwa lediglich aus Versehen eine fehlerhafte Überweisung vorgenommen hat. Seine wenig plausiblen Erklärungsversuche sind gemäß der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts nicht geeignet, den dringenden Tatverdacht zu entkräften.

34

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, vermochte der Kläger nicht plausibel zu erklären, aufgrund welcher Umstände er am 02. Januar 2013 überhaupt davon ausgegangen sein soll, dass die Kontodaten der Kunden E. zu ändern seien. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass von Seiten der Kunden E. eine Mitteilung erfolgt wäre, dass Zahlungen nicht mehr auf das bekannte, sondern auf ein anderes Konto erfolgen sollten. Dementsprechend fehlt es bereits an einem nachvollziehbaren Anlass für eine Änderung der Kontodaten der Kunden E.. Soweit sich der Kläger auf einen sog. "Fresszettel" berufen hat, auf dem angeblich zum einen vermerkt gewesen sei, dass die Familie E. einen Vorschuss in Form einer Abschlagszahlung erhalte, sowie zum anderen die Mitteilung einer anderen Bankverbindung in Bezug auf Frau S., ändert dies nichts daran, dass es jedenfalls keine hinreichend plausible Erklärung dafür gibt, weshalb der Kläger versehentlich davon ausgegangen sein sollte, dass er die Kontodaten der Kunden E. zu ändern hat. Im Hinblick darauf, dass die Änderung einer Bankverbindung eines Kunden eine entsprechende Mitteilung voraussetzt und die Änderung eigens im EDV-Programm eingegeben sowie bestätigt werden muss, erscheint es auch unter Berücksichtigung der angeführten Arbeitsbelastung als wenig plausibel, dass der Kläger allein aufgrund eines sog. Fresszettels ohne nähere Verifizierung lediglich versehentlich die Kontodaten der Kunden E. geändert haben könnte. Vielmehr lässt die Vorgehensweise des Klägers darauf schließen, dass er mit der Eingabe der Bankverbindung seiner Bekannten unter die von ihm aufgerufenen Kontodaten der Kunden E. die unberechtigte Überweisung an seine Bekannte verschleiern wollte. Dafür spricht auch, dass der Kläger nach seiner eigenen Einlassung nicht von sich aus die von ihm - angeblich erst im Nachhinein - selbst festgestellte "Fehlüberweisung" der Beklagten angezeigt hat. Falls der Kläger tatsächlich lediglich versehentlich eine Überweisung auf ein falsches Bankkonto veranlasst haben sollte, hätte er eine solche von ihm bemerkte Fehlüberweisung der Beklagten mitteilen müssen und dies sicherlich auch gemacht. Der gegen den Kläger bestehende Tatverdacht ist durch das Strafverfahren nicht etwa entkräftet, sondern dadurch verstärkt worden, dass er vom Amtsgericht L.-Stadt am Rhein am 17. Februar 2015 wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten (auf Bewährung) verurteilt worden ist.

35

b) Gemäß den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts, auf die Bezug genommen wird, hat die Beklagte die ihr obliegende Aufklärungspflicht nicht verletzt, insbesondere den Kläger vor der Kündigung zu dem Verdacht ordnungsgemäß angehört. Die Beklagte hat das im Strafverfahren ergangene Urteil des Amtsgerichts L.-Stadt am Rhein und damit auch die im Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse abgewartet. Zu weitergehenden Aufklärungsmaßnahmen war die Beklagte nicht verpflichtet.

36

c) Eine Abmahnung war nach den Umständen des vorliegenden Falls entbehrlich.

37

Einer vorherigen Abmahnung bedarf es nicht, wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist. Der hier bestehende dringende Verdacht, dass der Kläger als Werkleiter in Ausnutzung seiner Stellung durch eine verschleierte Überweisung einen Betrag in Höhe von 3.500,-- EUR veruntreut hat, betrifft eine solche besonders schwerwiegende Pflichtverletzung, bei der eine Hinnahme durch die Beklagte ganz offensichtlich ausgeschlossen ist. Aufgrund des schwerwiegenden Tatverdachts kann eine Wiederherstellung des für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unabdingbar notwendigen Vertrauens nicht erwartet werden, so dass eine Abmahnung entbehrlich war.

38

d) Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falls kann der Beklagten aufgrund des dringenden Tatverdachts nach Erlass des im Strafverfahren ergangenen Urteils eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem ordentlich unkündbaren (§ 34 Abs. 2 TVöD) Kläger auch nur bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist (sechs Monaten zum Quartalsende, § 34 Abs. 1 TVöD) nicht mehr zugemutet werden.

39

Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zwar zu Gunsten des Klägers neben seinem Lebensalter und seinen Unterhaltspflichten gegenüber seiner Familie insbesondere zu berücksichtigen, dass er bereits seit dem 01. Januar 2008 bei der Beklagten beschäftigt und aufgrund seiner Vorbeschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst ordentlich unkündbar war. Gleichwohl bewirkt der objektiv begründete und außerdem dringende Verdacht unter den vorliegenden Umständen den irrreparablen Vertrauensverlust der Beklagten, der ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger auch unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar macht. Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger als Werkleiter eine besondere Vertrauensstellung innehatte und der dringende Verdacht besteht, dass er unter Ausnutzung seiner Position durch eine verschleierte Überweisung einen Geldbetrag in Höhe von 3.500,-- EUR veruntreut hat.

40

Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen kann es der Beklagten nicht zum Nachteil gereichen, dass sie nach der Einlassung des Klägers, der sich auf ein bloßes Versehen berufen hat (vgl. Aktennotiz vom 02. April 2013), zunächst noch das im Strafverfahren ergangene Urteil des Amtsgerichts L.-Stadt abgewartet und dementsprechend den Kläger bis dahin weiterbeschäftigt hat. Im Hinblick darauf, dass der Kläger vom Amtsgericht L.-Stadt wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten (auf Bewährung) verurteilt worden ist, wirkt sich der dadurch verstärkte und besonders schwerwiegende Tatverdacht als eine derart erhebliche Belastung auf das Arbeitsverhältnis aus, dass der Beklagten eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann. Entgegen der Ansicht des Klägers ist daher im Kündigungszeitpunkt die negative Prognose begründet, dass sich zukünftig der durch seine strafgerichtliche Verurteilung erhärtete Tatverdacht - ungeachtet seiner bis dahin erfolgten Weiterbeschäftigung - derart belastend auswirkt, dass die weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist als nicht mehr zumutbar erscheint.

41

3. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt.

42

a) Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Fort- und Ausgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und abhängig davon in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen. Für die Wahl des Zeitpunkts bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen - neuen - ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch der Kündigung nehmen. Für eine Kündigung, die wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ausgesprochen wird, gelten mit Blick auf § 626 Abs. 2 BGB grundsätzlich dieselben Erwägungen wie für eine Kündigung wegen einer als erwiesen angesehenen Straftat. Der Arbeitgeber kann sich auch für die Überlegung, ob er eine Verdachtskündigung aussprechen soll, am Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens orientieren. Der Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens - beispielsweise die Erhebung der öffentlichen Klage und die spätere Verurteilung - kann einen gegen den Arbeitnehmer bestehenden Verdacht, er habe seine Vertragspflichten verletzt, verstärken. Auch wenn derartige Umstände für sich genommen - d.h. ohne konkreten, den Kündigungsgrund stützenden Tatsachenvortrag - nicht ausreichen, eine Verdachts- oder Tatkündigung zu begründen, stellen sie doch einen Einschnitt dar, der in der Lage ist, den Verdacht oder die Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken, und der für den Beginn der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB von Bedeutung sein kann. Der Arbeitgeber hat nicht nur zwei Möglichkeiten, dem sich mit der Zeit entwickelnden Zuwachs an Erkenntnissen durch eine außerordentliche Kündigung zu begegnen. Es gibt nicht lediglich zwei objektiv genau bestimmbare Zeitpunkte, zu denen die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begönne: einen Zeitpunkt für den Ausspruch einer Verdachts-, einen weiteren für den Ausspruch einer Tatkündigung. Im Laufe des Aufklärungszeitraums kann es vielmehr mehrere Zeitpunkte geben, in denen der Verdacht "dringend" genug ist, um eine Verdachtskündigung darauf zu stützen. Dabei steht dem Kündigungsberechtigten ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt demnach erneut zu laufen, wenn der Arbeitgeber eine neue, den Verdacht der Tatbegehung verstärkende Tatsache zum Anlass für eine Kündigung nimmt (st. Rspr., vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15 ff., NZA 2011, 798 und BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 30 ff., NZA 2013, 665).

43

b) Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.

44

Die Beklagte hat die strafgerichtliche Verurteilung des Klägers und damit einen neuen, den Verdacht der Tatbegehung verstärkenden Umstand zum Anlass für die ausgesprochene Kündigung genommen. Entgegen der Ansicht des Klägers steht dem nicht entgegen, dass er ausweislich des Aktenvermerks vom 02. April 2013 sein Verhalten bereits eingeräumt habe. Vielmehr hat sich der Kläger stets darauf berufen, dass es sich bei der ihm vorgehaltenen Überweisung um ein Versehen gehandelt habe. Im vorliegenden Fall liegt bereits darin ein relevanter Erkenntnisfortschritt, dass das mit den Möglichkeiten der Amtsermittlung ausgestattete Strafgericht nach Beweisaufnahme den Tatnachweis als geführt ansieht und zu einer Verurteilung des Klägers wegen Untreue gelangt ist (vgl. BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 35, NZA 2013, 665). Unabhängig davon ist der Umstand, dass ein Strafgericht mit weiterreichenden Erkenntnismöglichkeiten, als sie dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, den Arbeitnehmer wegen einer von ihm als erwiesen angesehenen Straftat verurteilt, für sich genommen geeignet, den gegen den Arbeitnehmer gehegten Verdacht zu verstärken (BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 32, NZA 2013, 665; vgl. hierzu auch BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 19, NZA 2011, 798 zur Anklageerhebung). Dem öffentlichen Arbeitgeber kann nicht verwehrt werden, sich auch für die Prüfung der Frage, ob und wann er eine Verdachtskündigung ausspricht, auf den Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens zu stützen. Es ist keine unsachliche Erwägung, wenn der Arbeitgeber - wie hier die Beklagte - für sich entscheidet, erst eine solche Verdachtsdichte zum Anlass für eine Kündigung als ausreichend anzusehen, die auch zur strafgerichtlichen Verurteilung ausreicht. Dem Arbeitnehmer entsteht dadurch kein Nachteil. Der Arbeitgeber seinerseits entgeht mit dieser, an die rechtsstaatlichen Garantien des Strafverfahrensrechts anknüpfenden Verfahrensweise dem Vorwurf einer gewissermaßen privat justiziellen arbeitsrechtlichen Vorverurteilung. Trifft der Vorwurf letztlich zu, so hat der Arbeitnehmer immerhin den Vorteil, dass sein Arbeitsverhältnis länger Bestand hatte, als es nach objektiver Tatlage gerechtfertigt gewesen wäre (vgl. BAG 05. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 26, NZA-RR 2008, 630).

45

Das im Strafverfahren ergangene Urteil des Amtsgerichts L.-Stadt als eine den Tatverdacht verstärkende Tatsache ist am 17. Februar 2015 verkündet worden und der Beklagten zur Kenntnis gelangt, womit die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erneut zu laufen begann. Die Kündigung ist dem Kläger am 26. Februar 2015 und damit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist zugegangen.

II.

46

Die Personalratsbeteiligung ist gemäß der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts (Ziff. III. der Entscheidungsgründe = S. 13 und 14 des Urteils), der die Berufungskammer folgt (§ 69 Abs. 2 ArbGG), ordnungsgemäß erfolgt.

47

1. Nach § 83 Abs. 4 LPersVG ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Vor fristlosen Entlassungen und außerordentlichen Kündigungen ist der Personalrat nach § 83 Abs. 3 S. 1 LPersVG anzuhören. Die Leiterin oder der Leiter der Dienststelle hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen (§ 83 Abs. 3 S. 2 LPersVG). Hierfür gelten die gleichen Anforderungen wie an eine Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG (vgl. BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 57, NZA 2015, 353). Nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung ist der Personalrat ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat. Nach Sinn und Zweck der Anhörung darf der Arbeitgeber dem Personalrat allerdings solche persönlichen Umstände des Arbeitnehmers nicht vorenthalten, die er - der Arbeitgeber - zwar nicht berücksichtigt hat, die sich jedoch im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken könnten (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 57, NZA 2015, 353). Fehlerhaft ist die Unterrichtung, wenn der Dienstherr dem Personalrat bewusst und gewollt unrichtige oder unvollständige Sachverhalte unterbreitet hat (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 407/13 - Rn. 46, NZA 2015, 621).

48

2. Danach ist die Beteiligung des Personalrats, der der Kündigung mit Schreiben vom 25. Februar 2015 zugestimmt hat, ordnungsgemäß erfolgt.

49

Gemäß den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts hat die Beklagte dem Personalrat die maßgeblichen Sozialdaten des Klägers mitgeteilt, auf den Sonderkündigungsschutz gemäß § 34 Abs. 2 TVöD hingewiesen und den aus ihrer Sicht die Kündigung begründenden Sachverhalt vollumfänglich geschildert. Dabei hat sie darauf verwiesen, dass aufgrund des angeführten Strafurteils vom 17. Februar 2015 zumindest von einem dringenden Tatverdacht auszugehen sei, weswegen sie die Kündigung auch als Verdachtskündigung aussprechen wolle. Für die ordnungsgemäße Unterrichtung des Personalrats ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn der Arbeitgeber - wie hier die Beklagte in ihrem Anhörungsschreiben vom 24. Februar 2015 - die für ihn subjektiv tragenden Gründe, auf denen sein Kündigungsentschluss beruht, mitgeteilt hat.

50

Die Beklagte hat den Personalrat nicht bewusst irreführend unterrichtet, soweit sie ausgeführt hat, dass die Zahlung als Vorausleistung des Versorgungsunternehmens für die Einspeisung aus einer Photovoltaik-Anlage getarnt gewesen sei. Vielmehr ergibt sich die Tarnung bzw. Verschleierung daraus, dass der Kläger die Bankverbindung seiner Bekannten den Stammdaten eines bereits bestehenden Kunden hinzugefügt hat, so dass die Überweisung als eine Zahlung an den Kunden E. erscheint. Dementsprechend wird im Anhörungsschreiben vom 24. Februar 2015 auch erläutert, dass dafür bei einem bereits bestehenden Kunden neue Stammdaten angelegt wurden. Jedenfalls kann von einer bewussten Irreführung des Personalrats keine Rede sein. Gleiches gilt, soweit im Anhörungsschreiben ausgeführt wird, dass der Kläger am 02. Januar 2013 vom Geschäftskonto 3.500,-- EUR an eine Bekannte, Frau S., überwiesen habe. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist allein maßgeblich, dass der Kläger durch sein Verhalten die Überweisung von 3.500,-- EUR zu Lasten des Kontos der EVU und zu Gunsten von Frau S. in Gang gesetzt hat.

51

Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Personalratsanhörung auch nicht deshalb fehlerhaft, weil entlastende Gesichtspunkte nicht dargestellt worden seien. Dem Anhörungsschreiben war als Anlage u. a. auch das Protokoll der Anhörung des Klägers vom 23. Februar 2015 (Bl. 19 d. A.) beigefügt. Zudem war der Personalratsvorsitzende bei der Anhörung des Klägers am 23. Februar 2015 selbst zugegen, so dass dem Personalrat die vom Kläger im Rahmen seiner Anhörung gemachten Angaben, die zu seinen Gunsten sprechen sollen, bekannt waren. Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung am 23. Februar 2015 ausweislich des Protokolls u.a. angeführt, dass auf sein Betreiben hin die Rückzahlung des Fehlbetrages nebst Zinsen erfolgt sei, so dass kein finanzieller Schaden entstanden sei, und dass erst nach dem 25. März 2013 eine Dienstanweisung hinsichtlich der Einhaltung des 4-Augen-Prinzipes durch den Arbeitgeber erfolgt sei.

52

Unabhängig davon handelt es sich bei den vom Kläger in seiner Berufungsbegründung angeführten entlastenden Gesichtspunkten um keine Umstände, die sich im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend zu seinen Gunsten hätten auswirken können. Der dringende Tatverdacht resultiert daraus, dass der Kläger unter Änderung der Kontodaten eines bestehenden Kunden eine unberechtigte Überweisung an seine Bekannte veranlasst hat und seine diesbezüglichen Erklärungsversuche als nicht plausibel erscheinen. Soweit die Beklagte die Ermittlungen gegen den Kläger zum Anlass genommen hat, um im Jahre 2013 eine entsprechende Prüfung der Buchführung durchführen zu lassen und dabei erhebliche Mängel festgestellt wurden, wirkt sich das nicht zu Gunsten des Klägers aus. Gleiches gilt, soweit aufgrund des Vorkommnisses und der daraus resultierenden Untersuchung auf Wunsch des Klägers eine Dienstanweisung erlassen wurde, damit künftige Auszahlungen nur durch Gegenzeichnung der Kassenaufsichtsbeamten ausgezahlt werden dürfen. Ein etwaiges Organisationsverschulden der Beklagten hinsichtlich der Organisation der Finanzbuchhaltung ändert nichts daran, dass kein Mitarbeiter unberechtigte Überweisungen vornehmen darf. Die beanstandeten Organisationsmängel bzw. unzureichende Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen hätten im Streitfall allenfalls dazu führen können, dass hierdurch bedingte Beweisschwierigkeiten zu Lasten der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten gehen. Hingegen kann sich eine erst nach dem kündigungsrelevanten Vorkommnis auf Wunsch des Klägers erlassene Dienstanweisung zur Einführung eines Vier-Augen-Prinzips bzw. zur Beseitigung der festgestellten Organisationsmängel nicht zu Gunsten des Klägers im Rahmen der Interessenabwägung auswirken.

III.

53

Aufgrund der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 26. Februar 2015 ist der hiergegen gerichtete Kündigungsschutzantrag unbegründet, so dass der als unechter Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens gestellte vorläufige Weiterbeschäftigungsantrag zu 2) nicht zur Entscheidung angefallen ist.

54

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

55

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 22. Juli 2015, Az. 5 Ca 1537/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

3. Der Streitwert wird auf 7.800 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag.

2

Der 1960 geborene Kläger war seit 1978 im Betrieb der Beklagten als Maschineneinrichter zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt 2.600 EUR im Schichtbetrieb beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt ca. 120 Arbeitnehmer. Der Kläger war Ersatzmitglied des Betriebsrats.

3

Am 17.11.2014 führte der Geschäftsführer der Beklagten im Beisein des Prokuristen und des kaufmännischen Leiters ein Personalgespräch mit dem Kläger. Dem Kläger wurde vorgehalten, dass er nach den Beobachtungen des befristet beschäftigten Mitarbeiters H. in der Zeit vom 13.10. bis 14.11.2014 jeweils in der Spätschicht, abends nachdem die Geschäftsleitung das Haus verlassen hatte, wiederholt seine Arbeit für einen Zeitraum bis zu eineinhalb Stunden beendet und sich mit seinen Arbeitskollegen S. und/oder Sch. in Richtung Umkleidebereich, vermutlich zum gemeinsamen Biertrinken, zurückgezogen habe. Bei seiner Rückkehr aus der Umkleide habe der Kläger am 14.11.2014 nach Alkohol gerochen. Einzelheiten über Inhalt und Verlauf des Gesprächs sind zwischen den Parteien streitig. Im Ergebnis des Gesprächs unterzeichnete der Kläger einen von der Beklagten vorbereiteten Aufhebungsvertrag zum 30.11.2014. Auch mit den Arbeitnehmern Schm. und Schä. führte die Beklagte am 17.11.2014 getrennte Gespräche, die mit der Unterzeichnung eines vorbereiteten Aufhebungsvertrags zum 30.11.2014 endeten.

4

Mit Anwaltsschreiben vom 19.11.2014 focht der Kläger den Aufhebungsvertrag wegen Drohung mit einer Strafanzeige und einer fristlosen Kündigung an. Er sei durch die Art der Gesprächsführung in eine bedrohliche Situation gebracht und widerrechtlich zur Unterzeichnung des Vertrags genötigt worden. Die Beklagte wies die erklärte Anfechtung als unbegründet zurück. Daraufhin hat der Kläger am 26.11.2014 Klage erhoben. Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlichen Sachanträge wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 22.07.2015 Bezug genommen.

5

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, die vom Kläger angeführte "Überrumpelung", binnen kurzer Zeit zu einer Fülle von Vorwürfen Stellung beziehen zu müssen, scheide als Anfechtungsgrund aus. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, das Personalgespräch anzukündigen. Auch auf "Angst und Panik" könne sich der Kläger nicht berufen. Er habe ein drohendes oder nötigendes Verhalten der Beklagten nicht substantiiert vorgetragen, jedenfalls sei er insoweit beweisfällig geblieben. Die Beklagte habe die Behauptung des Klägers bestritten, sie habe ihm die mehrfach verlangte Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds verwehrt, er sei sogar am Verlassen des Raums zu diesem Zweck gehindert worden. Der Kläger habe hierfür keinen tauglichen Beweis angeboten. Die von ihm benannten Zeugen S. und Sch. seien nicht zu vernehmen gewesen, weil sie an dem Gespräch nicht teilgenommen haben. Die Beklagte habe den Kläger nicht durch eine widerrechtliche Drohung mit einer fristlosen Kündigung bzw. der Einleitung eines Zustimmungsverfahrens zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags bestimmt. Trotz der langjährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers hätte ein verständiger Arbeitgeber den Ausspruch einer Kündigung - auch ohne Abmahnung - ernsthaft in Betracht ziehen dürfen. Der Kläger habe sich an einer Vielzahl von Tagen in der Spätschicht mit seinen Kollegen S. und/oder Sch. erhebliche Zeiträume unentschuldigt von seinem Arbeitsplatz entfernt, nämlich nach den Aufzeichnungen des Mitarbeiters H. am 13.10.2014 von 16:00 bis 17:30 Uhr und zwischen 20:00 und 21:30 Uhr, am 14.10.2014 von 19:25 bis 21:30 Uhr, am 27.10.2014 von 20:30 bis 21:30 Uhr, am 13.11.2014 von 19:35 bis 19:55 Uhr, von 20:00 bis 20:30 Uhr und von 20:33 bis 21:30 Uhr sowie am 14.11.2014 von 20:46 bis 21:00 Uhr und von 21:30 Uhr bis Feierabend. Der Kläger habe nicht substantiiert vorgetragen, was er in diesen Zeiträumen getan habe, sondern lediglich allgemein ausgeführt, er sei teilweise im Magazin, im Messraum oder auf der Toilette gewesen. Auch habe er öfter seinen Spind in der Umkleide aufgesucht, um Sprudelwasser zu trinken. Die Beklagte habe durch das Verhalten des Klägers einen Schaden, nämlich einen Arbeitszeitschaden, erlitten. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 22.07.2015 Bezug genommen.

6

Gegen das am 13.08.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 07.09.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 24.09.2015 eingegangenem Schriftsatz begründet.

7

Er macht geltend, er habe den Aufhebungsvertrag wirksam angefochten. Ein verständiger Arbeitgeber hätte eine Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Die Beklagte habe ihm aus dem Nichts mit einer Kündigung und einer Strafanzeige gedroht. Die Beklagte stütze ihre Vorwürfe auf die schriftlichen Aufzeichnungen des Mitarbeiters H.. Er habe dessen Aufenthaltsbeschreibungen erstinstanzlich teilweise eingeräumt bzw. teilweise bestritten. Die Schlussfolgerungen und Bewertungen, dass er in den aufgezeichneten Zeiträumen nicht gearbeitet habe, habe er voll bestritten. Er habe detailliert dargelegt, dass er in diesen Zeiten tatsächlich gearbeitet habe. Er habe auch dargelegt, dass der betriebsfremde H. die Arbeitsabläufe nicht gekannt habe. H. habe deshalb nicht beurteilen können, was er in diesen Zeiten gemacht habe. Da ihm nicht nachgewiesen sei, dass er seine Arbeitspflicht verletzt habe, und der Beklagten kein Schaden entstanden sei, weil alle Maschinen ordnungsgemäß gearbeitet haben, kein Schrott gefahren und die Mengenvorgaben eingehalten worden seien, hätte eine Arbeitgeberkündigung einer gerichtlichen Überprüfung nicht standgehalten. Das Arbeitsgericht habe Hinweispflichten gem. § 139 ZPO verletzt, weil es die von ihm benannten Zeugen S. und Sch. als untauglich angesehen, ihn jedoch erst im Urteil darauf hingewiesen habe. Er sei auch erst im Urteil darauf hingewiesen worden, dass er das Vorbringen der Beklagten nicht hinreichend substantiiert bestritten habe. Das Arbeitsgericht habe Beweisanträge übergangen, weil es nicht geklärt habe, ob H. von der Beklagten eigens als Detektiv auf ihn angesetzt worden sei. Hierfür habe er vier Zeugen benannt. Schließlich sei unklar, was das Arbeitsgericht unter einem "Arbeitszeitschaden" verstehe. Vermögensschäden oder Schäden an den Rechtsgütern des § 823 BGB seien der Beklagten nicht entstanden. Der bereits erstinstanzlich bestrittene Alkoholkonsum sei ihm nicht nachgewiesen worden. In der mündlichen Berufungsverhandlung hat der Kläger erstmals den Prokuristen, den kaufmännischen Leiter und den Geschäftsführer der Beklagten als Zeugen für den von ihm dargestellten Ablauf des Gesprächs vom 17.11.2014 benannt.

8

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

9

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 22.07.2015, Az. 5 Ca 1537/14, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis über den 30.11.2014 hinaus fortbesteht.

10

Die Beklagte beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und rügte Verspätung des Beweisantritts in der Berufungsverhandlung.

13

Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

14

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

15

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Im Ergebnis und in der Begründung völlig zutreffend hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch den Aufhebungsvertrag vom 17.11. mit Ablauf des 30.11.2014 aufgelöst worden ist.

16

1. Der Kläger kann den Aufhebungsvertrag vom 17.11.2014 nicht erfolgreich mit der Begründung beseitigen, er sei von der Beklagten "überrumpelt" worden. Ihm steht kein Widerrufsrecht nach §§ 312 Abs. 1, 355 BGB zu. Im Übrigen ist ein Aufhebungsvertrag nicht allein deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- bzw. Widerrufsrecht eingeräumt und ihm auch das Thema des beabsichtigten Gesprächs vorher nicht mitgeteilt hat (vgl. BAG 27.11.2003 - 2 AZR 177/03 - AP BGB § 312 Nr. 1). Der Kläger kann die Anfechtung deshalb nicht darauf stützen, dass er "völlig unvorbereitet" zu einem Beendigungsgespräch gerufen und "aus dem Nichts" mit Vorwürfen konfrontiert worden sei.

17

2. Der Kläger hat keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen, denen sich entnehmen lassen könnte, er habe den Aufhebungsvertrag im Zustand der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit (§ 105 Abs. 2 BGB) unterzeichnet. Er ist nach seinem Vorbringen in "Angst und Panik" geraten und wollte der "erheblichen Stresssituation" durch die Vertragsunterzeichnung entfliehen. Aus diesen allgemein gehaltenen Symptomen kann keine Geschäftsunfähigkeit geschlussfolgert werden. Auch aus der Schilderung, der Kläger sei so "geschockt" nach Hause gekommen, dass seine Ehefrau beim Hausarzt angerufen habe, der eine Überweisung zum Psychologen ausgestellt habe, folgt nichts anderes.

18

3. Für seine bestrittene Behauptung, er sei am 17.11.2014 "körperlich unter Druck" gesetzt worden, weil sich der kaufmännische Leiter vor die Tür gestellt habe, um ihn daran zu hindern, den Raum zu verlassen, um ein Betriebsratsmitglied zu seiner Unterstützung herbeizurufen, hat der Kläger keinen Beweis angeboten. Die Beweislast für die behauptete körperliche Bedrohung bzw. Zwangslage liegt beim Kläger (vgl. Palandt/Ellenberger BGB 75. Aufl. § 123 Rn. 30).

19

4. Die Würdigung des Arbeitsgerichts, der Kläger habe den Aufhebungsvertrag vom 17.11.2014 nicht wirksam wegen widerrechtlicher Drohung mit einer fristlosen Kündigung oder einer Strafanzeige angefochten, begegnet keinen Bedenken.

20

a) Nach § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, die Erklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten. Die Darlegungs- und Beweislast für die behauptete Drohung trifft den Anfechtenden, hier den Kläger.

21

b) Der Kläger hat für seine bestrittene Behauptung, die Beklagte habe ihm im Gespräch vom 17.11.2014 sowohl mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung als auch mit der Erstattung einer Strafanzeige gedroht, falls er den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichnen sollte, keinen tauglichen Beweis angeboten.

22

Die Beklagte hat erwidert, sie habe dem Kläger erläutert, dass aufgrund der Beobachtungen des Mitarbeiters H. der Verdacht eines erheblichen Arbeitszeitbetrugs sowie des fortgesetzten Verstoßes gegen das betriebliche Alkoholverbot vorliege. Sein Verhalten sei von einem solchen Gewicht, dass sie eine weitere Zusammenarbeit als unzumutbar betrachte. Es sei deshalb beabsichtigt, die Zustimmung des Betriebsrats zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung zu beantragen. Sie habe dem Kläger angeboten, zur Vermeidung eines Zustimmungsverfahrens und der anschließenden fristlosen Kündigung, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 30.11.2014 zu beenden. Mit der Erstattung einer Strafanzeige habe sie nicht gedroht. Der Kläger hat darauf repliziert, die Beklagte habe ihm sehr wohl mit einer fristlosen Kündigung und einer Strafanzeige gedroht. Hinsichtlich der Drohung mit einer Strafanzeige habe sie ihm ausgemalt, dass dann ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren in Gang komme. Hinsichtlich der Drohung mit einer fristlosen Kündigung habe sie deutlich gemacht, dass dann seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt "gleich Null" seien, weil niemand einen fristlos gekündigten Arbeitnehmer einstelle. Für diese Behauptung hat der Kläger seine Arbeitskollegen S. und Sch. als Zeugen benannt, die in getrennten Gesprächen am 17.11.2014 ebenfalls einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet haben.

23

c) Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die als Zeugen benannten Arbeitskollegen S. und Sch. für den Inhalt des Gesprächs des Klägers mit den Vertretern der Beklagten kein taugliches Beweismittel darstellen, weil sie selbst nicht teilgenommen haben. Die Rüge des Klägers, er hätte hierauf hingewiesen werden müssen, greift nicht durch. Es ist offensichtlich, dass als Zeugen für Einzelheiten eines Gesprächs nur die Personen benannt werden können, die an dem Gespräch teilgenommen haben. Die Zeugen S. und Sch. hätten allenfalls das bezeugen können, was sie in ihrem eigenen Personalgespräch erlebt haben. Das spielt für den vorliegenden Rechtsstreit jedoch keine Rolle.

24

Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Berufungsverhandlung die Gesprächsteilnehmer auf Beklagtenseite, dh. den Prokuristen, den kaufmännischen Leiter und den Geschäftsführer, als Zeugen für den von ihm geschilderten Ablauf des Gesprächs vom 17.11.2014 benannt hat, war dieser Beweisantritt verspätet und daher nicht mehr zuzulassen. Nach § 67 Abs. 4 ArbGG sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die nicht bereits aus anderen Gründen als verspätet zurückzuweisen sind, vom Berufungskläger in der Berufungsbegründung vorzubringen. Hierzu gehören auch Beweisantritte. Nach § 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur dann zuzulassen, wenn sie erst nach der Berufungsbegründung entstanden sind oder wenn das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder nicht auf Verschulden der Partei beruht. Die Möglichkeit, den Prokuristen und den kaufmännischen Leiter der Beklagten als Zeugen zu benennen, ist nicht erst nach der Berufungsbegründung entstanden. Insoweit ist der verspätete Beweisantritt schuldhaft iSv. § 67 Abs. 4 ArbGG. Die Zulassung dieses Beweisantritts hätte die Erledigung des Rechtsstreits offensichtlich auch verzögert, da die als Zeugen benannten nicht an Gerichtsstelle anwesend waren und der Rechtsstreit somit hätte vertagt werden müssen. Zwar war der Geschäftsführer der Beklagten persönlich anwesend. Dieser wäre jedoch nicht als Zeuge, sondern als Partei zu vernehmen gewesen. Die Parteivernehmung ist als Beweismittel in dem in § 445 Abs. 1 ZPO bezeichneten Umfang subsidiär.

25

5. Selbst wenn die Beklagte dem Kläger mit einer fristlosen Kündigung oder einer Strafanzeige gedroht haben sollte, wäre diese nicht widerrechtlich gewesen.

26

a) Es konnte dahinstehen, ob der Kläger als Ersatzmitglied des Betriebsrats Sonderkündigungsschutz genoss. Der Kläger war nach seinem lediglich rudimentären Vortrag Ersatzmitglied des Betriebsrats "mit regelmäßiger Teilnahme an der Sitzung". Ihm stand - wenn überhaupt - im Zeitpunkt des Personalgesprächs am 17.11.2014 nur der nachwirkende Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu. Dieser verlangt nicht die Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG zur Kündigung (vgl. hierzu BAG 27.09.2012 - 2 AZR 955/11 - NZA 2013, 425).

27

Im Übrigen hat für die Widerrechtlichkeit der Drohung die Tatsache keine Bedeutung, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Drohung mit einer fristlosen Kündigung noch nicht den Betriebsrat, das Integrationsamt oder eine sonstige Stelle, deren Zustimmung für die Kündigung erforderlich ist, angehört hat (vgl. DLW/Hoß 13. Aufl. Kap. 6 Rn. 339).

28

b) Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, ist die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung oder einer Strafanzeige widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Nicht erforderlich ist, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Fall ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er die außerordentliche Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu veranlassen (st. Rspr. vgl. BAG 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06 - Rn. 48 mwN, NZA 2008, 348; BAG 05.12.2005 - 6 AZR 197/05 - Rn. 23 mwN, NZA 2006, 841). Der Anfechtungsprozess ist nicht wie ein Kündigungsschutzprozess zu führen. Der anfechtende Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen Anfechtung. Er hat deshalb die Tatsachen vorzutragen und ggf. zu beweisen, welche die angedrohte außerordentliche Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen (vgl. BAG 28.11.2007 - 6 AZR 1108/06 - Rn. 55 mwN, aaO).

29

c) Ausgehend von diesen Grundsätzen durfte ein verständiger Arbeitgeber in der Situation der Beklagten am 17.11.2014 eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger in Betracht ziehen. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass sich der Kläger an einer Vielzahl von Tagen während der Spätschicht mit seinen Arbeitskollegen S. und/ oder Sch. erhebliche Zeiträume unentschuldigt von seinem Arbeitsplatz entfernt hat, nämlich nach den Aufzeichnungen des Mitarbeiters H. am 13.10.2014 von 16:00 bis 17:30 Uhr und zwischen 20:00 und 21:30 Uhr, am 14.10.2014 von 19:25 bis 21:30 Uhr, am 27.10.2014 von 20:30 bis 21:30 Uhr, am 13.11.2014 von 19:35 bis 19:55 Uhr, von 20:00 bis 20:30 Uhr und von 20:33 bis 21:30 Uhr sowie am 14.11.2014 von 20:46 bis 21:00 Uhr und von 21:30 Uhr bis Feierabend. Es bestand der Verdacht, dass sich der Kläger in dieser Zeit mit seinen Arbeitskollegen zum Biertrinken zurückgezogen hat.

30

Der beweispflichtige Kläger hat die von der Beklagten in diesem Zusammenhang vorgetragenen Umstände nicht widerlegt. Er hat zweitinstanzlich seinen Vortrag nicht ergänzt und detailliert dargelegt, was er in den oben genannten Zeiträumen konkret getan haben will. Dazu hätte Anlass bestanden, weil im angefochtenen Urteil im Einzelnen ausgeführt worden ist, weshalb der erstinstanzliche Vortrag des Klägers nicht genügt, um ihn zu entlasten. Der Kläger hat lediglich allgemein behauptet, dass er teilweise im Magazin, im Messraum oder auf der Toilette gewesen sei. Auch habe er öfter seinen Spind in der Umkleide aufgesucht, um Sprudelwasser zu trinken. Mit diesem pauschalen Vortrag lässt sich das unbestrittene Zusammensein mit den Arbeitskollegen S. und/oder Sch. nicht erklären. Zum anderen fehlt jede Erklärung, weshalb die gemeinsamen Abwesenheitszeiten erst in den Abendstunden, nachdem die Geschäftsleitung das Haus verlassen hatte, aufgetreten sind. Die langen Abwesenheitszeiten von bis zu eineinhalb Stunden lassen sich nicht mit einem Toilettengang oder einem Gang zum Spind erklären, um dort Sprudelwasser zu trinken. Der Kläger ist zweitinstanzlich mit keinem Wort darauf eingegangen, dass sich nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts in seinem Spind am 17.11.2014 zwar ein Sixpack Bier, aber kein Sprudelwasser befand. Auch zum Vorbringen der Beklagten, dass der Kläger die Sprudelflasche ohne weiteres mit an seinen Arbeitsplatz hätte nehmen dürfen, hat der Kläger nichts erwidert. Dasselbe gilt für den Vorhalt der Beklagten, dass der Kläger seine Abwesenheitszeiten nicht mit längeren Aufenthalten im Magazin erklären könne, weil man dort lediglich Gebrauchsgegenstände (wie Gehörstöpsel oder Handschuhe) abhole. Länger Aufenthalte, die wenige Minuten überstiegen, seien weder notwendig noch üblich. Auch zu den behaupteten Aufenthaltszeiten im Messraum hat der Kläger nicht konkretes vorgetragen.

31

d) Soweit die Berufung rügt, das Arbeitsgericht habe streitigen und unstreitigen Sachverhalt fehlerhaft dargestellt, sind Rechtsfehler nicht ersichtlich. Vielmehr hat das Arbeitsgericht den Sachverhalt sowohl in tatsächlicher Hinsicht zutreffend festgestellt als auch in rechtlicher Hinsicht fehlerfrei gewürdigt. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe vermögen nicht zu überzeugen und rechtfertigen keine anderweitige Entscheidung. Anders als die Berufung meint, hat der Kläger nicht detailliert dargelegt, was er in den von H. aufgezeichneten Abwesenheitszeiten gearbeitet hat. Es kommt nicht darauf an, ob H. die Arbeitsabläufe kannte oder beurteilen konnte, was der Kläger in den Zeiten, die er nicht in der Produktionshalle anwesend war, gearbeitet haben könnte. Der Kläger hätte seine Arbeitstätigkeiten konkret darlegen müssen. Es ist unerheblich, dass der Kläger meint, H. sei als Detektiv auf ihn "angesetzt" worden. Selbst wenn dem so wäre, was die Beklagte bestreitet, führt dies nicht dazu, dass seine Beobachtungen unberücksichtigt bleiben müssten, worauf das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat.

32

e) Zwar ist nicht zu verkennen, dass der Kläger aufgrund seiner langen Betriebszugehörigkeit seit 1978 einen hohen sozialen Besitzstand erworben hat. Gleichwohl musste die Beklagte nicht davon ausgehen, dass die - unterstellte - angedrohte Kündigung im Fall ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Prüfung nicht standhalten würde, weil nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung als Reaktion ausgereicht hätte und die notwendige Interessenabwägung zwingend zu Gunsten des Klägers ausgefallen wäre.

33

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, stand der Verdacht eines fortgesetzten Arbeitszeitbetrugs im Raum. Die Beklagte durfte davon ausgehen, dass sich der Kläger mit seinen Arbeitskollegen S. und/oder Sch. während der Spätschicht fortgesetzt und in diesem Sinne "regelmäßig" unentschuldigt vom Arbeitsplatz entfernt hat. Dass sein auf Heimlichkeit angelegtes Verhalten von der Beklagten nicht geduldet würde, musste dem Kläger klar sein. Er hat sich über erhebliche Zeiträume in der Spätschicht mit seinen Arbeitskollegen getroffen und dabei - so der begründete Verdacht - trotz des betrieblichen Alkoholverbots Bier konsumiert. Dieses Verhalten lässt sich nicht damit beschönigen, dass die Einlegung von Pausen "völlig normal" sei. Soweit die Berufung in Abrede stellt, dass der Beklagten durch das Verhalten des Klägers ein Schaden entstanden sei, den das Arbeitsgericht kurz als "Arbeitszeitschaden" bezeichnet hat, verkennt sie, dass die Beklagte dem Kläger für Zeiten, in denen er keine Arbeitsleistung erbracht hat, Arbeitsentgelt gezahlt hat. Hierdurch ist ihr ein finanzieller Schaden entstanden.

34

Da ein Anfechtungsprozess nach § 123 BGB nicht wie ein fiktiver Kündigungsschutzprozess behandelt werden darf, sind die für und gegen die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sprechenden Umstände hier nicht abschließend abzuwägen. Von einem verständigen Arbeitgeber kann nicht generell verlangt werden, dass er bei seiner Abwägung die mutmaßliche Beurteilung des Tatsachengerichts „trifft”. Im vorliegenden Fall stellt es aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers angesichts des Fehlverhalten des Klägers jedenfalls keine völlig überzogene Reaktion dar, wenn die Beklagte sofort an das äußerste Mittel der fristlosen Kündigung dachte, eine solche - was unterstellt wird - dem Kläger androhte und damit zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags bewegte.

III.

35

Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.

36

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.